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10 Jahre Talente Tauschring

Tauschring Hannover

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Jubiläumsschrift "Zehn Jahre Talente Tauschring"

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10 Jahre

Talente Tauschring

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Talente Tauschring Hannover

1995 – 2005

TTH

10 Jahre

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Impressum Herausgeber: Talente Tauschring Hannover (Redaktion: Elke Fahl, Rolf Schröder) © Hannover, Mai 2005. Alle Rechte bei den jeweiligen Autoren und Künstlern. Fotos: Rolf Schröder und viele andere (siehe Bildunterschriften). Zeichnungen: Heike Meiners, Gisela Meyer, Ulrich Schalow, Rolf Schröder Grafiken: Elke Fahl Layout: Rolf Schröder

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Elke Fahl: Wie der Talente Tauschring Hannover gegründet wurde 4

Michael Boeken: Beim Talente tauschen sich berauschen 10

Anzeigen – Typisches und Kurioses 11

Cordula Molthan: Neue Möglichkeiten 12

Gertrud Kreuter: Tauschring – eine Zukunftsidee und schon Wirklichkeit 15

Ulrich Schalow: Holzhackergeschichten 18

Pinnwand – mit Beiträgen von Gudrun Weber, Barbara Kresler,

Ute Schenke und Vera Ninnemann 20

Kirstin Stegemann: Kleine Wurmgeschichte 22

Roland Balzer: Die Wohnungsdiät 26

Renate Marcus: Einfach unbezahlbar 28

Zahlen, Zahlen, Zahlen 29

Elke Fahl: Ein Tropfen auf dem heißen Stein 32

Ursel Stenkamp: Fünf Freunde und der Schimmel des Grauens 33

Regina Kaese: Überraschung!!! 36

Rolf Schröder: Der Blick über den Tellerrand – Andere Tauschsysteme 38

Elke Fahl: Tlaloc – Wir sind nicht allein 43

Rolf Schröder: 1995 – 2005 – 2??? 44

Inhalt

Tauschen? Ein Schlusspunkt von Heike Meiners 46

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Talent – im alten

Griechenland eigentlich die

Waage und das auf die

Waage gelegte, ins-

besondere ein Gewicht und

der Rechnungswert von 60

Minen, ein diesem Gewicht

entsprechende Menge

Silbergeld ...

Der Kleine Brockhaus

Elke Fahl Wie der Talente Tauschring Hannover gegründet wurde Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

Der Talente Tauschring Hannover (TTH) wurde im Mai 1995 als Initiative gegründet, angeregt durch einen Vortrag über Tauschringe auf der TERRA im März ´95. Zwar gab es schon vorher auch in Hannover am Tauschen interessierte Gruppen, jedoch stand bei diesen Gruppen die Geldtheorie und Kritik unseres Wirtschaftssystems im Vordergrund.

Das „erste“ Treffen des TTH, an dem etwa 10 Personen teilnahmen, zeichnete sich folglich durch die ganz konkrete Planung und Aufgabenverteilung aus. Es wurde zunächst von Ulli Schalow ein Zettel geschrieben, in dem die Angebote und Nachfragen von und für alle TeilnehmerInnen notiert und im Verlauf der folgenden Treffen aktualisiert wurden (später erhielt dieser immer umfangreicher werdende Anzeigenzettel den schönen Namen „Talent-Zirkel“); es wurde eine Kontostelle eingerichtet, die in der Verrechnungseinheit „Talent“ jeden Tausch verbucht, und es wurde eine DM-Kasse für Kopier- und Portokosten eingerichtet. Ohne dass alle Regelungen endgültig festlagen, begann die Arbeit auf dieser Grundlage.

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Am Anfang war das Chaos – oder Fundis gegen Realos Die TeilnehmerInnen trafen sich zunächst einmal im Monat

in einer Gartenlaube in einer Schrebergartenkolonie. Die Sitzungen begannen gegen 20 Uhr und dauerten häufig bis weit nach Mitternacht. Es wurde hier alles, wirklich alles besprochen, z.B. das Für und Wider einer Vereinsgründung, die Möglichkeit einer Politisierung der Mitglieder und später der Massen, wer den nächsten Kaffee mitbringen sollte, ob es eine Pause geben müsse, wie und in welchem Umfang Zeitschriften und Bücher über alternatives Wirtschaften den Mitgliedern zugestellt werden sollten, wann jemand hinausgeworfen werden darf, welche Art von Anzeigen nicht aufgenommen werden sollten, ob sich der TTH bei parteipolitischen Informationsveranstaltungen präsentieren dürfe und wenn ja, bei welchen Parteien, oder was man mit Mitgliedern machen solle, die nur Leistungen in Anspruch nähmen aber nichts leisteten. Die späteren Treffen fanden im Haus der Jugend statt und waren dann zeitlich begrenzt, da diese Einrichtung um 21 Uhr schließt.

Im Verlauf des ersten Jahres entstanden konkrete Teilnahmeregeln, hier einigten wir uns im Sinne der „Fundis“: Es gab und es gibt keine festgelegten hierarchischen Positionen, sondern alle „Beschlüsse“ legt die Gruppe fest, in der sie auch überarbeitet, verworfen, erneut diskutiert und beschlossen werden, also eine echte Basisdemokratie.

Auch viele (der noch wenigen) Mitglieder des TTHs hatten durchaus politische Motive: Tauschringe stellen ein

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alternatives Wirtschaften vor und praktizieren es im kleinen Rahmen. Sie bilden dadurch ein Gegengewicht zur etablierten Gesellschaft, von der viele den Eindruck haben, dass sie die Reichen reicher und die Armen ärmer macht.

Ein Grund für die „Realos“ sich am TTH zu beteiligen war natürlich der finanzielle Aspekt des Tauschens: es kostet kein Geld. Nicht nur Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger sind betroffen, sondern auch Familien mit kleinem Einkommen, Studierende, Rentner usw. So spart man einerseits Geld und kann andererseits die freie Zeit sinnvoll mit Dingen verbringen, die man kann und die man gerne tut.

Ein weiterer Grund – nicht messerscharf vom finanziellen Aspekt zu trennen – war die Erhöhung der Lebensqualität. Zum Glück sind die Menschen sehr unterschiedlich und einige tun gerne, was andere „hassen“. So können unliebsame Aufgaben abgegeben und das getan werden, an dem man wirklich Spaß hat.

Ohne dass es von Anfang an geplant war ergab sich auch der ökologische Aspekt beim Tauschen: reparierte Elektrogeräte und z.B. Fahrräder können weiter verwendet werden und ersparen den Kauf eines neuen Produkts und die Entsorgung des kaputten.

Und schließlich ergaben sich durch einen Tauschring, an dem man sich aktiv beteiligt, eine Vielzahl von Kontakten, ein direkter Anknüpfungspunkt, auf andere Menschen zuzugehen.

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Cola – no,

Phanta – si.

Graffitto

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Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen ... Das Tauschgeschäft lief recht langsam an. Die ersten

Tausche fanden unter Personen statt, die sich durch die Treffen kannten (erster Tausch: 25. Mai 1995, Conni bügelte für Heike und bekam dafür 20 Talente auf ihrem Konto gutgeschrieben, die Heike nun im Minus war).

Denn am Anfang gab es doch einige Unsicherheiten: Wird es den TTH in zwei Wochen oder Monaten noch geben? Kann ich den anderen vertrauen? Wie soll ich den Preis verhandeln? Was passiert, wenn ich immer mehr Minus auf meinem Konto habe? Und schließlich: Was tun, wenn jemand seit Monaten Angebote im Talent-Zirkel hat, und niemand hat angerufen?

Nun, den TTH gibt es immer noch, und viele haben durch die positiven Erfahrungen gelernt, den anderen zu vertrauen. Auf den Treffen kann man Unterstützung und Anregungen zum Talente-Verdienen erhalten – aber ohne die eigene Nachfrage und Initiative läuft auch beim Tauschen nicht viel. Als Lösung für die Preisgestaltung wurde auf hartnäckiges Nachfragen eine Orientierung von 15 bis 20 Talenten pro Stunde vorgegeben und das Konto darf bis zu 400 Talenten überzogen werden, danach ist die Zustimmung der Mitgliederversammlung erforderlich.

Schon ein bisschen Erfahrung mit dem Tauschen löste also viele dieser Unsicherheiten. Wer sein Konto mal kräftig überzogen hat, lernt, dass allein schon durch die Kontakte

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beim Tauschen neue Möglichkeiten entstehen, auf die man vorher gar nicht gekommen ist – solange man aktiv ist und bleibt.

Tu Gutes und sprich darüber

Der TTH musste sich, auch wenn das nicht von vornherein allen wichtig erschien, in Hannover bekannt machen. Anzeigen gaben wir nur dort auf, wo sie kostenlos gedruckt wurden, eine eher bescheidene Auswahl. Als besserer Weg erwies sich die Berichterstattung durch hannoversche Zeitungen und Zeitschriften. Die Erfahrung zeigte, dass ein Artikel nichts nützt; erst durch die Wiederholung wurden die Menschen auf uns aufmerksam.

Daneben erstellte der TTH Informationsblätter und legte sie in Bibliotheken und Veranstaltungszentren aus, präsen-tierte sich auf Informationsständen und hielt Vorträge.

Als ein Glücksfall erwies sich das Interesse der NDR-Sendung „Hallo Niedersachsen“, wo der TTH sich im Februar 1996 mit gefilmter Tauschaktivität und einem Studiointerview vorstellen konnte.

Die positive Präsentation in den Medien verfehlte ihre Wirkung nicht: der TTH wurde bekannter, vertrauter und folglich kamen immer mehr neue Mitglieder hinzu.

Ein Ende ist nicht abzusehen Der TTH ist für viele Mitglieder zu einer Institution geworden, die unbürokratisch und menschlich genutzt wird

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und in der man sich auf verschiedenen Arten einbringen kann. Nicht allein die Tauschgeschäfte gehören dazu, sondern auch die Präsentation auf Informationsständen, die Organisation von Festen und natürlich die eher unsichtbaren Arbeiten für die immer umfangreichere Kontoführung, das Einstellen der Anzeigen in den Talent-Zirkel usw. Sicherlich wirkt heute einiges „professioneller“ als am Anfang, und klare Strukturen haben das Chaos abgelöst. Aber sie sind nicht zu starren Formen mutiert und jede und jeder „Neue“ kann seine Ideen einbringen und für ihre Umsetzung arbeiten.

Ein sicherlich sehr positiver Aspekt ist der minimale finanzielle Anspruch des TTH. Auch nach 10 Jahren kommen wir noch mit einem Mitgliedsbeitrag von 10,- Euro pro Jahr aus und können damit alle Kosten decken. Denn das Geld setzt nach wie vor keine Priorität im Handel mit Talenten.

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Michael Boeken © Beim Talente tauschen sich berauschen Biete Schnuppertauchen- Wer hilft Akten mir sortieren? Wer kann Katzenkorb gebrauchen Wer kann umgeh’n gut mit Tieren, Wenn ich mal im Urlaub bin Und brauch ich Schlafsack und ein Zelt, geh’ ich zu uns’rem Tauschtreff hin, Dort krieg ich alles ohne bares Geld

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Biete an: Seidenmalereien, z. B. Glückwunschkarten

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Anzeigen – Typisches und Kurioses (Illustrationen von Gisela Meier)

Zimmerpflanze 2,5 m hoch, wächst noch.

Zu verschenken.

Ob Mecki, Glatze, Langhaardackel Ich frisiere jeden Lack`l.

Ich kleb dir eine! Soll die Tapete an die Wand, dann komm ich angerannt.

“Küss mich”, sagte der Fön, ich bin ein “verwunschener Prinz”. Repariere Elektrogeräte.

...stehen dir mit Rat und Tat zur Verfügung.

Nehme Katzen in liebevolle Pflege.

Papier zerknüllt? Schleife sitzt schief? Ich packe eure Geschenke ein. Egal, ob Glitzer, klassisch oder öko-ästhetisch.

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Cordula Molthan Neue Möglichkeiten

Die Idee hat mich fasziniert. Ich wollte den Tauschring

nur ideell unterstützen. Doch schneller als gedacht bin ich praktisch eingestiegen, da ich ein Angebot nutzen konnte. Recht schnell ergaben sich daraus auch meine eigenen Angebote. Heute nach vielen Jahren bin ich sehr dankbar, diese Möglichkeit genutzt und auch mitgestaltet zu haben. Über den Tauschring habe ich stabile Freundschaften aufgebaut und andauernde, wenn auch teilweise nur gelegentliche Kontakte. Menschen, die bei uns mitmachen wollen, sollten Geduld, Flexibilität, Kreativität und Engagement mitbringen.

Engagement: Die Kontakte ergeben sich nicht von selbst. Ich muss tätig werden, wenn ich ein Angebot nutzen oder anbieten will. Wenn ich zu Hause sitze und warte, dass sich die anderen melden, kann ich manchmal lange warten. Die direkten Kontakte über den monatlichen Treffpunkt, den Mittwochstreff oder die jahreszeitlichen Begegnungen können zum Bekanntheitsgrad beitragen.

Kreativität: Wenn meine Angebote nicht in der Form angenommen werden, höre ich welche Anfragen es gibt und kann mich bei der einen oder anderen Anfrage mit nützlich machen. Natürlich hat alles seine Grenzen: einen 12Tonner werde auch ich nicht fahren.

Flexibilität: Erfolg habe ich dadurch, dass ich mich auf andere einstellen kann, auch mal dann arbeite, wenn es mir

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eigentlich nicht so gut passt, die anfragende Seite aber an Termine gebunden ist. Dies macht sich dahingehend bezahlt, dass auch ich Unterstützung erhalte, wenn es anderen mal nicht so gut passt. Nach einem langen Umzugstag waren einige TauschringerInnen gekommen, um den Wagen zu entladen und wir waren in nicht mal einer Stunde fertig. Bei einigen hatte ich nur auf Band gesprochen und es hat wunderbar geklappt.

Geduld: Manchmal dauert es einige Zeit, bis ein Angebot angenommen wird. Aber ich gebe nicht so schnell auf. Geduld ist auch gefragt bei der Arbeit an einer Tauschmöglichkeit. Seit ich bei einem Umzug einmal vor nicht gepackten Kartons stand und wir jede Socke einzeln zum Wagen tragen sollten biete ich auch die Vorbereitung des Umzuges an. Beide Seiten sollten halt bedenken, dass nicht immer Professionelle den Tausch anbieten oder nutzen.

Wenn es zu Unstimmigkeiten kommt, kann gut die

Möglichkeit der Schlichtung genutzt werden. Dafür ist allerdings Transparenz und Ehrlichkeit nötig. Und was vorher vereinbart wurde, ist besser einzuhalten, als wenn es erst in der Situation oder gar erst im Nachhinein versucht wird zu regeln.

Mein Resümee in der Tauschringarbeit: Gut geklärt ist halb gewonnen und Ehrlichkeit bringt alle weiter.

Ich habe wunderbare Menschen, die ich immer wieder gern um Mithilfe bei meinen Angeboten bitte. Da aber nicht

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alle für diese Arbeiten einzusetzen sind, frage ich auch nicht alle. Bei einem Umzug werden auch Menschen benötigt, die nicht schwer tragen können, aber dafür praktisch denken können, fit sind, die Stehlampe zum Wagen zu tragen, was uns Schwertragende dann entlasten kann oder im Vorfeld das gute Porzellan einwickeln.

Ich würde immer wieder in den Tauschring einsteigen. Dadurch kann ich sagen: Meine Masseurin, meine Gold-schmiedin, meine Ernährungsberaterin, meine Bäckerin, ...

„Wie kann ich mit einem Lieferanten abliefern, der seine ganzen Nahrungsmittel von einem anderen

Bauern bezieht?” „Ganz leicht. Sagen wir, ein Klempner liefert ihnen die Milchkannen. Er will aber

dafür keine landwirtschaftlichen Produkte haben ... Aber der Schneider, der dem Klempner die An-

züge näht oder der Schuster haben dem Klempner ein paar Obs aufgeladen, die er von sich aus

nicht abtragen kann ... Sobald ihre Farm etwas abwirft, beliefern sie den Schuster und den Schnei-

der mit Lebensmitteln und tragen damit zugleich ihre Schulden und die des Klempners ab.”

Eric Frank Russel „And Then There Were None”, eine SF-Geschichte aus dem Jahre 1951

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Gertrud Kreuter

Tauschring – eine Zukunftsidee und schon Wirklichkeit

Wir können uns gerade noch an die bestehenden

Netzwerke nachbarschaftlicher und verwandtschaftlicher Hilfe erinnern. Glücklich, wer noch das alte Netzwerk hat, die Freundin oder den Freund in der Not. Das soziale Netz ist nicht mehr so langlebig wie früher.

Und noch etwas: das Geld wird immer mehr von unten nach oben verteilt. Wir in der Mitte müssen feststellen, dass Leistung nicht mehr entsprechend bezahlt wird – wenn überhaupt – und dass der Lebensabend nicht mehr ein gesicherter ist.

Und noch etwas: wo sind die „heilen” Familien, die „glücklichen” Ehepaare und Rentnerpaare? Wir leben in einer Single-Gesellschaft, in der das Telefon „der beste Freund” ist. Die nicht mehr spaßige „Spaß-Gesellschaft” bietet „Spaß” gegen Geld – darauf können wir auch verzichten.

Unsere Talente könnten auch ausgebaut werden zu einer regionalen Währung ... Auch könnte eine Verbindung hergestellt werden zu der auch schon in Deutschland umgesetzten Idee des Mikro-Kredit-Systems, in welchem ausgeschlossen wird, dass die Banken an unserem gelegentlichen Geldmangel verdienen.

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- 16 - Wie gut, dass der Talente Tauschring erfunden wurde!

Meine Tausch-Erfahrungen Anfangs war nur meine Hilfe im Garten nachgefragt –

eine schöne Erfahrung, weil es auch allen Spaß machte. Für meine Hauptangebote gab es keinen Bedarf: Gesprächshilfe, Sprachtraining, Musikunterricht und ähnliches rangieren offenbar im Bereich „Luxus”. Also war ich flexibel: praktische Arbeiten wie Aufräumen und Saubermachen wurden gebraucht. Zufällig und spontan rutschte ich in ein Umzugsteam, in dem ich die besten Seiten der Tauschring-Idee erfahren durfte: Hand-in-Hand arbeiten, mit Freude am gemeinsamen Vorhaben, mit Spaß am praktischen Tun, mit der Befriedigung über ein gelungenes Werk. Darüber hinaus zu merken, welche Erleichterung es für die „umziehende” Person ist, einen ganzen Pulk von hilfreichen Geistern um sich zu wissen und sogar ein tröstliches Wort oder eine Umarmung zu erhalten, wenn der Abschied zu weh tat ... Teamarbeit kann so wohltuend sein! Ich erfahre Lust an praktischer Arbeit ... zum Ausgleich zur Schreibtischtäterschaft.

Wann ist der Tauschring geeignet?

Für alltägliche Arbeiten, die besser zu zweit als allein gemacht werden und wo die Person, die Talente erhält,etwas eben wirklich besser kann als man selbst.

Wenn die sozialen Kontakte neben der Arbeit auch sehr wichtig sind!!!

Die tendenziell „wertlosere”

Ressource „Zeit” wird immer

reichlicher verfügbar, der

Zugriff auf die immer „wohl-

fahrtsrelevantere” Ressource

„Geld” wird für wachsende

Teile der Bevölkerung

zunehmend problematisch

und prekär.

Claus Offe und Rolf G. Heinze, „Organisierte

Eigenarbeit. Das Modell Kooperationsring“ (1990)

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Er ist nicht so gut, wenn man einen vollen Terminkalender hat, und keine Kraft für das Hin und Her hat, wenn die Hilfe wirklich professionell sein soll und zu viel erklärt werden muss.

Zwei Schwierigkeiten 1. Die Bewertungsfrage

Ist nicht Arbeitsstunde gleich Arbeitsstunde? Warum sind Tätigkeiten unterschiedlich wert? Sind wir unterschiedlich viel wert? Wie wird Arbeit im eigenen Beruf bewertet? Wie ist es, wenn andere die gleiche Arbeit hobbymäßig anbieten? ... 2. Absprachen

... sind zum Teil mühsam, vor allem die Erstabsprachen ...

Ein Wunsch:

Immer wieder sollte auch an der Verbesserung der monatlichen Sitzungen „gebastelt” werden, damit sie möglichst lebendig bleiben. Gelegentliche Brainstorm-Treffen und die Verlagerung von Einzelthemen in kleine Arbeitsgruppen wären sinnvolle Ergänzungen.

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Ulrich Schalow

Holzhackergeschichten

Wegen meines bandscheibengeschädigten Rückens sitze

ich im Winter gern am warmen Kachelofen. Dafür braucht es allerdings eine Menge Brennholz, die kleinzuhacken ich aus gegebenen Gründen nicht in der Lage bin. Also muss ein kräftiger Tauschringer her! Den richtigen hatte ich bald gefunden, Thorsten, den sanften Riesen. Die Axt war geschärft und mit einem neuen Stiel versehen, als ich Thorsten in seine Arbeit einwies. Es dauerte keine halbe Stunde, als er zu mir kam und mir berichtete, dass er mit einem kräftigen Schlag den Axtstiel zerbrochen hatte! Er bot mir an, diesen zu ersetzen, aber ich sollte ihn bitte selbst besorgen. War meine eigene Schuld: Warum musste ich auch den billigsten Stiel im Baumarkt kaufen, also habe ich natürlich einen neuen, besseren auf eigene Kosten gekauft.

Am nächsten Wochenende ging das Holzhacken dann gleich wesentlich besser und ich hatte Mühe, die Mengen, die Thorsten zerhackt hatte, wegzustapeln. Gegen Abend brauchte ich eine Pause, Thorsten aber wollte noch ein wenig weiterhacken. Nach 10 Minuten kam er reumütig zu mir und meinte, ich bräuchte wohl eine neue Axt! Er hatte mit all seiner Kraft und mit Hilfe eines Hammers die Axt soweit in ein widerspenstiges Stück Holz getrieben, dass sie nicht mehr rauszukriegen war. Nach allen gemeinsamen

Der Herd ist kalt,

das Brennholz all verbrannt;

zerbrochen ist mein Beil,

mit meinem Trauten wandert

das andre durch den Wald.

...

Dehmel

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Versuchen und der Beteuerung, dass es nicht seine Schuld sei, habe ich den Axtstiel dann abgesägt und das Metall in dem Stamm belassen. Schließlich besteht auch ein Axtstiel aus Holz, den man verfeuern kann. Das Stück Holz mit der Axtklinge drin habe ich übrigens heute noch.

Jahre später habe ich auf einer Mitgliederversammlung

mal wieder verlauten lassen, dass ich jemandem zum Holzhacken bräuchte. Es meldete sich eine junge Frau, die noch nicht lange Mitglied im TTH war, Anja. Am folgenden Samstag kam sie dann zu uns. Bei der Einweisung kamen ihr die ersten Zweifel: Die Holzklötze seien ja ziemlich groß, bei ihren Eltern hätte sie nur Kleinholz gehackt ... Ich zeigte ihr ein paar Tricks und meinte, sie würde es schon schaffen.

Ich hatte anderes zu tun. Gegen Mittag kam Matthias, ein anderes TTH Mitglied, um Fahrradteile abzuholen, die ich angeboten hatte. Wir gingen erst mal in den Garten, wo Anja sich verzweifelt bemühte, die großen Klötze kleinzuhacken. Matthias erfasste die Situation, nahm ihr die Axt weg und meinte, dass wäre jetzt genau der Ausgleich, den er zu seiner Studienarbeit bräuchte. Er blieb den ganzen Nachmittag und arbeitete wie ein Besessener! Anja, zwar erleichtert, aber nun arbeitslos, bekam die Aufgabe, das Kleinholz wegzustapeln. Matthias erhielt natürlich seine Fahrradteile umsonst.

Foto: Ulrich Schalow

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- 20 - Pinnwand

(Abbildung links) Ich bin körperbehindert, brauche dringend jemand, der für mich kocht und putzt. Es kam jemand und im Gegenzug massierte ich dessen Freund, der dies als Weihnachtsgeschenk bekommen hatte. Bei der Entrümpelung meiner Wohnung tauschte ich einiges beim TTH-Flohmarkt. Backe in Ruhe zu Hause meinen Vollkorn-Zwiebelkuchen und verkaufe ihn gegen Talente bei der Mitgliederversammlung. Vera

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Foto: Ulrich Schalow

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Kirstin Stegemann Kleine Wurmgeschichte

Elena ging die Treppe herunter. Wie immer war sie spät

dran. Kaum dass sie den Behälter aufmachte, kam ihr ein Schwall von Fliegen entgegen. „Igitt“ dachte sie. Irgendwie muss es auch mit der Biotonne anders gehen. Immer und immer wieder ging ihr das mit der Biotonne durch den Kopf. Eines der Probleme war, dass sie in einer Mietwohnung lebte und daher ein eigener Kompost wohl kaum durch zusetzten wäre. Das andere Problem lag in dem Kompost selbst begründet. Der Kompost würde wohl sehr viel Zeit in Anspruch nehmen, Zeit, die sie nicht hatte. Zumindest glaubte sie das.

Inzwischen waren ein paar Monate ins Land gezogen. Elena hatte sich einen Komposter (160l) und ein paar Kompostwürmer angeschafft. Allerdings dauerte der Prozess „Biomasse zu Humus“ trotz einem Thermokomposter und der Kompostwürmer etwas länger als sie dachte. So musste ein zweiter Komposter (160l) her. Nachdem der erste Komposter nicht mehr befüllt wurde, sackte die Masse nach und nach ein. Nach zwei Monaten konnte Elena den Humus aussieben und verwenden.

Von den ursprünglichen 160l Biomasse konnte Elena am Ende der Rotte ca. 120l als Humus verwenden. Aber soviel Humus, was sollte sie damit machen?

Da kam ihr die Idee, den Humus gegen Talente zu tauschen. Super Idee, nur war der Bedarf nicht hoch, bzw.

Zeichnung: Heike Meiners

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keiner wollte ihren selbsterzeugten Humus haben. War sie zu teuer? Oder sollte sie mehr Werbung machen, den Humus in abgefüllte 1-Liter Beutel mit zu der Mitgliederversammlung oder zum Tauschcafe-Termin bringen?

Wenn der Humus in geschlossenen Beuteln ohne Luft aufbewahrt wird, dann sterben ja alle darin enthaltenen Organismen. Wie furchtbar. Nee, dann lieber in einem offenen Behälter den Humus abgeben. „Diese Art von Behälter habe ich mal bei Tupper gesehen“, dachte sie. Ok, gekauft und ausprobiert.

Aber sollte sie jetzt für die potenziellen Humusabnehmer (die sich nach wie vor in ihrem Tauschverhalten sehr zurückhielten) dieses Gefäß kaufen?

Und was war, wenn die Humusabnehmer diese Dose am Ende gar nicht behalten und somit bezahlen wollten?

Die Idee, den Humus gegen Talente abzugeben, fand

Elena nach wie vor gut. Viele der Tauschmitglieder zeigten jedoch kein sehr großes Interesse für fertigen Humus. Dabei kam Ihr die Idee, Ihr Wissen über Kompost und dessen Zusammensetzung im Talentzirkel anzubieten. Die Anzeige im Talentzirkel setzte Sie sofort um. Aber irgendwie wollte auch diese Maßnahme nicht so recht fruchten. Elena fand allmählich, dass es scheinbar keinen Sinn machte, diese Art von Dienstleistung im Tauschring anzubieten. Was war der Grund, dass niemand Sie anrief?

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„Vielleicht liegt es daran, dass mich niemand persönlich kennt“, dachte Elena. „Woher sollen die Tauschringmit-glieder wissen, dass sie sich auf mich verlassen können.”

Bei Durchsicht des Talentzirkels fiel Ihr die Vorankündigung für das alljährlich stattfindende Sommerfest auf. Nachdem Elena diese Bekanntmachung gelesen hatte, dachte Sie, dass es Sinn machen könnte, eine solche Gelegenheit für persönliche Kontakte wahrzunehmen.

Am Ende des Sommerfestes hatte Elena viel Spaß

gehabt und ging mit mehreren Anfragen zum Thema Kompost nach Hause. Bei allen Anfragen benötigten die Talentmitglieder Unterstützung bei der Umsetzung und Bearbeitung ihrer Mieten.

Bereits bei der ersten Auftragsarbeit konnte Sie Ihre Erfahrung über geschlossen Kompostbehälter weitergeben. Souverän beantwortete Elena die Fragen nach den Vorteilen eines geschlossenen Komposter. Zum Beispiel, dass der Aufwand für den Gartenbesitzer sich deutlich verringert, da das Umsetzten des Kompostes entfällt. Mikroorganismen, Bakterien, Pilze und Kompostwürmer haben ein optimales Umfeld (feucht und warm), um innerhalb kürzester Zeit die Materialien umzusetzen und nach 6-8 Wochen steht fertiger Humus dem Gartenbesitzer zur Verfügung.

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„A Story from Scotland“ - ein Nachtrag von Rolf Schröder

Auch in anderen Tauschringen gibt es Erfahrungen mit wurmproduziertem Dünger. So wird in

einem Hörspiel der BBC die Geschichte von Joe erzählt, der dieses Produkt recht erfolgreich in

einem schottischen Tauschring, einem LETS, anbietet. Joe arbeitet mit chinesischen Würmern, die

besondere Feinschmecker sind. So ist er sehr froh, dass er eines Tages von Maggie den Auftrag

erhält, ihre Hecke zu scheren. Noch am gleichen Abend kommt Joe, um den Auftrag auszuführen.

Gerade diese Heckenart liefert seinen exotischen Viechern die dringend benötigte Nahrung ... Und

wenn sie nicht gestorben sind, dann misten sie noch heute.

„The Trading Game“, Hörspiel von Lorraine McCann, BBC 2004

Aufgrund Elenas Beratung wurde noch am gleichen Tag ein geschlossener Thermokomposter gekauft und die Umsetzung einer der Kompostmieten erfolgte in den geschlossenen Thermokomposter. Am Ende konnte Elena den beiden Mitgliedern des Tauschrings noch einen selbstgemachten Kompoststarter als Tipp mit auf den Kompostweg geben. Nach fünf Stunden Arbeit hatte Elena Ihren Auftrag ausgeführt und erhielt, zusätzlich zu den vereinbarten Talenten, ein sattes Abendbrot. „Das hat sich ja richtig gelohnt,” dachte Elena und ging mit ihren ersten Talenten (in Form eines Buchungsbeleges) nach Hause. „So könnte es weitergehen.”

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Roland Balzer Die Wohnungsdiät Damit ist nicht eine neue unfehlbare und ganz einfache Diät gemeint, bei der man sechs Wochen die Wohnung nicht verlässt, dadurch nicht einkaufen kann und so mühelos mindestens fünf Kilo abnimmt. Nein, es ist die Wohnung, die abspeckt. Die Diät (griechisch etwa Lebensweise, Lebenshaltung) besteht darin, dass man die Gegenstände der Wohnung auf Krempelverdacht überprüft und sortiert. Geordnet wird nach: - Persönlichen Schätzen - Dingen für einen anderen Ort - Verwertbarem - Reinigung und Reparatur - Recycling und Müll. Da ich gerade einen Büroumzug hinter mir habe und dabei bin, einen Boden zu sortieren, habe ich mir nach einem Radiobeitrag von Deutschlandradio Berlin das Buch zugelegt. Neben einer für meinen Geschmack zu langen Einleitung und vielen in meinem Fall unnötigen Motivierungen enthält es sehr brauchbare Tipps und gute Erklärungen woher der ganze Kram kommt und was er mit einem tut. Das Buch ist praktisch und systematisch aufgebaut. Es folgt dem Motto: „Lasst uns arbeiten ohne zu grübeln. Das ist das einzige Mittel, das Leben erträglicher zu machen.“ (Voltaire, französischer Philosoph) Gut gefällt mir die Methode, alles zunächst in Kisten zu sortieren. Darunter ist auch ein Kiste mit der Bezeichnung „Un-klar“, die verhindert, dass man mit einem Gegenstand grübelnd in der Hand steht wie Hamlet im Theater. Für mich

Page 29: Tauschring Hannover

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habe ich noch die Kiste „Bastelmaterial“ dazuerfunden und Briefe & Fotos unter „Schätzen“ separiert. Am Ende, nach vielen Stunden und Gegenständen (3000 soll laut Buch ein heutiger Student besitzen, meine Studienzeit ist 20 Jahre her) kann man dann die Kiste „Verwerten“ in den Tauschring mitnehmen und sich dort eine Massage nach der anstrengenden Sortierarbeit eintauschen. Das ist ein guter Beginn für ein neues Leben – die Postkrempelepoche.

Plastik von János Nádasdy – entstand

aus Gegenständen, die aus der Leine

gesammelt wurden.

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Renate Marcus Einfach unbezahlbar Talent um Talent, du musst wandern, von dem einen hin zur anderen. 10 Jahr gilts im Tauschring Hannover zu tauschen, sich gegenseitig zu helfen und nett zu plauschen. Der eine guckt nach dem Rechten und mäht des andern Rasen, füllt einem Urlaubsfernen auch noch die heimischen Vasen. Wer umzieht kennt die Sehnsucht nach Heinzelmännern oder Elfen, in Hannover kommen wirklich Tauschringleute, die dann helfen. Tausche alte Kaffeemaschine und das eine oder andre Kinderbuch; Hilfe: Wer fasst an beim Schrank Hochtragen? Das ist mein Gesuch!

Anonyme Nachbarn, brachliegende Hobbies, euroknappe Lebenszeiten, der Tauschring, ein Marktplatz für Talententdecker, schafft Gelegenheiten. Und deshalb ist es wirklich wahr: Hilfe dieser Art ist unbezahlbar!

- 28 -

Foto: Cordula Molthan

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Zahlen Zahlen Zahlen

0

50

100

150

200

250

300

Mai

95

Ende

95

1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005

Mitgliederentwicklung

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Im Jahre 2004 sind 31.634 Talente „über den Tresen gegangen“ - so Renate Marcus zu den Tauschtransaktionen der Mitglieder. Nicht eingeschlossen ist dabei das Gemeinschaftskonto. Die separat ausgewiesenen „Ausgaben für die Gemeinschaft“ zeigen, dass in diesem Jahr sehr sparsam gewirtschaftet wurde.

0

1000

2000

3000

4000

5000

6000

Jan. Feb. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez.

Umsatz Tausche Ausgaben für Gemeinschaft

Page 33: Tauschring Hannover

- 31 -

148

90

81

53

34

33

31

30

26

26

26

23

20

17

12

10

10

7

6

6

8

0 20 40 60 80 100 120 140 160

Kulinarisches

Tatkräftige Unterstützung

Beautyshop

Haus & Hof

Schreib- & Lesekram

Computer

Gesundheit & Körper

Fahrrad

Künstlerisches

Das spezielle Angebot

Transport

Lernen & Lehren

Info

Gartenzwerge

Musik

Textilien

Foto/Video/TV/HiFi

Nachwuchs

Viechereien

Verleih

sonstiges

Im Jahre 2001 wurden im Tauschring ebenfalls ca. 30.000 Talente umgesetzt. Etwa siebenhundert mal wurde in diesem Jahr getauscht. Ute Schenke hatte damals eine Aufteilung dieser Transaktionen nach Rubriken vorgenommen.

Page 34: Tauschring Hannover

Elke Fahl

Der Tropfen auf dem heißen Stein Ein Tropfen sprach zum heißen Stein: „Wenn ich gleich auf dir sitze, dann wünsch’ ich mir, ich spritze.” Da sprach der Stein, obwohl recht klein: „Das lässt mich kalt, doch setz dich halt.” Kaum fiel der Tropfen, kam der Rausch von diesem Temp’raturaustausch. Der Stein verlor an Hitze, der Tropfen schrie: „Ich spritze!” Und die Moral von der Geschicht’? Sag vorher nie: „Das bringt’s doch nicht.”

- 32 -

Zeichnung: Ulrich Schalow

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Ursel Stenkamp Fünf Freunde und der Schimmel des Grauens

Es war einmal ein Tauschring, ein Talente Tauschring, der wuchs und gedieh prächtig. Dort entfaltete sich ein ganz besonderes Völkchen. Zu diesem Völkchen gehörten auch die Fünf Freunde: Hanni und Nanni, das tapfere Schneiderlein, Bob der Baumeister und Schneewittchen. Eines Tages, Bob der Baumeister walzte gerade die Druckplatten für den Talentzirkel platt, suchten Hanni und Nanni in der Internatsküche nach Essbarem. Sie staunten nicht schlecht, als sie im Kühlschrank sieben frisch erlegte Fliegen fanden. Daneben lag ein brauner, angebissener Apfel, der mit Gewürzgürkchen der Marke Sieben Zwerge auf’s Unappetitlichste garniert war. „Iiih, wie eklig“ stöhnten die beiden Mädchen „wer will denn so was noch essen?“ und mit einem dumpfen „plopp“ flog die Kühlschranktür wieder zu. Hanni und Nanni stürzten zu Schneewittchen, die munter mit dem tapferen Schneiderlein

Ameiseneier, gebraten in Butter,

Essen wir täglich, auch Würmchengemüs',

Und später erb ich von meiner Frau Mutter

Drei Nonnenfürzchen, die schmecken so süß.

Heinrich Heine, Kleines Volk, Romanzero

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flirtete, und frechweg beschwörten beide, dass sie nie und nimmer zu so einer Schandtat fähig seien. Schneewittchen ergänzte, sie sei nicht nachtragend, auch habe sie selbst Hunger und von ihrer lieben Stiefmutter habe sie einen guten Rat, wie aus kümmerlichen Kühlschrankresten ein zauberhaftes Mahl zubereitet werden könne. Frisch gewagt ist halb gewonnen und so legte sie sich mit viel gutem Willen ins Zeug. Die Freunde standen um Schneewittchen herum und erkannten ihr aufrichtiges Bemühen. Allein, um aus sieben Fliegen, einem angebissenen Apfel und Gewürzgürkchen eine genießbare Mahlzeit herzustellen, bedarf es wahrer Zauberkraft und nicht nur stiefmütterliche Ratschläge. Vergebens warteten die Freunde auf Wohlgerüche, Augenschmaus und Leckerei, trotz Hunger wollten sie bei Tisch nicht zulangen. „Was ist hier denn für eine trübe Tassen Stimmung?“ bullerte Bob der Baumeister, er kam freudestrahlend mit den neuen Talentzirkeln zur Tür herein und wunderte sich über seine missgelaunten Freunde. Aber ein Blick auf den gedeckten Tisch genügte und er verstand sie. Er zögerte nur kurz, dann stellte er fest: „Was ein echter Baumeister ist, der weiß sich auch in schwierigen Situationen zu helfen. Papperlapapp und Schnirkelschnurz, ohne Stiefmutter und Zauberwurz.“ Flugs holte er den Talentzirkel hervor, blätterte bis zur Rubrik „Kulinarisches“ und dort fand er sie, die Anzeige: „Begeisterte und gute Hobbyköchin freut sich, wenn bis zu fünf Personen mitschlemmen möchten. Termin nach Absprache, Unkostenbeteiligung und / oder TT nach Vereinbarung.

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Geplantes Menü: Kräuterrolle auf Salatblättern / Zucchinicremesuppe / Mariniertes Lamm in Himbeer-Orangen-Sauce / Mangogratin“. Kaum hörten die Freunde, was der Talente Tauschring Hannover zu bieten hat, hellten sich ihre Mienen auf. Schnell waren sie sich einig, ein Menü dieser Hobbyköchin wäre genau das Richtige. Ein kurzer Anruf und zwei Stunden später saßen sie am gedeckten Tisch. Die Hobbyköchin konnte nämlich nicht nur Schlemmermenüs, sondern auch aus wenigen Zutaten unkom-plizierte Gerichte zaubern. Hanni und Nanni, das tapfere Schneiderlein, Bob der Bau-meister und Schneewittchen aber waren glücklich und zufrieden und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Relief am Portal der Marktkirche, Hannover

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Regina Kaese Überraschung !!! Wir kommen abends spät von der Arbeit nach Hause. Da steht auf unserer Terrasse ein großer Karton: Der nächste Talentzirkel ist fertig. Wann haben wir Zeit? Schnell noch die Verteiler anrufen, ob sie auch diesmal wieder austragen wollen.

Schade nimmt keiner ab. Anrufbeantworter ist auch nicht vorhanden oder eingeschaltet. Morgen wieder versuchen. Am nächsten Abend sitzen wir in unserer Küche und verbringen den Abend damit, Kontoauszüge in die Talentzirkel einzusortieren. Adressaufkleber für den Briefumschlag müssen noch gedruckt werden – der Drucker zieht nicht 100%tig ein – jedes Blatt muss einzeln eingelegt werden. Aber Ulli ist ja geduldig. Jeden Brief 2 x stempeln, Adressaufkleber drauf, Heft eintüten, 250 mal. Die Tauschringe im Umkreis bekommen ein größeres Päckchen. Ach ja, nach Postleitzahlen müssen die Briefe auch noch sortiert werden. Und ein Verteiler hat gerade abgesagt, wer übernimmt die jetzt ? Wieder umsortieren. Nächster Schritt: Die Briefe zur Post bringen, wieder die Verteiler anrufen – so was dummes, 3 Leute immer noch nicht erreicht, wird das mit denen noch klappen??? Naja, erst mal

Foto: Ulrich Schalow

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mit den anderen Termine zum Abholen der fertigen Zirkel ausmachen – warten. Gott sei dank, viele Jahre haben wir das so jedes Quartal wieder überlebt, jetzt hat diese Aufgabe Lucie übernommen und darüber sind wir ganz schön froh!!!

Ich gebe und gebe und,

darüber hinaus, höre dumme

Kommentare zur

Organisation wie sie sein

sollte, zu steuerlichen

Aspekten, zu den Beiträgen,

zu ... Mist! Ich will nicht

geben, ich will tauschen!

Tauschring/SEL–Organisator

Robin Hood, „The French LETS Saga“

(Übersetzung – R. S.)

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Rolf Schröder

Der Blick über den Tellerrand Andere Tauschsysteme HISTORISCHE NOTIZEN • 1946 – Gründung der „Ringtauschzentrale“ in der

Heiligerstraße. Waren wurden hier geschätzt und mit dem Warenwert des Jahres 1938 bewertet. Die alte Reichsmark war zwar inzwischen nichts mehr wert, dien-te hier aber noch als Bewertungsmassstab; für eine hier abgesetzte Ware konnte etwas Gleichwertiges aus dem Angebot „ertauscht“ werden. Wie in anderen deutschen Städten boten die Behörden damit eine le-gale Alternative zum Schwarzmarkt.

• 1988 – KUVOG (Kaufen und Verkaufen ohne Geld) mit diesem Schlagwort wurde ein Service angeboten, der in mancherlei Hinsicht den späteren Tauschringen ähnelte.

• 1993 – Anfang der neunziger Jahre wurden in Deutsch-land die LETS, die „Local Exchange and Trading Sys-tems“ bekannt gemacht, so u. a. durch DER SPIEGEL (42, S. 130): „Eine Idee aus Kanada macht im rezessi-onsgeplagten England Furore: In mehr als 200 Kommu-nen bezahlen Bürger mit Zweitwährungen.“

• 1995 – Tauschringgründung in Hannover.

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TTH-Vertreter

Klaus Marienfeld

beim Bundestreffen

in Karlsruhe, 2000.

Das Foto stammt aus der Dokumentation zu dieser

Veranstaltung.

TAUSCHRINGE IN DER REGION Das Beispiel machte Schule, weitere Tauschringe wurden gegründet. Inzwischen gibt es acht weitere Tauschringe in der Region Hannover. Wenn man den Radius etwas weiter schlägt und Städte wie Hildesheim mit dazuzählt, dann sind es über zwölf derartige Einrichtungen. Gegenwärtig entsteht ein neuer Tauschring in Barsinghausen. Übrigens: mit den Mitgliedern einiger dieser Tauschringe kann auch getauscht werden. „Unterstellmöglichkeit für Möbel“ – kein Problem, in Wunstorf gibt es hierfür Platz. Das Sprachrohr der Tauschringe in der Region ist die „Tauschwelle“ – ein monatliches Programm im Offenen Kanal von Radio Flora. TAUSCHRINGE IN DEUTSCHLAND In über 300 Systemen dieser Art wird die organisierte Nachbarschaftshilfe praktiziert. Seit 1996 finden alljährlich Bundesstreffen statt, Gelegenheiten zum Erfahrungsaustausch, an denen auch Vertreter des Talente Tauschringes teilnehmen. Diese Veranstaltung ist Teil einer vitalen Infrastruktur, zu der unter anderem das vierteljährlich erscheinende „Tauschmagazin“ gehört sowie der „Ressourcentauschring“, eine bundesweite „Clearing-stelle“, die eine Verrechnung von Tauschtransaktionen mit vielen anderen deutschen Tauschringen ermöglicht.

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LETS bedeutet „Local

Exchange and Trading

System. Es mag auch

bedeuten: „Lets eat together

soon.“ - „Lasst uns

zusammen essen.“

Michael Linton, der Gründer dieser Einrichtungen, nach

deren Vorbild die Tauschringe gegründet

wurden.

GLOBAL DENKEN, LOKAL HANDELN - TAUSCHSYSTEME INTERNATIONAL Weltweit gibt es eine Vielzahl Tauschsysteme, die entsprechend den Bedingungen vor Ort häufig ganz unterschiedlich strukturiert sind. Der Talente Tauschring hat im Verlauf der Jahre immer den Kontakt zu vergleichbaren Einrichtungen in anderen Länder gepflegt: 27.2.1998: In einer Veranstaltung der „Lokalen Agenda“ berichtete Harry Turner über die englischen LETS unter anderem in Hannovers Partnerstadt Bristol. 25.7.2000: Am Rande der Expo traf Elke Fahl Luis Lopezllera, den Vertreter des mexikanischen Tianguis Tlaloc (siehe nachfolgender Bericht). 26.6.2001: Ein besonderer Höhepunkt unserer Veranstaltungen war die eindrucksvolle Schilderung von Mauricio Wild über SINTRAL, ein Tauschsystem, das er in seiner Heimat Ecuador gegründet hatte. Nachdem die Landeswährung abgeschafft und durch den US Dollar ersetzt worden war, gab es dort nicht genügend Kleingeld. So gewann das alternative Zahlungsmittel zunächst für die Indios sowie später für andere ethnische Gruppen des Landes enorme Bedeutung.

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Die „Tauschwelle“, das

Radioprogramm in der

Region Hannover hier

mit Vertretern der

Tauschringe Neustadt-

Wunstorf, Wennigsen

und Hildesheim.

22.3.2002: Zu Gast in Hannover waren Jeff Lawhead und LeGrace Benson, Vertreter von Ithaca Hours. In diesem System aus dem Norden des Staates New York wird nicht mit Buchgeld getauscht, es fließt tatsächlich „cash“. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch die Veranstaltung „Tauschringe und Nachhaltigkeit” – Am 28.4.2004 im Neuen Rathaus mit Sabine Nanning vom Wuppertal Institut sowie Miriam Ewald statt. Kirstin Stegemann schrieb in einem Artikel hierzu: „Durch eine Mitgliedschaft in einem Tauschring kommen andere Werte zum Tragen, die in den meisten Fällen nicht mit Geld zu bewerten (sind).”

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Elke Fahl mit Heidemarie

Wieczorek-Zeul und Luis

Lopezllera

Tauschmarkt in Ecuador

Wir verdanken dieses

Foto von Mauricio Wild

dem Tauschkreis

Vorarlberg.

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Elke Fahl Tlaloc – wir sind nicht allein

„Dear Elke, Greetings from Mexico and thanks for your

e-mail message. ... 2000 is the 5th year for us and we try to jump into a more wider dimension. ... Kind regards. Luis Lopezllera“ schreibt Luis am 22. September 2000 und schickt mir das Foto, das die Ministerin für Entwicklungspolitik, Heidemarie Wieczorek-Zeul, mit Luis und mir zeigt.

Wir haben uns auf der Veranstaltung „Wege aus der Armut“, zu der die EXPO am 25. Juli 2000 einlud, kennen gelernt. Auch Luis organisiert seit 1995 einen Tauschring: in Mexiko. Dort haben er und seine Mitstreiter eine Tauschwährung eingeführt, den Tlaloc, der inzwischen insbesondere für die wirklich arme Bevölkerung eine Möglichkeit bietet, das Überleben zu sichern. In Mexiko werden deutlich mehr Nahrungsmittel, aber auch Dienstleistungen, sogar in Form von ärztlicher Behandlung, getauscht.

Und was hat Frau Wieczorek-Zeul damit zu tun? Sie wollte sich auf dieser Veranstaltung über „Nicht-Regierungsorganisationen“ im In- und Ausland informieren und den VertreterInnen dieser Organisationen zeigen, dass sie von der Bundesregierung unterstützt werden, denn sie fördern, helfen und setzen Ideen unbürokratisch um.

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Rolf Schröder 1995 – 2005 – 2???

Einiges wirkt heute „professioneller“, so schreibt Elke

Fahl ganz richtig in ihrem einleitenden Beitrag. Das bedeu-tet allerdings nicht, dass der Tauschring nur verwaltet wird. Nach den Mühen der Berge in der Pionierzeit haben wir keineswegs die Ebene erreicht, sondern bewegen uns nach wie vor in einer Berg- und Tallandschaft. Auch eine kleine Organisation wie der Talente Tauschring muss reformfähig bleiben.

So hat man in der Anfangszeit wohl nicht erwartet, dass der Vertrauensvorschuss für (Neu)mitglieder gar so häufig missbraucht wird. Hier Regeln zu entwickeln, aber nicht in Überregulierung zu verfallen, bleibt eine Herausforderung. Bislang wurde dieser Spagat recht gut bewältigt – der Ta-lente Tauschring ist eben kein klassischer deutscher Verein, sondern eine recht informelle Assoziation mit kurz gefassten Grundregeln sowie einer monatlichen Mitgliederversamm-lung, in der flexibel auf aktuelle Probleme reagiert wird. Die bunte Mischung, die den Tauschring attraktiv macht, be-deutet eben auch, dass gelegentlich unterschiedliche Grundpositionen aufeinanderprallen.

Gerade in den frühen Jahren verbanden sich sehr unter-schiedliche Hoffnungen mit der Gründung des Tauschringes. Auch heute noch spielt für manche Teilnehmer das Gefühl eine Rolle, Teil einer sozialen Innovation zu sein. Allerdings ist klar geworden, dass aus dem Tauschring keine öko-

Das Perfekt und das Imperfekt

tranken Sekt.

Sie stießen aufs Futurum an

(was man wohl gelten lassen

kann)

Plusquamper und Exaktfutur

blinzten nur.

Christian Morgenstern

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ökonomisch bedeutsame Einrichtung wird. Wer dies will, muss separate Strukturen entwickeln. Nur im Rahmen der privaten Nachbarschaftshilfe lässt sich das generell ge-schätzte „Small is Beautiful“ bewahren. Nur so wird der Tauschring eine autonome Organisation bleiben, die ohne staatliche Zuschüsse auskommt.

Dazu gehört auch, dass der Abstand zwischen „Mit-machern“ und „Machern“ nicht allzu groß wird. Zum Betrieb eines Tauschringes ist ein gewisses Know-how notwendig. Es sei daran erinnert, dass die Entstehung und Verbreitung der Tauschsysteme ganz wesentlich befördert wurde durch neue Informationstechnologien, ein Prozess, der auch in der Zu-kunft den Tauschringen weitere Chancen bietet. Es geht eben nicht ohne Computerwissen. Es geht auch nicht ohne die Kenntnis rechtlicher Rahmenbedingungen oder die Be-achtung elementarer Buchhaltungsgrundsätze. „Oh je!“ mag hier das eine oder andere Mitglied denken, „für mich be-deutet Tauschring das neue Seidentuch von Ruth, das ge-meinsame Essen oder ...“ – viele weitere Beispiele sind in dieser Schrift dokumentiert. Tatsächlich jedoch gehört auch im Tauschring beides zusammen – Kopf und Gefühl, Yin und Yang.

Zeichnung: Rolf Schröder

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Zeichnung: Heike Meiners