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Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Universität Hohenheim 1 Gesundheitsökonomik Thema 6 – Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit I

Thema 6 – Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit I · Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Universität Hohenheim 3 12.05. Die Nachfrage nach Gesundheit I SN, Ch. 5 18.05. Die

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Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Universität Hohenheim 1

Gesundheitsökonomik

Thema 6 – Das Individuum als Produzent seiner Gesundheit I

Prof. Dr. Alfonso Sousa-Poza, Universität Hohenheim 2

Die Nachfragefunktion:

Q = f(Preis, Einkommen, Preise von Komplementen und Substituten, Präferenzen, "Profile", Gesundheitszustand, Qualität)

Rückblick

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12.05. Die Nachfrage nach Gesundheit I SN, Ch. 5

18.05. Die Nachfrage nach Gesundheit I/II BZK, K. 3.1-3.5

19.05. Die Nachfrage nach Gesundheit II BZK, K. 3.1-3.5

01.06. Übung 3 (Nachfrage nach Gesundheit)

02.06. Die Nachfrage nach Gesundheit III BZK, K. 3.1-3.5

08.06. Übung 4 (Nachfrage nach Gesundheit)

09.06. Empirische Untersuchungen zur Gesundheitsproduktion BZK, K. 4

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Ziele und Inhalt

• Darstellen, wie ein Individuum Gesundheit produzieren

kann.

• Formale Analyse des Grossman-Modells.

• Analyse von Gesundheitsproduktion unter Unsicherheit.

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"Gesundheit ist nicht alles im Leben, doch

ohne Gesundheit ist alles Nichts" - Warum ist

für Sie Gesundheit wichtig?

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1. Einführung

• Dieses Sprichwort weist auf zwei Besonderheiten der

Gesundheit hin:

• Gesundheit als besonders hoch geschätztes Gut:

Gesundheit hat ein hohes Gewicht in der

Präferenzstruktur der allermeisten Menschen.

• Gesundheit als Voraussetzung für andere

Aktivitäten: Eine schlechte Gesundheit beschränkt

u.a. die Produktionsmöglichkeiten des Betroffenen.

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1. Einführung

• Kann ein Individuum seine Gesundheit "produzieren"?!

• Im Unterschied zu "normalen" Produkten hat Gesundheit zwei

eigenartige Eigenschaften:

• Mangelnde Steuerbarkeit: Wir können Gesundheit nicht

perfekt steuern.

• Mangelnde Handelbarkeit: Wir können das Produkt

"Gesundheit" nicht verkaufen (...oder indirekt doch?)

• ABER: Was charakterisiert einen Produktionsprozess?

• ...wir können Inputs einsetzen, um den Output "Gesundheit" zu

produzieren. Wir können auch mit Investitionen einen

Kapitalbestand an Gesundheit aufbauen.

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2. Das Grossman-Modell

• Ausgangslage des Grossman-Modells (Grossman 1972):

• T = Lebensende

• τ = bestimmte Periode

• tk = Zeitspanne im Zustand der Krankheit in einer Periode

• H = Bestand an Gesundheitskapital

• X = Konsum von Gütern

• ρ = subjektive Zeitpräferenzrate

• Individuum zieht positiven Nutzen aus dem Konsum von Gütern und

negativen aus der Dauer der krank verbrachten Zeit:

( )( ) ( )( );kU U t H Xτ τ=

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2. Das Grossman-Modell

• Wohlfahrt des Einzelnen (Zielgröße):

( )( ) ( )( )0

;

0 0 0

Tk

k

k

W e U t H X d

U U tt X H

ρτ τ τ τ−=

∂ ∂ ∂< > <

∂ ∂ ∂

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2. Das Grossman-Modell

• Weitere Komponente:

• δ = Abschreibungsrate des Gesundheitskapitals (nimmt mit

Lebensalter τ zu)

• I = Investitionen in das Gesundheitskapital

• M = gekaufte medizinische Leistungen

• tI = Zeiteinheiten für präventive Anstrengungen

• Die Veränderung des Gesundheitskapitals (Restriktion):

( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ), 0 0 0II

I IH I M t HM t

δτ τ τ δ τ ττ

∂ ∂ ∂= − > > >

∂ ∂ ∂

Investitionen abhängigvon med. Leistungenund Zeit

Abschreibungen

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2. Das Grossman-Modell

• Weitere Komponente:

• P = Preis medizinischer Leistungen

• tI = Zeiteinheiten für präventive Anstrengungen

• q = Effektiv-Preis von Investitionen in Gesundheit = f(P,tI)

• D = Preis des Konsumguts

• Y = Arbeitseinkommen

• A = Vermögensbestand; rA = Vermögenseinkommen

• Die Veränderung des Vermögensbestandes (Restriktion):

( ) ( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ) ( ) ( ) 0k Ik I

Y YA rA Y t t P M D Xt t

τ τ τ τ τ τ τ τ ∂ ∂= + + − − = <

∂ ∂

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2. Das Grossman-Modell

• Die Maximierung der Wohlfahrt unter diesen 2 Restriktionen ergibt:

( )[ ]

( )( )

( )( ) ( ) ( )

( ) ( )0

k k

r k

U et Y t q

r qe t H q

ρτ

τ

τ τ τ τδ τ τ

λ τ τ τ

∂⎡ ⎤⎢ ⎥ ⎡ ⎤∂ ∂ ∂⎢ ⎥+ = + −⎢ ⎥∂ ∂⎢ ⎥ ⎣ ⎦⎢ ⎥⎣ ⎦

Erhöhung des Gesundheits-

kapitalbestandesreduziert die Zeit,

die im Zustand der Krankheit verbracht

wird=> Effektivität als

Vorbedingung

Weniger Krankheitstage erhöhen den Nutzen. Dieser

muss auf Gegenwart abdiskontiert werden und mit dem Grenznutzen des

Vermögens dividiert werden, um den direkten Nutzengewinn zu erhalten

=> Bewertung der Gesundheit als Konsumgut

Sinken die Krankheitstage, dann steigt das

Arbeitseinkommen=> Bewertung der

Gesundheit als Investitionsgut

GRENZERTRAG

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2. Das Grossman-Modell

• Die Maximierung der Wohlfahrt unter diesen 2 Restriktionen ergibt:

( )[ ]

( ) ( )( ) ( ) ( )

( ) ( )0

k k

r k

U et Y t q

r qe t H q

ρτ

τ

τ τ τ τδ τ τ

λ τ τ

∂⎡ ⎤⎢ ⎥ ⎡ ⎤∂ ∂ ∂⎢ ⎥+ = + −⎢ ⎥∂ ∂⎢ ⎥ ⎣ ⎦⎢ ⎥⎣ ⎦

Entgangener Zins und

Abschreibungen

GRENZKOSTEN

Ausgaben / Einheitspreis der

Investition = f(Preis

medizinischer Leistungen; Preis

der Zeit)

Veränderung des Preises über die Zeit

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2. Das Grossman-Modell

• Der Grenznutzen des Haltens einer zusätzlichen Einheit

"Gesundheit" enthält eine konsumtive und eine investive

Komponente – man spricht deshalb von der Nachfrage nach

"Gesundheit als Investitionsgut" (Investitionsgut-Modell) und von der

Nachfrage nach "Gesundheit als Konsumgut" (Konsumgut-Modell).

• Für das Investitionsgut-Modell vereinfacht sich die

Optimalbedingung zu:

( ) ( )( ) ( ) ( )

( ) ( )k

k

Y t qr q

t H qτ τ τ

δ τ ττ τ

⎡ ⎤∂ ∂= + −⎢ ⎥∂ ∂ ⎣ ⎦

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2. Das Grossman-Modell

• Spezifizieren wir die Funktionen wie folgt:

( )( ) ( )( )

( ) ( )( ) ( )( )

2

1

1 MM E

k

k

EI

t H H

Y Wt

I M t e

θ

ββ β

τ θ τ

τ τ τ

=

∂= −

=

...wie sich Gesundheit auf Krankheitstage auswirkt

...wie sich Krankheitstage auf Einkommen auswirken (W = Lohnsatz)

...Cobb-Douglas-Funktion: Investitionen hängen von medizinischen Leistungen, Zeit und Ausbildungsniveau (E) ab

• Mit dieser Spezifikation können wir eine Nachfragefunktion nach

Gesundheit ableiten:

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2. Das Grossman-Modell

• ε misst, wie stark der Grenzertrag des Gesundheitskapitals mit H variiert.

• W ist der Lohnsatz.• βM gibt die Produktionselastizität medizinischer Leistungen bei der

Gesundheitsproduktion wieder.• βδ misst den Effekt der Alterung auf die Abschreibung des

Gesundheitskapitals.• βE ist die Produktivitätselastizität der Bildung bei der Produktion von

Gesundheit.

( ) ( ) ( )12

1ln ln ln1M M EH W P Eδτ χ β ε τ β ε τ β ετ β ε ε

θ= + − − + =

+

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2. Das Grossman-Modell

• Wie wirkt sich nun eine Erhöhung des Lohnsatzes auf die Nachfrage aus?

( ) ( ) ( )12

1ln ln ln1M M EH W P Eδτ χ β ε τ β ε τ β ετ β ε ε

θ= + − − + =

+

• Steigt W => steigt der Ertrag des Investitionsguts Gesundheit.• ABER: Auch die Zeitkosten der Produktion steigen.• ABER: Dieser Anstieg der Zeitkosten ist kleiner als der Anstieg

des Ertrags, da auch medizinische Leistungen bei der Produktion verwendet werden.

• => Steigt W, dann führt dies zu einer höheren optimalen Menge von H.

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2. Das Grossman-Modell

• Wie wirkt sich nun eine Erhöhung des Preises für medizinische Leistungen auf die Nachfrage aus?

( ) ( ) ( )12

1ln ln ln1M M EH W P Eδτ χ β ε τ β ε τ β ετ β ε ε

θ= + − − + =

+

• Steigt P => werden Investitionen in H teuerer und deshalb sinkt die optimale Menge von H.

• Wie wirkt sich nun eine Erhöhung des Alters auf die Nachfrage aus?

• Mit zunehmendem Alter steigt die Abschreibungsrate und Investitionen lohnen sich weniger.

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2. Das Grossman-Modell

• Wie wirkt sich nun ein höherer Bildungsgrad auf die Nachfrage aus?

( ) ( ) ( )12

1ln ln ln1M M EH W P Eδτ χ β ε τ β ε τ β ετ β ε ε

θ= + − − + =

+

• Ein höherer Bildungsgrad erhöht die Produktivität der Investitionen. Folglich steigt die optimale Menge von H.

• Mit diesem Modell können wir nun auch die Nachfrage nach medizinischen Leistungen herleiten:

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2. Das Grossman-Modell

( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )2ln ln 1 ln 1 lnM M EM H W P Eδτ χ τ β τ β τ β τ β= + + − − − + −

• Steigt W, dann erhöht dies die Kosten der für präventive Anstrengungen verwendeten Zeit => Substitution zu medizinischen Leistungen.

• Wie wirkt sich nun eine Erhöhung des Lohnsatzes auf die Nachfrage nach medizinischen Leistungen aus?

• Wichtig: Eine Erhöhung des optimalen Gesundheitskapitals sollte zu einer Zunahme der Nachfrage nach medizinischen Leistungen führen. Intuitiv?!

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2. Das Grossman-Modell

( ) ( ) ( ) ( ) ( ) ( )2ln ln 1 ln 1 lnM M EM H W P Eδτ χ τ β τ β τ β τ β= + + − − − + −

• Steigt der Preis für medizinische Leistungen, dann sinkt die

Nachfrage.

• Mit zunehmendem Alter werden mehr medizinische Leistungen

nachgefragt, um die höhere Abschreibung zu kompensieren (für

einen vorgegebenen Gesundheitskapitalbestand).

• Ein höherer Bildungsgrad erhöht die Produktivität der medizinischen

Leistungen => für einen vorgegebenen Gesundheitskapitalbestand

sind deshalb weniger medizinische Leistungen notwenig.

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2. Das Grossman-Modell

• Für das Konsumgut-Modell vereinfacht sich die Optimalbedingung

zu

( )[ ]

( )( ) ( ) ( )

( ) ( )0

k k

rt

Ut t q

r qe H qτ τ τ

δ τ τλ τ τ−

∂⎡ ⎤∂ ∂

= + −⎢ ⎥∂ ⎣ ⎦

• Spezifizieren wir die Nutzenfunktionen beispielsweise wie folgt:

( ) ( ) ( )( )2

1kU t g Xατ α τ τ= +

• ...dann folgt die folgende Nachfragefunktion nach Gesundheit:

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2. Das Grossman-Modell

• К misst wie stark der Grenznutzen des Gesundheitskapitals mit H variiert. (Θ2 = Effekt von Gesundheit auf Krankheitstage; α2 = Effekt von Krankheitstage auf Nutzen)

• Steigt W, dann steigen die Kosten => Nachfrage geht zurück.• Steigt P, dann sinkt die Nachfrage.• Mit zunehmendem Alter steigt die Abschreibungsrate und

Investitionen lohnen sich weniger.• Ein höherer Bildungsgrad erhöht die Produktivität der Investitionen.

Folglich steigt die optimale Menge von H.• Steigt der Grenznutzen des Vermögens (d.h. Vermögen nimmt ab),

dann nimmt die Nachfrage ab => H normales Gut.

( ) ( ) ( ) ( ) ( )

( )

4

2 2

ln 1 ln ln ln 01

1

M M EH W P Eδτ χ β κ τ β κ τ β κτ β κ κ λ

κα θ

= − − − − + −

=+

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2. Das Grossman-Modell

• Viele der vorhergesagten Zusammenhänge des Grossman-Modellssind empirisch bestätigt worden. Ein paar grundlegende Probleme sind jedoch zu beobachten:

• Gesundheit: Ein besserer Gesundheitszustand und die Nachfrage nach medizinischen Leistungen sollte positiv korreliert sein => meistens jedoch negativ

• Alter: Ältere Studien zeigen, dass die Nachfrage nach medizinischen Leistungen nicht mit dem Alter zunimmt

• Bildung: Mit höherem Bildungsgrad sollte die Nachfrage nach medizinischen Leistungen sinken. Dies scheint nicht immer der Fall zu sein.

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2. Das Grossman-Modell

• Sehen Sie ein Problem mit dem Grossman-Modell?

• Unsicherheit wird vernachlässigt => die Steuerbarkeit des Gesundheitszustands durch das Individuum selbst ist oft schwierig.

• Die Abschreibungsrate ist deterministisch definiert => keine stochastischen Schocks wie z.B. Unfälle oder schwere Erkrankungen. Ist aber δ(τ) sehr groß, dann könnte der momentane Gesundheitszustand vom optimalen nach unten abweichen.

• Ist die Abschreibungsrate sehr groß, dann kann der Verlust an Gesundheitskapital lebensbedrohlich werden und der Planungshorizont auf wenige Tage zusammenschrumpfen => langfristige intertemporale Optimalität verliert an Bedeutung.