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Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 1 Armin Nassehi Institut für Soziologie Vorlesung Soziologische Theorie (P1) WiSe 2018/19 Mo 0815-0945 Uhr, B006 5. November 2018 Soziologie und die Entdeckung der Gesellschaft Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 2 Armin Nassehi Institut für Soziologie 15.10. Einführung: Unterscheidungen 22.10. Incipit sociologia – die Soziologie und ihre Vorgeschichte 29.10. Soziologie als Wissenschaft 05.11. Soziologie und die Entdeckung der Gesellschaft 12.11. Handeln und Strukturen 19.11. System und Umwelt 26.11. Verstehende und funktionalistische Methode 03.12. Qualitative und quantitative Forschung

Theorie MAP1 4 - ls1.soziologie.uni-muenchen.de · Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 5 Armin Nassehi Institut für Soziologie „Die Erfahrung des Sozialen auf den Begriff der ‚Gesellschaft’

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Armin NassehiInstitut für Soziologie

VorlesungSoziologische Theorie (P1)

WiSe 2018/19Mo 0815-0945 Uhr, B006

5. November 2018

Soziologie und die Entdeckung der Gesellschaft

Prof. Dr. Armin Nassehi Seite 2

Armin NassehiInstitut für Soziologie

15.10. Einführung: Unterscheidungen

22.10. Incipit sociologia – die Soziologie und ihre Vorgeschichte

29.10. Soziologie als Wissenschaft

05.11. Soziologie und die Entdeckung der Gesellschaft

12.11. Handeln und Strukturen

19.11. System und Umwelt

26.11. Verstehende und funktionalistische Methode

03.12. Qualitative und quantitative Forschung

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10.12. Interaktion, Organisation und Gesellschaft

17.12. Komplexität und Kausalität

07.01. Operativität als Gütekriterium

14.01. Gesellschaftstheorie und empirische Forschung

21.01. Digitalität: diskrete und kontinuierliche Formen

28.01. Klausurvorbereitung

04.02. Klausur

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Literaturempfehlung:

Armin Nassehi: Soziologie. Zehn einführende Vorlesungen, Wiesbaden: VS-Verlag 2011, 2. Aufl.(19,95 €)

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„Die Erfahrung des Sozialen auf den Begriff der ‚Gesellschaft’ zu bringen, drückte eine Vorstellung von Einheit, von Zusammengehörigkeit aus, welche die Zeitgenossen wahrnahmen oder jedenfalls für die Zukunft anzustreben versuchten. Aber daneben stand die andere Erfahrung, dass die Gesellschaft aus verschiedenen, ungleichen Teilen bestand, aus größeren Verbänden, die hierarchisch übereinander angeordnet waren.“

Paul Nolte: Die Ordnung der deutschen Gesellschaft. Selbstentwurf und Selbstbeschreibung im 20. Jahrhundert, München 2000, S. 37.

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George Herbert Mead: Geist, Identität und Gesellschaft (Suhrkamp: Frankfurt 1973)

S.218: Das „Ich“ ist die Reaktion des Organismus auf die Haltungen

anderer; das „ICH“ ist die organisierte Gruppe von Haltungen an-

derer, die man selbst einnimmt. Die Haltungen der anderen bilden

das organisierte „ICH“, und man reagiert darauf als ein „Ich“.

_______________________________________________________

S.221: Die Trennung von „Ich“ und „ICH“ ist keine Fiktion. Sie sind

nicht identisch, da das „Ich“ niemals ganz berechenbar ist. Das

„ICH“ verlangt nach einem bestimmten „Ich“, insoweit wir die Ver-

pflichtungen erfüllen, die im Verhalten selbst auftreten, doch ist das

„Ich“ immer ein wenig verschieden von dem, was die Situation selbst

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verlangt. So gibt es also immer den Unterschied zwischen „Ich“ und „ICH“. Das „Ich“ ruft das „ICH“ nicht nur hervor, es reagiert auch darauf. Zusammen bilden sie eine Persönlichkeit, wie sie in der ge-sellschaftlichen Erfahrung erscheint. Die Identität ist im wesentlichen ein gesellschaftlicher Prozess, der aus diesen beiden unterscheid-baren Phasen besteht. Gäbe es diese beiden Phasen nicht, so gäbe es keine bewusste Verantwortung und auch keine neuen Erfahrungen. _______________________________________________________S.243 f: Man muss die Haltung der anderen in einer Gruppe ein-nehmen, um einer Gemeinschaft anzugehören; man muss diese äußere gesellschaftliche Welt einsetzen, die man in sich selbst hereingenommen hat, um denken zu können. Dank der Beziehung zu anderen in dieser Gemeinschaft, dank den rationalen gesellschaft-lichen Prozessen, die in dieser Gemeinschaft ablaufen, existiert man als Bürger.

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Lorenz von Stein: System der Staatswissenschaft, Stuttgart 1856, S. 263

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Lorenz von Stein: System der Staatswissenschaft, Stuttgart 1856, S. 267f.

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Lorenz von Stein: System der Staatswissenschaft, Stuttgart 1856, S. 268

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Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972

S.28: �16. Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden; Disziplin soll heißen die Chance, kraft eingeübter Einstellung für einen Befehl prompten, automatischen und schematischen Gehorsam bei einer angebbaren Vielheit von Menschen zu finden.

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Dutschke: Nein, nicht so. Sondern wie erreichen wir, daß die GesellschaA eine große Universität wird, eine riesige lernende GesellschaA, eine große Schule? Dafür müssen wir vor allem die nöGgen Kapitalvoraussetzungen schaffen. Das heißt Abschaffung der überflüssigen BürokraGe. Jeder Siebte ist in Berlin Angestell-ter des Senats. Wie können wir die 1.500 Bürokratensilos auf-lösen, Wohnhäuser daraus machen? Wie können wir das Kapital, das da frei wird, sofort in die Ausbildungssphäre stecken, um eine neue ArbeitskräAestruktur herauszubilden, eine polytechni-sche Ausbildung der Schüler zu ermöglichen und so die Voraus-setzungen zu schaffen, daß überhaupt andere Industriezweige, intelligenzreiche Industrie-zweige entstehen können, die wiede-rum die ProdukGvität der Arbeit sehr schnell steigern und die Arbeitszeit systemaGsch verkürzen können?

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Dutschke: In der Idee solcher Kollek?ve sehe ich einen Rückgriffauf die Pariser Kommune. Diese Assozia?onsform bedeutet: HerrschaF der Produzenten über ihre Produk?onsbedingungen, ihre Produkte, und ihre ganzen Lebensbedingungen. Die ganze Stadt wäre in solche dezentralisierten Kommunen aufzugliedern. Wie soll die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kom-munen-Kollek?ven in dieser Stadt aussehen? Wie verläuF der poli?sche Lernprozeß? Wie soll die notwendige Verwaltung von Sachen über einzelne Kommune-Projekte organisiert werden?

Aus: Kursbuch 14 (1968): Ein Gespräch über die ZukunF mit Rudi Dutschke, Bernd Rabehl, Chris?an Semler mit Hans Magnus Enzensberger.

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Pierre Bourdieu: Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Soziale Welt, Sonderband 2: Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183-198.

S. 183: Die gesellschaftliche Welt ist akkumulierte Geschichte. Sie darf deshalb nicht auf eine Aneinanderreihung von kurzlebigen und mechanischen Gleichgewichtszuständen reduziert werden, in denen die Menschen die Rolle von austauschbaren Teilchen spielen. Um einer derartigen Reduktion zu entgehen, ist es wichtig, den Kapital-begriff wieder einzuführen, und mit ihm das Konzept der Kapital-akkumulation mit allen seinen Implikationen. Kapital ist akkumu-lierte Arbeit, entweder in Form von Materie oder in verinnerlichter, ‚inkorporierter’ Form.

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S. 183: Das Kapital ist eine der Objektivität der Dinge innewohnen-de Kraft, die dafür sorgt, dass nicht alles gleich möglich oder un-möglich ist.______________________________________________________S. 185: Das kulturelle Kapital kann in drei Formen existieren: (1.) in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, in Form von dauerhaften Dispositionen des Organismus, (2.) in objektiviertem Zustand, in Form von kulturellen Gütern, Bildern, Büchern, Lexika, Instrumen-ten oder Maschinen, in denen bestimmte Theorien und deren Kriti-ken, Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklicht haben, und schließlich (3.) in institutionalisiertem Zustand, einer Form von Objektivationen, die deswegen gesondert behandelt wer-

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den muss, weil sie – wie man beim schulischen Titel sieht – dem kulturellen Kapital, das sie ja garantieren soll, ganz einmalige Eigen-schaften verleiht. ______________________________________________________S. 190: Das Sozialkapital ist die Gesamtheit der aktuellen und poten-tiellen Ressourcen, die mit dem Beseitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehungen gegen-seitigen Kennens und Anerkennens verbunden sind; oder, anders ausgedrückt, es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.

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Pierre Bourdieu: Reflexive Anthropologie, Frankfurt/M. 1986

S. 110f.: Daß Praktiken von Mitgliedern derselben Gruppe oder, in einer differenzierten Gesellschaft, derselben Klasse stets mehr und besser aufeinander abgestimmt sind, als die Handelnden selber wis-sen oder wollen, liegt wiederum nach Leibniz daran, daß jeder, »in-dem (er) nur seinen eigenen Gesetzen folgt, ... dennoch mit den an-deren übereinstimmt«. Der Habitus ist nichts anderes als jenes im-manente Gesetz, jene den Leibern durch identische Geschichte(n) aufgeprägte lex insita, welche Bedingung nicht nur der Abstimmung der Praktiken, sondern auch der Praktiken der Abstimmung ist.

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S. 153: Ich habe mich schon so oft zu Bedeutung und Funktion des Habitusbegriffs geäußert, daß ich jetzt zögere, noch einmal auf ihn einzugehen, denn mir ist bewußt, daß ich mich beim Vereinfachen eigentlich nur wiederholen kann, ohne damit unbedingt verständli-cher zu werden ... Ich möchte hier nur soviel sagen, daß die Haupt-funktion dieses Begriffs darin besteht, den Bruch mit jener intellek-tualistischen (und intellektuellozentrischen) Philosophie des Han-delns zu betonen, für die vor allem die Rational Action Theory, also die Theorie des homo oeconomicus als eines rational Handelnden steht, die gerade wieder in Mode gekommen ist, obgleich viele Öko-nomen eigentlich von ihr abgekommen sind (auch wenn sie es mit-unter nicht sagen oder nicht wissen). Um also die wirkliche Logik der Praxis zu erklären (zwei Wörter, die eigentlich ohnehin zusam-

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mengehören, denn das gerade ist ja das ureigenste Merkmal der Pra-

xis, daß sie »logisch« ist, eine Logik hat - ich denke an eine schein-

bar am wenigsten logische Praktik wie das rituelle Handeln -, ohne

ihren Ursprung in der Logik zu haben), habe ich eine Theorie der

Praxis als Produkt eines Praxis-Sinns entwickelt, eines sozial kon-

stituierten Sinns für das Spiel.

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S. 159f.: Darüber hinaus erklärt die Habitus-Theorie, warum der Fi-

nalismus der Theorie der rationalen Entscheidung anthropologisch

zwar falsch ist, empirisch aber dennoch begründet erscheinen kann.

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Wenn in der Vergangenheit das Auftreten eines bestimmten Stimulus (Reizes) oder einer Reihe von Stimuli der Anlass war, bei dem die Handlung einer Person belohnt wurde, dann wird die Person diese oder eine ähnliche Handlung jetzt um so eher durchführen, je ähnlicher die gegebenen Stimuli den früheren sind.(George C. Homans: Social Behavior, New York 1974, S. 22)

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Homosociologicus

Homooeconomicus

RREEMM-Modell

Resourceful XRestricted X XEvaluating X XExpecting X XMaximizing X X

Das RREEMM-Modellthe resourceful, restricted, expecting, evaluating,

maximizing man

(Siegwart Lindenberg: An Assessment of the New Political Economy. Its Potential fort he Social Sciences and for Sociology in Particular, in: Sociological Theory 3/1985, S. 100ff.)

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“In this world of “smart objects” and “smart environments,” such as smart clothes, smart cars, smart cities, smart homes, smart schools and smart appliances, digital devices can begin to make decisions for us and generate information about us that we may not access to, and that may be used by third parties: insurance companies, energy companies, educational institutions, workplaces, media corporations, marketers, government agencies, and the like. A digital data knowledge economy has developed, in which digital data have acquired great value, viewed as configuring new forms of knowledge for commercial, managerial, educational, government, and research use.”Deborah Lupton: Personal data practices in the age of lively data, in: Jessie Daniels,

Karen Gregory & Tressie McMillan Cottom (Hg.): Digital sociologies, Bristol/Chicago 2017, S. 339.