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– preliminary – Universität Siegen WiSe 12/13 Fachbereich Physik Vorlesungsskript Theoretische Teilchenphysik 2 Vorab-Version 27. März 2013 Gelesen von Prof. Dr. Thorsten Feldmann

TheoretischeTeilchenphysik2 - tp.nt.uni-siegen.defeldmann/ttp2_2012/TTP2-Main.pdf · I RadiativeKorrekturenundRenormierunginderQED – DieDynamikderEichfelderwirddurch L Eichfeld

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Universität Siegen WiSe 12/13Fachbereich Physik

Vorlesungsskript

Theoretische Teilchenphysik 2

Vorab-Version

27. März 2013

Gelesen von Prof. Dr. Thorsten Feldmann

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Inhaltsverzeichnis

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED 5I.1 Radiative Korrekturen in der QED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7I.1.1 Bremsstrahlung mit “weichen” Photonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9I.1.2 Berechnung der Elektron-Vertexkorrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12I.1.2.1 Berechnung des Formfaktor B(q2) bzw. F2(q2) . . . . . . . . . . . . . . . . 16I.1.2.2 Berechnung des Formfaktors A(q2) bzw. F1(q2) . . . . . . . . . . . . . . . 17I.1.3 Aufsummation und Interpretation der IR-Divergenzen . . . . . . . . . . . 21I.1.4 2-Punkt–Funktion des Elektrons in der QED-Störungstheorie . . . . . . . 25I.1.5 Renormierung der elektrischen Ladung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27I.1.5.1 Berechnung von Π(q2) in der Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 29I.1.6 Symmetrien im Pfadintegralformalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie . . . . . . 36I.2.1 Oberflächlicher Divergenzgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36I.2.2 Renormierte Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42I.2.3 Das MS–Renormierungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45I.2.4 Renormierungsgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49I.2.4.1 RG-Verhalten von Green-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFT . . . . . . . . . . . . . . . 54I.3.1 ABJ-Anomalie in der Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58I.3.2 Anwedung 1:

Anomaliefreiheit von Fermiondarstellungen in chiralen Eichtheorien . . . . 60I.3.3 Anwendung 2: Der Zerfall π0 → 2γ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62I.3.4 Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD) 67II.1 1-Schleifenkorrekturen in nichtabelschen Eichtheorien . . . . . . . . . . . . 67II.2 Laufende Kopplung in der QCD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72II.3 Einschub: Laufende Kopplung und RG-Fixpunkte . . . . . . . . . . . . . . 75II.4 Operatorproduktentwicklung in e+e− → Hadronen . . . . . . . . . . . . . 76II.4.1 Das Optische Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76II.4.2 Anwendung auf e+e− → Hadronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78II.4.2.1 Störungstheoretische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79II.4.2.2 Operatordarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79II.4.2.3 Das Problem mit zeitartigen Impulsüberträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 81

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– preliminary–

Inhaltsverzeichnis

II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks . . . . . . . . . . . . . . . . 83II.5.1 Strahlungskorrekturen zu schwachen Zerfällen . . . . . . . . . . . . . . . . 85II.5.1.1 Z-Faktoren und anomale Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89II.5.1.2 Lösung der RG-Gleichung für die Wilson-Koeffizienten . . . . . . . . . . . 90II.5.1.3 Zur Notation L(eading)L(og) vs. N(ext-to)L(eading)L(og): . . . . . . . . . 92II.5.2 Anwendung auf hadronischen Zerfall B0 → D+π− . . . . . . . . . . . . . . 93II.5.3 “Pinguin”-Operatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99II.6.1 Partonbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102II.6.2 Operatordefinition der Partonverteilungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . 104II.6.3 Strahlungskorrekturen zum Partonbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107II.6.3.1 Explizite Berechnung der Korrekturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110II.6.3.2 Beiträge von Gluon-PDFs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116II.6.4 Skalenverletzung und DGLAP-Evolutionsgleichungen . . . . . . . . . . . . 118II.6.4.1 DGLAP-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119II.6.4.2 Lösung der DGLAP-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120II.6.4.3 “Polarisierte Partonverteilungen” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123II.6.4.4 Verwandte Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126II.7.1 IR-Divergenzen und Jet-Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126II.7.2 Event-Shapes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132II.7.3 Einige Features der Soft-collinear effective theory (SCET) . . . . . . . . . 136II.7.3.1 Elektromagnetischer Strom für e+e− → qq in SCET . . . . . . . . . . . . . 139II.7.3.2 Harter Matching-Koeffizient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141II.7.4 Faktorisierungstheorem für Thrust-Verteilung nahe τ → 0 . . . . . . . . . 142II.7.4.1 Die Jet-Funktion J(µ, p2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144II.7.4.2 Die softe Funktion ST (µ, k) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149II.7.4.3 Zusammenfassung: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150II.8 Ausblick / Weiter Anwendungen der renormierten Störungstheorie und

Faktorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

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– preliminary–I Kapitel I

Radiative Korrekturen undRenormierung in der QED

Wiederholung: Zentrale Ergebnisse der QED aus TTP 1Wir fassen noch einmal kurz die Lagrangedichte der QED und die daraus resultierendenFeynman-Regeln zusammen:(a) Die Lagrangedichte der QED setzt sich zusammen aus

LQED = LFermion + LEichfeld + LEichfixierung (I.1)

mit– fermionischer Anteil für Dirac-Fermionen mit Massem (z.B. Elektron/Positron,

oder auch Quark/Antiquark)

LFermion = ψ (iD/−m)ψ , (I.2)

wobei die kovariante Ableitung durch

iDµ = i∂µ − eAµ(x) (I.3)

gegeben ist. Wir benutzen dabei die Konvention von [1], bei der e = −|e|.(Für Quarks muss hier der entsprechende relative Ladungsfaktor eingefügtwerden, Qu/Qe = −2/3 bzw. Qd/Qe = +1/3.)Die kovariante Ableitung garantiert die Eichinvarianz der Lagrangedichteunter lokalen Phasentransformationen der Materiefelder und gleichzeitigerTransformation des Eichfeldes,

ψ(x)→ eiα(x) ψ(x) ,

Aµ(x)→ Aµ(x)− 1e∂µα(x) . (I.4)

Die Transformationen bilden eine unitäre (Eich-)gruppe U(1).

5

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

– Die Dynamik der Eichfelder wird durch

LEichfeld = −14 FµνF

µν (I.5)

beschrieben, mit dem Feldstärketensor Fµν = ∂µAν − ∂νAµ. Zusammen mitLFermion ergeben die Euler-Lagrange–Gleichungen dann gerade die (inhomo-genen) Maxwell-Gleichungen.

– In der quantisierten Theorie müssen wir zusätzlich einen Eichfixierungstermhinzunehmen. Für allgemeine kovariante Eichungen lautet dieser

LEichfix. = − 12ξ (∂µAµ)2 . (I.6)

Damit lässt sich der Photonpropagator durch Invertieren des quadratischenTerms in den Eichfeldern ablesen. Physikalische Observable hängen nicht vomEichparameter ξ ab. In der QED benutzen wir deshalb meistens die Feynman-Eichung (ξ = 1).

(b) Aus der QED-Lagrangedichte ergeben sich die Feynman-Regeln der QED (Impul-sraum):– Photonpropagator (meistens Feynman-Eichung, ξ = 1):

DµνF (k) = i

k2 + iε

(−gµν + (1− ξ) k

µkν

k2

)(I.7)

– Dirac-Propagator (Pfeilrichtung bezeichnet Ladungsfluss):

[SF (p)]αβ =[

i(p/+m)p2 −m2 + iε

]αβ

(I.8)

– QED-Vertex:

(−ieγµ)αβ (I.9)

– externe Teilchen:

externes Photon : ε(∗)µ (k, σ = ±1) ,

externes Fermion : (–)u (p, s) ,

externes Antifermion : (–)v (p, s) . (I.10)

– weitere Regeln:∗ Multiplikation von Dirac-Matrizen entgegengesetzt zum Ladungsfluss∗ Faktor (-1) für geschlossene Fermionlinien∗ Impulserhaltung an jedem Vertex∗ Integration

∫ d4p(2π)4 über unbestimmte (Schleifen-)Impulse

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

I.1 Radiative Korrekturen in der QEDWir betrachten als Beispiel die Streuung eines Elektrons an einem anderen geladenenTeilchen (z.B. einem Myon). Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass mµ me.Klassisch erwarten wir, dass die während der Streuung beschleunigten Ladungen elek-tromagnetische Strahlung aussenden, wobei die Strahlungskorrekturen von den schwerenTeilchen kleiner sein sollten als jene von den leichten Teilchen.In führender Ordnung (entspricht Bornscher Näherung) hatten wir den Streuquerschnittin TTP 1 aus dem Baumgraphen-Diagramm (“tree-level”)

hergeleitet. Die 2 QED-Vertizes implizieren, dass die Streuamplitude von der Ordnunge2 = 4πα ist, wobei α = αem ' 1/137 die Feinstrukturkonstante bezeichnet.Für die Korrekturen höherer Ordnung in α betrachten wir alle Feynman-Diagramme mit2 zusätzlichen Vertizes (wobei wir uns aufgrund der obigen Argumentation auf Vertizesmit Elektronen beschränken können).

︸ ︷︷ ︸ ︸ ︷︷ ︸ ︸ ︷︷ ︸“Vertexkorrektur” “Korrektur zu ext. Linien” “Vakuum-Polarisation”

Die Korrekturen zu den externen Linien stellen keine amputierten Diagramme dar (sieheDiskussion in TTP 1) und gehören deshalb nicht zur S-Matrix – wir kommen später abernoch auf deren Bedeutung zurück.Bevor wir die Diagramme explizit berechnen, wollen wir schon einen kurzen Ausblickauf die zu erwartenden neuen Phänomene geben:

• Das Ergebnis für jedes individuelle Diagramm ist mathematisch nicht wohl-definiert!

• Man unterscheidet 2 Arten von Effekten:(i) Ultraviolett-Divergenzen in Schleifendiagrammen aus der Integration über die

(unbestimmten) Schleifenimpulse, schematisch:∫d4k

(2π)4(k2)m

(k2 −∆2 + iε)n (I.11)

Für n−m ≤ 2 fällt der Integrand für große Impulse (|k| → ∞) nicht schnellgenug ab.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

(ii) Infrarot-Divergenzen können auftreten, wenn masselose Teilchen in den Schleif-endiagrammen propagieren, und der Integrand für k → 0 wie 1/k4 oder stärk-er ansteigt.

• Der Ausweg aus dem anscheinenden Dilemma ergibt sich durch folgende physikalis-che Überlegungen:

Für (i): Der Grenzwert k → ∞ entspricht einer Ortsauflösung von ∆x → 0, d.h. wirwenden unsere Theorie für (virtuelle) Teilchen mit beliebig hohem Impuls(bzw. unendlich hoher Ortsauflösung) an. [Ein ähnliches Problem erhaltenwir bereits bei der klassischen Berechnung der Wechselwirkungsenergie desElektrons mit seinem eigenen elektromagnetischen Feld.] Die physikalischenMessgrößen beziehen sich dagegen auf endliche Impulse/Ortsauflösung. DieUV-Divergenzen müssen deshalb in eine Redefinition (→ Renormierung) derursprünglichen Parameter in der Lagrangedichte absorbiert werden.

Die Grundidee der Renormierung ist dabei die Parameter der Theorie, soanzupassen, dass:

Theoretische Ausdrücke zu gegebener Ordnung der Störungstheorie

!≡

Referenz-Experiment(e) bei endlicher Ortsauflösung (i.e. Referenz-Energie).

Sind die Parameter der Theorie durch endlich viele experimentelle Größenfixiert, so können für andere experimentelle Observablen und/oder andereKinematik eindeutige theoretische Vorhersagen berechnet werden.

Für (ii): Wir müssen auch “reelle” Strahlungskorrekturen berücksichtigen, welche demProzess e−µ− → e−µ− + γ(k) entsprechen und (zur relativen Ordnung α)durch folgende Diagramme beschrieben werden:

︸ ︷︷ ︸ ︸ ︷︷ ︸“initial-state radiation (ISR)” “final-state radiation (FSR)” (I.12)

Betrachten wir hierbei jeweils den Nenner des intermediären Elektronpropa-gators,

(p− k)2 −m2 + iε = −2 p · k + iε ,

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

so verschwindet dieser für k → 0, was zusammen mit der Phasenrauminte-gration über den Photonimpuls∫

d3k

(2π)3 2ωk(mit ωk = k0 = |~k|)

wieder eine IR-Divergenz erzeugt (s.u.). Wir werden sehen, dass diese Diver-genz gerade jene von den virtuellen Korrekturen aufhebt, wenn wir die Summeder Wirkungsquerschnitte

dσ(e−µ− → e−µ−) + dσ(e−µ− → e−µ− + γ)

betrachten.In der Tat können wir experimentell nur Photonen mit einer MinimalenergieEmin detektieren, d.h. prinzipiell messen wir

dσ1 = dσ(e−µ− → e−µ−) + dσ(e−µ− → e−µ− + γ(k))∣∣k0<Emin︸ ︷︷ ︸ (I.13)

experimentell nicht unterscheidbar

dσ2 = dσ(e−µ− → e−µ− + γ(k))∣∣k0≥Emin

(I.14)

Die individuellen Wirkungsquerschnitte dσ1 und dσ2 sind dann (zur betracht-en Ordnung in α) bezüglich des IR-Verhaltens mathematisch wohl definiert.

• In beiden Fällen müssen wir die mathematischen Ausdrücke für die individuellenDiagramme zunächst “regularisieren” (d.h. z.B. Einführung von oberen/unterenSchranken an interne Impulse bzw. Photonmassen). Am Ende der Rechnung mussdie Abhängigkeit vom Regulator in physikalischen Observablen verschwinden.

I.1.1 Bremsstrahlung mit “weichen” Photonen

Wir betrachten zunächst die reelle Abstrahlung von weichen (d.h. niederenergetischen)Photonen vor bzw. nach der Wechselwirkung des Elektrons mit dem Photon. Bezeichnenwir die Streuamplitude für den Prozess ohne Bremsstrahlung mit

u(p′) iM0(p′, p)u(p)

(diese kann bereits alle berechneten virtuellen Korrekturen enthalten), dann ergeben sichdie reellen Strahlungskorrekturen aus den Diagrammen

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I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

zu

iM = −ie u(p′)[M0(p′, p− k) i(p/− k/+m)

(p− k)2 −m2 + iεγµε∗µ(k)

+γµε∗µ(k) i(p/′ + k/+m)(p′ + k)2 −m2 + iε

M0(p′ + k, p)]u(p) , (I.15)

wobei kµ den Impuls des abgestrahlten Photons bezeichnet und ε∗µ den zugehörigenPolarisationsvektor.Aufgrund der Vorbemerkungen interessieren wir uns insbesonder für den Fall weicherPhotonen,

|kµ| |pµ|, |p′µ| .Dann können wir nähern:

M0(p′, p− k) ≈M0(p′ + k, p) ≈M0(p′, p)

sowiep/− k/ ≈ p/ und p/′ + k/ ≈ p/′ ,

während wir im Nenner k 6= 0 belassen müssen. Weiterhin können wir die Dirac-Strukturim Zähler durch Anwendung der Dirac-Gleichung vereinfachen, z.B.

(p/+m) ε/∗ u(p) = (2p · ε∗ + ε/∗ (−p/+m))u(p) = 2 p · ε∗ u(p) (I.16)

und analog für u(p′). Damit ergibt sich ingesamt

iM = u(p′)M0(p′, p)u(p)×e

(p′ · ε∗

p′ · k− p · ε∗

p · k

)(I.17)

d.h. das Ergebnis faktorisiert in ursprüngliche Amplitude × einer universellen Funktionfür Photonabstrahlung. Damit faktorisiert auch der differentielle Wirkungsquerschnitt(nach Quadrieren der Streuamplitude und Mittelung/Summierung über Spins/Helizitäten),

dσ(p→ p′ + γsoft) = dσ(p→ p′)×soft∫

d3k

(2π)31

2ωk︸ ︷︷ ︸∑λ=±

e2∣∣∣∣ p′ · εp′ · k

− p · εp · k

∣∣∣∣2 (I.18)

Phasenraum für weiche Photonen

≡ dσ(p→ p′)× dσsoft

Die Summe über die Photon-Helizitäten kann explizit ausgeführt werden∑λ=±

ε(λ)µ ε∗ν(λ)→ −gµν (I.19)

(wobei die Terme mit kµkν aufgrund der Eichinvarianz explizit herausfallen,kµ(p′µp′·k −

pµp·k

)= 0). Damit ergibt sich

dσsoft =∫dk (−e2)

(p′µp′ · k

− pµp · k

)2

= e2∫dk

(2 p′ · p

(p′ · k)(p · k) −m2

(p′ · k)2 −m2

(p · k)2

)(I.20)

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I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Wir zerlegen nun die externen Impulse in “Betrag” und Richtungsvektoren (in einemBezugsystem, in dem E = E′),

kµ = k0(1, k

), pµ = E (1, ~v) , p′µ = E

(1, ~v′

),

so dass wir die Winkelintegration im Photonphasenraum separieren können,

dσsoft =soft∫dk

e2

k2

(2(1− ~v · ~v′)

(1− ~v · k)(1− ~v′ · k)− m2/E2

(1− ~v · k)2− m2/E2

(1− ~v′ · k)2

)

= α

π×∫ Emin dk

k︸ ︷︷ ︸×∫dΩk

4π (· · · )︸ ︷︷ ︸ (I.21)

IR-divergent = I(~v,~v′)

Das Winkelintegral I(~v,~v′) ist elementar berechenbar (siehe Übung ). Das Integral überdie Photonenergie ist IR-divergent und kann z.B. durch eine untere Schranke µ (“cut-off”) oder alternativ durch eine fiktive Photonmasse regularisiert werden,

∫ Emin dk

k→∫ Emin

µ

dk

k= ln Emin

µ.

Damit ergibt sich

dσsoft = α

πln Emin

µI(~v,~v′) . (I.22)

Im relativistischen Limes, E2 m2, trägt im Winkelintegral nur der erste Term inrunden Klammern bei, wobei das Resultat von den Nullstellen des Nenners,

1− ~v · k = 0 oder (1− ~v′ · k) = 0

dominiert wird. Man erhält dann das approximative Resultat

I(~v,~v′) ' 2 ln −q2

m2 mit q2 = (p′ − p)2 < 0 (I.23)

Damit erhalten wir für den relativistischen Grenzfall

dσ(p→ p′ + γsoft)E2m2

= dσ(p→ p′)× α

πln(E2

minµ2

)ln(−q2

m2

)(I.24)

Das Ergebnis ist in der Literatur als sog. “Sudakov-Doppel-Logarithmus” bekannt. Hier-bei divergiert der erste Logarithmus für µ→ 0 und der zweite Logarithmus für q2 →∞bzw. m→ 0.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

I.1.2 Berechnung der Elektron-Vertexkorrektur– Diagramm – mit q2 = (p′ − p)2

Bevor wir den Ausdruck für das Vertexdiagramm explizit berechnen, überlegen wir unszunächst einige allgemeine Eigenschaften:

• Die Streuamplitude unter Berücksichtigung aller Korrekturen zum Elektron-Photon-Vertex kann allgemein geschrieben werden als

iM = ie2 (u(p′) Γµ(p′, p)u(p)) 1q2 J

muonµ , (I.25)

wobei der erste Term die sog. Vertexfunktion

Γµ(p′, p) = γµ +O(α) (I.26)

einführt, während die restlichen Faktoren den Photonpropagator und den (klassischangenommenen) Myon-Strom darstellen.

• Die Vertexfunktion erfüllt alle Symmetrien: Lorentz-Symmetrie, Parität, Eichsym-metrie (Stromerhaltung)

• Die Lorentz-Symmetrie erlaubt die Entwicklung der Vertexfunktion in skalareFunktionen und elementare Lorentz-Vektoren:

Γµ(p′, p) := A(q2) γµ +B(q2) (p′µ + pµ) + C(q2) (p′µ − pµ) (I.27)

Hierbei bezeichnen A,B,C sog. Formfaktoren, welche nur von Lorentz-Invariantenq2 (und implizit auch m2) abhängen.Anm.: Weitere Lorentzstrukturen, die auf der rechten Seite auftauchen könnten:– σµν(p′ν + pν) — trägt nicht bei nach Anwendung der Dirac-Gleichung.– σµν(p′ν − pν) — ist zwischen den Dirac-Spinoren u(p′)[..]u(p) linear abhängig

von γµ und (p′µ + pµ) (siehe unten).– εµνρσγνp

′ρpσ oder γµγ5 haben die falsche (negative) Pariät.

• Die Eichsymmetrie impliziert die Stromerhaltung ∂µjµ = 0. Auf Born-Level giltdemnach

qµ(u(p′)γµu(p)

)= 0 ,

was sich auf die Vertexfunktion verallgemeinert

qµ(u(p′)Γµ(p′, p)u(p)

)= 0 . (I.28)

Relationen dieser Art bezeichnet man allgemein als Ward-Identitäten (eine for-male Diskussion folgt später). U.a. hat dies zur Folge, dass die Abhängigkeit vomEichparameter in phys. Amplituden verschwindet, denn(

u(p′)Γµ(p′, p)u(p)) iq2

(−gµν + (1− ξ) qµqν

q2

)=(u(p′)Γν(p′, p)u(p)

) −iq2 .

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Für unsere allgemeine Parametrisierung heisst das

u(p′)(Aq/+B q · (p′ + p) + C q2

)u(p) != 0 (I.29)

– q/ = p/′ − p/→ m−m = 0 verschwindet zwischen on-shell Dirac-Spinoren.– q · (p′ + p) = (p′)2 − p2 = m2 −m2 = 0 verschwindet ebenfalls.– Im letzten Term ist allerdings i.A. q2 6= 0, d.h. wir müssen

C(q2) ≡ 0

fordern.Wir verbleiben also mit genau 2 unabhängigen Formfaktoren A(q2), B(q2).

• Meistens schreibt man mittels der sog. Gordon-Identiät,

u(p′)γµu(p) = u(p′)[p′µ + pµ

2m + iσµνqν2m

]u(p) (I.30)

den Term mit (p′µ + pµ) um, und führt neue Formfaktoren F1,2(q2) ein,

Γµ(p′, p) = γµ F1(q2) + iσµνqν2m F2(q2) . (I.31)

Unser Ziel ist also, die Vertexkorrekturen zu den Formfaktoren

F1(q2) = 1 +O(α) , F2(q2) = O(α) (I.32)

zu berechnen.

• Der Vergleich mit dem nicht-relativistischen Limes zeigt– F1(0) ≡ 1 entspricht gerade der elektr. Ladung in Einheiten von e.– und F1(0) + F2(0) = g

2 = 1 + O(α) ergibt gerade die Korrektur zum Landé-Faktor, der das sog. anomale magnetische Moment des Elektrons bestimmt.

• Anm.: Die Zerlegung der elektromagnetischen Vertexfunktion gilt allgemein, z.B.auch für komplexere Systeme wie das Proton, wo allerdings aufgrund der starkenWechselwirkung zwischen den Quarks die Formfaktoren F1 und F2 nicht in derStörungstheorie berechenbar sind.

Aus dem Vertexdiagramm erhalten wir mit Hilfe der QED-Feynmanregeln die Korrekturzur Vertexfunktion (Γµ := γµ + δΓµ),

u(p′)δΓµu(p) =∫

d4k

(2π)4−igνρk2 + iε

u(p′) (−ieγν) i(p/′ − k/+m)(p′ − k)2 −m2 + iε

γµ

× i(p/− k/+m)(p− k)2 −m2 + iε

(−ieγρ)u(p) (I.33)

Um diesen Ausdruck zu vereinfachen und insbesondere die 4er-Impulsintegration durch-führen zu können, betrachten wir am besten den Nenner, den Zähler der Feynmanprop-agatoren, sowie die Impulsintegration separat.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Nenner: Als Rechentrick zur Behandlung des Nenners (wir führen an dieser Stelle schoneine fiktive Photonmasse als IR-Regulator ein),

1N

=[(k2 − µ2 + iε)((p′ − k)2 −m2 + iε)((p− k)2 −m2 + iε)

]−1, (I.34)

führen wir die sog. Feynman-Parameter ein (→ Übung ). Allgemein können wirdamit Produkte von Nennern folgendermaßen umformen,

1A1A2 · · ·An

=∫ 1

0dx1 · · · dxn δ(1−

n∑i=1

xi)(n− 1)!

[x1A1 + . . .+ xnAn]n , (I.35)

so dass nur noch ein gemeinsamer Nenner auftritt, allerdings dafür jetzt zusätzlicheParameter-Integrale ausgeführt werden müssen. (Wir werden sehen, dass dadurchaber das 4er-Impulsintegral elementar wird.)In unserem Fall erhalten wir

1N

=∫ 1

0dxdydz δ(1− x− y − z) 2

D3 (I.36)

mit (q2 = 2m2 − 2p · p′)D = xk2 − xµ2 + y(p′ − k)2 − ym2 + z(p− k)2 − zm2 + iε

= k2 − 2yp′ · k − 2zp · k − xµ2 + iε

= (k − yp′ − zp)2 − (yp′ + zp)2 − xµ2 + iε

= k2 − (y2 + z2)m2 − 2yzp · p′ − xµ2 + iε

= k2 − (y + z)2m2 + yzq2 − xµ2 + iε

≡ k2 −∆2 + iε (I.37)mit also

∆2 = (1− x)2m2 − yzq2 + xµ2 , k = k − yp′ − zp . (I.38)Die zu erwartenden IR-Divergenzen hängen mit den Nullstellen von ∆2 (bei Ab-wesenheit der Regulatormasse µ) zusammen. Die IR-Divergenzen rühren also vonbestimmten Regionen im Feynman-Parameter-Integral zusammen, in unserem Fallmit der Region

x→ 1 und y, z → 0 .

Zähler: Im Zähler führen wir ebenfalls die Variablensubstitution k → k durch. Dannmüssen wir die Lorentzstrukturen gemäß der Formfaktoren A,B,C identifizieren.Um die Kette von Dirac-Matrizen zwischen u(p′)[..]u(p) zu vereinfachen, benutzenwir die Relationen für Dirac-Matrizen:1

γνγµγν = −2γµ ,γνγµa/γν = 4aµ ,γνa/γµb/γν = −2b/γµa/ . (I.39)

1Die angegebenen Relationen gelten für 4 Raumzeitdimensionen. Wir werden später die Methode derdimensionalen Regularisierung kennen lernen, wo diese Relationen verallgemeinert werden müssen.

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Weiterhin können wir die Dirac-Gleichung verwenden, nachdem wir alle Termep/ nach rechts und p/′ nach links (anti-)kommutieren (p/u(p) = mu(p), u(p′)p/′ =mu(p′)).Bei der Integration verschwinden die Integrale mit ungeraden Potenzen von k imZähler,∫

d4k

(2π)4kµ

(k2 −∆2 + iε)n= 0 (wg. Antisymmetrie unter k → −k) . (I.40)

Für Tensorintegrale mit kµkν im Zähler ergibt sich aufgrund der Lorentzsymmetrie:∫d4k

(2π)4kµkν

(k2 −∆2 + iε)n= X gµν , mit: X =

∫d4k

(2π)4k2/4

(k2 −∆2 + iε)n.

(I.41)

Nach einigen Rechenschritten (die nicht schwierig aber etwas aufwendig sind, unddeshalb am besten mit Hilfe von Computer-Algebra-Programmen wie Mathemat-ica durchgeführt/kontrolliert werden, siehe Übung ) ergibt sich

Zähler = −i 8πα u(p′)(1

2 k2 − (1− 2x− x2)m2 − (1− y)(1− z)q2

)γµ

+ x(1− x)m (p′µ + pµ)

+ (z − y)(1 + y + z)mqµu(p) (I.42)

An dieser Stelle lassen sich schon einige Eigenschaften der Beiträge zu den ver-schiedenen Formfaktoren ablesen:

• Beim Beitrag zum FF A(q2) gibt es aufgrund des Terms k2 im Zähler eineUV-Divergenz bei der k–Integration,

d4k k2

(k2 −∆2 + iε)3 divergiert für k →∞

Weiterhin verschwindet der Zähler nicht im für potentielle IR-Divergenzenrelevanten Bereich x→ 1, y, z → 0, d.h. wir werden auch IR-Divergenzen imFormfaktor A(q2) erhalten.

• Im Gegensatz dazu, erhält der Term vor (p′µ + pµ), der dem FormfaktorB(q2) entspricht, keine Terme mit k2; und außerdem verschwindet in diesemFall der Zähler für x→ 1. Wir erwarten also weder UV- noch IR-Divergenzenim O(α)–Beitrag zu B(q2).

• Schließlich ist der Zähler im Term vor qµ, der dem Formfaktor C(q2) entspricht,antisymmetrisch unter Vertauschung von y ↔ z, während der Rest des In-tegrals (inklusive des Terms ∆2) symmetrisch ist, so dass C(q2) = 0 nachParameterintegration, im Einklang mit unseren allgemeinen Überlegungen.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

d4k–Integration: Wie bereits in TTP1 diskutiert, transformieren auf euklidische Impulsemittels der sog. Wick-Rotation:

k0 = ik4E ,

~k = ~kE , mit k4E ∈ (−∞,+∞)

d.h. wir ersetzen d4k → id4kE und k2 = −k2E < 0. Die iε–Vorschrift sagt uns

gerade, in welcher Richtung in der komplexen Ebene wir die Wick-Rotation derIntegrationskontur durchführen müssen. Für ∆2 > 0 können wir danach den iεTerm im Nenner weglassen.Weiterhin können wir 4-dimensionale Kugelkoordinaten benutzen, so dass (sieheÜbung )

d4kE = dΩ4 k3dk = 2π2 k3dk

I.1.2.1 Berechnung des Formfaktor B(q2) bzw. F2(q2)

Kombination des Zählers, Nenners und Integrationsmaß ergibt

B(q2) = −2απ

∫ 1

0dx dy dz δ(1− x− y − z)

∫ ∞0

k3dkmx(1− x)(k2 + ∆2)3 (I.43)

Die k-Integration ist nun elementar und führt auf Integrale der Form∫ ∞0

dkk3

(k2 + ∆2)n = (∆2)2−n

4− 6n+ 2n2 (I.44)

und damit

B(q2) = − α

∫ 1

0dx dy dz δ(1− x− y − z) mx(1− x)

∆2 . (I.45)

Uns interessiert zunächst insbesondere der Term

F2(0) = −2mB(0) = α

π

∫ 1

0dx dy dz δ(1− x− y − z) m2 x(1− x)

(1− x)2m2 + xµ2 . (I.46)

Da keine IR-Divergenzen für x → 1 auftreten, können wir µ → 0 setzen und erhalteneinfach

F2(0) = α

π

∫ 1

0dx dy θ(1− x− y) x

1− x = α

π

∫ 1

0dxx = α

2π (I.47)

Die IR-Endlichkeit des Resultats ist dabei zwingend, denn wir hatten ja durch die reelleAbstrahlung nur Korrekturen zu der Dirac-Struktur γµ des führenden Diagramms er-halten (haben also keine IR-Divergenzen zum kompensieren). [Analog haben wir auchkeinen Beitrag vom führenden Diagramm durch dessen Renormierung (s.u.) wir eineetwaige UV-Divergenz in F2(0) ausgleichen könnten.]Insgesamt bekommen wir also eine eindeutige QED-Vorhersage für die führende Quan-tenkorrektur zum anomalen magnetischen Moment des Elektrons,

ae = g − 22 = α

2π ≈ 0.0011614 .

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Für endliche Impulsüberträge q2 lässt sich das Parameterintegral immer noch elementarberechnen und man erhält

F2(q2) = α

2πτ

2√

1− τln√

1− τ − 1√1− τ + 1

für τ = 4m2

q2 < 0 . (I.48)

(Um das analytische Verhalten für 0 < τ < 1, d.h. oberhalb der Schwelle q2 > 4m2 für 2-Teilchen-Produktion, zu erhalten, muss man die iε-Vorschrift in der Form m2 → m2− iεbeibehalten.)

I.1.2.2 Berechnung des Formfaktors A(q2) bzw. F1(q2)

Wie bereits oben erwähnt ergibt sich bei der Berechnung der Vertexkorrektur zum Form-faktor A(q2) eine UV-Divergenz, die entsprechend regularisiert werden muss (die IR-Divergenz haben wir bereits durch die fiktive Photonmasse µ regularisiert). Dazu gibtes verschiedene Methoden, von denen wir ein einige kurz diskutieren wollen:

• Das einfachste Verfahren besteht im Einführen eines Energie-Impuls–Abschneide-parameters (“cut-off”), so dass |kµ| ≤ ΛUV. Die UV-Divergenzen treten dann inder Form

ln ΛUV (log. Divergenz) , ΛUV (lineare Divergenz) , Λ2UV (quadrat. Divergenz) . . .

auf (für ΛUV → ∞). Diese Methode hat allerdings den Nachteil, dass sie nichtinvariant bzgl. Variablensubstitution kµ → kµ + aµ ist.

• Ein für die QED häufig verwendetes Verfahren, welches wir im Folgenden auch be-nutzen wollen, besteht darin, vom UV-divergenten Diagramm einen analogen Aus-druck zu subtrahieren, bei dem das Photon eine fiktive große Masse M bekommt,so dass die führende Divergenz für |k| → ∞ wegfällt. Dies bezeichnet man als“Pauli-Villars”-Regularisierung. In unserem Fall ergibt sich

− i 8πα∫

d4k

(2π)4 k2(

1(k2 −∆2)3 − (µ→M)

)

= α

π

∫dkE k

5E

(1

(k2E + ∆2)3 − (µ→M)

)

= α

2π ln ∆2(µ→M)∆2 ' α

2π ln xM2

(1− x)2m2 − yzq2 + xµ2 . (I.49)

Das Problem dieser Methode ist, dass die Photonmasse die Eichinvarianz verletztund damit gewisse Symmetrien des Problems nicht mehr (automatisch) manifestsind.

• Eine elegante (aber mathematisch subtilere) Methode ist die sog. “DimensionaleRegularisierung”, bei der nicht wie oben der Integrand, sondern das Integrations-maß modifiziert wird, und zwar

d4k

(2π)4 →dDk

(2π)D mit D < 4 , (I.50)

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

d.h. wir betrachten alle Impulsintegrale in einer fiktiven Raumzeit mit wenigerals 3 Raumdimensionen. Insbesondere können wir die erhaltenen Ergebnisse alsFunktion von D auch zu nicht ganzzahligen Dimensionen

D = 4− 2ε

analytisch fortsetzen (dies ist nur ein mathematischer Trick und hat keine physikalis-che Bedeutung). Die UV-Divergenzen treten dann für ε→ 0+ in der Form

1ε,

1ε2, . . .

auf. (Die Methode kann auch zur Regularisierung von IR-divergenten Integralenverwendet werden, wenn man ε → 0− betrachtet. In diesem Fall müssen auchdie Phasenraumintegrale d3k für die reellen Strahlungskorrekturen entsprechendmodifiziert werden.) Um mathematisch konsistente Ergebnisse zu erhalten, müssenwir auch die Regeln für die Dirac-Matrizen entsprechend anpassen (siehe Übung ).Insbesondere gilt

γµγµ = gµµ = 4 −→ D − 2ε .

Trotz dieser Subtilitäten überwiegen – insbesondere bei der Anwendung in derQuantenchromodynamik (QCD) für die starke Wechselwirkung – die Vorteile dieserMethode. So kann man die Modifikation direkt in der QFT-Wirkung als∫

d4xL(4)(φ, ∂µφ) −→∫dDxL(D)(φ, ∂µφ) (I.51)

einführen, ohne innere Symmetrien oder Lorentz-Symmetrie zu verletzen.

Kehren wir zur identifizierten UV-Divergenz in (I.49) und deren Interpretation zurück.Fassen wir die (regularisierte) d4k-Integration in A(q2) zusammen (unter Verwendungder gleichen Methoden wie für den Formfaktor B(q2)), ergibt sich

A(q2) = 1 + α

∫ 1

0dx dy dz δ(1− x− y − z)

×

ln xM2

∆2 + (1− 2x− x2)m2 + (1− y)(1− z)q2

∆2

(I.52)

bzw. mit F1(q2) = 1 + δF1(q2) = A(q2) + 2mB(q2)

F1(q2) = 1 + α

∫ 1

0dx dy dz δ(1− x− y − z)

×

ln xM2

∆2 + (1− 4x+ x2)m2 + (1− y)(1− z)q2

∆2

. (I.53)

Aus der experimentellen Messung der Ladung des Elektrons im statischen elektrischenFeld “wissen” wir, dass F1(q2 = 0) != 1 sein muss. Das offensichtlich “falsche” Resultat für

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

F1(q2) rührt daher, dass wir die externen 1-Teilchen–Zustände in der wechselwirkendenTheorie naiv durch die der freien Theorie ersetzt haben. Wir wissen, dass für Streuam-plituden in der wechselwirkenden Theorie die externen Zustände durch entsprechendeZ-Faktoren aus der Spektraldarstellung der entsprechenden 2-Punkt-Funktionen (vgl.TTP1 und siehe unten) korrigiert werden müssen,

u(p)→√Z u(p) , u(p)→

√Z u(p) , (I.54)

mit Z = 1+O(α) in der Störungstheorie. Damit ändert sich die Vorhersage auf Baumgraphen-Niveau, und das Gesamtergebnis zur Ordnung α lautet

Z u(p)γµu(p)(1 + δF1(q2)

)= u(p)γµu(p)

(1 + δZ + δF1(q2) +O(α2)

) != u(p)γµu(p) .(I.55)

Daraus ergibt sich die Bedingung (die wir weiter unten testen werden)

Z = 1− δF1(0)︸ ︷︷ ︸ , ⇒ F1(q2)renorm. = 1 + δF1(q2)− δF1(0)︸ ︷︷ ︸q2-unabhängig UV-endlich (I.56)

Der so definierte “renormierte” Formfaktor ist nun UV-endlich, weil der divergente An-teil proportional zu lnM2 in δF1(q2) unabhängig von q2 ist und sich damit in der Dif-ferenz heraushebt. Der (unphysikalische, weil nicht beobachtbare) RenormierungsfaktorZ dagegen ist UV-divergent, aber unabhängig von q2.Der renormierte Formfaktor F1(q2) kann nun explizit berechnet werden (wir lassen dasLabel “renorm.” im Folgenden wieder weg):

F1(q2) = 1 + α

∫ 1

0dx dy θ(1− x− y)

×

ln m2(1− x)2 + xµ2

m2(1− x)2 + xµ2 − y(1− x− y)q2

+m2(1− 4x+ x2) + (1− y)(x+ y)q2

m2(1− x)2 + xµ2 − y(1− x− y)q2 − (q2 → 0). (I.57)

Wir bemerken, dass wir im logarithmischen Term in Klammern den IR-Regulator ver-nachlässigen können, da das Argument des Logarithmus für x → 1 und y → 0 regulärbleibt. Das lässt sich noch expliziter machen, wenn wir die Variablensubstitution

y = (1− x)ξ

durchführen, mit dem Resultat

F1(q2) = 1 + α

∫ 1

0dx (1− x)

∫ 1

0dξ

ln m2

m2 − ξ(1− ξ)q2

+m2(1− 4x+ x2) + (1− ξ + xξ)(x+ ξ − xξ)q2

m2(1− x)2 + xµ2 − (1− x)2ξ(1− ξ)q2 − (q2 → 0). (I.58)

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Im 2. Term haben wir den IR-Regulator µ beibehalten, da der Zähler im Limes x → 1nicht verschwindet und das Parameterintegral sonst wie

∫ 10

dx1−x divergieren würde.

Zur Lösung der Parameterintegrale ist es nützlich, das Resultat in einen IR-divergentenund einen IR-endlichen Anteil aufzuteilen. In F1|div.(q2) setzen wir im Zähler, sowie imVorfaktor bei µ2 den Parameter x = 1 und erhalten

F1(q2)|div. = α

∫ 1

0dx (1− x)

∫ 1

0dξ

−2m2 + q2

m2(1− x)2 + µ2 − (1− x)2ξ(1− ξ)q2 − (q2 → 0)

(I.59)

Im restlichen Anteil, F1(q2)|reg. = F1(q2)−F1|div.(q2), kann dann µ = 0 gesetzt werden,so dass sich der Integrand etwas vereinfacht (das explizite Resultat geben wir nicht an;es kann aber ohne große Schwierigkeiten hergeleitet werden). Das x-Integral in (I.59) istnun elementar (man setze einfach ω = (1− x)2), und man erhält

F1(q2)|div. = α

∫ 1

0dξ

[−2m2 + q2

m2 − ξ(1− ξ)q2 ln m2 − q2ξ(1− ξ)

µ2 + 2 ln m2

µ2

]. (I.60)

Wir interessieren uns insbesondere für den µ-abhängigen Term (der sich ja mit derreellen IR-Divergenz kompensieren soll). Dieser lässt sich separieren durch Einführeneiner Hilfsskala µ0,

F1(q2)|div. = α

∫ 1

0dξ

[−2m2 + q2

m2 − ξ(1− ξ)q2 ln µ20µ2 + 2 ln µ

20µ2 + (µ-unabhängige Terme)

].

(I.61)

Vergleich mit dem im Phasenraum der reellen Photonabstrahlung auftauchenden Winke-lintegral I(v′, v) (siehe Übung ) ergibt dann

F1(q2) = 1− α

4π ln µ20µ2 · I(v′, v) + (IR-endliche, µ-unabhängige Terme). (I.62)

Damit ergeben die virtuellen Korrekturen zum differentiellenWirkungsquerschnitt dσ(p→p′) einen Faktor

∣∣∣F1(q2)∣∣∣2 =

∣∣∣∣∣1− α

4π ln µ20µ2 · I(v′, v) + . . .

∣∣∣∣∣2

= 1− α

2π ln µ20µ2 · I(v′, v) + . . . (I.63)

während die reellen Korrekturen in dσ(p→ p′ + γsoft) den Beitrag

α

2π ln E2minµ2 · I(v′, v) (I.64)

ergaben. In der Summe ergibt sich ein IR-endliches Resultat

dσ(p→ p′, p→ p′ + γsoft)

= dσ0

(1 + α

2π ln E2minµ2

0· I(v′, v) + endliche Terme f(m2, q2, µ2

0))

(I.65)

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Für große Werte von q2 (bzw. m2 → 0) wählen wir µ20 = −q2, so dass im endlichen

Anteil f(m2, q2, µ20) → f(−q2/µ2

0) = f(−1) keine logarithmischen Terme in q2 mehrauftauchen. Dann ergibt sich im Hochenergielimes

dσ(p→ p′, p→ p′ + γsoft)|−q2|m2

= dσ0

[1− α

πln −q

2

m2 ln −q2

E2min

+ . . .

](I.66)

Anmerkungen:

• Wir haben schließlich einen endlichen Wirkungsquerschnitt erhalten, der (prinzip-iell) mit dem Experiment verglichen werden kann.

• Allerdings bricht die angenommene Störungsentwicklung in α/π offensichtlich zusam-men, wenn der Impulsübertrag so groß wird, dass

α

πln −q

2

m2 ln −q2

E2min∼ O(1) . (I.67)

Insbesondere lassen sich dann anscheinend sogar negative Wirkungsquerschnitteerzielen, was physikalisch unsinnig ist.

• Die Kompensierung von IR-Divergenzen haben wir nur zur führenden Ordnungin α gezeigt. Damit das obige Resultat zuverlässig ist, würden wir gerne sichersein, dass die Cancellierung in beliebiger Ordnung der Störungstheorie tatsächlichfunktioniert.

Im folgenden Abschnitt werden wir sehen, wie diese Probleme zu lösen sind.

I.1.3 Aufsummation und Interpretation der IR-DivergenzenDen Wirkungsquerschnitt, den wir eigentlich messen, beinhaltet eine beliebige Anzahlvon weichen Photonen mit k0 < Emin. In der Störungstheorie erwarten wir für n weichePhotonen ein Verhalten des WQ wie

∝[α

πln E

2minµ2

0I(v, v′)

]n(I.68)

Falls der Ausdruck in Klammern von der Ordnung 1 oder größer ist (d.h. die logarith-misch verstärkten Koeffizienten in der Störungstheorie die kleine Kopplungskonstanteα kompensieren), dann konvergiert die Störungsreihe nicht und wir müssen alle dieseBeiträge für n = 0, 1, . . . ,∞ aufsummieren, um ein physikalisch sinnvolles Resultat zubekommen.Um zu verstehen, wie und warum diese Aufsummation funktioniert, stellen wir zunächsteinige Vorüberlegungen an. Wir betrachten dazu die Abstrahlung von 2 Photonen voneiner Fermionlinie im Endzustand (Impuls p′), die mit dem eigentlichenWechselwirkungsver-tex verbunden ist.

– Diagramme –

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Im ersten Fall wird nach der Wechselwirkung erst ein hartes Photon (mit Impuls k1)und dann ein weiches Photon (k2) abgestrahlt. Im zweiten Fall umgekehrt. Betrachtenwir die Virtualitäten der intermediären Fermionpropagatoren, finden wir:

Fall 1:

äußeres Elektron: p′2 = p′ + k2 , (p′2)2 −m2 = 2p′ · k2 → 0 ,inneres Elektron: p′1 = p′2 + k2 = p′ + k1 + k2 ,

(p′1)2 −m2 = 2p′ · (k1 + k2) + (k1 + k2)2 ≈ 2p′ · k1 6= 0(I.69)

In diesem Fall bleibt der innere Propagator stets off-shell (d.h. produziert keineIR-Divergenz) und kann als “normale” perturbative Korrektur zum eigentlichenWechselwirkungsprozess behandelt werden. Der äußere Propagator produziert eineIR-Divergenz, die aber unabhängig vom Impuls des harten Photons ist.

Fall 2:

äußeres Elektron: p′2 = p′ + k2 , (p′2)2 −m2 = 2p′ · k2 6= 0 ,inneres Elektron: p′1 = p′ + k1 + k2 , (p′1)2 −m2 ≈ 2p′ · k2 6= 0 (I.70)

In diesem Fall sind beide Propagatoren stets off-shell, d.h. die Abstrahlung voneinem weichen Photon innerhalb des harten Sub-Prozess generiert keine neue IR-Divergenz, und Diagramme dieser Art müssen für die Aufsummation nicht betra-chtet werden (liefern natürlich aber trotzdem O(α) Korrekturen zum WQ).

Damit haben wir eine wesentliche Vereinfachung geschaffen: Wir können uns für dieAufsummation auf die Abstrahlung von weichen Photonen von den externen Linien imAnfangs- und/oder Endzustand konzentrieren. Für n weiche Photonen aus FSR erhaltenwir mit den Näherungen für die Fermionpropagatoren, die wir bereits im n = 1 Beispielhergleitet hatten[

u(p′)(ep′µ1

p′ · k1

)(ep′µ2

p′ · (k1 + k2)

)· · ·(

ep′µnp′ · (k1 + . . . kn)

)× (Rest des Diagramms)

](I.71)

Da die Photonen ununterscheidbare Bosonen sind, müssen wir über alle Permutatio-nen der zugeordneten Impulse (k1,. . . ,kn) summieren. Das Ergebnis ist (Beweis durchInduktion → Übung )

∑alle Permutationen π

1p · kπ(1)

· 1p · (kπ(1) + kπ(2))

· · · 1p · (kπ(1) + . . .+ kπ(n))

= 1p · k1

· 1p · k2

· · · 1p · kn

(I.72)

22

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Damit vereinfacht sie das Ergebnis für n weiche Photonen aus FSR wie folgt

– Diagramm – =[u(p′)

(ep′µ1

p′ · k1

)· · ·(ep′µnp′ · kn

)]· · · (I.73)

und analog für ISR mit ki → (−ki) und p′ → p.Fassen wir dann sämtliche Kombinationen von Photonen im Anfangs- und/oder Endzu-stand zusammen, ergibt sich für die Streuamplitude

iM' u(p′) iMhart u(p) ·n∏i=1

e

(p′µi

p′ · ki− pµi

p · ki

)(I.74)

d.h. die Streuamplitude “faktorisiert” in einen harten Anteil iM (welcher die kurzre-ichweitigen Strahlungskorrekturen beinhaltet) und einen Anteil, der die Effekte weicherPhotonen berücksichtigt. (Dieses Konzept der Faktorisierung wird insbesondere bei derBerechnung von Prozessen der starken Wechselwirkung in der QCD eine wesentlicheRolle spielen.)Obige Formel lässt sich sowohl für reelle als auch für virtuelle weiche Photonen anwenden:

• Für virtuelle Photonen müssen wir jeweils 2 Photonen (i und j) identifizieren,mit Photonpropagator mit Impuls kj = −ki ≡ k multiplizieren und über alle 4er-Impulse integrieren. Damit wir nicht doppelt zählen für i↔ j, gibt es noch einenFaktor 1/2. Für jedes virtuelle weiche Photon erhalten wir dann einen Faktor

Xv = e2

2

∫d4k

(2π)4i

k2 + iε

(p′

p′ · k− p

p · k

)2= − α

4π I(v, v′) ln −q2

µ2 , (I.75)

wie wir ihn bereits in der Vertexkorrektur berechnet hatten.Summieren wir dann über alle virtuellen Korrekturen dieser Art und berücksichti-gen einen kombinatorischen Faktor 1/m! umMehrfachzählung zu vermeiden, ergibtsich für die korrigierte Amplitude

M(p→ p′) =M0(p→ p′) ·∞∑m=0

1m! X

mv =M0(p→ p′) · exp [Xv] . (I.76)

In der Tat können wir also die Effekte von beliebig vielen weichen virtuellen Pho-tonen (d.h. die Beiträge mit dem Sudakov-Doppel-Logarithmus) explizit in eineExponentialreihe aufsummieren.

• Analog erhalten wir für jedes reelle Photon:– Kontraktion mit dem dazugehörigen Polarisationsvektor,– Polarisationssumme nach Quadrieren der Amplitude ausführen,– Phasenraum für jedes Photon integrieren.

23

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Damit ergibt sich für jedes reelle Photon ein Faktor

XR = −∫ Emin

µ

d3k

(2π)31

2ωke2(

p′

p′ · k− p

p · k

)2= α

2π I(v, v′) ln E2minµ2 , (I.77)

wie bereits für die reellen Korrekturen mit n = 1 berechnet wurde. Mit dementsprechenden Symmetriefaktor für n identische Photonen im Endzustand, er-halten wir den aufsummierten Wirkungsquerschnitt∞∑n=0

dΩ(p→ p′ + nγsoft) = dσ

dΩ(p→ p′)∞∑n=0

1n! X

nr = dσ

dΩ(p→ p′) exp [Xr] (I.78)

Fassen wir nun also reelle und virtuelle Korrekturen zusammen, ergibt sich für dengemessenen Wirkungsquerschnitt

dΩ = dσ0dΩ (p→ p′) · exp [Xr] · |exp [Xv]|2 = dσ0

dΩ (p→ p′) exp [Xr + 2Xv]

= dσ0dΩ (p→ p′)

∣∣∣∣∣exp[− α

4π I(v, v′) ln −q2

E2min

]∣∣∣∣∣2

(I.79)

• Das Ergebnis ist IR endlich.

• Der Korrekturfaktor nimmt nur physikalische Werte zwischen 0 und 1 an.

• Die Entwicklung der Exponentialfunktion reproduziert (per Konstruktion) das Re-sultat in erster Ordnung in α ln2[..].

• Der Faktor S ≡ exp[− α

4π I(v, v′) ln −q2

E2min

]heisst Sudakov-Formfaktor und stellt

eine universelle Eigenschaft des jeweils betrachteten Wechselwirkungsvertex dar.

Ein Corollar der obigen Rechnung ergibt die Wahrscheinlichkeit, dass gerade genau nweiche Photonen im (festen) Energieintervall Ea ≤ ωk ≤ Eb emittiert werden, nämlich

1n!

Xr

∣∣∣∣∣Emin→Eb

µ→Ea

n ·Normierungsfaktor

= 1n!

2πI(v, v′) ln E2b

E2a

]nexp

[− α

2πI(v, v′) ln E2b

E2a

](I.80)

Das entspricht gerade einer Poisson-Verteilung

P (n) = 1n! λ

n e−λ (I.81)

mit der mittleren Anzahl von emittierten Photonen (im vorgegebenen Energieintervall)

λ ≡ 〈n〉 = α

πln EbEa

I(v, v′) (I.82)

Das gleiche Resultat für 〈n〉 lässt sich auch durch eine semi-klassische Rechnung repro-duzieren (siehe Diskussion in [1]).

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

I.1.4 2-Punkt–Funktion des Elektrons in der QED-StörungstheorieFür Dirac-Teilchen hatten wir in TTP1 die folgende Überlegung zur analytischen Struk-tur der 2-Punkt-Funktion gemacht:∫

d4x eipx 〈Ω|Tψα(x)ψβ(0)|Ω〉 = Z2 ·i (p/+m)αβp2 −m2 + iε

+∞∫

∼m2

dM2

2πi ραβ(M2)

p2 −M2 + iε(I.83)

Den Renormierungsfaktor für die 1-Teilchen-Fermionzustände bezeichnen wir in derQED als Z2. Er ist definiert über

〈Ω|ψ(0)|p, s〉 =√Z2 u(p, s) (I.84)

und analog für Antiteilchen-Zustände mit v(p, s). Die Summation über alle Spin-Zuständefür Teilchen und Antiteilchen ergibt dann wie im Falle des freien Propagators den Term(p/ + m) im Zähler des 1-Teilchen–Beitrags. m ist wieder die physikalische Masse (imGegensatz zum Massenparameter m0 in der Dirac-Lagrangedichte).Die 2-Punkt–Funktion des Elektrons lässt sich als geometrische Reihe über 1-Teilchen-irreduzible Diagramme (1PI) darstellen:

– Diagramme –∫d4x eip·x 〈Ω|TΨ(x)Ψ(0)|Ω〉

= i(p/+m0)p2 −m2

0 + iε+ i(p/+m0)p2 −m2

0 + iε(−iΣ) i(p/+m0)

p2 −m20 + iε

+ . . .

= i

p/−m0 − Σ + iε(I.85)

wobei wir die Elektron-Selbstenergie

−iΣ(p/) = Summe über alle 1-Teilchen irreduziblen (amputierten) 2-Punkt–Diagramme

als Matrix im Spinorraum eingeführt haben (als Funktion von p/, wobei p2 = p/p/). Inführender Ordnung der Kopplung α erhalten wir somit

– Diagramme –

−iΣ(p/) = (−ie)2∫

d4k

(2π)4 γµ i(p/− k/+m0)

(p− k)2 −m20 + iε

γµ−i

k2 − µ2 + iε(I.86)

Das Integral lässt sich mit den bereits diskutierten Methoden ausführen. Die UV-Divergenzwird wieder mit Pauli-Villars (SubtraktionsmasseM) regularisiert. Für die auftretendenIR-Divergenzen haben wir wieder eine Photonmasse µ als Regulator eingeführt. Nachkurzer Rechnung erhält man

Σ(p/) = α

∫ 1

0dx (2m0 − xp/) ln xM2

(1− x)m20 + xµ2 − x(1− x)p2 (I.87)

Uns interessiert für die Bestimmung der Spektraldichte insbesondere das analytischeVerhalten bzgl. p2:

25

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

• Der Schnitt beginnt, wenn Argument des Logarithmus negativ, also bei

(1− x)m20 + xµ2 − x(1− x)p2 != 0

Der minimale Wert von p2, bei der die obige Gleichung Lösungen für x Lösungenim Integrationsgebiet [0, 1] besitzt, ist gerade

p2min = (m0 + µ)2

im Einklang mit der allgemeinen Diskussion, denn der leichteste 2-Teilchenzustandist gerade

|eγ〉 mit m2eγ ≥ (m0 + µ)2

Man beachte, dass sich für µ → 0 Subtilitäten aufgrund der IR-Divergenzen mitmasselosen Photonen ergeben.

• Wir erhalten keine Beiträge von Bindungszuständen, weil das Photon selbst elek-trisch neutral ist.

• Der (verschobene) 1-Teilchen-Pol ergibt sich für

p/−m0 − Σ(p/)∣∣∣p/=m

!= 0 (I.88)

als implizite Gleichung für die physikalische Polmassem. In erster Ordung Störungs-theorie ergibt sich die Massenrenormierung zu

m−m0 = Σ(p/ = m) ' Σ(p/ = m0)

= α

2π m0

∫ 1

0dx (2− x) ln xM2

(1− x)2m20 + xµ2

M→∞← 3α4π m0 ln M

2

m20(I.89)

Man beachte, dass das Integral sowohl UV- als auch IR-divergent ist.

• Die Normierung Z2 für das Elektron erhalten wir aus dem Residuum der 2-Punkt-Funktion am Pol. Entwicklung der Selbstenergiefunktion um p/ = m ergibt

1p/−m0 − Σ(p/) = 1

p/−m0 − Σ(m)− dΣdp/

∣∣∣p/=m

(p/−m) + . . .

= 1

(p/−m)(

1− dΣdp/

∣∣∣p/=m

)+ . . .

!= Z2p/−m

,

⇔ Z−12 = 1− dΣ

dp/

∣∣∣p/=m

(I.90)

In erster Ordnung erhalten wir

δZ2 = Z2 − 1 ' dΣdp/

(m)

= α

∫ 1

0dx

[−x ln xM2

(1− x)2m2 + xµ2 + 2(2− x) x(1− x)m2

(1− x)2m2 + xµ2

]= · · · = −δF1(0) (I.91)

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

d.h. nach Vergleich der Parameterintegrale ergibt sich das gleiche Resultat wie ausder Vertexkorrektur, aber mit umgekehrten Vorzeichen, was unsere ad-hoc Vorge-hensweise zur Renormierung des Formfaktors F1(q2) im Nachhinein rechtfertigt.

Wir werden später noch systematischer untersuchen, in welchem Sinne das Produkt vonkleiner Kopplungskonstante und (für M → ∞) unendlich großer UV-Divergenz in derStörungstheorie zu interpretieren ist.

I.1.5 Renormierung der elektrischen LadungIn unserer Betrachtung von e−µ− → e−µ−(+nγsoft) fehlt noch ein Typ von Diagrammen

– Diagramm —bei denen der Photonpropagator eine Quantenkorrektur durch eine virtuelle Elektron-Positron–Schleife erfährt. Das entsprechende Sub-Diagramm trägt zur sogenannten Vakuum-Polarisation bei (entspricht der Selbstenergie des Photonfelds). Die Korrekturen zurVakuum-Polarisation

• ändern die effektive Feldstärke des 4er-Potentials Aµ(x),

• ändern die q2-Abhängigkeit des (effektiven) Photonpropagators.Wir definieren (analog zur Selbstenergiefunktion Σ(p/) bei Elektronen) den Vakuumpo-larisationstensor

iΠµν(q) ≡∑

– 1PI-Diagramme – = 1-Loop-Diagramm +O(α2) (I.92)

Wie im Falle der Vertexfunktion Γµ(p′, p) übertragen sich die Eigenschaften des Dirac-Stroms ψγµψ, an den das Photon koppelt, auf den Vakuumpolarisationstensor,

qµ Πµν(q) = qν Πµν(q) = 0 (Ward-Identität) (I.93)Deshalb können wir schreiben

Πµν(q) = (q2gµν − qµqν) Π(q2) ≡ q2 PµνT Π(q2) . (I.94)Hierbei ist PµνT ein transversaler Projektor mit qµPµνT = 0 und (PT )2 = PT , und Π(q2) isteine skalare Vakuumpolarisationsfunktion, die nur vom Betrag des 4er-Impulsübertragsq2 abhängt.Mit dieser Definition lässt sich die geometrische Reihe aus Produkten von 1PI-Diagrammenund freien Photonpropagatoren wieder explizit aufsummieren (hier in Feynman-Eichung)

Voller Propagator = freier Propagator + Produkt von 1PI Diagrammen

Dµνtot(q) = −ig

µν

q2 + −igµρ

q2

[iq2PTΠ(q2)

]ρσ

−igσν

q2 + . . .

= −igµν

q2 − iPµνTq2 Π(q2)− iPµνT

q2

(Π(q2)

)2+ . . .

= PµνT

( −iq2 (1−Π(q2)

)︸ ︷︷ ︸+ −i

q2

(qµqν

q2

)︸ ︷︷ ︸

transversaler Anteil longitudinaler Anteil (I.95)

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Folgende Beobachtungen sind zu machen:

• Der Pol des vollen Propagators ist immer noch bei q2 = 0. Damit bleibt das Pho-ton masselos in jeder Ordnung Störungstheorie, als Konsequenz der Eichsymme-trie (welche ja einen Massenterm m2

γAµAµ verbietet) und der damit verbundenen

Ward-Identität.

• Der longitudinale Anteil bleibt unverändert.

• Das Residuum des Pols bei q2 = 0 definiert den Renormierungsfaktor für physikalis-che (d.h. transversale) Photonen

11−Π(0) ≡ Z3 . (I.96)

In elektromagnetischen Prozessen wird somit effektiv im Photonpropagator2

−ie20P

µνT

q2 + iε→ −iZ3e2

0PµνT

q2 + iε(I.97)

d.h. effektiv verändert sich die gemessene Stärke der Elementarladung

d20 → Z3e

20 ≡ e2 , (I.98)

wobei e20 der Ladungsparameter in der Lagrangedichte und e2 die (messbare) physikalis-

che Ladung e =√Z3e0 = e0(1+O(α)) darstellt. Man beachte, dass sich im Falle mehrerer

(verschieden geladener) Fermionen die Vakuumpolarisation als Summe über Diagrammemit allen virtuellen Fermionen (gewichtet mit den entsprechenden Ladungsfaktoren q2

i )ergibt, d.h. zur Ordnung α:

Vakuumpolarisation =∑i

q2i (Schleifendiagramm mit Fermion i) (I.99)

d.h. alle geladenen Teilchen tragen zu Π(q2) und damit zu Z3 bei, aber Z3 bleibt uni-versell, d.h. die Verhältnisse von Ladungen bleiben unverändert.Weiterhin ergibt sich die modifizierte q2-Abhängigket des (transversalen Anteils) deseffektiven Photon-Propagators aus

e20D

µνeff (q2)T = −iP

µνT

q2 + iε

e20

1−Π(q2) = −iPµνT

q2 + iε

e20

1−Π(0)− (Π(q2)−Π(0))

≈ −iPµνT

q2 + iε

e2

1− (Π(q2)−Π(0)) + . . . (I.100)

Hierbei generiert der erste Faktor im nicht-relativistischen Limes das übliche Coulomb-Potential, welches durch die zusätzliche q2 Abhängigkeit des zweiten Faktors modifiziertwird.2Das gilt zunächst für q2 nahe bei Null. Die zusätzliche q2-Abhängigkeit wird im folgenden diskutiert.

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

I.1.5.1 Berechnung von Π(q2) in der Störungstheorie

Aus dem Feynmandiagramm zur Ordnung α erhalten wir (hier haben wir m0 ' mbenutzt)

iΠµν(q) = −(−ie0)2∫

d4k

(2π)4 tr[γµ

i(k/+m)k2 −m2 + iε

γνi(k/+ q/+m)

(k + q)2 −m2 + iε

](I.101)

(Man beachte, dass zusätzliche Minuszeichen und die Dirac-Spur für die geschlosseneFermionschleife.) Die Auswertung der Dirac-Spur ist elementar, und es ergibt sich

iΠµν(q) = −4e20

∫d4k

(2π)4kµ(k + q)ν + kν(k + q)µ − gµν(k · (k + q)−m2)

(k2 −m2 + iε)((k + q)2 −m2 + iε) . (I.102)

Das verbleibende Integral kann mit unseren bereits erarbeiteten Standardmethodenberechnet werden. Ohne explizite Berechnung des Integrals lässt sich an dieser Stellebereits die Bedinung qµΠµν = 0 nachprüfen,

qµΠµν(q) ∝∫d4k

(q · k)(k + q)ν + kν(k + q) · q − qν(k · (k + q)−m2)(k2 −m2 + iε)((k + q)2 −m2 + iε)

=∫d4k

kν(2q · k + q2)− qν(k2 −m2)(k2 −m2 + iε)((k + q)2 −m2 + iε) . (I.103)

Ein üblicher Trick an dieser Stelle besteht nun darin, die Terme im Zähler als Linear-kombination von den Faktoren im Nenner zu schreiben. Für den Koeffizienten vor kνergibt sich

2q · k + q2 = ((k + q)2 −m2)− (k2 −m2) ; (I.104)

der Koeffizient vor qν hat bereits die Form eines Propagatornenners. Damit ergibt sichnach Kürzen der Brüche

qµΠµν ∝∫d4k

1k2 −m2 + iε

− kν 1(k + q)2 −m2 + iε

− qν 1(k + q)2 −m2 + iε

.

(I.105)

Falls wir im 2. und 3. Term (k+ q)→ k substituieren dürfen, ergibt sich in der Tat ins-gesamt Null. Aber das Integral ist wieder divergent! Damit dürfen wir die Variablensub-stitution erst nach der Regularisierung erlaubt.

• Für eine cut-off Regularisierung funktioniert dies offensichtlich nicht.

• Pauli-Villars–Regularisierung wäre wieder eine Option. Allerdings ist die Situationhier etwas komplizierter, weil die führende Divergenz bereits quadratisch ist, d.h.man braucht 2 PV-Subtraktionen.

• Das Verfahren dimensionaler Regularisierung ist hier günstig, da wir in obiger Her-leitung nur D = 4→ 4− 2ε ändern müssen und Variablensubstituionen weiterhinerlaubt sind, und damit qµΠµν = 0 garantiert ist. (Man beachte, dass sich dieRegeln für die Dirac-Spur in D 6= 4 Dimensionen nicht verändern.)

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Setzen wir die Berechnung von Π(q2) fort: Nach Einführen von Feynman-Parameternergibt sich (nach Wick-Rotation),

iΠµν(q) = −4ie20

∫ 1

0dx

∫dDkE(2π)D

×(− 2Dk2E + k2

E +m2 + x(1− x)q2)gµν − 2x(1− x) qµqν

: (k2

E + ∆2)2

(I.106)

mit ∆2 = m2 − x(1 − x)q2. Betrachten wir die einzelnen Terme in der geschweiftenKlammer, so fällt auf, dass sich für den Term mit gµν aufgrund des expliziten Faktorsk2E im Limes kE →∞ anscheinend eine quadratische Divergenz ergibt, während der Term

mit qµqν offensichtlich nur logarithmisch divergent ist. Wir werden gleich sehen, wie sichtrotzdem die beiden Terme zu einem Ergebnis proportional zum transversalen ProjektorPµνT kombinieren lassen. Weiterhin bemerken wir, dass sich keine IR-Divergenzen beix → 0, 1 ergeben, was daran liegt, dass die Elektronen in der Schleife von vornehereinmassiv sind.

• Berechnen wir zunächst den (vermeintlich) quadratisch divergenten Beitrag (sieheMasterintegrale in der Übung )∫

dDkE(2π)D

(−2/D + 1) k2E

(k2E + ∆2)2 = − 1

(4π)D/2(1−D/2) Γ[1−D/2]

( 1∆2

)1−D/2.

(I.107)

Die in dimensionaler Regularisierung auftauchenden Γ-Funktionen haben Pole beiganzzahligen, nicht-positivem Argument

Γ(z) hat Pole bei z = 0,−1,−2, . . . (I.108)

d.h. die im obigen Integral auftretende Γ-Funktion divergiert für D = 2, 4, 6, . . .Im Vergleich dazu ergibt sich für ein logarithmisch divergentes Integral∫

dDk

(2π)D1

(k2 + ∆2)2 = 1(4π)D/2

Γ(2−D/2)Γ(2)

( 1∆2

)2−D/2(I.109)

und die auftauchende Γ-Funktion divergiert nur fürD = 4, 6, . . .. D.h. in dimension-aler Regularisierung signalisieren die Pole der Γ-Funktion den Grad der Divergenz.In unserem konkreten Beispiel wird Γ(z) aber explizit mit z multipliziert. UnterVerwendung von

z Γ(z) = Γ(z + 1) (I.110)

wird damit aus dem vermeintlich quadratisch divergenten Beitrag tatsächlich einlogarithmisch divergenter Term mit Polen bei D = 4, 6, . . ..∫

dDkE(2π)D

(−2/D + 1) k2E

(k2E + ∆2)2 = − 1

(4π)D/2Γ[2−D/2]

( 1∆2

)1−D/2. (I.111)

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Die Entwicklung der Γ-Funktion für D = 4− 2ε ergibt dann3

Γ(2−D/2) = Γ(ε) = 1ε− γE +O(ε) (I.112)

so dass die logarithmische Divergenz durch einen Pol 1/ε für ε → 0 repräsentiertwird. Hierbei ist die numerische Konstante γE = 0.5772 . . . die Euler-Mascheroni–Zahl.

• Fassen wir die weiteren Beiträge zu Πµν(q) zusammen, lässt sich nun explizit dertransversale Projektor identifizieren,

iΠµν(q) = −4ie20

∫ 1

0dx

1(4π)D/2

Γ(2−D/2)( 1

∆2

)2−D/2

×gµν(−∆2) + gµν(m2 + x(1− x)q2)− 2x(1− x)qµqν

= −4ie2

0

∫ 1

0dx 2x(1− x) Γ(ε)

(4π)D/2(∆2)−ε

(q2gµν − qµqν

). (I.113)

Damit lässt sich die Vakuumpolarisationsfunktion Π(q2) in dimensionaler Regularisierungextrahieren,

Π(q2) = −8e20

(4π)D/2∫ 1

0dxx(1− x) Γ(ε)

(∆2)ε

= −2α0π

∫ 1

0dxx(1− x)

1ε− ln ∆2 − γE + ln 4π

(I.114)

Insbesondere erhalten wir für q2 = 0 das Resultat

Π(0) = − 8e20

(4π)D/2∫ 1

0dxx(1− x) Γ(ε)

m2ε = −α03π

1ε− lnm2 − γE + ln 4π

(I.115)

Das Resultat sieht nach der ε-Entwicklung etwas seltsam aus, da der Logarithmus einerdimensionsbehafteten Größe auftaucht. Der Grund hierfür liegt in der Modifikation derMassendimension des Feynman-Integrals d4k → dDk. Um dies zu korrigieren, führen wireine Referenzskala µ ein und schreiben

Π(0) = −8e20µ−2ε

(4π)D/2∫ 1

0dxx(1− x) Γ(ε)µ2ε

m2ε = −α0µ−2ε

+ ln µ2

m2 − γE + ln 4π.

(I.116)3 Die Entwicklung der Γ-Funktion ergibt sich z.B. aus der Darstellung

1Γ(z) = z eγEz

∞∏n=1

(1 + z/n) e−z/n .

31

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Wir werden später sehen, dass wir die Kombination α0µ−2ε = α(1 + Oα2) als dimen-sionlosen nackten Kopplungsparameter auffassen müssen (im Gegensatz dazu is α0 = e20

4πselbst dimensionsbehaftet für D 6= 4). Während Π(0) den Z3-Faktor bestimmt,

Z3 = 11−Π(0) ' 1 + α

+ ln µ2

m2 − γE + ln 4π, (I.117)

ergibt sich für die physikalisch observable modifizierte q2-Abhängigkeit

Π(q2)−Π(0) = −2απ

∫ 1

0dxx(1− x) ln m2

m2 − x(1− x)q2 + . . . , (I.118)

welche UV-endlich ist und die richtige Massendimension besitzt.Für Hochenergiestreuexperimente nähern wir wieder, −q2 m2,

Π(q2)−Π(0) ≈ 2απ

∫ 1

0dxx(1− x)

(ln −q

2

m2 + ln x(1− x) + . . .

)

= α

(ln −q

2

m2 −53 + . . .

). (I.119)

Den effektiven Photonpropagator können wir in diesem Fall auch durch eine effektiveq2-abhängige Feinstruktur“konstante” ausdrücken,

αeff(q2) ' α

1− α3π ln −q2

km2

, (k = exp(5/3)) (I.120)

Insbesondere steigt die effektive Wechselwirkung für grössere Impulsüberträge (d.h.feinere Ortsauflösung) an.Die Tatsache, dass das das elektromagnetische Potential in der Nähe der Ladungsquelleeffektiv grösser ist als weiter entfernt davon, kann man auch semi-klassisch verstehen:Die Möglichkeit, in der relativistischen Theorie virtuelle e+e−–Paare aus dem Vakuumzu erzeugen, führt auf eine effektive Abschirmung der (nackten) Elektronladung. DiesesBild erklärt damit auch den Begriff “Vakuumpolarisation”.Als Fazit stellen wir fest, dass aufgrund der Quantenfluktuationen die elektromagnetischeKopplungsstärke davon abhängt, bei welchen Abständen/Impulsüberträgen wir messen!In Hochenergieexperimenten betrachten wir insbesondere αeff(q2). Wenn man die Quan-tenfluktuationen aller Fermionen (Quarks, Myonen, Taus) mit berücksichtigt, ergibt sichz.B. für die relevante Kopplung bei LEP-Experimenten an der Z0-Masse:

αeff(q2 = M2Z) ' 1

128 (I.121)

(im Vergleich zu 1/137 bei kleinen Energien).Wir können auch die Modifikation der elektromagnetischen Wechselwirkung im NRLimes betrachten. Das NR Potential ergibt sich aus der Fouriertransformation des Prop-agators für q2 = −|~q|2 zu

V (|~x|) =∫

d3q

(2π)3 ei~q·~x −e2

|~q|2 [1−Π(−|~q|2) + Π(0))] . (I.122)

32

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Als grobe Näherung können wir den Integranden für |~q|2 m2 entwickeln und erhalten

Π(−|~q|2)−Π(0) ' −2απ

∫ 1

0dxx(1− x)

(−x(1− x) |~q|

2

m2

)= α

15π|~q|2

m2 . (I.123)

Damit ergibt sich für das Potential

V (x) ' −αr− α

15π

∫d3q

(2π)3 ei~q·~x e2

m2 = −αr− 4α2

15m2 δ(3)(~x) + . . . (I.124)

D.h. zusätzlich zum Coulomb-Potential haben wir eine Verstärkung des Potentials beikleinen Abständen ~x → 0. Der Effekt gibt u.a. einen kleinen Zusatzbeitrag zur Lamb-Shift im H-Atom (siehe QMII)

∆E =∫d3x |ψ(x)|2

(− 4α2

15m2 δ(3)(~x)

)= − 4α2

15m2 |ψ(0)|2 , (I.125)

und trägt damit insbesondere für S-Wellen bei. Man kann die obige Näherung nochverbessern und erhält dann das sog. Uehling-Potential

δV (r) = −αr

α

4√π

e−2mr

(mr)3/2 . (I.126)

An diesem Ausdruck erkennt man, dass die tatsächliche Reichweite des Potentials vonder Grössenordnung der Compton-Wellenlänge des Elektrons, 1/m, ist.

I.1.6 Symmetrien im PfadintegralformalismusBei der Diskussion der Strahlungskorrekturen haben wir an mehreren Stellen von Ward-Identitäten Gebrauch gemacht, welche von der Erhaltung des elektromagnetischen Stromsin der QED herrühren. In diesem Abschnitt wollen wir beispielhaft zeigen, wie sich solcheSymmetrierelation für Korrelationsfunktionen direkt aus dem Pfadintegral der QED her-leiten lassen.Wir betrachten dazu infinitesimale Variablensubstitutionen der Fermionfelder im Pfad-integral,

ψ(x)→ ψ′(x) = ψ(x) + ieα(x)ψ(x) , ψ(x)→ ψ′(x) = ψ(x)− ieα(x) ψ(x) , (I.127)

welche gerade lokalen Phasentransformationen entsprechen. Das Eichfeld Aµ(x) im Pfad-integral lassen wir allerdings jetzt unverändert. Dann ändert sich die Lagrangedichtegemäß:

L → L− e(∂µα) ψγµψ = L − (∂µα) jµ , (I.128)

wobei jµ der elektromagnetische Strom ist.Der Ausdruck für z.B. die 2-Punkt–Funktion im PI-Formalismus,

1Z

∫DψDψDAψ(x1)ψ(x2) ei

∫d4xL , (I.129)

33

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

muss unter Variablensubstitutionen invariant bleiben. Für die linearen Terme in α(x)ergibt das:

0 != 1Z

∫DψDψDAψ(x1)ψ(x2) ei

∫d4xL

+i δLδ∂µα(x) (∂µα)(x) + ieα(x1)− ieα(x2)

.

(I.130)

Setzen wir δLδ∂µα(x) = −jµ(x) ein und bilden die Funktionalableitung δ/δα(y), erhalten

wir

0 != 1Z

∫DψDψDAψ(x1)ψ(x2) ei

∫d4xL +i∂µjµ(y) + ieδ(y − x1)− ieδ(y − x2) .

(I.131)

Für jeden der 3 Summanden in der geschweiften Klammer lässt sich das Ergebnis wiederals 3- bzw 2-Punkt–Funktion interpretieren, und wir erhalten

i∂yµ 〈0|T jµ(y)ψ(x1)ψ(x2)|0〉= −ieδ(y − x1) 〈0|T ψ(x1)ψ(x2)|0〉+ ieδ(y − x2) 〈0|T ψ(x1)ψ(x2)|0〉 . (I.132)

Die Herleitung lässt sich offensichtlich für beliebige n-Punkt–Funktionen verallgemein-ern. Beziehungen dieser Art (Divergenz ein (n + 1)-Punkt–Funktion mit dem Noether-Strom als Differenz(en) von n-Punkt–Funktionen) bezeichnet man allgemein als Ward-Takahashi–Identitäten. Sie stellen das Pendant zur klassischen Stromerhaltung

∂µjµ(x) = 0

auf dem Niveau der Korrelationsfunktionen dar.Wir können die Identität noch in eine etwas intuitivere Form bringen, indem wir in denImpulraum transformieren mittels∫

d4y e−iqy∫d4x1 e

ip′x1

∫d4x2e

−ipx2

mit q = p′ − p. Dies führt auf

−qµ∫d4yd4x1d

4x2 eip′(x1−y) eip(x−x2)〈0|T jµ(y)ψ(x1)ψ(x2)|0〉 = ie

(Stot(p′)− Stot(p)

)(I.133)

wobei Stot(p) den vollen Propagator (inklusive Strahlungskorrekturen) bezeichnet. Dielinke Seite der Gleichung enthält gerade unserer Definition der Vertexfunktion, was mandirekt einsieht, wenn man sich die Störungsreihe für das Matrixelement anschaut,

− qµ∫d4yd4x1d

4x2 eip′(x1−y) eip(x−x2)〈0|T ψ(x1) ψ(y)eγµψ(y) ψ(x2)|0〉

= SF (p′)eγµSF (p) + Strahlungskorrekturen= Stot(p′) eΓµ(p′, p)Stot(p) (I.134)

34

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– preliminary–

I.1 Radiative Korrekturen in der QED

Nach Multiplizieren mit den inversen Propagatoren erhalten wir so

−qµ Γµ(p′, p) = −iS−1tot(p′) + iS−1

tot(p) (I.135)

(Hierbei ist zu beachten, dass wir bisher nicht spezifiziert haben, ob p und p′ dieEnergie-Impuls-Beziehung erfüllen sollen, d.h. die obige Gleichung gilt auch für “off-shell”–Vertexfunktionen.)Weitere Diskussion:

• Auf Baumgraphen-Niveau ergibt sich mit iS−1(p) = p/−m und Γµ(p′, p) = γµ dietriviale Identität:

−qµγµ = (−p/′ +m) + (p/−m) = −q/√

(I.136)

• Fassen wir die Strahlungskorrekturen zum Fermionpropagator wieder durch dieSelbstenergiematrix Σ(p) zusammen, haben wir allgemein iS−1

tot(p) = p/−m−Σ(p).Daraus ergibt sich

qµΓµ(p′, p) = q/−(Σ(p/′)− Σ(p/)

)(I.137)

In dieser Form verknüpft die WT-Identität also die Vertexfunktion mit der Dif-ferenz der Selbstenergiefunktionen.

• Werten wir die Vertexfunktion jetzt speziell zwischen externen on-shell–Spinorenaus, so ergibt sich gerade die Ward-Identität:

qµ u(p′) Γµ(p′, p)u(p) = u(p′)(q/− Σ(p/′) + Σ(p/)

)u(p)

= u(p′) (m−m− Σ(m) + Σ(m))u(p) = 0√(I.138)

• Wir können uns auch die Entwicklung der WT-Identität um qµ = 0 anschauen(und dann wieder p2 = m2 setzen),

qµΓµ(p, p)∣∣∣p2=m2

= q/− ∂Σ∂p/

q/∣∣∣p2=m2

= q/Z−12 . (I.139)

Hier taucht also genau der Renormierungsfaktor Z2 für die externen Elektronlinienauf. Wir definieren nun analog einen Renormierungsfaktor für die Vertexfunktionbei q = 0,

Γµ(p, p) ≡ Z−11 γµ , (I.140)

so dass obige Relation äquivalent ist zu

Z1 ≡ Z2 . (I.141)

Vergleichen wir mit dem (renormierten) Formfaktor F1(q2 = 0), erhalten wir

F1(0)γµ ≡ Z2 Γµ(p, p) = Z2Z−11 γµ

W.I= γµ , (I.142)

d.h. die Relation F1(0) = 1 gilt zu allen Ordnungen Störungstheorie und ist eineKonsequenz der Ladungserhaltung in der QED, die sich in den WT-Identitäten fürKorrelationsfunktionen manifestiert.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Die Diskussion funktioniert analog für beliebige Amplituden mit externen Photonlinien:Schreiben wir die Amplitude für solche Prozesse als

εµ(k)Mµ(k; p1, · · · , pn) ,

wobei εµ(k) der Polarisationsvektor des externen Photons mit Impuls kµ ist, und p1 · · · pnweitere externe (on-shell) Impulse sind, dann gilt aufgrund der Ward-Identität stets

kµMµ(k; p1, · · · , pn)∣∣p2i=m2

i= 0 . (I.143)

I.2 Renormierung der QED in beliebiger OrdnungStörungstheorie

In den vorherigen Abschnitten hatten wir UV-divergente Schleifendiagramme zur Ord-nung α (1-Schleifen-Diagramme) betrachtet, und die daraus resultierenden Strahlungsko-rrekturen zu den klassischen Größen durch Z-Renormierungsfaktoren beschrieben:

• Die Korrekturen zur Vertexfunktion Γµ(p′, p) beinhalten einen divergenten Beitragzu Z1 = 1 + δZ1.

• Die Korrekturen zur Elektronselbstenergie Σ(p/) beinhalten einen divergenten Beitragzur Normierung der Elektronzustände Z2 = 1 + δZ2 und zur Masse m = m0 + δm.

• Die Korrekturen zur Vakuumpolarisation des Photons Π(q2) involvieren Z3 = 1 +δZ3.

D.h. wir haben 3 UV-divergente Diagramme (für 3 Arten von Korrelationsfunktionen)und 4 logarithmisch UV-divergente Renormierungskoeffizienten. Wir wollen uns nun dieFrage stellen, wie und ob sich diese Beobachtungen auch für höhere Ordnungen derStörungstheorie verallgmeinern lassen.

• Dazu werden wir allgemeine Diagramme hinsichtlich ihres UV-Verhaltens klassi-fizieren.

• Daraus werden wir allgemeine Kriterien zur Charakterisierung von Theorien bzgl.der Anzahl zu renormierender Parameter ableiten.

I.2.1 Oberflächlicher DivergenzgradAllgemein können wir ein Diagramm charakterisieren durch

• die Anzahl externer Linien: Ee und Eγ ,

• die Anzahl interner Propagatoren: Pe und Pγ ,

• die Anzahl der QED-Vertizes: V ,

• die Anzahl der Schleifen: L.

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– preliminary–

I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

Zählen wir nun den Beitrag von Potenzen von Schleifenimpulsen ki im Zähler (positivePotenz) und Nenner (negative Potenz), erhalten wir

Schleife: d4ki gibt 4 positive Potenzen pro Schleife ⇒ 4L;

Elektronpropagator: (k/i + . . .)−1 gibt 1 negative Potenz ⇒ −Pe;

Photonpropagator: (k2i + . . .)−1 gibt 2 negative Potenzen ⇒ −2Pγ .

Damit ergibt sich der sog. “oberflächliche Divergenzgrad”

d = 4L− Pe − 2Pγ , (I.144)

so dass für große Schleifenimpulse ki oberflächlich logarithmisch (d = 0), linear (d = 1),quadratisch (d = 2), divergente Diagramme (etc.) von konvergenten (d < 0) Diagrammenunterschieden werden können. (Anmerkung: in D 6= 4 Dimensionen gilt d = DL− Pe −2Pγ).Die Größe d sagt allerdings noch nichts über den tatsächlichen Divergenzgrad aus. Diesliegt daran, dass

• Diagramme ohne Schleifen (L = 0) stets konvergent sind. Z.B. ergibt das einfacheVertexdiagramm auf Baumgraphenniveau d = 0, ist aber natürlich nicht logarith-misch divergent.

• Diagramme mit hinreichend vielen Propagatoren können d < 0 erzeugen, obwohleinige Sub-diagramme für sich genommen UV-divergent sind. Z.B. ergibt das 1-Schleifen–Vakuumpolarisationsdiagramm, eingesetzt in das Diagramm für e+e− →µ+µ− formal

d = 4 · 1− 2− 2 · 2 = −2 ,

obwohl das Vakuumpolarisations-Subdiagramm selbst logarithmisch divergent ist.

• Schließlich können zusätzliche Symmetrien den Divergenzgrad verringern, z.B. würdesich für die Vakuumpolarisation

d = 4 · 1− 2 = 2

ergeben, aber das Endresultat für Πµν(q) war nur logarithmisch divergent.

Konzentrieren wir uns im Folgenden also auf die potentiell divergenten Subdiagramme.Wir formen d nun so um, dass nur noch externe Linien auftauchen. Dazu benutzen wirdie folgenden Identitäten:

• Die Anzahl von Schleifen in einem Diagramm ergibt sich zu

L = Pe + Pγ − V + 1 , (I.145)

denn:– jeder Propagator führt einen neuen Integrationsimpuls ein

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

– jeder Vertex kompensiert eine Impulsintegration aufgrund der Impulserhal-tung δ(∑ pi) an jedem Vertex.

– eine der Impuls-δ–Funktionen ist trivial erfüllt (bzw. bezieht sich nur aufexterne Impulse) und darf nicht mitgezählt werden.

• Die Anzahl der Vertizes ergibt sich aus

V = 2Pγ + Eγ ,

und 2V = 2Pe + Ee , (I.146)

denn:– jeder Vertex involviert 2 interne oder externe Elektronlinie und 1 interne oder

externe Photonlinie,– jede externe Linie berührt genau 1 Vertex, und jede interne Linie berührt

genau 2 Vertizes.

(Man kann sich die Gültigkeit der Formeln leicht an einfachen Mehrschleifendiagrammenklar machen.) Setzen wir diese Ergebnisse in die Definition des oberflächlichen Diver-genzgrad ein, erhalten wir

d = 4 (Pe + Pγ − V + 1)− Pe − 2Pγ= 4 (V − Ee/2 + V/2− Eγ/2− V + 1)− (V − Ee/2)− (V − Eγ)

= 4− Eγ −32 Ee (D = 4) . (I.147)

Für D = 4− 2ε ergibt sich entsprechend

d = D − ε V − (1− ε)Eγ − (32 − ε)Ee . (I.148)

Die Faktoren vor den einzelnen Termen ergeben sich tatsächlich aus der Massendimensionder entsprechenden Felder und Kopplungsparameter in der Lagrangedichte. Dies liegtdaran, dass die Massendimension der n-Punktfunktionen durch die Massendimensionder Feldoperatoren und der Kopplungskonstanten in der Störungstheorie gegeben ist.4Für die QED-Lagrangedichte mit D 6= 4 erhalten wir insbesondere

S =∫dDxL(D) =

∫dDx

(ψ(x) (iD/−m0)ψ(x)− 1

4 FµνFµν)

(I.149)

4Betrachten wir z.B. den elementaren QED-Vertex e0 ψAµψ, wobei e0 die Massendimension

dim[e0] = D − Ee dim[ψ]− Eγ dim[A]

hat. Die dazugehörige Vertexfunktion ergibt sich durch Amputieren der entsprechenden Diagrammeund hat demnach die gleiche Massendimension. Andererseits ergibt sich im UV-Limes (ki ∝ Λ →∞) die gesamte Massendimension des Diagramms aus der Anzahl V der (dimensionsbehafteten)Kopplungskonstanten und dem oberflächlichen Divergenzgrad, d.h.

dim[e0] = dim[eV0 · Λd

]= dim[e0]V + d .

Gleichsetzen der beiden Ausdrücke ergibt (I.150).

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– preliminary–

I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

• Die Wirkung ist dimensionslos, dDx hat Massendimension −D. Daraus folgt, dassdie Lagragedichte die Massendimension D hat.

• i∂/ hat Massendimension 1, damit haben e0Aµ und m0 auch Massendimension 1.

• Damit haben ψ und ψ Massendimension (D − 1)/2 = 32 − ε.

• Und Fµν hat Massendimension D/2 = 2− ε, d.h. Aµ hat Massendimension D/2−1 = 1− ε.

• Damit hat die (nackte) Kopplung e0 die Massendimension (4−D)/2 = ε.

Der oberflächliche Divergenzgrad kann also geschrieben werden als

d = D − dim[e0]V − dim[A]Eγ − dim[ψ]Ee . (I.150)

Da alle Felder positive Massendimension tragen, heisst das, dass der oberflächliche Diver-genzgrad mit zunehmender Anzahl an externen Linien abnimmt. Ab einer bestimmtenAnzahl von externen Linien ist also d < 0 und damit gibt es nur endlich viele Arten vonn-Punkt-Subdiagrammen, die potentiell UV-divergent sind. Diese können wir der Reihenach (für D = 4) identifizieren:

• Für die 0-Punkt–Funktion (Eγ = Ee = 0) ergibt sich d = 4. Damit werden alleVakuum-Subdiagramme beschrieben, deren Beitrag zur Vakuumenergie also offen-sichtlich (oberflächlich) quartisch divergent ist. Bei der Berechnung von Streuam-plituden trägt die Vakuumenergie allerdings nicht bei (siehe Diskussion in TTP1),und deshalb sind diese Diagramme in der weiteren Diskussion nicht relevant.

• Die 1-Punkt-Funktion mit einem externen Photon (Eγ = 1, Ee = 0) verschwindetaufgrund von Symmetrieüberlegungen. Sie beschreibt gerade das Vakuum-Matrixlementdes elmg. Stroms

〈Ω|jµ(x)|Ω〉 .

Dieses verschwindet zum Einen aufgrund der Lorentz-Symmetrie (denn im Vakuumist keine Richtung eµ ausgezeichnet); zum Anderen transformiert der elektrischeStrom under Ladungskonjugation wie jµ(x)→ −jµ(x), während das Vakuum elek-trisch neutral, also invariant ist.

• Für Eγ = 2, Ee = 0 erhalten wir als 2-Punkt-Funktion die Vakuumpolarisation,für die sich d = 2 ergibt.

• Für Eγ = 0, Ee = 2 ergibt sich entsprechend die Elektronselbstenergie, welche aufd = 1 führt.

• Die 3-Punkt–Funktion mit 3 Photonen (Eγ = 3, Ee = 0) verschwindet aus dengleichen Gründen wie die 1-Punkt-Funktion. Allgemein gilt, dass Diagramme mitungerader Anzahl von externen Photonen verschwinden (“Furry’s Theorem”).

• Für Ee = 2 und Eγ = 1 ergibt sich gerade die Vertexfunktion mit d = 0.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

• Ebenfalls d = 0 erhält man für die 4-Punkt–Funktion, welche die Streuung von 2Photonen beschreibt (Eγ = 4, Ee = 0).

Alle weiteren n-Punkt–Funktionen haben d < 0, und die entsprechenden Subdiagrammesind somit UV-konvergent. Abgesehen von den Vakuumenergiediagrammen und denbereits bekannten Vakuumpolarisation-, Selbstenergie- und Vertexdiagrammen bleibt al-so eine Klasse von potentiell UV-divergenten Diagrammen für Photon-Photon–Streuungübrig. Wie im Falle der Vakuumpolarisation reduziert sich hier allerdings wieder dertatsächliche Divergenzgrad, da die Amplitude transversal bzgl. der äußeren Impulse kisein muss,

Amplitude für Photon-Photon-Streuung ∝(O(k4

i ))µνρσ

F (ki · kj)

Jede externe Photonlinie reduziert den Divergenzgrad somit um 1, so dass die verbleibendeFunktion F (ki · kj) UV-endlich ist.Damit ergeben sich in der Tat auch im allgemeinen Fall genau die 3 Klassen von UV-divergenten Diagrammen, die wir bereits zur Ordnung α identifiziert hatten. Für diesebleibt zu untersuchen, welches der tatsächliche Divergenzgrad ist, und wieviele divergenteRenormierungskoeffizienten wir allgemein einführen müssen:

1. Für die Selbstenergiediagramme (mit d = 1) betrachten wir die Taylor-Entwicklungin p/,

Σ(p/) = A0 +A1 p/+A2 p2 + . . . (I.151)

mit KoeffizientenAn = 1n!

dn

dp/nΣ|p/=0. Die Abhängigkeit von p/ wird über die Feynman-Propagatoren induziert, also

d

dp/

1k/+ p/−m

∣∣p/=0 = − 1

(k/−m)2 , (I.152)

d.h. jede Ableitung nach p/ verringert den Divergenzgrad um 1. Somit gilt für dieKoeffizienten in der Taylorentwicklung:

• A0 ist potentiell linear divergent;• A1 ist potentiell logarithmisch divergent;• An>1 ist endlich.

Im Falle von A0 wird der Divergenzgrad weiterhin um 1 verringert, da die Dirac-Lagrangedichte für m → 0 eine sog. chirale Symmetrie besitzt, d.h. mit ψ =1+γ5

2 ψ + 1−γ52 ψ ≡ ψR + ψL gilt

L = ψ(iD/−m)ψ = ψR iD/ψR + ψL iD/ψL −m(ψLψR + ψRψL

)(I.153)

und für m = 0 entkoppeln die links- und rechtshändigen Projektionen ψL und ψR.Diese Eigenschaft bleiben in der Störungstheorie erhalten – somit muss

δm = 0 wenn m = 0 , bzw. A0 = ma0 (I.154)

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– preliminary–

I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

gelten, und somit kann die verbleibende Funktion a0 nur noch logarithmisch diver-gent sein (aus Dimensionsgründen, bzw. aufgrund der Tatsache, dass mindestensein Fermionpropagator in der Form m

(p+k)2−m2 eingehen muss).Die Selbstenergiediagramme induzieren also genau die 2 logarithmisch DivergentenKoeffizienten δm und Z2, die wir bereits zur Ordnung α berechnet hatten.

2. Mit dem gleichen Argument wie vorher entwickeln wir die Vertexfunktion in denexternen Impulsen und erhalten

Γµ(p′, p) = b0 γµ + . . . (I.155)

mit genau einem logarithmisch divergenten Koeffizienten b0, den wir mit demRenormierungskoeffizienten Z1 beschreiben.

3. Für die Vakuumpolarisation ergibt sich – wie bereits diskutiert – mit der Ward-Identität

Πµν(q) =(gµνq2 − qµqν

)Π(q2) (I.156)

d.h. in der Taylorentwicklung von Πµν(q) sind der potentiell quadratisch und lineardivergente Term jeweils exakt Null, und die verbleibende Entwicklung der Vaku-umpolarisationsfunktion

Π(q2) = Π(0) + Π′(0) q2 + . . . (I.157)

enthält nur einen logarithmisch divergenten Koeffizienten Π(0), welcher durch dieRenormierungskonstante Z3 berücksichtigt wird.

Es bleibt also in allgemeiner Ordnung Störungstheorie bei genau 4 logarithmisch diver-genten Koeffizienten Z1,2,3 und δm.Diese Art von Überlegungen lassen sich für beliebige Theorien wiederholen (siehe Übung ).Wir unterscheiden i.A. folgende Fälle:

Super-renormierbare Theorien: besitzen nur eine endliche Anzahl von divergenten Feynman-Diagrammen.

Renormierbare Theorien: besitzen eine endliche Anzahl von Renormierungskoeffizien-ten (d.h. es gibt nur eine endliche Anzahl von divergenten (1PI) n-Punkt–Funktionen.

Nicht-renormierbare Theorien: Hier haben ab einer genügend hohen Ordnung der Störungs-theorie alle n-Punktfunktionen divergente Beiträge, und dementsprechend benötigtman unendlich viele Renormierungskoeffizienten.

Ausgehend von (I.150) hängt die obige Klassifizierung direkt mit dem Vorzeichen vondim[e0], also der Massendimension der Kopplungskonstanten zusammen. Z.B.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

• QED mit D = 3 Dimensionen (und somit dim[e0] = 1/2) ist super-renormierbar,weil für festes Eγ und Ee ab einer gewissen Ordnung Störungstheorie (also für V >V0) immer ein negativer Divergenzgrad d < 0 erreicht werden kann. (Allgemein,Theorien mit Kopplungsparametern positiver Massendimension).

• QED mit D = 4 ist renormierbar, mit 4 Renormierungskoeffizienten. (Allgemein,Theorien mit dimensionslosen Kopplungsparametern).

• QED mit D > 4 und dim[e0] < 0 (allgemein Theorien mit Kopplungskonstan-ten negativer Massendimension) ist nicht-renormierbar, weil immer d > 0 erreichtwerden kann. (Ein anderes bekanntes Beispiel für nicht-renormierbare Theorien istdas Fermi-Modell für den Myonzerfall, bei der die effektive Wechselwirkung durcheine Kopplungskonstante GF mit Massendimension −2 beschrieben wird. Gleichesgilt für die Gravitationswechselwirkung.)

I.2.2 Renormierte StörungstheorieUnser Ziel ist es im Folgenden, die Störungstheorie so umzuformulieren, dass sich UV-Divergenzen zwischen den einzelnen Diagrammen einer gegebenen Ordnung in α sys-tematisch kompensieren. Dazu werden die Felder und Parameter in der Lagrangedichtegeeignet umdefiniert und auf diese Weise Korrekturterme (“counter terms”) in der La-grangedichte erzeugt.Z.B. können wird die Renormierungskonstante Z2 in der Relation

〈Ω|ψ(0)|λp,s〉 =√Z2 u(p, s)

benutzen, um renormierte Feldoperatoren für Fermionen ψr(s) via

ψ(x) ≡√Z2 ψr(x) (I.158)

einzuführen, so dass die Matrixelement mit den renormierten Feldern wieder wie diefreien Felder normiert sind,

〈Ω|ψr(0)|λp,s〉 = u(p, s) . (I.159)

Ebenso behandeln wir das Eichfeld und definieren

Aµ(x) ≡√Z3A

rµ(x) . (I.160)

Ausgedrückt durch die neuen Felder lautet die QED-Lagrangedichte dann

L = −14F

µνFµν + ψ(i∂/−m0)ψ − e0 ψγµψAµ

= −14 Z3 F

µνr F rµν + Z2 ψr (i∂/−m0)ψr − e0 Z2Z

1/23 ψrγ

µψr Arµ . (I.161)

Weiterhin führen wir den Renormierungsfaktor Z1 durch die Bedingung

Γµ(q = 0)∣∣∣renorm.

≡ γµ ⇔ e0Z2Z1/23 = eZ1 (I.162)

42

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– preliminary–

I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

ein. Aufgrund der QED–Ward-Identität vereinfacht sich dies – wie bereits oben diskutiert– zu

e0√Z3 = e . (I.163)

Wenn wir jetzt die Lagrangedichte durch renormierte Felder und die renormierte Kop-plung e ausdrücken, ergibt sich

L = −14 Z3 F

µνr F rµν + Z2 ψr (i∂/−m0)ψr − eZ1 ψrγ

µψr Arµ . (I.164)

Dies schreiben wir jetzt noch um, indem wir die Z-Faktoren als

Zi = 1 + (Zi − 1) ≡ 1 + δZi

schreiben, erhalten wir die QED-Lagrangedichte in der Form

L = −14 F

µνr F rµν + ψr (i∂/−m)ψr − e ψrγµψr Arµ

− 14 δZ3 F

µνr F rµν + ψr (δZ2 i∂/− δm)ψr − e δZ1 ψrγ

µψr Arµ , (I.165)

wobei wir jetzt noch den Massen–counter-term

δm ≡ Z2m0 −m (I.166)

definiert haben5.In dieser Form setzt sich die Lagrangedichte also aus 2 Teilen zusammen,

L(ψ, ψ, Aµ; e0,m0) = L(ψr, ψr, Arµ; e,m) + Lc.t. , (I.167)

wobei der erste Term die gleiche funktionale Form wie die ursprüngliche Lagrangedichtehat, während der zweite Term die counter-terme enthält, die wir nun aber als zusätzlichenBeitrag zur Wechselwirkungs-Lagrangedichte Lint auffassen wollen. Daraus ergeben sichdann entsprechend neue Feynmanregeln für die renormierte Störungstheorie:

Counter-term–Einsetzung in Photonlinie : −i (gµν − qµqν) δZ3 , (I.168)Counter-term-Einsetzung in Fermionlinie : i (p/ δZ2 − δm) , (I.169)

Counter-term-Einsetzung in Vertex : −ieγµ δZ1 . (I.170)

Hierbei müssen die Werte der Counterterm-Parameter δZi und δm gerade so gewähltwerden, dass die entsprechenden Renormierungsbedingungen Ordnung für Ordnung er-füllt sind. Unser bisher diskutiertes Vorgehen entspricht gerade den Renormierungsbe-dingungen:

Σr(p/ = m) = 0 (bestimmt δm ,

d

dp/Σr(m) = 0 (bestimmt δZ2) ,

Πr(q2 = 0) = 0 (bestimmt δZ3) ,−ieΓµr (p′ = p) = −ieγµ (bestimmt δZ1) . (I.171)

5Achtung: Diese Definition entspricht nicht der weiter oben diskutierten Massenänderung δm.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Entsprechend unserer Klassifizierung als renormierbare Theorie, erwarten wir, dass die4 Counterterme ausreichend sind, damit jede n-Punkt-Funktion in gegebener Ordnungder renormierten Störungstheorie UV-konvergent ist. Hierbei ist hervorzuheben, dassdie Counterterme lokalen Operatoren in der Lagrangedichte (also Produkten von Feld-operatoren am gleichen Raumzeitpunkt xµ) entsprechen. Dies entspricht der Tatsache,dass die UV-Divergenzen von Feldkonfigurationen mit unendlich hohen Impulsen her-rühren. Für 1-Schleifen-Diagramme ist dies sofort einsichtig; bei Mehrschleifendiagram-men müssen wir aber gewährleisten, dass Konfigurationen, bei denen nur einige derSchleifenimpulse gross werden, keine UV-Divergenzen erzeugen, die nicht bereits durchdie Renormierungsbedingungen der vorgehenden Ordnung kompensiert werden.Dazu betrachten wir als Beispiel ein 2-Schleifendiagramm, dass zur VakuumpolarisationΠ(q2) des Photons zur Ordnung α2 beiträgt.

Hierbei wird über 2 interne Impulse d4p (Fermionimpuls im linken oberen Fermionpropa-gator) und d4k (interner Photonimpuls) integriert, während der externe Impuls q endlichist.

Fall 1: Der interne Photonimpuls k sei groß; der interne Fermionimpuls p sei endlich.• Der rechte Teil des Diagramms lässt sich in p, q entwickeln.• Die d4k Integration erzeugt dann die gleichen UV-Divergenzen wie in einem

Vertexdiagramm mit den externen Fermionimpulsen p und p− q.• Diese UV-Divergenz wird dann automatisch kompensiert durch das entsprechende

Counterterm-Diagramm mit der Einsetzung von δZ1 am rechten Vertex.

Fall 2: Der interne Fermionimpuls p sei groß; aber (p+ k) und q klein. Hier erfolgt dieArgumentation analog zu Fall 1, nun für den linken Vertex.

Fall 3: Der Photonimpuls k sei klein; und p sei groß.• Der Integrand skaliert wie 1/(p/+ · · · )4.• Die Ward-Identität für die Photon-Vakuumpolarisation verringert den ober-

flächlichen Divergenzgrad wieder um 2 Einheiten.• Damit ergibt die d4p Integration einen UV-endlichen Beitrag.

Fall 4: Sämtliche internen Impulse p, p+ k und k seien groß.• Wir können wieder im kleinen Impuls q entwickeln.

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I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

• Damit erhalten wir gemäß unserer allgemeinen Diskussion einen UV-divergentenBeitrag zu Π(0) der Ordnung α2, welcher einem lokalen Counterterm entspricht.Mit der entsprechenden Renormierungsbedingung definiert dieser den Beitragder Ordnung α2 zu δZ2.

Im obigen Beispiel haben die im 2-Schleifen–Integral auftretenden UV-Divergenzen alsoentweder die Form

• eines Produkts: (1-loop–Integral) × (1-loop UV-Divergenz);wobei das erste Integral noch eine allgemeine Funktion von den externen Im-pulsen sein kann, und deshalb einem nicht-lokalen Term in der Lagrangedichteentsprechen würde. Dieser Beitrag wird aber gerade durch die Einsetzung des (1-loop)–Counterterm kompensiert.

• einer genuinen (2-loop–Divergenz), die durch einen lokalen (2-loop)–Countertermkompensiert werden kann.

Wir kommen also tatsächlich mit den identifizierten lokalen Countertermen in der La-grangedichte der renormierten Störungstheorie aus. Der Beweis, das dies für jede Ord-nung der Störungstheorie tatsächlich immer funktioniert, ist kompliziert und wurde vonBogoliubov, Parasiuk, Hepp, Zimmermann erbracht. Das sogenannte BHPZ-Theoremliefert somit die theoretische Grundlage für die Renormierbarkeit der QED.

I.2.3 Das MS–RenormierungsschemaDie Renormierungsbedingungen für die Counterterme δZi und δm, die wir oben disku-tiert haben, sind zu einem gewissen Grade willkürlich, in dem Sinne, dass wir beliebigeendliche Terme hinzu addieren können, ohne die Kompensation der UV-divergentenTerme in der Störungstheorie zu beeinflussen:

• Physikalische Observable sollten dabei invariant unter solchen endlichen Renormierun-gen der theoretischen Parameter sein.

• Aber der Zusammenhang zwischen physikalischen Messgrößen und den Parameternin der Lagrangedichte ändert sich.

• Dies impliziert, dass sich i.A. auch der störungstheoretische Zusammenhang zwis-chen zwei verschiedenen Observablen über die Abhängigkeit von den theoretischenParametern verändert. (Der Unterschied darf dabei allerdings höchstens von derOrdnung αn+1 sein, wenn die Störungsrechnung zur Ordnung αn explizit durchge-führt wurde).

Im Zusammenhang mit der dimensionalen Regularisierung benutzen wir insbesonderehäufig das sogenannte MS-Schema (sprich “MS-bar”, für “minimal subtraction”). Aus-gangspunkt ist dabei die Beobachtung, dass die Pole in den Impulsintegralen in derForm

Koeffizient×(1ε− γE + ln 4π + endliche Terme

)

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I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

auftauchen.

• Im MS-Schema: δZi und δm enthalten gerade nur die 1/ε Terme.

• Im MS-Schema: δZi und δm enthalten gerade nur die 1ε ≡ (1

ε − γE + ln 4π) Terme.

Zum Beispiel lautet die renormierte Vakuumpolarisation in dimensionaler Regularisierung6zur Ordnung α mit ∆2 = m2 − x(1− x)q2

Πren(q2) = − 8e2 µ2ε

(4π)D/2∫ 1

0dxx(1− x) Γ(ε)

∆2ε − δZ3 (I.175)

• Im bisher betrachteten (sogenannten “on-shell”-) Schema haben wir Πren(q2 =0) != 0 gefordert, woraus sich

δZ3∣∣∣on−shell

= − 8e2 µ2ε

(4π)D/2∫ 1

0dxx(1− x) Γ(ε)

m2ε (I.176)

ergibt.

• Allgemein hätten wir die Vakuumpolarisation auch um einen beliebigen Punktq2 = −q2

0 entwickeln und Πren(q2 = −q20) != 0 fordern können. Entsprechend ergäbe

sich

δZ3∣∣∣modifiziert

= − 8e2µ2ε

(4π)D/2∫ 1

0dxx(1− x) Γ(ε)

(m2 + x(1− x)q20)ε (I.177)

• Im MS-Schema ergibt sich dagegen ein sehr einfacher Ausdruck für Z3, nämlich

δZ3∣∣∣MS

= − 8e2µ2ε

(4π)D/2∫ 1

0dxx(1− x) Γ(ε)

∆2ε

∣∣∣1/ε

= − α

3π1ε

(I.178)

• Entsprechend erhält man für das MS-Schema

δZ3∣∣∣MS

= − α

3π1ε

= − α

(1ε− γE + ln 4π

)(I.179)

6Hierbei müssen wir beachten, dass in der renormierten Störungstheorie, die Dimensionen derrenormierten Felder und Parameter in der Lagrangedichte durch Einführen einer willkürlichen Hilf-sskala µ (“Renormierungskala”) korrigiert werden müssen. Entsprechend lautet der Zusammenhangzwischen den ursprünglichen (“nackten”) und renormierten Größen nun

ψ(x) ≡√Z2 µ

−ε ψr(x) , (I.172)Aµ(x) ≡

√Z3 µ

−εArµ(x) , (I.173)

und

e0√Z3 µ

−ε ≡ e , (I.174)

und die Impulsintegrale von der Fouriertransformationen ergeben sich aus dDk µ2ε.

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I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

In der Praxis ist es somit meist einfacher, den divergenten Anteil zu berechnen, da sichdie Feynman-Parameter–Integrale vereinfachen. Für die Berechnung der renormiertenVakuumpolarisation selbst ändert sich hinsichtlich des Rechenaufwands zunächst nichts.Um Rechnungen in dem einen oder anderen Schema zu vergleichen, können wir alsoschreiben

Πren(q2)|MS = Πren(q2)|on−shell + δZ3|on−shell − δZ3|MS , (I.180)

wobei die DifferenzδZ3|on−shell − δZ3|MS

einen endlichen Renormierungskoeffizienten darstellt. Wie im obigen Beispiel mit demmodifizierten on-shell Schema, lässt sich innerhalb eines bestimmten Schemas i.A. eineReferenzskala µ frei wählen. Im MS-Schema ergibt sich die Skalenabhängigkeit dabeiinsbesondere aus dem Zusammenhang der nackten Kopplung e0 und der renormiertenKopplungskonstante e in der renormierten Störungstheorie,

e0√Z3 µ

−ε ≡ e . (I.181)

Hierbei ist die Massendimension der nackten Kopplung dim[e0] = ε, während die renormierteKopplung dimensionslos ist. Schreiben wir für den Renormierungskoeffizienten

Z3|MS(α) = 1 + α

4π1εδz(1) +O(α2) , mit δz(1) = −4/3 (I.182)

ergibt sich für die renormierte Feinstrukturkonstante

α = α0 Z3 µ−2ε = α0 Z3(α(µ))µ−2ε ≡ α(µ) , (I.183)

wobei – wie angedeutet – die Skalenabhängigkeit der effektiven Kopplung zum einenimplizit durch die Abhängigkeit von Z3(α(µ)), sowie explizit durch den Faktor µ−2ε

induziert wird. Wegen µ−2ε = exp(−ε lnµ2) ist die Abhängigkeit α(µ) logarithmisch,

d lnµ2 ≡ µ2 dα

dµ2 6= 0 (I.184)

Die explizite Berechnung in der Störungstheorie ergibt

d lnµ2 = d

d lnµ2

(α0 Z3(α(µ)) exp

(−ε lnµ2

))= −ε α(µ) + α0

d lnµ2dZ3dα

µ−2ε

' −ε α(µ) + α0 (−εα(µ) + . . .)µ−2ε 14πε δz

(1)

' −ε α(µ) + α2

(−εε

)δz(1) +O(α3) (I.185)

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Für ε→ 0 ergibt sich somit7

d lnµ2 |ε→0 = α2

4π (−δz(1)) + . . . = α2

3π +O(α3) (I.186)

Allgemein definieren wir die sog. Betafunktion als8

d lnµ2 |ε→0 ≡ β(α) = β0 α2 + . . . (I.187)

so dass β0|QED = 1/3π. Die Betafunktion beschreibt also das Skalenverhalten der ef-fektiven Kopplung in der Lagrangedichte für die renormierte Störungstheorie. Im MS-Schema können wir die Skalenabhängigkeit der theoretischen Parameter in der Störungs-theorie dann stets auf α(µ) zurückführen.In gegebener Ordnung lässt sich die Differentialgleichung, welche die Betafunktion definiert,explizit integrieren,

α2 ' β0 d lnµ2 ⇔ − 1α(µ) + 1

α(µ0) = β0 ln µ2

µ20

⇒ α(µ) = α(µ0)1− α(µ0)β0 ln µ2

µ20

. (I.188)

Vergleichen wir dies mit der weiter oben aus Π(q2)−Π(0) konstruierten effektiven Kop-plung für Hochenergie–Elektron-Myon-Streuung,

αeff(q2) ' α

1− α3π ln −q2

e5/3m2

,

ergibt sich Übereinstimmung von α(µ) und αeff(q2), wenn wir q2 → −µ2, µ20 → e5/3m2

und α(µ0)→ α identifizieren.

Die Skalenabhängigkeit von theoretischen Parameternspiegelt also anscheinend

die Impulsabhängigkeit von physikalischen Observablenwider!

Analog können wir auch den Massenparameter m = m(µ)|MS im MS-bar–Schema be-handeln,

dm

d lnµ2 ≡ γm(α)m = m(γ1 α+ γ2 α

2 + . . .), (I.189)

wobei die Funktion γ(α) als anomale Massendimension bezeichnet wird. Im Gegensatzzur vorher definierten Polmasse mpol ist die MS-bar–Masse also auch skalenabhängig.7Für ε 6= 0 definieren wir entsprechend die Funktion βε(α).8Die Normierungskonventionen sind hierbei in der Literatur nicht eindeutig: Manchmal werden Faktoren2 oder 4π in die Betafunktion absorbiert.

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I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

Diese kann in der Störungstheorie wieder explizit berechnet werden (siehe Übung ). Inführender nicht-trivialer Ordnung erhält man

m(µ) =(α(µ)α(µ0)

)γ1/β0

m(µ0) (I.190)

I.2.4 RenormierungsgruppeWir wollen nun den Zusammenhang zwischen der Skalenabhängigkeit der theoretischenParametern und der Impulsabhängigkeit von Streuamplituden oder allgemein von Green-schen Funktionen von einem etwas formaleren Standpunkt aus beleuchten. Dazu betra-chten wir eine beliebige n-Punkt–Funktion in der renormierten Störungstheorie,

Γren(· · · ) = Z Γ0(· · · ) (I.191)

wobei Γ0 die nackte Greensfunktion bezeichnet, und Z der dazugehörige Renormierungs-faktor ist. Die Abhängigkeit von externen Raumzeitpunkten (oder Impulsen) haben wirhier nur durch Punkte angedeutet. In jedem Renormierungsschema R (mit jeweils be-liebiger Renormierungsskala µ) ergibt sich jeweils ein anderer Z-Faktor und somit auchein anderes Resultat für Γren ≡ ΓR,

ΓR(· · · ) = Z(R) Γ0(· · · ) ,ΓR′(· · · ) = Z(R′) Γ0(· · · ) . (I.192)

D.h. beim Wechsel zwischen 2 Renormierungsvorschriften R und R′ ergibt sich i.A. einZusammenhang

ΓR′(· · · ) = Z(R)Z(R′) ΓR(· · · ) ≡ Z(R′, R) ΓR(· · · ) , (I.193)

wobei die (endliche) Funktion Z(R′, R) vom einen in das andere Renormierungsschema(bzw -skala) transformiert. Die Menge Z(R′, R) aller möglichen solcher Transforma-tionen hat gruppoide Eigenschaften:

• Komposition: Z(R′′, R) = Z(R′′, R′)Z(R′, R)

• inverses Element: Z−1(R′, R) = Z(R,R′)

• neutrales Element: Z(R,R) = 1.

• Assoziativgesetz.I.A. (d.h. für beliebige Schemen) gibt es nicht immer eine Verknüpfungsvorschrift fürbeliebige Elemente, Z(Ri, Rj)·Z(Rk, Rl) mit j 6= k, die wieder als Z(Rm, Rn) geschriebenwerden kann. Beschränken wir uns allerdings auf z.B. das MS-Schema, unterscheiden sichdie Elemente Ri nur durch die Wahl der Renormierungsskala µ, so dass

Z(Ri, Rj) = Z(µi, µj) = Z(µi/µj) (I.194)

und die Elemente Z(µi, µj) bilden tatsächlich eine Gruppe, die sog. Renormierungs-gruppe (RG).

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

• Auf den Parametern der Lagrangedichte sind die RG-Transformationen dann dargestelltals α(µ)→ α(µ′), m(µ)→ m(µ′) etc.

• Physikalische Observable sind dagegen RG-invariant (triviale Darstellung).

• Das RG-Verhalten von n-Punkt–Funktionen werden wir weiter unten studieren.

Betrachten wir zunächst die Berechnung einer Observablen O als Funktion von externenImpulsen p, Massenparametern m(µ), der laufenden Kopplung α(µ) und der explizitenµ-Abhängigkeit im MSbar-Schema,

O = O(p,m(µ), α(µ);µ) .

Invarianz gegenüber RG-Trafos heisst

dO

d lnµ =µ∂

∂µ+ µ

∂α+ µ

m

dm

dµm

∂m

O

=µ∂

∂µ+ 2β(µ) ∂

∂α+ 2γm(µ)m ∂

∂m

O

!= 0 , (I.195)

wobei wieder die Betafunktion der laufenden Kopplung, sowie die anomale Massendi-mension γm auftauchen. Was kann man mit dieser Gleichung anfangen? – Betrachtenwir dazu zunächst ein einfaches Beispiel: Sei O eine dimensionslose Observable (z.B.das Verhältnis zweier Streuquerschnitte), die von einer Impulsvariablen q2 abhängt. ImHochenergielimes q2 m2(µ) erhalten wir dann

O → O(q2, α(µ);µ) ≡ F[q2

µ2 , α(µ)], (I.196)

wobei die Funktion F aus Dimensionsgründen nur von dem Verhältnis der beiden di-mensionsbehafteten Größen q2 und µ2 abhängen kann. Wir nehmen weiter an, dass Fim Limes α → 0 einen konstanten Wert F0 ergibt (klassisches Resultat). Dann könnenwir die Störungstheorie für F allgemein schreiben

F

[q2

µ2 , α(µ)]

= F0

(1 + c1

[q2

µ2

]α(µ) + c2

[q2

µ2

]α2(µ) + . . .

)(I.197)

Die Koeffizientenfunktionen ci[q2

µ2

]ergeben sich dann durch die konkrete Rechnung, z.B.

im MS-Schema. Allerdings bestehen aufgrund der RG-Invarianz von O (und damit vonF ) bereits Einschränkungen. Aus dF/d lnµ = 0 folgt nämlich

−2q2

µ2 c′1

[q2

µ2

]α+ 2c1

[q2

µ2

]β(α)− 2q2

µ2 c′2

[q2

µ2

]α2 + 4c2

[q2

µ2

]β(α)α+O(α3) = 0 .

(I.198)

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I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

Wenn wir verwenden, dass β(α) = β0 α2 + . . ., und die Koeffizienten vor α und α2

vergleichen, ergeben sich die Bedingungen (x = q2/µ2)

c′1[x] = 0 ⇒ c1 = const. ≡ C1 , (I.199)

β0 c1[x] = x c′2[x] ⇒ c2[x] =∫ x

x0

dx′

x′C1β0 = C1β0 ln q2

µ2 + C2 , (I.200)

d.h. die q2-Abhängigkeit der Koeffizientenfunktion zum O(α2)-Beitrag c2(x) ist bereitsdurch den Koeffizienten der vorherigen Ordnung C1 festgelegt, während die Integra-tionskonstante C2 durch die konkrete Rechnung bestimmt werden muss. Dimensions-analyse und RG-Invarianz schränken die Observable also auf die Form

F

[q2

µ2 , α(µ)]

= F0

(1 + C1 α(µ) +

(C1β0 ln q2

µ2 + C2

)α2(µ) + . . .

)(I.201)

ein, wobei die Wahl der Renormierungsskala µ zunächst willkürlich ist. Wir können unsnun aber fragen, unter welchen Bedingungen die Störungsreihe am besten konvergiert:

Für q2 µ2: ist der Koeffizient zur Ordnung α2 logarithmisch vergrössert.

Für q2 µ2: ebenso.

Für q2 ∼ µ2: ergibt sich “normale” Zahlenkoeffizienten9 C1,2,... ∼ O(1).

Für Observablen mit einer (dominanten) Impulsskala ist es also sinnvoll, die Renormierungsskalavon der Ordnung der externen Impulsskala zu wählen, speziell für µ2 ≡ q2 erhält mandann

F = F (1, α(q)) = F0(1 + C1 α(q) + C2 α

2(q) + . . .)

(I.202)

und α(q) ist der maßgebliche Wert der laufenden (effektiven) Kopplungskonstante. An-ders betrachtet resummiert die geometrische Reihe

α(q) = α(µ0)1− β0 ln q2

µ20α(µ0)

= α(µ0) + β0 ln q2

µ20α2(µ0) + . . . (I.203)

gerade die (führenden) großen Logarithmen, die bei der Verwendung einer anderen Ref-erenzskala µ0 in der Störungsreihe für F entstanden wären. Die laufende Kopplungrepräsentiert also das einfachste Beispiel für die Resummation von großen Logarithmenin der Störungsreihe (vgl. die Diskussion zum Sudakov-Formfaktor).Aus der resummierten (d.h. RG-verbesserten) Störungstheorie können wir dann präziseAussagen über die Abhängigkeit der Observablen von externen Massen- oder Impulsskalenmachen. Im obigen Beispiel erwarten wir naiv (d.h. klassisch)

O = O(m2/q2) q2→∞−→ F0 = const.

9Allerdings können die Zahlen faktoriell mit der Ordnung n in der Störungsreihe anwachsen.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Quantenkorrekturen induzieren eine nicht-triviale q2-Abhängigkeit aufgrund der Skalen-abhängigkeit der laufenden Kopplung,

O → O(α(q)) mit q2 dO

dq2 = F0(C1β0 α

2(q) + . . .), (I.204)

wobei es offensichtlich für die Bestimmung der dominanten q2-Abhängigkeit ausreichendist,

• den Koeffizienten C1 aus der 1-Schleifen-Rechnung der Observablen,

• den Koeffizienten β0 aus der 1-Schleifen-Rechung für Π(0) bzw. Z3

zu bestimmen.Man beachte, dass in fester Ordnung Störungstheorie, O(αn), die Observable nicht exaktµ-unabhängig ist,

dF

d lnµ = F0O(αn+1(q)) .

Durch Variation von µ (typischerweise im Bereich eines Faktor 2 bis 4 um µ = q) kannman die Größe der rechten Seite numerisch bestimmen und erhält daraus eine grobeAbschätzung für den theoretischen Fehler, der durch die Vernachlässigung der höherenOrdnungen entsteht.

I.2.4.1 RG-Verhalten von Green-Funktionen

Wenden wir uns nun dem RG-Verhalten von Green-Funktionen zu. Betrachten wirzunächst die nackten Ortsraum–Green-Funktionen

G(0)n = 〈0|T φ0(x1) · · ·φ0(xn)|0〉 = Z

n/2φ Gn(α(µ),m(µ), µ) (I.205)

wobei wir auf der rechten Seite die renormierte Green-Funktion als Funktion der laufend-en Parameter geschrieben haben, so dass sich aufgrund des Zusammenhanges zwischennackten und renormierten Feldern die entsprechende Potenz der Feldrenormierungsfak-toren Zφ ergibt. Da G(0)

n nicht von µ abhängt, gilt wieder

µdGndµ

= µd

dµ(Z−n/2φ )G(0)

n = −n2 µd

dµlnZφ︸ ︷︷ ︸ Z

−n/2φ G(0)

n︸ ︷︷ ︸≡ −n2 γφ(α)Gn , (I.206)

wobei wir die anomale Dimension der Felder γφ(α) eingeführt haben, welche wiederstörungstheoretisch aus den Zφ berechnet werden kann. Andererseits gilt erneut

µdGndµ

=(µ∂

∂µ+ 2β ∂

∂α+ 2γmm

∂m

)Gn , (I.207)

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– preliminary–

I.2 Renormierung der QED in beliebiger Ordnung Störungstheorie

also insgesamt (µ∂

∂µ+ 2β ∂

∂α+ 2γmm

∂m+ n

2 γφ)Gn = 0 . (I.208)

Die RG-Gleichung hat die formale Lösung (siehe Übung )

Gn(α(µ),m(µ), µ) = exp[−n2

∫ µ

µ0

dµ′

µ′γφ(α(µ′))

]Gn(α(µ0),m(µ0), µ0) (I.209)

d.h. der RG-Faktor

exp[−n2

∫ µ0

µ

dµ′

µ′γφ(α(µ′))

]= exp

[−n2

∫ α(µ)

α(µ0)

dα′

2β(α′) γφ(α′)]

bestimmt das Verhalten der Green-Funktion unter RG-Trafos, zusätzlich zu der “naiven”Erwartung bzgl. der Änderung von µ→ µ′ im Argument von Gn.Wenn wir nun entsprechend Green-Funktionen im Impulsraum (nach Fourier-Transformation),

Gn(pi, α(µ),m(µ), µ)

betrachten, können wir wieder das Skalierungsverhalten hinsichtlich der externen Im-pulse pi studieren, d.h. was passiert für pi → λpi ?

• Wie oben beginnen wir mit einer Dimensionsanalyse. Gn selbst habe die Massendi-mension dG. Damit gilt

Gn(λpi, α(µ),m(µ), µ) ≡ (λp1)dG F[α(µ), m(µ)

λp1,µ

λp1,pi 6=1p1

]= λdG pdG1 F

[α(µ), m(µ)/λ

p1,µ/λ

p1,pi 6=1p1

]= λdG Gn

(pi, α(µ), m(µ)

λ,µ

λ

), (I.210)

wobei wir willkürlich einen Impuls p1 benutzt haben, um die Massendimension vonGn zu gewährleisten, so dass die verbleibende Funktion F dimensionslos ist unddamit wieder nur von Verhältnissen von dimensionsbehafteten Größen abhängenkann.Damit können wir ausrechnen

λ∂

∂λGn(λpi, α(µ),m(µ), µ) =

(dG −m(µ) ∂

∂m− µ ∂

∂µ

), Gn(λpi, α(µ),m(µ), µ) .

(I.211)

• Andererseits können wir die Ableitung µ ∂∂µ wieder aus der RG-Gleichung durch

die Betafunktion und die anomalen Dimensionen ausdrücken. In obige Gleichung

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

eingesetzt ergibt das

λ∂

∂λGn(λpi, α(µ),m(µ), µ)

=(dG −m(µ) ∂

∂m+ 2β ∂

∂α+ 2γmm

∂m+ n

2 γφ)Gn(λpi, α(µ),m(µ), µ) .

(I.212)

Zusammengefasst ergibt sich die sog. Callan-Symanzik–Gleichung(λ∂

∂λ− 2β ∂

∂α+ (1− 2γm)m ∂

∂m− (dG + n

2 γφ))Gn(λpi, α(µ),m(µ), µ) != 0 . (I.213)

Im Vergleich zum naiven (klassischen) Skalierungsverhalten

λ∂

∂λGn = dG Gn −m

∂mGn

aufgrund der “normalen” Massendimension der Felder und Massenparameter, erhaltenwir also Quantenkorrekturen aufgrund

• der laufenden Kopplung: 2β ∂∂α

• der anomalen Massendimension: γmm ∂∂m

• der anomalen Dimension der Felder: n2 γφ

Dies erklärt insbesondere den Begriff “anomale Dimension”. Die Lösung der Gleichunglässt sich wieder formal konstruieren mit dem Ergebnis (siehe Übung )

Gn(λpi, α,m, µ) = λdG exp[n

2

∫ λ

1

dλ′

λ′γφ(α(µλ′))

]· Gn(pi,

m(α(µλ))λ

, α(µλ), µ) .

(I.214)

Eine analoge Diskussion lässt sich auch für amputierte Green-Funktionen führen.

I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFTWir hatten im vorherigen Abschnitt gesehen, wie Quantenkorrekturen in der QFT unsere“naive” (klassische) Erwartung für die Skalenabhängigkeit von Observablen modifizieren.In der renormierten Störungstheorie tauchen solche “Skalenverletzungen” in der Formln q2/µ2 auf und lassen sich durch das Skalenverhalten der laufenden Kopplungskonstan-ten ausdrücken.Ein weiterer nicht-trivialer Effekt, der mit dem UV-Verhalten von QFTs zusammen-hängt, bezieht sich auf bestimmte Symmetrien der klassischen Lagrangedichte. Allgemeinbezeichnen wir folgenden Sachverhalt als “Anomalie”:

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– preliminary–

I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFT

“Symmetrien der klassischen Lagrangedichtesind nicht notwendigerweise

Symmetrien der wechselwirkenden Quantenfeldtheorie.”

Betrachten wir als Beispiel die Lagrangedichte der QED mit masselosen Fermionen,

Lfermion = ψ i /Dψ = ψL i /D ψL + ψR i /D ψR . (I.215)

In diesem Fall entkoppeln die Beiträge der links- und rechtshändigen Felder, so dass wir2 unabhängige Noetherströme identifizieren können,

jµ = ψγµψ = ψRγµψR + ψLγ

µψL ,

jµ5 = ψγµγ5ψ = ψRγµψR − ψLγµψL , (I.216)

mit klassischen Kontinunitätsgleichungen,

∂µjµ = ∂µj

µ5 = 0 , (I.217)

und erhaltenen Ladungen,

Q =∫d3x j0 = QR +QL , Q5 =

∫d3x j05 = QR −QL . (I.218)

Wir hatten bei der Durchführung des Renormierungsprogramms bereits gesehen, dass dieQFT bei kleinen Abständen (großen Impulsen) regularisiert werden muss, d.h. Objektewie ψ(x) . . . ψ(x) in der QFT sind potentiell “gefährlich”, da Feldoperatoren am exaktgleichen Ort korreliert werden. Für den Vektorstrom jµ(x) hatten wir explizit gesehen,dass die Regularisierung (z.B. durch dim-reg.) die Ward-Identität respektiert und diedazugehörige elektrische Ladung Q auch nach Berücksichtigung von Quantenkorrektureneine Erhaltungsgröße bleibt.Für den Axialvektorstrom jµ5(x) untersuchen wir die Kontinuitätsgleichung explizit,sind aber zunächst vorsichtig und definieren den Strom als Grenzwert,

jµ5(x) := limε→0

ψ(x+ ε

2) γµγ5 UP (x+ ε

2 , x−ε

2)ψ(x− ε

2). (I.219)

Hierbei haben wir einen sog. “gauge-link” UP eingefügt, der dafür sorgt, dass die Def-inition auch für εµ 6= 0 eichinvariant bleibt. Den gauge-link kann man durch eine sog.“Wilson-Linie” darstellen,

UP (z, y) = exp[−ie

∫ z

ydxµA

µ(x)], (I.220)

welche unter Eichtransformationen gerade so transformiert,

UP (z, y)→ e−iα(z) UP (z, y) eiα(y) , (I.221)

dass das Transformationsverhalten der Fermionfelder kompensiert wird (→ Übung).

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Neben der Eichinvarianz wollen wir auch den Grenzübergang εµ → 0 so durchführen,dass Lorentzinvarianz manifest bleibt, d.h. es soll (im Sinne einer Mittelung über allemöglichen Pfade εµ → 0) gelten

limε→0

εµ

ε2= 0 , lim

ε→0

εµεν

ε2= gµν

4 etc. (I.222)

Damit können wir den Grenzwert von ∂µjµ5 explizit ausrechnen,

∂µjµ5 = lim

ε→0

(∂µψ(x+ ε

2))γµγ5 UP (x+ ε

2 , x−ε

2)ψ(x− ε

2)

+ψ(x+ ε

2) γµγ5 UP (x+ ε

2 , x−ε

2) ∂µψ(x− ε

2)

+ψ(x+ ε

2) γµγ5

(∂µUP (x+ ε

2 , x−ε

2))ψ(x− ε

2)

(I.223)

Die Ableitungen auf die Fermionfelder lassen sich mittels der Dirac-Gleichung durch dasEichfeld ausdrücken. Die Ableitung auf den gauge-link ergibt zur O(ε)

∂µ exp

−ie x+ε2∫x−ε/2

dzνAν(z)

' ∂µ exp [−ieενAν(x)] ' −ieεν ∂µAν(x) . (I.224)

Setzen wir das oben ein, erhalten wir

∂µjµ5 ' lim

ε→0ψ(x+ ε/2)

(ie /A(x+ ε/2)− ie /A(x− ε/2)− ieεν ∂µAν(x)

)γ5 ψ(x− ε/2)

' limε→0

ψ(x+ ε/2) (−ieγµεν(∂µAν(x)− ∂νAµ(x)) γ5 ψ(x− ε/2)

= −ie limε→0

ψ(x+ ε/2)γµενFµν(x) γ5 ψ(x− ε/2) .(I.225)

Wir sehen insbesondere, dass sich die Terme aus den partiellen Ableitungen der Dirac-Felder und des gauge-links gerade zum eichinvarianten Feldstärketensor kombinieren.Auf den ersten Blick verschwindet (I.225) linear mit εν → 0. Aber, wie oben diskutiert,kann der Grenzwert von ψ(x + ε/2)ψ(x − ε/2) für ε → 0 divergieren. Das einfachsteBeispiel ergibt sich, wenn wir den Beitrag von den Wick-kontrahierten Felder betrachten,dann ergibt sich als Fourier-Transformation des masselosen Dirac-Propagators SF (y−z)gerade ∫

d4k

(2π)4 e−ik(y−z) i/k

k2 = −/∂(

i

4π21

(y − z)2

)= − i

2π2γα(y − z)α

(y − z)4 , (I.226)

was für y → z singulär wird.10 Dieser Term trägt allerdings nicht zu ∂µjµ5 bei, da dieDirac-Struktur, eingesetzt in obigen Ausdruck, verschwindet,

tr [γµενγαεαγ5] = 0 .10In der masselosen Theorie folgt der Divergenzgrad für ε→ 0 einfach aus der Betrachtung der Massendi-

mension: Das Produkt von 2 Fermionfeldern hat Massendimension 3, d.h. der Ausdruck auf derrechten Seite muss wie (y − z)−3 divergieren. – Die Dirac- und Lorentz-Struktur ist dabei durch dasTransformationsverhalten des Propagators festgelegt. – Der Vorfaktor folgt aus der Berechnung desWinkelintegrals.

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I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFT

Wir brauchen also einen komplizierteren Beitrag zu ψ(z)ψ(y) (mit 2 zusätzlichen Dirac-Matrizen). Dazu definieren wir die systematische Entwicklung von ψ(z)ψ(y) um denPunkt y = z als sog. “Operator-Produkt-Entwicklung” (OPE),

φ(x+ ε/2) φ(x− ε/2)→∑i

Ci(ε) Oi(x) ,

d.h. wir erhalten auf der rechten Seite lokale Operatoren Oi, multipliziert mit Koeffizien-ten Ci(ε), die für ε→ 0 das UV-Verhalten des Operatorprodukts beinhalten. Im obigenBeispiel mit dem Propagator wäre also

ψ(x+ ε/2)β ψ(x− ε/2)α = − i

2π2(ε/)αβε4

1-Operator + . . . (I.227)

Die weiteren Terme entsprechen nicht-trivialen Operatoren mit weiteren Fermion- oderEichfeldern. Da jedes weitere Feld eine positive Massendimension zum Operator Oibeiträgt, haben die entsprechenden Koeffizienten Ci einen kleineren Divergenzgrad fürε→ 0. Der nächst-führende Term ergibt sich damit für ein zusätzliches Eichfeld. Den Ko-effizienten erhalten wir durch Vergleich eines entsprechenden Feynman-Diagramms miteinem zusätzlichen externen Photon, das an die Fermionlinie koppelt, mit dem Ergebnis,∫

d4k

(2π)4d4p

(2π)4 ei(k+p)y eikz

i(/k + /p)(k + p)2 (−ie /A(p)) i

/k

k2 . (I.228)

bzw. unter Berücksichtigung der Anti-Vertauschungsrelationen der fermionischen Feld-operatoren

〈ψ(x+ ε/2)γµγ5ψ(x− ε/2)

=∫

d4k

(2π)4d4p

(2π)4 e−ikε e−ip(x−ε/2) tr

[−γµγ5

i(/k + /p)(k + p)2 (−ie /A(p)) i

/k

k2

]

=∫

d4k

(2π)4d4p

(2π)4 e−ikε e−ip(x−ε/2) 4e ε

µαβγpαAβkγk2 (k + p)2 . (I.229)

Wir interessieren uns für das Verhalten bei ε → 0, was in obigem Fourier-Integral demLimes k →∞ entspricht, d.h. es reicht das UV-Verhalten des d4k-Integrals zu betrachten,|p| |k| ∼ 1/ε. Dann faktorisiert das Ergebnis,

〈ψ(x+ ε/2)γµγ5ψ(x− ε/2)

' 4e εµαβγ∫

d4p

(2π)4 e−ipxpαAβ(p)

∫d4k

(2π)4 e−ikε kγ

k4

= 4e εµαβγ (∂αAβ(x)) ∂

∂εγ

(− i

16π2 ln 1ε2

)= 2e εαβµγ Fαβ(x)

(− i

8π2 ln εγε2

). (I.230)

Wir sehen, dass die Eichinvarianz wieder einen Ausdruck proportional zum Feldstär-ketensor erfordert. Entsprechend ist die Massendimension des Operators gleich 2, und

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

die verbleibende Divergenz des Koeffizienten O(1/ε). Somit erhalten wir tatsächlich einenendlichen Beitrag zur Divergenz des Axialvektorstroms,

∂µjµ5 = lim

ε→0

e

4π2 εαβµγ Fαβ (−ieενFµν)

= − e2

16π2 εαβµγ FαβFµν 6= 0 . (I.231)

Die entsprechende Ladung Q5 = QR−QL ist also nicht erhalten. Dieses spezielle Beispielbezeichnet man auch als “Adler-Bell-Jackiw”–Anomalie.Fassen wir noch einmal die Gründe für dieses zunächst unerwartete Ergebnis zusammen:

• Wir brauchen einen UV-Regulator, um das Produkt von ψ(x)ψ(x) zu definieren.

• Wir wollen durch den Regulator die Eichinvarianz nicht verletzen.

• Wir wollen durch den Regulator die Lorentz-Invarianz nicht verletzen.

Anscheinend erfüllt dann der Regulator nicht mir die Axiavektorstrom-Erhaltung.11

I.3.1 ABJ-Anomalie in der StörungstheorieWir hatten im Falle des Vektorstroms gesehen, dass die dimensionale Regularisierunggerade ein Verfahren liefert, welches die Ward-Identität für die QED-Vektorstromerhaltungmanifest respektiert. Es stellt sich deshalb die Frage, warum dieses Verfahren für den Ax-ialvektorstrom nicht ein äquivalentes Ergebnis liefert. Dazu betrachten wir eine einfacheÜbergangsamplitude, ausgedrückt durch das Matrixelement∫

d4x e−iqx 〈γ(p)γ(k)|jµ5(x)|0〉 ≡ (2π)4 δ(4)(p+ k − q) ε∗ν(p)ε∗λ(k)Mµνλ(p, k) , (I.232)

was gerade der Produktion von 2 Photonen durch Anwendung des Axialvektorstrom-Operators auf das Vakuum entspricht. Die führenden Ausdrücke in der Störungstheorieentsprechen einer Fermionschleife, mit 3 Vertizes (Axialvektorstrom + 2 QED-Vertizes),was zwei “Dreiecks-Diagrammen” entspricht - mit jeweils vertauschten Rollen der beidenPhotonen. Übersetzt mit Feynman-Regeln ergibt das

Mµνλ = (−1) (−ie)2∫

d4l

(2π)4 tr[γµγ5

i(/l − /k)(l − k)2 γ

λ i/l

l2γν

i(/l + /p)(l + p)2

]+ (p↔ k, ν ↔ λ) .

(I.233)

Naiv würden wir qµMµνλ = 0 erwarten, analog zur entsprechenden Diskussion für denVektorstrom.Die explizite Rechnung ergibt unter Verwedung von /qγ5 = (/p + /l)γ5 + γ5(/l − /k) undKürzen der entsprechenden Fermion-Propagatoren

iqµMµνλ = e2∫

d4`

(2π)4

tr[γ5(/l − /k)γλ/lγν

](l − k)2l2

+tr[γ5γλ/lγν(/l + /p)

]l2(l + p)2 + crossed (I.234)

11Da weiterhin ∂µjµ = 0 gilt, sind die Divergenzen der chiralen Ströme separat nicht-erhalten, ∂µjµL =−∂µjµR 6= 0. – Deshalb auch “chirale Anomalie”.

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I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFT

Falls wir im ersten Term l→ l+k substituieren könnten, wären die ersten beiden Termeanti-symmetrisch bezüglich der Vertauschung der Photonen und würden sich somit mitdem gekreuzten Diagram aufheben.Allerdings müssen wir wieder beachten, dass die d4l-Integration UV-divergent ist, undsomit müssen wir den obigen Ausdruck zunächst konsistent regularisieren. Hierbei tritt indimensionaler Regularisierung das in der Übung diskutierte Problem auf, dass die naiveFortsetzung einer mit allen anderen Dirac-Matrizen vertauschenden Matrix γ5 keinenkontiuierlichen Limes ε → 0 hat. Als Ausweg benutzen wir ein Verfahren nach ’t Hooftund Veltman, bei dem die Matrix γ5 nur mittels der 4-dim. Dirac-Matrizen definiertwird,

γ5 ≡ iγ0γ1γ2γ3 für alle D , (I.235)

so dass

γ5, γµ = 0 für µ = 0 . . . 3 ,

[γ5, γµ] = 0 für µ 6= 0 . . . 3 . (I.236)

Entsprechend müssen alle internen Schleifenimpulse lµ in Komponenten lµ‖ (für µ =0 . . . 3) und lµ⊥ (für µ 6= 0 . . . 3) zerlegt werden, wobei externe Impulse und Polarisa-tionsvektoren keine ⊥ Komponenten haben.In obiger Herleitung ändert sich somit

/qγ5 = (/p+ /k + /l − /l‖ − /l⊥)γ5

= (/p+ /l)γ5 + γ5(/l‖ − /l⊥ − /k)= (/p+ /l)γ5 + γ5(/l − /k)− 2γ5/l⊥ , (I.237)

wobei der letzte Term wegen [γ5, /l⊥] = 0 auftritt und – per Konstruktion – für D → 4verschwindet. Die ersten beiden Terme verschwinden in der Summe der beiden Dia-gramme in den nun dimensional regularisierten Integralen, während der Extra-Term vonder dimensionalen Fortsetzung von γ5 auf

iqµMµνλ = e2∫

dD`

(2π)D µ2εtr[−2γ5/l⊥(/l − /k)γλ/lγν(/l + /p)

](l − k)2l2(l + p)2 + crossed (I.238)

führt. Dieses Integral kann mit unseren Standardmethoden berechnet werden, wobei wirwieder nur das UV-Verhalten benötigen. Als Zwischenschritt brauchen wir Integrale mitl⊥ der Form∫

dDl

(2π)D/l⊥/l⊥

(l2 −∆2)3 = D − 4D

∫dDl

(2π)Dl2

(l2 −∆2)3ε→0−→ − i

32π2 , (I.239)

was sofort einsichtig ist, wenn man die Skalarprodukte in kartesischen Koordinatenschreibt. Der Vorfaktor des Integrals verschwindet dabei linear für D → 4, währenddas Integral selbst wieder wie 1/ε divergiert, so dass das Endergebnis endlich ist, wieangegeben.

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I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Die Integrale mit 4 Potenzen von l⊥ tragen nicht bei, da dann die Dirac-Spur tr[γ5γλγν ] =0 ergibt. Somit verbleibt ein Ausdruck proportional zur Spur mit γ5γλγν/p/k, was geradeden einfachen Ausdruck

iqµMµνλ = e2

4π2 εαλβνkαpβ + crossed (I.240)

ergibt, was bereits manifest symmetrisch unter Photonvertauschung ist. Vergleich mit〈γ(p)γ(k)|FανFβλ|0〉 liefert

〈γ(p)γ(k)|∂µjµ5|0〉 = − e2

16π2 εανβλ 〈γ(p)γ(k)|FανFβλ|0〉 , (I.241)

im Einklang mit der vorherigen Herleitung der ABJ-Anomalie. Damit haben wir bestätigt,dass die dimensionale Regularisierung die gleichen (postulierten) Eigenschaften hat:Eich- und Lorentz-Invarianz manifest, aber ∂µjµ5 6= 0.Ein weiteres Verfahren, um den Anomalieterm herzuleiten und eine wiederum unab-hängige Regularisierungsmethode einzuführen ergibt sich aus der Pfadintegraldarstel-lung der QED, analog zur Herleitung der Ward-Identität für den QED-Vektorstrom.Wir betrachten nun Transformationen der Fermionfelder im Pfadintegral gemäß

ψL(x)→ (1− iα(x))ψL(x) , ψR(x)→ (1 + iα(x))ψR(x) . (I.242)

Während das Transformationsverhalten der Lagrangedichte wieder trivial ist, ergibt sichbei der Berechnung der Jakobi-Funktionaldeterminante wieder die Notwendigkeit derRegularisierung mit dem nicht-trivialen Ergebnis, dass

J = exp[−i∫d4xα(x) e2

32π2 εµνλσFµνFλσ

]. (I.243)

Funktionalableitung nach δα(x) ergibt dann gerade die rechte Seite der Anomalie-Gleichung.Die genaue Herleitung kann man in [1], S. 664ff. finden.

I.3.2 Anwedung 1:Anomaliefreiheit von Fermiondarstellungen in chiralen Eichtheorien

Wir hatten gesehen, dass Symmetrien und die damit verbundenen Ward-Identitäten fürdie Renormierbarkeit (d.h. für eine konsistente Beschreibung des Hochenergieverhaltens)von QFTs sind. In der QED hatten wir die Kontinuitätsgleichung des elektromagnetis-chen Stroms (und damit die Erhaltung der elektrischen Ladung) explizit auf 1-Schleifen-Niveau nachgeprüft. Die chirale Anomalie hebt sich dabei zwischen den rechts- undlinkshändigen Fermionkomponenten auf.Andererseits koppelt die schwache Wechselwirkung unterschiedlich an links- und recht-shändige Fermionen. Damit ergeben sich potentiell anomale Beiträge zur Kontinuitäts-gleichung der links- und rechtshändigen Eichströme. Eine Möglichkeit, dies zu umgehen,resultiert aus der Bedingung, dass sich bei der Summation über alle Fermionspezies imSM-Spektrum wieder die individuellen Beiträge zur Anomalie aufheben. Gemäß unserer

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I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFT

allgemeinen Diskussion reicht es, die einzelnen Fermionen in der Dreiecksdiagrammenmit dem zu überprüfenden Eichstrom und zwei beliebigen externen Eichfeldern zu un-tersuchen, wobei der Beitrag der rechtshändigen Fermionen von denen der linkshändigenabzuziehen ist.Betrachten wir als Beispiel das Dreiecksdiagramm mit dem U(1)Y -Eichstrom

jµY = ψγµY ψ

und 2 externen SU(2)L-Eichbosonen WA und WB. Die Summe der beiden gekreuztenDreiecksdiagramme gibt dann einen Beitrag, der proportional zu εµναβWA

µνWBαβ ist, mit

einem Vorfaktor, der sich aus den Gruppenfaktoren an den Vertizes ergibt,

∝ tr[YTA, TB

]= Y

δAB

2 .

Hierbei tragen nur linkshändige Quarks und Leptonen bei, gewichtet mit ihrer jeweiligenHyperladung und dem Entartungsgrad, also

• Für linkshändige Quarks QL =(ULDL

)mit Y = 1/6:

– 3-fache Farbentartung– 3 Generationen– 2 Komponenten im SU(2)L-Dublett (bereits durch die Spur berücksichtigt)

ergibt ∑QL

YδAB

2 = 3 · 3 · 16δAB

2 = 34 δ

AB

• Für linkshändige Leptonen LL =(νLEL

)mit Y = −1/2:

– keine Farbentartung– 3 Generationen– 2 Komponenten im SU(2)L-Dublett (bereits durch die Spur berücksichtigt)

ergibt ∑LL

YδAB

2 = 3 · −12δAB

2 = −34 δ

AB

Somit kompensieren sich im SM in der Tat die Beiträge von Leptonen und Quarks fürdieses Beispiel (weitere potentielle Beiträge zu ∂µj

µY und zu den anderen Eichströmen

werden in der Übung untersucht).Wir schließen also, dass die Quantenzahlen der Fermionmultipletts in der SM-Eichgruppenicht willkürlich sind! Insbesondere

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I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

• benötigen wir vollständige Lepton- und Quarkgenerationen12 (so wurde z.B. dieExistenz des Top-Quarks als Partner vom Bottom-Quark bzw. von der dritten Lep-tongeneration bereits lange vor seiner experimentellen Entdeckung vorhergesagt);

• hängt die 1/3-zahlige (Hyper-)Ladung der Quarks mit den 3 Farben in der QCD-Eichgruppe zusammen, was letztendlich dafür sorgt, dass Protonen (aus 3 Quarks)und Elektronen entgegengesetzt gleiche elektrische Ladungen haben und somit dieuns vertraute Bio-Chemie ermöglichen.

Es stellt sich unmittelbar die Frage, ob es einen tieferen Grund für diesen Sachverhaltgibt. Ein theoretischer Ansatzpunkt ergibt sich aus der Einbettung der SM-Eichgruppein sog. “Grand Unified Theories”. Ein einfaches Beispiel ist die Einbettung

SU(3)× SU(2)× U(1) ⊂ SU(5) .

Die Generatoren der SU(5) werden durch spurlose, hermitesche 5×5-Matrizen beschrieben,wobei man die Generatoren der SU(3) in den linken oberen 3× 3-Block schreiben kann,die Generatoren der SU(2) in den rechten unteren 2× 2-Block, und die Hyperladung alsDiagonalmatrix

T Y = diag (Yq, Yq, Yq, Y`, Y`)

mit den Generatoren von SU(3) und SU(2) vertauscht und als Generator von SU(5)spurlos sein muss, so dass gerade 3Yq = −2Y` und somit der gewünschte Zusammenhangzwischen Quark und Leptonladungen erzwungen wird (Details werden in der Übungdiskutiert).13

I.3.3 Anwendung 2: Der Zerfall π0 → 2γUm den Zusammenhang des Zerfalls des neutralen Pions und der ABJ-Anomalie zuverstehen, müssen wir zunächst einige wichtige und besondere Eigenschaften der Pionenverstehen.Dazu betrachten wir die QCD-Lagrangedichte für die leichten Quarks im Limes mu,d →0. Die Lagrangedichte hat dann offensichtlich eine (globale) chirale Symmetrie im Isospin-Raum, SU(2)L × SU(2)R. Im hadronischen Spektrum werden allerdings keine Symme-triemultipletts, die dieser (approximativen) Symmetrie entsprächen, beobachtet (z.B. hatdas Vektormeson ρ eine deutlich andere Masse als das entsprechende Axialvektorme-son a1). Die Symmetrie, die im hadronischen Spektrum realisiert wird, ist vielmehrdie Isospin-Symmetrie, die der diagonalen Untergruppe (L = R) entspricht (z.B. istdie Masse der geladenen und ungeladenen Pionen gleich, was einem SU(2)I -Triplett12Die Anzahl der Generationen ist dabei willkürlich.13Ein weiterer Aspekt der Einbettung des SM in SU(5) ergibt sich aus der Tatsache, dass es in der SU(5)

nur noch eine universelle Kopplungskonstante g5 gibt. Dabei muss TY kanonisch normiert werden,so dass tr[TY TY ] = 1/2 gilt. Die so normierten Kopplungen g1, g2, g3 sollten sich dann bei einergemeinsamen Skala treffen und in die Kopplung g5 übergehen. In der Tat treffen sich die laufendenKopplungen des SM annähernd in der Nähe von 1014−15 GeV. – Bei dieser Skala sollten dann auchdie Massen der Eichbosonen anzusiedeln sein, die den off-diagonalen 2× 3 und 3× 2 Blöcken in derEichbosonmatrix entsprechen (sog. Leptoquarks).

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– preliminary–

I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFT

entspricht). Wir folgern also, dass die chirale Symmetrie der QCD-Lagrangedichte durchden Grundzustand der QCD spontan gebrochen ist,

SU(2)L × SU(2)RQCD Vakuum−→ SU(2)I .

Gemäß des Goldstone-Theorems gehören zu den spontan gebrochenen Generatoren ein-er globalen Symmetrie masselose Goldstone-Bosonen mit den entsprechenden Quanten-zahlen. Tatsächlich stellt das Triplett von geladenen und ungeladenen Pionen geradediese Goldstone-Bosonen dar, mit Massen, die im Limes verschwindender Quarkmassenauch gegen Null gehen.Um dies einzusehen, betrachten wir den Axialvektorstrom im Isospin-Raum,

jµ5,a(x) = ψ(x) γµγ5σa

2 ψ(x) mit ψ = (u, d)T

und definieren das Übergangsmatrixelement

〈0|jµ5,a(x)|πb(q)〉 ≡ −iqµ δab e−iqx fπ , (I.244)

was aus Lorentz- und Isospin-Symmetrie-Gründen durch eine einzige hadronische Un-bekannte fπ beschrieben wird. Letztere kann als sog. Pion-Zerfallskonstante im Zerfallπ− → µ−νµ gemessen werden, fπ ' 93 MeV.Bezüglich der QCD-Wechselwirkungen gilt nun aber für die Divergenz des Axialvek-torstroms (im Limes masseloser Quarks)

∂µjµ5,a = tr[τa]

(− g2

s

16π2 εαβµνGαβGµν

)= 0 , (I.245)

weil die Spur über eine der Pauli-Matrizen gerade Null ergibt. Mit obiger Definition istdas aber äquivalent zu

〈0|∂µjµ5,a(0)|πb(q)〉 ≡ −q2 δab fπ = −m2πfπ δ

ab = 0 , (I.246)

woraus in der Tat m2π = 0 (für fπ 6= 0) folgt (→ Manifestation des Goldstone-Theorems

für mu,d → 0 – die Pionzerfallskonstante spielt dabei eine ähnliche Rolle wie der Higgs-Vakuumerwartungswert bei der elektroschwachen Symmetriebrechung).14

14Für den Isosingulett-Strom jµ,0 = ψγµγ5ψ verschwindet der Anomalie-Beitrag gerade nicht, so dassder entsprechende Isosingulett-Partner des Pions, das η-Meson durch eine Masse

maηfη ∝ 〈0|

g2s

16π2 GG|η〉 6= 0

charakterisiert wird. Das nicht-verschwindende Matrixelement auf der rechten Seite ist dabei selbstein Maß für nicht-triviale Gluonkonfigurationen im QCD-Vakuum. Aus dieser Überlegung ergibt sichsomit ein Argument für die experimentelle Tatsache, dassm2

η m2π, obwohl beide Teilchen ansonsten

gleiche Quantenzahlen und Quark-Konstituenten haben.

63

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

Wir betrachten nun entsprechend die Divergenz des Axialvektorstroms in Anwesenheitdes elektromagnetischen Feldes. Da die elektromagnetische WW zwischen up- und down-Quarks unterscheidet, verschwindet die Spur von σ3 und Q2 nicht, und wir erhalten einenBeitrag von der Anomalie gemäß

∂µjµ5,3 = − e2

16π2 εαβµνFαβFµν tr[τ3Q

2]Nc . (I.247)

MitQ = diag(2/3,−1/3) ergeben die letzten beiden Term zusammen gerade einen Faktor1/2. Wenn wir jetzt wie oben für das Matrixelement definieren

〈γ(p)γ(k)|jµ5,3(0)|0〉 = ε∗ν(p)ε∗λ(k)Mµνλ(p, k) , (I.248)

hatten wir bereits berechnet, dass

iqµMµνλ(p, k) = − e2

4π2 ενλαβpαkβ (I.249)

aufgrund der Anomalie gilt.Andererseits können wir die Amplitude aber auch wieder ganz allgemein parametrisierenaufgrund von Lorentz-Symmetrie, Parität und Vektorstromerhaltung in der QCD (analogz.B. zum elektromagnetischen Formfaktor)

Mµνλ(p, k) ≡ qµ ενλαβpαkβM1(q2)

+(εµναβkλ − εµλαβpν

)kαpβM2(q2)

+[(εµναβpλ − εµλαβkν

)kαpβ − εµνλσ(p− k)σ p · k

]M3(q2) , (I.250)

wobei aufgrund der Bose-Symmetrie der Photonen pνMµνλ = kλMµνλ = 0 gelten muss.

Für diese Parametrisierung folgt (mit q2 = 2 p · k)

iqµMµνλ = iq2ενλαβpαkβM1(q2)

− iεµνλσqµ(p− k)σ p · kM3(q2)

= iq2ενλαβpαkβ(M1(q2) +M3(q2)

)(I.251)

Damit das im Limes q2 → 0 ungleich Null wird (wie aufgrund der Anomalie festgelegt),müssen die FormfaktorenM1+M3 wie 1/q2 divergieren. Das entspricht aber dem Beitrageines masselosen Propagators für einen Zwischenzustand mit den Quantenzahlen desbetrachteten Axialvektorstroms jµ5,3. Nach unseren Vorüberlegungen ist dies geradedas Goldstone-Boson, was dem π0 entspricht. Demnach können wir für q2 → 0 dasMatrixelement faktorisieren

〈γ(p)γ(k)|jµ5,3(0)|0〉 q2→0−→ 〈γ(p)γ(k)|π0(q)〉 i

q2 〈π0(q)|jµ5,3(0)|0〉

= (iA ενλαβpαkβ) i

q2 (iqµfπ) (I.252)

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– preliminary–

I.3 “Anomalien” durch Quantenkorrekturen in QFT

Dabei parametrisiert das erste Matrixelement auf der rechten Seite gerade die Über-gangsamplitude A für den π0 → 2γ Zerfall und das zweite Matrixelement die bereitseingeführte Pionzerfallskonstante. Vergleich mit dem allgemeinen Ausdruck für Mµνλ

liefert dann

A(π0 → 2γ) = e2

4π21fπ, (I.253)

bzw. zusammen mit dem Phasenraumfaktor (bei dem wir die endliche Pionmasse beibehal-ten müssen, da ansonsten der Zerfall natürlich kinematisch nicht möglich wäre),

Γ[π0 → 2γ] = α2

64π3m3π

f2π

(1 +O(m2

π)). (I.254)

Wir erhalten also mit Hilfe der ABJ-Anomalie und der Goldstone-Natur des Pion-Isospin-Tripletts einen direkten Zusammenhang zwischen dem schwachen Zerfall dergeladenen Pionen π± → µ±ν (proportional zu fπ) und dem anomalen Zerfall der neu-tralen Pionen π0 → 2γ in der QED (proportional zu 1/fπ). Die theoretisch vorhergesagteRate stimmt dabei sehr gut mit der experimentell gemessenen Rate überein.

I.3.4 Kurzzusammenfassung

• Strahlungskorrekturen in der QED in der Störungstheorie führen zunächst aufdivergente Impulsintegrale.

• Infrarotdivergenzen heben sich zwischen virtuellen Korrekturen und reeller Pho-tonabstrahlung auf. Die Effekte weicher Photonen lassen sich in sog. Sudakov-Formfaktoren resummieren.

• Ultraviolettdivergenzen lassen sich durch Renormierung der Störungstheorie sys-tematisch berüchsichtigen, indem eine laufende (skalen-abhängige) Kopplungskon-stante definiert wird. Als Konsequenz führen Strahlungskorrekturen zu nicht-trivialemSkalierungsverhalten von Observablen mit den externen Impulsen.

• Zum Überprüfen der Renormierbarkeit von Quantenfeldtheorien wie der QEDhaben wir den Zusammenhang zwischen oberflächlichem Divergenzgrad von Schleifendi-agrammen und der Massendimension der Operatoren in der Lagrangedichte un-tersucht (Operatoren mit dim> 4 sind zunächst nicht renormierbar). Für dieRenormierbarkeit der QED spielen weiterhin die Ward-Identitäten eine entschei-dende Rolle.

• Die Freiheit in der Wahl der Renormierungsskala (insbesondere für das MSbar-Schema) lässt sich durch eine Renormierungsgruppe beschreiben. Das Skalenver-halten von Observablen und Korrelationsfunktionen wird durch Differentialgle-ichungen bestimmt, deren Lösung einer Aufsummation von großen Logarithmen inden Koeffizienten der Störungstheorie entspricht.

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– preliminary–

I Radiative Korrekturen und Renormierung in der QED

• Das UV-Verhalten von QFTs kann dazu führen, dass klassische Symmetrien nichtmehr erhalten sind (→ Anomalien). Als Beispiel hatten wir die Adler-Bell-JackiwAnomalie für den Axialvektorstrom in der QED disktutiert. Zum Einen stellt diesAnforderungen an die Konsistenz von Eichtheorien, wie z.B. an das Spektrum vonchiralen Fermionen. Zum Anderen erklären Anomalien physikalische Effekte wieden π0 → 2γ Zerfall oder die Massenhierarchie zwischen dem η-Meson und denPionen.

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– preliminary–II Kapitel II

Strahlungskorrekturen in derstarken Wechselwirkung (QCD)

II.1 1-Schleifenkorrekturen in nichtabelschen EichtheorienWir gehen im Folgenden kurz auf die Berechnung von Schleifenkorrekturen in nichta-belschen Eichtheorien, wie z.B. der QCD, im Vergleich zur QED ein. Dabei könnenwir einige Techniken und Ergebnisse aus der QED direkt verallgemeinern, wobei wirzusätzliche Faktoren (CF , CA) aus der nichtabelschen Symmetriealgebra erwarten (CA =NC = 3 und CF = N2

C−12NC = 4/3 in der QCD). Einige Rechnungen werden aber subtil-

er und komplexer aufgrund der zusätzlichen Diagramme mit Eichboson-Selbstwechsel-wirkungen und Geistfeldern. Es ist dabei häufig zweckmäßig, eine allgemeine kovari-ante Eichung zu wählen, bei dem der Eichparameter ξ variabel gelassen wird. Da ξ inphysikalischen Amplituden herausfallen muss, hat man so eine zusätzliche nicht-trivialeKontrolle für die Richtigkeit der Rechnung. Für das Renormierungsprogramm ist diedimensionale Regularisierung zu favorisieren.Wir stellen nun einige 1-Schleifen–Resultate zusammen (Kopplungskonstante gs mit αs =g2s/4π):

• Die Vakuumpolarisation (besser:Eichboson-Selbstenergie) wird analog zur Vaku-um-Polarisation des Photons in der QED diskutiert. Zusätzlich zum Diagrammmit einem Fermion-Antifermion–Paar in der Schleife, gibt es zur Ordnung g2

s dreizusätzliche 1PI–Diagramme mit virtuellen Eichbosonen oder Geistern:

67

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Aufsummation der geometrischen Reihe von 1PI–Diagrammen ergibt wie in derQED einen transversalen Selbstenergie–Tensor:

Πµν(q2) = i(q2gµν − qµqν

)Π(q2) δab . (II.1)

Die Transversalität ist wieder eine Folge der Eichsymmetrie, wobei die BRST-Invarianz (siehe TTP-1) dafür sorgt, dass die longitudinalen Beiträge durch dieBerücksichtigung des Geist-Diagramms kompensiert werden. Der zusätzliche Fak-tor δab drückt lediglich die Tatsache aus, dass der Propagator diagonal bezüglichder Eichfeld-Komponenten in der adjungierten Darstellung bleibt.

– Betrachten wir zunächst den Beitrag der Fermionschleife: Im Vergleich zurQED-Rechnung ergibt sich ein zusätzlicher Symmetriefaktor aus den beidenMatrizen ta,b am Fermionvertex, also

tr[tatb]× (wie QED-Resultat) = 12 δ

ab × (wie QED-Resultat)

Im allgemeinen haben wir nf verschiedene Fermionen (z.B. 6 Quarksortenin der QCD), die in der nichtabelschen Theorie jeweils den gleichen Beitragliefern, also

Π(q2)∣∣∣Fermionen

= nf12 (wie QED-Resultat)α→αs,m→mf

= nf12

(−αs4π

43 Γ(ε) + . . .

). (II.2)

Analog können wir daraus den führenden Beitrag der Fermionen zur β–Funktion ablesen,

β(αs)∣∣∣Fermionen

= nf12 (wie QED-Resultat)α→αs . (II.3)

– Aufgrund der nichtabelschen Natur ergeben sich zusätzliche Diagramme mitSelbstwechselwirkungen der Eichbosonen und mit Geistfeldern. Für den Bei-trag der Eichbosonschleife (zweites Diagramm oben) müssen wir zusätzlich zuden Feynman-Regeln für den 3-Eichbosonen–Vertex noch beachten, dass auf-grund der Ununterscheidbarkeit der Eichbosonen in der Schleife ein topologis-cher Symmetriefaktor 1/2 zu beachten ist (analog zu den Symmetriefaktorenin der φ4–Theorie). Wir erhalten somit ein Feynmanintegral der Form

12

∫dDp

(2π)D−i

p2 + iε

−i(p+ q)2 + iε

g2s f

acdf bdc × (Lorentz-Struktur) , (II.4)

wobei wir die Lorentz-Struktur, die sich aus Propagatorzählern und Vertex-faktoren ergibt, nicht explizit angegeben haben. Die konkrete Rechnung zeigt,dass i.A. der entsprechende Beitrag zur Eichbosonselbstenergie nicht transver-sal ist; allerdings gilt dies wieder für die Summe aller Diagramme (aufgrund

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– preliminary–

II.1 1-Schleifenkorrekturen in nichtabelschen Eichtheorien

der BRST-Invarianz). Das Produkt der Strukturkonstanten der nichtabelsch-en Theorie vereinfacht sich hier zu∑

cd

facdf bdc ≡ tr[taAt

bA

]= CA δ

ab . (II.5)

Die Berechnung der Diagramme ist aufwändiger als in der QED, aber z.B.wieder mittels Feynman-Parametern elementar lösbar. Obiges Diagramm lief-ert dabei zunächst auch quadratisch divergente Beiträge (d.h. Pole bei D =2, 4, . . . in dim-reg.).

– Für das Schleifendiagramm, welches die 4-Eichbosonen–Kopplung involviert,erhält man entsprechend (in Feynman-Eichung)

12

∫dDp

(2π)D−igρσp2 + iε

δcd (−ig2s)

×[fabef cde (gµρgνσ − gµσgνρ) + 2× zyklisch

]. (II.6)

Der 1. Term in eckigen Klammern verschwindet hierbei wegen δcdf cde = 0.Der 2. und 3. Term ergeben jeweils den gleichen Beitrag,

δcdfdaef bce = −CA δab ,gρσ (gσνgµρ − gσρgµν) = gµν (1−D) . (II.7)

Damit ergibt sich für das Feynman-Integral:

−g2s CA δ

ab∫

dDp

(2π)D1

p2 − µ2IR + iε

gµν (D − 1) . (II.8)

Dabei wird gerade der quadratisch divergente Beitrag des vorherigen Dia-gramms kompensiert.

– Beim Diagramm mit der Geist-Schleife müssen wir schließlich beachten, dasssich aufgrund der Antikommutativität der Geistfelder ein zusätzliches Mi-nuszeichen ergibt,

∝(−1) · tr[taAtbA] g2s

∫dDp

(2π)Di

p2 + iε

i

(p+ q)2 + iε(p+ q)µpν = . . . (II.9)

wobei sich wieder der gleiche Farbfaktor CA ergibt.– Zusammengefasst ergeben die 3 Diagramme, die die nichtabelschen Kopplun-

gen enthalten, einen UV-divergenten Beitrag der Form

Π(q2)∣∣∣nichtabelsch = −αs4π

(−13

6 + ξ

2

)CA Γ(ε) + . . . (II.10)

wobei wir das Resultat für einen beliebigen Eichparameter ξ (in kovariantenEichungen) angegeben haben (in Feynman-Eichung, ξ = 1, ergibt sich für denAusdruck in Klammern −5/3).

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

• D.h. die Selbstenergie in nichtabelschen Eichtheorien ist eich-abhängig! Das ist keinWiderspruch, denn Π(q2) ist keine physikalische Observable, d.h. die ξ-Abhäng-igkeit muss sich erst kompensieren, wenn die Selbstenergie in eine physikalischeStreuamplitude eingesetzt wird.

• Zusammengefasst erhalten wir für den Z3–Counterterm in der nichtabelschen The-orie mit nf Fermionen in der fundamentalen Darstellung also

δZ3∣∣∣ξ=1

= g2s

(4π)21ε

(53 CA −

23 nf

)+ (endliche Terme) , (II.11)

wobei die genaue Form der endlichen Terme – wie in der QED – vom gewähltenRenormierungsschema abhängt.

• Betrachten wir nun die Selbstenergie der Fermionen: Hier ist die Situation völliganalog zur QED, bis auf den Symmetriefaktor tata = CF . Wir erhalten also fürden Z2–Counterterm der Fermionfelder

δZ2 = − g2s

(4π)21εCF , (II.12)

und analog einen Faktor CF für den Massen-Counterterm.

• Im Falle der Korrektur zum Fermion-Eichboson–Vertex gibt es ein Diagramm, beidem – analog zur QED – ein nichtabelsches Eichboson zwischen den Fermionenvor und nach der Wechselwirkung ausgetauscht wird. Zusätzlich kann das Fermionmit 2 Eichbosonen wechselwirken, welche sich dann über den 3-Eichbosonvertexmit dem externen Gluon wechselwirken.– Für das erste Diagramm müssen wir wieder nur den zusätzlichen nichtabelsch-

en Symmetriefaktor berechnen, welcher sich aus

tbtatb = tbtbta + tb[ta, tb] = CF ta + itbfabctc

= CF ta + i

2fabc([tb, tc] + tb, tc

)= CF t

a − 12 CA t

a (II.13)

ergibt.– Der Beitrag zur Vertexkorrektur vom 3-Eichbosonvertex erhält dagegen einen

Symmetriefaktor

fabctbtc = i

2CAta . (II.14)

Zusammengefasst erhält man für den Z1–Counterterm des Fermionvertex

δZ1 = − g2s

(4π)21ε

(CF + CA) + (endliche Terme) 6= δZ2 . (II.15)

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– preliminary–

II.1 1-Schleifenkorrekturen in nichtabelschen Eichtheorien

Im Gegensatz zur QED sind in der nichtabelschen Theorie also die Renormierungs-faktoren für die Fermionfelder und die Fermionvertizes nicht gleich! — Das istallerdings kein Widerspruch zur Eichsymmetrie, da der Eichstrom jaµ = ψγµt

aψ derQCD selbst kein Eichsingulett ist, sondern selbst als Oktett (adjungierte Darstel-lung) transformiert. Dementsprechend gibt es keine erhaltene additive Farbladung,und der Formfaktor des QCD-Stroms hat keine natürliche Normierung. Anderer-seits werden wir gleich sehen, dass die nichtabelsche Eichsymmetrie erzwingt, dassdie effektive (laufende) Kopplungskonstante für alle Vertizes in der nichtabelschenTheorie universell bleibt.

Fassen wir die der QED entsprechenden Counterterme explizit zusammen, erhalten wiranaloge Ausdrücke wie in der QED:

• C.T. für Gluonpropagator: −i(k2gµν − kµkν)δab δZ3

• C.T. für Quarkpropagator: i/p δZ2 − i δmf

• C.T. für Quark-Gluon-Vertex: igstaγµ δZ1

Wegen δZ1 6= δZ2 ergibt sich in der QCD für die laufende Kopplung

g0s = Zg µ

εgs mit Z−1g =

√Z3 Z2 Z

−11 . (II.16)

Wie oben bereits angedeutet, müssen wir aber sicher stellen, dass die so definiertelaufende Kopplung gs identisch ist mit der effektiven Kopplung, die für die anderenQCD-Vertizes auftritt. Dazu müssen noch folgende Renormierungsfaktoren und Counter-Terme berechnet werden:

• Korrekturen zum 3-Gluon-Vertex −→ Z3g1

• Korrekturen zum 4-Gluon-Vertex −→ Z4g1

• Korrekturen zum Geist-Gluon-Vertex −→ Zc1

• Korrekturen zum Geist-Propagator −→ Zc2

Daraus ergeben sich folgende Bedingungen (die für ein eich-invariantes Renormierungss-chema erfüllt sein müssen):

• Aus dem 3-Gluon Vertex erhält man

Z−1g = Z

3/23 (Z3g

1 )−1 !=√Z3 Z2 (Z1)−1 . (II.17)

In führender Ordnung kann man in δZi entwickeln und erhält

δZ3 − δZ3g1

!' δZ2 − δZ1 . (II.18)

Hierdurch werden also die divergenten Beiträge von diversen verschiedenen 1-Schleifendiagramme durch die Eichsymmetrie miteinander verknüpft.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

• Entsprechend für den 4-Gluon–Vertex (wobe wir beachten müssen, dass dieser 2Potenzen der Kopplungskonstanten trägt):

Z−2g = Z2

3 (Z4g1 )−1 != Z3 (Z2)2 (Z1)−2

⇔ δZ3 − δZ4g1

!' 2 (δZ2 − δZ1) . (II.19)

• und schließlich für den Geist-Gluon–Vertex:

Z−1g =

√Z3 Z

c2 (Zc1)−1

⇔ δZc2 − δZc1!' δZ2 − δZ1 . (II.20)

Insgesamt haben wir dann also 8 Counter-Terme,

δZ1 , δZ2 , , δm , δZ3 , δZc1 , δZ3g1 , δZ4g

1 , δZc2 ,

mit 3 Relationen aufgrund der Eichsymmetrie. Somit bleiben 5 unabhängige Renormierungs-faktoren, was genau der Anzahl von frei normierbaren Größen (3 Sorten von Feldern[Gluon, Quark, Geist], 1 Kopplung, 1 Massenparameter [pro Quark]) in der QCD-Lagrangedichte entspricht.1

II.2 Laufende Kopplung in der QCD

Aus dem Zusammenhang zwischen gs und g0s können wir wieder die QCD β-Funktion

bestimmen, wobei wir wieder nur die divergenten Beiträge der Z-Faktoren in Zg benöti-gen. Für ε→ 0 finden wir analog zur Rechnung in der QED

β(αs) = µ2 dαsdµ2 = −α

2s

4π(δz

(1)3 + 2δz(1)

2 − 2δz(1)1

)+O(α3

s)

= −α2s

(53 CA −

23 nf + 2(−CF )− 2(−CF − CA)

)+ . . .

= −α2s

(113 CA −

23 nf

)+ . . . (II.21)

Hierbei ist zu bemerken, dass sich der Beitrag proportional zu CF zwischen Z−11 und

Z2 aufhebt, die β-Funktion ist also unabhängig von der Darstellung der Fermionen bgzl.der Eichgruppe. Vergleich mit der QED (wo β(α) = α2

4π43 nf + . . . > 0) zeigt, dass die

β-Funktion in der nicht-abelschen Theorie auch negatives Vorzeichen haben kann, wenn

nf <112 CA ,

1Genau genommen, müssen wir für beliebige Eichungen auch einen Counterterm δZξ einführen, derden Eichfixierungsterm renormiert.

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– preliminary–

II.2 Laufende Kopplung in der QCD

was insbesondere für die QCD mit nf = 6 und CA = 3 erfüllt ist. Wir schreiben deshalbin der QCD

β(αs) = α2s

4π (−b0) +O(α3s) mit b0 = 11− 2

3 nf > 0 (II.22)

und lösen die DGL für αs(µ) analog zur QCD, so dass

αs(µ) = g2s(µ)4π ' αs(µ0)

1 + b04π αs(µ0) ln µ2

µ20

(II.23)

Diskussion/Interpretation:

• Für µ → ∞ geht αs(µ) → 0. Dies bezeichnen wir als “asymptotische Frei-heit” der QCD, d.h. bei großen Impulsübeträgen bzw. kleinen Abständen ist die“starke” Wechselwirkung zwischen Quarks und Gluonen tatsächlich eher schwach!Das heisst:→ In diesem Bereich ist QCD-Störungstheorie anwendbar.→ Die QCD lässt sich am einfachsten in Hochenergieexperimenten testen/erforsch-

en.→ Die Erkenntnis rechtfertigt einen Nobelpreis (Politzer/Gross/Wilczek 2004).

Erfolgreiche Tests der QCD wurden insbesondere in tief-inelastischer e−-Proton–Streuung (z.B. bei HERA@DESY) und in e+e− → Jets (z.B. bei den LEP-Experiment-en am CERN) durchgeführt. Eine übliche Referenzskala für αs(µ0) ist dabei dieMasse des Z-Bosons (siehe Übung).

• Im Gegensatz zur QED wird die Abschirmung der QCD-“Ladung” durch virtuelleqq–Paare offensichtlich überkompensiert durch die nicht-abelschen Beiträge vongluonischen Fluktuationen (5/3CA von Zg3 , und 2CA von 2(δZ2−δZ1)). Bei großenAbständen haben wir also einen “Anti-Screening”–Effekt für Farbladungen.Damit gibt es einen bestimmten Wert µ ≡ ΛQCD < µ0, bei dem αs(µ) (in derStörungstheorie) formal divergiert, 1/αs(ΛQCD) → 0. In führender Ordnung istdas gerade für

1 + b04π αs(µ0) ln

Λ2QCDµ2

0= 0 (II.24)

der Fall. Durch Auflösen nach αs(µ0) erhalten wir eine alternative Darstellung der1-Schleifen-Näherung,

αs(µ0) ' 4πb0

1lnµ2

0/Λ2QCD

(II.25)

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Der Wert von ΛQCD hängt dabei von der betrachteten Ordnung in der Störungs-theorie ab (siehe Übung).

• Obwohl wir mit einer dimensionlosen Kopplung gs in der Lagrangedichte gestartetsind, enthält die Theorie anscheinend Information über eine intrinsische Referen-zskla ΛQCD, welche unabhängig von den Massenparametern der Fermionen ist.Diesen Effekt nennt man auch “dimensionale Transmutation”.Durch experimentelle Bestimmung von αs(q2) bei hohen Energien findet man, dass

ΛQCD ∼ 200− 300 MeV ' 1/3 · Protonmasse

In der Tat wird die Protonmasse größtenteils durch QCD-Effekte erzeugt (undnicht durch den elektroschwachen Higgs-Mechanismus!).

• Die Effekte, die mit der (nicht-trivialen) QCD-Vakuumstruktur zusammenhän-gen, sind selbst nicht-störungstheoretischer Natur. Die typischen Korrelationslän-gen dieser Strukturen (die man z.B. auf Gitter-QCD-Simulationen studieren kann)sind dann gerade von der Ordnung 1/ΛQCD.

Das Ziel der Theorie der starkenWechselwirkung ist deshalb die Trennung der verschiede-nen dynamischen Effekte, so dass die kurzreichweitigen Fluktuationen (in der Praxis µ &1 − 2 GeV) störungstheoretisch beschrieben werden können, während lang-reichweitigeKorrelationen mittels möglichst universeller hadronischer Größen zu parametrisierensind. Beispiele für solche Parameter sind

• Eigenschaften des Vakuums, z.B. 〈0|qq|0〉,

• Zerfallskonstanten von Mesonen, wie z.B. fπ,

• hadronische Formfaktoren (z.B. 〈p′|jµelm|p〉)

• Partonverteilungsfunktionen des Protons (s.u.)

• . . .

Ein Beispiel, bei dem in erster Näherung keine hadronischen Parameter eingehen, ist dertotale Wirkungsquerschnitt für e+e− → Hadronen (siehe TTP-1),

σ(s) = σ0

3∑f

Q2f

(1 + αs(µ)π

+O(α2s)), (II.26)

wobei sich die angegebene αs-Korrektur durch die Berechnung der reellen und virtuellenStrahlungskorrekturen zum Prozess e+e− → qq(g) ergibt. Gemäß unserer allgemeinenDiskussion können wir potentiell große Logarithmen ln s/µ2 wieder effektiv aufsum-mieren, indem wir die Störungsreihe durch αs(

√s) entwickeln. Damit erwarten wir kleine

Abweichungen vom klassischen Skalenverhalten bei√s > 1 − 2 GeV (abgesehen vom

Bereich in dem hadronische Vektorresonanzen auftreten, siehe Dikussion in TTP-1).Daraus lässt sich im Prinzip die Funktion αs(

√s) aus dem Experiment bestimmen und

mit der theoretischen Erwartung vergleichen.

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– preliminary–

II.3 Einschub: Laufende Kopplung und RG-Fixpunkte

II.3 Einschub: Laufende Kopplung und RG-FixpunkteWir fügen an dieser Stelle eine kleine allgemeine Diskussion zum möglichen Verhaltenvon laufenden Kopplungen in der QFT ein. Definieren wir allgemein

β(g) = µ∂g

∂µfür g = g(µ) , (II.27)

gibt es offensichtlich für kleine Werte von g drei Möglichkeiten:

(a) β(g) > 0 (wie z.B. in der QED)

(b) β(g) ≡ 0 (braucht “mehr” Symmetrien, z.B. erweiterte “Supersymmetrien”)

(c) β(g) < 0 (wie z.B. in der QCD)

Im Fall (a) können wir in die Störungstheorie für hinreichend kleine Skalen µ2 Λ2UV an-

wenden; bei großem µ ∼ ΛUV divergiert die störungstheoretische Kopplung (→ “Landau-Pol”) Im Fall (b) erhalten wir eine “endliche QFT”, die aber für die Teilchenphysik bisherkeine Relevanz hat. Im Fall (c) erhalten wir Störungstheorie für µ2 Λ2

IR (asymptotis-che Freiheit) und einen Landau-Pol bei kleinen Skalen µ ∼ ΛIR.Was passiert nun für große Kopplungen g 1 mit der β-Funktion (d.h. ohne störungs-theoretische Näherung) ? — Wir betrachten dazu die β-Funktion als Funktion der Kop-plungskonstante. Im Fall (a) können wir uns zwei Szenarien vorstellen

(a1) Die β-Funktion bleibt positiv für alle Werte von g:

Skizze: β(g) mit β(g = 0) = 0 und β(g) > 0 für alle g

(a2) Die β-Funktion nimmt für große Werte von g wieder ab und wird negativ fürg > g∗:

Skizze: β(g) mit β(g = 0) = 0 und β(g) > 0(< 0) für g < g∗ (g > g∗)

D.h. zusätzlich zur trivialen Nullstelle β(g = 0) = 0 gibt es ein g∗ 6= 0 mit β(g∗) =0. In diesem Fall können wir die β-Funktion um g = g∗ entwickeln,

dg

d lnµ = β(g) ' −B (g − g∗) mit B > 0 , (II.28)

so dass die approximative Lösung für die laufende Kopplung in der Nähe von g∗als

g(µ) = g∗ + C

µ0

)−B(II.29)

geschrieben werden kann (mit c = g(µ0)− g∗). Dann strebt g(µ)→ g∗ für µ→∞:

“Die Theorie besitzt dann einen (nicht-trivialen) UV-Fixpunkt, welcher durchden Wert von g∗ und die Steigung −B klassifiziert ist.”

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Aus der Lösung für g(µ) in der Nähe des UV-Fixpunktes können wir wiederanalytische Aussagen über das Skalierungsverhalten von Greenschen Funktionenmachen (allgemein ist das für große Kopplungen nicht möglich). Betrachten wirdazu z.B. den RG-Faktor

exp[n

2

∫ λ

1

dλ′

λ′γφ(α(µλ′))

],

mit der anomalen Dimension der Felder als Funktion der laufenden Kopplung miteinem Skalierungsparamter λ (siehe allgemeine Diskussion oben). Für große Wertevon λ ist das Integral gerade dominiert von Werten von λ′, bei denen

α(µλ′) ' α∗ = (g∗)2

4π ,

denn nach Variablensubstitution haben wir

dg(µλ′)dλ′

= µ

λ′dg(µ)dµ

∣∣∣∣µ=µλ′

= β(g = g(µ))λ′

⇔ dλ′

λ′= dg

β(g) . (II.30)

Somit vereinfacht sich der RG-Faktor zu

exp[n

2

∫ λ

1

dλ′

λ′γφ(α∗)

]= λ

n2 γ∗,

d.h. die anomale Dimension am RG-Fixpunkt bestimmt das Skalenverhalten fürgroße Werte von λ.

Analoge Betrachtungen können wir für den Fall (c) machen. In diesem Fall erhalten wireinen nicht-trivialen IR-Fixpunkt, wenn β(g) < 0(> 0) für g < g∗ (g > g∗) mit

g(µ) ' g∗ + c

µ0

)B(B > 0) (II.31)

und g(µ→ 0) = g∗. In diesem Fall bestimmt γφ(g∗) das Skalierungsverhalten für kleineWerte von λ.Anmerkungen: Die genaue Form von β(g) und der Wert von g∗ hängen vom Renormierungss-chema ab. Allerdings sind β0, die Existenz von g∗, die Steigung B bei g∗ und der Wert von γ∗φunabhängig von der Renormierungskonvention.

II.4 Operatorproduktentwicklung in e+e− → HadronenII.4.1 Das Optische TheoremAusgangspunkt ist der Streuoperator S, den wir bereits in TTP-1 kennen gelernt hattenund als

S = 1 + iT (II.32)

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– preliminary–

II.4 Operatorproduktentwicklung in e+e− → Hadronen

geschrieben hatten, wobei der Operator T gerade die Übergangsamplituden der Form

〈p1p2 . . . |iT |kAkB〉 = (2π)4 δ(4)(kA + kB −∑

pi) iM(kAkB → p1p2 . . .) (II.33)

beschreibt. Die Unitarität des Operators S impliziert

SS† = 1 ⇔ −i(T − T †) = T †T . (II.34)

Wenn wir dies z.B. zwischen 2-Teilchen-Zuständen auswerten, erhalten wir durch Einfü-gen eines kompletten Satzes von Zwischenzuständen auf der rechten Seite der Gleichung

〈p1p2|T †T |k1k2〉 =∑n

(Πni=1

∫d3qi

(2π)31

2Ei

)〈p1p2|T †|qi〉〈qi|T |k1k2〉

=∑n

Πni=1

∫d3qiM∗(p1p2 → qi)M(k1k2 → qi)

(2π)4δ(4)(p1 + p2 −∑

qi) (2π)4δ(4)(k1 + k2 −∑

qi) . (II.35)

Entsprechend für die linke Seite direkt

−i〈p1p2|(T − T †)|k1k2〉 = −i (M(k1k2 → p1p2)−M∗(p1p2 → k1k2))(2π)4δ(4)(k1 + k2 − p1 − p2) . (II.36)

Gleichsetzen der beiden Ausdrücke und Ausklammern eines gemeinsamen Faktors

(2π)4δ(4)(k1 + k2 − p1 − p2)

liefert dann eine Beziehung zwischen den Streuamplituden. Die Herleitung gilt so für be-liebige Matrixelemente. Wir können insbesondere den Grenzfall p1p2 → k1k2 betrachten2Dann erhalten wir

2 ImM(k1k2 → k1k2) =∑n

Πni=1

∫ ∫d3qi |M(k1k2 → qi)|2 (2π)4δ(4)(k1 + k2 −

∑qi) .

(II.37)

Die linke Seite entspricht dabei der “Vorwärts-Streuamplitude” für den Prozess k1k2 →k1k2, und die rechte Seite gibt bis auf den Flussfaktor den Ausdruck für den totalenWirkungsquerschnitt k1k2 → X,

ImM(k1k2 → k1k2) = 2Ecm|~p|cm σtot(k1k2 → X) . (II.38)

Dies ist das sog. “Optische Theorem” (ausgewertet für Streuamplituden zwischenImpulseigenzuständen).

— graphische Illustration —2Unter der Annahme, dass die Amplituden in diesem Limes stetige Funktionen der Impulse sind.

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Wir können also den totalen Wirkungsquerschnitt (Summe und Phasenraumintegra-tion über alle Endzustände) alternativ auch über die Berechnung des Imaginärteils derVorwärtsstreuamplitude herleiten. In der Störungstheorie resultiert der Imaginärteil ausder iε-Vorschrift der Feynman-Propgatoren für die Teilchen in den virtuellen Zwischen-zuständen (inlusive Schleifenintegrationen). Für die physikalischen Zwischenzustände inder wechselwirkenden Theorie erhalten wir auch Beiträge von Bindungszuständen (Polein der komplexen Ebene gemäss Masse und Breite von Resonanzen etc.). Das optis-che Theorem gilt dabei allgemein, unabhängig von der Berechnungsmethode, und kannsomit als Grundlage für systematische Berücksichtigung von störungstheoretischen undnicht-störungstheoretischen Korrekturen benutzt werden.

II.4.2 Anwendung auf e+e− → HadronenFür den Prozess e+e− → Hadronen bei großen Energien (

√s me,mq) lautet das opt.

Theorem

σ(e+e− → hadrons) = 12s ImM(e+e− → e+e−)viahadrons (II.39)

Die rechte Seite entspricht dabei gerade dem hadronischen Beitrag zur QED-Vakuumpolarisation,mit (s = q2)

iM = (−ie)2 u(k1)γµv(k2) −is

(iΠµνhad(q)) −isv(k2)γνu(k1) . (II.40)

Aufgrund der QED-Ward-Identitäten ist der hadronische Beitrag zum Polarisationsten-sor wieder transversal, so dass

Πµνhad(q) = (q2 gµν − qµqν) Πhad(s) . (II.41)

Wir mitteln wieder über die Spineinstellungen im Anfangszustand, so dass sich aus denFermionspinoren

Lµν := 14∑spin

u(k1)γµv(k2) v(k2)γνu(k1) = 14 tr[k/1γ

µk/2γν ] = kµ1k

ν2 + kµ2k

ν1 − (k1 · k2) gµν

(II.42)

ergibt. Da das wieder transversal bzgl. qµ ist, brauchen wir nur die Kontraktion desobigen Ausdrucks mit gµν und erhalten

gµνLµν = −2 k1 · k2 = −s ,

so dass sich insgesamt

σ(e+e− → hadrons) = −4παs

ImΠhad(s) (II.43)

ergibt. Wie oben erläutert enthält der Imaginärteil von Πhad(s) die Information übersämtliche hadronische Zwischenzustände. Für große Werte von s erwarten wir, dasssich die Zwischenzustände durch asymptotisch freie Quarks und Gluonen in der QCD-Störungstheorie abbilden lassen (“Dualität” zwischen Hadronen und Quarks/Gluonen).

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– preliminary–

II.4 Operatorproduktentwicklung in e+e− → Hadronen

II.4.2.1 Störungstheoretische Beschreibung

Für die störungstheoretische Beschreibung können wir direkt das Resultat für den 1-Schleifenbeitrag zur Vakuumpolarisation in der QED verwenden, mit me → mq undeinem entsprechenden Farb- und Ladungsfaktor für Quarks statt Elektronen, so dass

Πhad(s) = −Nc

∑Q2q

8e2

(4π)D/2Γ(ε)µ2ε

∫ 1

0dxx(1− x) (∆2)−ε , (II.44)

wobei ∆2 = m2q −x(1−x)s− i0+ ' −x(1−x)− i0+, wobei wir den kleinen Imaginärteil

explizit gemacht haben, der daher resultiert, dass die Massen in den Feynmanprogatorenin der Form p2 −m2 + i0+ auftreten.Wir berechnen zunächst den Imaginärteil von (∆2)−ε aus (für mq → 0)

(∆2)−ε = exp(−ε ln ∆2

)= exp

(−ε[ln |∆2| − iπ θ(s)

])⇔ Im(∆2)−ε = exp

(−ε ln |∆2|

)sin(επ) θ(s) ' επ θ(s) . (II.45)

Somit ergibt sich nach Multiplikation mit Γ(ε) ein endliches Resultat für den Imag-inärteil,

ImΠhad(s)|mq→0 = −πNc

∑Q2q

8e2

(4π)2

∫ 1

0dxx(1− x) θ(s) = −Nc

∑Q2q

α

3 (II.46)

und somit für den totalen Wirkungsquerschnitt das bereits in TTP-1 berechnete Ergeb-nis,

σtot(e+e− → hadrons) = 4πα2

3s Nc

∑Q2q

√= σ(e+e− → µ+µ−)R0 . (II.47)

Die Berechnung über das optische Theorem liefert nicht nur eine alternative Rechenmeth-ode, sondern erlaubt auch, systematisch Korrekturen zur störungstheoretischen Beschrei-bung zu definieren.

II.4.2.2 Operatordarstellung

Um systematisch Korrekturen zum Limes q2 →∞ zu berücksichtigen, betrachten wir dieOperatordarstellung des hadronischen Beitrags zur Vakuumpolarisation, welcher sich ausdem zeitgeordneten Produkt zweier elektromagnetischer Ströme mit Quarks schreibenlässt,

iΠµνhad(q) = −e2

∫d4x ei q·x 〈0|TJµ(x)Jν(0)|0〉 (II.48)

mit

Jµ(x) = Jµhad(x) =∑

f=u,d,s,...Qf qf (x)γµqf (x) . (II.49)

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Die Operatordarstellung erlaubt es uns nun, um den Hochenergielimes zu entwickeln. Imobigen Fourierintegral entspricht dies gerade der Entwicklung um kleine Abstände x, diewir bereits im Zusammenhang mit den Anomalien als Operatorproduktentwicklungkennen gelernt hatten. Die OPE für das Produkt der beiden elektromagnetischen Strömelautet demnach

Jµ(x)Jν(0) = C [1]µν(x) 1 + C [qq]

µν (x) q(0)q(0) + C [G2]µν (x)G2(0) + . . . (II.50)

wobei aus der Dimensionsanalyse wieder das Verhalten für x→ 0 folgt,

C [1]µν(x) ∼ x−6 , C [qq]

µν (x) ∼ mqx−2 , C [G2]

µν (x) ∼ x−2 , (II.51)

wobei wir wieder verwendet haben, dass der Koeffizient vor dem Operator qq = qLqR +qRqL aufgrund der chiralen Symmetrie der QCD mit der Quarkmasse mq gegen Nullgehen muss. Analog können wir die Fouriertransformierten der Koeffizienten betrachtenund erhalten unter Verwendung von qµΠµν = 0, dass

− e2∫d4x eiq·x Jµ(x)Jν(0)

= −ie2(q2gµν − qµqν)c[1](q2) 1 + c[qq](q2)mq qq + c[G2](q2)G2 + . . .

. (II.52)

Der Koeffizient des führenden Terms (proportional zum Eins-Operator) entspricht dabeigerade unsere störungstheoretischen Rechnung (Schleifendiagramme ohne externe Quark-oder Gluonfelder). Für große q2 also gerade

c[1](q2) = −(NC

∑Q2f ) α

(−q2 + iε

µ2

)+O(αs) ,

Imc[1](q2) = −(NC

∑Q2f ) α3 θ[q

2] +O(αs) . (II.53)

Wenn wir die Massendimensionen vergleichen, ergibt sich für den Koeffizienten c[1](q2)gerade ein dimensionsloser Wert. Dagegen entsprechen die höheren Terme in der OPEKoeffizienten, die mit zunehmenden Potenzen von 1/q2 unterdrückt sind. Die Koeffizien-ten lassen sich wieder störungstheoretisch berechnen, wenn man Feynman-Diagrammemit zusätzlichen externen Quark- und Gluonfeldern, die den lokalen Operatoren in derOPE entsprechen vergleicht,

c[qq](q2) ∼ 1(q2)2 aus

c[G2](q2) ∼ 1(q2)2 aus

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– preliminary–

II.4 Operatorproduktentwicklung in e+e− → Hadronen

Während die Beiträge dieser sogenannten “Quark- und Gluon-Kondensate” für hinre-ichend große Impulsüberträge unterdrückt sind, lassen sicher andererseits deren Werte –im Prinzip – aus Daten bei mittleren Werten von q2 extrahieren. Gemäß unserer Über-legungen über die typischen Korrelationslängen im nicht-störungstheoretischen QCD-Vakuum erwarten wir dabei

〈qq〉 ∼ Λ3QCD , 〈G2〉 ∼ Λ4

QCD . (II.54)

Die OPE liefert als in unserem (einfachen) Beispiel die gewünschte Trennung von kurz-und langreichweitiger Dynamik (“Faktorisierung”).

• Die kurzreichweitige Physik steckt dabei in den Koeffizienten (“Wilson-Koeff-izienten”)

Ci(q2) = Ci(q2, µ) ,

welche für µ ΛQCD störungstheoretisch berechenbar sind.

• Die langreichweitige Physik steckt in den Erwartungswerten der (lokalen) Opera-toren

〈Oi〉 = 〈Oi〉(µ) ,

in unserem Fall charakterisiert durch die nicht-trivialen Korrelationen zwischenQuark- und Gluonfeldern im QCD-Vakuum.

Insbesondere können wir wieder das RG-Verhalten unter Änderung der RG-Skala µbestimmen: Damit lassen sich wieder potentiell große Logarithmen ln q2/µ2 in Ci oder〈Oi〉 absorbieren (während die Observable σtot natürlich nicht von µ abhängt). Wirbezeichnen die Skala µ in der OPE deswegen in diesem Zusammenhang auch als “Fak-torisierungsskala”, da sie aussagt, welche Effekte bei der Faktorisierung in den Wilson-Koeffizienten oder in den Operatoren berücksichtigt sind (wie genau die Skalenabhängig-keit zu berechnen ist, werden wir noch an einem anderen Beispiel im Detail diskutieren).

II.4.2.3 Das Problem mit zeitartigen Impulsüberträgen

Wir hatten bisher die Dualität zwischen perturbativer Rechnung (Quarks und Gluo-nen in Zwischenzuständen zur Berechnung von ImΠ(q2)) und hadronischen Observablen(physikalische Endzustände in σtot) angenommen. Dabei hatten wir argumentiert, dasswegen |q2| Λ2

QCD die Quarks und Gluonen asymptotisch frei sind und deshalb dieQCD-Störungstheorie (mit den (1/q2)n-Korrekturen aus der OPE) Sinn ergibt.Allerdings haben wir hierbei einen logischen Denkfehler eingebaut, denn für zeitartigeImpulsüberträge, q2 > 0, gibt es Möglichkeiten: (i) Produktion weniger Quarks undGluonen mit (in der Tat) dann großen Relativimpulsen (d.h. kurzreichweitige Korrela-tionen); (ii) Produktion vieler Quarks und Gluonen mit dann kleinen Relativimpulsen(d.h. langreichweitigen Korrelationen). Der zweite Fall entspricht gerade der physikalis-chen Situation in den hadronischen Bindungszuständen (relativistisches Vielteilchen-problem) und die Störungstheorie ist in dieser Form nicht direkt anwendbar. Tatsächlichhatten wir ja gesehen, dass das R-ratio für e+e− →hadrons (lokal) nicht gut durch die

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Störungstheorie beschrieben wird, da das physikalische Spektrum vielmehr hadronischeResonanzen zeigt, als Oszillationen auf einem “perturbativen Kontinuum”.Dieses Problem würde nicht auftauchen, wenn wir es mit raumartigen Impulsüberträgenq2 0 zu tun hätten, da in diesem Fall keine reellen hadronischen Zwischenzuständemöglich sind. Die Frage ist also, ob es eine Möglichkeit gibt, den Bereich physikalischerEndzustände (Π(q2 > 0)) mit dem störungstheoretisch zugänglichen (unphysikalischen)Bereich (Π(q2 < 0)) in Beziehung zu setzen. Dazu fassen wir Πhad(q2) als analytischeFunktion in der komplexen q2-Ebene auf, mit Polen und Schnitten gemäß der hadro-nischen 1- und Mehrteilchenzustände entlang der reellen Achse für q2 > 0 (genauer: fürq2 & 4m2

π). An der reellen positiven Achse hat Πhad(q2) demnach eine Diskontinuität,die durch den entsprechenden Imaginärteil gegeben ist,

Disc Πhad(q2) = 2i Im Πhad(q2) ,

und somit direkt mit dem totalen hadronischen Wirkungsquerschnitt verknüpft ist.Die analytischen Eigenschaften von Πhad(q2) erlauben es uns, Aussagen über das Verhal-ten bei zeitartigen Impulsen aus theoretischer Information bei q2 0 zu rekonstruieren.Gemäß obiger Diskussion funktioniert das aber nicht mehr lokal (für einzelne Werte vonq2 > 0), sondern nur auf dem Niveau von integrierten Größen. Dazu betrachten wir dieContour-Integrale der Form

In = −4πα∮C

dq2

2πi1

(q2 +Q20)n+1 Πhad(q2) (II.55)

mit einer Contour C, die den Punkt

q2 = −Q20 < 0 mit Q2

0 Λ2QCD

einschließt. Die Integration lässt sich auf 2 Arten durchführen:• Nach dem Satz von Cauchy ergibt sich einfach

In = −4πα 1n!

(d

dq2

)nΠhad

∣∣∣q2=−Q2

0, (II.56)

wobei wir nur Information über Πhad in der Nähe von Q20 brauchen, wo nach

Voraussetzung Störungstheorie und die OPE anwendbar sind.

• Andererseits können wir die Contour ins Unendliche deformieren, wobei ein Integralunterhalb und oberhalb der reellen Achse übrig bleibt, wenn wir für n ≥ 1 denBeitrag im Unendlichen vernachlässigen können. Die Differenz der beiden Integraleergibt aber gerade die Diskontinuität des hadronischen Tensors entlang der reellenAchse, und somit

In = −4πα∫ ∞

0

dq2

2πi1

(q2 +Q20)n+1 Disc Πhad(q2)

= −4α∫ ∞

0dq2 1

(q2 +Q20)n+1 Im Πhad(q2)

= 1π

∫ ∞0

dss

(s+Q20)n+1 σtot(s) . (II.57)

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II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

Dieses Integral ist aus dem gemessenen Wirkungsquerschnitt zu bestimmen.

Wir erhalten somit einen Satz von Integralbeziehungen (“Dispersionsrelationen”) zwis-chen theoretischen Rechnungen in der OPE und hadronischen Observablen im Exper-iment (→ “QCD-Summenregeln” [Novikov, Shifman, Voloshin, Vainshtein, Zakharov1978]).Wir überprüfen die Summenregel wieder am einfachsten Beispiel, d.h. wenn wir in dertheoretischen Rechnung nur den führenden Beitrag zu c[1](q2) in der OPE mitnehmen.Dann ergibt sich aus den Ableitungen von ln(−q2)∫ ∞

0ds

s

(s+Q20)n+1 σ(s) !' 4πα2

n (Q20)n

∑f

Q2f (II.58)

Diese Beziehungen werden gerade für alle n erfüllt, wenn wir für σ(s) den asymptotis-chen Werte σ0(s) ∝ 1/s einsetzen. Insofern reproduzieren die Summenregeln also dasasymptotische Resultat für sehr große Werte von s.Die Korrekturen zur OPE (von αs(Q2

0) und Λ2QCD/Q

20) bei endlichen Werten von Q2

0tragen aber zu den verschiedenen In unterschiedlich bei, so dass die entsprechendenKorrekturen zu σ(s) nicht direkt abzulesen sind. D.h. um σ(s) lokal zu rekonstruierenbenötigt man genaue Informationen über alle In. Da diese aber mit höherem n aufgrundder zunehmenden Potenzen des Ableitungsoperators immer sensitiver auf die höherenTerme in der OPE werden, hieße das unendliche Genauigkeit in der störungstheoretischenOPE.3 Für hinreichend globale (d.h. über endliche Intervalle von s gemittelte Größen)sollte dagegen die OPE für hinreichend große Werte von s eine vernünftige Beschreibungliefern.

II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen QuarksIm Folgenden diskutieren wir die Effekte von QCD-Strahlungskorrekturen in der quan-titativen Beschreibung von elektroschwachen Übergängen zwischen Quarks. Als Ref-erenzprozess benutzen wir wieder einen leptonischen Referenzprozess: den Myon-Zerfallµ− → νµe

−νe. Auf Baumgraphenniveau4 wird der Zerfall durch den Austausch einesgeladenen W-Bosons zwischen zwei (elektrisch geladenen, linkshändigen) leptonischenStrömen vermittelt, so dass sich die Zerfallsamplitude durch(

ig√2

)2 −iq2 −m2

W

J (µ)α J (e)α

mit

J (µ)α = uνµ γα

1− γ52 uµ , J (e)α = ue γ

α 1− γ52 vνe (II.59)

3Insbesondere kann die OPE bei “euklidischem” q2 0 in endlicher Ordnung nicht das oszillierendeVerhalten von σ(s) im physikalischen Bereich reproduzieren.

4Wir konzentrieren uns in diesem Kapitel auf Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung,welche den Myonzerfall nicht betreffen. Zur akkuraten Beschreibung des Zerfalls müssen aber auchelektromagnetische Korrekturen zum Myonzerfall in der QED berücksichtigt werden.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

beschreiben lässt, wobei g die Kopplungskonstante (in gegebener Normierung) der schwachenEichgruppe SU(2)L sei. Da die Myon-Masse klein ist gegenüber mW , gilt auch für denImpulsübertrag q2,

q2 < m2µ m2

W

und somit können wir obigen Ausdruck nähern als

−i GF√2(uνµ γα (1− γ5)uµ

)(ue γα (1− γ5) vνe) (II.60)

wobei wir die Fermi-Konstante

GF√2≡ g2

8m2W

(II.61)

als effektive Kopplungskonstante eingeführt haben. GF = 1.166 · 10−5 GeV−2 quan-tifiziert die Stärke der schwachen Wechselwirkung bei kleinen Energieüberträgen.Wir können die Näherung für die Zerfallsamplitude als Resultat einer effektiven Wech-selwirkung, vermittelt durch einen Operator

Oeff = GF√2

(ψeγα(1− γ5)ψνe

) (ψνµγ

α(1− γ5)ψµ)

(II.62)

in einer effektiven Hamiltondichte ∆Hint auffassen. Die kanonische Massendimensionsolch eines 4-Fermion-Operators ist 6.Der Operator entspricht gerade dem führenden Term in einer OPE für das zeitgeordneteProdukt der beiden leptonischen Ströme∫

d4x eiqxT[J (µ)α (x)J (e)

α (0)]

(II.63)

in der schwachenWechselwirkung, wobei sich der Wilson-Koeffizient aus obiger Matching-Rechnung gerade durch die Fermi-Konstante ausdrücken lässt. Effektiv reduziert sichder W-Boson–Austausch somit auf eine punkt-förmige (d.h. kurz-reichweitige) Wechsel-wirkung.5Für Quarks6 können wir das entsprechend verallgemeinern. Dabei können wir zunächstzwei Fälle unterscheiden:

• semi-leptonische Zerfälle, z.B. b→ ceνe mit

O = GF√2

(ψeγα(1− γ5)ψνe

) (ψcγ

α(1− γ5)ψb)Vcb , (II.64)

wobei wir lediglich zu berüchsichtigen haben, dass zusätzlich das CKM-ElementVcb für den b→ c Übergang auftritt;

5Dies erklärt die Eigenschaften der schwachen Kernkraft.6Genauer gesagt, für q = b, c, s, u, dmitm2

q m2W – Zerfälle des Top-Quarks sind separat zu betrachten.

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– preliminary–

II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

• (geladene) nicht-leptonische Zerfälle, z.B. b→ cud mit

O = GF√2

(ψdγα(1− γ5)ψu

) (ψcγ

α(1− γ5)ψb)VcbV

∗ud , (II.65)

mit entsprechenden CKM-Faktoren für beide Quark-Ströme.

Im Folgende wollen wir anhand des Beispiels b→ cud im Detail die Frage klären, wie maneine Theorie mit effektiven Wechselwirkungsoperatoren höherer Dimension (dim> 4)renormiert, obwohl ja – gemäß unserer allgemeinen Diskussion – der oberflächliche Di-vergenzgrad der Feynman-Diagramme dann in solch einer Theorie mit steigender Ord-nung in der Störungstheorie ansteigt. Verknüpft damit ist die Frage, welche relevanteSkala für die laufende starke Kopplung αs(µ) zu wählen ist, wenn wir es mit mehreren,hierarchisch geordneten externen Skalen zu tun haben,

mW mb > mc ΛQCD mu ∼ md .

Wir werden sehen, dass die Renormierungsgruppe es uns gerade ermöglicht, die Effekteder verschiedenen Skalen systematisch voneinander zu trennen (→ Faktorisierung in dereffektiven Theorie).

II.5.1 Strahlungskorrekturen zu schwachen ZerfällenZur Beschreibung der schwachen Zerfälle von Quarks mit mq mW haben wir zunächstzwei alternative Zugänge:

• Zum Einen können wir SM-Feynmandiagramme in der renormierten Störungsthe-orie für die SM-Eichgruppe SU(3)C × SU(2)L × U(1)Y analysieren.

• Zun Anderen können wir Diagramme in der Niederenergie-Approximation basierendauf der renormierten Störungstheorie für die Eichgruppe SU(3)C ×U(1)Q mit denzusätzlichen lokalen Wechselwirkungsoperatoren in ∆Hint betrachten.

Dabei sind zwei Situationen zu unterscheiden:

(a) Effekte virtuellen Teilchen, die große Impulse tragen, |qµ| ∼ mW

(b) Effekte virtueller Teilchen, die kleine Impulse tragen, |qµ| mW

Die SM-Sichtweise beinhaltet offensichtlich sowohl (a) als auch (b), während die effektiveTheorie nur den Fall (b) diagrammatisch reproduziert. Die Beiträge der hoch-virtuellenQuantenfluktuationen (a) sind im Rahmen des Renormierungsprogramms als Korrek-turterme für die Wilson-Koeffizienten der Operatoren in der effektiven Theorie (bzw.OPE) zu berücksichtigen.(i) Im Sinne der obigen Unterscheidung “triviale” Korrekturen kommen von Schleifendi-agrammen,7 bei denen der W-Boson-Propagator selbst nicht von einem Schleifenim-puls abhängt, das sind gerade die Selbstenergiediagramme und Vertexkorrekturen zu7Ähnliches gilt für reelle Abstrahlung von den externen Fermionlinien

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

den einzelnen schwachen Strömen, die bereits in der renormierten Störungstheorie fürdie SM-Eichgruppe durch entsprechende Z-Faktoren berüchsichtigt werden. Der Im-puls, der vom W-Boson übertragen wird, ist dabei wieder allein durch die externeKinematik bestimmt, und kann somit wieder direkt durch die effektive punktförmigeWechselwirkung ersetzt werden. Die Renormierung dieser Beiträge führt dann lediglichauf die bereits bekannte Verwendung von laufenden Kopplungen g(µ) etc. Insbesonderefür semi-leptonische Zerfälle gibt es nur diese Klasse von Korrekturen, wenn wir unsauf QCD-Korrekturen beschränken, da die hadronischen und leptonischen Ströme dannnicht untereinander wechselwirken und unabhängig voneinander renormiert werden.(ii) Die nicht-trivalen Korrekturen kommen von Diagrammen wie dem Folgenden,

bei denen der W-Boson–Propagator Teil der Schleife ist. Für Schleifenimpulse |qµ| mW kann man den W-Boson-Propagator wieder durch −1/m2

W nähern, und erhält dasentsprechende Schleifendiagramm in der effektiven Theorie. Für große Schleifenimpulsegilt die Näherung nicht, und der entsprechende Beitrag wird zunächst nicht in der ef-fektiven Theorie reproduziert.8 Da dies per Konstruktion aber gerade kurzreichweitigenQuantenfluktuationen entspricht, können wir diese Effekte explizit in der Störungsthe-orie berechnen und die effektive Theorie entsprechend korrigieren. Das Ergebnis dieserKorrektur können wir wieder durch einen lokalen Operator beschreiben, der folgendeForm hat (siehe Übung)

(cLT aγµbL)(dLT aγµuL) αs4π [SM-Integral− ET-Integral] (II.67)

• Aufgrund der QCD-Wechselwirkung zwischen verschiedenen Quarkströmen hatsich nun eine neue Farbstruktur ergeben (Oktett×Oktett).

8Der Unterschied ergibt sich aus der Tatsache, dass schematisch für die entsprechende Schleifenintegralegilt, dass ∫

dDq1

q2 −m2W

f(q) 6= −1m2W

∫dDq

(1 + q2

m2W

+ . . .

)f(q) . (II.66)

wobei die Funktion f(q) alle Terme außer des W-Propagators zusammenfasst. Die linke Seite (SM)generiert dabei i.A. eine nicht-analytische Abhängigkeit von mW , z.B. in der Form lnm2

W /m2b . Die

rechte Seite dagegen hat in beliebiger (endlicher) Ordnung der 1/m2W -Entwicklung nur analytische

Abhängigkeiten von mW in der Form von inversen Potenzen. Andererseits haben beide Ausdrücke fürdas Integral die gleichen nicht-analytischen Abhängigkeiten von den IR-Parametern (externe Massenund Impulse). Die in den Matching-Koeffizienten absorbierte Differenz der beiden Ausdrücke ergibtsich somit i.A. als Funktion von lnµ2/m2

W und αs(µ), mit einer Matchingskala µ, die durch eingeeignetes Regularisierungsverfahren definiert werden muss, s.u.

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– preliminary–

II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

• Die Quarkfelder im Korrekturterm bleiben linkshändig, da die Differenz von SMund ET, wie oben erläutert, nur von hoch-energetischen Gluonen herrührt, fürdie |qµ| & mW mq. D.h. die Quarkmassen können hier vernächlässigt werdenund somit bleibt die Chiralität der Quarks (aus der ursprünglichen linkshändigenschwachen Wechselwirkung im SM) erhalten.

Somit müssen wir für den Fall von nicht-leptonischen Zerfällen wie b → cdu die Oper-atorbasis erweitern. Eine übliche Konvention, die historisch begründet ist, definiert dieOperatoren9

O1 = 4GF√2VcbV

∗ud (ciLγµb

jL) (djLγ

µuiL) ,

O2 = 4GF√2VcbV

∗ud (ciLγµbiL) (djLγ

µujL) , (II.68)

wobei wir die Fierz-Identitäten für die SU(3)-Farbmatrizen ausgenutzt haben (sieheÜbung). Die kurzreichweitigen Korrekturterme absorbieren wir wieder in Wilson-Koef-fizienten für diese Operatoren, so dass

C1 = 0 +O(αs) , C2 = 1 +O(αs) . (II.69)

Das Prinzip dieser “Matching”-Rechnung ist in folgendem Diagramm noch einmal illus-triert:

volle Theorie (SM) = IR-Region (MW →∞) + UV-Region (mb,c → 0)

' +

I(αs; mb

Mw, mc

mb) ' 〈O〉loop(αs; mb

µ ,mc

mb) + C ′(αs; µ

mW)× 〈O′〉tree

l l1-Schleifen Matrixelement desOperators O in Eff. Th.

• unabhängig von MW

(bis auf GF )

• UV-divergent→ Regulator µ

1-Schleifenkoeffizient fürneuen Operator O′ in ET

• unabhängig von mb,c• IR-divergent→ Regulator µ

Die Trennung der IR- und UV-Beiträge im SM-Integral kann dabei besonders einfachrealisiert werden, wenn man dimensionale Regularisierung verwendet und dann – wieangegeben – den Integranden entsprechend entwickelt (mq, pq → 0 für die Matching-Koeffizienten; mW → ∞ für die Diagramme in der ET), vergleiche mit Übung. Die9Wir werden später die Faktoren 4GF√

2 VcbV∗ud explizit in die Definition von ∆Hint absorbieren.

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Matching-Koeffizienten ergeben sich dabei aus der Differenz der Diagramme im SM undin der effektiven Theorie im Grenzfall, dass alle externen Quarkmassen und Impulsevernachlässigt (bzw. zur führenden Ordnung Taylor-entwickelt) werden. Das Feynman-Integral für die Diagramme der effektiven Theorie ist in diesem Limes aber skalen-los (da die W -Masse nur als globaler Faktor GF auftaucht) und verschwindet somit(genauer gesagt ist das Integral proportional zu 1/εUV − 1/εIR). Damit müssen wir inder Tat nur den Limes mq, pq → 0 der SM-Diagramme betrachten. Damit hängen dieMatching-Koeffizienten nur noch von den UV-Parametern der Theorie (hier mW ) undder Matchingskala µ ab und sind somit Funktionen von αs(µ) und lnm2

W /µ2 (und damit

einfacher zu berechnen, als die Diagramme der vollen SM-Theorie). Die Abhängigkeitvon der Matchingskala kommt dann gerade daher, dass die Vernachlässigung der exter-nen Massen und Impulse zu neuen IR-Divergenzen führt, die in D = 4−2ε Dimensionenfür ε < 0 regularisiert werden.10 Die UV-Divergenzen in dem SM-Diagrammen werdendagegen bereits durch die renormierte Störungstheorie der vollen Theorie berücksichtigt.Für unser konkretes Beispiel erhält man so aus der Summe der relevanten Feynman-Diagramme nach MS-Renormierung folgende Ausdrücke:

C2(µ) = 1 + αs(µ)4π

(ln m

2W

µ2 −116

)+O(α2

s) ,

C1(µ) = 0− 3 αs(µ)4π

(ln m

2W

µ2 −116

)+O(α2

s) , (II.70)

wobei sich der relative Faktor (−3) aus der Fierz-Identität für die Farbalgebra ergibt.Die Störungsreihe für die Matchingrechnung konvergiert demnach gut, wenn wir dieMatchingskala von der OrdnungmW wählen, so dass keine großen Logarithmen auftretenund αs(mW ) 1.Umgekehrt erhalten die Diagramme in der ET (jetzt mit endlichen IR-Parametern aus-gerechnet) zusätzliche UV-Divergenzen, da ja der genäherte W -Propagator 1/(q2 −m2W ) → −1/m2

W große Werte von |qµ| nicht mehr unterdrückt und somit den ober-flächlichen Divergenzgrad der Diagramme im Vergleich zum SM erhöht.11 Somit müssenwir gemäß unserer allgemeinen Diskussion neue Z-Faktoren für die Operatoren in ∆Hinteinführen, die die UV-Divergenzen in den Matrixlementen 〈Oi〉 kompensieren. Da die Op-eratoren O1 und O2 unter Strahlungskorrekturen mischen, ergeben sich die Z-Faktorendann als Matrix, so dass

〈Oi〉ren(µ) = Zij 〈Oj〉 mit Zij = δij + δZij . (II.71)

Die UV-Divergenzen von 〈Oi〉 sind dabei mit den IR-Divergenzen der Ci korreliert,und entsprechend müssen sich die µ-Abhängigkeiten zwischen den renormierten Wilson-Koeffizienten und den renormierten Operatoren in physikalischen Amplituden gerade10Diese IR-Divergenzen kompensieren gerade den 1/εIR Anteil der skalenlosen Integrale in der ET. Dort

bleibt dann eine UV-Divergenz übrig, die wir als neuen Z-Faktor für den entsprechenden Operatorin der ET interpretieren werden.

11Dies entspricht gerade dem 1/εUV-Anteil der oben diskutierten skalenlosen Integrale - vgl. Übung.

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II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

aufheben,12 so dass

〈SM〉 ' C1(µ) 〈O1〉(µ) + C2(µ) 〈O2〉(µ) = µ-unabhängig (II.73)

II.5.1.1 Z-Faktoren und anomale Dimensionen

Aus der obigen Diskussion folgt, dass wir für die Berechnung der Z-Faktoren der Opera-toren O1 und O2 im MS-Schema lediglich die UV-divergenten Terme der entsprechendenSchleifendiagramme in der effektiven Theorie benötigen, so dass

O2|ren. = O(0)2 + δZ21O

(0)1 + δZ22O

(0)2 (II.74)

und entsprechend für O1. Aufgrund der Symmetrie des Problems gilt dabei

δZ11 = δZ22 und δZ12 = δZ21 (II.75)

Wir suchen die Matrix der anomalen Dimensionen gemäß

d

d lnµ〈Oi〉(µ) ≡ −γij 〈Oj〉(µ) , (II.76)

wobei γij wieder als Störungsreihe in αs(µ) zu entwickeln ist. In 1-Schleifen-Näherunggilt dabei (analog zu z.B. der Berechnung des führenden Term in der β-Funktion)

γij ' d

d lnµ(−δZij

). (II.77)

Insbesondere benötigen wir also zur Berechnung von γij nur das UV-Verhalten der effek-tiven Theorie. D.h. die γij sind unabhängig von den IR-Beiträgen zu den Operatorma-trixelementen, die z.B. sensitiv auf nicht-perturbative Hadronisierungseffekte sind. Zumanderen ist γij aber auch unabhängig von der exakten Form der zugrunde liegendenHochenergietheorie (in unserem Fall dem SM). Letzteres heisst insbesondere, dass dasVerfahren der effektiven Theorie auch funktioniert, wenn wir die “volle Theorie” nichtkennen (“bottom-up”-Zugang, z.B. für neue Physik jenseits des SM). Wir gehen danni.A. so vor, dass wir die für die Niederenergietheorie relevanten Teilchenfreiheitsgradeidentifizieren (hier: leichte Quarks, Gluonen, Leptonen, Photonen) und alle Operatoren12Eine triviale Illustration liefert folgendes Integral in einer “vollen Theorie” mit hierarchischen Skalen

p2 M2 ∫ M2

p2

dk2

k2︸ ︷︷ ︸ =∫ M2

µ2

dk2

k2︸ ︷︷ ︸ +∫ µ2

p2

dk2

k2︸ ︷︷ ︸ln M

2

p2 = ln M2

µ2 + ln µ2

p2

“großer Log” Beitrag zu C(µ) Beitrag zu 〈O〉(µ)Matching + IR-Regulator ET + UV-Regulator (II.72)

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

zu einer gegebenen Massendimension (hier: 6), die aufgrund von empirischen oder pos-tulierten Symmetrien erlaubt sind (hier z.B. Linkshändigkeit der Ströme) aufschreiben.Wir erhalten dann einen effektiven Wechselwirkungs-Hamiltonian der Form

Heff =∑i

∑n

C(n)i (µ) 1

Λn O(n)i . (II.78)

Die dimensionsbehaftete Skala Λ (hier: Λ2 ∼ G−1F ∼ m2

W ) bestimmt hierbei den Gültigkeits-bereich der effektiven Theorie. Letzteres kann man einsehen, wenn wir Diagramme mitmehrerern Einsetzungen der Operatoren Oi betrachten:

• Die Koeffizienten liefern jeweils einen Faktor 1/Λn1 · 1/Λn2 · · ·

• Die Matrixelemente können aber nur mit den Massen und Impulsen der leichtenFreiheitsgrade skalieren.

• D.h. so langemi, pi Λ können wir Terme mit höheren Potenzen von 1/Λ vernach-lässigen und brauchen nur eine endliche Anzahl von Z-Faktoren für eine endlicheAnzahl von Operatoren zu einer gegebenen Massendimension.

In diesem Sinne sind effektive Theorien mit höher-dimensionalen Operatoren weiterhinrenormierbar (obwohl der oberflächliche Divergenzgrad der Diagramme ansteigt, abereben nur für solche Diagramme, die in der Niederenergietheorie unterdrückt sind).

II.5.1.2 Lösung der RG-Gleichung für die Wilson-Koeffizienten

Wegen

d

d lnµ∑i

Ci(µ) 〈Oi〉(µ) != 0 (II.79)

folgt mit unserer Konvention

d

d lnµCj(µ) = Ci(µ) γij(αs(µ)) oder ~C(µ) = γT (αs(µ)) ~C(µ) . (II.80)

Für gegebene Matrix γ kann man das RG-Verhalten der Wilson-Koeffizienten dannwieder durch Lösen der DGL bestimmen. Mit der üblichen Variablensubstitution schreibenwir

d

dαs~C = γT (αs)

2β(αs)~C . (II.81)

Um die Gleichung formal zu lösen, müssen wir beachten, dass bei der Störungsentwick-lung von Matrizen

γ = γ0αs4π + γ1

(αs4π

)2+ . . . (II.82)

90

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II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

die Koeffizientenmatrizen i.A. nicht kommutieren. Gleiches gilt somit auch für Matrizenbei unterschiedlichem Argument αs,

[γ(α1), γ(α2)] 6= 0 . (II.83)

Formal lässt sich das analog zum Problem des Zeitentwicklungsoperators lösen, wobeijetzt αs die Rolle der Zeit in der Operator- bzw. Matrizen-DGL übernimmt. Wenn wiralso einen Ordnungsoperator bzgl. αs definieren, gemäß,

Tαs f(α1) · f(αk) =

f(α1) · f(αk) für α1 > . . . > αkansonsten entsprechend permutiert (II.84)

Ergibt sich

~C(µ) = Tαs exp[∫ αs(µ)

αs(µ0)dα′s

γT (α′s)2β(α′s)

]~C(µ0) (II.85)

In der Praxis lösen wir die DGL iterativ (siehe Übung). Zur führenden Ordnung stellt sichdas Problem der Matrixordnung nicht, und wir erhalten das Ergebnis für die Leading-Log-Approximation in der üblichen Form (für z.B. µ = mb und µ0 = mW )

~C(mb) '(αs(mb)αs(mW )

)−γT02β0 ~C(mW ) , (II.86)

wobei das Exponential einer Matrix wie üblich in deren Eigenbasis definiert ist.Was haben wir gewonnen?

• Die Koeffizieten Ci(mW ) lassen sich als Störungsreihe in αs(mW ) aus der Matching-Rechnung bestimmen.

• Die mit obiger Formel berechneten Koeffizienten Ci(mb) berücksichtigen die auf-summierte Reihe der führenden Logarithmen lnmb/mW .

• An der neuen Skala µ ∼ mb hängen die Operatormatrixelemente nur noch von derDynamik bei Skalen unterhalb von mb ab.

Somit enthält das so bestimmte Ergebnis die dominanten nicht-analytischen Effekte inder W-Boson-Masse.In unserem Beispiel mit O1 und O2 für b→ cdu ergibt sich (vgl. mit µ-Abhängigkeit vonCi aus Matching-Rechnung)

γ ' αs4π

(−2 66 −2

)(II.87)

Als Eigenwerte/-vektoren ergibt sich einfach

C± = 1√2

(C1 ± C2) , γ± = +4,−8 , (II.88)

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

so dass

C+(mb) '(αs(mb)αs(mW )

)−42β0C+(mW ) ,

C−(mb) '(αs(mb)αs(mW )

)82β0C+(mW ) . (II.89)

Numerisch ergibt sich

C2(mb) ' 1.026 (LL)C1(mb) ' −0.514 (LL)

' −0.303 (NLL) . (II.90)

Insbesondere sehen wir, dass die Strahlungskorrekturen und die Resummation essentiellfür die genaue Bestimmung des Wilson-Koeffizienten C1(mb) sind (naiv war ja C1 Null).

II.5.1.3 Zur Notation L(eading)L(og) vs. N(ext-to)L(eading)L(og):

Die störungstheoretische Konstruktion der Wilson-Koeffizienten beinhaltet zwei Fak-toren, den Wilson-Koeffizienten aus der Matching-Rechnung C(mW ) und den RG-FaktorU(mb,mW ) aus der Lösung der DGL,

C(mb) = U(mb,mW )C(mW ) , (II.91)

mit der allgemeinen Form

U(mb,mW ) = 1 +∑n=1

an αns (mW ) lnn mb

mW+∑n=0

bn αn+1s (mW ) lnn mb

mW+ . . . (II.92)

und

C(mW ) = c0 + c1 αs(mW ) + c2 αs(mW )2 + . . . (II.93)

Die LL-Approximation summiert alle Terme der Form αns lnn auf, d.h.

c0

(1 +

∑n=1

an αns (mW ) lnn mb

mW

)

Die NLL-Approximation summiert (zusätzlich) alle Terme der Form αn+1s lnn auf, d.h.

c0∑n=0

bn αn+1s (mW ) lnn mb

mW

undc1αs

(1 +

∑n=1

an αns (mW ) lnn mb

mW

).

D.h. die endlichen Terme αs4π

116 in der Matching-Rechnung für die Ci(mW ) zählen erst

zur NLL-Approximation mit.

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II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

II.5.2 Anwendung auf hadronischen Zerfall B0 → D+π−

Der Quark-Übergang b→ cdu induziert entsprechende hadronische Zerfälle. Als Beispielbetrachten wir hier den nicht-leptonischen 2-Körper-Zerfall eines B-Mesons im KanalB0 → D+π−. Wir veranschaulichen den Zerfall durch Illustration der sog. “Flavour-Topologien”, welchen den Fluss der entsprechenden Flavour-Quantenzahlen angeben(dies sind zunächst keine Feynman-Diagramme im Sinne der QFT).

Der hadronische Zerfall wird dann durch die Amplitude

〈D+π−|Heff |B0〉 ∼∑i=1,2

Ci(mb) 〈D+π−|Oi|B0〉µ=mb︸ ︷︷ ︸ (II.94)

beschrieben, wobei die hadronischen Übergangsmatrixelement der effektiven Operatorennoch beliebige Quark- und Gluonfluktuationen mit Virtualitäten . m2

b (bzw. auf Ab-ständen & 1/mb) beinhalten.Ein Teil dieser Fluktuationen “faktorisiert” in dem Sinne, dass Gluonen jeweils nurzwischen den Konstituenten im Pion oder zwischen den Konstituenten im B0 → D+–Übergang ausgetauscht werden, aber nicht überkreuz.

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Beschränken wir uns auf solche Beiträge können wir die benötigten Operatormatrixele-mente vereinfachen (→ “naive Faktorisierung”), z.B. für O2 (vgl. Übung)

〈D+π−|(cLγµbL)(dLγµuL)|B0〉 ' 〈D+|(cLγµbL)|B0〉︸ ︷︷ ︸ × 〈π−|(dLγµuL)|0〉︸ ︷︷ ︸hadr. Übergangsformfaktor × Zerfallskonstante

(II.95)

Hierbei sind die beiden Faktoren, in die sich das Matrixelement zerlegen lässt, universell:Der Übergangsformfaktor FB→D(q2) bestimmt auch den semi-leptonischen Zerfall B →D`ν. Die Pion-Zerfallskonstante fπ hatten wir bereits in den Zerfällen π+ → µ+νµ undπ0 → γγ als relevanten hadronischen Parameter identifiziert.Zusätzlich gibt es aber auch nicht-faktorisierende Beiträge, die von Gluonaustausch zwis-chen den Konstituenten im Pion und im B → D–Übergang herrühren.

(i) Ein Beispiel ist in folgendem Diagramm illustriert

. . . etc.

Hierbei fungiert das d-Antiquark als “Spektator” und nimmt nicht an der (ex-plizit betrachteten) Wechselwirkung teil. Diese Beiträge beinhalten also geradeden Niederenergie-Anteil jener Feynman-Diagramme, deren Hochenergie-Anteil inden Wilson-Koeffizienten absorbiert wurde. Entsprechend erwarten wir, dass dieµ-Abhängigkeit der Wilson-Koeffizienten von der µ-Abhängigkeit der nicht-faktori-sierend en Beiträge zu 〈Dπ|Oi|B〉 kompensiert wird (während in naiver Faktorisier-ung die hadronischen Größen FB→D und fπ ja skalen-unabhängige Observablesind).

(ii) Eine zweite Klasse von Diagrammen betrachtet Korrelationen durch Gluonaus-tausch zwischen dem Spektator-Quark im B → D–Übergang und den Konstituent-en im Pion.

• In beiden Fällen sind implizit zusätzlich lang-reichweitige Wechselwirkungen an-genommen, die nicht durch perturbativen Gluon-Austausch approximiert werdenkönnen und u.a. für die hadronische Bindung verantwortlich sind.

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– preliminary–

II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

Es stellt sich die Frage, was wir qualitativ oder quantitativ über die Größe der nicht-faktorisierenden Beiträge aussagen können. Dazu stellen wir fest, dass für die in dembetrachteten Zerfall beteiligten Massen,

mB ≈ 5.3 GeV , mD ≈ 1.9 GeV , mπ ≈ 0 ,

die Energie des Pions (im Ruhesystem des zerfallenden B-Mesons) deutlich größer alsdie QCD-Skala ist,

Eπ 'm2B −m2

D

2mB ΛQCD . (II.96)

Physikalisch heisst das, dass Gluonen, die vom b → c–Übergang abgestrahlt werden,die Konstituenten des Pions effektiv als kleinen Farbdipol sehen, mit ∆x ∼ 1/Eπ.Das entspricht Gluonen mit entsprechend kurzen Wellenlängen, deren Wechselwirkungsomit durch αs(Eπ) störungstheoretisch beschreibbar sein sollte (mit diesen Überlegun-gen macht unsere diagrammatische Illustration oben dann auch Sinn).Wir können dann die Propagatoren in dem partonischen Sub-Diagramm explizit aus-rechnen, wenn wir die Impulse der beteiligten Quarks entsprechend der kinematischenÜberlegungen approximieren. Dazu schreiben wir

pµB ≡ mB vµ mit v2 = 1 ,

pµD ≡ mD v′µ mit v′2 = 1 ,

Eπ ' |~pπ| mit p2π = m2

π ' 0 , (II.97)

und berücksichtigen, dass die Schwerpunktsbewegung eines schweren B- oder D-Mesonsin erster Näherung durch das beteiligte schwere Quark gegeben ist und sich die Kon-stituenten in einem geboosteten Pion weitgehend parallel zum Pion bewegen und sichden Impuls entsprechend aufteilen. Somit

pµb ' mb vµ , pµc ' mc v

′µ ,

pµd ' x pµπ , pµu ' (1− x) pµπ mit 0 ≤ x ≤ 1 . (II.98)

Bezeichnet man in obigem Diagramm den Gluon-Impuls mit `µ, so lauten die beidenbeteiligten Propagatornenner

((1− x)pπ + l)2 und (mcv′ + `)2 .

• Die zur Klasse (i) von nicht-faktorisierenden Diagrammen gehörenden Schleifenin-tegrale sind somit allgemein Funktionen der kinematischen Variablen

m2c , m

2b , v · pπ, v′ · pπ ΛQCD

und somit in der Tat durch Skalen der Größenordnung Eπ dominiert.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

• Als neues Feature erhalten wir jetzt aber auch eine Abhängigkeit vom angenomme-nen Impulsbruchteil x der Quark-Konstituenten im Pion. D.h. zusätzlich zu un-serem perturbativen Resultat bei gegebenem x benötigen wir die entsprechendeWahrscheinlichkeitsamplitude φπ(x) einen Quark-Antiquark–Zustand mit Impul-saufteilung x im Pion zu finden. Die Funktion φπ(x) wird offensichtlich durchnicht-perturbative Physik bestimmt, die die hadronische Bindung der Quarks imPion beschreibt. Als solches repräsentiert φπ(x) aber wieder eine universelle Eigen-schaft des Pions (in gleichem Sinne wie fπ), die auch in anderen Prozessen mitschnellen Pionen relevant ist.

Somit lässt sich die naive Faktorisierungsformel verbessern13

〈D+π−|Oi|B0〉 ' FB→D(q2 = m2π)∫ 1

0dx ti(x,mc,mb;µ)︸ ︷︷ ︸ · fπ φπ(x;µ)︸ ︷︷ ︸

mit∫ 1

0dxφπ(x;µ) ≡ 1 . (II.99)

• Hierbei bezeichnet ti den kurzreichweitigen Anteil, der sich aus der perturbativenAmplitude des partonischen Diagramms mit dem entsprechenden Operator O1,2ergibt. Wir können dies als Verallgemeinerung von Wilson-Koeffizienten auffassen,wobei wir es jetzt mit perturbativen Koeffizientenfunktionen ti(x) zu tun haben.

• Entsprechend lässt sich φπ(x) als Matrixelemente eines kontinuierlichen Satzes vonNiederenergie-Operatoren (bei gegebenem x) interpretieren. Anstelle der Summeüber diskrete Operatoren mit Koeffizienten erhält man dann wie angegeben ein(Konvolutions-)Integral über x. Die Operatoren haben i.A. wieder anomale Di-mensionen, die die µ-Abhängigkeit der Funktion φπ(x;µ) bestimmen.

• Auf tree-level, sind die Koeffizientenfunktionen ti unabhängig von x, und mit derangegebenen Normierungsvorschrift für φπ(x) reproduziert man die naive Fak-torisierungsformel.

• Zusammen mit den Wilson-Koeffizienten C1,2(µ) aus Heff erhält man dann ein Re-sultat für die physikalische hadronische Amplitude, was (in der gegebenen OrdnungStörungstheorie) nicht mehr von µ abhängt.

Auf diese Weise haben wir die relevanten physikalischen Skalen voneinander getrennt:

• Die Effekte von der kurzreichweitigen Dynamik mit der relevanten elektroschwachenSkala mW sind in den Wilson-Koeffizienten Ci.

• Die Effekte von intermediären Skalen Eπ ∼ mb ∼ mc sind in den Koeffizienten-funktionen ti.

13 gemäß [Beneke/Buchalla/Neubert/Sachrajda 1999/2000]

96

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– preliminary–

II.5 Elektroschwache Übergänge zwischen Quarks

• Die langreichweitigen hadronischen Effekte sind in den (universellen) Formfak-toren, Zerfallskonstanten und Distributionsamplituden φπ(x) parametrisiert.

• Die Trennung der dynamischen Skalen wird durch die RG-Gleichungen für dieeinzelnen Faktoren störungstheoretisch kontrolliert.

Obige Faktorisierungsformel (für (exklusive) hadronische Zerfallskanäle) erhält aber nochweitere Korrekturen von den oben erwähnten Diagrammen der Klasse (ii), bei denen dasSpektatorquark involviert ist, sowie einer weiteren Flavour-Topologie (“Annihilation”),

Da in diesen Fällen (mindestens) alle 6 Konstituenten beteiligt sind (im Gegensatz zu den4 Konstituenten im Fall (i)), sind die Beiträge dieser Diagramme tatsächlich mit 1/Eπunterdrückt. Die quantitative theoretische Abschätzung dieser Beiträge (sog. “powercorrections”) ist aber extrem schwierig. Aus der detaillierten Analyse der experimentellenMessungen für verschiedene B → Dπ Zerfälle ergibt sich, dass die power corrections inexklusiven B-Zerfällen typischerweise von der Größenordnung 30-35% sein können.

II.5.3 “Pinguin”-OperatorenDer bisher betrachtete Flavour-Übergang b→ cdu war speziell, in der Hinsicht, dass allebeteiligten Quarkflavours unterschiedlich gewählt waren. Komplexere Situationen sindmöglich, wenn ein qq-Paar mit gleichem Flavour beteiligt ist. Als Beispiele betrachtenwir im Folgenden

b→ suu und b→ scc .

(Analog kann man b → dqq diskutieren.) Aus den schwachen SM-Strömen erhalten wirwieder effektive Operatoren mit der Struktur

4GF√2VubV

∗us (uLγµbL)(sLγµuL) −→ λuO(u)

2 ,

4GF√2VcbV

∗cs (cLγµbL)(sLγµcL) −→ λcO(c)

2 , (II.100)

wobei wir die Abkürzung λx = VxbV∗xs eingeführt haben. QCD-Korrekturen erzeugen

auch wieder entsprechende Operatoren O(u,c)1 mit entgegengesetzter Farbstruktur.

Da die starke Wechselwirkung aber nicht zwischen

qq = uu, dd, ss, cs, bb

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

oder zwischen

qTAq = uTAu, dTAd, sTAs, cTAs, bTAb und GAµν

unterscheiden kann, müssen wir alle Operatoren mit den gleichen Quantenzahlen wie b→sqq und b→ sg simultan betrachten. Unter Berücksichtigung von QCD-Wechselwirkungenkönnen solche Prozesse aber nicht nur durch W -Bosonaustausch zwischen elementarenschwachen Strömen wie in O(u,c)

2 induziert werden, sondern auch durch sog. “Pinguin-Diagramme”

wobei virtuelle u, c, t-Quarks in einer Schleife mit dem W-Boson laufen und ein virtuellesGluon abstrahlen, welches demokratisch in qq zerfallen kann. Die Matching-Rechnung fürden entsprechenden effektiven Hamiltonian liefert dann 2 Klassen von neuen Operatoren:

“strong penguins” O3−6

“chromomagnetic penguin” Og8Die Operatorstruktur der Pinguin-Operatoren kann folgendermaßen gewählt werden:

O3,5 ∝ (sLγµbL)∑

q=u,d,s,c,b(qγµ 1∓ γ5

2 q) ,

O4,6 ∝ (siLγµbjL)

∑q=u,d,s,c,b

(qjγµ 1∓ γ52 qi) , (II.101)

wobei die entsprechenden Wilson-Koeffizienten C3,5 gegenüber C1,2 mit αs (und einemtypischen Schleifenfaktor von 1/(4π)2) unterdrückt sind, und C4,6 wieder erst durchzusätzlichen gluonischen Farbaustausch entstehen.

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

Die Form des chromomagnetischen Operators ist durch Eich- und Lorentz-Invarianzfestgelegt,

Og8 ∝gsmb

4π2 (sLσµνTAbR)GAµν . (II.102)

Hierbei fällt auf, dass aufgrund der notwendigen Lorentz-Struktur ein rechtsändiges b-Quark-Feld auftaucht, weswegen ein zusätzlicher Faktor mb berücksichtigt werden muss,welcher den Chiralitäts-Flip des b-Quarks reflektiert (ein entsprechender Operator mitrechtshändigen s-Quark ist dann mit ms/mb 1 unterdrückt und wird üblicherweisevernachlässigt). Zusammen mit der Massendimension der 2 Fermionfelder und dem glu-onischen Feldstärketensor ergibt sich dann wieder ein effektiver dim-6 Operator, mit dergleichen Dimension wie die 4-Quark-Operatoren.Der CKM-Faktor für die Pinguin-Operatoren ergibt sich aus folgender Überlegung. DasSchleifenintegral mit q = u, c, t-Quarks in den Pinguin-Diagrammen ist eine FunktionI(xq = mq/mW ). Die Summe über die 3 Beiträge ergibt mit mu,c ≡ 0 in der Matching-Rechnung,∑

q=u,c,tVqbV

∗qs I(xq) = λt I(xt) + (λu + λc) I(0) = λt (I(xt)− I(0)) , (II.103)

wobei wir λu + λc + λt = 0 aus der Unitarität der CKM-Matrix benutzt haben.

• Der gesuchte CKM-Faktor ist also λt.

• Die Wilson-Koeffizienten, die durch die Integrale I(xt) − I(0) definiert werden,sind direkt sensitiv auf die Top-Quark–Masse (oder, im Falle von neuer Physikim elektroschwachen Sektor, auf Massen von hypothetischen neuen Teilchen). Ins-besondere, konnte man durch das Studium von solchen Top-Quark-induziertenhadronischen Übergängen bereits Abschätzungen von mt vor dessen direkter Ent-deckung am Tevatron gewinnen.

Zusammengefasst ergibt sich dann für den relevanten effektiven Hamiltonian als Summeüber alle beitragenden Operatoren mit dim-6 der Ausdruck

Heff(b→ sqq, b→ sg) = 4GF√2

2∑i=1

Ci(µ)(λuO(u)

i + λcO(c)i

)

− 4GF√2λt

( 6∑i=3

Ci(µ, xt)Oi + C8(µ, xt)Og8

). (II.104)

Unter Renormierung können die Operatoren wieder mischen, und die Lösung der RG-Gleichung beinhaltet eine entsprechend große Matrix von anomalen Dimensionen.

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCDAls weiteres wichtiges Anwendungsgebiet der störungstheoretischen Behandlung vonkurzreichweitiger QCD-Dynamik in Hochenergieprozessen betrachten wir die sog. tief-

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

inelastische Streuung von hochenergetischen Elektronen an Protonen, wobei ein be-liebiger (d.h. “inklusiver”) hadronischer Endzustand |X〉 6= |p〉 erzeugt wird. Wir be-schränken uns zunächst auf Streuung durch Austausch eines virtuellen Photons (derZugang ist direkt verallgemeinerbar auf den Austausch elektroschwacher Eichbosonen,der bei Energien & mW,Z relevant wird).

Für die Beschreibung der Kinematik ist folgende Notation üblich:

Elektron: kµ bzw. k′µ , mit k2 = k′2 ' 0 ,Photon: qµ = kµ − k′µ , mit Q2 = −q2 > 0 ,Proton: pµ , mit p2 = m2 Q2 . (II.105)

Weiterhin definieren wir die Abkürzungen

ν ≡ p · q → m (E − E′) , (Energieübertrag im Ruhesystem des Protons)

x ≡ Q2

2 p · q , “Bjorken-Variable”

Bjorken limit: Q2, p · q →∞ , x = const.

y ≡ p · qp · k

→ 1− E′

E. (II.106)

Mit dieser Notation können wir allgemein die Streuamplitude angeben:

iM(ep→ eX) = −ie u(k′)γαu(k) · −iq2 ie 〈X|jα|p〉 (II.107)

mit dem hadronischen Anteil des elektromagnetischen Stroms,

jα =∑q

eq qγαq . (II.108)

Daraus erhalten wir wie üblich den differentiellen Wirkungsquerschnitt (Amplituden-quadrat gemittelt über die Spineinstellungen, Flussfaktor, Phasenraum)

dσ = 14s e

2 tr(k/′γαk/γβ

) 4πe2

Q4 Wαβ(p, q) dk′ (II.109)

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

wobei wir die hadronischen Anteile in den sog. “hadronischen Tensor”

Wαβ ≡1

4π∑∫

(2π)4 δ(4)(p+ q − pX) 〈p|j†β|X〉〈X|jα|p〉 (II.110)

definiert haben, welcher die Phasenraumintegration für die (beliebigen) Endzustände |X〉enthält, und bei dem im hadronischen Matrixelement implizit über die Spineinstellungendes Protons zu mitteln ist. Den Flussfaktor s = (p+ k)2 = Q2/xy und die Spur für denleptonischen Tensor,

Lαβ = e2 tr(k/′γαk/γβ

)= 4e2

(kαk′β + kβk′α − k · k′ gαβ

), (II.111)

können wir explizit ausrechnen. Die Form des hadronischen Tensors, welcher die zunächstunbekannte Information über die Hadronisierung der “Bruchteile” des Protons zumEndzustand enthält, kónnen wir analog zu z.B. den elektromagnetischen Formfaktorenwieder durch Symmetriebetrachtungen einschränken (Lorentz-Invarianz, Symmetrie bzg.α↔ β, Stromerhaltung qαWαβ = 0, Paritätserhaltung in der QED). Daraus ergibt sichfolgende Zerlegung,14

Wαβ(p, q) =[−gαβ + qαqβ

q2

]F1(x,Q2)

+[pα −

p · qq2 qα

] [pβ −

p · qq2 qβ

] 1p · q

F2(x,Q2) . (II.112)

Sämtliche hadronische Information steckt somit in 2 unabhängigen“Proton-Strukturfunktionen” F1,2(x,Q2) ,

die wir als Verallgemeinerung des Konzepts von Formfaktoren auffassen können, wobeiallerdings jetzt

• F1,2 von zwei kinematischen Variablen, x,Q2, abhängen.

• Die Strukturfunktionen nun den Streuquerschnitt (Wahrscheinlichkeit) parametrisieren,und nicht die Streuamplitude (Wahrscheinlichkeitsamplitude) wie im Falle derFormfaktoren.

Mit diesen Konventionen lässt sich das allgemeine Resultat für den differentiellen Streu-querschnitt als Funktion von x,Q2 relativ einfach notieren,

dx dQ2 = 4πα2

Q4

[(1 + (1− y)2

)F1 + 1− y

x(F2 − xF1)

], (II.113)

wobei der letzte Term in eckigen Klammern gerade dem longitudinalen Anteil des Photon-Propagators entspricht (siehe Übung). Aus der experimentellen Messung von dσ (z.B.am SLAC (Stanford) oder bei HERA@DESY (Hamburg)) lassen sich somit die Struk-turfunktionen als Observable ausmessen.14Im Falle der schwachen WW ergibt sich eine weitere Struktur, siehe Übung.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

II.6.1 PartonbildFür die theoretische Interpretation können wir die Tatsache benutzen, dass das Elek-tron für große Streuenergien ein Lorentz-kontrahiertes Proton “sieht” und somit quasieinen “Schnappschuss” der Quarkverteilung im Proton. Während der kurzen Wechsel-wirkungszeit des Elektrons mit dem Proton erwarten wir deshalb, dass wir den Stre-uprozess durch elementare Photon-Wechselwirkungen mit einem der asymptotisch quasi-freien Quarks (allg.→ “Partonen”) approximieren können, wobei dieWahrscheinlichkeit,ein Quark mit einem bestimmten Impuls(bruchteil) im Proton zu finden, zunächst un-bekannt ist. Wir schreiben deshalb in erster Näherung

Wαβ(p, q) '∑q

∫ 1

0dξ fq(ξ)

1ξW part.αβ (ξp, q) , (II.114)

wobei fq(ξ) dξ die Wahrscheinlichkeit bezeichnet, ein Quark mit (longitudinalem) Im-pulsbruchteil ξ im Proton zu finden, mit 0 ≤ ξ ≤ 1. Der Faktor 1/ξ berücksichtigt denUnterschied des Flussfaktors für ep und eq-Streuung, wegen s = (ξp + k)2 ' ξ s. Denverbleibenden partonischen Tensor für eq-Streuung können wir versuchen, perturbativzu berechnen. Das führende Diagramm für Elektron-Quark-Streuung (mit einlaufendemQuarkimpuls ξp und auslaufendem Impuls p′ = ξp + q, sowie dem Ladungsanteil eq)ergibt dann

W partαβ = 1

∫dp′ (2π)4δ(4)(ξp+ q − p′) e2

q

12Nc

∑[u(p′)γβu(ξp)

] [u(ξp)γαu(p′)

](II.115)

Betrachten wir die On-shell–Bedingung δ(p′2) in dp′ für das auslaufende Quark, ergibtsich insbesondere, dass

δ(p2) = δ((ξp+ q)2) = δ(2ξ p · q −Q2) = 12 p · q δ(ξ − x) , (II.116)

d.h. in führender Ordnung der Störungstheorie entspricht der Impulsanteil ξ des Quarksim (theoretischen) Partonbild gerade der (experimentellen) kinematischen Variablen x !Die restlichen Faktoren lassen sich explizit zusammen fassen, und wir erhalten als Näherungfür den differentiellen Wirkungsquerschnitt

dx dQ2 '4πα2

Q4∑q

e2q fq(ξ = x) 1

2(1 + (1− y)2

). (II.117)

Vergleich mit der allgemeinen Formel liefert dann die Näherung für die Strukturfunktio-nen im Partonbild

F2(x,Q2) ' 2xF1(x,Q2) '∑q

e2q x fq(x) . (II.118)

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

Diskussion:

• Die Strukturfunktionen sind (approx.) unabhängig von Q2. Dies rührt zum einendaher, dass wir m2/Q2 → 0 approximiert haben, zum anderen, dass wir die Streu-ung an punktförmigen, strukturlosen freien Quarks betrachtet haben. Somit ste-ht (klassisch) keine Referenzskala für die dimensionslosen Strukturfunktionen zurVerfügung. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als

“Bjorken-Scaling”

• F1 und F2 sind (approximativ) linear abhängig“Callan-Gross–Relation”

Die Relation besagt gerade, dass die longitudinalen Photon-Polarisationen in eq-Streuung nicht beitragen, was eine Konsequenz der Streuung an masselosen Spin-1/2 Fermionen ist. Die experimentelle Überprüfung der Callan-Gross-Relation liefertalso einen Hinweis auf den Spin von Quarks im Proton.

• Die Strukturfunktion F2(x) liefert ein direktes Maß für die Impulsverteilung x fq(x)der Quarks im Proton.

• Die Näherung für F1,2(x) ist experimentell über viele Größenordnungen von Q2

im Rahmen der erwarteten Genauigkeit erfüllt. Abweichungen werden allerdingsbeobachtet. In der perturbative QCD erwarten wir Abweichungen, die wieder überdas logarithmische Laufen der starken Kopplung αs(Q2) ins Spiel kommen,

F1,2(x)→ F1,2(x, αs(Q2))

• Ein detailliertes Bild der einzelnen Quarkflavours im Proton kann über Kombi-nation mit Daten für tief-inelastische Streuung mit W/Z-Bosonen, an Neutronen(in Kernen) oder mit polarisierten Teilchen gewonnen werden. Die Ergebnisse nu-merischer Fits an die Daten findet man u.a. unterhttp://durpdg.dur.ac.uk/HEPDATA/PDF

Man beachte, dass in der relativistischen Beschreibung des Protons die Teilchenzahlnicht erhalten ist. Somit können die (hier zunächst heuristisch eingeführten) Parton-verteilungsfunktionen (“parton distribution functions”, PDFs) im Rahmen der QCDunabhängig für Quarks, Antiquarks (für jeweils verschiedene Flavours, q = u, d, s, . . .)und auch Gluonen im Proton definiert werden. Diese erfüllen jedoch gewisse “Sum-menregeln”, welche z.T. das naive (nicht-relativistische) Konstituentenbild des Protonswiderspiegeln.

• Die (Gesamt)-Ladung des Protons ist Eins. Deshalb gilt∫dξ

∑i=q,q′

ei fi(ξ) =∫dξ∑q

eq (fq(ξ)− fq(ξ))︸ ︷︷ ︸ = 1 (II.119)

wobei wir die Kombination von (fq(ξ)− fq(ξ)) als “Valenzquarkverteilung”bezeichnen.

103

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

• Die Integrale über die Valenzverteilungen der einzelnen Flavours ergeben geradedie Zahl der Valenzquarks im naiven Konstituentenmodell,

∫dξ (fq(ξ)− fq(ξ)) =

2 für q = u1 für q = d0 für q = s, c, . . .

(II.120)

und deren Summe ergibt entsprechend 3 (entspricht der Erhaltung der Baryon-zahl).

• Den (normierten) Gesamtimpuls des Protons erhalten wir aus

1 =∫dξ ξ

∑i=q,q

fi(ξ) + fg(ξ)

(II.121)

Vergleich mit dem Experiment zeigt, dass tatsächlich ca. 50% des Protonimpuls intief-inelastischen Streuprozessen von Gluonen beigetragen werden !

II.6.2 Operatordefinition der PartonverteilungsfunktionenFür die formale Diskussion der PDFs benötigen wir eine Operatordefinition, die wir imFolgenden aus der Definition des hadronischen Tensors ableiten werden, indem wir diephysikalischen Approximationen, die zum Partonbild geführt hatten, in feldtheoretischeAussagen übersetzen. Ausgangspunkt ist die Definition

Wαβ(p, q) = 14π

∫d4z ei(q+p−pX)·z

∫∑X

〈p|j†β(0)|X〉〈X|jα(0)|p〉∣∣∣spin−avg.

(II.122)

wobei wir die δ-Funktion für die Impulserhaltung als Fourierintegral dargestellt haben.Durch Ausnutzen der Translationsinvarianz der hadronischen Matrixelemente könnenwir die Wirkung von ei(p−pX)z als Translation in z für z.B. das ersten Matrixelementinterpretieren, und somit

Wαβ(p, q) = 14π

∫d4z ei q·z

∫∑X

〈p|j†β(z)|X〉〈X|jα(0)|p〉∣∣∣spin−avg.

(II.123)

Wenn wir jetzt berüchsichtigen, dass |X > ja einem vollständigen Satz von (möglichen)Endzuständen darstellt, ergibt sich eine Form, die ähnlich aussieht, wie wir es bereitsbei der Diskussion für die OPE mittels des optischen Theorems für das R-ratio gesehenhatten,

Wαβ(p, q) = 14π

∫d4z ei q·z 〈p|j†β(z)jα(0)|p〉

∣∣∣spin−avg.

(II.124)

Die Streuung am Quark im Partonbild, entspricht dann gerade dem Imaginärteil vonfolgendem sogenannten “Handbag”-Diagramm15

15Um das optische Theorem zu erfüllen, müssten wir formal das zeitgeordnete Produkt der beiden Strömebetrachten. Da wir uns an dieser Stelle aber sowieso auf eine Zeitordnung für Quarkpropagation von0 nach z beschränken, macht das keinen Unterschied.

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

Für die Berechnung des Diagramms vernachlässigen wir wieder die Protonmasse gegenüber√Q2 und führen sog. Lichtkegelvektoren ein gemäß

pµ = p (1, 0, 0, 1) , p2 = 0 ,

nµ ≡ 12p (1, 0, 0,−1) , n2 = 0 , (II.125)

so dassn · p = 1 .

Wir betrachten dann ein Bezugsystem, in dem n · q ≡ 0, so dass wir den Impulsübertragschreiben können als

qµ ≡ p · q nµ + qµ⊥ , q2 = q2⊥ < 0 (II.126)

mit

a⊥ · n = a⊥ · p = 0 , (II.127)

so dass a⊥ einen 2-dimensionalen, raumartigen Vektor beschreibt.Die Streuung am freien Quark entspricht dann gerade der folgenden Faktorisierung deshadronischen Tensors Wαβ,

Wαβ → 14π

∫d4z ei q·z

∑q

e2q 〈p|q(z)ai q(0)bj |p〉spin

× γαkjγβil 〈0|q(z)

al qbk(0)|0〉︸ ︷︷ ︸ . (II.128)

Der letzte Term repräsentiert gerade den Imaginärteil des Quarkpropagators im Handbag-Diagramm, mit dem bekannten Ergebnis

〈0|q(z)al qbk(0)|0〉 =∫dp′ e−ip

′·z δab (/p′)lk . (II.129)

Für die weitere Diskussion ist es nützlich, auch den anderen Faktor als Fourierintegralzu schreiben,

〈p|q(z)ai q(0)bj |p〉spin ≡∫

d4k

(2π)4 eikz Bab

ji (p, k) (für jedes Quark q) (II.130)

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Damit können wir die z-Integration explizit ausführen und erhalten

Wαβ(p, q) = 14π

∫d4k

(2π)4

[γα(/k + /q)γβ

]ij

(2π) δ((q + k)2)∑q

e2q B

aaji (p, k) . (II.131)

Wir können auf den Beitrag zur Strukturfunktion F2 projizieren, indem wir

F2(x,Q2) = (p · q)nµnνWµν(p, q) (II.132)

benutzen (siehe Übung). Weiterhin zerlegen wir den Fourierimpuls kµ in Lichtkegelkom-ponenten,

kµ ≡ ξ pµ + k2 + |k2⊥|

2ξ nµ + kµ⊥

Hierbei ist der erste Term groß, weil |pµ| groß und ξ endlich. Die beiden anderenTerme sind klein, so lange die transversalen Impulskomponenten sowie die Virtualität k2

beschränkt sind, was durch die Funktionen B(p, k) gewährleistet sein muss (und unseremBild von kollinearen Partonen im schnellen Proton entspricht). Somit können wir dasArgument der on-shell δ-Funktion wieder approximieren,

δ((q + k)2) ≈ δ(2ξ p · q −Q2) = 12 p · q δ(ξ − x) mit ξ = n · k (II.133)

Damit vereinfacht sich auch der Ausdrück für die Strukturfunktion weiter,

F2(x,Q2) =∑q

e2q

14

∫d4k

(2π)4 δ(n · k − x)[/n (/k + /q) /n

]ijBaaji (p, k)

=∑q

e2q

14

∫d4k

(2π)4 δ(n · k − x)2n · k tr [/nBaa(p, k)]

!=∑q

e2q x fq(x) (II.134)

Durch Vergleich finden wir so den gewünschten Zusammenhang zwischen der Parton-verteilungsfunktion und dem Operatormatrixelement B(p, k),

fq(x) = 12

∫d4k

(2π)4 δ(x− n · k) tr[/nBaa(p, k)]

= 12

∫d4k

(2π)4 d4z e−ikz δ(x− n · k) 〈p|q(z) /n q(0)|p〉spin

=∫dλ

4π e−iλx 〈p|q(z) /n q(0)|p〉spin , (II.135)

wobei wir im letzten Schritt δ(x− nk) =∫ dλ

2π e−iλ(x−nk) verwendet haben und die dann

verbleibenden trivialen Integrationen explizit ausgeführt haben.Interpretation:

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

• fq(x) ergibt sich also als Fourier-Transformierte des Protonmatrixelements einesnicht-lokalen Operators. Genauer gesagt sind die beiden Quarkfelder entlang desLichtkegels separiert, der durch unseren Lichtkegelvektor nµ definiert wird.Wir können dies als eine Erweiterung des OPE-Konzepts ansehen, wobei wir jetztalso das Produkt der elektromagnetischen Ströme auf dem Lichtkegel entwickeln,

j†(z)j(0) −→ Oi(λn) (Lichtkegel-OPE)

Begründung für die Anwendbarkeit der Lichtkegel-OPE war dabei, dass die transver-salen Impulse und die Virtualitäten der Partonen im Proton klein gegenüber Q2

sind, die Impulskomponente n · k = ξ aber von der Ordnung 1 ist.

• Wie im Fall der lokalen OPE erwarten wir wieder, dass die nicht-triviale Renormierungder Lichtkegel-Operatoren eine Skalen-Abhängigkeit induziert, so dass

fq(ξ)→ f(ξ, µ2) mit µ2 ∼ Q2

Für hinreichend große Werte von Q2 sollte die Skalenabhängigkeit perturbativberechenbar sein.

• Abgesehen davon sind die so definierten Partonverteilungsfunktionen universellehadronische Funktionen, die die Struktur des Protons (in einem gegebenen Renormierungs-schema) charakterisieren.

Wir können insbesondere die Wahrscheinlichkeitsinterpretation der so definierten Funk-tion fq(ξ) nachprüfen. Es gilt mit der Def. von nµ

q(λn) /n q(0) = 12p0

[q(λn)γ0q(0) + q(λn)γ3q(0)

]= 1p0

[q(λn)γ0q(0)

], (II.136)

wobei aufgrund der Dirac-Gleichung, 0 = /p q = p0(γ0 − γ3) q, so dass die Ausdrücke mitγ0 und γ3 gleich beitragen. Damit erhalten wir∫

dξ fq(ξ) = 12

1p0〈p|q(0)γ0q(0)|p〉 = 1

2p0 〈p|q†(0)q(0)|p〉

√(II.137)

welches gerade den Anzahloperator für (freie) Quarks enthält, sowie die korrekte rela-tivistische Normierung des Protonmatrixelements mit 1/2p0.

II.6.3 Strahlungskorrekturen zum PartonbildIn der Herleitung des Partonbilds für die tief-inelastische Streuung hatten wir impliziteine Faktorisierung der Dynamik in einen partonischen Subprozess (“harte Streuung”des Partons am Elektron, eq → eq) und eine (nicht-perturbative) Partonverteilung imProton (“weiche” Dynamik) angenommen. Wenn wir den WQ als Imaginärteil der Vor-wärtsstreuamplitude betrachten, entspricht das gerade dem oberen bzw. unteren Teil desHandbag-Diagramms,

107

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

↑ harte (partonische) Streuung

↓ (nicht-perturbative) Parton-verteilungsfunktion

Wenn wir jetzt zusätzliche (reelle und virtuelle) Gluonabstrahlung berücksichtigen, stelltsich offensichtlich wieder die Frage, ob wir die dadurch beschriebenen Quantenfluktua-tionen dem partonischen Streuprozess oder den Partonverteilungen zuordnen.Qualtitative Diskussion:Betrachten wir z.B. das folgende Diagramm für reelle Gluonabstrahlung vom einlaufend-en Quark,

Dies kann zum Einen als Teil des partonischen Subprozess eq → eq+g aufgefasst werden,siehe Fall (a) in nachfolgender Abbildung (in der Abb. entspricht x → ξ und xB → x).Andererseits kann es als Modifikation der ursprünglichen Quarkverteilung aufgefasstwerden (Fall (b)).

Offensichtlich brauchen wir als Kriterium wieder eine Referenzskala, die festlegt, ob dieVirtualität der intermediären Propagatoren (hier l2 = (ξp − p2)2) als groß (hart) oderklein (weich) aufgefasst werden soll.

• Für (ξp−p2)2 > µ2 absorbieren wir die Korrektur dann in Koeffizientenfunktionenfür die harte Streuung. Da das zusätzliche reelle Gluon einen positiven Impuls-bruchteil trägt, gilt für diese Beiträge nicht mehr ξ = x, sondern vielmehr dieUngleichung

0 ≤ x ≤ ξ ≤ 1 .

108

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

• Für (ξp−p2)2 < µ2 berücksichtigen wir die Korrektur durch die Renormierung derOperatormatrixelemente auf dem Lichtkegel 〈p|q(λn)/nq(0)|p〉.

Für die Struktur der korrigierten Faktorisierungsformel, die den Zusammenhang zwis-chen der Strukturfunktion und den Partonverteilungsfunktionen (für ein gegebenes Quarkmit Flavour q) beschreibt, erwarten wir deshalb die folgende Form. Ausgehend von derLO-Formel (naives Partonbild)

LO: F2(x,Q2)LO = x e2q f

(0)q (x) = x e2

q

∫ 1

0dξ δ(ξ − x) f (0)

q (ξ)

= x e2q

∫ 1

0

ξδ

(1− x

ξ

)fq(ξ) , (II.138)

erhalten wir zur Ordnung αs

NLO: F2(x,Q2)LO = x e2q

αs2π

∫ 1

x

ξδC(1)

(x

ξ,Q2

µ2

)f (0)q (ξ)

+αs2π

∫ 1

x

ξδ

(1− x

ξ

)δf (1)q

(ξ,

µ

ΛQCD

)(II.139)

Bei der perturbativen Berechnung der Korrektur zu den Koeffizientenfunktionen δC(1)

(für die angenommene Lichtkegelkinematik) sollten wieder IR-Divergenzen auftreten, diegerade mit den UV-Divergenzen bei der Renormierung des Lichtkegeloperators (aus derKorrektur zur PDF, δfq) korrespondieren, so dass die induzierte µ-Abhängigkeit in derSumme der beiden Beiträge herausfällt.Wenn wir das allgemein zusammenfassen, lautet die verbesserte Faktorisierungs-formel also

F2(x,Q2) = x∑q

e2q

∫ 1

x

ξC

(x

ξ,Q2

µ2

)fq

(ξ,

µ

ΛQCD

)+ . . . (II.140)

Hierbei ist zu betonen, dass

• die Strukturfunktion nicht von µ abhängt;

• die Koeffizientenfunktionen nur von den dimensionslosen Verhältnissen x/ξ undQ2/µ2 (und implizit von αs(µ)) abhängen;

• die Partonverteilungsfunktionen nicht von Q2 (aber implizit von ΛQCD) abhängen.

Man beachte, dass in führender Ordnung

C

(x

ξ,Q2

µ2

)= δ(1− x/ξ) +O(αs) (II.141)

bereits eine mathematische Distribution darstellt. Wir erwarten deshalb auch für dieKorrekturterme mathematische Distributionen in der Variablen z = x/ξ.

109

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Wir erwarten weiterhin, dass die Störungsreihe für die Koeffizientenfunktionen mit derWahl µ ∼ Q gut konvergiert (keine großen Logarithmen ln Q2

µ2 ). Wie im Falle derlokalen OPE erlaubt uns die Faktorisierungsformel somit wieder, eine RG-Gleichungaufzustellen, die große Logarithmen der Form ln Q2

Q20resummiert, so dass wir die theo-

retischen Vorhersagen für F2(x,Q2) bei verschiedenen Impulsüberträgen vergleichen kön-nen. Damit sollten sich logarithmische Korrekturen zum Bjorken-Scaling ergeben,die störungstheoretisch berechenbar sind.

II.6.3.1 Explizite Berechnung der Korrekturen

Zur Berechnung der gluonischen Korrekturen ist es günstig, ein ganz bestimmte physikalis-che Eichung für die Gluonfelder zu wählen. Wir definieren eine axiale Eichung bzgl. desLichtkegelvektors nµ, so dass

nµAµ != 0 , (II.142)

und die Polarisationssumme im Gluonpropagator lautet dann entsprechend

∑λ

ε∗µ(k, λ)εν(k, λ) = −gµν + kµnν + kνnµn · k

. (II.143)

Die spezielle Rolle dieser Eichung wird klar, wenn wir uns noch einmal den Operatorbetrachten, der die Quark-PDF in LO definiert: Da der Ausdruck q(λn)/nq(0) nicht-lokalist, ist er auch nicht eichinvariant unter lokalen Phasentransformationen der Quarkfelderin der SU(3)C . Eine eichinvariante Definition erhält man, wenn man (siehe Übung) eineWilsonlinie UP einfügt, die die Punkte (λ, n) und 0 verbindet,

q(λn)/nq(0) −→ q(λn)/nW (λn, 0) q(0)

mit W (nλ, 0) = P exp[igs

∫ λ

0ds n ·A(sn)

], (II.144)

wobei P die Farbmatrizen A(sn) = AA(s, n)TA im Integranden entlang des Pfades dsordnet (“Pfadordnung” analog zur Zeitordnung im Zeitentwicklungsoperator). In derobigen Eichung ergibt die Wilsonlinie gerade Eins, und die Interpretation (sowie dieRechnung) der gluonischen Korrekturen wird relativ einfach.Die Diagramme zur Ordnung αs lassen sich in 4 Klassen einteilen. Dafür betrachten wirdie Korrekturen zur Vorwärtstreuamplitude ep→ ep:

(1) Reelle Gluonabstrahlung vom einlaufenden Quark. Imaginärteil entspricht Beitragzu eq → eq + g.

(2) Vertexkorrektur am Quark-Photon-Vertex. Imaginärteil entspricht zwei verschiede-nen Möglichkeiten, das Diagramm in reelle Zwischenzustände zu “schneiden”: (a)Beitrag zu eq → eq + g von der Interferenz der Gluonabstrahlung vom Quark imAnfangs- bzw. Endzustand; (b) virtuelle Korrektur zu eq → eq.

110

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

(3) Selbstenergiekorrektur zur internen Quarklinie. Hier gibt es drei Möglichkeiten,das Diagramm zu schneiden: (a) Beitrag zu eq → eq+ g von Gluonabstrahlung imEndzustand; (b,c) virtuelle Selbstenergiekorrektur zum Quark im Endzustand.

(4) Selbstenergiekorrektur zum Quark im Anfangszustand.

Wir beginnen mit dem Diagramm (1) und betrachten den Beitrag zur Strukturfunktion

F2 = p · q nµnνWµν

Aus den elementaren Feynman-Regeln für das oben bereits skizzierte Diagramm für dieGluonabstrahlung vom einlaufenden Quark erhalten wir für die partonische Amplitude

igseq u(q + ξp− k)γµ i

ξ/p− /kγρTA u(ξp) · ερ(k, λ) , (II.145)

wobei wir den Impuls des Gluons kµ und den dazugehörigen Polarisationsvektor ερ(k, λ)eingeführt haben. Quadrieren der Amplitude und Mittelung/Summation über die Spin-und Farbfreiheitsgrade ergibt

|M |2µν = 12NC

e2q g

2s tr[TATA]

( 1(ξp− k)2

)2 (−gρσ + kρnσ + kσnρ

n · k

)× tr

[γν(/q + ξ/p− k)γµ(ξ/p− /k)γρ ξ/p γσ(ξ/p− /k)

]. (II.146)

Wir zerlegen den Gluonimpuls wieder in Lichtkegelkoordinaten und schreiben

kµ ≡ ξ(1− ξ′) pµ + |k2⊥|

2ξ(1− ξ′) nµ + kµ⊥ mit k2

⊥ < 0, k2 = 0 und 0 ≤ ξ′ ≤ 1.

(II.147)

Entsprechend gilt dann für den Quarkimpuls nach der Gluonabstrahlung

(ξp− k)µ ≡ ξξ′ pµ − |k2⊥|

2ξ(1− ξ′) nµ − kµ⊥ . (II.148)

Nach Ausführen der Spuren nimmt die für F2 relevante Projektion dann eine relativeeinfache Form an,

nµnν |M |2µν = e2q g

2s CF

8ξ′(1 + ξ′2)|k⊥|2

ξ2 . (II.149)

Wir sehen an dieser Stelle schon, dass der Ausdruck für kleine Transversalimpulse desGluons, k2

⊥ → 0, divergiert, was unserer Erwartung gemäß der obigen allgemeinenDiskussion entspricht.Für die Berechnung des partonischen Wirkungsquerschnitts benötigen wir weiterhin denPhasenraum für den q + g Endzustand,

dp′ dk (2π)4 δ(4)(ξp+ q − k − p′) = dk 2π θ(k0 − ξp0 − q0) δ((q + ξp− k)2) . (II.150)

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Das Integrationsmaß für den Gluonimpuls schreiben wir auf die Lichtkegelkomponentenξ′ und k⊥ um,

2π dk = 18π2

dξ′

1− ξ′ |k⊥|d|k⊥| dθ (II.151)

Das Argument der delta-Funktion für die Impulserhaltung ergibt zunächst einen relativkomplizierten Ausdruck,

(q + ξp− k)2 = −Q2 + 2ξ p · q − 2 k · q − 2ξ p · k

= −Q2(

1− ξξ′

x

)+ 2 |k⊥|Q cos θ − |k

2⊥|

1− ξ′

= Q2 ξ

x

(ξ′ − x

ξ

(1 + |k2

⊥|(1− ξ′)Q2 −

2|k⊥| cos θQ

)). (II.152)

Wenn wir die Terme zusammenfassen und entsprechend der LO-Rechnung wieder denpartonischen Flussfaktor mit 1/ξ korrigieren, erhalten wir somit einen Beitrag zur Struk-turfunktion F2,

F diag12 (x,Q2) = e2

q αsCF

∫ 1

0dξ f (0)

q (ξ)∫d|k⊥|2 dξ′ dθ

32π28ξ′(1 + ξ′2)

32π2

× δ(ξ′ − x

ξ

(1 + |k2

⊥|(1− ξ′)Q2 −

2|k⊥| cos θQ

)). (II.153)

Gemäß unserer allgemeinen Diskussion sollten wir das k⊥-Integral in 2 Regionen un-terteilen:

• |k⊥|2 < µ2F −→ Beitrag zu f (1)

q ,

• |k⊥|2 > µ2F −→ Beitrag zu δC(1).

Konzentrieren wir uns zunächst auf den Bereich |k2⊥| ≤ µ2

F und wählen µF Q2. Dannvereinfacht sich das Argument der δ-Funktion,

δ(. . .)→ δ

(ξ′ − x

ξ

),

und wir erhalten

F diag12 (x,Q2)

|k⊥|2≤µ2F= e2

q

αsCF2π

∫ 1

0dξ f (0)

q (ξ)∫ 1

0dξ′ δ

(ξ′ − x

ξ

)ξ′(1 + ξ′2)

1− ξ′∫ µ2

F d|k⊥|2

|k⊥|2,

(II.154)

welches abzubilden ist auf den f (1)q -Term in unserem allgemeinen Faktorisierungsansatz,

so dass wir als perturbatives Resultat erhalten,

f (1,diag1)q (x, µ2

F ) = f (0)q (x) + αsCF

∫ 1

x

ξf (0)q (ξ)F (x/ξ)

∫ µ2F d|k⊥|2

|k⊥|2, (II.155)

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

wobei wir eine Funktion

F (z) ≡ CF1 + z2

1− z (II.156)

definiert haben, die die Abhängigkeit von z = x/ξ beschreibt. Hierbei ergibt sich derZähler im Wesentlichen aus der Dirac-Spur (ist also typisch für QCD mit Spin-1/2-Quarks und Vektorgluonen), und der Term 1−z im Nenner kommt aus dem gluonischenPhasenraum (das vermeintlich divergente Verhalten bei z → 1 werden wir noch genaueruntersuchen). Der gesamte Ausdruck ist proportional zu dem IR-divergenten Integral∫ µ2

Fd|k⊥|2|k⊥|2 und somit sensitiv auf die durch ΛQCD charakterisierte nicht-perturbative

Dynamik im Proton. Aus diesem Grunde macht es also Sinn, diesen (nicht explizitberechenbaren) Beitrag in die Quark-PDF zu absorbieren. Um die Beiträge der an-deren Diagramme zu f

(1)q zu bestimmen, reicht es demnach aus, in den Diagrammen

2-4 die Beiträge zu suchen, die ebenfalls wie d|k⊥|2|k⊥|2 divergieren. Dies entspricht ger-

ade den “kollinearen Divergenzen”, die wir bereits bei der Diskussion des Sudakov-Formfaktors in der QED kennengelernt hatten.

• Betrachten wir dazu die Diagrammklasse (2) mit der Vertexkorrektur am Photon-vertex. Die beiden k-abhängigen Quarkpropagatoren verhalten sich wie

1(ξp− k)2

1(ξp− k + q)2 ∼

1k2⊥Q

2 ,

können also potentiell wieder eine kollineare Divergenz erzeugen, wenn k ‖ p.Allerdings zeigt sich, dass die zu berechnende Dirac-Spur mit den Propagatorzäh-lern ebenfalls für k⊥ → 0 verschwindet, denn in∑

λ

tr[/n(ξ/p+ /q)/ε(/q + ξp− /k)/n(ξp− /k)/ε∗ ξ/p

](II.157)

gilt für k ‖ p, dass ε · p ∝ ε · k = 0, und damit ist

(ξ/p− /k)/ε∗ ξ/p→ 0 .

Damit liefern die Diagramme (2a,b) keine Beiträge der Form d|k⊥|2|k⊥|2 , sondern höch-

stens Terme, die für kleine k⊥ wie k2⊥/Q

2 unterdrückt sind, oder die für große k⊥zu δC(1) gehören (und explizit in der Störungstheorie berechnet werden können).

• In der Diagrammklasse (3) ist die Situation noch einfacher, denn für kleine Wertevon k⊥ verhalten sich die Propagatornenner selbst schon wie (1/Q2)2.

• Es bleibt das Diagramm (4) mit der Selbstenergiekorrektur in der einlaufendenQuarklinie. Hier erwarten wir in der Tat, dass sich eine “softe” IR-Divergenz ergibt,die zusammen mit der reellen Gluonabstrahlung aus Diagramm (1) ein endlichesResultat im Limes kµ → 0 ergibt. Da in diesen virtuellen Diagrammen der Im-pulsbruchteil des Quarks nicht geändert wird, muss der Beitrag proportional zuδ(1− x/ξ) sein und gleichzeitig die Divergenz von Diagramm (1) im Limes ξ → xkompensieren.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Das Nettoergebnis für f (1)q hat dann die Form

f (1)q (x, µ2

F ) = f (0)q (x) + αsCF

∫ 1

x

ξf (0)q (ξ)P (0)

qq (x/ξ)∫ µ2

F d|k⊥|2

|k⊥|2, (II.158)

mit

F (z)→ P (0)qq (z) = CF

[1 + z2

1− z + const. δ(1− z)]

(II.159)

Die Funktion Pqq(z) bezeichnen wir als (Quark-)Splitting-Funktion. Sie beinhaltet die(universelle) Information über die kollinearen Divergenzen in der Aufspaltung einesQuarks, q → qg. Die Konstante werden wir weiter unten mittels einer physikalischenÜberlegung bestimmen.Die restlichen (nicht kollinear divergenten) Beiträge können explizit als Funktion von Q2

und µ2F berechnet werden. Aufgrund der willkürlichen Wahl von µF , muss das Ergebnis

für F2 dann folgende Form haben

F2(x,Q2) = x∑q

e2q

(f (0)q (x) + αs

∫ 1

x

ξf (0)q (x)

P (0)qq (x/ξ)

∫ µ2F

Λ2IR

d|k⊥|2

|k⊥|2

+ P (0)qq (x/ξ)

∫ k2max∝Q2

µ2F

d|k⊥|2

|k⊥|2+ C(x/ξ)

)+O(α2

s) (II.160)

wobei der Koeffizient C(z) die endlichen Beiträge zusammenfasst, die nicht explizit vonQ2/µ2

F abhängen. Die obere Grenze k2max ergibt sich aus der expliziten Auswertung der

Nullstellen der δ-Funktion unter Berücksichtigung von 0 ≤ ξ′ ≤ 1 (vgl. Übung).Wir können die Rechnung auch wieder in dimensionaler Regularisierung durchführen.Dann wird die kollineare Divergenz im k⊥-Integral entsprechend regularisiert, was derErsetzung

P (0)qq (z)

(∫ µ2F

Λ2IR

d|k⊥|2

|k⊥|2+∫ k2

max

µ2F

d|k⊥|2

|k⊥|2

)

→P (0)qq (z)µ2ε

F

∫ k2max d|k⊥|2

(|k⊥|2)1+ε = P (0)qq (z)

(−1ε

)︸ ︷︷ ︸+P (0)

qq (z) ln k2maxµ2F︸ ︷︷ ︸ (II.161)

Im MS-Schema absorbieren wir den ersten (IR-divergenten) Term in die PDF f(1)q .

Der (−1/ε)-Term wird dann gerade kompensiert durch die 1/ε UV-Divergenz, die ausder Renormierung des nicht-lokalen Operator herrührt. Den zweiten (endlichen) Termdefinieren wir dann als Beitrag zu C(1) im MS-Schema. In dieser Weise können wir al-so die Splitting-Funktion als Faktor vor dem 1/ε-Term, der der kollinearen Divergenzentspricht, ablesen. Im Folgenden verstehen wir deshalb die Ausdrücke für f (1)

q und C(1)

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

immer im MS-Schema (obwohl man manchmal in der Literatur auch andere Definitionenfindet).Es bleibt noch die Aufgabe, die Konstante in Pqq(z) zu bestimmen. Dazu betrachten wirdie Korrektur zur Valenzverteilung der Quarks, fval = fq − fq. Aufgrund der Erhaltungder (Netto-)Quarkzahl, hatten wir bereits begründet, dass∫ 1

0dξ fval(ξ) = const (II.162)

Da sich Quarks und Antiquarks gleich unter Splitting verhalten, folgt daraus, dass∫ 1

0dξ

∫ 1

ξ

dξ′

ξ′f

(0)val (ξ

′)P (0)qq (ξ/ξ′) = 0 (II.163)

gelten muss. In obiger Gleichung können wir die Reihenfolge der Integration umstellen,indem wir die untere Grenze als θ(ξ′ − ξ) berücksichtigen und die Variablensubstitutionξ → z = ξ/ξ′ durchführen,

0 =∫ 1

0

dξ′

ξ′f

(0)val (ξ

′)∫ ξ′

0dξ P (0)

qq (ξ/ξ′) =∫ 1

0dξ′ f

(0)val (ξ

′)∫ 1

0dz P (0)

qq (z)︸ ︷︷ ︸ . (II.164)

Da der erste Faktor verschwindet, muss das Integral über die Quark-Splittingfunktionalso gerade Null werden. Hierbei müssen wir allerdings beachten, dass das Integral beiz → 1 nicht konvergiert, was gerade der soften Divergenz (Gluonenergie→ 0) entspricht.Wir hatten schon argumentiert, dass wir die Splitting-Funktion als mathematische Dis-tribution in z = x/ξ auffassen müssen. Dementsprechend ist der Ausdruck 1/(1− z) fürz → 1 zu modifizieren (im Sinne eines Grenzwerts, bzw. über das entsprechende Resul-tat nach Integration mit einer Testfunktion). Wir suchen also eine Distribution, die fürz 6= 1 der normalen Funktion 1/(1 − z) entspricht und deren Integral über bei z = 1reguläre Testfunktionen existiert. Die Lösung sind sogenannte “Plus-Distributionen”,die über ∫ 1

0dz

1[1− z]+

f(z) ≡∫ 1

0dz

f(z)− f(1)1− z (II.165)

definiert sind. Offensichtlich existiert das Integral, und für Testfunktionen, die bei z = 1verschwinden, ergibt sich das Integral über die “normale” Funktion. Mit dem Ansatz

P (0)qq (z) := CF

[1 + z2

[1− z]++ c δ(1− z)

](II.166)

ergibt sich dann∫ 1

0dz P (0)

qq (z) = CF

[∫ 1

0dz

(1 + z2)− 21− z + c

]= CF (−3/2 + c) != 0 (II.167)

so dass unser endgültiges Ergebnis für die Quark-Splittingfunktion

115

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

P (0)qq (z) = CF

[1 + z2

[1− z]++ 3

2 δ(1− z)]

(II.168)

lautet. In dimensionaler Regularisierung kann man die Plus-Distribution explizit alsGrenzwert einer Schar von Funktionen für ε→ 0− identifizieren, siehe Übung. Die Formder Splitting-Funktion ist universell und wird allgemein für die Faktorisierung von inkul-siven Prozessen mit hoch-energetischen (kollinearen) Quarks in der QCD benötigt.Die Berechnung der endlichen Beiträge zur Koeffizientenfunktion C(1)(z,Q2/µ2

F ) istaufwendiger und beinhaltet Beiträge von sämtlichen 4 Diagrammklassen. Wir geben hiernur das Endergebnis für die Faktorisierung der Strukturfunktion F2(x,Q2) an (im MS-Schema; wir schreiben C

(1)2 um den Koeffizienten von den entsprechend unabhängigen

Koeffizienten für F1(x,Q2) oder FL(x,Q2) zu kennzeichnen),

C(1)2 (z,Q2/µ2) = δ(1− z) + αs

P (0)qq (z) ln Q

2

µ2

+CF[2[ ln(1− z)

1− z

]+− 3

21

[1− z]+− (1 + z) ln(1− z)

−1 + z2

1− z ln z + 3 + 2z −(π2

3 + 92

)δ(1− z)

](II.169)

(siehe z.B. [6]). Analog erhalten wir für die longitudinale Kombination von Struktur-funktionen FL = F2 − 2xF1 = 4x2 pµpν

p·q Wµν ein endliches Resultat zur Ordnung αs, wassich durch die Faktorisierungsformel

FL(x,Q2) = x∑q

e2q

∫ 1

x

ξfq(ξ, µF )CL

(x

ξ,Q2

µ2F

)mit CL(z) ' αsCF

2π 2z (II.170)

widerspiegelt. Die Callan-Gross–Relation erhält also berechenbare endliche αs-Korrekturen.

II.6.3.2 Beiträge von Gluon-PDFs

Bisher waren wir bei der Berechnung von αs-Korrekturen von einer ursprünglichenVerteilung von Quarks (und Antiquarks) im Proton ausgegangen. Wenn wir allgemeinQuantenkorrekturen zulassen, müssen wir aber auch Prozesse folgender Art berücksichti-gen, bei der als Ausgangspunkt eine Gluonverteilung f (0)

q (ξ) steht, das Gluon in ein qq-Paar fluktuiert und das Elektron dann elektromagnetisch an einem der Quarks streut.

(II.171)

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

Dementsprechend lässt sich das Diagramm wieder in 2 Beiträge faktorisieren:

• Wenn das gestreute Quark einen großen Transversalimpuls hat, betrachten wirdas Diagramm als Beitrag zur harten Amplitude eg → qq, die wir durch eineKoeffizientenfunktion C(1)g

2 (x/ξ) beschreiben, die mit der Gluonverteilung f (0)g (ξ)

gefaltet wird.

• Wenn das gestreute Quark einen kleinen Transversalimpuls hat, betrachten wir dasDiagramm als Beitrag der ursprünglichen Gluon PDF f (0)

g (ξ) zur Korrektur f (1)q (ξ)

des entsprechenden Quarks, welche wie vorher mit der LO KoeffizientenfunktionC

(0)q2 (x/ξ) gefaltet wird.

Die entsprechend komplettierte Faktorisierungsformel (mit entsprechend angepasster No-tation) für die Strukturfunktion F2(x,Q2) lautet dann

F2(x,Q2) = x∑q

e2q

∫ 1

x

ξfq(ξ, µF )Cq2

(x

ξ,Q2

µ2F

)

+∫ 1

x

ξfg(ξ, µF )Cg2

(x

ξ,Q2

µ2F

)(II.172)

Hierbei definiert die kollineare Divergenz für das Gluon-Splitting g → qq wieder geradeden gluonischen Beitrag zu f (1)

q (ξ, µF ), so dass im MS-Schema

f (1)q (ξ, µF ) = f (0)

q (ξ)

+ αs2π

(−1ε

)∫ 1

ξ

dξ′

ξ′

P (0)qq (ξ/ξ′) f (0)

q (ξ′) + P (0)qg (ξ/ξ′) f (0)

g (ξ′)

+O(α2s) (II.173)

Die Splitting-Funktion für Gluonen in Quarks (oder Antiquarks) lässt sich dabei wiederaus der kollinearen Divergenz des obigen Diagramms ablesen und ergibt sich zu

P (0)qg (z) = 1

2[z2 + (1− z)2

](II.174)

(Die Symmetrie bzgl. z → (1 − z) spiegelt die Äquivalenz von Quarks und Antiquarksin g → qq wider.)Für eine gegebene wechselwirkende Theorie können wir also offensichtlich ganz allgemeinalle möglichen, sog. “Altarelli-Parisi”-Splittingfunktionen definieren und berech-nen. Dabei beschreibt Pij(z) jeweils die Wahrscheinlichkeit, durch kollineares Splittingein Parton i mit Impulsbruchteil z vom ursprünglichen Parton j zu generieren. Für dieQCD erhalten wir dann neben den bereits diskutierten Splitting-Funktionen Pqq(z) undPqg(z) auch noch

117

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

P (0)gg (z) = 2CA

[z

[1− z]++ 1− z

z+ z(1− z)

]+ 11CA − 2nf

6 δ(1− z) aus g → gg

P (0)gq (z) = CF

1 + (1− z)2

zaus q → gq

(II.175)

Die Tatsache, dass die Splitting-Funktionen in Gluonen wie 1/z divergieren hat diephänomenologisch wichtige Konsequenz, dass die Gluon-PDFs bei kleinen Werten vonξ stärker als 1/ξ anwachsen (siehe Diskussion weiter unten). Man beachte, dass derzweite Term in Pgg gerade dem führenden Koeffizienten der QCD β-Funktion entspricht,und dass der Ausdruck für Pqg aus Pqq folgt, wenn man z → (1 − z) ersetzt und denSelbstenergiebeitrag proportinal zu δ(1− z) weglässt.

II.6.4 Skalenverletzung und DGLAP-EvolutionsgleichungenAuf der Basis der kompletten Faktorisierungsformel können wir nun die Verletzung desBjorken-Scaling in der Strukturfunktion F2(x,Q2) quantitativ beschreiben. Betrachtenwir nämlich die (logarithmische) Q2-Abhängigkeit von F2, so erhalten wir

Q2 ∂

∂Q2 F2(x,Q2) = x∑q

e2q

∫ 1

ξ

ξfq(ξ, µF ) ∂

∂ lnQ2 Cq2

(x

ξ,Q2

µF

)+ gluonisch

= x∑q

e2q

∫ 1

ξ

ξfq(ξ, µF ) −∂

∂ lnµ2F

Cq2

(x

ξ,Q2

µF

)+ gluonisch

(II.176)

Hierbei haben wir benutzt, dass die PDFs in der Faktorisierungsformel nur von µF (abernicht von Q) abhängen und dass die Koeffizientenfunktionen nur vom dimensionslosenVerhältnis Q2/µ2

F abhängen können. Weiterhin erfüllt F2(x,Q2) aber die RG-Gleichung,

0 = ∂

∂ lnµ2F

F2(x,Q2)

= x∑q

e2q

∫ 1

x

ξ

(∂

∂ lnµ2F

fq

)Cq2 + fq

(∂

∂ lnµ2F

Cq

)+ gluonisch

(II.177)

Durch Kombination der beiden Gleichung erhalten wir also

Q2 ∂

∂Q2 F2(x,Q2) = x∑q

e2q

∫ 1

ξ

ξ

(∂

∂ lnµ2F

fq(ξ, µF ))Cq2

(x

ξ,Q2

µF

)+ gluonisch

(II.178)

so dass die Q2-Abhängigkeit der Strukturfunktionen gerade durch die µ-Abhängigkeitder PDFs beschrieben wird. Letztere wiederum folgt aus den Splitting-Funktionen, diedie kollinear divergenten Beiträge zu den Koeffizientenfunktionen beschreiben.

118

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

II.6.4.1 DGLAP-Gleichungen

Die Evolutionsgleichungen für die Partonverteilungsfunktionen (nach Dokshitzer, Gribov-Lipatov, Altarelli-Parisi als DGLAP-Gleichungen benannt) folgen aus der Zerlegungder störungstheoretischen Entwicklung der Quark und Gluon-PDFs nach Absorptionder entsprechenden kollinearen Divergenzen. Bei der Berechnung von ∂fi

∂ lnµ2F

setzen wirdie Renormierungsskala für αs = αs(µR) und die Faktorisierungsskala µF gleich undschreiben µ = µR = µF . Dann gilt

limε→0

∂αs(µ)∂ lnµ2

(−1ε

)= lim

ε→0(−εαs)

(−1ε

)= αs(µ) , (II.179)

so dass

∂ lnµ2

(fq(ξ, µ)fg(ξ, µ)

)= αs(µ)

∫ 1

ξ

dξ′

ξ′

(P

(0)qq (ξ/ξ′) P

(0)qg (ξ/ξ′)∑

q,q P(0)gq (ξ/ξ′) P

(0)gg (ξ/ξ′)

)(fq(ξ′, µ)fg(ξ′, µ)

)+O(α2

s)

(II.180)

Hierbei ist zu beachten, dass der Beitrag zur Gluonverteilung die Summe über alleQuarks (und Antiquarks) enthält.Für die folgende Diskussion ist es günstig, die Quark und Antiquarkverteilungen in sog.Singulett– und Nicht-Singulett–(Valenz–)Beiträge zu unterteilen

Nicht-Singulett: fvalq = fq − fq (oder auch fu − fd, fu + fd − 2fs etc.) (II.181)

Singulett: fΣ =∑q

(fq + fq) (II.182)

In den Nicht-Singulett-Kombinationen kürzt sich der gluonische Beitrag gerade heraus,so dass sich die DGLAP-Gleichungen vereinfachen zu

∂ lnµ2 fvalq (ξ, µ) ' αs(µ)

∫ 1

ξ

dξ′

ξ′P (0)qq

ξ′

)fvalq (ξ′, µ) (II.183)

Die Singulett-Kombination, welche den “See” von qq-Paaren beschreibt, mischt dagegenmit der Gluon-PDF gemäß

∂ lnµ2

(fΣ(ξ, µ)fg(ξ, µ)

)' αs(µ)

∫ 1

ξ

dξ′

ξ′

(P

(0)qq (ξ/ξ′) 2nf P (0)

qg (ξ/ξ′)P

(0)gq (ξ/ξ′) P

(0)gg (ξ/ξ′)

)(fΣ(ξ′, µ)fg(ξ′, µ)

)(II.184)

Bemerkungen:

• Die P (0)ij in den DGLAP-Gleichungen sind unabhängig vom Ren.Schema.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

• Die exakte Definition der PDFs fi(ξ, µ) ist aber Ren.Schemen-abhängig.

• Die Splitting-Funktionen selbst erhalten (berechenbare) Korrekturen höherer Ord-nung Pij(z) = P

(0)ij (z) + αs

2π P(1)ij (z) + . . .

Für die phänomenologische Anwendung der DGLAP-Gleichungen, müssen wir also fol-gende Prozedur lösen:

1. Finde einen (sinnvollen) Ansatz für die PDFs fi(ξ, µ0) bei einer Referenzskala µ0(z.B. µ0 = 4 GeV)

2. Evolviere die PDFs zu µ ∼√Q2. Damit werden große Logarithmen αns lnn Q2

µ20in

die PDFs resummiert (vergleiche Diskussion für Sudakov-Formfaktor).

3. Einsetzen der so gewonnen PDFs in die Faktorisierungsformel für F2(x,Q2).

4. Vergleich mit experimentellen Daten → Fit der Parameter im Ansatz (Schritt 1).

Dazu benötigen wir offensichtlich (numerische oder analytische) Lösungen der DGLAP-Gleichungen.

II.6.4.2 Lösung der DGLAP-Gleichungen

Prinzipiell (und auch häufig in der Praxis) kann man die DGLAP-Gleichungen numerischlösen. Analytische Aussagen lassen sich insbesondere durch die Betrachtung von sog.“Mellin-Momenten” der Partonverteilungen gewinnen. Dazu definieren wir z.B.

Fval(N,µ) ≡∫ 1

0dξ ξN−1 fval(ξ, µ) (II.185)

Für die so definierten Mellin-Momente folgt dann eine einfache RG-Gleichung gemäß

∂ lnµ2 Fval(N,µ) = αs2π

∫ 1

0dξ ξN−1

∫ 1

0

dξ′

ξ′θ(ξ′ − ξ)Pqq(ξ/ξ′) fval(ξ′, µ)

= αs2π

∫ 1

0dξ′ (ξ′)N−1fval(ξ′, µ)︸ ︷︷ ︸ ·

∫ 1

0dz zN−1 Pqq(z)︸ ︷︷ ︸

Fval(N,µ) · γqq(N) (II.186)

D.h. im Mellin-Raum nimmt die DGL wieder die aus der lokalen OPE bekannte Forman, wobei sich die anomalen Dimensionen als Mellin-Momente der Splitting-Funktionenergeben. Die Lösung in der Leading-Log-Approximation lautet dann einfach wieder,

Fval(N,µ) =(αs(µ)αs(µ0)

)−γqq(N)/|β0|Fval(N,µ0) . (II.187)

120

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

Wir können die Mellin-Transformation auch direkt auf die Struktur-Funktionen anwen-den (was natürlich verlangt, dass wir diese bei gegebenem Q2 über den gesamten x-Bereich vermessen haben),

F2(N,Q2) ≡∫ 1

0dxxN−1 F2(x,Q2)

=∫ 1

0dxxN

∑q

e2q

∫ 1

0

ξθ(ξ − x) fq(ξ, µ)Cq2

(x

ξ,Q2

µ2

)+ gluonisch

(II.188)

Mit den gleichen Umformungen wie vorher faktorisieren die Mellin-Momente der Struk-turfunktion wieder in Mellin-Momente der PDFs und (berechenbare) Mellin-Momenteder Koeffizientenfunktionen,

F2(N,Q2) =∑q

e2q

Fq(N + 1, µ)

∫ 1

0dz zN Cq2(z,Q2/µ2) + gluonisch

(II.189)

In der Praxis kann man so eine Handvoll Momente, für die die experimentellen Dat-en ausreichend genaue Messungen ergeben, an die entsprechenden Mellin-Momente derPDFs fitten.Beispiel: N = 1

• Für die Valenzquarks ergibt sich

γqq(N = 1) ≡ 0 ,

was wir ja bereits als physikalische Bedingung (Ladungserhaltung) bei der Bestim-mung von Pqq(z) verwendet hatten. D.h. insbesondere, dass die Valenzverteilungennormierbar sind und somit bei ξ → 0 schwächer als 1/ξ divergieren.

• In den entsprechenden Momenten für die See-Quarks und die Gluonen ergibt sich,dass γgq(N = 1) und γgg(N = 1) divergieren, aufgrund der 1/z-Terme in denentsprechenden Splittingfunktionen (s.o.). Die entsprechenden PDFs wachsen de-shalb bei kleinen Impulsanteilen ξ stark an.

In der Praxis zeichnet man meistens das Produkt x fi(x). Qualitativ ergibt sichdamit folgendes Verhalten:

121

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Beispiel: N = 2

• Für die Valenzverteilung ergibt sich (siehe auch Übung)

γqq(N = 2) =∫ 1

0dz z P (0)

qq (z) = −43 CF < 0 . (II.190)

Das Vorzeichen von γqq(2) impliziert, dass

Fval(N = 2, µ) < Fval(N = 2, µ0 < µ) ,

weil αs(µ)/αs(µ0) < 1.D.h. dass die Valenzquarks im Mittel kleinere Impulsanteile ξ haben, wenn die Fak-torisierungsskala größer wird, was intuitiv klar ist, denn dann steht mehr Energiefür Seequarks und Gluonen zur Verfügung.Somit erwarten wir folgendes Verhalten, wenn wir die Valenz-PDFs von Up- undDown-Quarks bei verschiedenen Werten von µ2 = Q2 vergleichen:

122

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

d.h. die Verteilung verschiebt sich (leicht) zu kleineren Werten von x.

• Für das gekoppelte System aus Seequarks und Gluonen sind die anomalen Dimen-sionen der Mellin-Momente für N ≥ 2 endlich, und speziell für N = 2 lautet dieDGL (siehe Übung)

∂ lnµ2

(FΣ(2, µ)Fg(2, µ)

)= αs

(−4

3 CF13 nf4

3 CF −13 nf

)(FΣ(2, µ)Fg(2, µ)

)(II.191)

Die Eigenvektoren lauten– FΣ + Fg mit Eigenwert Null.– FΣ −

nf4CF Fg mit Eigenwert −(4

3 CF + 13 nf ) < 0

Das heisst, dass– Die Summe von FΣ(2) + Fg(2) ist RG-invariant,

FΣ(2, µ) + Fg(2, µ) = FΣ(2, µ0) + Fg(2, µ0) ,

was gerade der Erhaltung des Gesamtimpulses entspricht.– Die Kombination FΣ −

nf4CF Fg geht für große Skalen µ → ∞ asymptotisch

gegen Null, d.h. das Verhältnis der beiden Momente strebt gegen eine Kon-stante,

limµ→∞

FΣ(2, µ)Fg(2, µ) = nf

4CF= 3nf

16 = O(1) (II.192)

Das ist konsistent mit der empirischen Beobachtung, dass die Quarks undGluonen in etwa jeweils 50% des Protonimpulses tragen.

II.6.4.3 “Polarisierte Partonverteilungen”

Bisher hatten wir bei der Betrachtung der Wirkungsquerschnitte für die tief-inelastischeElektron-Proton-Streuung über die Spinfreiheitsgrade der Protonen und Elektronen gemit-telt. Experimentell lässt sich aber auch separat der Wirkungsquerschnitt für verschiedenrelativ zueinander polarisierte Elektronen und Protonen messen. Über das Partonbildkann man daraus Rückschlüsse über die Spin-Korrelationen der Quarks im Proton er-halten (manchmal wird das etwas ungenau als “spin content of the nucleon” tituliert).Wir stellen hier kurz die wesentlichen Ergebnisse zusammen.Als Messgröße definieren wir also eine Spin-Asymmetrie

A(x,Q2) ≡ dσ↑↓ − dσ↑↑

dσ↑↓ + dσ↑↑(II.193)

wobei dσ↑↓ = dσ↓↑ den differentiellen Wirkungsquerschnitt für entgegengesetzt polar-isierte Protonen und Elektronen, und dσ↑↑ = dσ↓↓ den differentiellen Wirkungsquer-schnitt für gleich polarisierte Protonen und Elektronen bezeichnet. Die Summe der bei-

123

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

den Fälle ergibt gerade den bisherigen (unpolarisierten) Fall. Die Differenz der Wirkungs-querschnitte können wir wieder durch Strukturfunktionen ausdrücken,

d2σ↑↓ − d2σ↑↑

dx dy= 8πα2mE

Q4

[(2y − y2 − mxy2

E) 2x g1(x,Q2)− 4m

Ex2y g2(x,Q2)

],

(II.194)

was für m/E → 0 durch die Strukturfunktion g1(x,Q2) dominiert ist. Im Wesentlichenmisst die Spin-Asymmetrie dann gerade das Verhältnis zweier Strukturfunktionen

A(x,Q2) ' g1(x,Q2)F1(x,Q2) (II.195)

Im Partonbild lässt sich die Asymmetrie auf die Streuung an polarisierten Quarks zurück-führen. Dazu müssen wir die Partonverteilung entsprechend spezifizieren für Quarks dieparallel oder anti-parallel zum Proton polarisiert sind,

• f↑q (ξ): Wahrscheinlichkeit für Quark mit Impulsbruchteil ξ und Spin parallel zumProton.

• f↓q (ξ): Wahrscheinlichkeit für Quark mit Impulsbruchteil ξ und Spin anti-parallelzum Proton.

Entsprechend definieren wir

fq = f↑q + f↓q (unpolarisierte PDFs)∆fq = f↑q − f↓q (polarisierte PDFs)(II.196)

Dann ergibt sich für die Strukturfunktionen in LO (naives Partonbild) gerade

F1(x) ' 12∑q

e2q [fq(x) + fq(x)] ,

g1(x) ' 12∑q

e2q [∆fq(x) + ∆fq(x)] , (II.197)

Die Operatordefinition der polarisierten PDFs ergibt sich analog zum unpolarisiertenFall, mit dem einzigen Unterschied, dass nun anstelle des Vektorstroms der (mit nµprojizierte) Axialvektorstrom auftaucht, so dass Quarks mit verschiedener Chiralitätmit unterschiedlichem Vorzeichen gezählt werden,

∆fq(x) =∫dλ

4π e−iλx 〈p|q(λn) /nγ5 q(0)|p〉spin−avg . (II.198)

Die ersten Momente der polarisierten PDFs entsprechen dann wieder Matrixelementenvon lokalen Operatoren 〈p|q/nγ5q|p〉, welche unter Verwendung der SU(3)-Flavoursymmetriefür das leichteste Baryon-Oktett mit den Axialvektor-Kopplungskonstanten in Hyperon-Zerfällen in Beziehung gesetzt werden können. Aus der Kombination dieser Daten mitden Ergebnissen der polarisierten Elektron-Proton–Streuung ergibt sich, dass der Beitragder Quarks in ∆fq zum Gesamtspin des Protons relativ klein ist. Demnach muss ein erhe-blicher Anteil des Spins wieder von Gluonen und/oder vom Bahndrehimpuls der Quarks(d.h. der Bewegung senkrecht zur Impulsrichtung des Protons) herrühren.

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– preliminary–

II.6 Tief-inelastische e−p–Streuung in der QCD

II.6.4.4 Verwandte Größen

Der spezielle und wesentliche Aspekt der tief-inelastischen Streuung war die Identifika-tion der Lichtkegel-Kinematik für Prozesse mit kollinearen Partonen in Hadronen. Da-raus resultierte die Faktorisierung von kurz- und langreichtweitiger Physik mittels derLichtkegel-OPE, so dass die relevante hadronische Information durch nicht-lokalen Op-eratoren z.B. der Form

O = q(λn) /nΓ [Wilson-Linie] q(0)oder Operatoren mit anderen/mehr Feldern und/oder mehr Ableitungen repräsentiertwird. Die Partonverteilungsfunktion ergaben sich dabei als Fourier-Transformierte desMatrixelements des Lichtkegeloperators zwischen zwei (identischen) Protonzuständen,

PDF = F.T. 〈p|O|p〉 . (II.199)

Die gleiche Lichtkegelkinematik und die gleiche Art von Operatoren tritt aber z.B. auchin hadronischen Zerfällen von schweren B-Meson in leichte Hadronen, z.B. ππ, auf. Wiewir im entsprechenden Kapitel diskutiert hatten, beinhalten die entsprechenden Fak-torisierungstheoreme Informationen über die Impulsverteilung von qq-Paaren im Pion.Diese können als sog. “Lichtkegeldistributionsamplituden” (light-cone distribu-tion amplitudes – LCDAs) als Operatormatrixelemente,

Pion-LCDA = F.T. 〈π|O|0〉 , (II.200)

definiert werden, d.h. der Anfangs- und Endzustand im Operatormatrixelement sind nunverschieden, und die Interpretation im Partonbild ist ebenfalls unterschiedlich.Wir können das noch weiter verallgemeinern für beliebige Anfangs- und Endzustände,

GPD = F.T. 〈p′|O|p〉 , (II.201)

was sog. “verallgemeinerten Partonverteilungen” (generalized parton distributions – GPDs)entspricht. Oder auch

GDA = F.T. 〈ππ|O|0〉 , (II.202)

für hadronische Zustände mit mehr als einem Teilchen (→ generalized distribution am-plitudes – GDAs).In all diesen Fällen kann die Evolution der entsprechenden Matrixelemente aus derRenormierung des OperatorsO abgeleitet werden. Hierbei sind aber die unterschiedlichenkinematischen Fälle zu unterscheiden:

• Beschreibt der Operator der Übergang eines Quarks mit Impuls ξp in ein Quarkmit ξ′p′, so ergibt sich eine Struktur ähnlich wie in der tief-inelastischen Streuung(DGLAP-Region).

• Beschreibt der Operator die Vernichtung eines Quark-Antiquark-Paars mit Im-pulsen ξp und (1 − ξ)p, so ergibt sich die Evolutionsgleichung für LCDAs, diez.B. in B → ππ relevant ist (ERBL-Region, nach Efremov-Radyushkin-Brodsky-Lepage).

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)II.7.1 IR-Divergenzen und Jet-DefinitionWir hatten bereits die Vernichtung von e+e−–Paaren in hadronische Endzustände disku-tiert und den totalen Wirkungsquerschnitt bestimmt. Bezüglich der Quantenkorrekturendurch die starke Wechselwirkung hatten wir argumentiert, dass – so lange wir uns nichtauf spezifische Eigenschaften des Endzustands konzentrieren – die Details der Hadro-nisierung des aus dem elementaren QED-Prozess resultierenden Quark-Antiquark–Paarsnicht benötigt werden, um die αs–Korrekturen zu σtot auszurechnen. D.h. der totaleWirkungsquerschnitt ergibt sich aus der Summe der partonischen Wirkungsquerschnitte,

σ(e+e− → hadrons) = σ(e+e− → qq) + σ(e+e− → qqg) + σ(e+e− → qqgg) + . . .(II.203)

die wir mittels QCD-Störungstheorie ausrechnen. Wir betrachten dabei q2 gross, d.h.die Teilchen im Endzustand haben i.A. große Energie, so dass wir deren Masse vernach-lässigen können. Durch Betrachten der beitragenden Feynman-Diagramme ergibt sichoffensichtlich

σ(e+e− → qq) = σ0 + αs2π σ

virtuell1 + . . . ,

σ(e+e− → qqg) = 0 + αs2π σ

reeell1 + . . . ,

. . . (II.204)

Wir wissen bereits aus der Berechnung der QED-Korrekturen zur Elektron-Myon–Streuung,dass sich in diesem Fall IR-Divergenzen ergeben, die zum einen von der Schleifenintegra-tion in den virtuellen Korrekturen (z.B. zu e+e− → qq), zum anderen aus der Phasen-raumintegration der reellen Korrekturen (z.B. e+e− → qqg) resultieren:

• “kollineare Divergenzen” treten auf, wenn die Impulse zweier Teilchen parallelzueinander sind,

• “softe Divergenzen” treten auf, wenn Energie/Impuls eines Teilchens gegen Nullgeht.

Im totalen Wirkungsquerschnitt fallen diese IR-Divergenzen heraus — die individuellenWirkungsquerschnitte in (II.203) sind allerdings nur mit einem IR-Regulator definiert.Auf der experimentellen Seite kann man analog den totalen Wirkungsquerschnitt alsSumme von 2-Jet-, 3-Jet, 4-Jet, etc. - Raten auffassen, wobei die genaue Unterschei-dung zwischen n-Jet und (n-1)-Jet-Raten noch zu definieren ist (wie wir sehen werden,hängt die Freiheit in der Jet-Definition mit der Ambiguität der IR-Regularisierung imPartonbild zusammen).Wir rekapitulieren im Folgenden die Berechnung der partonischen Wirkungsquerschnitte:

• In führender Ordnung gibt es nur den WQ für e+e− → qq mit

R(0)(q2) = − 13q2 R

µµ

(0)(q2) = NC∑f

Q2f .

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

• Die reellen Korrekturen der Ordnung αs entsprechen dem Betragsquadrat der Amplitude für denProzess e+e− → qqg, wobei das Gluon entweder vom Quark oder vom Antiquark abgestrahltwerden kann. Durch Anwenden der Feynman-Regeln ergibt sich

R(reell)(q2) = − 13q2 R

µµ

(reell)(q2) = − 13q2 6π g2

s trTAT a∑f

Q2f

∫dLiPS(p1, p2, k)

×[

tr(γµ(p/1 + k/)γρp/1γσ(p/1 + k/)γµp/2)

[(p1 + k)2]2

+tr(γµp/1γµ(−p/2 + k/)γρp/2γσ(−p/2 − k/))

[(p2 + k)2]2

+tr(γµp/1γρ(p/1 + k/)γµp/2γ

σ(−p/2 − k/))[(p1 + k)2(−p2 − k)2]

+tr(γµ(p/1 + k/)γρp/1γµ(−p/2 − k/)γσp/2)[(p1 + k)2(−p2 − k)2]

]∑λ

ερ(λ)ε∗σ(λ) (II.205)

Hierbei ist∫dLiPS(p1, p2, k) =

∫d3p1

(2π)32p01

d3p2

(2π)32p02

d3k

(2π)32k0 (2π)4 δ(4)(q − p1 − p2 − k) (II.206)

der Phasenraumfaktor mit der Impulserhaltung. Weiterhin ergibt die Spur über die Farbfrei-heitsgrade tr[TATA] = CF NC , und die Summe über die Gluonpolarisationen kann (da die un-physikalischen Polarisationen sowieso nicht beitragen) durch

∑λερ(λ)ε∗σ(λ) = −ηρσ ersetzt wer-

den.

Zur Beschreibung der Kinematik für masselose Teilchen vereinfachen sich die Ausdrückeerheblich, wenn man folgende dimensionslose Größen einführt:

x1,2 = 2 p1,2 · qq2 → 2Eq,q√

s, x3 = 2 k · q

q2 → 2Eg√s, (II.207)

welche, wie angegeben, im Schwerpunktsystem gerade die auf die Gesamtenergie bezo-genen Energiebruchteile bezeichnen. Damit ergibt sich für die diversen Skalarprodukte

k · p1 = 12(k + p1)2 = 1

2(q − p2)2 = q2

2 (1− x2) ,

k · p2 = 12(k + p2)2 = 1

2(q − p1)2 = q2

2 (1− x1) ,

p1 · p2 = q2

2 (1− x3) , (II.208)

mit

x1 + x2 + x3 = 2(p1 + p2 + k) · qq2 = 2 . (II.209)

127

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Nach Ausführung der Dirac-Spuren und Kontraktion der Lorentz-Indizes ergibt sichdaraus

R(reell)(q2) = NC

∑f

Q2F g

2sCF

−6π3q2

∫dLiPS(x1, x2, x3)

×[−8(1− x1)

1− x2− 8(1− x2)

1− x1+ 16(1− x1 − x2)

(1− x1)(1− x2)

]= R(0) g2

sCF16πq2

∫dLiPS(x1, x2, x3) x2

1 + x22

(1− x1)(1− x2) .

(II.210)

Die Phasenraumintegration kann man bis auf x1 und x2 explizit ausführen,→ Übung ∫dLiPS(x1, x2, x3)→ q2

128π3

∫0≤x1,x2≤1, x1+x2≥1

dx1 dx2 (II.211)

und somit ergibt sich schließlich

R(reell)(q2) = R(0)(q2) αsCF2π

∫0≤x1,x2≤1, x1+x2≥1

dx1 dx2x2

1 + x22

(1− x1)(1− x2) . (II.212)

Offensichtlich divergiert das Integral bei x1 → 1 und/oder x2 → 1.

Skizze des Phasenraums in der x1–x2–Ebene (→ Übung)

(a) Für x1 → 1 und x2 → 1:Folgt x3 → 0, d.h. die Gluonenergie verschwindet; man sagt das Gluon ist weich(“soft”) und deshalb spricht man von der soften Divergenz im Phasenrauminte-gral.

(b) Für x1 → 1 und x2 6= 1:Gilt

k · p2 = Ek E2 (1− cos θ(k, p2)) = q2

2 (1− x1)→ 0

d.h. der Winkel zwischen dem Gluon und dem Antiquark wird Null; d.h. die Im-pulsvektoren sind parallel (“kollinear”) und man spricht von der kollinearen Di-vergenz im Phasenraumintegral.

128

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

(c) Analog erhält man eine kollineare Divergenz für x2 → 1 und x1 6= 1, bei der dasGluon parallel zum Quark abgestrahlt wird.

Interpretation: In allen 3 Fällen werden wir im Experiment den Phasenraumbereich,bei denen die soften oder kollinearen Divergenzen auftreten, nicht von einem Ereignisder Form e+e− → qq unterscheiden können. Das Argument hatten wir bereits bei denQED-Korrekturen zur Elektron-Myon–Streuung verwendet.In der QCD müssen wir zusätzlich berücksichtigen, dass die erzeugten Quarks und Glu-onen hadronisieren, d.h.

• Ereignisse e+e− → qq sind der Ausgangspunkt für hadronische Endzustände, beidenen die Teilchen in 2 hadronischen “Jets” gebündelt sind, die (im Schwerpunkt-system) in entgegengesetzter Richtung orientiert sind.

• Ereignisse e+e− → qqg mit x1,2 “genügend” weit entfernt vom Phasenraumbereichmit kollinearen oder soften Divergenzen, werden als 3-Jet Ereignisse beobachtet.

• Die Endpunktbereiche des Phasenraums für e+e− → qqg tragen zu den 2-JetEreignissen bei und müssen mit den virtuellen Korrekturen zu e+e− → qq kom-biniert werden, um IR-endliche Vorhersagen zu erhalten.

Offensichtlich ist in dieser Bestimmung ein gewisser Grad an Willkür, d.h. wir müssenzunächst eine genaue Definition geben, was wir unter einem 2-, 3-, oder N -Jet–Ereignisverstehen wollen, welche sich sowohl auf die partonischen Wirkungsquerschnitte als auchauf die beobachteten hadronischen Ereignisse anwenden lässt.Für eine sinnvolle Jet-Definition erwarten wir z.B., dass die 3-Jet–Raten in e+e−–Vernichtung nach Hadronen gegenüber 2-Jet–Raten mit einem Faktor αs(µ) unterdrücktist, und wir µ ∼

√s wählen können. Eine einfache Jet-Definition wird durch den sog.

JADE-Algorithmus gegeben:

• Betrachte alle invarianten Massen (pi+pj)2 von Paaren von Teilchen (Partonen inder störungstheoretischen Rechnung, bzw. Hadronen im Experiment)

• Falls(pi + pj)2 = 2EiEj(1− cos θij) ≥ y q2

mit einem vorgegebenen Parameter y, werden die 2 Teilchen als individuelle Jetsgezählt. Anderenfalls gehören sie zu dem gleichen Jet.

Für unseren Fall können wir also Beiträge zu 2- und 3-Jet–Events unterscheiden gemäß

3-Jet: (p1 + k)2 = q2(1− x2) ≥ yq2

(p2 + k)2 = q2(1− x1) ≥ yq2

(p1 + p2)2 = q2(x1 + x2 − 1) ≥ yq2

2-Jet: sonst (II.213)

129

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Damit ergibt sich die 3-Jet–Rate in führender Ordnung Störungstheorie zu

R(3-jet)JADE = R(0)(q2) αsCF2π

∫dx1 dx2

x21 + x2

2(1− x1)(1− x2)

× θ[0 ≤ x1, x2 ≤ 1− y] θ[x1 + x2 > 1 + y]

= R(0)(q2) αsCF2π

∫ 1−y

2ydx2

∫ 1−y

1+y−x2dx1

x21 + x2

2(1− x1)(1− x2)

= R(0)(q2) αsCF2π

(2 ln2 y

1− y + (3− 6y) ln y

1− 2y + 4Li2(

y

1− y

)+5

2 − 6y − 92 y

2 − π2

3

), (II.214)

wobei Li2(z) der Polylogarithmus

Li2(z) = −∫ z

0dξ

ln(1− ξ)ξ

(II.215)

ist. Daraus erhält man die 3- und 2-Jet–Raten in dieser Ordnung Störungstheorie also

f3(√s, y) ≡ R(3-jet)(

√s)

R(√s) ' αsCF

(2 ln2 y

1− y + (3− 6y) ln y

1− 2y + 4Li2(

y

1− y

)+5

2 − 6y − 92 y

2 − π2

3

),

(II.216)

f2(√s, y) ≡ R(2-jet)(

√s)

R(√s) ' 1− f3(

√s, y) . (II.217)

Die 2-Jet–Rate ist hierbei per Konstruktion endlich, wobei wir natürlich benutzt haben,dass sich im Gesamt-Wirkungsquerschnitt die kollinearen und soften Divergenzen zwis-chen reellen und virtuellen Korrekturen aufheben (das hatten wir im QED-Beispiel ex-plizit gesehen – der QCD–Fall funktioniert analog).Plotted man dies als Funktion von y ergibt sich folgendes Bild:

130

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

• Für y → 0 erhalten wir wieder die kollinearen und soften Divergenzen, so dass wirdas physikalisch unsinnige Ergebnis

f3 →αsCF

(2 ln2 y + 3 ln y + 5

2 −Π2

3 + . . .

)→ +∞

und f2 → −∞ erhalten. D.h. in der Praxis muss y groß genug gewählt werden,so dass zumindest f3 < f2. Bzw., wenn wir beachten, dass die Raten mit ln y2

divergieren, fordern wirαsCFπ

ln2 y < 1

• Für y > 1/3 verschwindet das Integrationsgebiet für die 3-Jet–Rate und f3 = 0,d.h. in diesem Bereich wird jedes Ereignis als 2-Jet–Ereignis gezählt.

Die Konstruktion lässt sich offensichtlich auf n-Jet–Raten verallgemeinern: Wir betra-chten dazu ein hadronisches Ereignis mit N Hadronen (bzw. partonischen Endzustandmit N Quarks oder Gluonen)

1. BildeM = min

i,j(pi + pj)2

2. Wenn M > ys, dann ist das Ereignis ein N–Jet–Ereignis.

3. WennM < ys, dann kombiniere die Teilchen i und j, die das minimaleM gebildethaben, zu einem neuen Quasiteilchen mit Impuls pi + pj .

4. Wiederhole das Verfahren für jetzt N − 1 Teilchen, bis es abbricht (bzw. N = 2)

Die Zahl N ≥ 2 definiert die Anzahl der Jets. Das störungstheoretische Ergebnis für die(N = n+ 2)-Jet–Raten hat dann die allgemeine Form

fn+2(√s, y) =

(αs(µ)

)n ∞∑k=0

Cnk

(s

µ2 , y

) (αs(µ)

)k(II.218)

mit ∑∞n=2 fn = 1. Für “vernünftige” Werte von y können wir die Logarithmen ln sµ2 in

den Koeffizienten Cnk klein halten, wenn wir µ =√s wählen. Damit lässt sich umgekehrt

aus der Messung der Jet–Raten bei verschiedenen Werten von s die laufende Kopplungder QCD testen. Allerdings müssen wir dabei bedenken, dass sich für die Hadronisierungder Quarks und Gluonen auch nicht-perturbative Korrekturen der Ordnung ΛQCD/

√s

ergeben (für einige Jet-Algorithmen kann man zeigen, dass die Korrekturen erst beiΛ2

QCD/s beginnen). In der Praxis werden solche Korrekturen durch Hadronisierungsmod-elle abgeschätzt und sind Teil des systematischen Fehlers.Abbildungen für Vergleich von Theorie und Experiment in Jet-Raten kann man in demBuch von Ellis/Stirling/Webber [6] finden.Eine Modifikation des JADE-Algorithms, der sog. Durham–Algorithmus, ersetzt die invariante Massedurch

2 min(E2i , E

2j

)(1− cos θij) > ys

mit Energien/Winkeln im Schwerpunktsystem.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

II.7.2 Event-Shapes

Ein wichtiges Theorem der QCD nach Bloch/Nordsieck und Kinoshita/Lee/Nauenbergbesagt:

“Für “genügend“ inklusive Observable heben sich die soften und kollinearenDivergenzen auf”

“Inklusiv” heisst dabei, dass wir keine Details über die spezifische Hadronisierung derQuarks in der Messgröße berücksichtigen. Der totale Wirkungsquerschnitt ist offen-sichtlich eine inklusive Observable.Wir wollen nun weitere inklusive Observablen konstruieren, die wie der Wirkungsquer-schnitt (bzw.R(s)) für gegebene Schwerpunktsenergie durch eine einfache Zahl dargestelltwerden, aber zusätzlich Information über die Jet–Topologie der Reaktion beinhalten. Umdie Anwendbarkeit des obigen Theorems zu gewährleisten, müssen diese Observablen“IR-safe” sein. Ein intuitives Kriterium dafür ist, dass

• Observable sind IR-safe, wenn sie sich nicht ändern unter der Ersetzung von 4er-Impulsen

pi → pj + pk ,

so lange ~pj ||~pk (kollineare Emission) oder Ek Ej (softe Emission).

Beispiele für solche IR-sicheren “Event-Shape”–Variablen sind:

Thrust: T ≡ max~n

∑i |~pi · ~n|∑i |~pi|

, (II.219)

Spherocity: S ≡( 4π

)2min~n

(∑i |~pi × ~n|∑i |~pi|

)2, (II.220)

C-Parameter: C ≡ 32

∑i,j

[|~pi||~pj | − (~pi · ~pj)2/(|~pi||~pj |)

](∑i |~pi|)

2 . (II.221)

Hierbei ist ~n ein Einheitsvektor, der anhand der Minimierung/Maximierung zu bestim-men ist. Für 2-jet–artige Ergeignisse ist ~n gerade die Jet-Achse. Testen wir die IR-safety(→ Übung)für die Thrust-Variable:

• Für kollinear Emission ist ~pj ‖ ~pk und deshalb

|~pi · ~n| = |~pj · ~n|+ |~pk · ~n| und |~pi| = |~pj + ~pk| = |~pj |+ |~pk|

Damit bleibt der Wert von T unverändert.

• Für softe Emission trägt das Teilchen mit |~pk| → 0 nicht bei, während |~pj | → |~pi|.

Für einfache Topologien ergeben sich folgende Werte:(→ Übung)

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

Topologie T S C

2-jet 1 0 0sphärisch symm. 1/2 1 1

qqg maxxi 4 · 16π2

∏i(1−xi)

maxx2i

6∏i(1−xi)

x1x2x3

Aus der letzten Zeile können wir insbesondere die Thrust–Verteilung aus den einzelnenpartonischen differentiellen Wirkungsquerschnitten berechnen, gemäß

dσ = dσ(qq) dT δ(T − 1) + dσ(qqg) dx1 dx2 dT δ(T −maxxi) + . . . (II.222)

Für die normierte Thurst-Verteilung erhalten wir dann durch Integration der partonis-chen Phasenraumbereiche mit der entsprechenden Einschränkung durch T ,

dT= δ(T − 1) + αsCF

2π [F (T )]+ + . . . (II.223)

Die Beiträge der reellen und virtuellen αs-Korrekturen kombinieren sich dabei (analogzur Diskussion der Splitting-Funktion in DIS) zu einer Plus-Distributionen:

• Für reguläre Testfunktionen g(T ) gilt wieder∫ 1

1/2dT [F (T )]+g(T ) ≡

∫ 1

1/2dT F (T ) (g(T )− g(1)) .

• Für T 6= 1 entspricht [F (T )]+ = F (T ). Da die virtuellen Korrekturen zum 2-Teilchen-WQ nur zu T = 1 beitragen, kann man F (T ) aus den reellen Korrekturenbestimmen.

• Das Integral∫ 1

1/2 dT [F (T )]+ = 0 verschwindet, so dass∫dT 1

σdσdT ≡ 1.

Um die Funktion F (T ) zu berechnen, müssen wir den Phasenraum in dσ(qqg) in dreiTeile aufteilen, welche den Situation xmax = x1, x2, x3 entsprechen (man mache sich diesan einer einfachen Skizze klar):

• Im 1. Bereich gilt x1 > x2 und x1 > x3 = 2− x1 − x2. Somit

F (T )1 =∫dx1 dx2

x21 + x2

2(1− x1)(1− x2) δ(T − x1) θ(x1 − x2) θ(2x1 − 2 + x2)

=∫ T

2(1−T )dx2

T 2 + x22

(1− T )(1− x2)

= 1 + T 2

1− T ln 2T − 11− T + 4− 7T + 3T 2/2

1− T .

(II.224)

Man beachte, dass die Beiträge von diesen reellen Korrekturen wieder IR-singulärsind, sich aber – wie oben diskutiert – für IR-sichere Observable gerade durch dieHinzunahme der virtuellen Korrekturen zu einer IR-regulären Plus-Distributionergänzen.

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

• Im 2. Bereich gilt analog x2 > x1 und x2 > 2− x1 − x2 mit F (T )1 = F (T )2.

• Im 3. Bereich, x3 > x1, x3 > x2 ergibt sich nach Variablensubstitution x1 =2− x2 − x3

F (T )3 =∫dx2 dx3

(2− x2 − x3)2 + x22

(x2 + x3 − 1)(1− x2) δ(T − x3) θ(x3 − x2) θ(2x3 − 2 + x2)

= 2(2− 3T ) +2(2− 2T + T 2) ln 2T−1

1−TT

.

(II.225)

Hierbei ist das Ergebnis bei T → 1 nur logarithmisch divergent (und damit direktintegrabel mit regulären Testfunktionen).

• Die 3 Bereiche treffen sich im symmetrischen Punkt x1 = x2 = x3 = 2/3, wasgerade dem minimal möglichen Wert für eine 3-Teilchen-Konfiguration entspricht,d.h. F (T ) = F (T )θ(T − 2/3).

Insgesamt erhält man somit

F (T ) = 2(3T 2 − 3T + 2)T (1− T ) ln 2T − 1

1− T −3(3T − 2)(2− T )

1− T . (II.226)

Betrachten wir obiges Beispiel für die Thrust-Variable, erkennen wir wieder, dass fürT nahe (aber nicht gleich) eins — d.h. also 2-Jet–artige Events — große Logarithmenin der Form ln(1−T )

1−T auftreten. Eine genaue Analyse der höheren Ordnungen ergibt dasallgemeinere Resultat, dass in n-ter Ordnung Störungstheorie das Verhalten bei T → 1durch

∝ [αs(µ)]n ln2n−1(1− T )1− T

gegeben ist, d.h. in jeder Ordnung kommt ein Faktor αs ln2(1 − T ) dazu, so dass dieStörungsreihe wieder nur für Werte von T mit

αs(µ) ln2(1− T ) 1

verlässliche Voraussagen liefert.Wir hatten bereits bei der Diskussion von Sudakov-Logarithmen in der QED gesehen, wiesich solche Logarithmen aufsummieren lassen. Die physikalische Vorstellung ist dabei,dass die Wahrscheinlichkeit, dass das auslaufende Quark-Antiquark–Paar keine softenoder kollinearen Gluonen abstrahlt im Hochenergielimes exponentiell klein sein sollte,d.h. die Thrust-Verteilung (genauso wie die 2-Jet–Rate) sollte für T → 1 regulär sein,anstatt ins Unendliche anzuwachsen. Für den traditionellen Zugang zur Resummationvon großen Logarithmen in Event-Shapes verweisen wir auf Kapitel 6.5 in [6]. Wir werdenim Folgenden einen alternativen Zugang kennenlernen, der das Problem im Rahmen einereffektiven Quantenfeldtheorie löst.

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

Ausgangspunkt der Überlegung ist die Beobachtung, dass für kleine Werte von

τ ≡ 1− T 1

der physikalische Prozess durch mehrere verschiedene Energieskalen charakterisiert ist.Betrachten wir dazu eine Konfiguration mit 2 deutlich separierten Jets entlang der z-Achse, d.h. die einzelnen kollinearen Teilchen haben Impulskomponenten

~p ≡ (~p⊥, pz) = (px, py, pz) , mit |px| ∼ |py| |pz| ∼√s ,

wobei wir im Folgenden mit ~p⊥ immer die 2 Impulskomponenten senkrecht zur Jet-Achsemeinen. Für die Thrust-Variable ergibt sich dann entsprechend aus der Definition mit~n = ~ez und

|pz| =√|~p|2 − |~p⊥|2 ' |~p|

(1− 1

2|~p⊥|2

|~p|2

)⇒ 1− T ∼ O(|p⊥|2/s) . (II.227)

Genauso gilt für die invariante Masse der Jets entsprechend

p2 ∼ O(|p⊥|2) ∼ (1− T ) s = τ s .

Zusätzlich können wir noch weiche Teilchen im Jet betrachten: Aus Konsistenzgründendürfen diese das Skalierungsverhalten der invarianten Jetmasse nicht ändern. Mit

(p+ psoft)2 ∼ O(p2) +O (|pz||~psoft|)

ergibt das also |~psoft| ∼ (1−T )√s = τ

√s. Die physikalische Situation wird somit durch

3 verschiedene Skalen beschrieben

• Harte Skala (Skala der externen Quelle für die Erzeugung von Partonen):√s,

• Jet-Skala (Skala der kollinearen Teilchen im Jet):√p2

coll ∼√τ√s,

• Weiche Skala (Skala der soften Teilchen im Jet):√p2

soft ∼ τ√s,

welche für τ 1 hierarchisch separiert sind.√s

√τ√s τ

√s . (II.228)

Die Idee ist nun wieder, die Effekte der harten Moden in Koeffizientenfunktionen C(s, µ)zu absorbieren, welche für µ ∼

√s perturbativ in QCD berechenbar sind. Die verbleiben-

den Effekte der weichen und kollinearen Teilchen sollen durch eine effektive Theoriebeschrieben werden, deren Operatoren RG-Gleichungen gehorchen, die wir perturbativlösen können, um große Logarithmen zu summieren. Weiterhin wollen wir die Effekteder Jet-Skala von der weichen Physik (inkl. der Hadronisierungseffekte) trennen.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

II.7.3 Einige Features der Soft-collinear effective theory (SCET)Im Rahmen einer effektiven Theorie können wir nun zunächst versuchen, die kurzre-ichweitigen Effekte, welcher mit der harten Skala

√s zusammenhängen, auszuintegri-

eren. Dazu stellen wir uns vor, dass wir die Fourier-Moden der Quark- und Gluonfelderentsprechend aufteilen in harte, kollineare und softe Moden,

harte Moden: |pµ| ∼√s , p2 ∼ s ,

kollineare Moden: E ∼√s , p2 ∼ τs ,

weiche Moden: |pµ| ∼ τ√s , p2 ∼ τ2s . (II.229)

Wir führen im Folgenden lichtartige Referenzvektoren ein,

nµ± = (1, 0, 0,±1) , n2± = 0 , n+ · n− = 2 ,

so dass wir einen beliebigen 4er-Vektor zerlegen können gemäß

vµ = (n+v) nµ−2 + (n−v) n

µ+2 + vµ⊥ (II.230)

mit v⊥ · n± ≡ 0. Somit gilt für ein kollineares Teilchen mit grosser Impulskomponenteentgegengesetzt zur z-Richtung

n+p = E + |pz| ∼√s p⊥ ∼

√τ√s n−p = E − |pz| =

p2 − p2⊥

2E ∼ τ√s .

(II.231)

Somit repräsentieren die so definierten Impulskomponenten gerade die Skalenhierarchie.Während in der vollen QCD-Rechnung alle diese Moden beitragen, wollen wir im Fol-genden eine effektive Theorie konstruieren, welche nur noch die soften und kollinearenModen enthält, während die Effekte der harten (kurzreichweitigen) Moden in Koeffizien-ten (bzw. genauer gesagt in Koeffizientenfunktionen) absorbiert werden sollen. Per Kon-struktion reproduzieren die weichen und kollinearen Moden dann die IR-Singularitätenim Phasenraumintegral bzw. in den virtuellen Korrekturen, während die Koeffizienten-funktionen unabhängig von der IR-Physik berechnet werden können.Betrachten wir zunächst die Dynamik der kollinearen Quarks wie sie z.B. aus der ur-sprünglichen e+e−-Annihilation resultieren. Es erweist sich hier als zweckmässig, die Hi-erarchie zwischen den einzelnen Impulskomponenten auszunutzen, um kleine und großeSpinorkomponenten der Quarkfelder zu identifizieren. Schreiben wir dafür die Dirac-Gleichung eines kollinearen Quarks mit (n+p) p⊥ (n−p) im Impulsraum,(

(n+p)n/−2 + p/⊥ + (n−p)

n/+2

)u(p) = 0 . (II.232)

Wir führen nun 2 Projektoren ein, via

1 = n/−n/+4 + n/+n/−

4 ,

(/n±/n∓

4

)2

=/n±/n∓

4 ,/n±/n∓

4/n∓/n±

4 = 0 , (II.233)

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

und definieren

ξ(p) ≡ n/−n/+4 u(p) , η(p) ≡ n/+n/−

4 u(p) . (II.234)

Projektion der Dirac-Gleichung ergibt dann

n/+2 : (n+p) η(p) + n/+

2 p/⊥ ξ(p) = 0 ,

n/+n/−4 : p/⊥ η(p) + (n−p)

n/+2 ξ(p) = 0 . (II.235)

Berücksichtigen wir das Skalierungsverhalten der Impulse |p⊥|/(n+p) ∼ (n−p)/|p⊥| ∼√τ , ergibt sich somit

η(p) ∼ O(√τ) ξ(p) , (II.236)

d.h. ξ(p) ist die große und η(p) die kleine Spinorkomponente für ein kollineares Quark.Wir können weiterhin die erste Gleichung mit n/+

2 multiplizieren und nach η(p) auflösen,und erhalten

η(p) = − 1n+p

n/+2 p/⊥ ξ(p) . (II.237)

Wenn wir dass in die zweite Gleichung einsetzen, ergibt sich die Dirac-Gleichung für diegrosse Spinorkomponente zu(

(n−p) + p/⊥1n+p

p/⊥

)n/+2 ξ(p) = 0 . (II.238)

Der Ausdruck in Klammern entspricht gerade p2/(n+p), was für ein on-shell-Teilchenoffensichtlich direkt Null ergibt. Im Ortsraum entspricht dies offensichtlich einer La-grangedichte für kollineare Quarkfelder 16

Lξ = ξ(x)(in−∂ + i/∂⊥

1in+∂

i/∂⊥

)/n+2 ξ(x) , (II.239)

Die Kopplung der kollinearen Quarkfelder an Gluonen ergibt sich – wie üblich – mit derkovarianten Ableitung,

i∂µ → i∂µ + gAµ . (II.240)16Man beachte, dass die Lagrangedichte das Inverse eines Ableitungsoperators entlang der durch die

kollinearen Teilchen definierten Jet-Richtung enthält. Diese sind durch nicht-lokale Integralausdrückedefiniert, z.B.

“ 1i d/dx

” f(x) ≡ −i∫ x

−∞dy f(y) ,

wobei die “richtigen” Randbedingungen aus der iε-Vorschrift im Feynman-Propagator und dem Vorze-ichen für Teilchen oder Antiteilchen-Lösungen zu bestimmen sind.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Das Skalierungsverhalten der kollinearen Gluonen A = Ac ist dabei korreliert mit demder Ortsableitungen bzw. Impulse, also

(n+Ac) ∼ (in+∂) ∼√s , Ac⊥ ∼ i∂⊥ ∼

√τs , (n−Ac) ∼ (in−∂) ∼ τ

√s . (II.241)

Im Vergleich dazu skalieren die weichen Gluonen in allen Komponenten wie As ∼ τ√s,

und somit sind die Komponenten (n+As) und A⊥s im Vergleich zu den kollinearen Glu-onfeldern in der kovarianten Ableitung (für Kopplungen an kollineare Teilchen) in er-ster Ordnung vernachlässigbar. Somit lautet die effektive Lagrangedichte für kollineareQuarks in erster Näherung

Lξ → ξ(x)(in−∂ + gn−A+ gn−As + i /D⊥

1in+D

i /D⊥

)/n+2 ξ(x) + . . . , (II.242)

wobei die kovarianten Ableitungen Dµ = i∂µ+gAµc rechts in der Klammer nur kollineareGluonfelder enthalten.17

Übung: Leiten Sie die Lagrangedichte für kollineare Quarks aus der QCD-Lagrangedichteab, indem Sie die klassischen Bewegungsgleichungen für die Feldkomponenten η(x) herleit-en und in die ursprüngliche Lagrangedichte einsetzen. Wie lautet demnach der Propaga-tor für das Feld ξ im Impulsraum? – Vergleichen Sie mit dem führenden Term des QCD-Quarkpropagators!

Tatsächlich kann man mit einem weiteren Trick die weichen Gluonfelder vollständig ausder führenden kollinearen Lagrangedichte entfernen. Dazu betrachten wir eine Wilson-linie18 (vgl. Definition der PDFs),

Ys(x) ≡ P exp(−ig

∫ ∞0

ds n−As(x+ sn−)), (II.243)

welche die Differentialgleichung

(in−∂ + g n−As)Ys(x) = 0 , bzw. (in−∂ + g n−As)Ys(x) f(x) = Ys(x) (in−∂) f(x)(II.244)

erfüllt und unitär ist, Y †s Ys = 1. Weiterhin gilt unter Eichtransformationen der weichenGluonfelder,

Ys(x)→ Us(x)Ys(x)Us(x+∞n−) ≡ Us(x)Ys(x) , (II.245)17Die genaue Ordnung der Gluonfelder ergibt sich erst, wenn man direkt die Bewegungsgleichungen für

die Felder η(x) löst, siehe Übung.18 Hierbei steht P(P) für (Anti-)-Pfadordnung der Farbmatrizen, d.h.

P A(x)A(x+ sn−) =

A(x)A(x+ sn−) s < 0A(x+ sn−)A(x) s > 0

138

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

d.h. die Wilson-Linien Ys(x) transformieren in der fundamentalen Darstellung, bis aufeine globale Trafo im Unendlichen, die man o.B.d.A. auf Eins setzen kann.Wenn wir jetzt die kollinearen Quark- und Gluonfelder umdefinieren gemäß

ξ(x)→ Ξ(x) ≡ Y †s (x)ξ(x) ,Ac(x)→ A(x) ≡ Y †s (x)Ac(x)Ys(x) , (II.246)

lautet die Lagrangedichte in den neuen Feldern

Lξ → Ξ(x)(in−D + i /D⊥

1in+D

i /D⊥)/n+2 Ξ(x) + . . . , (II.247)

wobei iD = i∂ + gA nur noch kollineare Gluonfelder beinhaltet.19Den kollinearen Gluonsektor schreiben wir entsprechend als

LAc = −14 G

µν,AGµν,A + gauge-fixing + . . . (II.248)

wobei die Feldstärketensoren Gµν durch die umdefinierten Felder A auszudrücken sind.Durch die Umdefinition der kollinearen Felder haben wir somit die weichen Gluonfeldervollständig aus dem führenden Term in der effektiven Lagrangedichte eliminiert. Wirwir im Folgenden sehen werden, tauchen die weichen Wilsonlinien dann aber wieder inden effektiven Operatoren auf, welche für die Erzeugung der energetischen Jets selb-st verantwortlich sind (in unserem Fall der elektromagnetische Strom aus der e+e−-Vernichtung). Die kollineare Lagrangedichte beschreibt somit alleine die Dynamik derkollinearen Jets unter Berücksichtigung von kollinearer Abstrahlung von Gluonen (oder,in höherer Ordnung, auch kollinearen qq-Paaren). Die kollinearen Quarkfelder werdendabei durch die führenden Spinorkomponenten Ξ(x) repräsentiert. Die entsprechendenImpulsraum-Feynman-Regeln lassen sich wie gewohnt aus L herleiten.

II.7.3.1 Elektromagnetischer Strom für e+e− → qq in SCET

In unserem Beispiel mit T → 1 müssen wir 2 unterschiedliche kollineare Moden für die2 Jets in unterschiedlichen Richtungen betrachten, d.h. wir schreiben für die kollinearenTeilchen im entgegengesetzen Jet (“anti-kollinear”),

Leff 3 Lquarkc = ξc(x)

(in+Dc + iD/c,⊥

1in−Dc

iD/c,⊥

)n/−2 ξc(x) , (II.249)

wobei einfach n+ und n− ihre Rolle vertauscht haben. Entsprechend für die anti-kollinearenGluonen.Wenden wir uns nun dem Matching der externen Stromoperatoren zu: In unserem Fallstarten wir mit dem elektromagnetischen Strom in der vollen Theorie. Naiv würden wirerwarten, dass

ψ γµ ψ → C ξc γµ ξc + h.c.+ . . . (II.250)

19Die Felder ξ und Ξ sind in der freien Theorie, g → 0, identisch. In der wechselwirkenden Theorie habendie entsprechenden Propagatoren aber offensichtlich unterschiedliche Spektren, die sich gerade durchdie Effekte der Abstrahlung von weichen Gluonen aus den Wilson-Linien unterscheiden.

139

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

zu ersetzen ist. Das ist allerdings noch nicht ganz das richtige Ergebnis:

• Ein formales Argument ist, dass der Ausdruck auf der rechten Seite nicht invariantunter separaten Eichtransformationen für kollineare oder anti-kollineare Gluon-felder ist (während die separaten Lagrangedichten diese Eigenschaft haben).

• Ein physikalisches Argument folgt aus der Betrachtung der möglichen reellen Ab-strahlung von z.B. kollinearen Gluonen mit Polarisation (n+Ac) vom antikollinearenQuark (bzw. (n−Ac) vom kollinearen Quark):(Skizze)– Solche Prozesse entsprechen harten Fluktuationen auf Baumgraphen-Niveau

(die internen Propagatoren sind off-shell vom Betrag (pc + pc)2 ' s) undgehören somit zum Operatormatching, da die effektive Lagrangedichte keineharten Wechselwirkungen zwischen kollinearen und anti-kollinearen Teilchenmehr beinhalten soll.

– Da (n+Ac) ∼ (n−Ac) ∼√s, sind solche Diagramme nicht unterdrückt im

Limes τ → 0, obwohl sie naiv höher-dimensionalen Operatoren entsprächen.– Die Abstrahlung lässt sich somit beliebig iterieren, inklusive anti-kollineare

Gluonabstrahlung von kollinearen Gluonen und umgekehrt.Tatsächlich lässt sich die geometrische Reihe von beliebig vielen kollinearen Gluon-Abstrahlungen explizit aufsummieren. Das Resultat beschreibt genau wieder Wilson-Linien, Wc(x) und Wc(x),welche nun gerade durch die (anti-)kollinearen Gluon-felder (n+Ac) und (n−Ac) konstruiert werden, so dass

W †cWc = 1 , (in+Dc)Wc = 0 , Wc(x)→ Uc(x)Wc(x) , (II.251)

und analog für die entgegengesetzte Richtung. Da die kollinearen Gluonfelder selbstin der vollen Theorie wieder anti-kollineare Gluonfelder abstrahlen können ergibtsich zunächst eine komplizierte Struktur der Farbmatrizen. Ohne in die Details zugehen, geben wir hier nur das (einfache) Endresultat an,

ψ γµ ψ → C(µ, s)(ξcWc

)γµ⊥

(W †c ξc

)+ h.c.+ . . . (II.252)

wobei wir auch benutzt haben, dass die Spinor-Projektoren der kollinearen undanti-kollinearen Quarks nur die transversale Komponente des Vektorstroms übriglassen.

• Insbesondere ist dieses Resultat nun manifest eich-invariant. Wenn wir jetzt dieFeldredefinitionen durchführen, ergibt sich

ψ γµ ψ → C(µ, s)︸ ︷︷ ︸ (ΞcWc

)︸ ︷︷ ︸ Y †s γ⊥µ Ys︸ ︷︷ ︸

(W†cΞc

)︸ ︷︷ ︸+h.c.+ . . . (II.253)

Durch die Konstruktion der effektiven Theorie haben wir somit die Separation der ver-schiedenen dynamischen Moden (hart, kollinear, anti-kolllinear, soft) auf dem Level von

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

Feldoperatoren erreicht. Dies stellt die Grundlage für das noch zu definierende Fak-torisierungstheorem dar und erlaubt es uns, die den verschiedenen physikalischen Skalenzugeordnete Dynamik separat zu berechnen. Die Propagatoren der Teilchen in der effek-tiven Theorie folgen dabei aus den (in führender Ordnung separaten) Lagrangedichtenfür softe und kollineare (bzw. anti-kollineare) Felder.

II.7.3.2 Harter Matching-Koeffizient

Der Matching-Koeffizient C(µ, s) ist wie angegeben eine Funktion der Renormierungsskalasowie der harten Impulsskala s. Dieser kann für µ ∼

√s störungstheoretisch berechnet

werden, indem man in den entsprechenden Diagrammen der vollen Theorie die kleinenImpulskomponenten der externen Quarks vernachlässigt. Die soften und kollinearen IR-Divergenzen in den (unrenormierten) Koeffizienten C(s, µ) haben dabei in dimensionalerRegularisierung die typische Struktur

µ2ε

2,

= 1ε2,

lnµ2 ,1ε

.

In der effektiven Theorie entspricht dies zusätzlichen UV-Divergenzen für den effektivenStromoperator. Aufgrund der Struktur der IR-Divergenzen in C(µ, s) ergibt sich i.A.eine µ-Abhängigkeit der Form

d

d lnµ C(µ, s) =[Γcusp(αs) ln s

µ2 + γC(αs)]C(µ, s) (II.254)

Hierbei ist Γcusp die sog. “cusp”-anomale Dimension,20 welche nur von universellen Eigen-schaften (Eichdarstellung, Spin) der am Strom beteiligten Teilchen abhängt und miteinem expliziten Faktor lnµ2 in die RG-Gleichung eingeht. Die Grösse γC parametrisiertdie verbleibenden (normalen) Beiträge zur anomalen Dimension, welche vom spezifischenStrom J abhängen. Beide Größen haben, wie angedeutet, eine perturbative Entwicklungin αs(µ).Die RG-Gleichung für die Koeffizientenfunktionen C(µ, s) lässt sich wieder formal lösen,wenn wir d lnµ = dα/β(α) substituieren: → Übung

C(µ, s) = C(µh, s) exp [2S(µh, µ)−AC(µh, µ)](s

µ2h

)−AΓ(µh,µ)

(II.255)

mit

S(µh, µ) = −∫ αs(µ)

αs(µh)dα

Γcusp(α)β(α)

∫ α

αs(µh)

dα′

β(α′) ,

AC(µh, µ) = −∫ αs(µ)

αs(µh)dα

γC(α)β(α) ,

AΓ(µh, µ) = −∫ αs(µ)

αs(µh)dα

Γcusp(α)β(α) . (II.256)

20Der Name resultiert aus einer geometrischen Interpretation: Die cusp-anomalen Dimensionen tretenimmer dann auf, wenn sich am Strom Wilsonlinien in verschiedenen Richtungen treffen.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Man überprüft dies am Einfachsten, indem man die Lösung in die RGE einsetzt undbenutzt, dass

dS

d lnµ = −Γcusp(αs(µ))∫ αs(µ)

αs(µh)

dα′

β(α′)

= −Γcusp(αs(µ))∫ lnµ

lnµhd lnµ′ = −Γcusp(αs(µ)) ln µ

µh,

dACd lnµ = −γC(µ) . (II.257)

Wenn wir uns auf die Beiträge der größten Logarithmen beschränken wollen, reicht es,den ersten Term in der Entwicklung von Γcusp = Γ0

αs4π + . . . und β = −α2

s2π β0 + . . . zu

berücksichtigen, während γC = O(αs) vernachlässigt werden kann. Dann erhält man

S(µh, µ) ' −πΓ0β2

0

1αs(µ) (1− z + ln z) , z ≡ αs(µh)

αs(µ) . (II.258)

Für die natürliche Wahl für die Matching-Skala, µh =√s, so dass C(µh =

√s, s) ≈ 1,

ergibt sich dann die Leading-Log-Approximation für den Koeffizienten zu

C(µ, s) ' exp[−2πΓ0

β20

1αs(µ) (1− z + ln z)

], z = αs(

√s)

αs(µ) . (II.259)

Damit können wir große Logarithmen der Form ln p2/s ∼ ln τ in die Koeffizienten auf-summieren, wenn wir µ ∼

√τs wählen.

Auf diese Weise generieren wir also eine nicht-analytische s-Abhängigkeit des Koeffizien-ten C(µ, s), ähnlich wie wir es (diagrammatisch) bei der Resummation von soften undkollinearen Abstrahlungen im Sudakov-Formfaktor der QED diskutiert hatten.

II.7.4 Faktorisierungstheorem für Thrust-Verteilung nahe τ → 0Die Konstruktion der effektiven Theorie erlaubt uns, die Thrust-Verteilung in Beiträgeder harten, kollinearen und weichen Physik zu zerlegen (“faktorisieren”). Im vorherigenParagraph hatten wir bereits die Beiträge der harten Gluonen in die Koeffizientenfunk-tion C(µ, s) absorbiert. Die entsprechenden Ströme tauchen im Wirkungsquerschnittquadratisch auf, so dass wir

dτ= σ0 ·H(µ, s) · F (µ, s, τ) (II.260)

schreiben können mitd

d lnµ H(µ, s) = 2[Γcusp(αs) ln s

µ2 + γC(αs)]H(µ, s) (II.261)

und entsprechender Lösung der RGE. Um die kollineare und softe Skala zu trennen (undsomit weitere Logarithmen ln τ zu summieren), müssen wir die Funktion F (µ, s, τ) inkolllineare und softe Bereiche aufteilen [7].

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

Wir betrachten zunächst noch einmal die Kinematik: Wir betrachten ein 2-Jet–Eventmit Jet-Impulsen pµL und pµR entlang der z-Achse und p2

L,R ∼ O(τs) für kleine τ = 1−T .Für die Thrust-Variable haben wir dann also

T = |~ez · ~pL|+ |~ez · ~pR|EL + ER

= |n+pL − n−pL|+ |n+pR − n−pR||n+pL + n−pL|+ |n+pR + n−pR|

(II.262)

Nehmen wir an, dass (n+pL) (n−pL) und (n−pR) (n+pR) und entwickeln zurOrdnung τ , so ergibt sich

T ' 1− 2 n−pL + n+pRn−pR + n+pL

' 1− p2L + p2

R

s, (II.263)

wobei wir benutzt haben, dass (n+pL) ' (n−pR) '√s und (n±pL,R) = p2

L,R/(n∓pL,R).Wenn wir jetzt die Jet-Impulse (beliebig) in kollineare Impule (p und p′) und weicheImpulse(kL und kR) aufteilen, so gilt

pL ' (n+p)n−2 + (n−p+ n−kL) n+

2 ,

pR ' (n−p′)n+2 + (n+p

′ + n+kR) n−2 , (II.264)

so dass

τ = 1− T = p2L + p2

R

s= p2 + p′2

s+ (n+p)(n−kL) + (n−p′)(n+kR)

s

' p2 + p′2

s+ (n−kL) + (n+kR)√

s. (II.265)

Für die gesuchte Funktion F (µ, s, τ) erwarten wir deshalb eine Faktorisierung gemäßfolgender Konvolution

F (µ, s, τ) =∫dp2 d(p′)2 J(µ, p2) J(µ, (p′)2)

∫dk ST (µ, k)

× δ(τ − p2 + p′2

s− k√

s

), (II.266)

welche (für gegebenen Wert von τ) über alle Möglichkeiten integriert, den Jet-Impuls inkollineare und weiche Freiheitsgrade aufzuteilen, wobei k ≡ (n−kL) + (n+kR).

• Die sog. Jet-Funktion J(µ, p2) beschreibt dabei die Propagation der kollinearen(und anti-kollinearen) Teilchen und hängt nur von der invarianten Masse deskollinearen Teilchens ab. Für µ ∼

√p2 ∼

√τ√s ΛQCD können wir die Jet-

Funktion perturbativ ausrechnen, ohne dass große Logarithmen auftreten können.

• Die Funktion ST (µ, k) beschreibt die Dynamik der weichen Freiheitsgrade, wobeiwir durch den Index T angedeutet haben, dass diese Funktion spezifisch für dieObservable Thrust definiert/gemessen werden muss.

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

II.7.4.1 Die Jet-Funktion J(µ, p2)

Um obige Faktorisierung im Detail zu verstehen, können wir das optische Theorem fürdie Erzeugung von soften und kollinearen Partonen durch den effektiven Strom in SCETverwenden, d.h. wir gehen vom Imaginärteil der Vorwärtsstreuamplitude aus. Wenn wirdie redefinierten Felder Ξc,c(x) verwenden, wissen wir, dass in führender Ordnung bzgl.√τ die weichen, kollinearen und anti-kollinearen Felder entkoppeln. Demnach ergibt

sich die Jet-Funktion aus (der Fourier-Transformierten von) dem Erwartungswert derbeteiligten kollinearen Felder in Jeff(0) und J†eff(x), so dass

J(µ, p2) ∝ 1π

Im[i

∫d4xe−ipx 〈|T

(ΞcWc)(x) n/+

2 (W†cΞc)(0)|0〉], (II.267)

wobei wir auch in den Wilson-LinienW jeweils die redefinierten Gluon-Felder benutzen.In führender Ordnung Störungstheorie können wir die Wilson-Linien zunächst vernach-lässigen, und wir erhalten nichts weiter als den Imaginärteil des Quarkpropagators inSCET. Wenn wir insbesondere den Normierungsfaktor zu 1/(n+p) wählen, erhalten wireine Lorentz-Boost–invariante Definition, die sich zu

J(µ, p2) ' 1n+p

Im[

−1n−p+ p2

⊥/(n+p) + iε

]= 1n+p

δ(n−p+ p2⊥/(n+p)) = δ(p2)

(II.268)

ergibt, was gerade die Tatsache reflektiert, dass in führender Ordnung p2 = m2q = 0 gilt,

so dass sich die Faktorisierungsformel zu

F (µ, s, τ) =∫dk ST (µ, k) δ

(τ − k√

s

)= ST (µ, τ

√s) +O(αs) (II.269)

reduziert.Wir sehen bereits aus dem führenden Ausdruck, dass die Jet-Funktion als mathematischeDistribution in der Faktorisierungsformel auftritt, d.h. immer nur bezüglich Konvolutionmit einer Testfunktion (in unserem Fall der soften Funktion S(k, µ) mit k = k(p2, (p′)2))zu verstehen ist, mit potentiell singulärem Verhalten bei p2 = m2

q = 0. Die Strahlungsko-rrekturen zur Jet-Funktion ergeben sich aus der Taylor-Entwicklung der Wilson-Liniensowie den Feynman-Regeln der kollinearen Lagrangedichte,

Die Rechnung für die O(αs) Korrekturen in dimensionaler Regularisierung liefert diver-gente Terme der Form

Im[

1p2 + i0

1ε2,

1ε,

ln −p2 − i0µ2

],

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

wobei die quadratischen Terme in 1/ε, sowie die 1/ε lnµ2–Terme (in Feynman-Eichung)gerade aus den Diagrammen mit den Wilson-Linien resultieren. Entsprechend ergebensich nach Renormierung endliche Terme der Form

Im[

1p2 + i0

1 , ln −p

2 − i0µ2 , ln2 −p2 − i0

µ2

].

An dieser Stelle müssen wir bedenken, dass das Ergebnis für die Jet-Funktion nochin die Konvolutionsformel einzusetzen ist, d.h. noch mit einer (bei p2 → 0 regulären)Testfunktion f(p2) integriert wird. Ein Standardtrick besteht darin, die Testfunktionals

[f(p2)− f(0)

]+ f(0) zu schreiben. Für den ersten Summand ergibt sich dann ein

reguläres Integral bei p2 → 0; im zweiten Summand können wir die p2-Integration explizitausführen, wobei die Singularität bei p2 → 0 im Beitrag zum Imaginärteil integrabel ist.Z.B. erhält man für den einfach logarithmischen Term einen Beitrag, der sich als “plus”–Distribution schreiben lässt:

Im∫ M2

≤0dp2

[f(p2)− f(0)

p2

]ln −p

2 − iεµ2 = −

∫ M2

0dp2

[f(p2)− f(0)

p2

](II.270)

und einen Beitrag, bei dem das Integral

f(0) 1π

Im∫ M2

≤0dp2 1

p2 + iεln −p

2 − iεµ2 = f(0) 1

πIm

∫ x0=M2µ2

≤0dx

ln(−x− iε)x+ iε

(II.271)

zu berechnen ist.Wir können dazu z.B. ln(−x − iε)/(x + iε) = − 1

2 d ln2(−x − iε + a)/da|a→0 mit 0 ≤ a < x0schreiben, so dass

Im∫ x0

≤0dx

ln(−x− iε)x+ iε

= − d

da

Im∫ x0

≤0dx

12 ln2(−x− iε+ a)

∣∣a→0

= d

da

∫ x0

≤0dx ln(x− a) θ(x− a)

= d

da(x0 − a)(ln(x0 − a)− 1)a→0

= − ln(x0 − a)a→0 = − ln x0 . (II.272)

Somit erhalten wir zusammengefasst, für den trivialen Term:

− 1π

Im∫ M2

≤0dp2 1

p2 + iεf(p2) = f(0) ≡

∫dp2 δ(p2) f(p2) , (II.273)

und für den einfach logarithmischen Term in ln(−p2),

− 1π

Im∫ M2

≤0dp2 f(p2)

p2 + iεln −p

2 − iεµ2

=∫ M2

0

f(p2)− f(0)p2 + f(0) ln M

2

µ2

≡∫dp2

[ 1p2

][µ2]

∗f(p2) , (II.274)

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

wobei wir als Abkürzung eine sog. modifizierte Plus-Distribution definiert haben.Analog erhält man für den quadratisch logarithmischen Term→ Übung

− 1π

Im∫ M2

≤0dp2 f(p2)

p2 + iεln2 −p2 − iε

µ2

=∫ M2

0

f(p2)− f(0)p2 2 ln p2

µ2 + f(0)(

ln2 M2

µ2 −π2

3

)

≡∫dp2

2[

ln p2/µ2

p2

][µ2]

∗− π2

3 δ(p2)

f(p2) . (II.275)

Mit diesen Vorüberlegungen können wir das Ergebnis für die αs Korrekturen zur Jet-Funktion (nach Renormierung) allgemein schreiben als

J(µ, p2) = δ(p2) (1 + cJ) +

ΓJ ln p2

µ2 + γJ

p2

[µ2]

, (II.276)

Aus der konkreten Rechnung der 3 Diagramme ergibt sich zur Ordnung αs

cJ 'αsCF

4π(7− π2

), ΓJ '

αsCF4π 4 , γJ ' −

αsCF4π 3 . (II.277)

Hierbei hängt die Funktion ΓJ = Γcusp wieder mit der cusp-anomalen Dimension zusam-men.Da die 1/ε–Terme in der Berechnung der unrenormierten Jet-Funktion ebenfalls vonln(−p2/µ2) abhängen, ergibt sich für die Jet-Funktion eine RG-Gleichung der Form

dJ(µ, p2)d lnµ =

[−2ΓJ ln p2

µ2 − 2γJ]J(µ, p2) + 2ΓJ

∫ p2

0dq2 J(µ, p2)− J(µ, q2)

p2 − q2 . (II.278)

Man beachte, dass im 2. Term die Jet-Funktionen J(µ, q2) für alle Jet-Funktionen mitq2 ≤ p2 in die RG-Gleichung eingehen, d.h. die RG-Gleichungen sind nicht mehr lokalin der Impulsvariablen p2. Ein analoges Verhalten kennen wir auch aus den Parton-verteilungsfunktionen in der DIS, bei der die Evolutionsgleichungen nicht-lokal in derBjörken-Variablen (Partonimpulsbruchteil) x sind.Anstelle mit Distributionen J(µ, p2) zu rechnen, können wir die Laplace-Transformierten

j(µ, ν) =∫ ∞

0dp2 e−νp

2J(p2, µ) (II.279)

betrachten, welche gewöhnliche Funktionen des zu p2 Laplace-konjugierten Parametersν sind, wobei in führender Ordnung einfach j(µ, ν) = 1 (man beachte, dass J(p2, µ) nurImpulse p2 ≥ 0 involviert). Die inverse Laplace–Transformation lautet dabei

J(µ, p2) = 12πi

∫ c+i∞

c−i∞dν ′ eν

′p2j(µ, ν ′) (II.280)

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II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

mit c > 0 (allgemein: Kontur rechts von allen Diskontinuitäten).Schauen wir uns zunächst die Laplace-Transformierte des O(αs)-korrigierten Resultatsfür die Jet-Funktion an:

j(µ, ν) ' (1 + cJ) +∫ ∞

0dp2 e−νp

2

ΓJ ln p2

µ2 + γJ

p2

[µ2]

(II.281)

Um das Integral zu berechnen, müssen wir das Integrationsintervall künstlich aufteilen,

j(µ, ν) ' 1 + cJ +M2∫0

dp2 e−νp2

ΓJ ln p2

µ2 + γJ

p2

[µ2]

+∞∫

M2

dp2 e−νp2 ΓJ ln p2

µ2 + γJ

p2 ,

(II.282)

wobei wir im 2. Term verwendet haben, dass der Pol bei p2 = 0 nicht im Integrationsge-biet liegt, und wir deshalb die modifizierte Plus-Distribution wieder durch die normaleFunktion ersetzen können. Für die einzelnen Beiträge sind dann wohldefiniert,

∫ M2

0dp2 e−νp

2

ΓJ ln p2

µ2 + γJ

p2

[µ2]

=∫ M2

0dp2

(e−νp

2 − 1)ΓJ ln p2

µ2 + γJ

p2

+ ΓJ12 ln2 M

2

µ2 + γJ ln M2

µ2 (II.283)

und ∫ ∞M2

dp2 e−νp2 ΓJ ln p2

µ2 + γJ

p2 . (II.284)

Zusammengefasst erhält man durch Bestimmung der Integrale

j(µ, ν) ' 1 + cJ + ΓJ(

12 ln2(µ2eγEν) + π2

12

)− γJ ln(µ2eγEν) . (II.285)

Damit hat die Laplace-Transformierte eine analoge Form wie die harte Koeffizienten-funktion, und entsprechend erhält man wieder eine lokale Evolutionsgleichung,

dj(µ, ν)d lnµ =

(−2ΓJ ln 1

µ2 ν eγE− 2γJ

)j(µ, ν) , (II.286)

mit der entsprechenden Lösung wie für die harte Funktion.Um daraus wieder das resummierte Resultat für die ursprüngliche Jet-Funktion zu er-halten, muss man eine inverse Laplace-Transformation durchführen. Dies lässt sich be-werkstelligen, wenn man realisiert, dass die Laplace-Transformierte Jet-Funktion eineFunktion der logarithmischen Variable L = ln 1

µ2νeγE ist, so dass

j(µ, ν) −→ j(µ,L = ln 1µ2νeγE

) .

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Weiterhin soll die Potenzreihe in der Variable L durch Ableitungen bzgl. der Variablen

ηj ≡ 2AΓ(µj , µ) = −ΓJ ln µ2

µ2j

≥ 0 (für µ ≤ µj ∼√p2) ,

generiert werden, wobei die Funktion AΓ(µj , µ) bereits bei der Evolution des Matching-Koeffizienten definiert wurde.Behauptung: Das allgemeine Ergebnis hat dann die Form

J(µ, p2) = exp [−4S(µj , µ) + 2AJ(µj , µ)] j(µj , L→ ∂ηj )1p2

(p2

µ2j

)ηje−γEηj

Γ(ηj), (II.287)

wobei die Funktion AJ analog zu AC mit γJ anstelle von γC zu berechnen ist.Beweis: Wir berechnen j(µ, ν) aus der obigen Formel für J(µ, p2) durch Laplace-Trafound zeigen, dass die so berechnete Funktion die DGL für j mit gegebener Anfangsbe-dingung bei µj ∼

√τs erfüllt. Somit

j(µ, ν) = exp[−4S + 2AJ ] j(µj , L→ ∂ηj )e−γEηj

Γ(ηj)

∫ ∞0

dp2 e−νp2 1p2

(p2

µ2j

)ηj︸ ︷︷ ︸

= exp[−4S + 2AJ ] j(µj , L→ ∂ηj )e−γEηj

Γ(ηj)

(1µ2jν

)ηjΓ(ηj)

= exp [−4S + 2AJ ] j(µj , L→ ∂ηj ) exp[ηj · L] . (II.288)

Da der Ableitungsoperator jetzt einfach auf die Exponentialfunktion mit innerer AbleitungL wirkt, können wir ∂ηj wieder durch L ersetzen (und den Wert von ηj dann wieder durchAJ ausdrücken) und erhalten somit

j(µ, ν) = exp [−4S + 2AJ ] j(µj , L) exp[2AJ L]

= exp [−4S + 2AJ ] j(µj , L)( 1µ2νeγE

)−2AJ, (II.289)

was gerade der analogen Form der Lösung wie im Fall des harten Matchingkoeffizientenentspricht.In der LLA können wir j = 1 und AJ = 0 setzen (aber ηj 6= 0), und erhalten

J(µ, p2) ' exp [−4S(µj , µ)] 1p2

(p2

µ2j

)ηje−γEηj

Γ(ηj). (II.290)

Anmerkungen:

• Die Definition der Jet–Funktion und die störungstheoretische Berechnung der αs–Korrekturen sowie die Aufsummation der Logarithmen ln p2/µ2 ist völlig allgemein.Das Resultat für J(µ, p2) kann deshalb in allen Anwendungen benutzt werden,bei denen (masselose) Quarks mit grossem Relativimpuls erzeugt werden und alshadronische Jets beobachtet werden (Beispiel: Der inklusive Zerfall B → Xsγ oderB → Xu`ν).

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

• Für µ→ µj in (II.290) erhalten wir wieder

J(µj , p2) ' limηj→0

1p2

(p2

µ2j

)ηje−γEηj

Γ(ηj)= δ(p2) (II.291)

• Die RG-Evolution von µj ∼√p2 ∼

√τs nach µ ' µs ∼ τ

√s generiert aus der

ursprünglich um p2 = 0 konzentrierten Jetkonfiguration J(µj , p2) ' δ(p2) dannalso eine Funktion mit einer kontinuierlichen Verteilung in p2, die bei p2 → 0schwächer als 1/p2 divergiert.

II.7.4.2 Die softe Funktion ST (µ, k)

In der soften Funktion ST absorbieren wir die effekte der weichen Gluonen (und Quarks).In führender Ordnung tragen dabei zum zeitgeordneten Produkt der Stromoperatorennur die soften Wilson-Linien bei, die wir benutzt hatten, um die soften und kollinearenFelder in der führenden SCET-Lagrangedichte zu entkoppeln. D.h.

ST (µ, k) =∑X

∣∣∣〈X|Y †s Ys|0〉∣∣∣2 δ(k − n−pX − n+pX) (II.292)

• Wenn die softe Skala µs ∼ τ√s noch groß gegen ΛQCD ist, können wir die softe

Funktion perturbativ berechnen.

• In jedem Fall erhalten wir aus dem UV-Verhalten des definierenden Operatorswieder eine RG-Gleichung für ST (µ, k). Diese muss insbesondere gewährleisten,dass die µ-Abhängigkeit der harten Koeffizientenfunktionen und der Jet-Funktionenkompensiert wird. (vgl. mit Übung). Man erhält wieder eine nicht-lokale Gleichung

dST (µ, k)d lnµ =

[4Γcusp ln k

µ− 2γS

]ST (µ, k)− 4Γcusp

∫ k

0dk′

ST (µ, k)− ST (µ, k′)k − k′

,

(II.293)

die analog zur Jet-Funktion gelöst werden kann. Hierbei muss

γS = γH − 2γJ und entsprechend AS(µ′, µ) = AH(µ′, µ)− 2AJ(µ′, µ) (II.294)

gelten.

• Wenn die softe Skala nicht-perturbativ ist, kann man die softe Funktion parametrisierenund an die experimentellen Observablen fitten. Da die softe Funktion wieder uni-versell ist, ergeben sich dadurch nicht-triviale Vorhersagen für Messungen bei ver-schiedenen Werten von s. Eine einfache Möglichkeit, das bekannte perturbativeVerhalten mit einer nicht-perturbativen Funktion zu reproduzieren, besteht darin,das perturbative Ergebnis (d.h. die softe Funktion für quasi-freie gluonische Par-tonen) mit einer einfachen Ansatzfunktion zu falten,

S(µ, k) :=∫dk′ Spert.(k − k′, µ) fNP(k′)

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– preliminary–

II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

Ein einfaches 1-Parameter Modell ergibt sich z.B. aus fNP(k′) = δ(k′ − λ), so dassS(µ, k) = Spert.(µ, k − λ), was einer einfachen Verschiebung entlang k um einenBetrag λ ∼ O(100 MeV) entspräche. 2-Parameter–Modelle lassen sich entsprechendaus einer Gauss-Verteilung für fNP(k′) konstruieren.

II.7.4.3 Zusammenfassung:

Mit den obigen Ingredienzien können wir die Faktorisierung der Thrust-Verteilung unddie Resummation der großen Logarithmen in τ in der Störungstheorie analytisch beschreiben.Insbesondere ergibt sich für die Laplace-Transformierte der Thrust-Verteilung aus

1σ0

dτ= H(µ, s)

∫dp2 d(p′)2 J(µ, p2) J(µ, p′2)

∫dk ST (µ, k) δ

(τ − p2 + p′2

s− k√

s

),

das Resultat∫ ∞0

dτ e−ντ1σ0

dτ= H(µ, s)

∫dp2 d(p′)2 J(µ, p2) J(µ, p′2)

∫dk ST (µ, k) e

−ν(p2+p′2

s+ k√

s

)= H(µ, s)

(j(µ, ν/s)

)2sT (µ, ν/

√s) ,

(II.295)

d.h. im Laplace-Raum wird die Faktorisierung durch ein einfaches Produkt von hartenKoeffizientenfunktion und Laplace-transformierten Jet- und Soften-Funktionen beschrieben.Hierbei ist

ν ∼ 1/τ . (II.296)

Die RG-Evolution der einzelnen Funktionen zwischen den typsichen Skalen lautet

H(µ, s) = H(µh, s) exp [4S(µh, µ)− 2AH(µh, µ)](s

µ2h

)−2AΓ(µh,µ)

,

j(µ, νs

) = j(µj ,ν

s) exp [−4S(µj , µ) + 2AJ(µj , µ)]

(s

µ2j νe

γE

)2AΓ(µj ,µ)

sT (µ, ν√s

) = sT (µs,ν√s

) exp [4S(µs, µ) + 2AS(µs, µ)](

s

µ2s ν

2e2γE

)−2AΓ(µs,µ)(II.297)

Aufgrund der Kompositionseigenschaft der Evolutionsfunktionen, S(µ1, µ3) = S(µ1, µ2)+S(µ2, µ3) vereinfachen sich die Terme im Produkt entsprechend, z.B.

4S(µh, µ)− 2 · 4S(µj , µ) + 4S(µs, µ) = 4S(µh, µj)− 4S(µj , µs) , (II.298)

so dass sich die µ-Abhängigkeit explizit aufhebt. Mit AS = AH−2AJ ergibt sich weiterhin

−2AH(µh, µ) + 2 · 2AJ(µj , µ) + 2AS(µs, µ) = −2AH(µh, µs) + 4AJ(µj , µs)= −2AH(µh, µj)− 2AS(µj , µs) , (II.299)

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– preliminary–

II.7 Jets in e+e− nach Hadronen (Blockkurs)

was wiederum unabhängig von µ ist. Entsprechend erhalten wir für die s- und ν-Abhängigkeit

s−2AΓ(µh,µ)+4AΓ(µj ,µ)−2AΓ(µs,µ) = s−2AΓ(µh,µj)+2AΓ(µj ,µs) ,

(νeγE )−4AΓ(µj ,µ)+4AΓ(µs,µ) = (νeγE )−4AΓ(µj ,µs) . (II.300)

Bestimmung von αs aus Thrust-Verteilung bei LEP: Eine aktuelle Anwendung dieserMethoden (zur N3LL Genauigkeit) führt zu einer sehr genauen Bestimmung der starkenKopplungskonstanten aus den bei LEP gemessenen Thrust-Verteilungen [7],

αs(mZ) = 0.1772± 0.0010stat. ± 0.0008sys. ± 0.0012had ± 0.0012pert.

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II Strahlungskorrekturen in der starken Wechselwirkung (QCD)

II.8 Ausblick / Weiter Anwendungen der renormiertenStörungstheorie und Faktorisierung

• Hadronen mit schweren Quarks (Faktorisierung von harten Fluktuationen desschweren Quarks von weichen Effekten einer quasi-statischen Farbquelle→ “heavyquark effective theory” – HQET)

• Strahlungskorrekturen zu elektroschwachen Präzisionsobservablen, z.B. mW /mZ

vs. cos θW .

• Präzisionsvorhersagen für Erzeugung und Zerfall von Teilchen am LHC.

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Literaturverzeichnis

[1] Michael E. Peskin, Daniel V. Schroeder, An introduction to Quantum Field Theory,Westview Press, 1995.

[2] Steven Weinberg, The Quantum theory of fields, Cambridge Univ. Press, 1995.

[3] Lewis H. Ryder, Quantum Field Theory, Cambridge Univ. Press, 1996.

[4] John C. Collins, Renormalization: An introduction to renormalization group, andthe operator-product expansion, Cambridge Univ. Press, 1984.

[5] Claude Itzykson and Jean-Bernard Zuber, Quantum field theory, McGraw-Hill,1980.

[6] R.K. Ellis, W.J. Stirling, B.R. Webber, QCD and collider physics, Cambridge Univ.Press, 1996.

[7] T. Becher, M. D. Schwartz, A Precise determination of αs from LEP thrust datausing effective field theory, JHEP 0807 (2008) 034 [arXiv:0803.0342 [hep-ph]].

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