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Ketzerische Annäherungen an das eigentlich Unbeschreibliche - Vom Gewahr-Werden zum Gewahr-Sein
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Der Mystiker Johannes Tauler und Zen
Erleuchtung im Durchbruch des Nichts
Ketzerische Annäherungen an das eigentlich Unbeschreibliche
von Werner Krebber
„Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus hartem Felsen hervorbricht, wunderbar geschwängert
von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften“ Heinrich Heine
Der Mensch „muss alles lassen, dieses Lassens selbst noch ledig werden, es lassen,
es für nichts halten und in sein lauteres Nichts sinken“ Johannes Tauler
„Wir suchen auf verborgene Weise das Eine,
das weit über Vernunft und Erkenntnis steht.“ Proklos
u musst auf dein Nichts gewiesen werden und sehen, was in dir verborgen und
verdeckt liegt. Bleib bei dir selber!« Oder: »Soll Gott sprechen, so musst du
schweigen, soll Gott eingehen, so müssen alle Dinge ihm den Platz räumen.«
Oder: »Du sollst dieses tiefe Schweigen oft und oft in dir haben und es in dir zu einer
Gewohnheit werden lassen, so dass es durch Gewohnheit ein fester Besitz in dir werde.«
Anweisungen eines buddhistischen Zen-Meisters? So könnte man auf den ersten Blick
zunächst meinen. Doch es sind die Worte eines Menschen des Spätmittelalters, eines
christlichen Mystikers. Es sind Sätze von Johannes Tauler, der wahrscheinlich kurz nach
1300 geboren wurde und 1361 starb. Das ihm zugeschriebene Adventslied »Es kommt ein
Schiff geladen …« kennen viele. Weniger bekannt jedoch ist die tiefe mystische Schau
Taulers, die in weiten Teilen ganz erstaunliche Parallelen zum Zen aufweist. Sie ist nicht in
philosophisch-theologischen Abhandlungen spekulativer Mystik überliefert, sondern in knapp
über achtzig Predigten, die vermutlich kurze Zeit nach dem Tode Taulers niedergeschrieben
wurden.
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Was ist Zen? Und was ist Mystik?
Eine Bemerkung vorab: Wer in der umfangreichen Literatur zum Zen der Frage »Was ist
Zen?« nachgeht, stößt auf mehr oder weniger einleuchtende Be- und Umschreibungen, die
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häufig in negativer Darstellung angeben, was Zen nicht ist. Was aber ist Zen? Diese Frage
muss beantwortet werden, bevor wir Parallelen bei Tauler suchen und finden können.
»Zen lehrt, dass die Buddha-Natur, oder die Möglichkeit, Erleuchtung zu erreichen, in jedem
innewohnt, aber aus Unwissenheit brachliegt …« Erreicht wird die Erleuchtung »mit einem
plötzlichen Durchbruch der Grenzen des gewöhnlichen, alltäglichen, logischen Denkens«
beschreibt die »New Encyclopaedia Britannica« den Sinn des Zen. Mit den Sätzen: »Im
Mittelpunkt der Zen-Praxis steht die "sitzende Versenkung" (zazen). Sie soll zur Erleuchtung
(satori) führen, der plötzlich eintretenden Erkenntnis der Einheit allen Seins, des Heiligsten
und des Profansten« versucht »Meyers Enzyklopädisches Lexikon« dem Wesen des Zen
näher zu kommen.
Und ein Zweites: Was ist Mystik? Das ist wohl am klarsten und eindeutigsten mit dem zu
fassen, was der Mystiker erfährt: »Durch die mystischen Berührungen wird der Mensch aus
seinem verteilten, gewöhnlich-tag-täglichen Bewusstsein herausgeholt. Er wird "eingekehrt"
und spürt nun, dass in seinem "Herzen" etwas geschieht. Er wird weiter aus der "Eigenheit"
heraus- und in seinen "Grund" hereingezogen. Dieser plötzliche Übergang vom
Durchschnittsbewusstsein, wo er selbst Herr und Meister ist, zu dem Niveau, auf dem sich
der "ganz Andere" fühlen lässt, ist ein erschütterndes Erlebnis,« schreibt Paul Mommaers.
Und genau darauf gilt es, sich stets neu einzulassen.
Weg und Wirkung Johannes Taulers
Wahrscheinlich kurz nach 1300, so wird berichtet, ist Tauler als Sohn einer Strassburger
Patrizierfamilie geboren. Früh tritt er in den Predigerorden der Dominikaner ein, widmet sich
der Seelsorge und predigt etwa ab 1330 vor allem in Gemeinschaften der Dominikaner und
in Häusern der Beginen. Im Zuge eines politischen Machtkampfes zwischen Kaiser und
Papst muss Tauler jedoch zusammen mit den anderen Dominikanern aus Strassburg
emigrieren. Er geht zunächst nach Basel ins Exil. Verschiedene Reisen führen ihn später
nach Köln und an den Niederrhein, bis er 1361 in seiner Heimatstadt Strassburg stirbt.
Die Wirkungsgeschichte Taulers ist ebenso wechselhaft wie eindrucksvoll. Seine Predigten
beeinflussten den frühen Reformatoren Martin Luther ebenso wie Luthers Gegenspieler, den
revolutionären Thomas Münzer der Bauernkriege. Fast ins Schwärmen kommt im 19.
Jahrhundert der Dichter Heinrich Heine in seiner »Geschichte der Religion und Philosophie
in Deutschland«, wenn er schreibt: »Hier erwähnen wir daher namentlich des Johannes
Tauler … Er gehörte zu jenen Mystikern, die ich als die platonische Partei des Mittelalters
bezeichnet habe… Seine Sprache ist wie ein Bergquell, der aus harten Felsen hervorbricht,
wunderbar geschwängert von unbekanntem Kräuterduft und geheimnisvollen Steinkräften.«
Die geistesgeschichtliche Traditionslinie, auf die Tauler sich bezieht, beginnt mit dem
spätantiken Philosophen Proklos (411 – 485 n. Chr.), also etwa um die Zeit, als Bodhidarma,
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der vor allem in China lebte und 528 gestorben ist, den Zen-Buddhismus begründete. Tauler
zitiert Proklos als »heidnischen Lehrmeister« mit den Worten »willst du aber noch höher
kommen, so lass das vernünftige Hinschauen und Anstarren, denn die Vernunft liegt unter
dir, und werde eins mit dem Einen. Und er nennt das Eine eine göttliche Finsternis, still,
schweigend, schlafend, übersinnlich.« Auf Proklos stützt sich auch Dionysius Areopagita (um
550 n. Chr.). In seiner Abhandlung über die »Unfassbarkeit Gottes« schreibt er unter
anderem: »Er allein ist der Urgrund, der allumfassende Ursprung alles Seins und Nichtseins,
darin Vollkommenheit und Überschwang, die Fülle von Allem und der Verzicht auf alles und
die Jenseitigkeit selbst über alles umschlossen liegt. Kein Sein und kein Nichtsein kann Ihn
treffen und Ja und Nein erreichen Ihn nicht.« Auf diese Traditionen greift Tauler zurück, die
noch anzureichern sind mit Platon (428/27 – 348/47) und Plotin (um 205 – 270) und die
ergänzt werden müssen mit den Kirchenvätern Augustinus (354 – 430) und Thomas von
Aquin (1225/6 – 1274) sowie Dominikus (um 1170 – 1221), den Gründer des
Dominikanerordens. Etwa in dieser Zeit waren übrigens innerhalb des Buddhismus in Japan
die Rinzai-Schule (Eisai 1141 – 1215) und die Soto-Schule (Dogen 1200 – 1253)
entstanden. Vor allem und in besonderer Weise ist jedoch der Mystiker Meister Eckhart (um
1260 – 1327) zu nennen, dessen direkter Schüler Johannes Tauler war.
Aufstieg aus dem Grund
Für Johannes Tauler ist der Mensch immer im Aufstieg, immer in Bewegung. Denn nur so
kann er zu dem Durchbruch gelangen, der ihn auf seinem Weg weiterbringt. Nicht
eindimensional, sondern in drei Schichten bewegt sich nach Taulers Überzeugung der
Mensch dabei von der Selbst- zur Gotteserkenntnis. Eine Passage aus der Predigt »Von der
Geburt Gottes im Menschen« verdeutlicht dies: »Die Seele hat drei edle Kräfte, in denen sie
ein reines Abbild der heiligen Dreifaltigkeit ist: Gedächtnis, Verstand und freier Wille. Und
mittels dieser Kräfte erfasst sie Gott und ist für ihn empfänglich, so dass sie alles dessen
empfänglich werden kann, was Gott ist und hat und geben kann, und vermittels ihrer schaut
sie in die Ewigkeit. Denn die Seele ist zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen: Mit ihrem
obersten Teile gehört sie in die Ewigkeit, und mit ihrem untersten Teile, mit ihren sinnlichen,
tierischen Kräften, gehört sie in die Zeit. Nun ist die Seele sowohl mit ihren obersten wie mit
ihren untersten Kräften in die Zeit und die zeitlichen Dinge ausgeströmt, infolge der nahen
Verwandtschaft, die die obersten Kräfte zu den untersten haben; daher wird ihr auch dieser
Lauf sehr leicht, und sie ist sogar bereit, ganz in die sinnlichen Dinge auszulaufen, und geht
so der Ewigkeit verlustig. Wahrhaftig, es muss notwendig ein Rücklauf geschehen, soll diese
Geburt geboren werden, es muss eine kräftige Einkehr geschehen, ein Einholen, ein
inwendiges Sammeln aller Kräfte, der untersten und der obersten, und so muss eine
Vereinigung von aller Zerstreuung stattfinden …«
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Louise Gnädinger beschreibt in ihrer Biographie des spätmittelalterlichen Mystikers Tauler,
worum es ihm vor allem geht: »Im eigenen, als tief innerlich liegend empfundenen Abgrund
stößt der Mensch, hat er sich den Weg dorthin einmal frei gemacht, auf den göttlichen
Abgrund. Beide Abgründe, der menschliche und der göttliche, rufen einander zu und herbei,
und in dem dynamisch wogenden Hin-und-Her-Rufen führt und leitet der göttliche Abgrund
den menschlichen in sich hinein in den Umschwung der Gottheit«. Denn Tauler bleibt in
seinen Predigten nicht dabei stehen, die Suche des Menschen nach Reichtum, Ordnung,
Gestalt, Wahrheit, Wesen etc. in seiner Ganzheit zu beschreiben. Er geht weiter: »Er tastet
nach der letzten Wesenstiefe im Menschen«, schreibt Josef Zapf. »Er ringt um den
Überschritt in den göttlichen Grund. Dort vollzieht sich die Geburt Gottes im Menschen.«
Ganz entscheidend für diese Gottesgeburt im Menschen ist Taulers Überzeugung, dass der
Mensch ein Nichts ist. Allerdings nicht in dem gemeinhin negativ verstandenen Sinn,
sondern so begriffen, dass er dem eigenen Nichts auf den Grund geht. Dass er es sehen
kann als Nichtigkeit und Sinnlosigkeit der Welt. Tauler meint, dass der Mensch »von Grund
aus sein natürliches und sein gebrechliches Nichts erkennen« soll. Der Mensch »muss alles
lassen, dieses Lassens selbst noch ledig werden es lassen, es für nichts halten und in sein
lauteres Nichts sinken.« Tauler weiß: »Willst du in Gottes Innerstes aufgenommen, in ihn
gewandelt werden, so musst du dich deiner selbst entäußern, aller Eigenheit, deiner
Neigungen, aller Tätigkeit, aller Anmaßung, aller Weise, in der du dich selber besessen hast;
darunter geht es nicht. Zwei Wesen und zwei Formen können nicht zugleich nebeneinander
bestehen. Soll das Warme hinein, so muss das Kalte notwendigerweise hinaus. Soll Gott
eintreten? Das Geschaffene und alles Eigene muss dafür den Platz räumen. Soll Gott
wahrhaftig in dir wirken, so musst du in einem Zustand bloßen Erduldens sein; all deine
Kräfte müssen so ganz ihres Wirkens und ihrer Selbstbehauptung entäußert sein, in einem
reinen Verleugnen ihres Selbst sich halten, beraubt ihrer eigenen Kraft, in reinem und
bloßem Nichts verharren. Je tiefer dieses Zunichtewerden ist, um so wesentlicher und
wahrer ist die Vereinigung.«
Sich lösen von äußeren Bildern
Zu dieser Vereinigung von Gott und Mensch, die alle Trennungen aufhebt, gehört für den
Seelsorger und Prediger, dass sich der Mensch von allen Bildern löst. »Man findet gar
manchen, der in der bildhaften Weise sehr bewandert ist und große Freude an solcher
Übung besitzt, aber keinerlei Zugang zur Innerlichkeit seiner Seele hat … Das kommt daher,
dass sie zu sehr bei den sinnlichen Bildern verweilen und dabei verharren und nicht
vorwärtskommen und nicht in den Grund durchbrechen, wo die lebendige Wahrheit leuchtet:
denn man kann nicht zwei Herren dienen: den Sinnen und dem Geist.« Seine Zuhörer fordert
er auf, dass sie »die Bilder bald fahren lassen und mit flammender Liebe durch den mittleren
in den allerinnersten Menschen hindurchdringen.« Und wie Proklus meint Tauler: »Solange
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der Mensch mit den Bildern, die unter uns sind, beschäftigt ist und damit umgeht, wird er
niemals in den Grund gelangen.«
Für Tauler gehört existentiell zum Gelingen des Durchbruchs die Abgeschiedenheit vom
Äußeren, das Aufgeben der Anhänglichkeit an Dinge, Geschöpfe oder Gewohnheiten, der
Blick der Einfachheit, die Einkehr in den Grund und der Einklang mit Gott, der Grund des
Menschen und sein Nichts mit all seinen Facetten, das Erkennen des Selbst, das
Schweigen, damit Gott sprechen kann …
Vom Gewahr-Werden zum Gewahr-Sein: hier und jetzt
Tauler geht es in seinen Predigten nicht um intellektuelle Anregungen, sondern um
praktische Anweisungen. Er mahnt seine Zuhörerinnen und Zuhörer immer wieder, ihrer
Selbst gewahr zu werden, aufmerksam zu werden, sich zu beachten und zu beobachten, um
in diesem Prozess ihrer Selbst gewahr zu sein. In der beobachtenden Teilnahme des
Menschen ist er fähig, die Kräfte seines Gemütes zu erkennen und zu aktivieren, den Grund
unseres Geistes. Denn das Gemüt »steht bei weitem höher und innerlicher als die Kräfte;
diese haben all ihr Vermögen von ihm und sind darin und von da heraus geflossen … es
erkennt sich als Gott in Gott, und dennoch ist es geschaffen.« Und wieder zitiert Tauler hier
in der 53. Predigt den spätantiken Philosophen Proklus mit den Worten: »Wir suchen auf
verborgene Weise das Eine, das weit über Vernunft und Erkenntnis steht«.
Doch das Un-Erklärbare, das Un-Beschreibliche, dem wir uns ständig
gegenübersehen, hat sich nicht irgendwo, sondern im konkreten Leben zu
bewähren, im Hier und Jetzt. Das gilt für Zen ebenso wie für Mystik. Im
Buddhismus wie bei Tauler. Entscheidend ist dafür jedoch nicht eine spirituelle
Innendekoration, ein Verhüllen der inneren Wände mit frommen Tüchern. Ganz
existentiell ist die Erfahrung der Tiefe des eigenen Grundes im wirkenden Grund
göttlichen Seins. Bei Tauler klingt das so: »Dann soll der Mensch die Eigenschaft
der Einsamkeit Gottes in der stillen Leere betrachten … Denn dort ist alles still,
geheimnisvoll und leer. Darin ist nichts als die lautere Gottheit. Dorthin kam nie
etwas Fremdes, kein Geschöpf, kein Bild, keine Form.«
Literaturhinweise:Johannes Tauler. Predigten. Übertragen und herausgegeben von Georg Hofmann. Einführung von Alois M. Haas. 2 Bände, Einsiedeln 1987Johannes Tauler. Predigten. Übertragen und eingeleitet von Walter Lehmann. 2 Bände, Jena 1923Die Predigten Taulers aus der Engelberger und der Freiburger Handschrift sowie aus Schmidts Abschriften der ehemaligen Strassburger Handschriften herausgegeben von Ferdinand Vetter, Berlin 1910
Bernward Dietsche OP. Über den Durchbruch bei Tauler. In: E. Filthaus OP (Hg), Johannes Tauler. Ein deutscher Mystiker. Gedenkschrift zum 600. Todestag, Essen 1961Louise Gnädinger : Johannes Tauler. Lebenswelt und mystische Lehre, München 1993
Josef Zapf: Die Geburt Gottes im Menschen. In: Zu Dir hin. Über mystische Lebenserfahrung von Meister Eckhart bis Paul Celan, Frankfurt/M. 1987