Tauler Predigt 64

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  • 8/9/2019 Tauler Predigt 64

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    J oh an n e s T au l e r P r e di g t 6 4

    Diese Predigt vom Feste des hl. Apostels Matthus zeigt uns zwei Wege, auf denen wir berdie Gewinnung der drei den niederen Krften angehrigen Tugenden Demut, Sanftmut,Geduld und der drei den oberen Krften zugehrigen Glaube, Hoffnung, Liebe zurberwindung und Loslsung von ueren Dingen und inneren Hindernissen gelangenknnen. Entscheidend ist, da wir wie der hl. Matthus Christus nachfolgen.

    UNSER HERR SP R ACH zu Sankt Matthus: "Folge mir nach!" Und er verlie allesund folgte ihm.

    Dieser liebenswerte Heilige ist ein Vorbild fr alle Menschen gewesen; Zuvor aber war

    er ein groer Snder, wie die Schrift von ihm berichtet, und ward danach einer derallergrten Gottesfreunde, denn unser Herr sprach ihn innerlich an, in seinemGrunde; und da verlie er alles und folgte ihm. Daran liegt alles, da man Gott in derWahrheit folgt; und dazu gehrt ein ganz wahres Lassen all der Dinge, die nicht Gottsind, das sei, was es sei, was der Mensch in seinem Grunde vorfindet und wovon erbesessen ist, das sei, was auch immer, Lebendes oder Totes, er selbst oder irgend etwasdes Seinen. Denn Gott liebt die Herzen; und es geht ihm nicht um das, was man auensieht, sondern um die innige, lebendige Einwilligung, die eine bereite Neigung zuallem, was gttlich und tugendhaft ist, besitzt, wo und an wem das immer sei; darin

    steckt mehr aufrichtige und treue Gesinnung, als wenn ich ebensoviel betete wie alle Welt zusammen oder wenn ich so hoch snge, da es zum Himmel reichte, oder alsalles, was ich nach auen durch Fasten, Wachen und andere fromme bungen tunknnte.

    Nun sprach unser Herr: "Folge mir nach!" Durch bung folgender sechs Stcke folgtder Mensch unserem Herrn nach : drei gehren dem Bereich der niederen, drei demder hheren Krfte an: jene sind Demut, Sanftmut und Geduld ; diese erheben sichber alle Krfte: es sind Glaube, Hoffnung und Liebe. -

    Nun aber spricht unser Herr: "Folge!" . Diese Nachfolge kann in einer Weise nach demliebreichen Vorbild unseres Herrn geschehen in Begehren, Dank und Lob ; zuweilenaber auch einen krzeren Weg einschlagen, ohne all dies: ohne sich Gedanken zumachen oder sonst etwas, nur in einem inneren, ganz gelassenen, stillen Schweigen, ineinem nach innen gekehrten Seelengrund und einem lauteren Erwarten Gottes, aufdas hin, was er in einem Menschen wirken wolle an Reinstem und Hchstem, wie esihm gefllt oder nach seinem Willen sein mag. Wohl findet man Leute, die groenGefallen finden an ueren bungen und denen nichts von all dem haftenbleibt.

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    Am Gebet und Fasten, am Wachen und allen anderen derartigen bungen haben sieso groe Lust, da Gott daran viel weniger hat. Und ihre Lust knnte so gro sein, daGott gar nichts mehr an ihren bungen liegt und er sich davon abkehrt.

    Das kommt daher, da diese Leute ihr Werk aus Ihrem eigenen Selbst tun, mitEigenwillen und als ob es gar von. Ihnen selbst kme; und dabei ist alles Gute vonGott, und kein bichen davon gehrt dir zu eigen.

    Nun knnte man fragen, wie man das Wohlbehagen trennen soll von dem, was gut ist.Dafr ein Gleichnis! Im Alten Bund war den Priestern verboten, das Fett von dem frdas Opfer bestimmten Fleisch zu essen; sie sollten es verbrennen und Gott opfern. DasFett aber, das sich innen in dem ihnen (fr den Genu) erlaubten Fleische befand, dasdurften sie essen. So soll man alles Behagen, das man an allen Tugendbungen undguten Werken haben kann, in das Feuer der Liebe werfen und es Gott wieder

    darbieten, dem es ja doch gehrt. Das eigene Wohl gefallen aber und die Befriedigung,die von Natur an den Werken haften, insofern sie gute Werke sind, die darf derMensch in argloser Weise haben, ohne da sich darin Anmaung verbirgt.

    Nun das Wort: "Folge mir!" und wie Sankt Matthus alles verlie und Gott nachfolgte.Der Mensch, der alle Dinge verlsst und sich selbst in allen Dingen, soll Gott ber alleDinge hinaus folgen mit dem ueren Menschen, mit jeglicher Tugendbung und derallgemeinen Liebe und mit dem inneren Menschen in rechter Gelassenheit seinesSelbst in jeder Weise, wie es gerade kommt und Gott es ihm schickt, von innen oder

    von auen. Versteht mich recht! Was ich von mir sage, das gilt von allen Menschen.Ich habe durch Gottes Gnade und von der heiligen Kirche meinen Orden empfangen,diese Kutte und dieses Gewand, mein Priestertum und den Auftrag, zu lehren undBeichte zu hren.

    Kme es nun so, da der Papst mir dies nehmen wollte und die heilige Kirche, von derich es habe, so sollte ich, wre ich ein gelassener Mensch, ihnen alles miteinanderberlassen und nicht fragen, warum sie es mir nehmen; ich sollte, knnte ich ihnhaben, einen grauen Rock antun, niemals mehr bei meinen Brdern im Kloster sein, es

    verlassen, nie mehr Priester sein noch Reichte hren oder predigen, alles in GottesNamen, nichts mehr von alledem, denn sie haben es mir gegeben und knnen s mirauch nehmen; ich habe sie nicht zu fragen, falls sie es tun1 , sofern ich nicht Ketzerwollte geheien werden oder in den Bann getan werden wollte.

    Wollte mir aber jemand anders eines dieser Dinge nehmen, so sollte ich, als wahrhaftgelassener Mensch, eher den Tod auf mich nehmen, als es mir nehmen zu lassen. Auchwenn die heilige Kirche uns den ueren Empfang des heiligen Sakramentes nehmenwollte, so sollten wir uns darein ergeben. Aber es auf geistliche Weise zu empfangen,

    1Vetter 255,21 ist mit Corin, Sermons HI, 101, Anm. 1 besser obe statt oder" zu lesen.

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    das kann uns niemand nehmen. Alles, was die heilige Kirche uns gegeben hat, kann sieuns wieder nehmen. Und das alles sollte geschehen ohne irgendein Murren oder einenWiderspruch.

    Das betrifft aber (nur) das uere; ebenso und noch mehr sollte es mit dem Innerenbestellt sein. Was besitzen wir, das uns Gott nicht gegeben htte? Und darum soll manall das, was er uns gegeben hat, ihm in rechter Gelassenheit berlassen, so als ob manes nie empfangen htte. Euch, meine lieben Leute, die ihr mit heiligen Vorbildern,Gedanken, Werken und Weisen umgeht, meine ich hier nicht, zu euch spreche ich hiernicht, ihr braucht meine Worte nicht auf euch zu beziehen. Aber ich denke an jene besonderen Menschen, die finstere Wege gehen und durch enge Pfadehindurchscl1lpfen mssen: das ist nicht jedermanns Sache. Diese Menschen mssensich ganz anders vorwrtsbewegen als die, von denen wir bis jetzt gesagt haben, wie sie

    die Dinge betreiben sollen. Jene haben manches zu tun, anderes zu unterlassen: in demBereich der (unteren) Krfte soll man die Dinge bewahren, doch ohne allenEigenwillen; in dem, was die (unteren) Krfte bersteigt, soll man weder die Dinge besitzen noch die Anhnglichkeit an ihren Besitz2. Es liegt indes in der Natur allerMenschen, zu haben, zu wissen und zu wollen; darin besteht die Ttigkeit der Krfte.

    Hier nun mssen wir von den sechs Stcken sprechen (mit deren Hilfe man demHerrn nachfolgen soll), die wir oben bereits erwhnt haben. Drei von ihnen gehrenzu den niederen, drei zu den oberen Krften. Jene sind Demut, Sanftmut und Geduld;zu den oberen zhlen: Glaube, Hoffnung und Liebe. Da ist nun der Glaube; er raubtund nimmt der Vernunft all ihr Wissen hinweg und macht sie blind. Und ihr Wissenmu sie verleugnen. Die Kraft der Vernunft mu beiseite geschoben werden. Dannkommt die Hoffnung und nimmt uns die Sicherheit und die Gewiheit des Besitzens.Dann kommt die Liebe und beraubt den Willen allen Eigensinnes und Besitzes.Sprechen wir jetzt von den drei Tugenden im Bereich der niederen Krfte: der Demut,der Sanftmut, der Geduld: diese entsprechen den drei Tugenden im Bereich derhheren Krfte. Die Demut versinkt gnzlich in einem Abgrund; sie verliert ihrenNamen, steht auf ihrem lauteren Nichts und wei nichts (mehr) von Demut.

    Die Sanftmut hat die Liebe alles Eigenwillens beraubt, derart, da ihr alle Dinge gleichgelten und nichts ihr zuwider ist. Darum wei sie nichts von Tugendbesitz und betrachtet alle Dinge in gleich friedvoller Weise. Die Tugend hat ihren Nameneingebt und ist zum Sein geworden. So auch ist es mit der Geduld. Die geduldigenMenschen lieben, und es drstet sie nach Leiden, und sie wissen nichts von ihrerGeduld.

    2Die Stelle - Vetter 256,4 - ist nicht recht klar. Die bersetzung Corins", Sermons 111, 102, dazu Anm. 2, scheint mir den

    wahrscheinlichen Sinn besser zu erfassen als Lehmann 2,59.

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    Und doch kann dir bei all dieser Gelassenheit (einmal) ein hartes Wort entfahren:darber darfst du nicht erschrecken. Gott hat es fr dein greres Wohl geschehenlassen, damit du noch tiefer in dein Nichts versinkst. Und du kannst auch einmal inZorn geraten: das alles soll dich zu strkerem Verleugnen fhren. Das verweist dich

    alles gar sehr auf dein Nichts, so dass du dich dessen unwrdig hltst, da Gott direinen guten Gedanken sende. Daran liegt alles: in einem abgrndigen Entsinken in einunergrndliches Nichts. Das Wirken dieser Leute beruht nicht mehr auf uererTtigkeit, weder in festen Formen noch in Bildern.

    In diesen sollt ihr euch, liebe Leute, die ihr jene Stufe (noch) nicht erreicht habt,fleiig ben. Gott wird euch eure Snden vergeben und das Himmelreich schenken,wenn ihr eure Strafe im Fegefeuer abgebt habt. Aber wisset: mit euren Formen derFrmmigkeit knntet ihr nicht einmal die Knechte der Knechte jener Leute werden.

    Wenn es mit diesen Leuten aber gut vorangeht, wird ihr Leben kstlich ber alleMaen. Aber gefhrlich ist ein solches Leben, ebenso gefhrlich wie das Leben des wildesten Menschen, der in der Welt nach seiner Weise lebt; denn der Weg jenerLeute ist gar finster und unbekannt. Es ist, wie es bei Job heit, essen Wort ich nannte:"Dem Menschen ist der Weg verborgen und mit Finsternis umgeben." Auf diesem Wege mssen die Menschen, (die ihn gehen) stets auf all das verzichten, was sichIhnen darbieten mag. Und stets sagt unser Herr: "Folge mir; schreite durch all dashindurch; ich selbst bin das nicht; geh zu, folge mir, nur vorwrts!" Der Menschknnte da wohl antworten: "Herr, wer bist du, da ich (dir) so in die Tiefe, die Wildnis, die Einsamkeit folgen soll?" Der Herr aber knnte ihm erwidern: "Ich binMensch und Gott, ja weit mehr als Gott!" Knnte ihm der Mensch nun aus seinem(als) wesenhaft (nichts)3 erkannten Grunde antworten:

    "Ich aber bin nichts, weit weniger als das!", so wre das Werk bald vollendet, denn diejenseits aller Namen stehende Gottheit hat keine zum Wirken geeignetere Statt als imGrunde der allertiefsten Selbstverleugnung.

    Die Lehrmeister schreiben: Soll eine neue Form entstehen, so mu notwendigerweise

    die alte ganz zunichte werden; sie sagen auch: Wenn ein Kind im Mutterleibeempfangen wird, so ist es zuerst bloe Materie; dieser wird dann eine tierische Materieeingegossen, so da sie wie ein Tier lebt. Darauf, nach Ablauf einer bestimmten Zeit,erschafft Gott eine vernnftige Seele und giet sie hinein; dann vergeht die erste Formvllig im Hinblick auf das, was sie in ihrem Sosein kennzeichnete: nach ihrer Ttigkeit,Denkfhigkeit, Gre, Farbe; all das mu weg; nur eine ledige lautere Materie bleibtbrig.

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    Vetter 257, 10: in bereinstimmung mit dem folgenden Text erluternd eingefgt.

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    In gleicher Weise mssen - soll der Mensch berformt werden mit dem jenseits allenSeins liegenden Sein: - all die Formen zunichte werden, die er je im Bereich aller Krfteempfing: Knnen, Wissen, Wollen, Wirksamkeit, Gegenstandsempfinden,Empfindlichkeit, Eigentmlichkeit. Als Sankt Paulus nichts sah, sah er Gott. Darum

    bedeckte Elias seine Augen mit dem Mantel, als der Herr kam.Hier werden alle starken Felsen (der Eigenliebe) zerbrochen; alles" worauf der Geistausruhen knnte, mu entfernt werden. Und sind all diese Formen verschwunden, so wird der Mensch in einem Augenblick berform~. Und so mut du voranschreiten;darum spricht der himmlische Vater zu diesem Menschen: "Ich whnte, du wrdest ,mein Vater' mich rufen und niemals dich von mir wenden" (Jer. 3, 19). Du sollstimmer weiter voranschreiten, dich um so hher erheben, je tiefer du in ' den unb bekannten und unbenannten Abgrund versinkst. Sich selber verlieren, sich ganz und

    gar entbilden jenseits aller Weisen, Bilder und Formen, jenseits aller Krfte: in dieserVerlorenheit bleibt (dann) nichts als ein Grund, der wesentlich auf sich' selber steht,ein Sein, ein Leben, ein ber-alles-(Hinaussein). Von diesem Zustand lt sich sagen,da man losgelst werde von aller Erkenntnis, jeglicher Liebe, allem Tun, ja sogar vomGeist. Das geschieht nicht auf Grund natrlicher Eigentmlichkeit, sondern (alsFolge) der berformung, die der Geist Gottes dem geschaffenen Geist zuteil werdenlt in einem Akt freiwilliger Gte, entsprechend auch der unergrndlichen Verlorenheit des geschaffenen Geistes und seiner abgrundtiefen Gelassenheit. Vonsolchen Menschen kann man sagen, da Gott sich in ihnen erkenne, sich liebe, sich

    seiner (in ihnen) erfreue; denn er ist nur ein Leben, ein Sein, ein Wirken4

    . Wollte aber jemand diesen Weg in mibruchlicher Freiheit und in falscher Erleuchtung beschreiten, das wre wohl die gefhrlichste Art, sein Leben in dieser Zeitlichkeit zufhren.

    Der Weg, der zu diesem Ziel bringt, mu ber das anbetungswrdige Leben und dasLeiden unseres Herrn Jesus Christus fhren, denn er ist der Weg, und diesen Weg muman einschlagen. Er ist die Wahrheit, die diesen Weg erleuchten mu; und er ist dasLeben, zu dem man gelangen soll. Er ist die Tr; und wer durch eine andere Treintreten will, ist ein Ruber. Durch diese liebenswerte Tr soll man eingehen, indemman seine Natur bezwingt und sich in den Tugenden bt, in Demut, Sanftmut undGeduld. Wisset in Wahrheit: wer nicht diesen Weg whlt, geht schlielich irre.

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    Zur Stelle 258,4 bei Vetter wird auf Coriits Darlegung in Sermons III, 107, Anm. 4 verwiesen.

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    Gott geht vor den Leuten her, die diesen Weg nicht einschlagen, ja er geht (mitten)durch sie hindurch: aber sie bleiben dennoch blind. ber die' jedoch, die diesen Weg beschreiten, hat der Papst keine Gewalt, denn Gott selbst hat sie "freigesprochen"5.Sankt Paulus sagt: "Die, welche vom Geist Gottes getrieben oder gefhrt werden, sind

    keinem Gesetz mehr unterworfen. Diesen Leuten wird die Zeit niemals lang, und Verdru kennen sie nicht. Das gilt nicht fr alle die, welche die Welt lieben, da siekeinen Verdru kennten und ihnen die Zeit nicht lang wrde.

    Aber jene, von denen wir sprechen, leben, was den oberen Teil ihres Wesens betrifft,oberhalb der Zeit, und sind, was den niederen Teil angeht, ganz frei und gelassen; dieDinge mgen kommen, wie immer es sei, sie bleiben in wesentlichem Frieden. Sienehmen alle Dinge von Gott an und bringen ihm alle in Reinheit wieder dar; siebewahren den Frieden, wie Gott auch alle Dinge fgt, wenn auch der uere Mensch

    gar sehr leiden mu und erschttert wird. Das sind selige Menschen! Wo immer mansie findet, soll man sie loben. Aber ich frchte, solche Art ist sehr selten anzutreffen .

    Bitten wir also unseren Herrn, da wir ihm folgen knnen, da wir dieses lautere Gutin Wahrheit erlangen.

    AMEN.

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    Gedacht ist bei der Wahl dieses Wortes - Vetter 258,17 - an die Freisprechung" des Lehrlings, der Geselle wird.