Tauler Predigt 58

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 58

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 5 8 Diese Predigt vom Fest Kreuzerhhung spricht von der geringen Achtung, die man dem Kreuze unseres Herrn erweist, von der Bedeutung des hufigen Empfangens der hl. Kommunion fr den Fortschritt im Guten; sie zeigt, wie das Kreuz Christi, d. h. der gekreuzigte Heiland in uns durch berwindung unserer bsen Neigungen geboren werdenknne.

    HEUTE IST DER TAG der Erhebung des heiligen Kreuzes, des liebevollen Kreuzes,an dem das Heil der ganzen Welt aus Liebe gehangen hat. Durch das Kreuz sollen wir erneuert werden in dem hohen Adel, den wir in der Ewigkeit besessen hatten;dahin sollen wir aus der Liebe dieses Kreuzes wieder hineingeboren und getragen

    werden. Die bergroe Wrde dieses Kreuzes lt sich nicht in Worten ausdrcken.

    Nun hat unser Herr gesagt: Wenn ich erhht bin, werde ich alles an mich ziehen."Er will sagen, da er unsere irdischen Herzen, die von der Liebe zu den Geschpfeneingenommen sind, und unsere Lust und Befriedigung an irdischen Dingen sichzuwenden und an sich ziehen will; und an sich ziehen will er den hoffrtigen, stolzenGrund unserer Seele mit seiner Selbstgeflligkeit, mit seiner Liebe zu vorbergehender Befriedigung unserer Sinnlichkeit, damit er so erhaben werde inuns und gro in unserem Herzen; denn wem Gott je gro ward, dem sind alle

    Geschpfe klein, und vergngliche Dinge bedeuten ihm nichts.

    Das liebevolle Kreuz ist der gekreuzigte Christus; er ist erhoben weit undunvorstellbar ber alle Heiligen und Engel und ber all die Freude und Lust undSeligkeit, die sie alle zusammen besitzen; und da seine rechte wesentliche Wohnstattim obersten Himmel ist, will ;er auch in dem wohnen, was (bei uns Menschen) dasoberste ist, das heit in unserer obersten, innerlichsten, empfindendsten Liebe undGesinnung. Er will die niederen Krfte in die oberen und diese mitsamt jenen in sichselbst ziehen: Fgen wir uns dem, so wird er auch uns nach sich ziehen in seine

    oberste und letzte Wohnstatt. Denn so mu es sein: sollen wir dahin kommen unddort verbleiben, so mu ich ihn notwendigerweise hier in das Meine aufnehmen:soviel ich ihm gebe, soviel wird er mir geben: das ist ein angemessener Tausch.

    Aber acht Wie vergit man doch dieses liebevolle Kreuz fast ganz, und wie wird ihmder Grund (der menschlichen Seele) und ihr Innerstes so ganz verschlossen undihm (der Eintritt) verweigert durch die Hinneigung und die Liebe zu denGeschpfen, die leider in dieser betrblichen Zeit unter geistlichen Leuten herrscht,so sehr, da deren Herzen mit den Geschpfen verlorengehen. Meine Lieben! Das

    ist die jammervollste Verblendung, die sich des Menschen Herz und seine Sinne vorstellen knnen. Und wte man, was hernach kommt, welche Strafe, welcherZorn Gottes, man knnte vor Angst vergehen. Aber darum kmmert man sich nicht;

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    man lt es gehen und duldet es, als' sei es ein Spiel. Es ist leider zur Gewohnheitgeworden, und man lt es gut sein. Das Kreuz sollte ein Gegenstand des Ruhmessein, und es ist, als sei es ein Spott: darber wrden alle Heiligen, wenn sie esknnten, blutige Trnen vergieen. Die Liebeswunden unseres Herrn werden von

    diesem Jammer aufgerissen darum, da das Herz, um das er sein liebevolles, junges, blhendes Leben gegeben hat, und seine liebe heilige Seele ihm in so schndlicherWeise genommen und er selbst so schmhlich daraus vertrieben wird. Das soll Gottimmer geklagt sein! Mge Gott sich dessen erbarmen!

    Denkt nicht, ich sage dies von mir aus, nein, die ganze Heilige Schrift sagt euchdasselbe. Spricht nicht das Evangelium: niemand kann zwei Herren dienen; er wirdden einen lieben und den anderen hassen"; und ferner: "Wenn dein Auge dich zurSnde verfhrt, rei es aus", und anderswo: "Wo dein Schatz ist, da ist dein Herz."

    Sieh zu, wieviel deines Herzens Gott besitzt und ob er (wahrhaft) dein Schatz sei.Sankt Augustinus sagt: "Wenn du die Erde liebst, bist du Erde, denn die Seele istmehr da, wo sie liebt, als wo sie Leben gibt." Und Sankt Paulus: "Wenn ich meinenLeib den Flammen preisgbe, wenn ich mit Menschen und Engelszungen redete,wenn ich all meine Habe den Armen austeilte, htte aber die Liebe nicht, so wre ichnichts."

    Ihr solltet, meine lieben Schwestern, mit groer Dankbarkeit und in ttiger Liebe diegroe Gnade aufnehmen, die Gott euch in diesem Orden durch den (hufigen)

    Empfang des Leibes unseres Herrn gegeben hat. Und ich wnsche von ganzemHerzen und ganzer Seele, da diese liebevolle bung nicht nachlasse in diesersorgenvollen Zeit und nicht einschlafe; denn die Natur kann heute nicht mehr sofeststehen, wie sie frher tat: entweder man mu Gott mit aller Kraft anhangen odergnzlich hinabstrzen.

    So war es frher nicht. Und darum bedrfen die Menschen heute einer groen,krftigen Untersttzung, um vor diesem sorgen bringenden Sturz bewahrt zu werden. Und glaubet nicht, da man um groer, hoher Vollkommenheit willen(hufig zum Tisch des Herrn gehen solle); nein, das ist notwendig (geworden) wegen der verderblichen Schwche des Menschen; der Kranke bedarf des Arztes;der Gesunde -braucht ihn nicht. Es ist eine Hilfe und eine Kraft, um behtet und bewahrt zu bleiben vor diesem sorgenvollen Sturz, der sich heute so sehr untergeistlichen Leuten findet. Und darum soll niemand von ihnen sprechen, falls sie nicht von groer Vollkommenheit sind oder groe Werke vollbringen. Es gengt, da siedie heilige Regel beobachten wollen, soweit sie das vermgen, und da sie dieAbsicht haben, das zu tun; vermgen sie es aber nicht, da sie sich davon befreienlassen.

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    Meine Lieben! Dieses Kreuz geht ber alle Kreuze, die man erleiden kann. Dieses bittere Leid trgt den Menschen nher in den Grund der lebendigen Wahrheit alsalles Empfinden. Unser Herr sprach: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?"und am lberg: "Herr, dein Wille geschehe, nicht der meine!"

    Liebe Schwestern, frchtet euch nicht. Unser Herr sprach: "Die mir nachfolgenwollen, sollen ihr Kreuz aufnehmen und mir folgen."

    Dieses Kreuz ist der gekreuzigte Heiland. Der soll und mu (in uns) geboren werdendurch alle Krfte hindurch, Vernunft, Wille, den ueren Menschen, die Sinne, vorallem durch die folgenden vier:

    Die erste ist die uere Begehrlichkeit: da mu das Kreuz hindurch, um geboren zu werden. Sankt Paulus sprach: "Die Gott gehren, haben ihr Fleisch mit all seinen

    Lsten ans Kreuz geschlagen." Diese Lste mssen gezhmt und niedergehaltenwerden.

    Die zweite Kraft ist der Zorn. (Man mu dahin kommen,) da man sich in allenDingen lassen kann und stets denken, da ein anderer mehr recht habe als manselbst, und nicht streiten und zanken, sondern lernen, sich zu lassen, und stille seinund gtig, woher der Wind auch weht.

    Ein Mensch befindet sich in einer Versammlung, und da sind einige, die schwtzenund kaum je den Mund halten knnen. Da sollst du lernen, dich zu lassen, zu leidenund dich auf dich selbst zu kehren. Wollte ein Mensch eine Kunst verstehen und sienicht lernen; wollte er Fechtmeister werden und nicht fechten lernen, so knnte ergroen Schaden anrichten, wollte er die Kunst ausben, ohne sie gelernt zu haben.So mu man in jeglicher Widerwrtigkeit streiten lernen.

    Die bei den anderen Krfte, durch die das Kreuz hindurch mu, um (in uns)geboren zu werden, sind von feinerer Beschaffenheit: es ist die Vernunft, und ,es sinddie inneren geistigen Begierden. Kurz, durch den ueren und inneren Menschen(hindurch gehend) wird der gar liebevolle, gekreuzigte Heiland in uns und auer uns

    geboren werden; und so werden wir wiedergeboren in der Frucht seines Geistes, wiegeschrieben steht: "Ihr werdet sein wie neugeborene Kinder."

    Liebe Schwestern, lebt ihr so, dann habt ihr alle Tage Kirchweihe in euch, und indieser Geburt des heiligen Kreuzes werden euch alle eure Snden ganz vergeben.

    Da wir dem liebevollen Kreuz, das Christus (selbst) ist, so anhangen mgen, da erohne Unterla in uns neu geboren werde, dazu helfe uns Gott.

    AM E N.