Tauler Predigt 45

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 45

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    Johannes Tauler Predigt 45

    Diese Predigt auf den achten Sonntag (nach Dreifaltigkeit) aus

    der Epistel des heiligen Paulus sagt, wie Gott bereit wre,unsere Werke selbst zu tun, wenn wir unsere eigenen Vorstzeaufgeben wollten; sie berichtet sodann, wie manche MenschenGott nur gezwungen dienen, andere Mietlinge sind; schlielich,dass es zwei Arten von Gotteskindern gibt.

    ALLE WE R K E, die alle Menschen und Geschpfe schufen oderdie bis zum Ende der Welt geschaffen werden, das alleszusammen ist ein reines Nichts, wie gro das Werk auch sei,das man ausdenken oder verwirklichen mag, gegenber demgeringsten, das von Gott in den Menschen gewirkt wird, damitder Mensch von Gott angetrieben werde. Um so viel mehr alsGott besser ist denn alle Geschpfe, um so viel mehr berragtsein Wirken das Werk, die Handlungsweisen, das Vorhaben, diedie Menschen mit all ihrer Anmaung ausdenken knnen.

    Nun kommt der Heilige Geist oft in den Menschen, mahnt und

    treibt ihn an in seinem inneren Grund oder auch durch dieLehrmeister, so als ob er sprche: "Lieber Mensch, wolltest dudich mir berlassen und mir allein voll und ganz folgen, sowollte ich dich auf den rechten Weg bringen; ich knnte in dirwirken und dich selber wirken."

    Ach, es ist wahrlich ein Jammer, da nur wenige diesem weisen,guten Rat folgen oder ihn auch nur anhren wollen; vielmehrbleibt jeder bei seinem eigenen Vorhaben, seiner eigenen,gewohnten Art und Weise, bei seinen blinden, sinnlichenWerken und seiner Selbstzufriedenheit; das hindert dieliebevolle Einwirkung des Heiligen Geistes, da (der Mensch)dessen Sprache weder hrt noch versteht und seinem gtlichenWirken weder Sttte noch Raum gewhrt. Warum (wohl)? Manmu es aussprechen, da, um das Wort (des Heiligen Geistes)zu vernehmen, man nichts besseres tun kann, als sich zubesnftigen, zuzuhren, zu schweigen. Soll Gott sprechen, somssen alle Dinge schweigen. Soll Gott in eigentlicher und 'edler Weise wirken, so mu ihm eine Sttte, ein Platz

    eingerumt werden, und man mu ihn gewhren lassen. Dennzweierlei Werk vertrgt sich nicht miteinander. Eins mu leiden,

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    das andere wirken.

    Hiermit will ich nicht sagen, da junge, starke, ungebteMenschen sich nicht in werkttiger Weise ben sollten, denn diehaben ntig, sich viel und sehr zu ben durch manche gute Artund viele gute Werke, innerlich und uerlich, wie man sieanweist. Ich spreche von gebten Leuten, die gerne die bestenaller Gotteskinder wren und deren Wege andere sein mssenals die derer, die am Beginn (ihrer Heiligung) stehen.

    Betrachten wir die Welt im ganzen, so sieht man, da dergrte Teil (der Menschen) dieser ganzen Welt leider FeindeGottes sind. Andere wieder sind erzwungene Knechte Gottes,die man zum Dienst Gottes ntigen mu. Und das wenige, was

    sie tun, geschieht nicht aus Liebe zu Gott oder aus Andacht,sondern aus Furcht. Und das sind geistliche Leute ohne Gnadeund Liebe, die man zum Chordienst und zu vielen anderenDiensten drngen mu. Dann sind (ferner) da die gewhnlichengedungenen Knechte Gottes. Das sind Geistliche undOrdensfrauen und alle die, welche Gott dienen um des Ertragesihrer Pfrnde willen oder ihrer Prsenzgelder; wren sie derernicht sicher oder erhielten sie die nicht, so wre es mit ihremGottesdienst vorbei; sie gingen ins andere Lager und wrden

    Gefhrten der Feinde Gottes. Von all diesen Leuten hlt Gottnichts, derart, da sie nach der Art, wie sie Gott dienen, nichtKinder oder Shne Gottes sein knnen; freilich tun sie nachauen viele groe Werke: aber Gott kmmert sich darum nicht,denn nicht er ist der Grund (dieser Werke), sondern diese Leuteselbst sind die Ursache dessen, was sie tun.

    Die Leute der vierten Gruppe sind Kinder Gottes, doch nichtseine allerliebsten : sie beharren auf ihrem ueren oderinneren Vorhaben, auf ihrer eigenen Weise; so wirken sie ihre

    guten Werke; und weiter geht ihr Streben nicht.

    Diese Leute stehen unten an des Baumes Rinde; und daranhalten sie sich mit aller Kraft fest; aber auf den Baum steigenwollen sie nicht. Sie lassen sich in ihrer eigenen Art gengen,die sie in ihrer Anmaung ben, denken gar sehr in sinnhafterWeise und lieben nach eigener Absicht, in bildhafter Weise undebensolchen bungen. Doch lieben sie Gott gar sehr, und unserHerr liebt sie auch. Sie sind zwar Kinder Gottes, aber nicht seine

    allerliebsten: denn sie beharren auf ihren eigenen Werken undhaben keinen Frieden, wenn sie die nicht vollenden (knnen).

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    Die liebsten Kinder Gottes, die, von denen Sankt Paulus spricht,werden vom Geist Gottes angetrieben gem dem Wort, daman vom Geist Gottes getrieben werde. Wie dieser Antriebgeschehe, davon sagt Sankt Augustinus: Das Wirken des

    Heiligen Geistes in den Menschen geschieht auf zweifache Art:die erste ist so, da der Mensch zu jeder Zeit vom HeiligenGeist geleitet und bewegt wird, der ihn stets zu einemgeordneten Leben mahnt, antreibt, lockt und zieht. Das tut derHeilige Geist bei all denen, die ihn erwarten und seinem WirkenRaum geben, um ihm zu folgen. Die andere Art, die der HeiligeGeist befolgt in seinem Wirken in den Seinen, besteht darin,da er sie pltzlich und auf einmal ber alle Weisen und Wege(des Lebens) an ein Ziel bringt, das hoch ber ihrem Wirken und

    ihren Fhigkeiten liegt: das sind Gottes liebste Kinder.Nun wagen es viele Menschen nicht, und sie wollen es (auch)nicht, sich Gottes Wirken zu berlassen. Sie wollen stets aufihrem eigenen Wirken beharren.

    Man knnte ihr Tun vergleichen mit dem von Leuten, die einengroen, teuren, edlen Schatz fortbringen sollten ber einenschrecklich tiefen See und die ihn mit groer Mhe und vielAnstrengung auf einem Irrweg wegbrchten, der finster undneblig wre und wo unreine Tropfen auf den Schatz fielen undihn beschmutzten und ihn rostig und fleckig machten. Kmedann ein ehrenhalber, wackerer Mann und sprche: "Folge mir!Wende dein Steuerruder! Ich will dich fhren und auf einenkstlichen Weg bringen, wo das Wetter heiter, klar und schnist, ruhig und hell, wo die Sonne scheint und dir deinen Schatzschn und trocken machen wird, wo der Rost verschwindet unddu dich nicht so sehr abmhen mut wie jetzt inmitten dieser

    Wogen!" wer antwortete nicht: "Gerne!" So ist es mit demMenschen bestellt, der einen solch teuren Schatz ber das wildeMeer dieser schrecklichen Welt geleiten mu.

    Das Schiff, in dem wir fahren, ist unsere Sinnesttigkeit. Aufdiesem Schiff fahren wir weit voran gem unserer Anmaungund Wirksamkeit und arbeiten stets nach unserem eigenenVorhaben; so fahren wir in finsteren Nebel hinein, das istwahrhafte Verblendung und mangelnde Selbsterkenntnis. Auf

    diesem Weg lt der bse Feind unreine und schdliche Tropfenin uns fallen, die unseren Schatz beschmutzen: das Behagen anunserer eigenen Wirksamkeit und anderer Art Hoffart mehr,

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    Eigenwilligkeit, Selbstzufriedenheit, Ungelassenheit,Schwermut, Missgunst und manch andere unreine Tropfen, dieder Feind in uns fallen lt, womit ' er uns unseren edlen Schatzbefleckt. Wird der Mensch dieser Tropfen in ihm gewahr, so will

    er alles durch die Beichte in Ordnung bringen und gert durchLaufen und Suchen da drauen noch mehr in den Nebel.Kehrtet ihr euch zu euch 'Selber, erkenntet ihr eure Schwchen,klagtet ihr sie Gott und bekenntet ihr ihm eure Schuld, dannwre alles gut: dafr wollte ich meinen Kopf lassen.

    Dann kommt der Heilige Geist: "Wolltest du mir glauben, dulieber Mensch, und mir folgen, ich fhrte und geleitete dich aufeinem sicheren Weg." Wer wollte einem solch guten, getreuenRat nicht Glauben schenken und ihm nicht folgen? Wre der

    Mensch so beglckt und weise, da er sich (diesem Ruf)berliee und dem Geist Gottes folgte, seinen Weisungen,seinen Mahnungen, seinem Antrieb sich fgte, das wre einkstliches Ding! Aber leider tut das der arme Mensch nicht undbleibt bei seinen ueren Vorhaben, bei seinen ueren,sinnlich fabaren Weisen (der Heiligung), die er sich nacheigenem Gutdnken zurechtgelegt hat.

    Versteht das nun nicht so, als ob man gute Vorstze und

    Gewohnheiten guter innerlicher bung nicht haben solle. Aberman soll nicht an ihnen hngen, sondern in ihnen auf denallerliebsten Willen Gottes warten, auf sein Wirken in allerGelassenheit, und Gottes Ttigkeit nicht zunichte machen invermessener Selbstgeflligkeit.

    Mit denen, die bei ihrer vernunftgemen Verstandeskraftbeharren, steht es so wie mit .einem Obstgarten vollfruchtbeschwerter Bume. Die Apfel fielen noch unausgereift abund wrden alle wurmstichig. In dem gleichen Garten wchse

    aber gutes Kraut, das dahin welkte. Dann kmen die unreinenWrmer aus den wurmstichigen pfeln und fielen ber das guteKraut her und fren Lcher hinein. Die Apfel aber, die da amBoden liegen, sehen so frisch und schn aus wie die guten, eheman sie anrhrt, aufhebt und in die Hand nimmt.

    Jeder sehe also zu, da sein Grund nur Gott sei, ganz lauter;anders wird nichts daraus. Unter jenen Frchten fnde man,glaube ich, kaum zwei wirklich gute Apfel, die nicht wurmstichig

    wren; wie schn sie auch von auen anzuschauen sind, innensind sie voller Lcher. Ebenso ist es mit gar vielen gutenbungen (der Frmmigkeit) bestellt. Es gibt da solche von

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    groem und hohem Aussehen und wunderbarer Lebensfhrungan hohen Worten und Werken. Und doch ist das alles in demGrunde wurmstichig oder kann es noch werden; davon istweder ttiges Leben noch Beschauung, noch Jubel, auch nicht

    Betrachtung (ausgenommen), nicht da man bis zum drittenHimmel entrckt werde, wie das dem edlen Paulus geschehenist, der sagte, er habe die Nackenschlge der Versuchungerfahren, um sich nicht selbst falsch einzuschtzen und in derHhe der (ihm erwiesenen) Gnade zu irren: all das und auch dasgroe Voraussagen und Zeichen, Krankenheilungen,Durchschauung der innersten Geheimnisse (einesMenschenherzens), Unterscheidung der Geister, Blick in dieZukunft, kurz gesagt: alle Lebensfhrung, alles kann

    wurmstichig werden, wenn der "Mensch nicht auf seiner Hut ist.Besprechen wir jetzt das unterste und grbste. Die Leute gebenAlmosen, tun groe Werke oder Dienste der Liebe, geben groeGaben: und ist ihnen (doch gar) nicht gleichgltig, ob dieMenschen es wissen oder erfahren und vernehmen oderniemand anders als Gott allein; solche Gaben, solche Dienste,das merket, sind wurmstichig. Da geben die Leute Almosen undwollen, dass andere darum wisseri, damit diese fr sie beten.Oder sie stiften Kirchenfenster, Altre und Priesterkleidungen

    und wollen, dass die Menschen das erfahren; si,e lassen ihrWappen darauf anbringen, da jedermann den Stifter erfahre.Wisset: sie haben ihren Lohn bereits empfangen.

    Sie entschuldigen sich (damit), da sie wollen, man bete fr sie.In Wahrheit, freilich, wre ihnen ein kleines Almosen, verborgenim Scho Gottes, ihm allein bekannt, ntzlicher, als dass sieeine groe Kirche bauten mit Wissen aller Leute und dass diesealle fr sie beteten. Gewi, Gott wrde ihnen wohl das geben,

    was a1J,e Leute mit ihrem Gebet fr sie (bei ihm) gewnnen,wenn sie ihm (nur) ihre guten Werke berlieen und Vertrauenzu ihm htten. Denn die Almosen, die aus einem Gottergebenen Herzen kommen und nichts als Gott im Sinn haben,bitten mehr durch sich selbst, als alle Menschen, die (von jenenAlmosen) wissen, es knnten.

    Und so gibt es gar manche Menschen, die all ihr Werk

    verdorben und zerstrt haben, so da sie all ihr Lebtage wenig(gute) Werke getan haben; sei es Dienst Gottes oder derMenschen, Gebet, Wachen, Fasten oder Almosen, immer haben

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    sie ihren Nutzen dabei im Auge, sei es von Seiten Gottes oderder Menschen; immer wollen sie die Gewissheit eines Entgelteshaben, irgend etwas des Ihren von Ihrem guten Werkdavontragen, Anerkennung, Belohnung, Gunst, Gegendienst,

    Sicherheit, (kurz) irgendeinen eigenen Nutzen.Alle solche Werke sind wurmstichig, und reichten sie ber dieganze Welt. Das fat nicht als meine eigene Meinung auf; ichverweise euch an den Mund der Wahrheit. Er sagt dergleichengar oft (in der Heiligen Schrift) und bekrftigt dies imEvangelium des heiligen Matthus, wo er spricht: "Macht esnicht wie die Heuchler, die ihr Fasten zur Schau tragen; siehaben ihren Lohn dahin. Verbirg dein Fasten" - und ein gleichesgilt von allen deinen guten Werken -, "und dein Vater, der ins

    Verborgene sieht, wird dir vergelten." Und anderswo heit es:"Habt acht, da ihr eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschenbt, um von ihnen gesehen zu werden; sonst habt ihr keinenLohn von eurem Vater im Himmel zu erwarten. Und posaune(deine guten Werke) nicht aus" - das bedeutet die Wappen, mitdenen ihr eure frommen Stiftungen ziert -, "wie die Gleisnertun. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn (bereits)empfangen.

    Wenn du Almosen gibst, so wisse deine linke Hand nicht, wasdeine rechte tut, damit dein Vater, der ins Verborgene sieht, eswisse und dich belohne." Und anderswo heit es: "Wenn dubetest, geh in deine Kammer, schlie die Tr hinter dir zu, undim verborgenen sprich zu deinem Vater." Ihr Lieben!

    Haltet euch an Gottes Wort und nicht an das meine! Und jeder 'sehe zu, welche Frucht er bei Gott finden knne fr Werke, dienicht allein fr euren Vater im Himmel getan wurden, und ob sienicht wurmstichig sind.

    Vier Stcke gibt es zu beachten. Wer dies tte, der wre gegenden Wurmfra wohl gesichert, da er dem nimmer verfiele. Daserste wre, da der Mensch entschlossen sei; von seinenWerken nichts fr sich zu erhalten, sondern sie innen undauen tte im ausschlielichen Hinblick auf Gott und da er ihnallein liebe und im Sinn habe. Sind diese Werke Gott lieb undwert, so mag er sich dessen freuen, sind sie das nicht, so sindsie gewilich verloren, weil er sie nicht Gott zuliebe und zum

    Lobe getan hat1

    .1Corins Vorschlag, Sermons 11, 277 und Anm. 1 zu Vetter 187,7 darf angesichts derverdorbenen Stelle in den Texten als befriedigende Lsung gelten.

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    Das zweite Stck besteht darin, da der Mensch sich Gott und

    allen Menschen unterordne in grenzenlosem Gehorsam undtiefer Demut, die er vor den geringsten wie vor den hchstenzeigen soll. So tat der groe, ehrwrdige Meister Thomas, der,ohne zu zgern und ohne ein Wort zu sagen, eine Laterne in derHand, einen scheltenden Bruder in die Stadt begleitete, wo erwohnte, und ihm in aller Demut folgte. So soll der Mensch sich

    jeglichem unterwerfen in dem Gedanken, da alle Menschenmehr im Recht seien als er, und niemandem und auf keineWeise Widerstand leisten und jeden recht haben lassen, denn

    er soll denken im Grunde, da alle Menschen mehr im Rechtseien als er.

    An dritter Stelle soll der Mensch eine tiefe Demut besitzen undsich halten an das, was ihm eigen ist, das heit an sein Nichts.Was an anderem noch in ihm ist, das ist in keiner Weise seineigen. Er soll all seine Ttigkeit und all seine Werke, soweit sievon ihm sind, fr bse halten und sich selbst auch. So stand(einst) ein heiliger Mitbruder, durch den Gott manche Zeichenund groe Wunder getan hatte infolge seines gottseligenLebens, in unserem Chor und sprach aus dem Grunde seinesHerzens zu mir: "Wisse, da ich der allerbseste und grbsteSnder bin, der in der ganzen Welt lebt."

    Diese Meinung soll der Mensch von sich haben vom Grundeseines Herzens aus. Denn htte Gott dem schlimmsten Sndersoviel und so mancherlei Gutes erwiesen, als er dir getan hat,so wre der wohl ein groer Heiliger geworden. Und die aufdiesem wahren, sicheren Grunde stehen, die brchten es nicht

    fertig, einen Menschen in irgendeiner Weise, deren sie fhigwren, zu verurteilen. Und wre (was ein anderer Mensch tut)auch durch und durch bse, sie schauten sogleich auf ihreeigene Schwche, und (in diesem Gedanken) wrden sie aufeines anderen Menschen Verurteilung verzichten.

    Das vierte Stck besteht darin, da der Mensch , sich allzeitdemtig verhalte und in Furcht vor den verborgenen UrteilenGottes, nicht so wie die, denen es an Vertrauen gebricht,sondern wie ein wahrhaft liebender Freund, den stets die Furchtbewegt, sein lieber Freund knne ihm zrnen. - Diese vierPunkte sind vom heiligen Bernhard aufgestellt, einem Heiligen

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    voller Liebe, und wisset: wer in Wahrheit sich nicht auf diesenBoden stellt, knnte so viele gute Werke tun als alle Menschenzusammen: sie wrden alle wurmstichig.

    Meine Lieben, wisset, wie es sich damit verhlt. Im Garten derheiligen Kirche gibt es viele kstliche, fruchttragende Bume,das heit viele gute, demtige Menschen: diese allein tragenFrucht und sonst niemand. Aber zwischen den guten Bumensind solche, die wurmstichiges Obst tragen. Ihr Obst oder ihrepfel sind von Aussehen (zwar) ppig und schn, vielleichtppiger und schner als das Obst der guten Bume.

    Und solange das Wetter still und milde ist, bleiben sie hngen.Kommen aber Unwetter, Wind und Sturm, so fallen alle dieseFrchte ab, und da sieht man (denn), da sie voller Wrmer undzu nichts gut sind, und dazu verderben und beschmutzen ihreWrmer auch noch das gute Gemse, das im Garten wchst.

    Die Bume, die diese schlechten Frchte tragen, das sind dieselbstschtigen, ungelassenen, ungezgelten Menschen, diesich auf ihre groen guten Werke sttzen; sie tun auch mehrund stehen daher in besserem Ansehen als die gerechten

    Menschen.Sie beharren bei ihren absonderlichen Weisen, die die heiligeKirche nicht eingefhrt hat; sie verlassen sich auf ihreFrmmigkeitsbungen, ihr gutes Verstndnis, auf ihre Werkeund ihr groes Ansehen.

    Meine Lieben! Solange gut Wetter ist und sie ihren Friedenhaben und die Sonne ihnen scheint in ihrer Lebensfhrung undin ihrer Selbstgeflligkeit, so lange erscheint ihr Tun schn und

    besser als das anderer guter und gerechter Leute. Kommenaber Wind und Wetter ber sie, das heit schrecklicheVersuchungen und Anfechtungen ihres Glaubens, wie man diesauch zu unserer Zeit erleben kann, oder andere heftigeErschtterungen, dann fallen sie gnzlich ab und sind in ihremGrunde durchaus wurmstichig.

    So da ihrer keiner etwas taugt; die Wrmer aber, die in ihnensind, schlpfen heraus und beschmutzen das gute Kraut, das

    heit, sie verderben arme, unwissende, schlichte Leute mitihrer falschen Freiheit und ihren Lehren.

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    Ach; ihr Lieben, welche Angst, welchen Jammer wird man dannin der Stunde ihres Todes erleben, wenn Gott nicht seinem Seinnach, sondern nur als erdichtetes Ding in ihrem Grundegefunden wird: Wird (auch nur) einer von diesen (Menschen)

    gerettet, so hat er groes Glck! Diese Leute sind den weiten,breiten Weg gewandelt, heimlich, in Befolgung ihrer eigenennatrlichen Antriebe und ihrer Neigungen. Aber den engen Pfadwahrer, unergrndlicher Gelassenheit, den haben sie niebetreten, denn sie wollten sich nie von Grund aus lassen undder (eigenen) Natur entsagen. Zuweilen streifen sie denschmalen, engen Pfad, aber gIeich schwenken sie wieder aufden breiten Weg der Natur ein.

    Wir kehren jetzt wieder zu unserem Gegenstand zurck, den wir

    ber den wurmstichigen Leuten (doch) nicht allzu sehrvergessen haben. Die Menschen, die von Gottes Geistangetrieben werden, das sind Gottes liebste Kinder. Das sinddie, denen stets daran liegt, den allerliebsten Willen Gottes zubefolgen und seinen Einsprechungen und seinen Mahnungengenugzutun.

    Diese werden zuweilen auf einen gar wsten undbeschwerlichen Weg gewiesen, auf dem sie sich voranwagenmssen. Wagten sie khn diesen Weg zu betreten im Geist, imGlauben und voll Vertrauen, wahrlich, daraus entstnde einedel Ding! Kehrten sie sich nur in sich selber und achteten aufGottes Wirken in sich: da shen sie ' wunderbare Werke, dieGott in ihnen wirkte, Werke, die alle Sinne, alle Natur, allenVerstand bertrfen.

    Und liee ein Mensch ein gutes Jahr verstreichen und ttenichts anderes, als Gottes Wirken in sich zu betrachten: dannwre kein Jahr von ihm je so gut genutzt worden. Und htte erwhrend dieser Zeit nie ein anderes gutes Werk verrichtet,gleich welcher Art, und es wrde ihm zu Ende eines Jahres eineinziger Blick gewhrt in das verborgene Wirken Gottes inseinem Grunde, ja und wrde ihm dieser Blick sogar nichtgewhrt: selbst dann htte dieser Mensch dieses Jahr bessergenutzt als alle die, welche aus ihrer eigenen Wirksamkeitgroe Werke getan htten. Denn mit Gott kann man sich innichts versumen; und dieses Werk ist Gottes Werk und nicht

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    des Menschen.

    Nun ist kein Zweifel: Gott ist bei weitem edler als ein Geschpf.So steht auch sein Werk hoch ber allen Geschpfen. JenemMenschen fllt alle uere Wirksamkeit ab; doch. hat er nochimmer genug des inneren Werkes zu tun. Da wird er Friede undganze Sicherheit finden. Das wollen die Leute nicht glauben undmachen mir mit ihren Einwnden den Kopf warm. Wisset: "AlIePflanzen, die unser himmlischer Herr nicht gepflanzt hat,werden mit der Wurzel ausgerissen werden." Aber mit welcher'Liebe, glaubt ihr wohl, wrde Gott den Menschen lieben, derihm in seinem Herzen einen Platz bereitete, damit er dort seinedles, kstliches Werk vollenden und sich. seiner selbsterfreuen knnte? Welche Liebe ist so gro und berragend?

    Das berschreitet alle menschliche Erkenntniskraft, ja, weitauch die der Engel, denn (hier) wird der Mensch mit der Liebegeliebt, mit der der himmlische Vater seinen eingeborenenSohn umfat. Der Stand, in den der Mensch hier versetzt wird,fhrt in einen Abgrund.

    Timotheus war einer jener Menschen, der Gott in sich. Wirkenlie und diesem Wirken entsprach. Die Schler des heiligenDionysius wunderten sich, wie er so gewaltige Fortschritte vorihnen allen machte; sie bten ebenso viele gute Werke wie er,und (doch) berragte er sie alle und schritt ihnen weit voraus.Der Meister sagte, das komme daher, da er Gott in sich wirkenlasse. Das alles vollzieht sich in den Grenzen des lebendigenGlaubens und geht unaussprechlich hoch ber all das hinaus,was alle Welt auerhalb dieses Glaubens wirkt. Fr dieseshhere Leben mu, sich der Mensch vor allem tief in den Grundseines eigenen Nichts sinken lassen, derart, da er sich nichts,aber auch gar nichts von Gottes Werk zuschreibe, da er Gott

    das Seine lasse und er das Seine behalte: das (aber) ist seinNichts.

    Denn wollte der Mensch sich dessen etwas anmaen, so wredas der bedenklichste Sturz von allen. Gebe uns Gott, derliebreiche, da wir uns seinem Wirken gegenber edelverhalten; dazu helfe uns der, welcher es allein uns geben und(in uns) wirken kann.

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    AMEN