40
THAILAND-RUNDSCHAU der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft e.V., Köln Jahrgang 23 November 2010 Nr. 3 ISSN: 0934-8824

THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft e.V., Köln

Jahrgang 23 November 2010 Nr. 3

ISSN: 0934-8824

Page 2: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU

Impressum und Inhalt

DEUTSCH-THAILÄNDISCHE GESELLSCHAFT e.V.

Ehrenpräsident: Der Botschafter des Königreiches

Thailand in Deutschland Präsidentin:

Prof. Dr. Frauke Kraas Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. Dr. h.c. K.-H. Pfeffer

Schatzmeister: Günter Blindert

Vorstandsmitglieder: Dr. Christoph Brümmer Dr. Arnd D. Kumerloeve

RUNDSCHAU -IMPRESSUM

Inhalt Nr. 3 – 2010 Vorwort 83

Zum Tode unseres langjährigen Präsidenten 84Prof. Dr.-Ing. Helmut Eggers Frauke Kraas

Ihre Königliche Hoheit gab uns die Ehre 85Jürgen H. Hohnholz

100 Jahre Carl Werner Drewes 92Arnd D. Kumerloeve

Bangkok: Megastadt auf dem Weg in die Postmoderne 94Frauke Kraas

»Essen wie die Tiger« 101Marin Trenk

Nachhaltige Landnutzung und ländliche Entwicklung 109in Bergregionen Südostasiens – SFB564 Holger Fröhlich und Karl Stahr

Thailands Demokratie in der Krise: Ursachen 114und Konsequenzen Holger Alisch

"Die zweite Generation - Wo bin ich Zuhause?" 117Frauke Kraas

Aus Eka Donner’s Tagebuch 118Arnd D. Kumerloeve

Namentlich gekennzeichnete oder aus anderen Publikationen über-nommene Beiträge dienen ausschließlich der Information unserer Leser und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Gesell-schaft wieder.

Titelphoto: Bangkok – Blick über die heterogene Megastadt, Photo © Frauke Kraas Innenphoto: Eindruck von der Insel Koh Samet, Photo © Anke Dick-Follmann

Herausgeber und Verlag: Deutsch-Thailändische Gesellschaft

e.V. Redaktion:

Prof. Dr. Frauke Kraas, 50923 Köln (ViSdP)

unter Mitarbeit von Dr. Arnd D. Kumerloeve, Köln, und

Prof. Dr. Karl-Heinz Pfeffer, Tübingen Layout: Anke Dick-Follmann, Rodgau

Druck Druckerei Koges, Bonn

ISSN: 0934-8824 Geschäftsstelle, Bibliothek

und Redaktionsbüro Johann-Bensberg-Straße 49

51067 Köln ! +49 (0)221 / 68 00 210

Fax: +49 (0)221 / 96 90 287 E-Mail: [email protected]

Internet: http:// www.dtg.eu THAILAND-RUNDSCHAU, die Zeit-schrift der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft e.V., erscheint dreimal im Jahr im Umfang von je ca. 40 Seiten. Der Bezugspreis ist durch den Mit-gliedsbeitrag abgegolten. Redaktionsschluss:

für Heft 1-2011: 01.02.2011 für Heft 2-2011: 01.06.2011 für Heft 3-2011: 15.10.2011

Page 3: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU Vorwort

83

Liebe Freunde und Mitglieder der DTG!

Ein Wort in eigener Sache vorweg! Sie haben den langen Bericht in der letzten Thailand-Rundschau gelesen: Nicht allein auf den Jahrestagungen und – alle zwei Jahre – den DTG-Symposien bietet sich die Gelegenheit zum direkten Gespräch und Austausch der DTG-Mitglieder miteinander, sondern auch in unseren DTG-Regionalgruppen (früher wurden sie als sog. „Stützpunkte“ bezeichnet, eine Terminologie, die wir uns ent-schlossen haben zu ändern). Höchst erfreulicherweise gibt es inzwischen in acht Städten um aktive DTG-Mitglieder herum kleinere und größere Gruppen von Freunden und Bekannten, die sich zu gemeinsamen Gesprächsrunden und Essen, kulturellen Aktivitäten und Veranstaltungen treffen. Wir berichten gerne in der Thailand-Rundschau darüber! Bitte machen Sie innerhalb Ihres Freundes- und Bekanntenkreises Werbung für unsere DTG, denn es wäre schön, wenn die Regionalgruppen weiter wachsen und die DTG damit noch le-bendiger an verschiedenen Standorten in Deutschland vertreten sein könnte. Gerne erhalten Sie von der Ge-schäftsstelle entsprechende Flyer und Informationsmaterialien – lassen Sie es uns wissen. Für unsere Fir-menmitglieder besteht die Möglichkeit, in der Thailand-Rundschau zu inserieren.

Ein kleiner Ausblick sodann auf das kommende Jahr 2011! Bitte notieren Sie sich bereits heute Ort und Zeit-punkt unserer nächsten

DTG-Mitgliederversammlung 2011 mit Symposium zum Thema „Wirtschaftsstandort Thailand: Landwirtschaft, Industrie, Tourismus, Handel“

am 21.05.2011 im Rautenstrauch-Joest Museum in Köln.

Nachdem wir in den zurückliegenden Symposien die Entwicklungen in Kultur und Politik unseres Partnerlan-des in den Vordergrund gestellt hatten, widmen wir uns 2011 zentralen Fragen der Wirtschaft, wobei alle Sek-toren einbezogen und in Vorträgen von Fachleuten thematisiert werden sollen. Wir freuen uns schon jetzt auf Ihre Teilnahme – und werden Sie rechtzeitig über das detaillierte Programm einschließlich profilierter Referen-ten informieren.

Mit Blick auf das nahende Jahresende sei Ihnen und Ihren Familien – im Namen des gesamten DTG-Vorstands – nun ein Frohes Weihnachtsfest sowie gutes, gesundes und erfolgreiches Neues Jahr 2011 ge-wünscht!

Mit besten Grüßen, im Namen des gesamten Vorstands,

Ihre Frauke Kraas

Page 4: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

84

Zum Tode unseres langjährigen Präsidenten Prof. Dr.-Ing. Helmut Eggers

Universitätsprofessor em. Dr.-Ing. Helmut Eggers ! 24.2.2010

Die Mitglieder der Deutsch-Thailändischen Gesell-schaft trauern um Ihren langjährigen Präsidenten Prof. Dr.-Ing. Helmut Eggers, der am 24. Februar 2010 nach schwerer Krankheit verstorben ist. Im Namen der Mitglieder und des Vorstandes sei seiner Familie und seinen Angehörigen unser gro-ßes Mitgefühl und der herzliche Dank für viele Jahre großen Engagements für die DTG zum Aus-druck gebracht.

Helmut Eggers wurde am 15. Juni 1940 in Ham-burg geboren. Sein Vater fiel im Krieg in Russland. Nach dem Studium des Bauingenieurwesens an der Universität Karlsruhe arbeitete und promovier-te Eggers im Bereich der Wasserwirtschaft und Hydrologie am Theodor-Rehbock-Flussbau-Labor bei Prof. Mosonyi. Von 1978 bis 1980 arbeitete Eggers als Associate Professor, gefördert durch eine Gastdozentur des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), am renommierten Asian Institute of Technology (AIT) in Bangkok, von wo aus er auf den Lehrstuhl für Landwirt-

schaftlichen Wasserbau und Kulturtechnik an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn berufen wurde. Hier wirkte er von 1980 bis zu sei-ner Pensionierung im Jahr 2005. In der Zeit von 1988 bis 1992 wurde er - bei Beurlaubung in Bonn - als Vice President for Academic Affairs an das Asian Institute of Technology berufen. Hier gehörte Eggers in führender Position zu einer bemerkens-werten Zahl von deutschen Wissenschaftlern, die am AIT seit den 1970er Jahren in Lehre, For-schung und Wissenschaftsmanagement tätig wa-ren. Seine vielfältigen internationalen Forschungs-arbeiten, vor allem in Ländern Afrikas und Asiens, trugen Eggers hoheV wissenschaftliche Reputati-on, zahlreiche nationale und internationale Ehrun-gen sowie Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Vereinigungen ein. Neben der Forschung und Lehre an der Universität Bonn hat Helmut Eggers den sehr erfolgreichen internationalen Masterstu-diengang "Agrarwissenschaften und Ressourcen-management in den Tropen und Subtropen" (ARTS) an der Landwirtschaftlichen Fakultät mit-begründet.

Geprägt von seinen intensiven wissenschaftlichen und persönlichen Erfahrungen aus den vielen Jah-ren in Thailand, engagierte Helmut Eggers sich intensiv in unserer Deutsch-Thailändischen Ge-sellschaft, zuerst aktiv im Beirat und von 1997 bis 2003 als ihr Präsident. Dabei wurde er stets sehr tatkräftig unterstützt von seiner Frau Roswitha, die nicht nur zahlreiche, sehr gastfreundliche Vor-standssitzungen mit selbst zubereitetem thailändi-schen Essen gestaltete, sondern viele Jahre lang umfangreiche DTG-bezogene Korrespondenz und Kommunikation von ihrem Mann übernahm. Die herzliche und fürsorgliche Atmosphäre vieler Sit-zungen im Hause Eggers wird dem Vorstand und Beirat stets dankbar in Erinnerung bleiben!

Am 24. Februar 2010 ist Helmut Eggers nach lan-ger, schwerer Krankheit gestorben. Seiner Frau sowie seinen Kindern und Enkelkindern gilt unser herzliches Mitgefühl.

Frauke Kraas

Page 5: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

85

Ihre Königliche Hoheit gab uns die Ehre

Jürgen H. Hohnholz

Du lieber Himmel, was für eine antiquierte Über-schrift zu einem Beitrag in der Thailand-Rundschau, den Besuch der Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn betreffend, die zwei Tage in Tübingen weilte. Und doch: gerade weil sie so wenig dem Gemeinbild einer Kronprinzessin in ihrer natürlichen und liebenswerten Art entspricht, wurde der Kontrast sogar von der Tübinger Presse bemerkt und hervorgehoben.

Im Anschluß an die Tagung der Nobelpreisträger in Lindau hatte sich die Prinzessin vorgenommen, nach 28 Jahren wieder einmal Tübingen zu besu-chen und dabei gleich mit einem privaten Besuch bei uns zu Haus in Ofterdingen - ein selbständiges Dorf! bei Tübingen - zu verbinden. Welche hoch-rangige Kronprinzessin besucht schon einen ein-fachen Professor in einem Dorf auf dem Land, - also stimmt doch die Überschrift? - Wir korrespon-dieren schon seit mehr als 30 Jahren miteinander, das Fachgebiet der Geographie stellte den Kontakt her, und ich hatte die Gelegenheit, sie schon mehrfach in Bangkok zu besuchen.

Gemeinsam mit meinem Kollegen, Herrn Prof. Pfeffer, dem Vizepräsidenten der DTG, entwarfen wir ein Programm für den offiziellen Besuch am Dienstag, den 29. Juni 2010, das vorsah, jene Orte zu betrachten, die Ihrer Königlichen Hoheit vor so vielen Jahren entgangen waren.

Neben einem Empfang im malerischen Rathaus der Stadt Tübingen und dem obligatorischen Ein-trag in das Goldene Buch planten wir einen Rund-gang durch die reizvolle Altstadt mit Besuch der fürstlichen Grablege in der Stiftskirche und im his-torischen studentischen Karzer, in dem "gesessen" zu haben, sich manche wissenschaftliche Kory-phäe als Ehre anrechnete .

Höhepunkt des Stadtbesuches bildete das Schloßmuseum, in dem der Rektor der Universität nach einem offiziellen Empfang im Fürstenzimmer des Schlosses Ihre Königliche Hoheit persönlich führen und ihr die ältesten Kunstwerke der Menschheit vorstellen würde. Fernerhin stand ein Mittagessen im Landgasthaus "Schwärzloch" auf dem Programm, erbaut im Jahre 1085 und seit fast 200 Jahren das beliebteste Nahziel für Studenten, Professoren und Bürger der Stadt. Eine Führung durch das bekannte Zisterzienser-Kloster Beben-hausen und ein Abendessen im dortigen "Grünen Saal" des Königlichen Jagdschlosses rundeten den offiziellen Besuch IKH in Tübingen ab.

Bereits 3 Wochen vor dem großen Ereignis tauch-te ein Erkundungskommando der Thailändischen Botschaft in Tübingen auf, geleitet von dem stell-vertretenden Botschafter, der sich das vorgelegte Programm von Bangkok aus hatte genehmigen lassen, und man hakte Punkt für Punkt auf einer

Der Erkundungstrupp in Bebenhausen

Page 6: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

86

Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch

Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer sind im Hotel reserviert, gibt es dort einen Fahrstuhl, wie viele Stufen müssen im Schloßmuseum und in der Stadt bewältigt werden? Und vieles mehr, nichts blieb dem Zufall überlassen. Die von Navigations-geräten geleiteten Fahrer notierten sich die kriti-schen Punkte, kurzum, die Botschaft leistete eine generalstabsmäßige Vorarbeit. Man suchte uns auch in Ofterdingen auf, inspizierte Haus und Gar-ten und war von dem Ergebnis durchaus angetan.

Der ausführliche Bericht der Botschaft an den Pa-last wurde dort in ein minutiöses Ablauf-Programm umgesetzt: Der Anreisetag, der 28.06.10, war mit

dem Besuch in Ofterdingen als "privat" ausgewie-sen und der 29. als "offiziell".

Und so geschah es dann auch. Ihre Königliche Hoheit hatte den Wunsch geäußert, die Tübinger Universitätsaugenklinik zu besuchen, um sich dort über die modernsten Methoden von Retina-Implantationen kundig zu machen, denn hier arbei-tet man daran, mit Mikrochips die Sehfähigkeit von erblindeten Menschen wieder teilweise herzustel-len. Es kann der Universitätsleitung nicht hoch genug angerechnet werden, daß man von dort aus, in vorbildlicher Zusammenarbeit mit der Bot-schaft und den Tübinger Planern, alle Wünsche genauestens und mit erheblichem Engagement erfüllte..

Ein Streichquartett des Tübinger Studentenorchesters

Page 7: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

87

IKH im Fachgespräch in Ofterdingen

Die Prinzessin reiste direkt von Lindau kommend in der Augenklinik an, schon 20 Minuten vorher erschien ein Vorkommando und vergewisserte sich, daß alles seine gute Ordnung hatte, daß das Empfangskomitee bereit stand und der Ort der Präsentation funktionsbereit war.

Auf die Minute pünktlich - Pünktlichkeit ist immer noch die Höflichkeit der Könige - rauschte die Ka-valkade bei der Klinik an: Polizei mit Blaulicht vor-weg, dann der Führungswagen, es folgten die Wagen 1 bis 4 und der Wagen mit den Sicher-heitsbeamten, kurzum: das war richtig eindrucks-voll und der empfangende Professor gestand hin-terher, daß er in seiner langjährigen Tätigkeit an dieser Klinik noch nie so ein Spektakel erlebt hat-te.

Ganz im Gegensatz zu diesem Aufwand erschien dann die Prinzessin. Freundlich lächelnd begrüßte

sie sämtliche Wartenden mit Handschlag, begann sofort ein angeregtes Gespräch mit den Fachleu-ten und verfolgte aufmerksam die fachliche Prä-sentation von Retina-Implantationen. Die vorge-stellten Ergebnisse beeindruckten nicht nur IKH, sondern auch das gesamte Gefolge, das sich aus 9 Personen des Palastes, 3 thailändischen Pres-severtretern und 14 Delegierten der Thailändi-schen Botschaft und Konsulate zusammensetzte.

Nach einer kleinen Ruhepause im Hotel fuhr die Prinzessin, begleitet von ihren drei engsten Mitar-beitern, nach Ofterdingen. Wie üblich, sicherten wieder ein Vorkommando und zwei deutsche Si-cherheitsbeamte die Lage, bevor die Königliche Hoheit sehr gelöst und offensichtlich erwartungs-

In Ofterdingen

Page 8: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

88

voll aus dem Wagen stieg. Nach Besichtigung des Hauses fand der weitere Abend im engsten Fami-lienkreis der Gastgeber und drei weiteren Thai-landkennern bei angeregten Gesprächen und dem Austausch von Erinnerungen statt. So frei und voll ihren Scharm entfaltend kann man die Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn eigentlich nur im Ausland erleben. Die Zeit verstrich wie im Flug.

Am nächsten Tag verlief der "offizielle" Teil genau wie geplant. Die reich geschmückten Gräber der Württembergischen Fürsten und Könige wurden gebührend bewundert, der kuriose Karzer führte in das vergangene Studentenleben ein, Schwärzloch war ein voller Erfolg, man hatte sich dort größte Mühe gegeben, und wir hatten das gesamte Aus-flugslokal ganz für uns, denn eigentlich ist Diens-tag Ruhetag, und selbst der auf dem Hof hinter dem Haus auftretende Stallgeruch schockte das Gefolge nicht. Bei Ihrer Königlichen Hoheit ist es an Überraschungen dieser Art durchaus gewöhnt, denn Prinzessin Sirindhorn kümmert sich, - eben-so wie die gesamte Königliche Familie, - in vor-bildlicher Weise um die unterpriviligierten Bergvöl-ker im Norden des Landes und stattet dort regelmäßig Besuche ab.

Man hatte sich auch in Bebenhausen viel Mühe gegeben, das ehrwürdige Zisterzienser-Kloster führte in das Mönchsleben im späten Mittelalter ein

und das Königliche Jagdschloß unter anderem in die Zeit nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, als hier der erste Landtag Württembergs residierte. Besonders erstaunt zeigte sich das Gefolge über die äußerste Schlichtheit der Kam-mern der Abgeordneten. Allerdings war eine der Kammern noch so gestaltet, wie sie zu Mönchszei-ten ausgesehen haben mag, mit schlichtem Holz-bett, bedeckt mit Stroh, die der Dekan der Philo-sophischen Fakultät der Chulalongkorn Universität sogleich der damaligen Opposition im Landtag zuwies.

Empfangen wurde die Prinzessin im Kloster und Schloß von einem Streichquartett des Tübinger Studentenorchesters, das die "Prinzessinnenhym-ne" spielte, unvergeßlich, wie sich eine Dame des Gefolges schamhaft eine Träne der Rührung aus den Augen wischte. Beim Abendessen im Grünen Saal des Schlosses, das von der Konsulin Thai-lands in Stuttgart ausgerichtet wurde, spielte das Quartett, die bekanntesten Volkslieder Deutsch-lands und trug so erheblich zum festlichen Charak-ter des Abends bei. Man kann wohl mit Recht fest-stellen, daß der Besuch Ihrer Königlichen Hoheit, Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn in Tübingen für sie und alle Beteiligten ein voller Erfolg wurde.

© Christoph Mischke, BLICK Redaktion, Göttingen

© Christoph Mischke, BLICK Redaktion, Göttingen

Page 9: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

89

Abdruck des Artikels und der vorstehenden beiden Bilder nach freundlicher Genehmigung von Christoph Mischke, BLICK Redaktion

Göttingen, BLICK

Page 10: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

90

Reutlinger General-Anzeiger

Page 11: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

91

Reutlinger General-Anzeiger

Reutlinger General-Anzeiger

Abdruck der vorstehenden drei Artikel mit freundlicher Genehmigung des Reutlinger General-Anzeigers

Page 12: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

92

100 Jahre Carl Werner Drewes Arnd D. Kumerloeve

Stellen wir uns die Deutsch-Thailändische Gesell-schaft (DTG) als einen Tisch vor, rechteckig im klassischen Stil mit vier Beinen, vier Pfeilern. Jede Organisation wird von Menschen getragen und ausgehend von diesem Bild sind es vier Personen, die als die wichtigsten Eckpunkte für das Leben der DTG gelten können: Hellmut Girardet, Gerta Tzschaschel, Carl Werner Drewes und Hans Christian Lankes. Es gibt eine Reihe weiterer wich-tiger Namen, die in fast 50 Jahren eine große Rol-le gespielt haben (und sie werden zu gegebener Zeit an anderer Stelle gewürdigt), aber diese vier Personen haben sich in ganz besonderem Maße in die Arbeit der DTG „eingebrannt“.

Hier und jetzt gilt es, an Carl Werner Drewes zu erinnern und ihn zu ehren. Er wurde am 19. No-vember 2010 vor 100 Jahren geboren und verstarb am 14. August 1987 in Österreich. Er war Thailand in ganz außerordentlicher Weise verbunden und hat gegen Ende seines Lebens mehr und mehr Aktivitäten dem Ziel gewidmet, eine feste und kri-sensichere Grundlage der deutsch-thailändischen Beziehungen zu schaffen, womit er genau das getan hat, was auch die DTG in ihrer Arbeit zu erreichen versucht. Es hat ihn der Gedanke gelei-tet, daß er seine Erfolge mit anderen teilen müsse - „Ich habe in meinem Leben sehr viel Glück ge-habt. Das Geld, das ich in Thailand erworben ha-be, soll auch in Thailand bleiben“. Bildung war für ihn – wohl begründet - der wichtigste Ansatzpunkt und so ermöglichte er durch seine Spenden das Stipendienwerk der DTG und hat aus diesem Ge-fühl heraus bei vielfältigen anderen Anlässen im Sinne des erwähnten Ziels gewirkt und gespendet.

Das Stipendienprogramm der DTG ist somit nur eine der – wenn auch für uns besonders wesentli-chen – Konsequenzen dieses überzeugten und beispielhaften Handelns. Seit 1982 gibt das Pro-gramm jungen Menschen aus Thailand, die Deutsch im Haupt- oder Nebenfach studieren, die Gelegenheit, Deutschland kennenzulernen. Am Anfang besuchen sie einen vierwöchigen Intensiv-kurs an einem hiesigen Goethe-Institut und vertie-fen dann anschließend als Praktikanten in zwei Monaten ihre jeweiligen beruflichen Kenntnisse. Es soll dieses oft behandelte DTG-Programm hier nicht weiter vertieft werden (vgl. www.dtg.eu).

Carl Werner Drewes gehörte zu jenem Kreis von Geschäftsleuten, die schon vor dem 2. Weltkrieg enge Beziehungen zu Thailand aufgebaut haben. Im Alter von 26 Jahren verlegte er seinen Wohn-sitz von Hamburg nach Bangkok, arbeitete kauf-männisch für verschiedene Firmen, u.a. für Agfa und wurde schließlich führender Gesellschafter der Fa. „Kosmos Ltd. Part.“, die er später in „Eurothai Industrial Supply Co., Ltd.“ umbenannte und die sich in erster Linie auf den Einkauf und Vertrieb von Hopfen, Malz sowie Brauereimaschinen und entsprechendem Zubehör spezialisierte (Koopera-tion mit Singha-Bier, Boon Rawd Brewery). So wurde er im Laufe der Zeit auch zu einem der wichtigen Mitglieder der Deutsch-Thailändischen Handelskammer (GTCC) und damit der Business-Community von Bangkok. Er lebte insgesamt mehr als 50 Jahre in Thailand und war unter den deut-schen Geschäftsleuten zum Schluß einer der le-gendären „Old-Timer“. Seine Verbundenheit mit Thailand – man kann es gar nicht oft genug sagen – war enorm und so verwundert es nicht, daß er nach seinem Tode in einer großen Würdigung der ‚Bangkok Post‘ als „Adopted Son of Thailand“ be-zeichnet worden ist. Ein großartigeres Kompliment einer wichtigen Zeitung des Gastlandes ist kaum vorstellbar.

Alle, die mit ihm zu tun hatten, schildern Carl Wer-ner Drewes als einen sehr liebenswürdigen und geistreichen Gastgeber und Gesprächspartner. Im Kreise seiner „Peers“ in Bangkok war er berühmt für seine Fertigkeiten im Schach und im Skat – aus diesem Umfeld gibt es eine ganze Reihe von köst-lichen Anekdoten. Auch eine fundierte Bildung hat ihn ausgezeichnet – es wird berichtet, daß er z.B. ohne Unterbrechung lange Texte von Goethe oder Gedichte von Christian Morgenstern zitieren konn-te. Thailand war für ihn nie nur ein geschäftlicher oder gesellschaftlicher Standort, sondern er liebte das Land, seine Menschen und ihr Wesen. Mit viel

Page 13: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

93

Gespür und Behutsamkeit hat er hanseatische Werte mit asiatischen Verhaltensweisen verbun-den. Unterhält man sich mit Menschen, die ihn gekannt haben, so sieht man in ihm eine seltene Mischung aus Gelassenheit und Souveränität, aus Würde und Ironie. Nachdem 1982 seine erste Frau Clara in Bangkok verstorben war, heiratete er 1984 erneut und lebte dann bis zu seinem Tode abwechselnd in Bangkok und Wien mit seiner zweiten Frau Edeltraud E. Drewes-Strieve. Sie besuchte die DTG anläßlich der Mitgliederver-sammlung 1999 und erzählte einiges aus dem gemeinsamen Leben. Im Jahre 2008 ist sie in Wien verstorben.

Carl Werner Drewes blieb der Arbeit der DTG bis zu seinem Tode verbunden, ohne sich jedoch je-mals in die Durchführung des Programms einzu-mischen. Überzeugend und souverän wie hier war er es auch in seiner sonstigen Spendenbereit-schaft. So ließ er 1983 anläßlich der Internationa-len Gartenbauausstellung in München im West-park eine neun Meter hohe Thai-Sala aufstellen, in der u.a. bis heute regelmäßig das Songkran-Neujahrsfest gefeiert wird. So spendete er mehre-re Millionen für die Renovierung des Turms von St. Michaelis, dem Wahrzeichen seiner Heimatstadt

Hamburg. Und ganz in dieser Tradition eines Mä-zenatentums finanzierte er ein Grundstück für die Thai-Deutsche Kulturstiftung an der Kreuzung Sri Ayuthaya/Piyathai in Bangkok und ließ dort ein Haus für die Stiftung und das Goethe-Institut res-taurieren. Heute steht an diesem Ort seine Büste gemeinsam mit einer Erinnerungstafel an den Be-ginn der Bauarbeiten 1986. Bundeskanzler Helmut Kohl war zu jener Zeit vor Ort und sagte u.a. in einer Rede: „Im Leben der Völker sind die kulturel-len Beziehungen …. von größter Bedeutung. Des-halb ist dieser Tag auch für uns ein guter Tag, der ohne die großartige und uneigennützige Geste von Ihnen, Herr Drewes und Ihrer Gattin überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Ich möchte dafür unseren herzlichen Dank aussprechen.“ So wie Carl Werner Drewes in Thailand vielfach geehrte wurde, versteht es sich vor diesem Hintergrund fast von selbst, daß ihm in Deutschland das Bun-desverdienstkreuz Erster Klasse verliehen worden ist. Anläßlich seines hundertsten Geburtstages denkt die Deutsch-Thailändische Gesellschaft voller Dankbarkeit an ihn.

Bangkok – Blick über die heterogene Megastadt

Zum Titelbild der aktuellen Thailand-Rundschau

Der Blick von einem Hotel an der Yaowarat Road nach Nordosten zeigt eine faszinierende Aussicht auf Bangkok: Im Vordergrund, vor allem auf der linken (nördlichen) Seite bis weit über die Bildmitte hinaus sind an den markanten gelben und roten Staffeldächern zahlreiche Kloster- und Tempelgebäude erkennbar - Zeugen aus der Zeit der Entstehungsgeschichte Bangkoks, als die Kloster- und Tempelanlagen, damals zumeist noch am Rand der damaligen Bebauung gelegen, einen großen Teil der Fläche der thailändischen Hauptstadt einnahmen. Im Zuge der Stadtausdehnung, vor allem in der 1960er und 1970er Jahren, wurden die vor-maligen ein- und zweistöckigen Wohngebäuden und Shophouses dann durch mehrstöckige Häuser ersetzt. Diese bauliche Nachverdichtung erfolgte in sehr unterschiedlicher Weise, mit verschiedenartigsten Baustilen, -materialien, -höhen, durch individuelle Bauherren oder Inves-torengemeinschaften: Ein sehr heterogenes Bebauungsmosaik entstand. Seit der 1980er Jah-ren und vor allem seit dem Einsetzen des enormen Wirtschaftsbooms 1987/88 erfolgte dann eine weitere Nachverdichtung durch erneut höhere, moderne Wohn- und Bürohochhäuser (linke Bildmitte und außen-rechter Bildvordergrund) bzw. eine völlig neue Hochhausbebauung im großen Stil (Bildhintergrund), weitflächig im Bereich zwischen Rama IV- und Petchaburi Road sowie um die Sukhumvit Road und den Makkasan-Bahnhof. Rechts neben dem höchs-ten Gebäude, dem Baiyoke II-Tower, sieht man, verdeckt hinter einem schwarzen Baukörper, die Spitze des Baiyoke I-Tower, der 1988 das seinerzeit höchste Gebäude Thailands war. Seither wurden mehr als 250 Hochhäuser ähnlicher Höhe gebaut. Insgesamt entstanden in Bangkok seit 1988 mehr als doppelt soviel Büro- und Wohnfläche wie in der ganzen 200-jährigen Geschichte Bangkoks vor 1988. Dieser Bauboom war zugleich Anlass und Be-schleunigungsfaktor der sog. Asienkrise von 1997 sowie Motor der zunehmend globalisierten Entwicklung der thailändischen Hauptstadt. Bangkok ist über die Hauptstadt hinaus heute ei-ne der führenden Megastädte im Großraum Südostasiens, wichtiges Infrastruktur-Drehkreuz in Asien, Knotenpunkt wirtschaftlichen Wachstums – und zweifellos Motor auch der gesell-schaftlichen wie politischen Entwicklungen des gesamten Königreichs.

Frauke Kraas

Page 14: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

94

Bangkok: Megastadt auf dem Weg in die Postmoderne Frauke Kraas

Die thailändische Hauptstadt Bangkok ist seit Jahrzehnten die Megastadt mit dem weltweit aus-geprägtesten Primatstadtcharakter: In der Provinz (Changwat) Bangkok lebte 2007 mit offiziell ca. 5,72 Mill. Einwohnern (NSO 2008), realistischen Schätzungen zufolge mehr als 8 Mill. Menschen, knapp ein Zehntel der Landesbevölkerung; für 2010 wird die Zahl auf 6,98 Mio. Einwohner ge-schätzt (UN 2010: 44). Im gesamten megaurbanen Großraum Bangkok (Bangkok Metropolitan Regi-on, d.h. in der Provinz Bangkok, Samut Prakan, Nonthaburi, Pathum Thani, Nakhon Pathom und Samut Sakhon) konzentrieren sich mehr als 10,07 Mio. Menschen (2007; NSO 2008). Alle höherran-gigen politischen, wirtschaftlichen, administrativen und zivilgesellschaftlichen Institutionen sowie der weitaus größte Teil der Industrieunternehmen be-finden sich im Großraum Bangkok (Bronger/Stre-low 1996, Kraas 1996, McGee 1995). Weitere regional bedeutsame Städte, darunter Chiang Mai, Khon Kaen, Hat Yai, Chon Buri, Nakhon Sri Thammarat, treten an Größe und Bedeutung dem-gegenüber erheblich zurück.

Wie sensibel die Megastadt als Gesamtsystem auf wirtschaftliche Veränderungen reagierte, zeigte sich sowohl im Wirtschaftsboom seit 1987/88 als

auch 1997/98 während der sog. „Asienkrise“: Die sozioökonomischen Auswirkungen des enormen wirtschaftlichen Wachstums konzentrierten sich räumlich fast ausnahmslos auf den Ballungsraum Bangkok. Innerhalb des vor den 1980er Jahren bereits bebauten Stadtgebietes setzte ein rasanter Neubau von Büro- und Wohngebäuden ein und innerhalb des äußeren "Wachstumsgürtels" fand eine großflächige Ausweitung der Bebauung in die fruchtbare Schwemmlandebene des Maenam Chao Phraya statt, während die übrigen Provinzen Thailands fast nur in Tourismuszentren am Wachstum teilhaben konnten. Aber auch die Kon-sequenzen der „Asienkrise“ wurden überwiegend im Großraum Bangkok beobachtet: Die mit Ab-stand meisten Unternehmensschließungen und Entlassungen von Arbeitskräften erfolgten hier, unzählige Bauvorhaben wurden eingestellt, und massive Leerstände im Büro- und Wohnungssek-tor konzentrierten sich auf Bangkok.

Bangkoks Modernisierung seit 1987/88

Fasst man die Entwicklung des Großraums Bang-kok seit Einsetzen des Wirtschaftsbooms 1987/88 zusammen, so sind vor allem folgende Charakte-ristika hervorzuheben: Zweifellos erfuhr die

Abb. 1: Heterogene Bausubstanz und -alter südlich der Altstadt

Page 15: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

95

Abb. 2: Kontrast zwischen Tradition und Moderne am World Trade Center

thailändische Hauptstadt im Zuge des rasanten Wirtschafts- und Infrastrukturwachstums durch Kapital-, Wissens- und Bevölkerungszustrom eine ungeheure Reorganisation und Modernisierung (Abb. 1). Aus der thailändischen Metropole wurde eine international wettbewerbsfähige Megastadt, deren Bedeutung und Reichweite innerhalb Süd-ostasiens enorm gewachsen ist. Seit 1987/88 ver-doppelte sich nicht nur die Zahl der Wohneinheiten und es verbreiterte sich die gesamte industrielle Produktion, sondern es veränderten sich massiv mit diversifizierter Einkommens- und Bildungssitu-ation auch die städtischen Lebensstile: Internatio-nalisierung von Handel und Konsum (Abb. 2), glo-bales Freizeit- und Erholungsverhalten sind ebenso anzutreffen wie moderne Architektur und eine reiche Kunstszene.

Abb. 3: Sozio-ökonomische Disparitäten auf engstem Raum am Westufer des Maenam Chao Phraya

Dabei verlief die Stadtentwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten weitgehend ohne steuernde

Lenkung. Obwohl seit Ende der 1950er Jahre von mehreren thailändischen Be-hörden, zumeist im Rahmen ausländisch unterstützter Entwicklungszusammenar-beit konkrete Pläne und Zonierungsvor-schläge zur Steuerung der Entwicklung ausgearbeitet waren, wurde kein Plan je offiziell als verbindlich beschlossen oder umgesetzt. Zur schwachen ordnungspoli-tischen Steuerung trugen eine sehr hie-rarchische, überwiegend personenge-bundene Entscheidungsfindung (ausge-prägte Patron-Klient-Beziehungen), ein stark zersplitterter Verwaltungsapparat ohne klare Aufgabenverteilung und man-gelnde Kooperation der behördlichen Abteilungen sowie eine erhebliche Zu-nahme privatwirtschaftlicher Investoren aus dem In- und Ausland bei. Die räum-

liche Ausdehnung des Stadtgebietes erfolgt seit Anfang der 1980er Jahre vor allem entlang von Verkehrsachsen in die südöstlichen und nördlichen Nachbarprovinzen. Abb. 4: Verkehrsstau auf dem Autobahnring um

Bangkok

Mangelnde Reglementierung sowie Bo-denspekulation ohne Erschließung oder geschlossene Bebauung von Flächen führten dazu, dass ein ungeregeltes Nut-zungsmosaik entstand, d.h. ein unmittel-bares Nebeneinander unterschiedlichster Flächennutzungen und mit großen bauli-chen Gegensätzen (Abb. 3): Landwirt-schaftlich genutzte Flächen liegen somit heute direkt benachbart zu industrieller Produktion, Freizeitparks und Wohnge-bieten, oft in sehr kleinräumiger Vermi-schung, so dass Flächennutzungskonflik-te nahezu „vorprogrammiert“ sind.

Zu den größten Problemen Bangkoks zählen trotz Modernisierungsprozessen auch weiterhin unterschiedlichste Über-lastungserscheinungen: Verkehrsstaus

Page 16: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

96

Abb. 5: Sukhumvit Road: Verkehrsträger auf zwei „Stockwerken“

(Abb. 4), hohe Luft-, Wasser- und Bodenver-schmutzung, Abwasser- und Abfallentsorgungs-probleme, Landabsenkungen durch starke Grund-wasserentnahme und Hochhausbebauung sowie erhebliche Verkehrsstaus, selbst wenn sich durch den Bau von modernen Massenverkehrssystemen die Situation etwas entspannt hat (Abb. 5). In den letzten 20 Jahren verschärften sich zudem die Unterschiede zwischen den Lebenswelten: Zur angestammten Bevölkerung traten durch Zuwan-derung neue Bevölkerungsgruppen aus den ländli-chen Provinzen, neue ethnische und sprachliche Minderheiten sowie neue Sozial-, Einkommens- und Verhaltensgruppen mit eigenen Lebensstilen und –präferenzen hinzu (Askew 1994, 2002, So-pon 1992).

Mit steigendem wirtschaftlichem Wohlstand verän-dern sich besonders für die Mittel- und Ober-schichten die Ansprüche an die Wohnfläche, den Ressourcenverbrauch (vor allem: Wasser, Energie

und Nahrungsmittel) sowie die Art der Nutzung von Raum und Zeit. Die neuen Sozialschichten

prägen und tragen, bestimmen und finan-zieren das moderne Bangkok. Aber erheb-liche, wachsende sozio-ökonomische Dis-paritäten und soziale Polarisierung sind nicht nur innerhalb Bangkoks sowie vor allem zwischen den ländlichen Peripherien und der Hauptstadt zu beobachten – wie in den politischen Auseinandersetzungen unübersehbar wirksam ist, die letztlich auch aus zunehmender Ungleichheit zwi-schen städtischen Eliten und der ländli-chen Bevölkerung erwachsen.

Vor dem Hintergrund der jüngsten wirt-schaftlichen und sozialen Entwicklungen im Großraum Bangkok, die teilweise durchaus an vergleichbare Entwicklungen in anderen Megastädten der Industrie- und Schwellenländer erinnern (Kraas 2004, 2007), stellt sich die Frage, ob Bangkok sich nicht bereits auf dem Weg zu einer postmodernen Stadtentwicklung befindet? Mit dieser Frage verbinden sich die Ent-scheidungen, in welcher Weise die für die weitere Entwicklung der thailändischen Hauptstadt verantwortlichen Akteure ihre raumentwicklungspolitischen Präferenzen ausrichten könnten. Auch lassen sich ge-wisse Zukunftsvisionen und -szenarien ableiten.

Bangkoks Übergang zur Postmoderne?

Der US-amerikanische Geograph Edward Soja stellte in einer visionären Monogra-phie zur Theorie postmoderner Urbanisie-rung (2000) sechs charakteristische Pro-zesse heraus, die symptomatisch für eine postmoderne Stadt sind. Sinngemäß sind

dies: (1) der Umbau vormals fordistisch geprägter Produktion zu flexiblen Produktionssystemen, (2) der Umbau einer Stadt zu einer sog. „global city“, (3) die Errichtung urbaner Großinfrastrukturen, (4) die Zunahme städtischer Polarisierung und sozia-ler Segregation, (5) die Sicherung der Ordnung in der Stadt durch private Sicherheitssysteme und (6) ein Bruch mit ursprünglichen Vorstellungen über das „Urbane“. Für Soja dient die global ausgerich-tete Megastadt Los Angeles als Paradebeispiel insofern, als hier die vom Konsum geprägte und von ihm abhängige Stadt mit künstlichen Konsum- und Freizeitwelten und ausgeprägter Konsumar-chitektur sehr augenfällig zutage tritt.

Gemessen an den genannten Kennzeichen befin-det sich auch Bangkok auf dem Weg in die Post-moderne:

1. Teile der thailändischen Wirtschaft beginnen sich seit wenigen Jahren jenseits der dominie-renden, arbeitsintensiven industriellen Pro-

Page 17: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

97

duktion – die von hohen Beschäftigtenzahlen mit oft nur geringem Aus-bildungsgrad und Massen-produktion gekennzeichnet ist - einer dienstleistungs-orientierten Produktion zu-zuwenden, bei der höhere Bildung, Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sowie Konsum- wie Tele-kommunikationsorien-tierung gefragt sind (Schil-ler/Mildahn/ Revilla Diez 2009). So hat sich bei-spielsweise ein human-kapitalintensiver Sektor der Automobil- und Elek-tronikindustrie etabliert; aber auch hochqualitative Design- und Kosmetikpro-dukte, erzeugt in flexibler Marktanpassung, errei-chen inzwischen internati-onal wettbewerbsfähiges Niveau.

2. In Bangkok haben sich inzwischen, wenn auch bisher erst wenige Funktionen einer großregio-nal, weniger bisher auch global bedeutsamen Stadt angesiedelt. Zu diesen gehören etwa in-ternationale Finanz- und Versicherungsunter-nehmen, wenige „Kommandozentralen“ interna-tional operierender Unternehmen, das Kon- gresszentrum, der internationale Flughafen oder

großregional bedeutsame Institutionen. Gleich-zeitig sind zunehmende Polarisierungstenden-zen auf dem Arbeitsmarkt erkennbar.

3. Deutlich tritt in Bangkok seit einigen Jahren ein erheblicher Umbau der städtischen Gliederung hervor: Nicht mehr ein einziger Kern bildet das wirtschaftliche Zentrum (etwa die Altstadt oder ein „central business district“), sondern mehrere wirtschaftliche Zentren entwickelten sich - etwa die Bereiche um Central, Sukhumvit, Silom oder

Sathorn. Große Infra-strukturneubauten, wie der neue Flughafen Su-vannabhumi, neue Auto-bahnkreuze oder Hafen-neubauten wurden errichtet (Abb. 6). Mo-derne, großflächige - in-nenstädtische wie sub-urbane - Wohnquartiere wurden gebaut, die oft quasi wie Satellitenstäd-te mit einem hohen Grad an wirtschaftlicher und organisatorischer Unabhängigkeit ausge-stattet sind, d.h. mit ei-genen Einkaufszentren, Schulen, Krankenhäu-sern oder Freizeit- und Erlebniswelten. Groß-projekte, wie etwa Mu-ang Thong Thani, bele-gen die eingeschränkte Handlungsfähigkeit des Staates bzw. einer

Abb. 6: Neue Großinfrastrukturen sollen die Verkehrsüberlastung in Bangkok lindern helfen

Abb. 7: Heterogenes Landnutzungsmosaik im "urban fringe" von Bangkok: Landwirtschaft und Brachflächen in direkter Nachbarschaft zu dichter Wohn-bebauung und Industrieunternehmen

Page 18: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

98

Stadtverwaltung und sind Elemente postmoder-ner Fragmentierung der Städte in multizentri-sche Strukturen und unabhängige Siedlungsbe-reiche („Heteropolis“).

Wenn auch in Bangkok sog. „gated communi-ties“, d.h. bewachte und nur für autorisierte Be-völkerungsgruppen zugängliche Wohngebiete, bisher im Vergleich zu anderen Weltregionen (etwa Nord- und Südamerika) noch wenig anzu-treffen sind, und auch „High-tech“-Korridore, wie z.B. Silicon Valley/USA, Orange County/USA oder Cyberjaya/Malaysia, bisher nicht errichtet wurden, so wird doch deutlich, wie sehr eine „Verinselung“ der Stadtstruktur in völlig unter-schiedliche Nutzungen auch in Bangkok längst eingesetzt hat (Abb. 7). Hierzu zählt auch die Zunahme städtischer Polarisierung zwischen Teilräumen und Angehörigen unterschiedlicher Einkommens-, Bildungs- und Lebensstilgruppen sowie Bevölkerungsgruppen unterschiedlichster Herkunft, Machtbefugnisse und Integrations-chancen. Gerade die unteren Einkommens-gruppen werden hierdurch – allen Aufwertungs- und sozialen Hilfsprojekten zum Trotz – letztlich zunehmend marginalisiert, selbst wenn es Bei-spiele gelungener Vorgehensweise gibt, die von gewisser Teilhabe am Wirtschaftswachstum zeugen mögen.

4. Zumindest teilweise ist auch in Bangkok bereits eine Privatisierung öffentlichen Raumes zu beo-

bachten, so etwa durch kontrollierten bzw. kon-trollierbaren Zugang zu Wohngebieten, Ein-kaufszentren und Freizeiteinrichtungen. Auch eine Kontrolle von zumindest Teilen der Stadt durch private Sicherheitssysteme ist zu finden – wie etwa in sog. „gated communities“ (Abb. 8) und Apartmenthochhäusern, z.B. entlang der Sukhumvit Road oder großflächigen Wohnkom-plexen entlang der Ausfallachsen zum Eastern Seaboard. Was speziell das Merkmal der Kon-sum- und Freizeiteinrichtungen angeht, so ist Bangkok ungewöhnlich gut ausgestattet: Das Einkaufszentrum Central World z.B. ist mit mehr als 550.000 m2 der derzeit größte „lifestyle shopping complex“ in Südostasien, in dem über 500 Geschäfte, mehr als 50 Restaurants und 20 Kinos sowie zwei Department Stores, zudem in Verbindung mit dem Bangkok Convention Cent-re und dem World Hotel Bangkok zu finden sind. Weitere große Komplexe, wie das Siam Para-gon oder das Mah Boon Krong Shopping Cent-re, The Emporium, Siam Centre oder Amarin Plaza, belegen die mehrkernige Struktur der Konsumzentren in der Stadt.

5. Am wenigsten greifbar ist in Bangkok noch der Bruch mit gängigen Vorstellungen über die Auf-gaben und Funktionen sowie den Verständnis von „Urbanität“: Während diese im „traditionel-len“ Sinne die Stadt als einen Inbegriff wirt-schaftlicher und zivilgesellschaftlicher Entfaltung und Freiheit verstand („Stadtluft macht frei“), so

Abb.8: Postmoderne Luxusvillen in einer "gated community"

Page 19: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

99

Abb. 9: Urbanes Erbe im Schatten postmoderner Bauentwicklun-gen am Maenam Chao Phraya

beginnen sich aktuelle städtische Wirklichkeiten inzwischen von diesem eher „europäisch-bürgerlichen“ Konzept zu entfer-nen. Der zunehmende Verlust an Ursprünglichkeit, Authentizität und urbanem, historischem Kulturerbe (Tiamsoon 2009; Abb. 9), man-gelhafter Fähigkeit zu sozialem Ausgleich, nachlassende Integra-tionsfähigkeit und nachlassende Steuerbarkeit städtischer Entwick-lung führen dazu, dass über „Stadt“ als komplexes Gefüge neu nachgedacht werden muss. Für Bangkok bedeutet dies durchaus konkret, dass sich die für die wei-tere städtische Entwicklung ver-antwortlichen Akteure – von Ver-waltung, Wissenschaftlern und Planern über die Entscheidungs-träger der Privatwirtschaft bis hin zu Aktiven in zivilgesellschaftli-chen Gruppen (Nicht-Regierungs-organisationen wie Nachbar-schaften) - in Querschnittsgremien über die unterschiedlichen Vor-stellungen über die zukünftige Entwicklung Bangkoks verständi-gen müssten.

Entwicklung von Visionen?

Inwiefern lassen sich aus den vor-ausgegangenen Gedanken und Be-obachtungen Anregungen für die zukünftige Entwicklung der thailändi-schen Hauptstadt ableiten und – in gewissem Maße – Zukunftsvisionen formulieren?

Zunächst muss gesagt werden, dass es sich bei der Bezeichnung, dem Konzept und der Theorie einer „postmodernen Stadtentwick-lung“ nicht um eine zwangsläufig „gegebene“ Wirk-lichkeit, auch nicht eine in sich schlüssige Theo-rieofferte handelt. Auch kann gefragt werden, ob es sich nicht eher um eine Konstruktion von Wirk-lichkeit und eine (zumindest fragwürdige) Übertra-gung von Beobachtungen in Nordamerika auf Bangkok handelt?

Bei aller möglichen Zurückhaltung der Konzeption und Vorsicht einer Übertragbarkeit gegenüber ist jedoch anzuerkennen, dass sich in Bangkok seit einigen Jahren in erheblichem Maße Entwicklun-gen beobachten lassen, die sich auch in anderen Megastädten der Welt finden. Entsprechend sollte – wie bei anderen Megastädten weltweit auch – über einige für die zukünftige Entwicklung Bang-

koks wesentliche Rahmenbedingungen nachge-dacht werden:

1. Mehr als früher sind Städte und Megastädte das Ergebnis von Entscheidungen und Hand-lungen vielzähliger Akteure – Individuen, Gruppen, Interessensgemeinschaften, strate-gischen Allianzen, Parteien etc. Und so wäre es auch für Bangkok sinnvoll, dass überinstitu-tionell legitimierte Vertreter aus den Bereichen von Verwaltung, Planung, Aristokratie, Militär, Sangha, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft in einen Dialog über Rolle und Entwicklungs-richtung der thailändischen Hauptstadt im in-ternationalen und nationalen Rahmen eintre-ten würden – als ein räumlich fokussierter Teil der längst die gesamte thailändische Gesell-schaft betreffenden Diskussion. Dies würde einem (post)modernen, multiperspektivischen

Page 20: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

100

Verständnis von Stadtentwicklung entsprechen – auch wenn es zumindest für Bangkok ein neuer, unkonventioneller Weg des Austau-sches von Vorstellungen und Interessen wäre. In Zukunft kann es weder allein um die Stär-kung reglementierenden Eingreifens von Ver-waltungen und Regierungen „von oben“ noch allein um Strategien der Befähigung und Machtverstärkung („enabling“ und „empower-ment“) bereits bestehender Formen der Selbstorganisation und Selbststeuerung „von unten“ gehen, wie sie z.B. als private-public-partnerships, Nachbarschaftsverbindungen und community-based networks (squatters movements, women´s refuges etc.) auch in Bangkok existieren. Vielmehr sind komplexe, übergreifende Ansätze zu entwickeln, die vor allem auf die Abwendung sozialer Verwund-barkeit, die Entwicklung und Stärkung sozial angepasster Steuerungsformen und die Ein-beziehung zivilgesellschaftlicher Organisatio-nen zielen. Das aus europäischer Sicht nahe liegende Ziel, neben offiziellen Verwaltungen eine breite und ausreichende Partizipation demokratisch legitimierter Akteure sowie zivil-gesellschaftlicher Organisationen zu sichern, wird aber angesichts stark hierarchisch struk-turierter und handelnder Administration und Steuerung voraussichtlich auf absehbare Zeit noch ein nur in geringem Masse realistischer Wunsch bleiben.

2. Ebenfalls für Bangkok neu wäre es, wenn Ent-wicklungsvisionen aus einer Balance von „In-nen-„ und „Außensicht“ heraus entwickelt wür-den, d.h. wenn Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung – unter Einbeziehung der Mittel- ebenso wie der Unterschichten – ebenso ein-fließen würden wie Kenntnisse über die not-wendige Ausstattung einer wettbewerbsfähigen globalen Metropole. Hierzu zählen Mindeststan-dards an Lebensqualität ebenso wie ein gewis-ses Maß an Authentizität der Stadtentwicklung, Kultur- und Kunstszene sowie Konsum- und Freizeitangebote.

3. Voraussichtlich werden sich bei Zukunftsvisio-nen absehbar tradierte, unterschiedliche Grund-vorstellungen der Landesentwicklung an der zentralen Frage scheiden, ob man (a) vorrangig die Hauptstadt stärken soll, damit Thailand in-ternational wettbewerbsfähiger wird, und zu-gleich dann für einen regionalen Ausgleich zwi-schen den Provinzen sorgen soll, oder ob man (b) vorrangig eine Dezentralisierungsstrategie wählt, bei der Finanzmittel und Entscheidungs-

befugnisse gezielt von der Hauptstadt weggelei-tet werden, damit die peripheren Landesteile ei-ne verstärkte direkte Chance auf Teilhabe an den sozioökonomischen Entwicklungen Thai-lands erhalten.

Literatur Askew, M. (1994): Interpreting Bangkok: The Ur-

ban Question in Thai Studies. Bangkok. Askew, M. (2002): Bangkok. Place, practice and

representation. London. Bronger, D., M. Strelow (1996): Manila - Bangkok -

Seoul. Regionalentwicklung und Raumwirt-schaftspolitik in den Philippinen, Thailand und Südkorea. Mitteilungen des Instituts für Asien-kunde Hamburg 272.

Kraas, F. (1996): Bangkok. Ungeplante Mega-stadtentwicklung durch Wirtschaftsboom und soziokulturelle Persistenzen. Geographische Rundschau 48 (2): 89-96.

Kraas, F. (2004): Aktuelle Urbanisierungsprozesse in Südostasien. Geographica Helvetica 59 (1): 30-43.

Kraas, F. (2007): Megacities and Global Change in East, Southeast and South Asia. Asien 103: 9-22.

McGee, T.G. (1995): Metrofitting the Emerging Mega-Urban Regions of ASEAN: An Overview. In: McGee, T.G., Robinson, I.M. (eds.): The Mega-Urban Regions of Southeast Asia. Van-couver: 3-26.

NSO (National Statistical Office) (2008): Key Sta-tistics of Thailand 2008. Bangkok.

Schiller, D.; Mildahn, B.; Revilla Diez, J. (2009): Barriers against the transfer of knowledge be-tween universities and industry in newly-industrialised countries: an analysis of univer-sity-industry linkages in Thailand. In: Varga, A. (ed.): Universities, Knowledge Transfer and Regional Development. Cheltenham: 295-320.

Soja, E.W. (2000): Postmetropolis. Critical studies of cities and regions. Oxford.

Sopon Pornchokchai (1992): Bangkok Slums. Re-view and Recommendations. Bangkok.

Tiamsoon Sirisrisak (2009): Conservation of Bang-kok old town. Habitat International 33: 405–411.

UN (United Nations) (2010): World Urban Pros-pects. The 2009 Revision. Highlights. New York.

Abb. 1-9: © Frauke Kraas

Prof. Dr. Frauke Kraas arbeitet als Stadt- und Sozialgeographin an der Universität zu Köln. Seit 1989 enga-giert sie sich für die Deutsch-Thailändische Gesellschaft, 1991-1993 im Beirat, seit 1993 Mitglied des Vor-stands, von 1997 bis 2009 als Vizepräsidentin, seit 2009 als Präsidentin.

Page 21: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

101

»Essen wie die Tiger« Die Regionalküche des Isaan und die Politik der Ernährung in Thailand

Marin Trenk

In kulinarischer Hinsicht durchzieht Thailand eine Linie, die die südliche Landeshälfte, also Bangkok und die Zentralprovinz sowie den eigentlichen Süden, vom Norden und Nordosten scheidet. In den beiden südlichen Regionalküchen ist Reis das Grund-nahrungsmittel, Fischsauce (nam plaa) ist als Gewürz unverzichtbar, und viele Gerichte werden mit Kokos-milch zubereitet. In den beiden nördli-chen Regionalküchen dagegen bildet „Klebreis“ die Grundlage jeder Mahl-zeit, es wird mit plaaraa, einer Varian-te der Fischsauce gekocht, und Ko-kosmilch findet außer bei der Zubereitung von Süßspeisen keine Verwendung. Außerdem wird im Nor-den rohes Fleisch geschätzt, während es in den anderen Landesteilen ver-pönt ist. Ein Aspekt steht quer zu die-ser kulinarischen Nord-Süd-Teilung: Während man die chilibegeisterte thailändische Küche insgesamt als scharf bezeichnen kann, tun sich zwei Regionen durch besondere Schärfe her-vor: der Süden und der Isaan. Demgegenüber tut sich die Küche Bangkoks und der Zentralprovinz durch einen verschwenderischen Umgang mit Zucker hervor, der vor fast keinem Gericht mehr halt macht. Dieser Trend erfasst allerdings zu-nehmend ganz Thailand.

Wenn ein Reisender am Busbahnhof von Chiang Rai, im äußersten Norden Thailands, oder in Krabi, tief im Süden, ankommt, kann er seinen Hunger an Essensständen stillen, die typische zentralthailän-dische Speisen anbieten. An beiden Orten findet er auch Garküchen des Isaan vor. Gerichte des Nordens und Südens dagegen findet man außer-halb ihrer Heimatregionen nur gelegentlich. Auf die zentralthailändische und isaanische Küche dage-gen stößt man in allen Landesteilen. Bei diesen beiden expansiven Küchen haben wir es freilich mit zwei sehr unterschiedlichen Phänomenen zu tun. Dass einige Speisen aus der Küche des politi-schen Zentrums des Landes im gesamten König-reich geschätzt werden, ist nicht verwunderlich. Erstaunlich ist die Verbreitung der Küche des I-saan, Thailands marginalisiertem Nordosten (zu dessen Geschichte siehe Grabowsky 1995).

Viele Thai sehen im Nordosten eine rückständige Provinz, und das bäuerliche Essen des Isaan galt besonders in Bangkok lange Zeit als ungenießbar. Trotzdem hat sich ahaan Isaan, die regionale Ess-

kultur, über ganz Thailand verbreitet. In jüngster Zeit konnten sich Isaan-Restaurants sogar am Siam Square in Bangkok etablieren, dem kommer-ziellen Herz der Mega-Metropole. Wie konnte es soweit kommen?

Die „extreme Cuisine“ des Isaan

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts notierte der Bischof Pallegoix (1976: 16), dass sich die Ernäh-rung der „Lao“ von jener der Thai unterscheide. Das Grundnahrungsmittel der Lao, wie man da-mals neben den heutigen Laoten auch die Bewoh-ner des Isaan sowie ganz Nordthailands nannte, sei Klebreis und ihr Lieblingsessen fermentierter Fisch; mit Chili vermischt, verstünden sie daraus eine Sauce zu bereiten, die sie zu ihrem Reis es-sen würden. Daneben schätzten sie den Genuss von Schlange, Eidechse, Frosch und Ratte so sehr, dass sie sich damit begnügten, diese Tiere einfach auf den Grill zu legen. Der Franzose hat mit dieser knappen Bemerkung zwei wesentliche Aspekte der Isaan-Küche benannt und bereits deren Neigung zur „extreme cuisine“ erkannt (vgl. Hopkins 2004).

Seither wurde zur lokalen Esskultur wenig ge-schrieben und noch weniger geforscht. Besucher aus dem Westen, farang, die es als Entwicklungs-helfer (Comeaux 2002: 135-142) oder, in steigen-der Zahl, als Ehemänner in den Isaan verschlagen hat, delektieren sich gerne an den vermeintlich abstoßenden Facetten der Esskultur vor Ort. Der Wahl-Isaaner Ruffert etwa meint, dass einem nach

Page 22: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

102

dem Verzehr von Papayasalat „die Flammen aus dem Hals schlagen“ (Ruffert o. J.: 80) würden. Auch scheinen ihm gewohnte Beschränkungen und Tabus zu fehlen, so dass der lokale Appetit vor kaum etwas das Kreucht und Fleucht Halt ma-che, seien es Ratten, Reptilien oder Insekten: „Auf den Märkten und am Straßenrand bieten fliegende Händler all das, was wir normalerweise mit der Fliegenklatsche erschlagen oder mit der Spraydo-se erledigen, als Delikatesse an“ (Ruffert o. J.: 82). Sehr gründlich sind dagegen die Studien zweier französischer Wissenschaftler ausgefallen, die eine Bestandsaufnahme der Alltags- und Fest-tagsküche zweier Dörfer in der Provinz Khon Kaen bieten (Levy-Ward 1993; Formoso 1993).

Am nachhaltigsten könnte aber ein Roman die Wahrnehmung der Ernährungsgepflogenheiten des Isaan geprägt – und in die Irre geführt haben. A Child of the Northeast von Kampoon Boontawee (1976/1991) spielt im frühen 20. Jahrhundert und handelt von einer Zeit der anhaltenden Trocken-heit und folglich großen Not für die Bevölkerung eines Dorfes in der Provinz Ubon. In dieser Erzäh-lung, die ähnlich behäbig wie die Flüsse des Isaan daherkommt und dabei eine Fundgrube für die lokale Essordnung ist, scheinen die Menschen schlichtweg alles Essbare zu vertilgen. Neben Grillen und Zikaden werden mit gutem Appetit auch deren Eier verspeist, laab wird nicht nur von Fröschen, Geckos oder Chamäleons, sondern auch vom Skorpion und der Tarantula zubereitet, ja selbst Eulen werden für ein Curry nicht ver-schmäht.

Kampoon betont zwar, für wie köstlich den Isaa-nern diese Speisen gelten (1991: 35, 179, 239, 403). Trotzdem kann beim Lesen das Missver-ständnis entstehen, die schiere Not habe die Men-schen des Isaan in eine besonders hemmungslos omnivore Spezies verwandelt, und nicht vielmehr die lokalen Geschmackspräferenzen. Der ameri-kanische Ethnologe Marvin Harris (1988) hat in seinem populären Werk Wohlgeschmack und Wi-derwillen den recht ethnozentrischen Fehlschluss, dass „dem Menschen“ Insekten eigentlich nicht schmecken würden, sogar zur einzig angemesse-nen wissenschaftlichen Sichtweise erklärt (1).

Ahaan Isaan: Das rohe und das gekochte Laab

Der Isaan, die Volksrepublik Laos und der Norden Thailands um Chiang Mai herum bilden die einzige Region der Welt, deren Grundnahrungsmittel Kleb-reis (kao niao) ist. Klebreis wird nicht gekocht, sondern gewöhnlich über Nacht in Wasser einge-weicht und dann morgens als erstes in jedem Haushalt im Dampf gegart. Er wird zu allen Mahl-zeiten in geflochtenen Körbchen aufgetragen und daraus mit der Hand gegessen, wobei er zu klei-nen Bällchen geformt wird, mit denen die übrigen Speisen aufgenommen werden, sofern sie nicht zu flüssig sind.

Neben Klebreis als der Grundlage jeder Mahlzeit stellt paa daek (auf Thai plaa raa genannt, „ver-gammelter Fisch“) das prägende Ingredienz der Isaan-Küche dar. Dabei handelt es sich um fer-mentierten Fisch oder eine fermentierte Fischsau-ce, die eine intensiv riechende und schmeckende Variante der herkömmlichen thailändischen nam plaa darstellt. Im Isaan werden beide Fischsaucen verwendet, wobei paa daek vielen lokalen Gerich-ten eine dunkle Färbung und fast erdige Ge-schmacksnote verleiht, die sich deutlich von dem vergleichsweise lieblichen Ton vieler thailändi-scher Speisen abhebt.

Wenn thailändisches Essen ein sehr gewürzinten-sives Zusammenspiel von Schärfe, Säure und Süße ist, dann gilt für die Küche des Isaan, dass sie nicht nur schärfer und säuerlicher ist, sondern einen ausgesprochenen Zug zum Herben und Bitteren aufweist. Sogar die Verwendung von Gal-le als Gewürz kennt diese Küche. Deswegen er-schließt sich die Isaan-Küche dem Neuling nicht so leicht.

Im Isaan steht somtam täglich auf dem Speise-plan, es ist das bekannteste und beliebteste Ge-richt. Som tam (wörtlich: sauer, gestampft) ist ein Salat auf der Basis von grüner Papaya und wird mit paa daek in einem Mörser angemacht. Som-tam ist ein herber und wahrlich scharfer Genuss, da gewöhnlich fünf bis zehn Chili pro Portion ver-wendet werden. Papayasalat mit Klebreis gilt als Alltagsessen; wenn es dazu noch mariniertes ge-grilltes Huhn gibt, haben wir eine Kombination vor uns, die vielfach als der Inbegriff des kulinarischen Isaan gilt. Obwohl es sich bei somtam um einen Salat handelt, wird das Gericht nicht als Salat (y-am) klassifiziert, sondern bildet eine eigene Kate-gorie von Speisen. Dies unterstreicht den beson-deren Status, der dem Gericht zukommt.

Die für die zentralthailändische Küche wichtige Kategorie yam oder Salat, zu der einige der mar-kantesten Gerichte des Landes zählen, spielt im Isaan eine bescheidene Rolle. Salate klassifiziert man im Isaan gewöhnlich nicht als yam. Ein Bei-spiel ist sup noomai, ein Salat aus fermentiertem Bambus, der eine eigene, sup genannte Speisen-kategorie begründet. Wichtiger ist, dass viele Sala-te auf der Basis von Fleisch oder Fisch im Isaan nicht als yam gelten. Darunter sind viele Gerichte, durch die sich die Küche des Isaan hervortut und die zum Kern ihrer kulinarischen Identität gehören, allen voran laab.

Marco Polo berichtete, Bewohner der südchinesi-schen Provinz Yunnan würden aus kleingehackter roher Leber und anderen Innereien mit viel Pfeffer, Knoblauch und Kräutern ein Gericht zubereiten, das bei allen sozialen Gruppen sehr beliebt sei (vgl. Brennan 1981: 19f.). Da die Thai aus Südchi-na stammen, könnte dies der erste Hinweis auf den Genuss von laab unter den dortigen Tai-sprachigen oder benachbarten Völkern sein.

Page 23: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

103

Laab gibt es in zwei Arten, entweder gekocht oder roh. Für gekochtes laab (laap suk) wird Fleisch gehackt, kurz aufgekocht und schließlich mit ge-trocknetem Chili, Fischsauce und Limettensaft abgeschmeckt, wobei reichlich Minze dem Gericht seinen frischen Geschmack verleiht. Dabei werden Schärfe und Säure durch kao khua ausgeglichen, Klebreis, der ohne Fett geröstet und dann zersto-ßen wird. Erst kao khua, der überraschend nussig schmeckt, macht laab zu dem großen und charak-teristischen Gericht des Isaan. Laab, das meist lauwarm serviert wird, lässt sich aus allen Fleisch-sorten herstellen, wobei zur Herstellung nur Chili, Limetten und kao khua unverzichtbar sind, an-sonsten aber zahllose Variationen davon existie-ren. Bei dem nam tok („Wasserfall“) genannten Gericht handelt es sich um eine Version von laab auf der Basis von gegrilltem Fleisch und bei tap waan auf der Basis von Leber.

Das rohe laab (laap dip; auch goy genannt), das Carpaccio des Isaan, wird aus dem Fleisch von Rind oder Wasserbüffel und bisweilen von Fisch und sogar Schwein (aber keinesfalls von Huhn) zubereitet. Bei rohem laab, das traditionell eine den Männern vorbehaltene Festspeise gewesen war, zu der man reichlich Selbstgebrannten (lao kao) trank, tobt sich die Neigung zum extremen Essgenuss aus: So ist es nicht unüblich, das ferti-ge Gericht durch den Zusatz von Blut, Galle oder kii pia, einer grünlichen Magenflüssigkeit, abzu-schmecken (wobei mit Galle und kii pia bisweilen auch das gekochte laab gewürzt wird). Die Zube-reitung dieser virilen Sorte von laab gilt als Män-nersache. Zu rohem wie zu gekochtem laab isst man immer reichlich Kräuter und rohes Gemüse.

Während die im Wok gerührten Gerichte, wie sie für die Zentralprovinz typisch sind, in der Küche des Isaan fehlen, spielen Curries (gaeng), ähnlich wie in den anderen Regionalküchen, eine wichtige Rolle. Curries sind häufig rein vegetarisch, andere dagegen mischen (wenig) Fleisch mit (viel) Gemü-se, und sie werden immer mit der intensiven Fischsauce plaa raa und häufig mit herben und bitteren Kräutern abgeschmeckt, die ihnen einen unverwechselbaren Geschmack geben. Die Cur-ries des Isaan würden bei uns eher als Suppen gelten, sie haben nichts mit dem thailändischen Curry gemein, das mit Kokosmilch zubereitet wird. Daneben gibt es noch Gerichte vom Typ der thai-ländischen tom yam (wörtlich: „gekochter Salat“, weil sie zwar gekocht, aber scharf und sauer wie ein Salat sind), die sich nicht immer klar von einem Curry abgrenzen lassen, und die im Isaan einfach tom („Gekochtes“) heißen. Am bekanntesten ist tom saeb, eines der raren Gerichte der Region, das eine lange Garzeit benötigt. Dabei handelt es sich um eine Art Saures Lüngerl oder Beuschel, Isaan-style. Lunge, sowie Herz, Magen und Därme werden zu einer reichhaltigen, säuerlich und scharf schmeckenden Suppe gekocht. Tom saeb zählt man im Isaan zu den großen Delikatessen, die bei

keiner wichtigen Feier fehlen dürfen. Auch tom saeb wird gelegentlich mit Gallenflüssigkeit (dii) abgeschmeckt.

Mit somtam, laab, sup, gaeng und tom haben wir einige der wichtigsten, aber noch keineswegs alle Speisetypen der Isaan-Küche kennen gelernt. Neben den zahlreichen Dips (nam prik, wörtlich: Chiliwasser), die zumeist mit der Fischsauce paa daek angemacht werden und häufig so gehaltvoll sind, dass sie als eigenständige Gerichte angese-hen werden müssen, spielt noch Gegrilltes (y-aang), im Dampf Gegartes (neung) und in Blättern Gedünstetes (mok) eine wichtige Rolle, die hier nur angedeutet werden kann.

Und die Insekten, für deren Verzehr der Isaan so verschrien ist? Insekten finden nur bisweilen Ein-gang in die erwähnten Speisen, etwa wenn die begehrten Ameiseneier zu einem Curry verarbeitet werden. Zwar isst man im Isaan begeistert und ganz selbstverständlich vielerlei Arten von Insek-ten, aber sie gelten eher als Snacks, die man zwi-schen den Mahlzeiten genießt.

Reis auf den Feldern, Fische im Wasser & Coke im Kühlschrank

Die Bedeutung des Essens für die Menschen des Isaan kann man sich gar nicht groß genug vorstel-len. Als Fremder wird man immer wieder darauf angesprochen, ob man die einheimischen Speisen essen könne – ahaan gin pen bo? Das Seltsame an dieser Frage ist, dass sie nicht darauf zielt, ob einem das Essen schmeckt, sondern ob man im Stande ist, es zu sich zu nehmen. Dabei mag die Schärfe eine Rolle spielen, aber mehr noch die Erfahrung, dass Fremde ihre Küche, die über die Schärfe hinaus zu extremen Geschmäckern neigt, häufig in Bausch und Bogen ablehnen. Es gehört zu den erstaunlichen Erfahrungen einer Feldfor-schung im Isaan, dass viele der dort eingeheirate-ten Fremden selbst nach Jahren die Küche kaum kennen und sich weigern, von den meisten Spei-sen, die in ihren Familien täglich gegessen wer-den, überhaupt zu probieren.

Heute ist diese Cuisine allerdings tiefgreifenden Prozessen des Wandels ausgesetzt. Bevor ich mich diesen zuwende, muss ich zunächst einen Faktor der Beharrung ansprechen.

Auf der berühmten Stele von Sukhotai aus dem Jahr 1292, die von der Macht des Königs und vom Wohlstand seines Königreichs kündet, heißt es: „Zur Zeit König Ramkamhaengs blüht Muang Suk-hotai. In den Gewässern gibt es Fische, in den Feldern gibt es Reis.“ Mit Reis und Fisch haben wir das alte thailändische Ernährungsmuster vor uns, das im Isaan seine Gültigkeit nicht verloren hat. Obwohl es sich häufig nicht rechnet, baut auf dem Lande so gut wie jede Familie ihren Reis an, und darüber hinaus bieten die überfluteten Reis-felder mit den benachbarten Gewässern einen

Page 24: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

104

kaum versiegenden Strom von Essbarem an. In der bäuerlichen Kultur des Isaan kommt dem Ja-gen und Sammeln kulinarisch noch eine erstaunli-che Bedeutung zu.

Dennoch zeichnen sich bei der alltäglichen Ernäh-rungsweise drastische Veränderungen ab. Auch wenn die herkömmliche Struktur der Mahlzeiten weitgehend intakt ist, sind Prozesse ihrer Auflö-sung unübersehbar. In traditionellen Agrargesell-schaften, stellt Sidney Mintz (1992) fest, besteht eine Mahlzeit immer aus einem Grundnahrungs-mittel in Gestalt eines komplexen Kohlenhydrats, dem eine oder mehrere geschmacksintensive Bei-lagen zugeordnet werden, die diese kohlehydrat-reiche Speise überhaupt erst schmackhaft ma-chen. Mintz nennt dies das Core-Fringe-Model der menschlichen Ernährung, wie es über Jahrtausen-de hinweg Bestand hatte. Im Isaan ist dieses „co-re“ natürlich der Klebreis, zu dem gewöhnlich eini-ge Gerichte als „fringe“ gereicht werden, die man in Thailand pauschal gap kaao (wörtlich: mit Reis) nennt. Während sich früher der Tag in drei Mahl-zeiten dieser Art gliederte, kann dies heute nicht mehr als selbstverständlich gelten. Manche Er-wachsenen und viele Kinder bevorzugen ein schnelles Frühstück nach westlichem Vorbild und trinken morgens Kaffee oder Milch und essen dazu Cornflakes. Schulkinder bekommen in Thailand neben Milch auch eine Schulspeisung, und das bedeutet im Isaan, dass sie mittags zumeist ein thailändisches Essen mit Reis vorgesetzt bekom-men, und nicht Klebreis mit den gewohnten Spei-sen (vg. Hetzelt 2009).

Aber auch die verbliebenen Mahlzeiten haben sich geändert. Während es Fleisch früher nur zu festli-chen Anlässen gab, sind heute Schweinefleisch, Geflügel und Zuchtfische billig zu haben. Nach meinem Eindruck wird im Isaan zwar nicht zu allen Mahlzeiten, aber zumindest einmal täglich Fleisch gegessen, wenn auch bei weitem nicht in den aus dem Westen vertrauten Mengen. Die lokale Vor-liebe für rohes und gekochtes Gemüse ist von dieser Entwicklung unbeeinflusst geblieben. Ein weiterer Effekt dieser Entwicklung ist, dass die ausgesprochenen Festspeisen des Isaan, wie laab oder tom saeb, ihren exklusiven Charakter einge-büßt haben und heute im Alltag gegessen werden.

Manche Mütter klagen, wie Nora Hetzelt (2009) bei ihrer Feldforschung in der Provinz Nong Bua Lam-phu zu hören bekam, dass ihre Kinder abends kaum noch Appetit hätten und keinen Klebreis essen wollten. In den Regalen der kleinen Dorflä-den nehmen Snacks bereits den meisten Raum ein, und die Kühltruhen quellen über vor Coke und Limonaden. Selbst in den ärmeren Familien schei-nen Kinder selten auf die täglichen Softdrinks, Snacks und Süßigkeiten verzichten zu müssen. Da Snacks in Thailand nicht als richtiges Essen gel-ten, nehmen sie die Eltern nicht ernst und schrei-ten nicht ein, wenn sich ihre Kinder vor dem A-

bendessen noch Tüten davon einverleiben. Eher scheinen viele Erwachsene ähnlich unbekümmert mit dem steigenden Angebot an Süßem umzuge-hen. Die gravierendste Folge dieser mehrfachen Veränderungen ist mit dem bloßen Auge erkenn-bar: Auch im Isaan, mit seinen eher schmalgliedri-gen Menschen, sind in der Zwischenzeit immer mehr Kinder übergewichtig.

Während sich also die Grundstruktur der Mahlzeit im großen Ganzen kaum gewandelt hat, finden immer mehr Fleisch und Fett den Weg in die Kü-che, wodurch sich das Verhältnis von Reis (kaao) zu Beilagen (gap kaao) zum Teil drastisch ver-schoben hat. Die ehemaligen Festtagsspeisen haben viel von ihrer Exklusivität verloren und sind alltäglich geworden. Im öffentlichen Raum hat die thailändische Küche neben der einheimischen einen festen Platz, und der Schulspeisung kommt eine wichtige Rolle bei der Verbreitung und Veran-kerung thailändischer Essmuster zu. Schließlich übernehmen industriell erzeugte Snacks einen wachsenden Anteil an der täglichen Kalorienzu-fuhr. Dadurch erhöht sich der Anteil von Zucker und Fett an der Ernährung noch mehr, was zu einer weiteren Auflösung der alten Ernährungs-muster beiträgt. Zukünftig wird die Küche des I-saan sicher keine so uneingeschränkte Rolle wie in der Vergangenheit mehr spielen.

Ausgrenzung und Aneignung: “If you can’t beat them – eat them!”

Mit der Herausbildung des modernen thailändi-schen Nationalstaats ging eine Fixierung von Reis (kaao jao) und Fischsauce (nam plaa) als den Grundlagen der „thailändischen Küche“ einher. Folglich stießen insbesondere die Säulen der lao-tischen Küche, Klebreis und fermentierter Fisch (plaaraa), auf Ablehnung. Sie wurden – und wer-den zum Teil bis in die Gegenwart hinein – mit den unterschiedlichsten Argumenten bekämpft, darun-ter zunehmend auch medizinischen (vgl. Lefferts 2005). Die Kanadierin Marilyn Walker, die in den 1980er Jahren die kulinarische Kultur von Bang-koks besserer Gesellschaft einer gründlichen Stu-die unterzog, kommt zu dem Schluss, dass der Isaan, den sie Bangkoks „barbaric ’other’“ nennt, kulinarisch vor allem mit Unterschicht (1991: 190ff.) assoziiert werde. Daneben aber konnte sie beobachten, wie die vermeintlich simple und rusti-kale Esskultur anfing, eine erstaunliche Verfüh-rungskraft auf sämtliche Bevölkerungsschichten zu entfalten (2).

Wie es zu diesem Sinneswandel und Siegeszug kommen konnte, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Natürlich kam ahaan Isaan zunächst mit der Migrationswelle gen Süden, die seit den 1950er Jahren ungelernte Arbeitskräfte in steigen-der Zahl nach Bangkok spült. Was aber geschah dann? Brachten die „Maids“ ihr Essen von der Straße in die feinen Häuser, oder fütterten die

Page 25: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

105

Kindermädchen bereits die Kleinen mit ihren hei-mischen Spezialitäten? Wahrscheinlich konnten viele Thai, die neuen Genüssen gegenüber aufge-schlossen sind, über kurz oder lang dem Duft von grüner Papaya und würzig gegrilltem Huhn auf ihren Straßen einfach nicht widerstehen. Sicher ist, dass das Paradegericht des Isaan, somtam mit Klebreis und gegrilltem Huhn, spätestens seit den 1970er Jahren „extrem populär in Bangkok“ (Wal-ker 1991: 191) ist. Auch dauerte es nicht lange, bis Isaan-Food zunehmend als schick und sanuk er-achtet wurde. Auf Matten sitzen, Klebreis mit der Hand essen und dazu Gerichte genießen, die mit wenig Fett (keine Kokosmilch!) und ohne Zucker zubereitet werden, erschien gesünder und authen-tischer als die gewohnte Nahrung. Vielen galt die Küche des Isaan deswegen geradezu als Thai tae, „echt Thai“ (Walker 1991: 195f.).

Doch ähnlich, wie man im gleichen Zeitraum in Deutschland von der italienischen Küche vor allem Pizza, Spaghetti und Tiramisu übernahm, wurden auch aus der Küche des Isaan nur einige wenige Gerichte übernommen und gleichzeitig „thai-isiert“.

An erster Stelle steht die Metamorphose von som-tam Lao zu der somtam Thai genannten Version. Somtam Thai wird ohne die charakteristische plaa-raa und mit weniger Chili zubereitet und schmeckt durch die Zugabe von getrockneten Garnelen, gerösteten Erdnüssen und Palmzucker in der Re-gel fast lieblich. Die beiden Varianten entsprechen somit recht gut dem Charakter ihrer jeweiligen Cuisine. Mit dem Papayasalat ging die Verbreitung von gegrilltem Huhn einher. Daneben fand mit koo muu yaang, Schweinenacken, der in einer Mi-schung aus gestampftem Knoblauch, Pfeffer, Kori-

anderwurzel, Fischsauce und Palmzucker einge-legt wurde, eine weitere Spezialität des Isaan breiten Anklang. Ähnlich beliebt ist ein vergleich-bares Grillgericht aus Rindfleisch, das seua rong

hai („Der Tiger weint“) genannt wird. Zu Gegrilltem gibt es Dippsaucen (nam jim), die, nicht anders als die Marinaden, zunehmend süßer ausfallen. Auch dies ist eine weitgehende Konzession an den vor-herrschenden thailändischen Geschmack.

Außerdem wurde laab übernommen. Das laab des Isaan, sei es aus Geflügel, Schwein oder Rind, besteht gewöhnlich aus einer Mischung von Mus-kelfleisch und Innereien. Gerade die Innereien aber, wie auch die Haut bei laab aus Schweine-fleisch, gelten zunehmend als verzichtbar. Außer-dem lassen sich natürlich auch hier der Schärfe-grad reduzieren und die verwendeten Kräuter variieren. Aber es wäre undenkbar, laab mit Galle oder kii pia anzumachen, den im Isaan beliebten, extremen Ingredienzien. Vor allem aber wird laab unter keinen Umständen roh verzehrt!

Hand in Hand mit diesen Speisen verbreitete sich Klebreis. Noch vor nicht langer Zeit als schlechter-dings ungenießbar abgelehnt und bekämpft (Lef-ferts 2005), haben neuerdings viele Thai an kao niao Geschmack gefunden. Dazu hat sicher beige-tragen, dass Klebreis sich als praktisches Finger-food erweist.

Während der älteren Generation jeder Papayasa-lat nach wie vor als ein Isaan-Gericht gilt, sehen die Jüngeren darin – in den Worten einer jungen und beruflich selbständigen Frau aus Bangkok – einfach „a Thai national dish“. Neben somtam, gegrilltem Huhn und Klebreis zählt auch laab zu den anerkannten Nationalgerichten, mit denen neuerdings das Thailändische Fremdenverkehrs-büro für die kulinarische Kultur des Königreichs wirbt. Ähnlich wie es Appadurai (1988) für Indien

analysierte, ist im heutigen Thailand eine „Nationalküche“ im Entstehen beg-riffen, in die einige Gerichte des Isaan Eingang gefunden haben. Durch diesen Prozess freilich wurden gewisse Spei-sen zunehmend „ent-ethnisiert“ und „ent-regionalisiert“, wie man es vor allem an der Dreier-Combo um somtam herum beobachten kann. Wenn Thai heute dieses verbreitete und äußerst beliebte Gericht bestellen, tun sie es zunehmend weniger im Bewusstsein, ein Regionalgericht des Nordostens vor sich zu haben.

Lasst uns Gekochtes essen!

In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine Phase der pauschalen Ausgren-zung der „barbarischen foodways“ des Isaan (Walker 1991: 191) durch eine Phase der selektiven Aneignung abge-löst, die zur Thai-isierung einiger aus-

gesuchter Gerichte führte. Dabei wurde aus der laotischen Küche des Isaan, mit ihrer Lust an ro-hen Speisen, gerade das Rohe verbannt.

Page 26: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

106

Für somtam Thai etwa wurde die „rohe“ plaaraa des Isaan durch die „gekochte“ thailändische Fischsauce nam plaa ersetzt. Allerdings haben in der Zwischenzeit viele Thai an plaaraa und som-tam Lao Geschmack gefunden. Folglich wurde plaaraa insgesamt vom einem rohen in ein ge-kochtes Nahrungsmittel überführt, und heute kommt sie gewöhnlich pasteurisiert auf den Markt. Schwieriger war es bei laap. Hier fand eine Auf-spaltung in ein gutes (gekochtes!) und ein schlech-tes (rohes!) laab statt. Während das gekochte laab zu einem Nationalgericht aufstieg, wurde das rohe laab zum Ziel nationaler Kampagnen. Heute wird in Thailand der Kampf gegen die „laotischen“ An-dersesser und Rohfleischfresser des Isaan aller-dings nicht mehr mit kulturellen, sondern mit medi-zinischen Argumenten geführt.

Seit über 30 Jahren bekämpft das Gesundheitsmi-nisterium das als unverantwortlich wahrgenomme-ne Essverhalten der Bewohner des Isaan. Aber wie die Statistik zeigt, geschah dies bislang ohne nennenswerten Erfolg. Man schätzt, dass bis zu 6 Millionen Menschen im Land von Parasiten befal-len sind, die durch den Verzehr von rohem Süß-wasserfisch übertragen werden können. Durch diese Infektion mit Leberparasiten (es handelt sich um opisthorchis viverrini, den Leberegel) kann es zu einem bösartigen Tumor der Gallenwege kom-men, dem Cholangio- oder Gallengangskarzinom. Während in der westlichen Welt auf 100.000 Men-schen ein bis zwei solcher Fälle kommen, sind es im Isaan bei Männern 80 und bei Frauen 40 (wo-bei die doppelt so hohe Rate bei Männern deutlich deren Präferenz für Rohes reflektiert). Damit hat Thailand die meisten Patienten weltweit mit die-sem Krebstypus – und fraglos ein echtes Gesund-heitsproblem.

Deswegen startete im Sommer 2009 die National Cancer Institute Foundation zusammen mit dem Pharmakonzern Bayer Thai die Pilotkampage „Kin Sook Saeb Lai – Than Pai Ma-Reng Tub (Let’s eat cooked food to prevent Liver Cancer)“(3). Wörtlich übersetzt lautet der laotische Name der Kampagne etwa „Das Essen von Gegartem/ Gekochtem schmeckt gut – zur Verhinderung von Leberkrebs“.

Aber wieso geht es hier pauschal um Gekochtes, und nicht einfach um die Meidung von rohem Süßwasser-Fisch?

Die nationale Kampagne „Lasst uns Gekochtes zur Verhinderung von Leberkrebs essen!“ wird in der Öffentlichkeit auch wesentlich als gegen alle rohen und fermentierten Speisen der Isaan-Küche ge-richtet verstanden. Ein Artikel in der Bangkok Post vom 11. September 2009 fängt unter der Über-schrift Overcoming a raw deal mit den Worten „Forking into uncooked Isan fare comes with the risk of getting liver cancer“ an und warnt am Ende pauschal vor dem Verzehr von plaaraa.

Leedom Lefferts, ein seit 40 Jahren über Thailand arbeitender amerikanischer Ethnologe, hat die Geschichte der offiziellen „Stigmatisierung“ von Klebreis und fermentiertem Fisch durch die thai-ländische Politik untersucht. Er sieht auch im Falle des Klebreises die „Medizin im Dienste der natio-nalen politischen Integration“ (Lefferts 2005: 254). Als nämlich Ende des 20. Jahrhunderts Diabetes vom Typ II immer verbreiteter auftrat, rieten Ärzte ihren Patienten aus dem Isaan, doch weniger Klebreis und mehr gewöhnlichen Reis zu essen. Denn Klebreis enthalte viel Zucker. Bedauerli-cherweise aber, so Lefferts, habe man sie nicht vor dem übermäßigen Konsum von Softdrinks oder den zunehmend süßer ausfallenden Gerich-ten der thailändischen Küche gewarnt. Unüber-sehbar ging es um eine Politisierung von Ernäh-rung und Essen in Thailands Nordosten.

Essen wie die Tiger

Zur Kernidentität der khon Isaan gehören die laoti-sche Sprache, die eigenständige Küche und ihre Musik. Neben der Küche ist in den letzten Jahren auch diese Musik in ganz Thailand immer beliebter geworden. In den Liedern stößt man auf eine wei-tere Art, wie mit diesem Angriff auf die eigenen Esstraditionen umgegangen wird. Die unter dem Künstlernamen „Saomaat Mega Dance“ bekannt gewordene Sängerin verkörpert selbstbewusst und selbstironisch den neuen Isaan. Ihr Lied Sao Lad Phrao, „Mädchen aus Lad Phrao“ (einem Stadtteil von Bangkok), in dem sich der Isaan selber auf die Schippe nimmt, wurde 2008 ein Riesenerfolg. „Das Mädchen aus Lad Phrao“ ist eine Putzhilfe, die beim Familienbesuch wie eine Diva durch den ländlichen Isaan stöckelt. Das Lied ist in einem wilden Gemisch aus Thai, Lao und Englisch ver-fasst, mit dem Refrain baan nook, baan nook. So nennt man in Bangkok das flache Land jenseits der Metropole, und besonders die Isaaner gelten als khon baan nook, also als Provinzler und Hin-terwäldler. Da hier der Isaan sich und seine Ei-genwilligkeiten verspottet, darf das Essen nicht fehlen. In dem Song etwa wird aus ahaan peun baan (wörtlich: Essen des Hauses), dem Ausdruck für einheimisches, lokales Essen, durch ein Wort-spiel – peun heißt auch Fußboden – die Überset-zung Food Floor House. Davon heißt es: Taan mai daai, taan mai daai, kann ich nicht essen, kann ich nicht essen! Warum sie das lokale Essen ver-schmäht, verrät ihre Frage „What is sleep in the Hai, ti sai somtam Lao?“ (was schläft im Hai – dem Tonkrug, in dem traditionell fermentierter Fisch, plaaraa, aufbewahrt wird – , das man in somtam Lao gibt?). Dieser Satz wurde durch das Lied in ganz Thailand bekannt. Am Ende freilich wird klar, dass das Mädchen aus Lad Phrao seiner Küche – und damit dem Isaan, seinen Wurzeln, seiner I-dentität – keineswegs entfremdet ist. Denn kaum zurück im geliebten Bangkok, stärkt sie sich als erstes in einem „Raan Laab“, einem kleinen Lokal

Page 27: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

107

in dem laab serviert wird, und zwar mit einer Porti-on somtam Lao, die mit ganzen plaaraa-Stücken angemacht ist!

Der selbstironische Song erfreut sich im Isaan großer Beliebtheit. Als aber im März 2009 bei ei-nem Konzert in Kalasin eine Sängerin aus Bang-kok Sao Lad Phrao anstimmte, erstarrten die zuvor ausgelassen agierenden Zuhörer. Anscheinend war den Musikern nicht klar, dass das populäre Lied als geradezu beleidigend empfunden werden musste, wenn eine thailändische Band es spielte.

Plaaraa wird eigentlich roh gegessen, auch wenn zunehmend mehr Leute aus gesundheitlichen Gründen „gekochte“ plaaraa vorziehen. Andere dagegen reagieren wie französische Bauern, de-nen EU-Bürokraten vorschreiben wollen, ihren Käse aus pasteurisierter Milch herzustellen. Wäh-rend in der thailändischen Küche aus dem Tier-reich eigentlich nur Garnelen und Austern als taug-lich für den rohen Verzehr gelten (und neuerdings natürlich Sushi!), kommt rohem Fleisch und Fisch im Isaan ein hoher Stellenwert zu. Dabei war Ro-hes traditionell eher den Männern vorbehalten und bildete den Höhepunkt der Festspeisen. Frauen dagegen, vor allem wenn sie noch im gebärfähi-gen Alter waren, mieden rohes Fleisch und vor allem laab, dem frisches Blut beigegeben wurde, laab leuat (vgl. Formoso 1993). Eine der bemer-kenswertesten Veränderungen im Essverhalten der Bewohner des Isaan betrifft diese Zuordnung von Gekochtem zu den Frauen und Rohem zu den Männern. Zunehmend mehr Frauen, ältere als auch jüngere, essen rohes laab und trinken dazu

in aller Öffentlichkeit Bier und Schnaps, wie man dies bislang nur von den Männern kannte. Dabei scheint das von thailändischer Seite weiterhin ausgegrenzte rohe laab, und hier besonders das laab von Rind und Wasserbüffel, auf dem besten Weg zu sein, zum identitätsstiftenden Gericht zu werden. Die khon Isaan, erzählte mir der Koch eines kleinen Lokals in Pha Kao in der Provinz Loei, essen nun einmal wie die Tiger, gin meuan seua. Sie bräuchten für die Zubereitung ihrer Speisen nicht unbedingt Feuer, denn wie den Ti-gern schmecke es ihnen auch roh.

Allen Kampagnen zum Trotz: Der kulinarische Isaan bleibt in Thailand auf dem Vormarsch. Die Schlacht gegen Klebreis etwa ist verloren (4). Klebreis findet man in ganz Thailand als praktische Beilage zu allerlei Snacks. Das einst anrüchige Grundnahrungsmittel des Isaan ist selbst zu einem gesamtthailändischen Snack geworden und hat einen neuen Platz in der nationalen Esskultur ge-funden. Die Kette 7Eleven bietet neuerdings sogar Klebreis-Hamburger in den Geschmacksnoten muu yaang oder laab an.

Bereits das sorgfältig aufbereitete Kochbuch The Food of Thailand: Authentic Recipes from the Gol-den Kingdom (Hutton 1994: 18) bemerkte, dass in Bangkok zunehmend auch die besten Köche nach ihrer Fähigkeit beurteilt würden, somtam und laab zu bereiten. Heute gibt es nicht nur nach laab schmeckende Kartoffelchips oder laab als Pizza-belag, sondern der Geschmack des Isaan – und das heißt vor allem: laab – fasziniert die kreativen Köche des Landes. Ein Restaurant in Bangkoks schickem Suan Lum Night Bazaar serviert „Laap Toot“, das sind kleine Kügelchen aus laab, die zuvor frittiert wurden. Ein für sein Fusion Food bekanntes Lokal experimentiert mit Sushi à la I-saan, wobei verschiedene, nach der Art von laab gewürzte Fleischsorten auf Röllchen aus Klebreis serviert werden. Und die Gastronomie des Shera-ton Pattaya offeriert ihren Gästen „Thai-style (!) spicy tuna laab“ (wie in der Bangkok Post vom 4. Dezember 2009 zu lesen). Das Restaurant „Bo.lan“ (bolan lässt sich mit traditionell überset-zen) stand im Sommer 2009 im Rampenlicht des kulinarischen Bangkok. Obwohl nicht auf die Kü-che des Isaan spezialisiert, gibt es dort Klebreis, und auf der Karte stehen Gerichte wie nam tok neua. Dabei handelt es sich um eine laab-Version auf der Basis von gegrilltem Rindfleisch. Während man im Isaan dafür das Fleisch gründlich gart, ziehen die Köche des „Bo.lan“ ein Filetsteak vor, das gerade einmal „rare“ gebraten wird, innen also noch roh ist. Einen Schritt weiter geht der Starkoch Ian Chalermkittichai, der es in New York mit dem Restaurant „Kittichai“ zu Ruhm und Vermögen brachte und heute ein „Resort“ in dem bei Thai und ausländischen Touristen gleichermaßen be-liebten Badeort Hua Hin betreibt. Dort kommt so-gar das rohe Fisch-laab auf den Tisch – er nennt

Page 28: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

108

es Goy Tuna. Als goy bezeichnet man im Isaan das rohe laab.

Isaan-Sushi, fast blutiges nam tok sowie laab und goy aus Thunfisch. Es ist eine schöne Ironie, wie hier die kulinarische Globalisierung einer Regio-nalküche zur Seite springt. Da rohe Speisen wie Carpaccio oder Sushi in der gehobenen Abteilung der globalisierten Gastronomie zurzeit hoch im Kurs stehen, scheint es durchaus möglich, dass auf diesem Umweg die verfemten rohen Gerichte des Isaan auch in Thailand zu neuem Ansehen kommen.

Anmerkungen (1) Wie Harris (1988) glaubt, neigen an tierischen

Proteinen Unterversorgte dazu, wahllos über alles herzufallen, seien dies nun Insekten oder die eigenen Artgenossen. Sobald sich aber mit geringerem Aufwand Fleisch oder Geflügel er-zeugen lasse, würden sie sich davon abwen-den. - Nach dieser Theorie dürften heute im I-saan niemandem mehr Insekten schmecken. In Wirklichkeit nimmt der Verzehr von Insekten in ganz Thailand zu.

(2) Die Geschichte der USA bietet reiches An-schauungsmaterial, wie einzelne Gerichte aus verachteten Einwandererkulturen - sei es Chi-na, Italien oder Mexiko - übernommen wurden und zu Lieblings- und sogar Nationalspeisen aufstiegen, wie Chop Suey, Pizza und Chili con Carne.

(3) Folgenden beiden Webseiten wurden alle In-formationen entnommen: www.nci.go.th sowie www.bayer.co.th

(4) Leedom Lefferts erzählte mir beim Essen in einer „Soi“ Bangkoks am 3. April 2010, dass er in einer Schule in Khon Kaen Plakate gesehen habe, die für drei Sachen warben: Vor dem Es-sen die Hände zu waschen, nicht mit der Hand zu essen und nur Gegartes zu essen. Die bei-den letzten Punkte führen also ungerührt die Kampagne gegen Isaans Esskultur weiter, ob-wohl Klebreis heute im ganzen Land beliebt ist.

Literatur Appadurai, Arjun (1988): How to Make a National

Cuisine: Cookbooks in Contemporary India. Comparative Studies in Society and History 30: 3-24.

Brennan, Jennifer (1981) The Original Thai Cook-book. New York. GD/Perigee Book.

Comeaux, Blaine L.(2002): Two Years in the King-dom. The Adventures of an American Peace

Corps Volunteer in Northeast Thailand. New York u. a.: Writers Club Press.

Formoso, Bernard (1993): Les Repas de Fete des Paysans Isan du Nord-Est de la Thailande. In: N. Krowolski (ed.), Autour Du Riz. Le repas chez quelques populations d'Asie du Sud-Est ; pp. 83-118. Paris: Editions L’Harmattan.

Grabowsky, Volker (ed.) (1995): Regions and Na-tional Integration in Thailand 1892-1992. Wies-baden: Harrassowitz.

Harris, Marvin (1988): Wohlgeschmack und Wi-derwille. Die Rätsel der Nahrungstabus. Stutt-gart: Klett-Cotta.

Hetzelt, Nora-Marie (2009): “Ma gin kao” - Globali-sierungsprozesse und Erhalt der Traditionen in der Küche des Nordostens Thailands. Unveröf-fentlichter Forschungsbericht. Institut für Eth-nologie. Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Hopkins, Jerry (2004): Extreme Cuisine. Singa-pore: Periplus.

Hutton, Wendy (ed.) (1994): The Food of Thailand. Authentic Recipes from the Golden Kingdom. Introduction by William Warren. Bangkok: Pe-riplus.

Kampoon Boontawee (1991): A Child of the North-east. Translated by Susan Fulop Kepner. Bangkok: Editions Duang Kamol.

Lefferts, Leedom (2005): Sticky Rice, Fermented Fish, and the Course of a Kingdom: The Politics of Food in Northeastern Thailand. Asian Stud-ies Review 29: 247-258.

Levy-Ward, Annick (1993): Etes-vous capable de manger la nourriture Isan? In: N. Krowolski (ed.), Autour Du Riz. Le repas chez quelques populations d'Asie du Sud-Est; pp. 17-72. Paris: Editions L’Harmattan.

Mintz, Sidney (1992): Die Zusammensetzung der Speise in frühen Agrargesellschaften. Versuch einer Konzeptualisierung. In: M. Schaffner (Hg.), Brot, Brei und was dazugehört. Über sozialen Sinn und Physiologischen Wert der Nahrung; pp. 13-28. Zürich: Chronos.

Mgr. Pallegoix (1976): Description du Royaume Thai ou Siam. Bangkok: DK Book House.

Ruffert, Günther (o. J.): Ein Fenster zum Isaan. Der Alltag in Thailands unbekanntem Nordos-ten. Banglamung (Chonburi): Farang Edition.

Walker, Marilyn Diana (1991): Thai Elites and the Construction of Socio-Cultural Identity Through Food Consumption. Unpublished PhD-Thesis, York University, Ontario.

Marin Trenk ist Professor für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Nach einer insgesamt 18monatigen Feldforschung in den letzten Jahren schreibt er zurzeit an einer Kulinarischen Ethnographie Thailands.

Page 29: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

109

Nachhaltige Landnutzung und ländliche Entwicklung in Bergregionen Südostasiens – SFB564

Ein Sonderforschungsbereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft stellt sich vor

Holger Fröhlich und Karl Stahr

Seit zehn Jahren arbeitet der Sonderforschungs-bereich 564 (SFB), ein Verbundforschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, an der Universität Hohenheim für die wissenschaftliche Grundlage einer nachhaltigen Nutzung der natürli-chen Ressourcen und verbesserter Lebensbedin-gungen in den Bergregionen Südostasiens. Der vorliegende Artikel gibt einen Überblick über das Projekt. Beiträge in kommenden Ausgaben werden einzelne Schwerpunkte der Forschungsarbeit vor-stellen.

Die Bergregionen Südostasiens – Hot Spots in Umweltfragen und ländlicher Entwicklung

Während der letzten 20 Jahre haben viele Länder Südostasiens eine rasche ökonomische Entwick-lung erlebt; Thailand seit Anfang der 1980er Jahre bis zur Finanzkrise 1997 mit seither stetiger aber moderater Wachstumsdynamik. Vietnam erlebte ebenso seit Beginn der 1980er Jahre eine rasche Entwicklung. Das Land durchlief nach dreißig Jah-ren kollektiver Agrarwirtschaft eine landwirtschaft-liche Transformation, als Landnutzungsrechte nach und nach an private Haushalte vergeben wurden. Dieser Prozess erfuhr eine Beschleuni-gung, als die Regierung 1986 mit dem Reformpro-zeß „Doi Moi“ (lit. Erneuerung) einen deutlichen Wechsel in Richtung marktorientierter Ökonomie auf Basis privater Besitzrechte vollzog. Südost-asien konnte vom Wirtschaftswachstum profitieren, für Agrarprodukte erschlossen sich neue Märkte, die Nachfrage nach hochwertigen Agrarprodukten wie tropische Früchte, Gemüse und Fleisch stieg, während die Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft zunahmen.

Ländliche Entwicklung in Nordvietnam

(Bachmann 2006).

Dennoch ist bis heute die ländliche Armut ein weit verbreitetes Problem der Bergregionen, deren Einwohner, oftmals ethnischen Minderheiten zu-

gehörig, nicht gleichermaßen vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren konnten. Dies liegt zum einen in der ökonomischen und sozialen Isolation der Bergregionen, zum anderen daran, dass die traditionellen Reisanbauregionen, also die Tieflän-der, die Zielgebiete der Grünen Revolution waren. Gleichzeitig kreierte die ökonomische Integration zuvor noch isolierter ländlicher Regionen neuen Bedarf an Konsumgütern, Transport und Bildung, welcher die Bedeutung von Geldmitteln in der ländlichen Wirtschaft deutlich erhöhte. Auch das Bevölkerungswachstum der Bergregionen ist bis heute sehr hoch. Ursachen dafür sind hohe Gebur-tenraten und Migration aus weniger entwickelten Ländern, wie Myanmar und Laos und speziell in Vietnam ein Umsiedlungsprogramm der Regie-rung. Dadurch wanderten in Nordvietnam zwi-schen 1960 und 1975 etwa 1 Millionen Kinh, eine Bevölkerungsgruppe aus dem Tiefland in die Ber-ge, wo die Bevölkerung zwischen 1960 und 1984 um 300% anwuchs.

Umsiedlung in Muong Lum, Son La,

Nordvietnam (Fröhlich 2008).

Der hohe Bevölkerungsdruck und die zunehmende Marktanbindung der Bergregionen haben zur Auf-gabe des traditionellen Wanderfeldbaus geführt: Ein System kurzzeitiger Ackerkultur einer Fläche mit langjährigen Phasen der Brache, die den Wie-deraufwuchs der natürlichen Vegetation erlaubt, in welchen sich die durch den Feldbau beanspruch-ten Böden erholen können. An dessen Stelle ist im Zuge der Intensivierung die permanente Ackernut-zung der Steillagen getreten, während die Talsoh-len und Unterhänge der Bergregionen traditionell für Nassreisanbau genutzt werden. Die Verkür-zung und schließlich die Aufgabe der Brachezeiten führt bis heute vielerorts zum Verlust von wertvol-lem Boden, Pflanzennährstoffen, und damit Er-tragseinbußen, Ernährungsunsicherheit, Armut und weiterer Landverknappung. In Vietnam wird

Page 30: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

110

die Hälfte der Landesfläche für Ackerbau in den zum Teil sehr steilen Bergregionen genutzt. In der Son La Provinz, der Untersuchungsregion in Viet-nam, gibt es noch 10% Wald und etwa 80% der Böden sind degradiert.

Feldbau (hier Mais Monokultur) auf Steilhängen fördert Bodenerosion.

(Schreinemachers 2009)

Überschwemmungen sind die regelmäßige Folge geringerer Wasserspeicherkapazität der Böden. Die Übernutzung der natürlichen Ressourcen wirkt sich so schließlich auf die ökonomische Entwick-lung der Bergregionen aus.

In den stärker marktorientierten Bereichen der Bergregionen im Umfeld größerer Städte, wie Chi-ang Mai in Nordthailand, konzentrieren sich die Umweltprobleme sehr viel stärker durch den star-ken Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in Folge der Intensivierung der Landwirtschaft, dem damit verbundenen Verlust an Biodiversität und der Schadstoffkontamination der Gewässer und Grundwässer mit Eintritt in die Nahrungskette. Hier bewirken geänderte landwirtschaftliche Ma-nagementsysteme eine Vielfalt rechtlicher Rah-menbedingungen (Rechtspluralismus). Z.B. be-steht traditioneller Nassreisanbau mit gemeinschaftlichem Wassermanagement neben Gewächshäusern für Gemüse und Blumen mit individuellem Wassermanagement.

Der starke Einsatz von Pestiziden im Gemüseanbau stellt ein Risiko

für Mensch und Umwelt dar. (Schreinemachers 2005)

Die Bergregionen Südostasiens sind fragile Öko-choren hoher natürlicher Biodiversität, Vielfalt der Böden und des Klimas, sowie von ethnischer, kul-tureller und sozialer Vielfalt. Die Probleme der ländlichen Armut und die Ökologie sind weit kom-plexer, als hier angedeutet werden kann. Es gibt

keine allgemeingültigen Lösungen um die ländli-che Existenzgrundlage zu verbessern und dabei zugleich den Ressourcenschutz in den Bergregio-nen zu entwickeln.

The Uplands Program

Die notwendigen wissenschaftlichen Grundlagen für eine nachhaltige Land- und Ressourcennut-zung und nachhaltige ländliche Entwicklung bear-beitet der Hohenheimer SFB, in Südostasien unter dem Namen „The Uplands Program“ bekannt, gemeinsam mit seinen Fachkollegen an Partner-Universitäten in Thailand und Vietnam mit je einem Hauptuntersuchungsgebiet in Nordvietnam in der Son La Provinz und in Nordthailand in der Chiang Mai und Mae Hong Son Provinz, neben weiteren weniger intensiv beforschten Gebieten.

Forschungsregionen des SFB in Thailand

und Vietnam (dunkelgrau).

Die Landwirtschaft in den Hauptuntersuchungsge-bieten unterscheidet sich im Grad der Marktinteg-ration und den Herausforderungen für nachhaltige Landnutzung: Im marktfernen Arbeitsgebiet, Chieng Koi, in Vietnam haben die Farmer den traditionellen Wanderfeldbau zugunsten perma-nenter Ackerkultur aufgegeben. Die Degradation der Böden läuft rasch ab, das Ausmaß der Produk-tionsverluste wird derzeit noch und auf kurze Sicht durch hohe Düngergaben und robustere Neuzüch-tungen abgepuffert. Im stärker marktorientierten Hauptuntersuchungsgebiet in Thailand, Mae Sa, haben Obstplantagen und saisonales Gemüse vor etwa 20 Jahren Mais und Maniok als Hauptkultu-ren abgelöst. Die Intensive Anwendung von Agro-chemikalien ist ein Hauptproblem für nachhaltige Landnutzung.

Grundsätzliche Forschungshypothese des SFBs ist dabei, dass Fortschritt nur möglich ist, wenn gleichzeitig die Agrarproduktivität steigt, Ressour-

Page 31: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

111

censchutz langfristig betrieben wird, außerland-wirtschaftliche Erwerbsmöglichkeiten in den vor- und nachgelagerten Bereichen des Agrarsektors entstehen und geeignete institutionelle und infra-strukturelle Rahmenbedingungen in ländlichen Räumen geschaffen werden.

Die speziellen Ziele des Sonderforschungsbe-reichs sind die Schaffung wissenschaftlicher Grundlagen für:

• die Entwicklung nachhaltiger Landnut-zungssysteme, Produktionsverfahren und Verarbeitungsprozesse in den ökologisch empfindlichen und ökonomisch benachtei-ligten Bergregionen,

• die Erforschung von Agrarökosystemen mit vielfältigen Bezügen zwischen Res-sourcenmanagement, ethnischer Vielfalt der Bevölkerung und heterogenen institu-tionellen Rahmenbedingungen

• Konzepte für ländliche Institutionen, die Probleme der ländlichen Armut und Unter-ernährung nachhaltig bearbeiten und die Anpassungsfähigkeit ländlicher Haushalte in einem dynamischen ökonomischen Um-feld verbessern.

Verbesserte Lebensbedingungen in den Bergregi-onen und der Schutz der Umwelt können langfris-tig nur gemeinsam bestehen. Innovationen, welche die Situation verbessern sollen, können nur lang-fristig Bestand haben, also nachhaltig sein, wenn ökologische, soziale und ökonomische Aspekte miteinander abgestimmt werden. Weil das ein hochkomplexes Unterfangen ist, bringen die SFB Wissenschaftler ihre Fachkenntnis aus der Boden-kunde, Hydrologie, Agronomie, der Tierzucht, der Nahrungsmitteltechnologie, der Soziologie, Öko-nomie und Innovationsforschung ein um so die komplexen Beziehungen zwischen Agrarökosys-temen, dem Menschen und Innovationen interdis-ziplinär zu verstehen (Systemansatz).

Die unterschiedlichen Akteure in den Bergregio-nen, das sind die Bauern, Landwirtschaftsberater, Vertreter der Agrarverwaltung und politische Ent-scheidungsträger, nehmen an der Arbeit der Wis-senschaftler aktiv teil (Partizipation). Das ermög-licht es den Wissenschaftlern die entscheidenden Probleme aus Sicht der Beteiligten zu erfassen, und stellt sicher, dass die Ergebnisse der Wissen-schaftler (Methodenentwicklung) genutzt werden können.

Der SFB hat bei der Verfolgung seiner Ziele For-schungsschwerpunkte gebildet:

Im Bereich des Ressourcenschutzes der Bergregi-onen ist die Bodenerosion und Bodenschutz ein Hauptthema. An den steilen, übernutzten Hängen der Bergregionen, wo früher Wanderfeldbau z.B. mit Trockenreisanbau mit langen Brachezeiten und Wiederbewaldung praktiziert wurde, ist heute z.B.

in Vietnam eine typische Nutzung an steilen Hän-gen Maismonokultur, die aufgrund der geringen Bodenbedeckung zu Beginn des Wachstums sehr erosionsfördernd wirkt. Sind die Böden aufgrund von Erosion verarmt an Nährstoffen und fruchtba-rem Oberboden, wird Maniok angebaut, weitere Degradation führt zu Grasland und schließlich zu unbrauchbaren Badlands und der damit endgülti-gen Aufgabe der Flächen. Die Forscher des SFBs entwickeln basierend auf der Erfassung der Erosi-onsdynamik, der Kenntnis von den Böden der Untersuchungsregion Anbauempfehlungen und Erosionsschutzmaßnahmen. Aber erst die erfolg-reiche Entwicklung der Schutzmaßnahmen für eine nachhaltige Landnutzung unter den lokalen Gegebenheiten mit allen beteiligten Akteuren er-möglicht eine Praktizierung dieser „Innovationen“. Die Innovationsforscher des SFB haben z.B. he-rausgefunden, dass unsichere Besitzverhältnisse in Vietnam die Landwirte davon abhalten in den Schutz ihres Landes zu investieren.

Partizipative Methoden – Farmer analysieren mit

Forschern ihre ökonomischen Strategien und diskutieren Änderungen in der Landnutzung.(Neef

2007)

Die Landwirtschaftliche Intensivierung in den Berg-regionen Thailands aber auch Vietnams hat einen intensiven Einsatz von Düngemitteln und Pestizi-den zur Folge, mit beträchtlichen Gefahren für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Die SFB-Forscher untersuchen neben dem Wasser- und Stoffhaushalt der Berglandschaften den Verbleib von Pestizidrückständen in Reisterras-sensystemen mit integrierter Fischzucht (Vietnam) und in Thailand die Auswirkungen des erhöhten Pestizideinsatzes insbesondere durch den in letz-ter Zeit verstärkten Gewächshausanbau. Oftmals besteht zwischen den Bewohnern der Bergregio-nen und der Tiefländer ein Konflikt, in dem die Bergvölker als Verursacher von Überschwemmun-gen, Bodenerosion und Wasserverschmutzung gesehen werden, die Bergvölker aber selbst unter ökonomischem Druck stehen und den Fortschritt aus dem Tiefland importieren.

Das aufkommende Bedürfnis der Bevölkerung nach Umweltstandards wächst (Good Agricultural Practice, GAP). Hydrologen und Sozioökonomen des SFB arbeiten gemeinsam an diesem facetten-reichen Problem, z.B. an Konzepten für Umwelt-kompensationsprogramme, die vorsehen kön-

Page 32: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

112

nen, dass Landwirte in den Bergländern für den Schutz von Umweltgütern, wie Boden und Wasser vergütet werden, weil sie dafür Ihren kurzfristig ertragssichernden Pestizideinsatz einschränken müssen oder Aufwand mit Bodenschutzmaßnah-men haben, die langfristig ihre Erträge sichern. Die Zahlungsbereitschaft (Willingness to Pay) der da-von profitierenden Bevölkerung für sauberes Was-ser und Nahrungsmittel ohne Rückstände aber auch den Schutz der Umweltgüter muss dafür ebenso untersucht werden.

Überschwemmung und Hangrutschungen in

Nordvietnam entlang der Nationalstraße 6, Son La. (Röttgers, Grafiti 2007)

Besonders in den Bergregionen Nordthailands ist der Anbau tropischer Früchte eine Haupteinkom-mensquelle. Der SFB forscht für Innovationen im Anbau, der Weiterverarbeitung und der Vermark-tung tropischer Früchte, insbesondere Litchi, Mango und Longan. Innovationen zur Wasserein-sparung, zur Fruchtreifebestimmung, Veredelung und Flexibilisierung der Erntesaison können hel-fen, dass Einkommen der Obstbauern zu sichern. Die in den Steillagen Nordthailands weitverbreite-ten Litchiplantagen bieten durch einen hohen Be-deckungsgrad der Böden einen besseren Boden-schutz, als einjährige Kulturen, wie Bergreis und Mais. Derzeitig zeichnet sich aber ein Trend zur Aufgabe von Obstplantagen ab. Die Steillagen werden zunehmend von erosionsfördernden An-bausystemen wie dem Gemüseanbau eingenom-men. Ursache ist die Einkommensunsicherheit der Bauern angesichts stark fluktuierender Weltmarkt-preise für Litchis. Können Innovationen, wie Was-sereinsparungsmethoden in der Bewässerung von Obstbäumen oder Produktveredelung durch Litchi-trocknung in bäuerlichen Kooperativen diesen Trend aufhalten?

Dieser und ähnlichen Fragen, wie sich Innovatio-nen für die ländliche Bevölkerung und die Agrar-ökosysteme auswirken, wie sie sich in der Fläche ausbreiten und welche Anpassungen zusammen mit den beteiligten Akteuren vorgenommen wer-den müssen, gehen die SFB Forscher mit Hilfe von sozioökonomischen und agrarökologi-schen Modellen zur Entwicklung von Nachhal-tigkeitsstrategien nach:

Landnutzungsmodelle ermitteln den Effekt von Innovationen auf den Ertrag und die Auswirkung

auf die Umwelt. Basierend auf dem Ertrag bilden sozioökomische Modelle die unternehmerischen Entscheidungen der Landwirte ab, z.B. die Anbau-kulturen im folgenden Jahr.

Veredlung landwirtschaftlicher Produkte (hier: Litchitrocknung) in bäuerlichen Kooperativen.

Die kleinbäuerliche Tierzucht stellt für Vietnam das Rückgrat der inländischen Fleischproduktion dar und ist eine der Hauptursachen für die Anhebung der Lebensstandards in der Bergbevölkerung. Schlechter Marktzugang verhindert jedoch eine Ausschöpfung dieses Potentials. Gleichzeitig ist Vietnam durch den Anstieg des Fleischkonsums in den letzten zwei Dekaden zum Bruttofleischimpor-teur geworden. Der SFB erforscht die Potentiale in der Tierzucht und Tierhaltung, insbesondere mit lokalen Schweinerassen der entlegenen Bergregi-onen für die kleinbäuerliche Tierhaltung. Ein Schwerpunkt liegt neben Zuchtprogrammen auf den Wissens- und Innovationsnetzwerken der unterschiedlichen ethnischen Gruppen, also z.B. deren Verknüpfungsgrad mit Institutionen. Unsere Marktanalysen haben z.B. eine hohe Preiselastizi-tät von Fleisch des an die harten Bedingungen der Bergregionen angepassten Ban-Schweins erge-ben. Diese Schweinerasse ist in den urbanen Re-gionen Nordvietnams, insbesondere Hanois we-gen seiner geschmacklichen Qualitäten sehr beliebt, die Bereitschaft für dieses Fleisch mehr zu zahlen ist hoch. Im Allgemeinen werden Produkte aus lokaler Produktion industriellen Produkten vorgezogen.

SFB 564 – Zwölf Jahre Agrarforschung in Süd-ostasien. Was bleibt?

Der SFB arbeitet seit zehn Jahren an den oben kurz angerissenen Forschungsthemen gemeinsam mit seinen Partnern. Dies sind neben anderen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen, in Thailand die Chiang Mai University (CMU), die Kasetsart University (KU), Mae Jo University (MJU) und Silpakorn University (SU), in Vietnam,

Page 33: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

113

Die besonderen Schweinerassen der Bergregionen

gelten in den urbanen Regionen als Delikatesse. (Röttgers Grafiti 2007)

die Hanoi University of Agriculture (HUA), die Thai Nguyen University of Agriculture and Forestry (TUAF) und das National Institute of Animal Hus-bandry (NIAS). In dieser Partnerschaft hat der SFB 564 über 30 Wissenschaftler ausgebildet, die in ihren Universitäten in Südostasien weiterforschen und lehren. In Hohenheim haben bisher 42 Nach-wuchswissenschaftler promoviert und die Liste der Publikationen (über 150 Artikel in referierten wis-senschaftlichen Zeitschriften) wächst stetig.

Ausbildung von

Nachwuchswissenschaftlern.

Der Transfer von Wissen und Innovation ist von Anfang an ein wichtiges Anliegen des SFB 564 gewesen. Die Forschungsergebnisse fließen auch in die fortbestehende Lehre ein. So haben die Universität Hohenheim und CMU in 2009 einen gemeinsamen Masterstudiengang „Sustainable Agriculture and Integrated Watershed Manage-ment“ (SAIWAM) zu den Themen und wissen-schaftlichen Arbeitsmethoden des SFB 564 einge-richtet, der mittlerweile internationalen Zuspruch findet.

Neben dem Transfer der Ergebnisse an die Part-ner und die Akteure in den Bergregionen zur Ver-stetigung seiner Forschung, arbeitet der SFB 564 in sogenannten Transferprojekten mit überregiona-len und internationalen Unternehmen und nationa-len Forschungseinrichtungen und Regierungsor-ganisationen daran, die Forschungsergebnisse für die Praxis aufzubereiten. Die Entwicklung von Prototypen steht dabei im Vordergrund: z.B. die

Entwicklung von Sensorsystemen für ein effizien-tes Bewässerungsmanagement, Prozesstechnik für die Verwertung von Rückständen in der Nah-rungsmittelproduktion und Optimierung der Frucht-trocknung.

Extraktion von Pektin aus getrockneten Mangoscha-len. Pektin ist ein weltweit nachgefragtes und knapp

verfügbares Geliermittel.(Nagel 2009)

Ausblick

In den kommenden Ausgaben der Thailand-Rund-schau sind die folgenden Themenbeiträge aus der Arbeit des Uplands Program vorgesehen:

Vom Litchi-Erzeuger zum Litchi-Unternehmer – Potential kleinbäuerlicher Kooperativen im Um-gang mit niedrigen Marktpreisen.

Bodenschutz in Steillagen – die Folgen der Bo-denerosion sind weitreichend, aber die Umsetzung von Bodenschutzmaßnahmen bleibt gering. Bo-denschutz in Bergländern braucht mehr als gute Technologien.

Das Pestiziddilemma der Bergregionen – Die Agrarproduktion unterläuft eine Transformation in Richtung hochwertiger Feldfrüchte. Das erhöht das bäuerliche Einkommen, aber auch den Einsatz von Pestiziden mit nachteiligen Effekten in den Anbau-regionen und den vorgelagerten Tiefländern. Al-ternative Strategien der Schädlingsbekämpfung und daran geknüpfte ökonomische Anreize für deren Umsetzung zeigen einen Ausweg auf.

Weitere Themen sind „Potentiale kleinbäuerli-cher Tierzucht in den Bergregionen Nordviet-nams“ und „Innovationen in Bergländern Süd-ostasiens – Wie Mensch und Ökosystem miteinander interagieren“.

Einen umfassenden Einblick in die Thematik gibt das Buch des SFB 564: Heidhues et al. (Eds.). 2007. Sustainable Land Use in Mountainous re-gions of Southeast Asia. Meeting the Challenges of Ecological, Socio-Economic and Cultural Diver-sity. Springer, Berlin. 404p. Eine Einführung in die Forschungsarbeit gibt der Film „Research On Sus-tainable Development in Mountainous Regions of Southeast Asia“, auf der Homepage des SFB 564: www.uni-hohenheim.de/sfb564/

Prof. Dr. Karl Stahr ist Professor am Institut für Bodenkunde und Standortslehre der Universität Hohenheim und Sprecher des SFB 564. Dr. Holger Fröhlich ist seit 2007 Geschäftsführer des SFB 564.

Page 34: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

114

Thailands Demokratie in der Krise: Ursachen und Konsequenzen

Tagung der Forschungsgruppe Asien (FGA) an der Universität Trier

Holger Alisch

Vom 26. bis 27. Juni 2010 fand in den Räumen der Volkshochschule Trier eine Tagung zur aktuellen Thailand-Krise statt. Die Veranstaltung zu diesem in Deutschland meist nur selten beachteten Thema wurde unter der Leitung von Dr. Patrick Ziegen-hain und Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener von den studentischen Mitgliedern der Forschungsgruppe Asien (FGA) an der Universität Trier organisiert. Finanzielle Unterstützung erhielt das Projekt durch den Lehrstuhl von Prof. Dr. Sebastian Heilmann, die Juniorprofessur, die Volkshochschule Trier und die Südostasien Informationsstelle im Asienhaus Essen.

Dr. Ziegenhain stellte zunächst in einem Einfüh-rungsvortrag die Entwicklung Thailands als konsti-tutioneller Monarchie mit parlamentarischem Re-gierungssystem besonders seit Beginn der Regierung des ehemaligen Premierministers Thaksin Shinawatra (2001) vor. Er beschrieb dabei den tief greifenden Wandel der thailändischen Innenpolitik nach dem Militärputsch von 2006, wobei schnell deutlich wurde, dass das politische System Thailands trotz des theoretischen demo-kratischen Anspruches in der Praxis viele autoritä-re und teilweise korrupte Züge aufweist.

In der folgenden ersten Diskussionsrunde, die unter der Leitfrage, ob denn Thailand verloren sei, geführt wurde, zeigte sich, dass die Teilnehmer mehrheitlich zumindest in dem breiteren politi-schen Verständnis und der größeren Politisierung der thailändischen Gesellschaft einen positiven Effekt der seit 2006 nahezu ununterbrochen an-dauernden Auseinandersetzungen sahen. Den-noch resümierte Dr. Ziegenhain, dass die Schädi-gung der Demokratie durch den anhaltenden Vertrauensverlust gegenüber Regierung und Eliten keine kurzfristige, sondern eher eine dauerhafte Erscheinung sei.

Nina Wiesel von der Universität Trier verglich in ihrem Vortrag die beiden Verfassungen von 1997 und 2007. Sie untersuchte dabei eingangs deren Legitimation und erklärte, dass zwar die Verfas-sung von 2007 bei einer Volksabstimmung unter Aufsicht des Militärs angenommen wurde, dass aber erhebliche Mängel bei der Legitimation der verfassungsgebenden Versammlung und des Ver-fahrens der Ausarbeitung auch im Vergleich zur Verfassung von 1997 bestünden. Bei beiden Ent-würfen wären diverse Bürgerrechte wie die Ver-sammlungs- und Redefreiheit eingeschränkt wor-

den. Zudem habe der Entwurf von 2007 das Parlament zugunsten unabhängiger Verfassungs-organe wie dem Verfassungsgericht geschwächt. Während auf der horizontalen Ebene der Gewal-tenteilung demokratische Zugewinne in der aktuel-len Verfassung zu verbuchen wären, würden diese aber durch die vertikalen Einbußen bei der Mitbe-stimmung deutlich übertroffen.

Auch Dr. Wolfram Schaffar von der Universität Hildesheim setzte sich bei seinen Ausführungen mit Fragen des politischen Systems auseinander. Er behandelte hierbei die immer stärkere Juridifi-zierung der thailändischen Politik, die er in Anleh-nung an die kritische Demokratietheorie als ein Problem des Systems an sich und nicht nur als funktionale Frage begriff. Der Referent schilderte in der Folge, wie es zu einer bewusst herbeige-führten Fragmentierung der Souveränität auf Kos-ten des Parlaments gekommen sei. Diese Ansätze für eine Zurückstufung der Legislative wären dabei in beiden Verfassungen, der von 1997 und der von 2007, zu finden. Die Diskussion, welche sich an die Erläuterungen von Dr. Schaffar anschloss, thematisierte besonders die Rolle des Verfas-sungsgerichts. Der Referent zog den Schluss, dass nur eine fundamentale Veränderung der Zu-stände der weiter wachsenden Juridifizierung Thai-lands Abhilfe schaffen könnte.

Corinna Johannsen von der Universität Trier machte in ihrem Vortrag auf die Zerstrittenheit der thailändischen Eliten aufmerksam. Diese hätte einen erheblichen Anteil am Zustandekommen der kritischen Situation im Land gehabt. Zwar wäre die relative Einigkeit der Oberschichten, die durch die Asienkrise von 1997 hervorgerufen wurde, schnell wieder hinfällig gewesen, der innere Dauerkonflikt

Page 35: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

115

sei aber erst nach dem Militärputsch von 2006 wieder wirklich offen zutage getreten. In der nach-folgenden Fragerunde wurde zwar die Notwendig-keit einer nicht geeinten Elite für den Beginn eines Transformationsprozesses von autokratischen hin zu demokratischen Systemen festgestellt, aber auch auf die Bedeutung einer Konfliktbeilegung innerhalb der Führungsschichten hingewiesen, ohne die eine langfristige politische Stabilität nicht zu erreichen wäre.

Dr. Paul Chambers, Lehrbeauftragter an der Uni-versität Heidelberg, widmete sich bei seinen Aus-führungen dem Einfluss des Militärs in der thailän-dischen Politik. Er hob dabei vor allem die Wichtigkeit des von Militärs geführten Thronrates hervor und verwies auf die seit den frühen 1990er Jahren gesunkene Rolle der Streitkräfte, die erst durch den Putsch und die damit erfolgte Ablösung von Premierminister Thaksin wieder deutlich an-gewachsen sei. Im Anschluss wurde auch die in-nere Zersplitterung der Armee thematisiert. Dr. Chambers verwies auf die große Rolle der ver-schiedenen Klassen der Militärakademie, deren Absolventen innerhalb von Heer und Polizei wich-tige Seilschaften bilden würden.

Bei der Gesprächsrunde, die zum Ende des ersten Tages der Veranstaltung stattfand, wurde zeitwei-se sehr emotional über die jüngsten Demonstrati-onen in Bangkok diskutiert. Dr. Oliver Pye von der Universität Bonn berichtete aus erster Hand von seinen Interviews mit Rothemden vor Ort. Außer-dem wurde von Dr. Alexander Horstmann vom Max-Planck-Institut die politische Farbenlehre der beiden rivalisierenden Lager genauer betrachtet und eine teilweise Republikanisierung des sehr heterogenen roten Lagers festgestellt.

Der zweite Teil der Tagung begann mit dem Vor-trag von Jun.-Prof. Dr. Martin Wagener von der Universität Trier, der sich intensiv mit dem Grenz-konflikt Thailands und Kambodschas auseinander-setzte. Er erinnerte an den historisch aufgelade-nen Streit der beiden Länder um die Tempelanlage von Preah Vihear und thematisierte die verschie-denen Schusswechsel an der Grenze, die bislang insgesamt acht Tote und zahlreiche Verwundete gefordert hätten. Als treibende Kraft bei der Eska-lation des Konfliktes machte er den autoritär regie-renden kambodschanischen Premierminister Hun Sen aus. In der anknüpfenden Debatte wurde auf die innenpolitische Dimension des Streites in Thai-land selbst aufmerksam gemacht. Sowohl die Rot-hemden wie auch die People’s Alliance for Democ-racy (PAD) hätten klar nationalistische Töne

angeschlagen und die zeitweise von der Regie-rung Samak Sundaravej gezeigte Kompromissbe-reitschaft gegenüber Phnom Penh heftig angegrif-fen.

René Jaquett von der Universität Trier fasste bei seinen Ausführungen die Zusammenhänge zwi-schen den Grundsätzen der „Good Governance“ und der Ausstattung und Verfügbarkeit des Inter-nets in Thailand zusammen. Er problematisierte die teilweise repressive Überwachungspolitik der thailändischen Regierung, die vor allem versuche, den Straftatbestand der Majestätsbeleidigung im Internet zu verfolgen. Im Zuge der anschließenden Gesprächsrunde wurde deutlich gemacht, dass die regionalen Unterschiede bei der Ausrüstung mit funktionsfähigen Internetzugängen eine beträchtli-che Rolle spielen würden. Auch die thailändische Regierung hätte aber unter Sicherheitsmängeln zu leiden, was sich beispielsweise an den gegenwär-tigen Problemen der Internetpräsenz des thailän-dischen Senates äußern würde.

Zuletzt stellte Karoline Herrmann (Universität Trier) den Ansatz einer Power-Sharing-Politik zur Lö-sung der ethnischen Konflikte in Süd-Thailand vor. Als grundlegendes Problem zur Anwendung einer solchen Strategie zur Konfliktbeilegung identifizier-te sie den zentralstaatlichen und mehrheitsdemo-kratischen Charakter der Verfassung Thailands. In der Stärkung von konsensdemokratischen Ele-menten wie der Verhältniswahl sowie in der Etab-lierung einer demokratischen islamischen Partei, die als Gesprächspartner der Regierung in Bang-kok fungieren könnte, sah die Referentin die wich-tigsten Maßnahmen bei der Schaffung von Grund-lagen für die Aufteilung der Regierungsgewalt mit dem Ziel einer längerfristigen Versöhnung der Konfliktparteien.

Obwohl auch der Gedanke einer Föderalisierung und Machtaufteilung in Thailand von der überwie-genden Zahl der Tagungsteilnehmer als zumindest in den kommenden Jahren unwahrscheinlich zu-rückgewiesen wurde, machten in der Abschluss-diskussion noch einmal mehrere Referenten auch auf die gestärkte politische Streitkultur im Gefolge der Politisierung des ganzen Landes aufmerksam. Ob Thailand besonders nach dem möglichen Tod seines lange Zeit allgemein anerkannten aber schwer kranken Königs auf einen Bürgerkrieg zu-steuert oder ob sich nach einer Krisenzeit doch noch eine stabilere demokratische Gesellschaft etablieren könnte, war natürlich auch abschließend von keinem Teilnehmer mit Sicherheit vorherzuse-hen.

Holger Alisch ist wissenschaftliche Hilfskraft an der Juniorprofessur für Internationale Beziehungen/Außen-politik an der Universität Trier. Aus dem Kreis der DTG nahm Dr. Kumerloeve an der Tagung teil.

Page 36: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

116

Abdruck mit freundlicher Genehmigung aus: Auswärtiges Amt Intern, Ausgabe Juni 2010

Page 37: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

117

"Die zweite Generation - Wo bin ich Zuhause?" Seminar der Deutsch-Indonesischen (DIG) und

der Deutsch-Thailändischen Gesellschaft (DTG) in Köln

Frauke Kraas Am 4.9.2010 veranstalteten DIG, DTG, Agisra und das Philippine Women's Forum unter der Leitung von DIG-Präsidenten Karl Mertes ein sehr gut besuchtes Seminar zur Frage der "zweiten Gene-ration" - gemeint: zu den Kindern der seit den 1960er Jahren nach Deutschland gekommenen Migranten aus Südostasien. Während die Angehö-rigen der "ersten Generation" als Studierende oder als Ehepartner von Deutschen nach Deutschland kamen, sich hier einlebten und eine Familie grün-deten, sind deren Kinder, zur "zweiten Generation" zählend, zumeist in Deutschland aufgewachsen und sind beruflich und familiär integriert – oft ihrer-seits bereits wieder Eltern. Ihre Sozialisation un-terscheidet sich erheblich von derjenigen der sog. Gastarbeiter aus dem Mittelmeerraum. Das Seminar richtete sich auf Fragen, welche Er-fahrungen die Angehörigen der "zweiten Generati-on" in Deutschland gemacht und welche Verhal-tensweisen sie aus den Herkunftsländern ihrer Eltern übernommen haben sowie darauf, in wel-cher Weise sie ihre binationalen Wurzeln empfin-den, bewahren und in ihre persönliche Identität einbeziehen. Eigene Erfahrungen, aber auch Hoff-nungen und Erwartungen sowie gesellschaftliche Forderungen wurden diskutiert - zudem auch die bisher ungewöhnliche, da selten gestellte Frage, welche spezifischen Wünsche und Erwartungen die deutsche Gesellschaft an sie hat. Bei den einführenden Darstellungen konzentrierte sich Jae-Soon Joo-Schauen (agisra; Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Flücht-lingsfrauen) auf die schwierige Pioniersituation vieler Frauen der „ersten Generation“, die durch Probleme in Bezug auf ihre Integration, Konflikte in den Familien, mangelnde Netzwerkbildung, Stig-matisierung und Vorurteile belastet ist. Wichtig wird für die „zweite Generation“ vor allem die Fra-ge, welche Sprachkenntnisse, Netzwerke und Qualifikationen deren Kinder benötigen.

Dagmar Dahmen, Leiterin der Abteilung für Aus-länderangelegenheiten der Stadt Köln, erläuterte die aktuelle Situation der Umsetzung des EU-Rechts in Bundes- und Landesrecht – mit allen Problemen des Spagats zwischen Integration und Abwehrrecht. Zentrale Bedeutung bei der geregel-ten Zuwanderung kommt der Frage der Sprach-kenntnisse und der Berufungsberatung für Zuwan-derer zu. Für die „zweite Generation“ werden Bilingualität und interkulturelle Fähigkeiten zu einer vorteilhaften Schlüsselqualifikation in einer sich zunehmend globalisierenden Welt. Frauke Kraas (DTG/Universität zu Köln) erläuterte die wesentlichen Veränderungen der Migrati-onsprozesse während der letzten 20 Jahre, die von verstärkter internationaler Arbeitsteilung, zu-nehmender Urbanisierung der Migration, diversifi-zierteren Formen von Migration, Transnationalität sozialer Beziehungen, Translokalität, wachsenden ethnischen Ökonomien und zunehmend globali-sierter Bildungsmigration gekennzeichnet sind. Der „zweiten Generation“ kommt innerhalb dieser Trends zentrale Bedeutung insofern zu, als sie internationale und interkulturelle Brücken bauen, vermitteln und Verständnis stärken kann. Anschließend erläuterten fünf Angehörige der „zweiten Generation“ aus ihrer Sicht die Erfahrun-gen: Wechselnde Zugehörigkeitsgefühle im Ver-lauf des Lebens zu den kulturellen Wurzeln ihrer Eltern, große Internationalität des Freundeskrei-ses, eine positive Sicht von als natürlich erfahrener Integration sowie ein großes Verständnis für die Notwendigkeit einer vorurteilslosen, enttabuisier-ten Diskussion aktueller Integrationsthemen stan-den im Vordergrund. Und: Die Frage „woher kommst Du?“ wurde von ihnen – anders als oft angenommen – nicht als unbehaglich empfunden, sondern vielmehr als Ausdruck eines natürlichen Bedürfnisses in der Auseinandersetzung mit räum-licher und sozialer Identität.

© Foto: Peter Berkenkopf

Page 38: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

118

Aus Eka Donner’s Tagebuch

Sicherlich haben unsere Leser die einführenden Worte zu „Eka Donner’s Tagebuch“ und die erste Kostprobe aus dem Tagebuch auf den Seiten 55/56 des letzten Hefts 2/2010 gelesen. Hier nun eine weitere Passage und wir erinnern uns: Es geht um die Jahre 1969-1972, es geht um „Kabi-

nettstückchen“, um humorvolle Betrachtungen am Rande, um Bilder und Einschätzungen jenseits tagesaktueller Vorkommnisse.

Arnd D. Kumerloeve

Heiraten in Thailand - einige Beobachtungen am Rande. Der Club der Offiziersfrauen der amerikanischen Streitkräfte hat zu seinem monatlichen Mittag-essen eine außergewöhnliche reizende und interessante Sprecherin eingeladen. Frau G. L. spricht über „Heirat in eine Thai-Familie“ und beginnt gleich mit einem Sinnspruch:

„Der Mann ist wie die Teekanne in einem Teeservice, Die Frauen sind die Teetassen.

Ein ordentliches Service sollte nur eine Kanne und viele Tassen haben.“

Wie würde es aussehen, wenn wir nur eine Tasse mit vielen Teekannen hätten?“ sagt ein Thai und bezog sich dabei auf ein altes chinesisches Sprichwort.

Die Gäste werden von nah und fern kommen, um am heutigen Hochzeitsempfang für Herrn ***, Sohn des Herrn ***, und Fräulein ***, Tochter des Herrn ***, dem neuernannten Gouverneur von ***, teilzunehmen. Das Fest für tausend Leute wird im Ballsaal des Narai-Hotels stattfinden.

Der Verkehr geriet stundenlang durcheinander, als sich mehr als eintausendachthundert Gäste in etwa eintausendfünfhundert Autos den Weg zum Hotel Siam Inter-Continental bahnten, um an der großen Hochzeit von *** , dem Sohn des Präsidenten der ***-Bank und Fräulein *** teilzu-nehmen. Der zehnstöckige Hochzeitskuchen, der fast bis zur Decke reichte, wurde von dem glücklichen Brautpaar mit einem Schwert durchteilt.

Während dessen feiern Herr *** und Fräulein ***, beide in derselben Firma tätig, ihre Verlobung. Das Datum ihrer Hochzeit steht noch nicht ganz fest, beide warten noch darauf, dass ihr Astrolo-ge die rechte Zeit herausfindet.

Jeder, der jemand ist, war da. Viertausend Gäste hatte man zu der großen Hochzeit ins Dusit Hotel eingeladen und dreitausendneunhundertneunundneunzig kamen. Das mit Gold verzierte Kleid mit Seide und Wolle, mit einem hohe Kragen und langen Ärmeln, das die Braut zur Zere-monie getragen hatte, fand sie zu heiß. So vertauschte sie es gegen eines aus weißem, mit Per-len bestickten Satin Lamé. Der Stoff kam aus Frankreich, aber das Kleid war in Hongkong gear-beitet worden. Dem Brautpaar gelang es, nach einigen Stunden unbemerkt das Fest zu verlassen, und sich für eine „Rund um die Welt in dreißig Tagen“-Hochzeitsreise fertig zu ma-chen. Die Gäste konzentrierten sich inzwischen auf das Vertilgen des zehnstöckigen Hochzeits-kuchens.

Wir möchten dem Chef des Steuerbüros einen dicken Kuss geben, weil er auf seinen Steuerfor-mularen so wundervoll diskret ist. Eines der Formulare verlangt Auskunft über die Familie des Steuerzahlers und fügt hinzu, dass Einzelheiten über ALLE seine Familienangehörigen äußerst vertraulich behandelt werden. „Als Familienangehörige“, hören wir, „gelten bis zu zehn Frauen“. Und „Jemanden wie den Sohn einer Nebenfrau zu behandeln heißt, ihn abschätzig und schlecht zu behandeln“.

Herr Muangsuwarn Wongsri, ein Wunderheiler, 19, ist in den nördlichen Provinzen wegen seiner Künste wohlbekannt. Einige der Leute, die er geheilt hat, haben ihm ihre Tochter zur Belohnung gegeben. Herr Chuam Polchoo jedoch ging, als er ein Bild des Wunderheilers mit seinen sechs Frauen sah, zur Polizei und sagte, die eine Frau sei seine seit einigen Jahren von zu Hause ver-schwundene Tochter. Er verlangte, dass die Polizei einschreite und sie zurückgebe.

Page 39: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

3 / 2 0 1 0 THAILAND-RUNDSCHAU

119

Vorletzte Seite

Page 40: THAILAND-RUNDSCHAU...THAILAND-RUNDSCHAU 3/2010 86 Die Prinzessin erläutert ihr nettes Kinderbuch Liste ab: z. B. wie lang dauert die Fahrt von Schwärzloch zum Schloß, welche Zimmer

THAILAND-RUNDSCHAU 3 / 2 0 1 0

120