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Das offene Büro im Tech Quartier. An jedem Tisch sitzen die Mitarbeiter eines anderen Start-ups. Was kann künstliche Intelligenz (KI)? Journalismus-Studierende der Hoch- schule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Frankfurt fragen Experten aus Wirtschaft und For- schung: Wo und wie kommt KI zum Ein- satz? Worin liegen Chancen und Risi- ken? Die Serie in der FR gibt Antworten – im Rahmen eines Projekts des Wis- senschaftsjahres 2019. WAS KANN KI? STUDIERENDE FRAGEN NACH Der Eingangsbereich des Tech Quartiers am Standort neben der Frankfurter Messe. ANNA STÜCKEL (4) VONBENNETT RAMPELT E in großes, offenes Büro. Schreibtischreihe hinter Schreibtischreihe und an jedem Tisch sitzt ein anderes Tech-Start- up. Zum Telefonieren oder Reden ziehen sich die jungen Mitarbeiter in eine der Nischen zurück und nehmen auf einem Flugzeugsessel Platz – abgeschirmt von schalliso- lierten Glastüren. Wir sind in der Mainmetropole Frankfurt, daran kann kein Zweifel sein. An der „Bembel-Bar“ gibt es in der Pause nicht unbedingt Apfelwein, son- dern eher mal eine Fritz-Kola. Die „Bar“ ist vielmehr eine Küchen- zeile mit Theke, die so cool aus- sieht, wie sie heißt. Daran grenzt das „Waldstadion“ an. Nein, nicht die echte Arena, sondern der Event-Space, in dem – wie der Name schon sagt – Veranstaltun- gen stattfinden. Das Repertoire reicht von „Pitch Events“, bei de- nen junge Gründer ihre Ideen er- fahrenen Investoren präsentieren, bis hin zu regelmäßigen „Mee- tups“ und „Bootcamps“. Hier entsteht also Innovation. Zumindest war das die Intention von CEO Sebastian Schäfer, als er das Tech Quartier 2016 gründete. Und diese Innovation ist, genau wie die Mitarbeiter, vor allem jung, frisch und entsprechend dy- namisch. Nur so konnte es das Tech Quartier schaffen, innerhalb von knapp drei Jahren zum hessi- schen Dreh- und Angelpunkt zu werden für – na ja, für was ei- gentlich? Denn das Tech Quartier stellt nicht einfach nur Start-ups Büroflächen zur Verfügung, in- zwischen an vier Standorten in Frankfurt. Es handelt sich viel- mehr um ein großes Netzwerk. Vernetzt wird jeder, der Lust hat mitzumachen und die unterneh- merischen Voraussetzungen mit- bringt: in erster Linie Start-ups mit Unternehmen, Technologie- firmen und Investoren, aber auch Regierungspartnern und akade- mischen Institutionen. Eben alles, was Teil des Ökosystems ist – ge- meint sind alle relevanten Akteu- re der Start-up-Szene. Rund um den Globus gestaltet man die Zu- kunft in den verschiedensten technologischen Bereichen. Das geschieht über Programme, Pro- jekte und Veranstaltungen, bei de- nen auch immer stärker das The- ma künstliche Intelligenz in den Fokus rückt. Doch das, was heute ist, musste erst mit viel Kraft aufge- baut werden. Einer der ersten Mieter war das Start-up Intelli- gent Data Analytics (IDA). „Als wir im November 2016 einzogen, war das Tech Quartier noch eine Baustelle“, erinnert sich IDA-Ge- schäftsführer Hamedo Ayadi. Zu dieser Zeit sei es noch in der Fin- dungsphase gewesen. „Bis auf die Räume und ein paar Unterneh- men gab es nicht viel. Jeder musste mit anpacken“, sagt Ayadi. Seine Firma habe mitgeholfen, Veranstaltungen zu organisieren, die Community aufzubauen und neue Netzwerke zu bilden. Unter anderem habe sie Workshops zu Deep Learning KI mitgestaltet. Ein Thema, mit dem man sich bei IDA besonders gut auskennt. Moira heißt eine der Lösungen, die IDA seinen Kunden zur Verfü- gung stellt. Der Name kommt aus der griechischen Mythologie. Die Schicksalsgöttin Moira spinnt bei der Geburt den Faden des Lebens und weiß, wie es verläuft. Moira bei IDA ist eine Software-Platt- form, die es schafft, mit Hilfe künstlicher Intelligenz Daten aus den unterschiedlichsten Quellen zu verbinden und somit für ein Unternehmen nutzbar zu ma- chen. In einem aktuellen Projekt soll Moira in Züge der Deutschen Bahn eingebaut werden und diese voll digitalisieren. Ein breitgefä- chertes System an Kameras und Sensoren erhebt Daten aller Art, die Moira nutzt. Zusätzlich wird Moira mit den Datenbanken des Unternehmens verknüpft und kann auf diese Weise zum Bei- spiel das Problem eines Klimaan- lagenausfalls lösen. Denn Klima- anlagen fallen nicht plötzlich aus, sondern es gibt vorher Anzeichen für diese Störung. Mittels Senso- ren an der Anlage erkennt Moira die Systemleistung bei 100 Pro- zent. Fällt der Wert ab, schlägt sie Alarm. Die Verknüpfung mit den Da- ten des Fahrplans lässt erkennen, wo und wie lange der Zug als nächstes hält. Daten der Schicht- pläne der Servicemitarbeiter wie- derum könnten dann automati- siert einen Termin vorschlagen, an dem die Anlage repariert wer- den soll. Ist der Termin akzep- tiert, geht eine Benachrichtigung an die Beteiligten raus. Das Logis- tikzentrum wäre informiert, wel- ches Produkt gebraucht wird, der Servicemitarbeiter wüsste, wann er welche Klimaanlage in wel- chem Zug reparieren soll. Und der Zug kennt ohnehin seine Strecke. Auch Sensoren in den Fahr- gasträumen könnten Moira nütz- lich sein. So liefern Daten vom Druck im Innenraum, der Luft- feuchtigkeit, des Geräuschpegels und von freien Sitzplätzen wert- volle Informationen. Der Passa- gier könnte über eine App sehen, wo ein Platz frei ist, ohne suchend von Abteil zu Abteil gehen zu müssen. Über das Nutzerverhal- ten des Passagiers könnte Moira zudem Sitzplatzvorschläge ma- chen. Angenommen, ein Fahrgast sitzt gerne am Fenster, an wärme- ren Plätzen mit wenig Geräu- schen, würde Moira schon beim Ticketkauf eine entsprechende Empfehlung abgeben. Das könnte also die Zukunft des Bahnfahrens sein. Das IDA- Projekt ist in Zusammenarbeit mit Cisco und SAP entstanden. Derzeit verhandelt das Unterneh- men noch mit der Deutschen Bahn. Und wie so oft, wenn Ent- scheidungen von Kolossen getrof- fen werden sollen, ist es mühse- lig. Denn Kolosse sind vor allem eines: langsam. Das, was trägen Unternehmen fehlt, findet sich im Tech Quartier im Überfluss: Agilität, Spontanei- tät und der Wille zur Verände- rung. Auch deshalb steht Sebasti- an Schäfer seit der Gründung im steten Austausch mit dem Land Hessen, das sich als Taktgeber in Sachen digitale Innovation sehen möchte. Erst Ende vorigen Jahres erarbeitete man ein gemeinsames Konzept, um das Thema künstli- che Intelligenz am Standort Frankfurt voranzutreiben. Im Vorfeld gab es Untersuchungen, die ein enormes Potenzial im Frankfurter Ökosystem für KI di- agnostizierten. Lediglich die Akti- vierung des Potenzials und die strukturierte Verknüpfung tra- gender Akteure fehlte. An diese Stelle tritt nun das Tech Quartier, das in den kommenden Jahren die KI-Initiative antreiben soll. Es stützt sich auf drei primäre Kon- zeptsäulen: Community Building, eine umfassende Datenbank und Fonds. Ersterem hat sich das Tech Quartier bereits ausführlich an- genommen: „Wir haben die Growth Alliance AI als Boot- Camp und ein AI-Event mit der Goethe-Universität veranstaltet, und auch im zweiten Halbjahr 2019 ist eine ganze Serie von AI- Events mit unterschiedlichen In- dustrievertretern geplant“, erklärt Schäfer. Intern sei man jetzt da- bei, das zweite Thema aufzugrei- fen: eine Cloud-basierte Finanz- datenbank. Doch um von hier aus weiter in Richtung Fonds und ge- zielte Unterstützung zu gehen, müsse Kapital fließen. Und dafür müsse auch das Budget, nicht nur aus dem Landes-, sondern auch aus dem Bundeshaushalt einge- bunden werden. Noch ist das Tech Quartier al- lerdings kein Teil der Bundesstra- tegie Künstliche Intelligenz, die im November 2018 von der Bun- desregierung vorgestellt wurde. Mit ihr soll Deutschland, zusam- men mit Europa, zu einem füh- renden Standort für KI-Technolo- gien werden. Mit der Nennung der Finanzindustrie in der Bun- desstrategie ist dem Finanzstand- ort Frankfurt allerdings ein erster wichtiger Schritt gelungen. „Noch geht es sehr regional zu“, findet Gemma Ferst, Ökosystem-Mana- gerin des Tech Quartiers und des Landes Hessen. Sie ist zum einen dafür verantwortlich, das hessi- sche Ökosystem für Start-ups aufzubauen und zum anderen Programme und Partnerschaften für den Aufbau der KI-Initiative zu entwickeln. Für sie sei es ganz normal, zuerst regional, auf ein Bundesland bezogen, zu untersu- chen, welche Projekte man ange- hen möchte. „Ich halte es für wichtig, gerade beim Thema KI, sogenannte Bold Pilots“ zu ma- chen. Also eine gewisse Faktenla- ge zu schaffen, Dinge zu versu- chen und offen zu sein für ge- meinsame Innovationen mit den Partnern“, sagt Ferst. Trotz dieser Regionalität spricht Ferst nicht von einer Kon- kurrenzsituation der Bundeslän- der, sondern eher von „stronger together“. Auch deshalb versuche das Tech Quartier als Teil der DE- Hub-Initiative, sich schon jetzt mit anderen Bundesländern aus- zutauschen. Von diesen könne man zwar einiges lernen, zentral sei es aber, Hessen nach vorne zu bringen: „Wir müssen jetzt schon an übermorgen denken. Und nicht gucken, was zum Beispiel Nordrhein-Westfalen macht, son- dern was richtig für Hessen ist und was Hessen voranbringt. Auch nach internationalen ‚best practices‘“. Dass die internationale Kon- kurrenz – allen voran USA und China – beim Thema künstliche Intelligenz sehr weit voraus ist, darüber sind sich Schäfer, Ferst und Ayadi im Klaren. Allerdings gebe es auch Bereiche, in denen man einiges an Boden gutmachen könne. „Es bietet sich an, mit der Finanzbranche zu beginnen. Hier hat Frankfurt seinen Wettbe- werbsvorteil. Dass man sich dann auch für die anderen Industrien öffnet, steht außer Frage“, erklärt Schäfer. Ferst sieht auch in Fragen der Ethik ein enormes Potenzial für den deutschen KI-Sektor: „Wir können vielleicht nicht den Vorsprung von USA und China aufholen, wir können aber für Menschenrechte und Datenschutz stehen.“ So lasse sich eine gewisse Attraktivität für deutsche KI-Lö- sungen schaffen. Das Wichtigste sei jedoch, einfach anzufangen und Dinge umzusetzen, findet Ayadi: „Wir dürfen nicht so viel nach links und rechts schauen. Die anderen Länder sind uns meilenweit vo- raus. Das fängt schon bei der In- vestitionsbereitschaft an. Hier tut sich Deutschland durch Bürokra- tie und langsame Entscheidungen noch schwer.“ Schäfer ist sich je- doch sicher, dass die „Zutaten“, die KI möglich machen, heute be- reitstehen – auch in Frankfurt. Tech Quartier – Wo Zukunft entsteht Ein Ort voller innovativer Ideen, mitten in Frankfurt an der Messe: Das drei Jahre junge Unternehmen ist Hessens Hoffnungsträger in Sachen künstliche Intelligenz. Ziel: mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten Sebastian Schäfer managt das Tech Quartier. Modell eines Zugs, der mit der künstlichen Intelligenz „Moira“ ausgestattet ist. DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019 75. JAHRGANG Nr. 194 Mittendrin F13 F12 F12 Mittendrin DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019 75. JAHRGANG NR. 194

TechQuartier– WoZukunftentstehtFonds. Ersterem hat sich das Tech Quartier bereits ausführlich an-genommen: „Wir haben die Growth Alliance AI als Boot-Camp und ein AI-Event mit

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Page 1: TechQuartier– WoZukunftentstehtFonds. Ersterem hat sich das Tech Quartier bereits ausführlich an-genommen: „Wir haben die Growth Alliance AI als Boot-Camp und ein AI-Event mit

Das offene Büro im Tech Quartier. An jedem Tisch sitzen die Mitarbeiter eines anderen Start-ups.

Was kann künstliche Intelligenz (KI)?Journalismus-Studierende der Hoch-schule für Medien, Kommunikation undWirtschaft (HMKW) in Frankfurt fragenExperten aus Wirtschaft und For-schung: Wo und wie kommt KI zum Ein-satz? Worin liegen Chancen und Risi-ken? Die Serie in der FR gibt Antworten– im Rahmen eines Projekts des Wis-senschaftsjahres 2019.

WAS KANN KI?STUDIERENDE FRAGEN NACH

Der Eingangsbereich des Tech Quartiers am Standort neben der Frankfurter Messe. ANNA STÜCKEL (4)

VON B E N N E T T R A M P E LT

Ein großes, offenes Büro.Schreibtischreihe hinter

Schreibtischreihe und an jedemTisch sitzt ein anderes Tech-Start-up. Zum Telefonieren oder Redenziehen sich die jungen Mitarbeiterin eine der Nischen zurück undnehmen auf einem FlugzeugsesselPlatz – abgeschirmt von schalliso-lierten Glastüren. Wir sind in derMainmetropole Frankfurt, darankann kein Zweifel sein. An der„Bembel-Bar“ gibt es in der Pausenicht unbedingt Apfelwein, son-dern eher mal eine Fritz-Kola. Die„Bar“ ist vielmehr eine Küchen-

zeile mit Theke, die so cool aus-sieht, wie sie heißt. Daran grenztdas „Waldstadion“ an. Nein, nichtdie echte Arena, sondern derEvent-Space, in dem – wie derName schon sagt – Veranstaltun-gen stattfinden. Das Repertoirereicht von „Pitch Events“, bei de-nen junge Gründer ihre Ideen er-fahrenen Investoren präsentieren,bis hin zu regelmäßigen „Mee-tups“ und „Bootcamps“.

Hier entsteht also Innovation.Zumindest war das die Intentionvon CEO Sebastian Schäfer, als erdas Tech Quartier 2016 gründete.Und diese Innovation ist, genauwie die Mitarbeiter, vor allemjung, frisch und entsprechend dy-namisch. Nur so konnte es dasTech Quartier schaffen, innerhalbvon knapp drei Jahren zum hessi-schen Dreh- und Angelpunkt zuwerden für – na ja, für was ei-gentlich? Denn das Tech Quartierstellt nicht einfach nur Start-upsBüroflächen zur Verfügung, in-zwischen an vier Standorten inFrankfurt. Es handelt sich viel-mehr um ein großes Netzwerk.Vernetzt wird jeder, der Lust hatmitzumachen und die unterneh-merischen Voraussetzungen mit-bringt: in erster Linie Start-upsmit Unternehmen, Technologie-firmen und Investoren, aber auchRegierungspartnern und akade-mischen Institutionen. Eben alles,

was Teil des Ökosystems ist – ge-meint sind alle relevanten Akteu-re der Start-up-Szene. Rund umden Globus gestaltet man die Zu-kunft in den verschiedenstentechnologischen Bereichen. Dasgeschieht über Programme, Pro-jekte und Veranstaltungen, bei de-nen auch immer stärker das The-ma künstliche Intelligenz in denFokus rückt.

Doch das, was heute ist,musste erst mit viel Kraft aufge-baut werden. Einer der erstenMieter war das Start-up Intelli-gent Data Analytics (IDA). „Alswir im November 2016 einzogen,war das Tech Quartier noch eineBaustelle“, erinnert sich IDA-Ge-schäftsführer Hamedo Ayadi. Zudieser Zeit sei es noch in der Fin-dungsphase gewesen. „Bis auf dieRäume und ein paar Unterneh-men gab es nicht viel. Jedermusste mit anpacken“, sagt Ayadi.Seine Firma habe mitgeholfen,Veranstaltungen zu organisieren,die Community aufzubauen undneue Netzwerke zu bilden. Unteranderem habe sie Workshops zuDeep Learning KI mitgestaltet.

Ein Thema, mit dem man sichbei IDA besonders gut auskennt.Moira heißt eine der Lösungen,die IDA seinen Kunden zur Verfü-gung stellt. Der Name kommt ausder griechischen Mythologie. DieSchicksalsgöttin Moira spinnt bei

der Geburt den Faden des Lebensund weiß, wie es verläuft. Moirabei IDA ist eine Software-Platt-form, die es schafft, mit Hilfekünstlicher Intelligenz Daten ausden unterschiedlichsten Quellenzu verbinden und somit für einUnternehmen nutzbar zu ma-chen.

In einem aktuellen Projektsoll Moira in Züge der DeutschenBahn eingebaut werden und diesevoll digitalisieren. Ein breitgefä-chertes System an Kameras undSensoren erhebt Daten aller Art,die Moira nutzt. Zusätzlich wirdMoira mit den Datenbanken desUnternehmens verknüpft undkann auf diese Weise zum Bei-spiel das Problem eines Klimaan-lagenausfalls lösen. Denn Klima-anlagen fallen nicht plötzlich aus,sondern es gibt vorher Anzeichenfür diese Störung. Mittels Senso-ren an der Anlage erkennt Moiradie Systemleistung bei 100 Pro-zent. Fällt der Wert ab, schlägt sieAlarm.

Die Verknüpfung mit den Da-ten des Fahrplans lässt erkennen,wo und wie lange der Zug alsnächstes hält. Daten der Schicht-pläne der Servicemitarbeiter wie-derum könnten dann automati-siert einen Termin vorschlagen,an dem die Anlage repariert wer-den soll. Ist der Termin akzep-tiert, geht eine Benachrichtigung

an die Beteiligten raus. Das Logis-tikzentrum wäre informiert, wel-ches Produkt gebraucht wird, derServicemitarbeiter wüsste, wanner welche Klimaanlage in wel-chem Zug reparieren soll. Und derZug kennt ohnehin seine Strecke.

Auch Sensoren in den Fahr-gasträumen könnten Moira nütz-lich sein. So liefern Daten vomDruck im Innenraum, der Luft-feuchtigkeit, des Geräuschpegelsund von freien Sitzplätzen wert-volle Informationen. Der Passa-gier könnte über eine App sehen,wo ein Platz frei ist, ohne suchendvon Abteil zu Abteil gehen zumüssen. Über das Nutzerverhal-ten des Passagiers könnte Moirazudem Sitzplatzvorschläge ma-chen. Angenommen, ein Fahrgastsitzt gerne am Fenster, an wärme-ren Plätzen mit wenig Geräu-schen, würde Moira schon beimTicketkauf eine entsprechendeEmpfehlung abgeben.

Das könnte also die Zukunftdes Bahnfahrens sein. Das IDA-Projekt ist in Zusammenarbeitmit Cisco und SAP entstanden.Derzeit verhandelt das Unterneh-men noch mit der DeutschenBahn. Und wie so oft, wenn Ent-scheidungen von Kolossen getrof-fen werden sollen, ist es mühse-lig. Denn Kolosse sind vor allemeines: langsam.

Das, was trägen Unternehmenfehlt, findet sich im Tech Quartierim Überfluss: Agilität, Spontanei-tät und der Wille zur Verände-rung. Auch deshalb steht Sebasti-an Schäfer seit der Gründung imsteten Austausch mit dem LandHessen, das sich als Taktgeber in

Sachen digitale Innovation sehenmöchte. Erst Ende vorigen Jahreserarbeitete man ein gemeinsamesKonzept, um das Thema künstli-che Intelligenz am StandortFrankfurt voranzutreiben. ImVorfeld gab es Untersuchungen,die ein enormes Potenzial imFrankfurter Ökosystem für KI di-agnostizierten. Lediglich die Akti-vierung des Potenzials und diestrukturierte Verknüpfung tra-gender Akteure fehlte. An dieseStelle tritt nun das Tech Quartier,das in den kommenden Jahrendie KI-Initiative antreiben soll. Esstützt sich auf drei primäre Kon-zeptsäulen: Community Building,eine umfassende Datenbank undFonds.

Ersterem hat sich das TechQuartier bereits ausführlich an-genommen: „Wir haben dieGrowth Alliance AI als Boot-Camp und ein AI-Event mit derGoethe-Universität veranstaltet,und auch im zweiten Halbjahr2019 ist eine ganze Serie von AI-Events mit unterschiedlichen In-

dustrievertretern geplant“, erklärtSchäfer. Intern sei man jetzt da-bei, das zweite Thema aufzugrei-fen: eine Cloud-basierte Finanz-datenbank. Doch um von hier ausweiter in Richtung Fonds und ge-zielte Unterstützung zu gehen,müsse Kapital fließen. Und dafürmüsse auch das Budget, nicht nuraus dem Landes-, sondern auchaus dem Bundeshaushalt einge-bunden werden.

Noch ist das Tech Quartier al-lerdings kein Teil der Bundesstra-tegie Künstliche Intelligenz, dieim November 2018 von der Bun-desregierung vorgestellt wurde.Mit ihr soll Deutschland, zusam-men mit Europa, zu einem füh-renden Standort für KI-Technolo-gien werden. Mit der Nennungder Finanzindustrie in der Bun-desstrategie ist dem Finanzstand-ort Frankfurt allerdings ein ersterwichtiger Schritt gelungen. „Nochgeht es sehr regional zu“, findetGemma Ferst, Ökosystem-Mana-gerin des Tech Quartiers und desLandes Hessen. Sie ist zum einen

dafür verantwortlich, das hessi-sche Ökosystem für Start-upsaufzubauen und zum anderenProgramme und Partnerschaftenfür den Aufbau der KI-Initiativezu entwickeln. Für sie sei es ganznormal, zuerst regional, auf einBundesland bezogen, zu untersu-chen, welche Projekte man ange-hen möchte. „Ich halte es fürwichtig, gerade beim Thema KI,sogenannte Bold Pilots“ zu ma-chen. Also eine gewisse Faktenla-ge zu schaffen, Dinge zu versu-chen und offen zu sein für ge-meinsame Innovationen mit denPartnern“, sagt Ferst.

Trotz dieser Regionalitätspricht Ferst nicht von einer Kon-kurrenzsituation der Bundeslän-der, sondern eher von „strongertogether“. Auch deshalb versuchedas Tech Quartier als Teil der DE-Hub-Initiative, sich schon jetztmit anderen Bundesländern aus-zutauschen. Von diesen könneman zwar einiges lernen, zentralsei es aber, Hessen nach vorne zubringen: „Wir müssen jetzt schon

an übermorgen denken. Undnicht gucken, was zum BeispielNordrhein-Westfalen macht, son-dern was richtig für Hessen istund was Hessen voranbringt.Auch nach internationalen ‚bestpractices‘“.

Dass die internationale Kon-kurrenz – allen voran USA undChina – beim Thema künstlicheIntelligenz sehr weit voraus ist,darüber sind sich Schäfer, Ferstund Ayadi im Klaren. Allerdingsgebe es auch Bereiche, in denenman einiges an Boden gutmachenkönne. „Es bietet sich an, mit derFinanzbranche zu beginnen. Hierhat Frankfurt seinen Wettbe-werbsvorteil. Dass man sich dannauch für die anderen Industrienöffnet, steht außer Frage“, erklärtSchäfer. Ferst sieht auch in Fragender Ethik ein enormes Potenzialfür den deutschen KI-Sektor:„Wir können vielleicht nicht denVorsprung von USA und Chinaaufholen, wir können aber fürMenschenrechte und Datenschutzstehen.“ So lasse sich eine gewisseAttraktivität für deutsche KI-Lö-sungen schaffen.

Das Wichtigste sei jedoch,einfach anzufangen und Dingeumzusetzen, findet Ayadi: „Wirdürfen nicht so viel nach linksund rechts schauen. Die anderenLänder sind uns meilenweit vo-raus. Das fängt schon bei der In-vestitionsbereitschaft an. Hier tutsich Deutschland durch Bürokra-tie und langsame Entscheidungennoch schwer.“ Schäfer ist sich je-doch sicher, dass die „Zutaten“,die KI möglich machen, heute be-reitstehen – auch in Frankfurt.

Tech Quartier –Wo Zukunft entstehtEin Ort voller innovativer Ideen, mitten in Frankfurt an der Messe:Das drei Jahre junge Unternehmen ist Hessens Hoffnungsträger in Sachen künstlicheIntelligenz. Ziel: mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten

Sebastian Schäfer managt das Tech Quartier.

Modell eines Zugs, der mit der künstlichen Intelligenz „Moira“ ausgestattet ist.

FrankfurterRundschau DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019 75. JAHRGANG Nr. 194 Mittendrin F13F12

F12 Mittendrin DONNERSTAG, 22. AUGUST 2019 75. JAHRGANG NR. 194