Tauler Predigt 61

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 61

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 6 1 Diese Predigt aus dem Brief des heiligen Paulus vom fnfzehnten Sonntag (nachDreifaltigkeit) spricht von dreierlei Arten des Lebenswandels: die erste (besteht darin), dawir uns nicht im Zorn gehenlassen, die zweite, da wir dem Vorbild Christi in allenTugenden folgen, die dritte, da wir die dunklen Wege, auf denen uns weder Bild nochAnschauung vorwrtshelfen, bis zu Ende gehen sollen.

    "BRDER, WENN WIR IM GEIST leben, lat uns auch im Geist wandeln; wirwollen nicht eitlem Ruhm nachjagen, nicht einander herausfordern und mignstig

    sein. Wenn einer unversehens einen Fehltritt tut, so richtet ihn im Geist der Sanftmutauf; dabei gebt auf euch selbst acht, da ihr nicht auch in Versuchung kommt. Einertrage des anderen Last. So werdet ihr das Gesetz Christi erfllen. Wer sich einbildet,etwas zu sein, obwohl er doch nichts ist, tuscht sich selbst. Ein jeglicher prfe seineigenes Tun und behalte seinen Ruhm fr sich, statt ihn vor andere zu bringen. Jederhat doch seine eigene Last zu tragen." Diese Worte sprach Sankt Paulus, und sie sind voll (guten) Sinnes, besonders das erste Wort der Briefstelle: "Wenn wir im Geistleben, lat uns auch im Geist wandeln", das heit: im Heiligen Geiste. Denn ebenso wie unsere Seele dem Leibe Leben gibt und unser Leib durch die Seele lebt, so ist

    der Heilige Geist das Leben der Seele, und die Seele lebt durch den Heiligen Geist,und er ist das Leben unserer Seele. Nun sprach Sankt Paulus:

    "Wenn wir im Geist leben, lat uns auch im Geist wandeln." Hier haben wir dreierleiArt des (Lebens)wandels zu unterscheiden: die erste Art ist unser ueres Verhaltenim Hinblick auf uns selbst und unseren Nchsten; die zweite Art wird verwirklichtgem dem Vorbild unseres Herrn; die dritte Art vollzieht sich auerhalb(anschaulicher) Bildhaftigkeit1.

    Der Text sagt: "Ihr sollt nicht eitlem Ruhm nachjagen." Man sieht wohl, wie weltlicheLeute Tag und Nacht mit allem Flei auf eitle Ehre aus sind; in solchen wohnt derHeilige Geist nicht, und sie sind nicht Glieder Gottes, denn sie sind (von seinemLeibe) getrennt. Gott legt auf sie keinen Wert. Es gibt andere Leute, die untergeistlichem Gewand weltliche Herzen tragen und Ehre an allen Dingen suchen: anKleidern, Schmuck, an Freundschaften, an Gesellschaft, Verwandtschaft,Kameradschaft und dergleichen mehr.

    1Corin, Sermons Irr, 66 erinnert in Anm. 2 mit Recht daran, da das Wort bilde" bei Tauler nicht nur unserem Worte

    B ild" als bildhafte Darstellung von Ideen entspricht, sondern auch alle unsere Ideen bezeichnen kann, insofern sie nmlichvon B ildern abstrahiert sind.

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    Je lnger das whrt, um so schdlicher ist es. In ihnen wohnt der Heilige Geist nicht.Sie leben in grerer Gefahr, als sie (selbst) glauben mgen. Eitle Ehre, das ist alles,wodurch man mehr als andere beachtet, geehrt, geliebt sein will. Diese Sucht, meineLieben, schleicht sich so sehr in alle guten bungen, Worte, Taten, Haltungen ein,da der Mensch mit vollem Flei auf seiner Hut sein und Gott bitten mu, ihn zuschtzen, denn von sich selbst vermag er nichts. Dies betrifft unser Verhalten imHinblick auf uns selbst.

    Wir sollen auch Vorsicht walten lassen in dem, was unseren' Nchsten betrifft, nichtznkisch sein, uns nicht vom Zorn fortreien lassen, niemanden betrben. Das vorallen Dingen soll der Mensch lernen, da niemand ber einen anderen mit hartenoder bitteren Worten herfallen, sondern liebevoll und sanftmtig (mit ihm

    sprechen) soll. Jeder habe acht auf sich selbst; er betrbe seinen Nchsten nicht und bringe ihn nicht aus der Fassung. Manche kommen uns mit den schrecklichsten Worten und Gebrden, die sie nur finden knnen, und um einer unbedeutendenSache willen geraten sie in Wut, Zorn und Bitterkeit.

    Wisset in Wahrheit: wo dergleichen sich bei euch oder anderen findet, da ist derHeilige Geist nicht. Und hat man sich irgendwie vergangen, so wollen solche Leutedas nicht verzeihen.

    Hier mu jeder sein eigenes Verhalten beobachten; aber jeder soll (auch) desanderen Last tragen; es soll ein Leib in Christus sein, in wahrer brderlicher Liebe.Die Oberen sollen ihre Untergebenen gtig belehren und liebevoll tadeln, wie unser Vater Dominikus tat, dessen Sanftmut bei (allem) heiligen Ernst so gro war, da, wie verkehrt auch seine Untergebenen gehandelt haben mochten, sie von der Artseines Tadels bekehrt wurden. So soll ein milder Mensch einen harten und strengendurch seine Geduld zur Milde bekehren. Und die Unwissenden soll man, nach dem Worte des heiligen Paulus, durch das Vorbild der Sanftmut unterweisen. Jeder beachte, wie er mit seinem Nchsten umgehe, da er Gottes Tempel in ihm nicht

    zerstre und er selbst nicht Gottes Strafe verfalle.

    Die zweite Art des Lebenswandels, die wir besitzen sollen, soll sich nach einem Vorbild richten, nmlich dem liebevollen Vorbild unseres Herrn Jesus Christus.Dieses Vorbild sollen wir einem Spiegel gleich uns vorhalten, wie der tut, der etwasabbilden will, damit wir all unser Tun nach ihm richten, soweit es in unserer Machtsteht. Wir. sollen betrachten, wie geduldig und sanftmtig, wie gtig, schweigsam undgetreu, wie milde, gerecht und wahrhaftig seine berstrmende Liebe und seinganzes Leben gewesen sind. Diese berlegung soll die Form eines Gebetes haben.

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    Der Mensch soll Gott aus dem Grunde seines Herzens bitten, da er ihm helfe,diesen Weg einzuschlagen, denn aus eigener Kraft knnen wir das nicht: wir sollengar dringlich Gottes unerschpfliche Gte anrufen, denn von dir selbst bist, hast undvermagst du nichts. Stelle deinen Mangel an bereinstimmung mit Gottes Gebot der

    bereinstimmung des Lebens des Herrn mit dem Willen Gottes gegenber, undsieh, wie fern und fremd du diesem liebevollen Weg bist. Opfere alle Tage demhimmlischen Vater die vollkommene bereinstimmung des Heilandes (mit Gottes Wort) fr deine Abweichung von demselben, seine schuldlosen Gedanken, Worte, Werke, seine Tugend, seinen Wandel, sein unschuldiges, bitteres Leiden fr deineSchuld und die aller Menschen, lebender und toter.

    Unser Herr, meine Lieben, ist .so gut, da der, welcher sich richtig ihm gegenberverhielte, von ihm alles, was er nur wollte, empfinge. Er will so gerne gebeten sein, er

    erhrt seine Freunde so gerne. Er ist so gerne bereit, dem, der sich von Grund ausund innerlich an ihn wendete, die Strafe des Fegfeuers zu erlassen, derart, da voneiner solchen Seele alle Gebrechen abfielen, aller Mangel an bereinstimmung (mitGott), jedes Hindernis und da alle verlorene Zeit eingebracht wrde. Die Umkehrfreilich, die mu Gott geben und wirken, und um diese Kehr soll der Mensch soherzlich und demtig Tag fr Tag unseren Herrn bitten, und der Mensch soll wohldarauf achten, da, wenn er zu solcher Umkehr aufgefordert wird, er alles fahrenlasse, was ihn hindere, und er auf Gottes Wirken in seinem Inneren warte.

    Das innere Gebet, meine Lieben, durchdringt die Himmel, sofern man dabei denliebenswerten Fustapfen unseres Herrn Jesus Christus nachfolgt. "Adorabimus inloco, ubi steterunt pedes eius." Denn meine und aller Lehrer Bemhen zielt dahin,da wir in unseres Herrn liebliche Fustapfen treten.

    Sankt Peter sprach: "Unser Herr hat fr uns gelitten, damit wir seinen Fustapfennachfolgten." Niemals wird ein Mensch so hoch steigen, da er sie je verlassen wird. Je hher er sich hebt, um so nachdrcklicher wird er den Schritten des Herrnnachfolgen, und dies wird durch die Tat oder durch Betrachtung geschehen. Dakommt mir eine Jungfrau bis2 vors Markustor und setzt sich nieder, als ob alle Arbeitschon getan sei. Nein, so weit sind wir noch nicht. So geht es nicht. "Sie sollen", sagtSankt Paul, "ihren Leib mit all seinen Begierden ans Kreuz geschlagen haben." Sieklagen ber Hindernisse; aber wenn sie beten sollen, schlafen sie. Frwahr, das istkein Wunder. Sie htten (sagen sie) keine Annehmlichkeit. Ja, willst du da Annehmlichkeit suchen und empfinden, wo dein Herr in groer, unleidlicherBitternis war?

    2Vetter 210,22: "So kumet min jungfrwe von der Marporzen"; der Vettersche Text erlaubt nicht, Corins Auffassung:

    "Mademoiselle qui arrive devant la Porte de Mare", zu rechtfertigen. Da aber der Sinnzusammenhang mir diese Deutungnahezulegen scheint, habe ich sie in die bersetzung bernommen.

  • 8/9/2019 Tauler Predigt 61

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    Deine Trgheit3 entfernt und entfremdet dich von seinen Fuspuren. Das kommtdaher, da du stets das Deine in allen Dingen suchst, in allen bungen, all deinemTun. Nein, suche niemals (deine) Lust, weder in Bildern noch in dem, was die Vernunft dir bieten kann; sondern beuge dich demtig und innerlich unter das

    Vorbild des Heilandes, und blicke in dein Nichts, das du bist; je mehr du dichniederbeugest, um so hher wirst du erhoben werden; denn die sich erniedrigen,werden erhht werden. Setze dein Nichts in das ber allem Sein erhabene gttlicheSein, und sieh, wie es durch dich dieses Nichts geworden ist, und glaube doch nicht,deine unberwundene Natur msse nicht angegriffen werden.

    Die Vollkommenheit wird dir vom Himmel nicht in den Scho fallen. Manche Leutesind so begierig (nach geistlichen Freuden), da ihnen Gott ihren Reichtum nehmenmu. Aber wre ein Mensch gelassen, Gott nhme ihn ihm nicht, ja er liee ihn noch

    reicher werden. Was nichts kostet, gilt auch nichts. Nein, dass junge, gesunde, starke,ungebndigte Naturen, die (noch) in ihrem Fleisch und Blut leben, klagen, sie httenzuviel Zerstreuung, Bewegung, zuviel (Phantasie)Bilder, das ist wohl mglich, denndu hast ja noch gar nicht recht gesucht. Du mut einen anderen Weg einschlagen,um zum Ziel zu kommen. Solche Leute sind ganz von Simons Geschlecht, der desHerrn Kreuz aus Zwang trug und nicht aus Liebe.

    Der Mensch soll in allem, was er tut, in sich bildlich darstellen das ehrwrdige Kreuzund den gekreuzigten Heiland. Wenn du schlafen willst, so lege dich auf das Kreuz,

    und la, nach deinem Wunsche, den liebreichen Scho dein Bett, sein mildes Herzdein Kopfkissen, die liebevollen Arme dein Deckbett sein. Diese, weit geffnet, sollendeine Zuflucht sein in all deinen inneren und "ueren Nten: so bist du wohlbehtet. Wenn du issest und trinkst, sollst du jeglichen Bissen in das Blut von ChristiLiebeswunden tauchen. Wenn unsere Schwestern ihre Psalmen singen, sollen sie jeglichen Psalm fr sich in je eine besondere Wunde (des Heilandes) legen. Sobildest du ihn in dir nach und gestaltest dich in ihm. Was hilft das, in schlichter Weisezu versichern, wie die Leute das tun, da sie an unseren Herrn denken und seineGebete sprechen, wenn sie sich nicht seinem Vorbild nachbilden durch Leiden und

    Nachfolge. Die dritte Art des Lebenswandels vollzieht sich auerhalb anschaulicherVorstellungen, ganz und gar unbildhaft.

    Meine Lieben! Das ist ein rascher, gerader, finsterer Weg, unbekannt und voll derEinsamkeit. Von diesem sprach Job, und Gott sprach es durch ihn: "Dem Menschenist der Weg verborgen, und Gott hat ihn mit Finsternis umhllt." Was bedeutet diesanders als den Weg, von dem wir sprechen? Hier werden Frauen zu Mnnern; undalle, die Mnner, die Gott nicht folgen, werden zu nichts.

    3Nach dem BT, der .Iazheit" = "Trgheit" hat.

  • 8/9/2019 Tauler Predigt 61

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    Dieser Weg nun ist gar dunkel, denn all das, wovon wir zuvor gesprochen haben, istdenen (die diesen Weg gehen) entfallen, es zieht sie nicht mehr an; wohin der Wegsie fhren wird, ist ihnen unbekannt, sie sind hier in groer Drangsal, und der Weg ist wahrlich fr sie "mit Finsternis umhllt" . Sankt Gregorius sagt zu diesem Wort, da

    der Mensch hier aller Erkenntnis beraubt ist. Es gibt in der Tat manche, die gar wohldaran zu sein glauben; am Ende des Weges aber erwartet sie der ewige Tod.

    Meine Lieben! Wer diesem finsteren, unbekannten Wege folgt, mu die weite, breiteStrae meiden, denn die fhrt zum ewigen Tod, wie das Evangelium spricht (Matth.7, 13); man mu den engen, schmalen Weg einschlagen: das ist (nur) ein kleinerPfad. Der Weg, den da der Mensch vor sich sieht, ist Wissen und Unwissen.Zwischen beidem mu der Mensch mit einem Auge hindurchsehen wie ein Schtze,der einen Punkt aufs Ziel nimmt, den er treffen will. Ebenso mu sich dieser Mensch

    verhalten, den kleinen, engen Pfad (nicht aus dem Auge) verlieren und den breitenWeg meiden. Auf diesem gar engen Weg befinden sich zwei Punkte, zwischen denender Mensch hindurchschlpfen soll. Der eine heit" Wissen", der andere" Unwissen".Bei keinem soll er sich aufhalten, sondern zwischen beiden schlichten Glaubenshindurchgehen.

    Zwei andere Punkte sind Sicherheit und Unsicherheit; zwischen diesen hindurch sollder Mensch voll heiliger Hoffnung seinen Weg fortsetzen. Und noch zwei Punkte(trifft der auf dem engen Pfad wandernde Mensch an): Friede des Geistes und

    Unfriede der Natur. Zwischen ihnen soll den Menschen rechte Gelassenheithindurchfhren. Und dann erfat ihn groe Zuversicht und befllt ihn unbegrndeteFurcht: zwischen beiden soll er seinen Weg nehmen voll Demut.

    Auf diese engen Wege und diese Pfade mu der Mensch achten. Das Unwissen sollman verstehen im Hinblick auf den inneren Grund. Aber was den uerenMenschen und die Fhigkeiten betrifft, so soll man wahrlich wissen, woran man istund womit man umgeht; denn es ist eine Schande fr einen gewhnlichenMenschen, da er andere Dinge kennt, sich selbst aber nicht. Dank dieser Kenntnis wird er bewahrt vor dem furchtbaren Schrecken, von dem Sankt Gregorius sprach.Denn im Wissen wie im Unwissen kann der Mensch irren: das eine kann ihnerheben, das andere niederdrcken. Daher soll sich der Mensch in solchen Fllenund in manch anderen, von denen man schreiben knnte, nur auf demtigesEntsinken verlassen in rechter Gelassenheit, in allem, was ihn trifft Entsinke in deinNichts und deinen heiligen Glauben in gttlicher, lebendiger Hoffnung, und htedich vor bsem Verzweifeln, das gar manchen zurck hat weichen lassen, da sieglaubten, das Voranschreiten auf diesem Weg sei ihnen unmglich: und so lieen sie(von ihrem Vorhaben) ab. Nein, la dich nicht zurcktreiben, sondern durchdringe

    (die Schwierigkeiten) mit Liebe und Verlangen, und halte dich fest, und lehne dichzarten und freundlichen Empfindens an deinen guten Gott.

  • 8/9/2019 Tauler Predigt 61

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    Wo die Natur gut ist und die Gnade dazukommt, da geht es schnell voran, wie ichvon mehr als einem Menschen wei, von jungen Leuten, fnfundzwanzig Jahre alt, verheiratet, edler Abkunft, die vollkommen (ihren Platz) auf diesem Wegeinnehmen. Aber statt da man (solche unter unseren Schwestern) ihres Zieles,

    nmlich des Werkes Gottes (in ihnen), warten lt, jagt man sie auf und lt sie nachBrot gehen. So knnen groe Dinge versumt werden. Es ist schwierig, mit Leutenzu tun zu haben, die auf diesem finsteren Weg schreiten; sie knnen gar leicht (ihrZiel) verfehlen. Im Leben dieser Menschen gibt es drei Dinge zu beachten; das eineist: in ihnen wirkt Gott (selbst) alle ihre Werke, soweit sie sich ihm gelassen haben,und in dieser Hinsicht sind sie durchaus gut und lobenswert. Anderseits sind, sobaldder Mensch sich mit seinem ganzen Seelengrunde in Gott gekehrt und mit Gott inseinem (eigenen) Inneren mitwirkt und nach ihm verlangt und ihn liebt, seine Werke wiederum gut. Sobald der Mensch sich (jedoch) mit der Selbstsucht und dem

    Eigenwillen seiner Natur in Wohlgeflligkeit und voll Behagens zu Werken wendet, daist sein Verhalten ganz und gar bse und vernichtet (das Gute), und dadurch wirddie Finsternis vermehrt und verlngert.

    In diesem Dunkel kommt die (menschliche) Natur in groe Drangsal und Unruhe,denn der Mensch steht hier inmitten zweier (einander widersprechender) Wege:zwischen Bildhaftigkeit und Bildlosigkeit. Denn all das, wovon wir zuvor sprachen,das ist ihm entfallen und hat keinen Reiz mehr fr ihn. Und was ihn anzieht und waser sucht, das findet er nicht mehr, und so steht er in groer Bedrngnis und

    Bangigkeit. Diese Drangsal hat manchen (zur Wallfahrt) nach Aachen und Romoder unter die Armen und in Klausen getrieben. Je mehr sie drauen suchten, um soweniger fanden sie. Und manche fallen (in ihrem Streben) wieder auf den Gebrauch vernnftiger Bilder zurck, spielen mit ihnen, da sie die Bedrngnis nicht (bis zuEnde) durchleiden wollen, und strzen ganz und gar in die Tiefe4. Ach, ihr Lieben,die edlen Menschen, die dieses Leiden in dieser einsamen Finsternis bis zu Endeertragen, werden die liebsten, edelsten Menschen. Die Natur freilich mu manchenTodes sterben.

    Ein Jnger fragte (einst) im Wald seinen Lehrmeister, was er tun solle. Der Meistersprach: "Geh in deine Zelle, setze dich dort nieder, und rufe ohne Unterla mit demPropheten: Meine Trnen waren mein Brot, Tag und Nacht, da man mir jeden Tagsagte: Wo ist dein Gott?'"

    Meine Lieben! Der Mensch mu hart und fest in den lieblichen Fustapfen (unseresHerrn) stehen, von denen wir zuvor gesprochen haben; das mu so sein. Denn wassoll es, da man viel (an unseren Herrn) denkt, wenn man ihm nicht nachfolgenmag? Die Menschen (die ihn so nachahmen) verlieren ihre Mhe nicht.

    4Vetter 213,30: Tiefe" statt des vieldeutbaren Grund"

  • 8/9/2019 Tauler Predigt 61

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    An welches Ziel werden diese Leute gelangen? Wie wird das enden? In einem kurzen Augenblick - so geschwind wie ein Blitz fllt - kommt pltzlich der Herr und bringtihnen liebreich die verborgene Gte; da wird. ihnen in dem wunderbaren Licht allesoffenbar, die verborgene Wahrheit in dem Glanz und dem hellen Schein, die in den

    inneren Grund (dieser Menschen) leuchten. Da wird ihnen deutlich, wohin und wiesie der Herr auf den dunklen Wegen gefhrt und wie er sie nun in das Lichthineingebracht und sie entschdigt hat fr ihr langes Warten und ihr Leiden. Da istdem Menschen wie noch nie not, sich in den Grund tiefer Demut und rechterGelassenheit sinken zu lassen. Je tiefer und unergrndlicher ein Mensch sichniederbeugt, um so innerlicher und herrlicher nimmt Gott sich derselben und allseiner Werke an und wirkt sie (selbst) in bernatrlicher Weise.

    Mchten wir alle dem Heiland auf diesen dunklen Wegen folgen, auf da er uns in

    das wahre Licht fhre!Dazu helfe uns Gott.

    AMEN.