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Indien. Arcelor und Jaguar waren nur der Anfang. Auf dem Subkontinent wächst eine Unternehmer- generation heran, die überall auf Kaufgelegen- heiten lauert. Auch in Deutschland Tatas Jünger Indien wird langsam zu klein für ihn: Vijay Mallya beim ersten Flug seiner Kingfisher Airlines nach London liarden Dollar nahm der Autobauer Tata Motors dem Ford-Konzern seine Not lei- denden britischen Marken Jaguar und Land Rover ab. Und statt weiterer Spar- maßnahmen versprach Firmenpatriarch Ratan Tata sogar Investitionen. Aber eine der edelsten Automarken der Insel in Händen des Billigfabrikanten aus der einstigen Kolonie? How shocking! Dabei waren Arcelor und Jaguar erst der Anfang. Im Schatten von Tata und Mittal stehen mittlerweile Dutzende indi- sche Konzerne bereit, Europa und die Welt zu erobern. Im Westen sind sie nahezu unbekannt, doch das macht sie nicht weniger gefährlich. Sie heißen Larsen & Toubro, Futuregroup, Avantha, Wadia oder Bharat Forge. Sie erzielen Mil- liardenumsätze, erwirtschaften Traum- renditen und beschäftigen Zehntausende Mitarbeiter. Und sie lauern auf ihre Text: Volker Müller, Neu-Delhi Mitarbeit: Tathagata Bhattacharya Es ist nicht leicht, Jean-Claude Juncker aus der Fassung zu bringen. Doch was der indische Unternehmer Lakshmi Mittal Ende Januar 2006 ankündigte, ließ den sonst so besonnenen Luxemburger Pre- mier fast seine marktwirtschaftlichen Prinzipien über Bord werfen. Staatsbetei- ligung, Änderung des Aktienrechts, der russische Stahlbaron Alexej Mordaschow als Nothelfer, alles schien denkbar, um das Ungeheuerliche zu verhindern: die feindliche Übernahme des Stahlkonzerns Arcelor durch den indischen Konkurren- ten Mittal Steel. Es half nichts. Am Ende zahlte Mittal 26 Milliarden Euro und kontrolliert heute mit einem Anteil von 45 Prozent die Geschicke des fusionierten Weltmarktführers ArcelorMittal. Ein knappes Jahr später waren die Inder dann wieder da, diesmal nicht als Angreifer, sondern als Retter. Für 2,3 Mil- Unternehmen Bulls/Matrix Unternehmen: Indien 90 c05/2009 Unternehmen: Indien c05/2009 91

Tatas Jünger - Avantha Groupavanthagroup.com/images/News/CA_05_Indien small size.pdfKingfisher Airlines nach London ... Bulls/Matrix Unternehmen: Indien 90 c 05/2009 ... (BCG) zählt

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Indien. Arcelor und Jaguar waren nur der Anfang. Auf dem Subkontinent wächst eine Unternehmer­generation heran, die überall auf Kaufgelegen­heiten lauert. Auch in Deutschland

Tatas Jünger

Indien wird langsam zu klein für ihn: Vijay Mallya beim ersten Flug seiner Kingfisher Airlines nach London

liarden Dollar nahm der Autobauer Tata Motors dem Ford-Konzern seine Not lei-denden britischen Marken Jaguar und Land Rover ab. Und statt weiterer Spar-maßnahmen versprach Firmenpatriarch Ratan Tata sogar Investitionen. Aber eine der edelsten Automarken der Insel in Händen des Billigfabrikanten aus der einstigen Kolonie? How shocking!

Dabei waren Arcelor und Jaguar erst der Anfang. Im Schatten von Tata und Mittal stehen mittlerweile Dutzende indi-sche Konzerne bereit, Europa und die Welt zu erobern. Im Westen sind sie nahezu unbekannt, doch das macht sie nicht weniger gefährlich. Sie heißen Larsen & Toubro, Futuregroup, Avantha, Wadia oder Bharat Forge. Sie erzielen Mil-liardenumsätze, erwirtschaften Traum-renditen und beschäftigen Zehntausende Mitarbeiter. Und sie lauern auf ihre

Text: Volker Müller, Neu-Delhi Mitarbeit: Tathagata Bhattacharya

Es ist nicht leicht, Jean-Claude Juncker aus der Fassung zu bringen. Doch was der indische Unternehmer Lakshmi Mittal Ende Januar 2006 ankündigte, ließ den sonst so besonnenen Luxemburger Pre-mier fast seine marktwirtschaftlichen Prinzipien über Bord werfen. Staatsbetei-ligung, Änderung des Aktienrechts, der russische Stahlbaron Alexej Mordaschow als Nothelfer, alles schien denkbar, um das Ungeheuerliche zu verhindern: die feindliche Übernahme des Stahlkonzerns Arcelor durch den indischen Konkurren-ten Mittal Steel. Es half nichts. Am Ende zahlte Mittal 26 Milliarden Euro und kontrolliert heute mit einem Anteil von 45 Prozent die Geschicke des fusionierten Weltmarktführers ArcelorMittal.

Ein knappes Jahr später waren die Inder dann wieder da, diesmal nicht als Angreifer, sondern als Retter. Für 2,3 Mil- ∂

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»Indische Unternehmen werden westlichen

Unternehmen verstärkt zusetzen können«

Hubert Lienhard

Chance, jenseits der Landesgrenzen zu-zuschlagen. Die Weltwirtschaftskrise spielt ihnen dabei in die Hände: Selten waren die westlichen Konkurrenten schwächer, selten war deren Kapitalbe-darf höher, die Liquidität geringer. Die perfekte Ausgangssituation für die Inder, um ihre globale Präsenz zu stärken und in für sie lange verschlossene Märkte und Branchen vorzudringen.

Wenig weiß der Westen über die ver-schachtelten Imperien des Subkontinents, deshalb löst der nicht selten rabiate Auf-tritt der Exoten in unseren Breiten vor allem eines aus: Angst. So war Mittals Attacke auf Arcelor mehr als nur ein feindliches Übernahmeangebot der Num-mer eins gegen die Nummer zwei der Stahlbranche. Es hatte auch etwas von einem Kampf der Kulturen: auf der einen Seite der indische Familienkonzern, auf der anderen die von Managern gelenkte europäische Aktiengesellschaft.

Ähnlich müssen sich auch die Mana-ger des Windanlagenbauers Repower gefühlt haben, als der indische Rivale Suzlon 2007 bei dem Hamburger Unter-nehmen einstieg. Was anfangs nach der Idee einer gedeihlichen Zusammenarbeit aussah, aus der ein globaler Marktführer erwachsen könnte, entwickelte sich rasch zum ärgerlichen Kleinkrieg. Denn was Suzlon im Schilde führte, empfand der Repower-Vorstand als feindliche Über-nahme. Vehement stemmten sich die Deutschen dagegen, dem Großaktionär Einblick in die Entwicklungsabteilung zu geben, und weigerten sich, Bauteile des indischen Partners zu verwenden, die ihren Qualitätsansprüchen nicht ent-sprachen. Lange sah es so aus, als könnte Suzlon-Chef Tulsi Tanti den Kampf ver-lieren. Doch im Januar stockte Suzlon seinen Repower-Anteil auf und verfügt nun über 90,7 Prozent der Stimmrechte – und damit über nahezu schrankenlose Kontrolle.

Lange war zweifelhaft, ob Tanti die Finanzierung zustande bringen würde. Die weltweite Kreditklemme macht auch den Angreifern aus dem Osten zu schaf-fen. Doch das bremst ihren Vorstoß höchstens, stoppt ihn aber nicht. „Natür-lich sind auch Indiens Konzerne von der Wirtschaftskrise betroffen, aber bei Wei-tem nicht so stark wie ihre westlichen Rivalen“, sagt Chandrajit Banerjee, Hauptgeschäftsführer des CII, des Ver-bands der indischen Industrie. Während die Vereinigten Staaten und Westeuropa in die Rezession fallen, wird Indien in die-sem Jahr voraussichtlich ein Wachstum von mehr als sechs Prozent produzieren. Das macht stark.

Der Verkauf an indische Rivalen droht europäischen Unternehmen jeder Größe, die sich in der Krise als nicht wetterfest erweisen. „Indische Unternehmen wer-den westlichen Unternehmen verstärkt zusetzen können“, sagt Hubert Lienhard, Chef des Maschinenbaukonzerns Voith und Indiensprecher des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft. „Wie im deutschen Mittelstand sind in Indien sehr viele Unternehmen im Fami-lienbesitz und verfügen über eine gute Kapitalbasis.“ Diese für eine Einkaufstour bei Wettbewerbern zu nutzen liege ange-sichts des akuten Kapitalbedarfs west-licher Unternehmen nahe, sagt auch Guido Stiel, Indienexperte der Invest-mentgesellschaft Allianz Global Inves-tors: „Es wäre geschickt und angebracht, sich jetzt Wissen und Marktanteile im Westen zuzukaufen.“

Mit einem vergleichsweise intakten Heimatmarkt im Rücken sehen Inder in der Phase des weltweiten Abschwungs ihre Chance gekommen. Die Unterneh-mensberatung Boston Consulting Group (BCG) zählt mittlerweile 20 indische Firmen zu den 100 wichtigsten globalen Herausforderern westlicher Platzhirsche, unter ihnen der Ingenieurkonzern Lar -sen & Toubro, der Elektroanlagenbauer Cromp ton Greaves, der Autozulieferer Bharat Forge und der Pharmaproduzent Dr. Reddy’s. Gegen sie könnten sogar chi-nesische Firmen kaum mithalten, glau-ben Experten.

In den vergangenen Jahren stieg die Zahl indischer Zukäufe in Europa fast unbemerkt an. Kaufziele waren überwie-gend mittelgroße Firmen. So über-

2000-Dollar-Mann: Ratan Tata im März bei der Nano-Vorstellung. Das billigste Auto der Welt gibt es schon in Indien, bald auch in Europa

Crompton Greaves Übernehmen oder untergehen?Mittelgroße Familienunternehmen sind das bevorzugte Ziel

Vom Erfolg verwöhnt Das börsennotier-te Unternehmen der familien geführten Avantha-Gruppe aus Mumbai fertigt Transformatoren, Starkstromtechnik, Motoren und Haushaltsgeräte. Das Geschäft war bisher immun gegen den Abschwung. Konzernchef Sudhir Mohan Trehan wartet jetzt darauf, dass manch kleinerer Player aufgibt, „mangels Liqui-dität und mangels Finanzierung durch Banken“. Das, so Trehan, eröffne „sicher eine Reihe von Kaufchancen“.

Wachstum ist Programm Seit 2004 übernahmen die Inder bereits fünf Wettbewerber im Westen, zuletzt die belgische Pauwels-Gruppe. „Wachstum durch Übernahmen ist ein kontinuierli-cher Prozess und gehört zum Geschäfts-modell“, sagt Trehan gegenüber Capital. Zugleich brummt der Heimatmarkt. Zu-letzt trugen die Neuerwerbungen etwa zehn Prozent zum Umsatzwachstum bei, das organische Wachstum lag bei

etwa 15 Prozent. Im Geschäftsjahr 2009 (endete am 31. März) dürfte der Umsatz auf 1,3 Milliarden Euro gestiegen sein.

Kaufzwang Der Druck, weiter zuzukau-fen, werde zunehmen, urteilt Trehan: „Leider gibt es in Europa und den USA Tendenzen, in Protektionismus zurück-zufallen.“ Man müsse vor Ort stärker mit Tochterunternehmen präsent sein, um Ausschreibungen gewinnen zu kön-nen. Am Geld wird die Expansion nicht scheitern: Die Bilanz ist schuldenfrei.

Wadia Konzern mit StartschwierigkeitenDer Lebensmittelgigant gründete eine Airline. Das war ein Fehler

Lange Tradition Die Anfänge des Unter-nehmens reichen bis 1736 zurück, da-mals war Wadia eine Werft. Doch Schiffe baut der Konzern schon seit 1886 nicht mehr. Kern des Geschäfts sind heute Textilien und Lebensmittel . Dazu kom-men Chemikalien, Elektronik, Erdölpro-dukte und Immobi lien. Anfang der 90er-Jahre beschloss Firmenpatriarch Nusli Wadia, stärker zu diversifizieren. Er er-warb Britannia Industries, Indiens größ-ten Keksfabrikanten. Inzwischen erzeugt Britannia auch Brot, Käse und Joghurt und trägt damit nahezu 50 Prozent des Wadia-Umsatzes. Wadia orientierte sich, anders als andere indische Unterneh-men, früh ins Ausland. Erst nach Groß-britannien, später in den Nahen Osten und in einige Staaten Südostasiens.

Enge Familienbande Die Wadia Group ist dennoch ein verschlossenes Unter-nehmen geblieben, die Familie meidet die Öffentlichkeit, der in Indien sonst

übliche Zwist bleibt aus. Der Clan-Chef hat nur zwei Söhne, die sich den Kon-zern teilen müssen. Analysten sehen in dem Kleinfamilienmodell ein Problem: Es gebe zu wenig Kontrolle und zu we-nig Entscheidungsdruck. So sei auch das aktuelle Drama in der Luftfahrt zu erklä-ren: 2005 startete der jüngste Sohn, Jeh Wadia, die Billigfluglinie Goair. Die düm-pelt nun bei fünf Prozent Marktanteil und macht massiv Verlust. Die ambitio-nierten Expansions pläne ruhen, der Kon-zern sucht nach neuen Geldgebern.

* entspricht 460 Mio. €; Quelle: Britannia Industries

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Britannia Industries in Mrd. Indischen Rupien

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* entspricht 1,27 Mrd. €; Quelle: Crompton Greaves

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nahm Reliance den Chemiefaserherstel-ler Trevira, die Amtek-Gruppe den Auto-zulieferer Zelter, Dr. Reddy’s den Generi-kaproduzenten Betapharm, Motherson Sumi den Spiegelhersteller Visiocorp und Rajive Ranjan die Bekleidungskette Weh-meyer. Inzwischen sind die Direktin-vestitionen indischer Unternehmen in Deutschland mit mehr als vier Milliarden Dollar höher als die deutscher Firmen in Indien, ermittelte die Technische Univer-sität in Hamburg. Damit haben die Inder selbst die Chinesen überholt.

Ihre Stärke beziehen Indiens Unter-nehmen aus Rahmenbedingungen, die typisch für Schwellenländer sind: „Völlig geschützte oder umfassend regulierte Heimatmärkte ermöglichen ihnen den Zugriff auf wertvolle Ressourcen und bewahren sie vor dem Wettbewerb mit globalen Konkurrenten“, sagt Arindam Bhattacharya, Co-Autor einer BCG-Stu-die über die neuen Herausforderer. „Und sie sind nicht an ungünstige Verträge mit Zulieferern, Gewerkschaften oder Vertriebspartnern gebunden.“

Das allein reiche aber nicht, um zum globalen Herausforderer zu werden, ur-teilt Bhattacharya. „Die größten, am schnellsten wachsenden Firmen bieten vor allem beste Karrierechancen und bilden ihre Mitarbeiter zu günstigeren Konditionen fortlaufend weiter.“ Sie stat-teten ihre Angestellten kontinuierlich mit neuen Kompetenzen aus und unter-stützten sie bei ihrer beruflichen Weiter-entwicklung. Dies binde die allerbesten Talente an die Unternehmen.

Hinzu kommen zwei Besonderheiten indischer Firmen: Im Gegensatz zu west-lichen Wettbewerbern diversifizieren indische Konzerne, statt sich zu fokussie-ren. Zudem sind sie Familienbetriebe geblieben. Dabei entstanden die unge-wöhnlichsten Firmenverbünde, die von Ökolebensmitteln bis zu Raketenwerfern fast alles unter einem Dach produzieren. „Die Firmengründer haben erkannt, dass es riskant ist, sich nur auf ein Geschäftsfeld zu konzentrieren und dieses nur vertikal zu erweitern“, sagt Amit Mitra, Chef

»Die Firmengründer haben erkannt, dass es riskant ist,

sich nur auf ein Geschäftsfeld zu konzentrieren«

Amit Mitra

UB Group Der Alleskönner„King of Good Times“ lässt sich Chef Vijay Mallya gern nennen. Er macht Geld mit allem, was geht. Und das geht immer gut.

Vijay Mallya in „I Want You“-Pose: Seine UB Group wurde durch geschickte Übernahmen groß, und allmählich wird der Konzern auch international zu einer Größe, mit der man rechnen muss

Vijay Mallya, 54, Chef der UB Group, hält sich ein eigenes Formel-1-Team und ei-ne Kricketmannschaft, gibt einen Erotik-kalender heraus, präsentiert ungeniert seine Villen und Luxusjachten und po-siert oft mit jungen Frauen im Arm. Nur zu gern lässt er sich als „King of Good Times“ titulieren. Passend, dass ihm auch United Spirits gehört, einer der größten Spirituosenkonzerne der Welt.Die Wurzeln des Unternehmens reichen zurück bis ins Jahr 1847. Heute domi-niert die UB Group den Markt für Alko-holika in Indien, die Biermarken halten fast 40 Prozent der Marktanteile. Inter-national gelangte die Gruppe durch geschickte Übernahmen ebenfalls zu Größe. Inzwischen gehören 144 Marken zur Gruppe, die Tochter United Spirits rückte 2009 erstmals in die Liste der „100 Global Challengers“ der Unterneh-mensberatung Boston Consulting auf.

Der richtige Riecher Mallya hat eine Na-se für neue Chancen, scheut selten Risi-ken und verwandelt durchschnittlich laufende Geschäfte in Goldminen. So verdient er mit Hochhausprojekten am Konzernsitz in Bangalore ebenso wie mit Zeitungsbeteiligungen. Inzwischen setzt die gesamte UB Group mehr als drei Milliarden Dollar um, mit Dünge-mitteln, Immobilien, Export, Pharmafor-

schung, mit Bier und Schnaps. Allein die börsennotierte United Spirits steigerte im laufenden Geschäftsjahr ihren Um-satz um ein Viertel. Stillstand ist nicht in Sicht: „Trotz Indiens dramatischen Wachstums zu einer Billiarden-Volkswirt-schaft sind wir noch auf der Rollbahn. Die Startbahn ist jedoch direkt voraus, und wir müssen noch einmal Tempo zulegen, um abzuheben“, so Mallya. Und: „Wir wollen die Nummer eins in allen unseren Märkten sein. Wir wollen der attraktivste Arbeitgeber sein und sehen unsere Mitarbeiter als das wertvollste Vermögen unseres Konzerns.“ Zurzeit gilt sein Hauptinteresse dem noch nicht ausgeschöpften Potenzial Indiens. Mit dem ersten Langstreckenflug von Mum-bai nach London seiner erst 2004 ge-gründeten Fluglinie Kingfisher demons-triert Mallya aber seinen Willen, auch international mitzumischen.

* variiert je nach Geschäftsbericht; ** 910 Mio. €; Quelle: United Spirits

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des FICCI, des Verbands der Industrie- und Handelskammern, gegenüber Capital. Daher sei der Mobilfunker Bharti Airtel auch in den Einzelhandel und die Lebens-mittelherstellung eingestiegen, und dar-um betreibe der Tabakkonzern ITC auch Hotels und stelle Papier her. „Die einzige Schwierigkeit dabei ist, sich in der Hol-ding nicht zu spezialisieren und das ope-rative Geschäft der Töchter den Branchen-profis zu überlassen“, sagt Mitra.

Die Inder können es sich leisten. Wäh-rend im Westen Mischkonzerne über

Jahre an den Börsen abgestraft wurden, sind die indischen Holdings den Kapital-märkten ferngeblieben. Stattdessen agie-ren sie wie Fonds und haben nur die Töchter an die Börsen gebracht. Beispiel Avantha Group: Die Holding ist im Besitz der Industriellenfamilie Thapar, die Elek-trotochter Crompton Greaves und der konzerneigene Papierhersteller Ballapur Industries sind hingegen an der Bombay Stock Exchange gelistet.

Die besonderen Rahmenbedingun-gen in Indien bis Anfang der 90er-Jahre

unterstützten diesen Trend noch. Für fast jedes Geschäft benötigten die Unterneh-mer Lizenzen. Dadurch entstand eine enge Verknüpfung von Politik und Wirt-schaft, die den Ruch der Korruption trug. „In diesem von ausländischer Kon-kurrenz abgeschotteten und durch mono-polistische Lizenzvergabe geprägten Markt entstanden einige indische Kon-glomerate, die geschäftliche Interessen in nahezu allen Bereichen haben“, sagt der Wirtschaftsautor Paranjoy Guha Thakurta.

HCL IT-Gigant aus der GarageIn gut drei Jahrzehnten machten sechs Freunde ihr Startup-Unternehmen zum IT-Riesen in Indien. Jetzt haben sie sich vorgenommen, bis 2010 auch global eine führende Rolle zu übernehmen

HCL-Mitbegründer Shiv Nadar, heute Chair-man und Strategiechef, zweifelt nicht, dass Indiens IT-Industrie erfolgreich bleiben wird

Starthilfe vom Staat Die späten 70er-Jahre waren ein Paradies für indische Gründer: Mit aller Macht drängte die Re-gierung des sozialistischen Staates aus-ländische Konzerne aus dem Land, Coca-Cola ebenso wie IBM. Die entstehenden Lücken sollten heimische Firmen füllen. Unter ihnen war auch Hindustan Com-puters Limited, kurz HCL, das zu Indiens Vorzeige-Startup wurde.Sechs Freunde hatten 1976 ihre Jobs aufgegeben, um den HCL-Vorläufer Microcomp zu gründen. Ganz stilecht in einer Garage. Die wohl nachhaltigste Starthilfe erhielt die Firma nicht von den Banken, sondern durch die protektionis-tische Politik des damaligen Industrie-ministers George Fernandes. Er propa-gierte „small is beautiful“, schanzte die Produktion wichtiger Güter kleinen oder mittleren Unternehmen zu und be-schränkte den Import. Erst 1983 lockerte die Regierung die strikten Regeln wieder. HCL hatte aber seine Chance genutzt und wuchs bis 1986 zur größten indi-schen IT-Firma heran.

Hochkarätige Kunden und Partner Seit-dem ist HCL zu einem Konzern mit mehr als fünf Milliarden Dollar Umsatz aufge-stiegen, mit Töchtern in den USA und in Europa, darunter auch in Deutschland. Zwar ist HCL weiterhin Indiens bedeu-tendster PC-Hersteller (HCL Infosys-tems), den größten Teil des Umsatzes erzielen die 59 000 Mitarbeiter aber mit IT-Services (HCL Technologies). Die Kun-denliste liest sich wie das Who’s who der globalen Wirtschaft: Deutsche Bank,

Boeing, Microsoft, Intel, Toshiba und NEC. Erst im Januar übernahmen die Inder den weltweiten Support für alle firmeninternen Computer von Nokia.Seine Position hat sich HCL durch intensive Entwicklungsarbeit und noch intensivere Partnerschaften mit internationalen IT-Größen erarbeitet. „Wir sind überzeugt: Wenn Pioniere neue Wege gehen und Part-nerschaften schließen, wie etwa HCL und HP Anfang der 90er-Jahre, dann können aus kleinen Schritten gigantische Sprünge werden“, sagt Shiv Nadar, einer der Grün-der und noch heute Chairman und Stra-tegiechef des Unternehmens. Er ist sich sicher, dass die indische IT-Industrie anhal-tenden Erfolg haben wird: „In Indien gibt es ausreichend Unternehmertum, um Neues zu schaffen.“

Weiter auf Expansionskurs Mit diesem Un-ternehmertum solle es dem Konzern auch gelingen, bis zum Jahr 2010 eine global führende Rolle einzunehmen und substan-zielle Werte für Aktionäre zu schaffen, sagt Nadar. Zuletzt übernahm HCL die britische Axon Group, einen Anbieter von SAP-Lösun-gen, für 438,5 Millionen Pfund – in bar. Der Expansionshunger sei damit aber noch lange nicht gestillt, vermuten Analysten. Die Kriegskasse des Unternehmens ist gut gefüllt, seine finanzielle Lage trotz Wirt-schaftskrise stabil. Seit 24 Quartalen zahlt der Konzern ununterbrochen Dividende, für das jüngste Quartal kündigte HCL gar an, seinen gesamten Gewinn auszuschüt-ten. Nicht umsonst urteilte das US-Maga-zin „Business Week“ im Januar über HCL: „Unbedingt im Auge behalten.“Quelle: HCL Technologies

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Dass die Konzerne des Landes, ob bör-sennotiert oder nicht, noch immer über-wiegend den Gründerfamilien gehören, fördert ebenfalls die breite Diversifizie-rung. Die Erben suchen sich unterschied-liche Geschäfte, ohne das Unternehmen zu teilen. Beispiel Wadia Group: Der Kon-zern ging aus einer Werft hervor und spe-zialisierte sich später auf die Herstellung von Textilien, Molkereiprodukten und Backwaren. Auf Wunsch des jüngsten Sohnes Jeh Wadia gründete der Konzern 2004 mit Goair zudem seine eigene Flug-gesellschaft. Die enge Familienbindung schützt die Gruppe vor feindlichen Über-nahmen.

Mit klammheimlicher Freude blicken die Inder derzeit auf China: Mit jeder schlechten Nachricht aus den USA oder Europa stürzen die Chinesen tiefer in die Krise. Der Höhenflug des Landes fußte auf dem Export, die heimische Nachfrage spielte kaum eine Rolle. Anders in Indien. Das Land profitiert vom starken Binnen-markt, erzielt nur etwa 18 Prozent des Sozialprodukts durch den Export und akzeptierte jahrelang Handelsdefizite. Das erweist sich heute als Glücksfall.

„Die Bedeutung Indiens als Stabilitäts-anker für die Weltwirtschaft nimmt in der Finanzkrise zu. Indien verfügt über ein stabiles Finanzsystem, einen großen Anteil junger Menschen und eine rasch wachsende, kaufkräftige Mittelschicht“, sagt Voith-Chef Lienhard. Damit bliebe das Land einer der wenigen Märkte, in denen auch im Jahr 2009 ein deutliches Wachstum zu erwarten sei. Der Inter-nationale Währungsfonds rechnet mit einem Plus von 6,25 Prozent.

Im vergangenen Jahrzehnt haben indische Unternehmen den IT-Sektor revolutioniert und sind zu den größten Outsourcing-Anbietern aufgestiegen. Ex-perten trauen dem Land zu, diese Erfolgs-geschichten in anderen, anspruchsvollen Branchen zu wiederholen – etwa im An-lagenbau oder in der Pharmaindustrie.

„Nach dem jüngsten Bericht des Weltwirt-schaftsforums liegt Indien auf Platz drei bei der Zahl verfügbarer Wissenschaftler

und Ingenieure. Das eröffnet globalen Unternehmen Möglichkeiten, in Indien zu signifikant niedrigeren Kosten zu forschen und zu entwickeln“, sagt CII- Geschäftsführer Chandrajit Banerjee. In-dien habe alle Vorteile auf seiner Seite, urteilt auch Allianz-Fondsmanager Stiel: „Junge Mitarbeiter, ein hohes Bevölke-rungswachstum, Top-Universitäten, ein niedriges Lohnniveau und eine breit ver-ankerte englische Sprache. Die Erfolge in einzelnen Branchen zeigen, wie schnell indische Unternehmen zu globalen Wett-bewerbern werden können.“

Beste Chancen, sich weltweit auf einen der vordersten Ränge zu schieben, haben die indischen Pharmaunterneh-men. Sie wandeln sich derzeit von Gene-rikaherstellern, die bereits existierende Medikamente produzieren, zu selbst for-schenden Anbietern. „In der IT und der Pharmabranche sind die Inder längst auf inter nationalem Niveau“, sagt Stiel. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Dr. Reddy’s

bereits auf der Suche nach weiteren Übernahmezielen in Deutschland ist.

Lienhard sieht in erstarkenden indi-schen Unternehmen durchaus auch Chancen: „Da Inder im globalen Wettbe-werb immer besser mithalten können, entstehen auch neue Absatzchancen für

deutsche Zulieferer.“ Das von Tata entwi-ckelte Kleinstauto Nano, dessen europä-ische Variante 2011 auf den Markt kom-men soll, sei ein passendes Beispiel. Unter seinem Plastikkleid arbeitet viel Technik aus Deutschland, etwa von ZF Friedrichs-hafen oder Bosch.

Einzig politische Unwägbarkeiten könnten den raschen Aufstieg der Inder noch torpedieren und bremsen, vor allem aufkeimender Protektionismus im Wes-ten. „Sollten die zahlreichen Konjunk-turprogramme und Stützungsmaßnah-men in den USA und Europa nicht oder nicht schnell genug greifen, dann besteht immer die Gefahr der Abschottung – getrieben durch Populismus der Regie-renden“, warnt Indienexperte Stiel. Das wären genau die Art von Behinderungen und Restriktionen, die indische Konzer-ne in ihrer Heimat groß werden ließen und die indische Politiker auf internatio-nalen Konferenzen mit Händen und Fü-ßen verteidigen.

»Die Bedeutung Indiens als Stabilitätsanker für die

Weltwirtschaft nimmt in der Finanzkrise zu«

Hubert Lienhard

Fabindia Der Raumausstatter

Futuregroup Der Kaufhauskönig

DLF Der Immobilienentwickler

Textilien, Möbel, Accessoires – produziert zu fairen Preisen von kleinen Hand-werksbetrieben. Das war die Idee des Amerikaners John Bissell. 1960 startete er als Exporteur, 1976 eröffnete das erste Geschäft in Neu-Delhi. Heute sind es 97, bis 2010 sollen es 250 sein. Die Expansion beschränkt sich nicht auf Indien: 2008 beteiligte sich Fabindia an der Londoner Textilkette East. Glückt das Experiment, stehe ein stärkeres Aus-landsengagement zur Diskussion, sagt der heutige Firmenchef William Bissell. Schon jetzt liefert Fabindia in 34 Länder. Und erweitert ständig seine Produkt-palette: 2004 kamen Biolebensmittel dazu, 2006 Kosmetika. Von der Börse hielt sich Fabindia stets fern, Geschäfts-zahlen werden nicht publiziert. Bran-chenkenner vermuten für 2007 einen Umsatz von 80 Millionen Euro.

Es begann 1987 mit Pantaloon, Indiens ers-ter eigener Jeansmarke. Heute ist die Future-group von Firmengründer Kishore Biyani ein Mischkonzern mit mehr als 150 000 Be-schäftigten und etwa zwei Milliarden Dol-lar Jahresumsatz. Allein die seit 1992 börsen notierte Tochter Pantaloon Retail, Indiens größte Textilkette, betreibt mehr als 1000 Filialen und hat 30 000 Mitarbeiter.Im Eiltempo investierte Biyani weiter: 2001 startete er die Kaufhauskette Big Bazaar, ging 2006 zwei Joint Ventures mit dem US-Büroartikler Staples sowie der italieni-schen Versicherung Generali ein, gründete 2007 eine Outsourcing-Tochter und legte eigene Immobilienfonds auf. Im Februar kündigte er eine Beteiligung an der Textil-kette Turtle an. Der nächste Schritt, so glauben Experten, werde ein Versuchs-ballon im Ausland sein – im arabischen oder europäischen Raum.

Immobilienprojekte in Indien sind un-trennbar mit drei Buchstaben verbun-den: DLF. „Wir bauen Indien“ lautete die selbstbewusste Eigenwerbung der 1946 gegründeten Delhi Leasing and Finance, die Wohnimmobilien, Hotels, Geschäfts-viertel und Apartmenthäuser baut. Als DLF im Juli 2007 an die Börse ging, nahm der Konzern etwa zwei Milliarden Dollar ein, mehr als jedes andere Unter-nehmen zuvor in Indien. 2008 setzte DLF 963 Millionen Euro um.Geführt wird der Konzern von Kushal Pal Singh, der 2008 laut „Forbes“-Liste der achtreichste Mensch der Welt war. Im Ausland ist der Konzern bislang erst über Gemeinschaftsunternehmen aktiv, etwa mit dem britischen Baukonzern Laing O’Rourke sowie dem Immobilien-entwickler Nakheel aus Dubai, hält sich aber alle Optionen offen.

Larsen & Toubro Infrastruktur für AfrikaDer Ingenieurkonzern will die Europäer auf dem Markt schlagen

Dänische Wurzeln Die Flughäfen von Bangalore und Hyderabad, Tatas Stahl-fabrik in Jamshedpur, die weltgrößte Erdölraffinerie in Jamnagar, Bohrplatt-formen, Pipelines – in Indiens Infrastruk-tur läuft nichts ohne Larsen & Toubro (L&T), den Ingenieurkonzern aus Mum-bai, 1938 von zwei eingewanderten Dä-nen gegründet. Umsatz: etwa acht Mil-liarden Dollar. Der soll sich bis 2015 ver-doppeln. Dafür ändert Konzernchef Anil

Manibhai Naik die Strategie: „Mittelfris-tig wollen wir wenigstens 35 Prozent des Umsatzes im Ausland erzielen.“ Neue Spielwiese ist Afrika. Naik: „Hier gibt es intensiven Wettbewerb. Aber die Europäer können bei den Kosten einfach nicht mithalten. Ich bin überzeugt: Wir werden sie mühelos schlagen.“

Selbstbewusste Pläne „Die Krux für die Europäer ist: Unsere niedrigeren Kosten bedeuten keineswegs irgendeinen Kom-promiss in der Qualität“, sagt Naik ge-genüber Capital. Mit diesem Selbstbe-wusstsein expandiert der Konzern nun auch in die Luftfahrtindustrie und die Verteidigungstechnik. Dass Regierun-gen und Investoren derzeit zögern, neue Projekte auszuschreiben, „wird unsere Pläne nicht umwerfen, aber es wird sie bremsen“, gibt Naik zu. An dem Umsatz-ziel hält er dennoch fest.

Vom Konzernsitz in Mumbai aus greift

Larsen-&-Toubro-Chef Anil Manibhai Naik nach den Märkten

in Afrika und im Rest der Welt

* entspricht 5,18 Mrd. Euro; Quelle: Larsen & Toubro

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Kurze VerschnaufpauseIndiens Bruttoinlandsprodukt zum Vorjahr in Prozent

Quelle: IWF

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