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Stephanie Hartung Theorie und Praxis der Organisations- aufstellung Grundlagen für systemische Personal- und Organisationsentwicklung

Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen f¼r systemische Personal- und Organisationsentwicklung

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Page 1: Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen f¼r systemische Personal- und Organisationsentwicklung

Stephanie Hartung

Theorie und Praxis der Organisations-aufstellungGrundlagen für systemische Personal- und Organisationsentwicklung

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Theorie und Praxis der Organisations aufstellung

Page 3: Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen f¼r systemische Personal- und Organisationsentwicklung

Stephanie Hartung

Theorie und Praxis der OrganisationsaufstellungGrundlagen für systemische Personal- und Organisationsentwicklung

Page 4: Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen f¼r systemische Personal- und Organisationsentwicklung

Stephanie HartungPABLIK WJUING Marken- und Organisationsentwicklung Köln, Nordrhein-Westfalen, Deutschland

ISBN 978-3-662-56209-3 ISBN 978-3-662-56210-9 (eBook)https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio-grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Springer Gabler © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

Grafiken © Stephanie Hartung

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

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V

Die Arbeit mit Systemaufstellungen in Organisationen ist vergleichsweise jung – erst Anfang der 1990er Jahre wurden die ersten Ansätze von Bert Hellinger ent-wickelt und in den Folgejahren unter anderem von Dr. Gunthard Weber, Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer, Dr. Thomas Siefer, Dr. Klaus P. Horn, Claude Rosselet und Klaus Grochowiak weiterentwickelt. Bis heute ist die Methode ins-besondere im Bereich der Personalentwicklung zu einer überzeugenden Reife gelangt, wiewohl sie noch immer wenig etabliert ist.

Ausgehend von ihrer Herkunft aus dem Bereich der Familientherapie wird die Organisationsaufstellung in der Literatur heute mehrheitlich als Methode für soziale Störungen definiert: „Die Organisationsaufstellung ist eine Methode, mit welcher soziale Störungen in organisationalen Systemen sichtbar gemacht und Optionen zur Behebung dieser Störungen erarbeitet werden sollen“ (Gutmark 2014, S. 12). Ein solches Verständnis reduziert Organisationsaufstellungen auf den Bereich der Personalaufstellungen, und mit solchen wird in der Regel auch ausschließlich gearbeitet, wenn von Organisationsaufstellung die Rede ist.

Mit Blick aber auf die Organisation als eigenständige Gestalt, deren Mitglie-der austauschbar sind – ja sein müssen – können Organisationsaufstellungen in weitaus größerem Umfang eingesetzt werden. Hier ist die Bandbreite möglicher Anwendungen aus meiner Sicht noch lange nicht ausgeschöpft. Und auch die Forschung in diesem Bereich steckt noch in den Kinderschuhen.

Zugleich scheinen aktuell – immerhin beinahe 20 Jahre nach ihren ersten Anfängen – die Organisationsaufstellungen als effektives Tool für Personal- und Organisationsentwicklung in den Köpfen der Organisationsverantwortlichen anzukommen. Ich glaube deshalb, dass es eine vergleichsweise kurze Zeit dau-ern wird, bis die Nachfrage nach kompetenten Organisationsaufstellern ansteigen wird.

Vorwort

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VI Vorwort

Gefragt sind hierfür wahre Multi-Experten. Denn wer in Organisationen mit Organisationsaufstellungen arbeiten will, braucht – neben einer grundlegen-den Kenntnis über die verschiedenen Formen von Organisationen und deren Besonderheiten – ein fundiertes organisationales (und/oder wirtschaftliches), systemisches und psychologisches Wissen sowie Methodenkenntnisse und Anwendungserfahrung in Organisationsaufstellungen. Er sollte wissen, was der Begriff „systemisch“ bedeutet und welches weitreichende Verständnis sich dahinter verbirgt. Er sollte auch wissen, was es bedeutet, eine Organisation – in Abgrenzung zum klassischen Verständnis – systemisch zu verstehen und mit einer systemischen Grundhaltung zu arbeiten. Er sollte schließlich die möglichen For-mate und deren Anwendungen kennen, die sich ihm in den verschiedenen Berei-chen der Organisations- und der Personalentwicklung bieten.

Das klingt vielleicht nach viel, vor allem nach „viel Theorie“, und ich würde sagen, „Ja, es bedarf einiger theoretischer Kenntnisse“, die eine fundierte Basis für eine dann ganz der aktuellen Situation zugewandte Arbeit bieten. Daneben ist dann die Fähigkeit gefragt, sich ganz auf die Situation und auf das Medium der Systeme (wie ich die Aufstellungen nenne) einzulassen – mit der ganzen Kompetenz des Organisationsexperten und zugleich ohne Erwartung, ohne Wer-tung, ohne Interpretation. Das will geübt sein und ist Bedingung für die Arbeit. Denn erfahrungsgemäß ist keine Situation in der Praxis wie die andere, und Erfahrungen aus der Vergangenheit dienen schlechterdings als Blaupause für die Gegenwart.

Ein fundiertes Wissen über Theorie und Gestaltungs- wie Anwendungsalter-nativen der Methode ermöglicht es dem Organisationsaufsteller zugleich, einen Orientierungsrahmen für seine Arbeit zu haben, der ihm dabei helfen kann, nicht in subjektiv interpretierende oder vermeintlich objektiv rationale (Erfahrungswis-sens-)Fallen zu tappen.

Natürlich macht (m)ein Lehrbuch noch keinen guten Aufsteller, zumal die Arbeit eine ausgeprägt differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit und die Bereit-schaft, ja beinahe unbedingte Fähigkeit zur Haltung des Nichtwissens (des Nicht- Erwartens) in komplexen Situationen voraussetzt. Das theoretische Hinter-grundwissen bietet dabei aber die nötige Orientierung für die Praxis. Darüber hin-aus gilt für Organisationsaufsteller die Forderung: Übung, Übung, und nochmals Übung in der Methode, die – bei aller theoretischen Fundierung – in ihrer Ausprä-gung erfahrungsgemäß so mannigfaltig ist, wie die Menschen, die sie anwenden. Dieses Üben gilt nicht nur während der Zeit der Ausbildung – es gilt, solange man mit Systemaufstellungen arbeitet.

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VIIVorwort

Über das Buch

Das vorliegende Theorie- und Praxishandbuch habe ich für diejenigen geschrie-ben, die das oben erwähnte Wissen erwerben möchten, um als Organisationsauf-steller zu arbeiten, um die Methode zu unterrichten oder um diese in der eigenen Organisation einzusetzen. Das Buch bietet

Ausbildern für Organisationsaufstellung eine Übersicht über die aus meiner Sicht notwendigen theoretischen Lehrinhalte mit Beispielen aus der Praxis, die zugleich Anregungen für die Gestaltung einer eigenen Ausbildung sein mögen;

Lernenden und Anwendern von Organisationsaufstellungen ein Nachschlage-werk zur Vertiefung des Gelernten und als Überblick über die zu beachtenden Aspekte;

Menschen in Organisationen, die über eine systemische Beratung nachdenken, einen Überblick über die Möglichkeiten, die sich ihnen hier bieten.

Zusammengefasst vermittelt das Buch

I. Theoretisches GrundlagenwissenDas systemische Verständnis von Organisationen und deren FunktionsprinzipienAspekte der menschlichen Wahrnehmung in und von OrganisationenVerschiedene Organisationsstruktur-Modelle und deren ParadigmenKlassische Formen der Führung in Abgrenzung zu systemischer Führung

II. Theorie- und Praxiswissen rund um OrganisationsaufstellungenGrundformen und Anwendung der OrganisationsaufstellungDas Erstgespräch und die AuftragsklärungArt und Ort einer OrganisationsaufstellungGesprächsführung zu Beginn einer OrganisationsaufstellungNachbereitung einer Organisationsaufstellung

III. Anhang mit weiteren HintergrundinformationenSystemisches VokabularGrundformen von OrganisationenLiteraturempfehlungenLiteratur-Quellenangaben

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VIII Vorwort

Praxisbeispiele

Beispiele für Organisationsaufstellungen sind den jeweiligen Themen zugeordnet, damit sich ein ganzheitliches Verständnis entwickeln kann (Abb. 1).

Literatur

Gutmark, B. J. (2014). Systemische Aufstellungen im organisationalen Kontext. Teil I Sys-temisches Grundlagenwissen, S. 12. Dissertation, Technische Universität Darmstadt. http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/3837/.

Abb. 1 Die Inhalte im Buch

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Teil I Systemisches Grundlagenwissen

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Das systemische Verständnis von Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . 52.1 Eine Organisation ist etwas anders als die Summe

ihrer Teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62.2 Bedingungen für die Beständigkeit einer Organisation . . . . . . . . 92.3 Systemische Funktionsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.4 Systemische Ordnungsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422.5 Beschreibungsebenen in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

3 Wahrnehmung und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533.1 Gesetze der Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543.2 Visual-Thinking-Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633.3 Konstruktivismus und Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

4 Organisationsstrukturen und Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734.1 Die sieben Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744.2 Das reaktive Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754.3 Das magische Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764.4 Das tribale impulsive Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774.5 Das traditionelle konformistische Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . 78

Inhaltsverzeichnis

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X Inhaltsverzeichnis

4.6 Das moderne leistungsorientierte Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . 794.7 Das postmoderne pluralistische Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . 814.8 Das integrale evolutionäre Paradigma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824.9 Entwicklung entlang der Paradigmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

5 Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 875.1 Führung von Organisationen, Führung in Organisationen . . . . . . 885.2 Klassische Führungsstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 905.3 Transaktionale Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 915.4 Transformationale Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 935.5 Agile Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 945.6 Systemische Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Teil II Organisationsaufstellungen – Praxiswissen

6 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

7 Das ist eine Organisationsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057.1 Eine systemisch-präsentische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057.2 Anwendungsbereiche der Organisationsaufstellung . . . . . . . . . . 1077.3 Grundformen der Organisationsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1097.4 Art und Ort der Organisationsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

7.4.1 Organisationsaufstellung in der Einzelarbeit . . . . . . . . . 1127.4.2 Organisationsaufstellung in der Gruppe. . . . . . . . . . . . . 113

7.5 Erstgespräch und Auftragsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1147.5.1 Grundhaltungen in der Gesprächsführung . . . . . . . . . . . 117

7.6 Die Gesprächsführung zu Beginn einer Organisationsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207.6.1 Das Anliegen klären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1207.6.2 Aufstellungsregeln erläutern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

7.7 Abschlussgespräch nach einer Organisationsaufstellung . . . . . . 1237.7.1 Abschlussgespräch mit dem Auftraggeber der

Organisationsaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

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XIInhaltsverzeichnis

8 Fallbeispiele aus der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1278.1 Anliegen aus dem personalen Bereich (Mensch-Mensch) . . . . . . 1288.2 Anliegen zu einem neuen Produkt (Mensch-Ding) . . . . . . . . . . . 1318.3 Anliegen zu einem neuen Geschäftsbereich (Ding-Ding) . . . . . . 132

9 Akzeptanz von Organisationsaufstellungen in Organisationen . . . . 1359.1 Unkontrollierbar, therapeutisch, esoterisch? . . . . . . . . . . . . . . . . 1359.2 Nur mal angenommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1379.3 Plädoyer und Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Teil III Anhang

10 Systemisches Vokabular . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

11 Organisationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14511.1 Non-Profit-Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14611.2 Profitorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

12 Literaturempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

13 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

Page 12: Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen f¼r systemische Personal- und Organisationsentwicklung

Teil ISystemisches Grundlagenwissen

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Einleitung

Der vielleicht wichtigste Aspekt für den systemischen Beratungsansatz in Organi-sationen ist die Erkenntnis, dass in Systemen alles direkt und/oder indirekt mitein-ander verbunden ist und einander beeinflusst. Eine systemische Haltung ist deshalb eine Haltung der Verbundenheit. Aus ihr leiten sich Denken und Handeln ab.

Was hier zunächst banal klingen mag, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine wirkliche Herausforderung, für die unser rational ausgerichteter Verstand – bisher jedenfalls – nicht wirklich gewappnet zu sein scheint. Denn beim rationalen Denken machen wir eine Unterscheidung – wir denken nicht in Verbindungen. Viel-mehr trennen wir Eins vom Anderen ab, d. h., wir denken „entweder oder“, „so oder so“. Unsere Sprache ist eine Sprache des Oder und des Aber, nicht des Und.

Unsere Art zu denken lässt uns einzelne Aspekte identifizieren, und das ist natürlich hilfreich. Zugleich führt das immer wieder zu unserer irrigen Annahme, wir könnten eine objektive, absolut richtige Aussage über ein Einzelnes, Abge-trenntes machen. Die Trennung und das Abgetrennte aber sind Illusion. Denn alles steht in Verbindung – auf die eine oder die andere Art.

Deshalb gibt es über ein Einzelnes nur relative Erkenntnisse, d. h. Erkenntnisse, die mit der Beziehung des Einzelnen zu einem anderen Einzelnen zu tun haben. Um relative Erkenntnisse zu gewinnen, müssen wir deshalb die Verbindung, bzw. das Verbindende mitdenken. Wir müssen verstehen, in welcher Beziehung das Ein-zelne zu einem anderen Einzelnen oder zu einer Gruppe steht. Wenn wir die Bezie-hung kennen, haben wir die Möglichkeit, ihre Qualität zu verstehen, und erst aus dieser ergibt sich eine relative und damit hilfreiche systemische Erkenntnis.

Eine systemische Erkenntnis ist eine Erkenntnis über das Dazwischen der Bezie-hung – zwischen dem Einen und dem Anderen. Erst die Verbindung gibt beiden einen Erkenntnissinn und macht sie zu dem, was sie in dieser speziellen Verbindung sind. In systemisch ausgerichteten Organisationsaufstellungen konzentrieren wir uns deshalb auf Verbindungen und arbeiten in einer Haltung der Verbundenheit.

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_1

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4 1 Einleitung

Wo alles verbunden ist, gibt es keinen Anfang und kein Ende. Zu Verbindungen können wir keine endgültigen Erkenntnisse gewinnen und entsprechende Aussa-gen formulieren, von denen wir behaupten könnten, dass sie objektiv, also absolut richtig seien. Denn in der Verbindung ist alles relativ (aufeinander bezogen) und ändert sich – je nach Betrachtungsstandpunkt und mit der Zeit – andauernd.

Wir denken mit Blick auf die zweidimensionale Entweder-oder-Trennung gemeinhin auch in Wenn-dann-Sequenzen. Unser ganzes System scheint deshalb darauf ausgerichtet zu sein, Warum-Fragen zu stellen und dafür mögliche Weil-Antworten zu geben. Ob bewusst oder unbewusst scheinen wir davon überzeugt zu sein, dass wir unseres Lebens sicher sein bzw. es kontrollieren können, wenn wir das, was ist, analysieren und unser Denken und Handeln daraus ableiten.

Angesichts unseres natürlichen Ringens um Selbsterhalt ist das allzu mensch-lich. Es hilft aber in Bezug auf die (systemische) Wirklichkeit nicht unbedingt weiter. Zweidimensionales Wenn-dann-Denken reicht nicht aus, wenn man sich mit der vieldimensionalen, komplexen Wirklichkeit befassen will. Denn die Wirklichkeit beschreibt – wie der Name schon sagt – das, was wirkt, und das ist immer das, was in einer Verbindung entsteht. Wirklichkeit ist also nicht das, was unser logischer Verstand denken kann. Vielmehr ist Wirklichkeit ein Verbindungs-phänomen, bei dem es kein Entweder-oder und auch kein Wenn-dann, sondern ausschließlich ein verbundenes Ganzes aus Sowohl-als-auch mit Regeln, Erwar-tungen und Kommunikationsmustern gibt.

Diese Erkenntnis ist die aus meiner Sicht entscheidende Grundlage für die Arbeit mit Organisationsaufstellungen. Mit einer systemischen Haltung unter-stützen und begleiten Systemaufsteller Organisationen im Wesentlichen darin, Erkenntnisse über die Qualitäten der Verbindungen in ihren Systemen zu gewin-nen, die sich durch das Medium der Aufstellung vermitteln. Dadurch können die Menschen in Organisationen die Wirklichkeit ihrer Organisation besser erfassen, sie können sie reflektieren und hinterfragen und sie können gegebenenfalls Alter-nativen erfahren. Denn die zentrale Funktion von Organisationsaufstellungen ist es, sich dienlicher und förderlicher in der eigenen Organisation zu bewegen und diese gegebenenfalls systemischer – mit Blick auf die Wirklichkeit der überall gegebenen Verbindungen – zu steuern.

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Das systemische Verständnis von Organisationen

ZusammenfassungMit einer systemischen Analyse- und Entwicklungsmethode in Organisationen zu arbeiten, setzt voraus, dass man die Organisation unter systemischen Gesichts-punkten versteht. Was genau aber ist damit gemeint? Wenn die Systemtheorie Organisationen als offene Systeme definiert, dann verbindet sie damit bestimmte Ideen über deren Gestaltcharakter, über bedingende Funktions- und Ordnungs-prinzipien, die dem klassischen – und i. d. R. betriebswirtschaftlich orientierten – Verständnis einer Organisation beinahe diametral entgegenstehen.

Als System ist die Organisation ein Gebilde aus direkt und indirekt miteinan-der verbundenen Elementen mit multiplen Eigenschaften (und auch Eigenheiten), die durch ihre jeweilige Verbindung zu anderen Elementen oder zum ganzen Sys-tem entstehen (Abb. 2.1). Durch die direkten und indirekten Verbindungen ist das Wesen der Elemente nicht objektiv statisch, sondern relativ beweglich – und zwar andauernd.

Eine solche systemische Betrachtung bringt mit sich, sämtliche Elemente einer Organisation unter dem Aspekt ihrer Verbindungen zueinander, zur Organisation selbst und zum Umfeld der Organisation zu verstehen. Dadurch erst ergibt sich das Verständnis einer Organisation in ihrer autonomen Ganzheit. Und dadurch ergibt sich auch ein besserer Zugang zu der relativen Qualität und Bedeutung ein-zelner Elemente der Organisation.

Die folgenden Betrachtungen beschreiben das systemische Organisationsver-ständnis in all seinen Facetten.

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_2

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6 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

2.1 Eine Organisation ist etwas anders als die Summe ihrer Teile

Eine Organisation entsteht, wenn entweder (mindestens) zwei Menschen zusam-menkommen und mit einem gemeinsamen Ziel kooperieren – oder wenn einer etwas aufbauen will und dafür andere in den Dienst nimmt. Kurz: Eine Organisation entsteht durch eine auf ein (gemeinsames) Organisationsziel ausgerichtete Koopera-tion von Menschen.

Eine Organisation ist etwas anderes als die Summe ihrer Teile. Diese Aussage entspricht der Definition des Begriffs Gestalt, wie sie der österreichische Philo-soph Christian von Ehrenfels (1859–1932) sinngemäß formulierte: Eine Gestalt ist ein übersummatives Wahrnehmungsganzes mit einer eigenständigen Qua-lität: „[…] dünkt mich die Frage der deskriptiven Psychologie, was denn jene Vorstellungsgebilde RAUMGESTALT und MELODIE in sich seien, – eine bloße Zusammenfassung von Elementen, oder etwas diesem gegenüber Neues, welches zwar mit jener Zusammenfassung, aber doch unterscheidbar von ihr vorliegt?“ (Ehrenfels 1890, S. 12)

Der Begriff der Übersummativität wird vielleicht verständlicher, wenn ich ihn am Beispiel einer Melodie erkläre (so wie es Christian von Ehrenfels seinerzeit auch tat): Durch die Komposition verschiedener Töne entsteht eine Melodie, die einen erkennbaren Charakter hat. Dieselben Töne können natürlich auch eine

Abb. 2.1 Die Organisation als System aus direkt und indirekt miteinander verbundenen Elementen

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ganz andere Melodie ergeben, nämlich dann, wenn sie anders komponiert wer-den. Die einzelnen Töne und deren Summe sind deshalb nicht ausschließlich ent-scheidend für die Melodie. Entscheidend ist ausschließlich die Melodie, die als übersummative Kompostion entstanden ist. Diese erlaubt nämlich jetzt, alle Töne durch andere zu ersetzen. Schreibt man die Melodie in eine andere Tonart um, dann tut man genau das: Man wechselt alle Töne aus und behält die Melodie bei – unter der Maßgabe bestimmter Beziehungsstrukturen zwischen den Tönen.

Die Abb. 2.2 veranschaulicht an einem anderen Beispiel, was mit der Über-summativität des Ganzen gemeint ist: Die Anordnung der Elemente, ihre Bezie-hungsstrukturen und -qualitäten entscheiden über den Charakter des Ganzen. Dieselbe Anzahl von Elementen kann auch – je nach spezifischer Komposition – eine ganz andere Gestalt mit einem ganz anderen Charakter hervorbringen.

Übertragen auf eine Organisation bedeutet das: Ist sie einmal entstanden, dann sollte sie als eigenständiges Ganzes mit eigenen Strukturgesetzen auch dann bestehen (erhalten) bleiben, wenn alle ihre Elemente – seien es Menschen, Abtei-lungen, Produkte o. a. – ausgetauscht werden.

Wie beim Beispiel mit der Melodie gilt auch hierfür die Bedingung, dass die Zusammensetzung der ausgetauschten Elemente den strukturellen Ordnungsprin-zipien der Organisationsgestalt entspricht. Nur so kann diese erhalten bleiben. Dabei sollte beachtet werden, dass die Organisation ein eigenständiges Ganzes mit einer eigenen Struktur, einer spezifischen Beschaffenheit und einem einzigar-tigen Wesen bzw. Charakter ist (Abb. 2.3).

Abb. 2.2 Dieselbe Menge von Elementen – einmal gereiht/gestapelt, einmal zum Buch-staben G geformt. Das entstehende Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile

2.1 Eine Organisation ist etwas anders als die Summe ihrer Teile

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8 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

OrganisationsstrukturDie Organisationsstruktur ergibt sich aus der spezifischen Zusammenstellung der Elemente. Die Qualität der einzelnen Organisationselemente wird so durch ihr verbindendes Strukturgefüge bestimmt. Im Beispiel der Melodie müssen bestimmte Töne – abhängig von der jeweiligen Tonart – in einer vorgegebenen Struktur zueinander komponiert werden. Entscheidend ist dabei die Kombination aus Tonqualität und direkten wie indirekten Beziehungen zu den anderen Tönen. Der einzelne Ton bekommt seine Bedeutung innerhalb der Melodie erst durch die Komposition bzw. durch die spezifische Verbindung mit anderen Tönen.

Übertragen auf eine Organisation bedeutet das, dass jedes Element – sei es ein Mensch, eine Abteilung, ein Produkt, eine Leistung oder auch ein qualitativer Aspekt – ausschließlich im Kontext seiner Beziehungen zu anderen Elementen und zur gesamten Organisation zu verstehen und auszugestalten ist.

Beschaffenheit und Wesen der OrganisationDie Beschaffenheit einer Organisation (die Gestalttheorie spricht von Ganzbe-schaffenheit) beschreibt deren hervorstechende Qualität und hat eine besondere Bedeutung bezüglich der Organisationsidentität. Sie wird durch das Wesen der Organisation begründet, das es in seiner Einzigartigkeit so kein zweites Mal gibt.

Das Wesen der Organisation beschreibt die Summe aller kulturellen Aspekte, die sich aus der Frage ergeben: Wie tut die Organisation etwas – vor dem Hin-tergrund ihrer Visionen, Ziele und Haltungen? Die besondere Bedeutung von Beschaffenheit und Wesen werde ich später noch im Kontext der Organisations-marke vertiefen.

Abb. 2.3 Das Ganze hat eigene Strukturen, eine spezifische Beschaffenheit und ein ein-zigartiges Wesen

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2.2 Bedingungen für die Beständigkeit einer Organisation

Wenn eine Organisation entsteht, bildet sie automatisch (die Systemtheorie sagt autopoietisch, d. h. aus sich heraus, sich selbst erschaffend) ihre Identität heraus, die sie fortan zu erhalten und weiterzuentwickeln sucht.

Die Grundlagen für die Identität liegen sinnbildlich im Kern der Organisation, der als ein genetischer Code für die Unverkennbarkeit der Organisation verstan-den werden kann (Abb. 2.4). Der Kern beinhaltet Vision, Mission und Werte. Sie sind die Maßgabe für die Organisationskultur.

VisionDem Entstehen einer Organisation liegt immer eine Vision zugrunde – oder anders gesagt: Ohne eine Vorstellung davon, welchen Zustand sie erreichen wollen, machen sich Menschen nicht auf den (gemeinsamen) Weg. Zwar kann es sein, dass ihnen nicht bewusst ist, dass sie eine bestimmte Vorstellung, eine Vision haben. Es kann sein, dass ihnen gar nicht klar ist, dass ihre Bewegung mit einer innewohnenden Idee eines zu erreichenden Zustands verbunden ist. Ohne eine solche Idee dahinter aber gäbe es keine Bewegung.

Es geschieht auch, dass Menschen, die sich gemeinsam auf den (Organisa-tions-)Weg machen, ganz unterschiedliche Ideen und Vorstellungen davon haben, was sie mit ihrem Tun erreichen wollen.

Abb. 2.4 Vision, Mission und Werte sind die Leitlinien für die Ausgestaltung der Organisation. Sie befinden sich sinnbildlich im Organisationskern

2.2 Bedingungen für die Beständigkeit einer Organisation

Page 20: Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen f¼r systemische Personal- und Organisationsentwicklung

10 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Für die Entfaltung einer Organisation aber ist es verständlicherweise ganz wesentlich, dass ein Konsens über die gemeinsame Vision herrscht. Die Frage nach der Vision lautet: Welchen Zustand wollen die Menschen mit ihrer Organi-sation erreichen, was soll hinterher anders sein als vorher – und wie soll es sein? Gefragt wird hier nicht nach einem quantifizierbaren Ziel (wie z. B. wir wol-len Marktführer werden), sondern vielmehr nach einer Idee davon, in welchem Zustand ein Markt, eine Technologie, eine Entwicklung oder ein soziales Mitein-ander in der Vorstellung der Organisationsgründer oder -mitglieder sein soll.

Die Antwort auf diese Frage formuliert die Vision, die jeder Organisation inne-wohnt. Die Erfahrung zeigt: Je einfacher und zugleich größer die Vision ist (groß im Sinn von übergeordnet), desto stärker ist sie. Die so einfache wie große Vision von Walt Disney war z. B. Freude am Leben.

MissionAus der Vision im Organisationskern ergibt sich die zweite Frage: Was wollen die Menschen tun, um ihre Vision Wirklichkeit werden zu lassen? Die Beantwortung der Frage definiert die (übergeordnete) Mission bzw. Ausrichtung der Organisa-tion. Im Beispiel von Walt Disney war die Mission: Den Menschen Freude brin-gen. Der Mission untergeordnet sind dann die Ziele, die es zu erreichen gilt. Bei Walt Disney hieß das dann: „to be one of the world’s leading producers and pro-viders of entertainment“ (Disney 2017).

Das Unternehmen NIKE hat zwar keine formulierte Vision, jedoch eine sehr dezidiert formulierte Mission („mission statement“): „Our Mission: To bring inspi-ration and innovation to every athlete in the world. If you have a body, you are an athlete“ (NIKE 2017). Ich könnte dahinter eine Vision vermuten, die in etwa so lau-tet: Bewegung inspiriert Menschen, das aber – wie gesagt – ist nur meine Vermutung.

WerteAus Vision, Mission und Zielen ergibt sich die dritte Frage: Auf welchen Wer-ten fußen wir? Wie wichtig solche Werte sind, zeigt das Beispiel von Apple: Der angebissene Apfel im Logo deutet auf eine Vision hin, die nach meinem Verständ-nis in etwa so lauten könnte: Erkenntnis ermächtigt (der Mensch gestaltet sein Leben selbst – ohne übergeordnete Instanz – nachdem er nach dem Biss in den Apfel der Erkenntnis aus dem Paradies vertrieben wurde). Der heutige CEO Tim Cook hatte 2009 eine Mission im Netz bei Seeking Alpha veröffentlicht, die als Cook-Doktrin bekannt wurde: „We believe that we are on the face of the earth to make great products and that’s not changing“ (Cook 2009).

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Schon zu Lebzeiten seines Gründers hatte Apple eine sehr viel einfacher gehal-tene Mission formuliert, die zugleich zum Claim des Unternehmens wurde: „Think different“. Aus einem solchen Anspruch ergeben sich beinahe zwangsläufig Werte wie hinterfragend, erfinderisch, neu oder auch rebellisch, die als Richtlinie für das Unternehmen verstanden werden müssen, und genau dafür wurde Apple auch bekannt. Erst haben sie die Computerwelt auf den Kopf gestellt und dann haben sie konsequent immer neue Produkte und auch Märkte erfunden.

Organisationsaufstellungsformat: Vision, Mission, WerteFür die Darstellung der Elemente des Organisationskerns eignet sich das Struk-turaufstellungsformat Vision, Mission und drei Werte (Abb. 2.5). Die Elemente haben keinen festen Platz im Raum. Nachdem erste Erkenntnisse über die Qua-lität der einzelnen Elemente in ihrem jeweiligen Zusammenspiel gewonnen wurden, kann das Format in einem nächsten Schritt um Elemente wie Orga-nisation, Umfeld, Personal oder Eigentümer/Management erweitert werden.

Abb. 2.5 Organisationsaufstellungsformat Vision, Mission, drei Werte

2.2 Bedingungen für die Beständigkeit einer Organisation

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12 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

KulturVision, Mission und Werte sind das Fundament für die spezifische Ausgestaltung der Organisation, mithin für ihre Kultur, die sich aus der Frage ergibt: Wie wollen wir die Organisation gestalten und wie wollen wir es miteinander tun?

Genau hier greift nun der systemische Aspekt, der nicht mehr nach dem Was, sondern nach dem Wie der Organisationsgestaltung, der Kommunikation und der Prozesse fragt. Die Beantwortung der Frage nach dem Wie definiert letztlich alle Aspekte und deren Verbindungen, die die Organisation dann in Summe charakte-ristisch prägen und zur Organisationsmarke werden lassen.

Die drei Elemente – Vision, Mission und Werte – sind also Leitlinien für das Wie, d. h. für die strukturelle, prozessuale und kommunikative Ausgestaltung der Organisation. Werden sie nicht berücksichtigt, wird das Wesen der Organisation verwässert bzw. geschwächt. Insofern gibt die Organisation in einer gewissen Weise vor, wie sich die Menschen in ihr verhalten müssen.

Dabei gilt es nun mit Blick auf die Unterscheidung zwischen Organisationsent-wicklung und Personalentwicklung etwas ganz Wesentliches zu berücksichtigen: Als eigenständige Entität – oder als eine Gestalt, die mehr ist als die Summe ihrer Teile – entsteht eine Organisation zwar durch die Handlungen von Menschen und wird durch deren Vision, Mission und Werte geprägt. Dabei aber entwickelt sich die Organisation zu etwas Eigenständigem, eben zu einer Gestalt – mit der Folge, dass die Menschen zu Funktionselementen werden und damit austauschbar sein müssen. Das ist der Grund dafür, warum bei Organisationsaufstellungen auf die Differenzierung zwischen Organisationsgestalt und Personal geachtet werden soll, auch wenn beide in ihrem Wirkgefüge auf das Engste miteinander verbunden sind. Für ein Verständnis der jeweiligen Störungen aber ist eine solche Differenzierung hilfreich und bisweilen entscheidend.

Die Markierung der OrganisationDurch ihren einzigartigen Kern ist jede Organisation entsprechend einzigartig ausgestaltet – und dadurch automatisch markiert. Als System hat sie Systemgren-zen, durch die sie vom Umfeld abgegrenzt ist – sie identifiziert sich selbst als Ich und ihr Umfeld als Nicht-Ich oder als Wir und Nicht-Wir/die anderen.

Das Vorhandensein dieser Abgrenzung macht offensichtlich, dass es eine wahrnehmbare Grenze zwischen der Organisation und ihrem Umfeld, zwischen Ich und Nicht-Ich gibt (Abb. 2.6). Durch ihr spezifisches Wesen und die Grenze

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zum Außen ist die Organisation also markiert. Diese Markierung entsteht auto-poietisch, die Organisation erschafft ihre eigenwillige Markierung mithilfe ihrer Funktionselemente selbst. Als markierte Einheit wird sie so zur Marke. Das bedeutet auch: Jede Organisation ist automatisch ein markiertes Ganzes, eine Organisationsmarke.

Im Kern der Organisationsmarke liegt die Organisationsidentität begründet. Und unabhängig von der organisationalen Bewusstheit über die eigene Identität und die Motivation hinter den Handlungen ist jede Organisation als Marke zu verstehen.

Lediglich die Kraft einer Organisationsmarke ist relativ. Sie hängt von der selbstähnlichen, also authentischen Gestaltung der Organisation in allen Details ab. Herrscht in einer Organisation keine Selbstbewusstheit über die eigene Iden-tität und wird die Organisation nicht ihrem Sosein entsprechend ausgestaltet, hat sie eine schwache Markierung mit selbstblinden Flecken.

Abb. 2.6 Jede Organisation ist automatisch an ihren Grenzen markiert. Dadurch ist sie für sich selbst und für andere als Einheit erkennbar

2.2 Bedingungen für die Beständigkeit einer Organisation

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14 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Organisationsaufstellungsformat: MarkenintegrationsprozessEine Betrachtung der Organisationsmarke und ihrer Ausprägungen bietet der von mir entwickelte Markenintegrationsprozess (MIP), der auf dem Persönlichkeitsentwicklungsformat Lebensintegrationsprozess (LIP) von Wilfried Nelles basiert.

Dabei gehe ich beim Markenintegrationsprozess grundsätzlich davon aus, dass die systemische Autopoiese bedingt, dass jede Organisation auto-matisch eine Marke, ein sich selbst markierendes System ist.

Der MIP bietet Organisationen die Möglichkeit, die Aspekte von Vision, Mission und Werten sowie deren Verbindungsqualitäten zu erfahren und diese Erfahrung in ihre Markierung zum Zweck der dynamischen Entwick-lung einer starken Markengestalt zu integrieren.

Die Organisation entwickelt sich als eigenständige Gestalt gleich einer Persönlichkeit und durchläuft hierbei durchaus parallele prägende Pha-sen: Aus der zugrunde liegenden (oder auch innewohnenden) Vision (die sagt, welcher Zustand von Welt erreicht oder welche besondere Qualität sich entfalten soll) ergibt sich die Mission, die die übergeordnete Hand-lungsrichtung vorgibt. Aus dieser erwachsen die (Markenkern-)Werte, die alles Geschehen in der Organisation und damit die Organisationskul-tur prägen und diese zu einer eindeutig markierten Gestalt machen. Nach-dem die Organisation ihre so entstehende Identität und ihre Markierung in ihr Bewusstsein integriert hat, hat sie eine bessere Orientierung bei ihrem Selbsterhalt und ihrer Weiterentwicklung.

Die Positionen Vision, Mission, Werte und Organisation sind im MIP fest vorgegeben und sollen im Aufstellungsverlauf nicht verändert werden. Lediglich die beiden Positionen Selbsterhalt und Weiterentwicklung dürfen sich im Feld bewegen (Abb. 2.7).

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2.3 Systemische Funktionsprinzipien

Ergänzend zu den genannten Eigenschaften von Organisationen gibt es Prinzipien für deren Funktionsweise. Die Funktionsprinzipien für offene Systeme wurden erstmals von der Systemtheorie formuliert. Bevor ich diese hier vorstelle, beant-worte ich zuerst die Frage: Was ist ein offenes System?

Definition: offenes SystemEin System ist eine Gesamtheit von Elementen, die so aufeinander bezogen und miteinander verbunden sind, dass sie zweckorientiert interagieren können. Offe-nes System meint: Das System ist auf den Austausch mit seinem Umfeld ange-wiesen (Abb. 2.8 und 2.9).

Abb. 2.7 Markenintegrationsprozess

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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16 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Abb. 2.8 Definition des Begriffs System

Abb. 2.9 Organismen und soziale Konstrukte sind offene Systeme

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Offene Systeme entstehen durch Kommunikationsprozesse. Diese beschrei-ben die Art und Weise, wie sich die Elemente austauschen und dabei eine jeweils spezifische Wirklichkeit herstellen. Die Kommunikationsprozesse dienen dem Selbsterhalt und der Weiterentwicklung des Systems.

Die beiden Grundfunktionen von offenen SystemenSelbsterhalt und Weiterentwicklung sind die beiden Grundfunktionen von offenen Systemen. Sie sind untrennbar miteinander verknüpft. Der Selbsterhalt bedingt, dass ein immer gleiches Verhalten an den Tag gelegt wird. So soll sichergestellt bleiben, dass das System bleibt, wie es ist: selbstähnlich, authentisch – oder anders: mit sich identisch.

Das soll seine Stabilität und sein Gleichgewicht garantieren. Denn dass das Sys-tem so ist, wie es ist, verdankt es den vergangenen Handlungen seiner Elemente – sie haben die Systemwirklichkeit hergestellt. Die Identität eines Systems entwickelt sich entlang der Handlungen seiner Elemente, sagt die Systemtheorie. Zugleich ist aber auch die Weiterentwicklung, die ein verändertes Verhalten bedingt, eine Voraussetzung für Selbsterhalt – denn alles innerhalb und außerhalb des Systems ändert sich andauernd, und darauf muss es kontinuierlich reagieren (Abb. 2.10).

So sind die beiden Grundfunktionen scheinbar widersprüchlich in ihrer Anfor-derung – immer dasselbe Verhalten für Selbsterhalt und ein verändertes Verhalten für Weiterentwicklung – und zugleich untrennbar miteinander verbunden, denn

Abb. 2.10 Das Verhältnis von Selbsterhalt und Weiterentwicklung

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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18 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Selbsterhalt gelingt nicht ohne Weiterentwicklung und Weiterentwicklung gelingt nur auf Basis von Selbsterhalt.

Die Ausgestaltung des Verhaltens fördert eine spezifische Identität der Orga-nisation, die sie als ihr Sosein versteht und beschreibt. Wir kennen den Prozess der Identitätsentwicklung von uns selbst. Vor dem Hintergrund unseres bisherigen Verhaltens sagen wir: „Ich bin so“. Wir sagen nicht: „Ich tue das immer so“. Die Folge davon ist oft, dass wir glauben, dass unser Sosein unser Verhalten bedingt – und folgen damit einer vermittelbaren Idee unseres Selbst.

Die Systemtheorie beschreibt das Selbst als das identifizierbare System, das aus den Handlungen entstanden ist. Für die Beratung von Organisationen (und auch einzelnen Personen) ist das ein wichtiger Aspekt. Die Frage lautet: Wie kön-nen Handlungen im Interesse einer eventuell nötigen Weiterentwicklung so verän-dert werden, dass die Organisation dabei in ihrem Sosein erhalten bleibt?

Hier befindet sich der Berater leicht im sog. Beratungsparadox. Die Botschaft hinter dem Beratungsauftrag lautet nämlich nicht selten sinngemäß: „Wasch mich, aber mach mir den Pelz nicht nass.“ Oder anders: „So wie ich es bisher getan habe, funktioniert es nicht, aber sag mir nicht, dass ich anders handeln soll – schließlich bin ich nun mal durch meine Handlungen so geworden, wie ich jetzt bin und habe mich bis hierher erhalten können. Das lasse ich mir von Dir nicht kaputtmachen.“

Die vier Funktionsprinzipien von offenen SystemenFür alle offenen Systeme gelten dieselben Funktionsprinzipien. Vergleichen kann man sie vielleicht mit den Spielregeln eines Spiels. Die Spieler sind die Bedin-gung dafür, dass das Spiel gespielt wird. Das Spiel selbst hat seine besonderen Spielregeln, ohne die es nicht dieses eine Spiel wäre. Ohne die Regeln könnte man das Spiel auch nicht spielen. Übertragen auf Organisationen entscheiden also Handlungen nach bestimmten (Spiel-)Regeln über die Qualität und den Bestand der Organisation.

Der Vergleich einer Organisation mit einem Spiel macht deutlich, dass nicht die Spieler das Spiel definieren. Die Definition des Spiels steht fest, nachdem es einmal entstanden ist. Versteht man das Spiel als System, sind die Systemele-mente die Spieler. Sie sind gehalten, sich beim Spielen an die Regeln zu halten.

Bei Profit-Organisationen sind die Handlungen (die Spielzüge) erfolgsent-scheidend: Jeder hat seine eigene Spielstrategie und egal, wie gut man spielt, die (mathematische) Möglichkeit zu gewinnen, ist genau so groß, wie die Möglich-keit zu verlieren. Die Chancen liegen bei 50 %.

Die vier Funktionsprinzipien für offene Systeme sind: Komplexität, Gleichge-wicht, Rückkopplung und Selbstorganisation (Abb. 2.11).

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Erstes Funktionsprinzip: KomplexitätDas erste systemische Funktionsprinzip lautet: Offene Systeme sind komplex (Abb. 2.12). Komplexität entsteht, wenn die Summe der Elemente in einem Sys-tem so groß ist, dass diese nicht mehr ausschließlich direkt, sondern nunmehr auch indirekt miteinander verbunden sind (Abb. 2.13). Dadurch entstehen ver-schiedene Ebenen der Wirkung von Beziehungen, die entgegen dem üblichen Verständnis von Führung nicht einseitig beeinflussbar sind. Die organisationalen Beschreibungsebenen für die Wirkung von Beziehungen beschreibe ich später noch vertieft.

Abb. 2.11 Vier Funktionsprinzipien für offene Systeme

Abb. 2.12 Erstes Funktionsprinzip: Komplexität

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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20 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Auch bei einer Organisation, die aus nur zwei Menschen besteht, irrt man, wenn man meint, hier sei aufgrund der geringen Anzahl keine Komplexität gege-ben. Als Elemente gelten ja nicht nur die beiden Menschen, die selbst schon komplexe Systeme mit z. B. spezifischen Biografien, Charakteren oder Leistungs-profilen sind, sondern sämtliche Aspekte, die sich aus deren Kooperation ergeben, wie z. B. verschiedene Arbeitsbereiche und Aufgaben, das Erscheinungsbild, die Kommunikation mit dem Umfeld, die Gestaltung der Leistungen usw.

All diese Elemente stehen in einer Organisation – und sei sie noch so klein – in einer direkten oder indirekten Beziehung zueinander und beeinflussen einander andauernd. Aus den verschiedenen Ebenen der Wirkung ergeben sich die verschie-denen Deutungs-, bzw. Beschreibungsebenen, die einander überlagern und bedingen.

Für die Dynamik der komplexen Beziehungen ist das Spinnennetz ein gutes Beispiel. Berührt man es an einer Stelle, bewegt sich das ganze Netz. Man spricht hier von Interdependenzen, von wechselseitig abhängigen Beziehungen. Das macht noch einmal deutlich, warum ein elementaristisches Verständnis nicht die tatsächliche Organisationswirklichkeit erfassen kann: Die Elemente sind nur im Kontext ihrer jeweiligen Beziehungen zu verstehen. Nur ihre jeweilige Ver-bindung erklärt ihre jeweilige Qualität, die deshalb immer relativ und niemals absolut ist. Man kann so gesehen auch sagen, dass die eigentliche Wirklich-keit zwischen den Elementen stattfindet – oder anders: Die Wirklichkeit ist das Dazwischen.

Abb. 2.13 Komplexität in offenen Systemen

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Mit Blick auf unseren Alltag wird die Aussage vielleicht leichter verständlich: Ein Mann kann z. B. ein Partner, ein Freund, ein Vater, ein Sohn, ein Kegelbru-der, ein Weisungsbefugter oder Weisungsgebundener sein. Er definiert sich immer (anders) durch die jeweilige Qualität seiner Verbindungen. Entscheidend ist dabei, was zwischen ihm und den anderen geschieht – gemeinsam stellen sie ihre soziale Wirklichkeit her.

Darüber hinaus kann die Qualität eines Elements niemals statisch sein: Die Beziehungen in einer Organisation ändern sich andauernd und ohne Unterbre-chung. Das hat zunächst damit zu tun, dass Menschen sich andauernd verändern. Bereits im Verlauf eines Tages durchleben sie verschiedene Stimmungen und Leistungsphasen. Auch die sozialen, kulturellen, technologischen und ökonomi-schen Umfelder von Organisationen ändern sich andauernd. Weil die Organisa-tion mit ihnen in einer andauernden Austauschbeziehung ist, die der Herstellung von Gleichgewicht dient, kann niemals von einem absoluten Gleichgewicht gesprochen werden, sondern immer nur von einem relativen. Die Systemtheorie nennt dieses relative Gleichgewicht das Fließgleichgewicht.

Systemische Komplexität ist als Grundprinzip gegeben und ihr Grad hat die Ten-denz zur Zunahme: Die Entwicklung geht i. d. R. in Richtung Mengenwachstum und/oder Ausdifferenzierung. Als offenes System ist die Natur ein gutes Beispiel für beide Wachstumsrichtungen: Mengenwachstum und Ausdifferenzierung. So hat sie hat im Lauf der Jahrtausende immer mehr und neue Formen von Organismen und deren Untergruppen hervorgebracht – Ein- und Vielzeller, Säugetiere, Vögel, Insek-ten, Bäume, Gräser, Moose usw. Bei der Ausdifferenzierung ist in der Natur auch eine Zunahme der kognitiven Fähigkeiten und des Bewusstseins zu verzeichnen.

Eine zunehmende Komplexität entsteht durch die Zunahme der Elemente im Sys-tem, und je mehr Elemente, desto höher die Dynamik, die sich aus deren Verbindun-gen ergibt. Deshalb gilt, dass eine höhere Komplexität mit zunehmender Dynamik einhergeht. Die zunehmende Globalisierung und die damit verbundene Komplexität des Geschehens zeigen angesichts der immer schneller werdenden Auf- und Abbe-wegung der Wirtschaft deutlich die Verbindung von Komplexität und Dynamik.

Reduktion der KomplexitätDie Aufgabe einer Organisation ist es nun, ihre Komplexität zugunsten der Beherrschbarkeit zu reduzieren, und die spannende Frage ist, wie sie das tut. Die Reduktion entsteht z. B. in Form von Strukturierung – durch Organigramme, Prozesse, Stellenbeschreibungen u. a. Eine solche funktions- und zugleich sinn-orientierte Zusammenfassung von Elementen gleicht einem strukturellen Muster, das dem Ziel dient, eine innere Orientierung beim Erbringen der Leistungen zu ermöglichen.

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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22 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Ihrem Umfeld muss die Organisation ebenfalls Orientierung bieten. Und auch hier gelingt ihr das nur über Reduktion der Komplexität durch Musterbildung – sie muss ihre einfache Identifizierbarkeit herstellen und dafür ein Muster (eine Marke) schaffen, das wahrnehmbare Wiederholung – und damit einfache Wieder-erkennbarkeit – garantiert.

Im Wirtschaftskontext dient die Musterbildung der erfolgreichen Abgrenzung gegenüber dem Wettbewerb (Alleinstellungsmerkmal, USP). Und natürlich dient die Musterbildung im Inneren wie im Umfeld der Bildung von Vertrauen – man weiß, womit oder mit wem man es zu tun hat. Wir sprechen in diesem Zusam-menhang immer wieder von unabdingbarem Markenvertrauen.

Komplexität und KompliziertheitAufgrund ihrer komplexen Vielschichtigkeit ist es offensichtlich nicht einfach, eine Organisation zu beraten. Zudem werden meistens Lösungen für einzelne (abgegrenzte) Bereiche gesucht: Die Zusammenarbeit in diesem Team funktioniert nicht. Können Sie das ändern? Betrachtet man als Berater ein solches Symptom wie einen komplizierten Umstand (so empfinden es jedenfalls i. d. R. die Auftrag-geber), dann übersieht man möglicherweise die komplexe Beziehungswirklich-keit, auf die das kompliziert erscheinende Symptom hinweist.

Kompliziertheit aber ist zweidimensional, sie ist linear und kausal. Um einen komplizierten Sachverhalt wie z. B. eine mathematische Gleichung zu lösen, bedarf es einer elementaristischen Identifikation oder Analyse von Aspekten und einer Entscheidung wie entweder-oder, richtig-falsch. Kompliziertheit hat eine zweidimensionale Dimension des Wenn-dann: Sie kann logisch kausal aufgelöst werden. Um komplizierte Konstrukte zu verstehen und zu lösen, analysiert und evaluiert man die Einzelteile, gestaltet dann einen linearen Lösungsweg (erst kommt das, dann das) und kommt zur vermeintlich einzig richtigen Lösung.

Komplexität ist hingegen vieldimensional und ihre Dimensionen sind inter-dependent. Der systemische Beratungsansatz und das Organisationsaufstellen verbieten es deshalb geradezu, sich ausschließlich einzelnen Teilen bzw. Aspek-ten der Organisation zu widmen – theoretisch. In der Praxis ist das natürlich nur begrenzt möglich, weil der Anlass für einen Beratungsbedarf i. d. R. eine abge-grenzte Fragestellung oder ein einzelnes Symptom ist. Außerdem arbeitet man auf einer Zeitschiene und kann deshalb einzelne Themen und Anliegen nur nach-einander, also linear berücksichtigen (Abb. 2.14).

Wesentlich ist dabei aber, sich nicht auf eine vermeintliche Kompliziertheit zu konzentrieren, die sich aus einem Symptom ergibt (der Verstand sagt vielleicht: es ist kompliziert, weil), sondern das verbundene Ganze der Komplexität im Auge zu behalten und in einer systemischen Grundhaltung zu arbeiten, die ich im prakti-schen Teil näher erläutere.

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PolaritätEin wesentlicher Charakter von Komplexität ist ihre Polarität – komplexe Orga-nisationen sind polar organisiert, d. h. sie bestehen aus scheinbaren Widersprüch-lichkeiten, die als Einheit verstanden werden müssen (Abb. 2.15). Polarität ist hier philosophisch gemeint: Sowohl das eine als auch das andere – die beiden Pole sind einander bedingende Aspekte. Systemische Polarität ist interdependent organisiert und unter dem Aspekt der Gleichzeitigkeit von Wirkungen zu

Abb. 2.14 Komplexität vs. Kompliziertheit

Abb. 2.15 Definition von Polarität

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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24 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

verstehen. Manche sprechen angesichts der systemischen Polarität auch von Paradoxie (scheinbarem Widersinn), z. B. da, wo es darum geht, gleichzeitig Innovation und Tradition zu verbinden, gleichermaßen auf Innen- und Außeno-rientierung zu fokussieren oder – wie bereits beschrieben – Selbsterhalt und Wei-terentwicklung zu ermöglichen.

Strukturaufstellungsformat: Zwei Pole und dasselbeFür die Wahrnehmung von Polaritäten in einer Organisation eignet sich das Format der Polaritätenaufstellung (Abb. 2.16). Die drei Stellvertreterpo-sitionen sind: Das Eine, das Andere, das Dasselbe. Die Positionen sind in einem gleichschenkligen Dreieck festgelegt. Im ersten Schritt werden die beiden Pole das Eine und das Andere einander gegenübergestellt. Im zwei-ten Schritt wird Dasselbe dazugestellt.

In dieser Form kann die Polaritätenaufstellung als ein strukturelles Metaformat verstanden werden, das eine grundlegende Orientierung für praxisorientierte Fragestellungen in Organisationen bietet. So kann z. B. in Vorbereitung einer Produktentwicklung eine Aufstellung zur organisati-onsspezifischen Ausprägung von Innovation und Tradition erfolgen. Diese kann Auskunft darüber geben, welche spezifische Identität die beiden Pole haben bzw. was sich in ihnen oder durch sie offenbart.

Die Identität der Pole – Dasselbe – kann dann eine Orientierung bei der Frage sein, welche Aspekte oder Prinzipien bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden müssen, damit das Produkt der Organisation selbst-ähnlich ist und damit der Stärkung der Organisationsmarke dient.

Die Polaritätenaufstellung zeigt im Wesentlichen das Potenzial, das den polaren Eigenschaften einer Organisation innewohnt. Sie folgt in ihrer Anordnung der östlich orientierten paradoxen Logik des Sowohl-als-auch, die z. B. der Philosoph des deutschen Idealismus, Georg Friedrich Hegel (1770–1831) vertreten hat. Angesichts der Polarität sprach Hegel „von einem Unterschiede, in welchem die Unterschiedenen untrennbar sind“ (Hegel 1812, Logik I, 11).

Als strukturelles Format kann die Polaritätenaufstellung Grundprinzi-pien einer Organisation aufzeigen und eine wertvolle Orientierung für die Ausgestaltung struktureller, kultureller, sozialer oder funktionaler Bereiche sein.

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Zweites Funktionsprinzip: GleichgewichtDas zweite Funktionsprinzip von Systemen ist das Gleichgewicht (Abb. 2.17). Es bedingt die Grundprozesse von sozialen Systemen – denn sie streben nach Kon-gruenz mit anderen Systemen. Damit ist ein dynamischer Zustand des gleich-gewichtigen Austauschs gemeint: Mit dem Ziel des Selbsterhalts passen sich Systeme fortwährend einander an und stimmen sich physisch, psychisch und mental aufeinander ab. Ihr Geben und Nehmen ist auf Ausgleich zum Zweck des Gleichgewichts ausgerichtet.

Das geforderte Gleichgewicht bedingt auch, dass die Ordnung der Beziehun-gen innerhalb des Systems – also die Systemstruktur – in einem Gleichgewicht gehalten wird. Dabei kommt jedem Systemelement eine spezifische, gleichge-wichtserhaltende Funktion zu.

Auch bei Individuen spielt das Gleichgewicht im psychischen Geschehen eine zentrale Rolle. Widersprüche aufzulösen, Geschehenes zu verstehen, ein Unglück zu erklären oder Gefühle zu deuten – alle diese Versuche sind das andauernde Bestreben, das eigene System im Gleichgewicht zu halten oder es wieder in das-selbe zu bringen.

Abb. 2.16 Aufstellungsformat für Polarität: Das Eine, das Andere, Dasselbe

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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26 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Gleichgewicht ist schließlich das Gebot für die beiden systemischen Grund-funktionen Selbsterhalt und Weiterentwicklung. Die Herausforderung für die Organisationsführung ist hierbei, den möglichen Beitrag zum Gleichgewicht eines jeden Mitarbeiters, eines jeden organisationalen Aspekts und einer jeden Entscheidung zu prüfen und im Interesse von Selbsterhalt und Weiterentwicklung zu gestalten. So entsteht jede Organisationskultur durch das Streben nach gleich-gewichtiger Kongruenz.

Um die Kongruenz zu erreichen, müssen wiederum vier Teilziele erreicht wer-den, ohne die kein Gleichgewicht zustande käme (Abb. 2.18).

Abb. 2.17 Zweites Funktionsprinzip: Gleichgewicht

Abb. 2.18 Vier Teilziele für Gleichgewicht

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Die vier Teilziele für Gleichgewicht sind:

• Stabilität und Sicherheit• Wachstum und Veränderung• Regulation und Kontrolle• Sinn und Kultur

Erste Voraussetzung für Gleichgewicht: Stabilität und SicherheitWenn wir nur auf einem Fuß stehen, stehen wir i. d. R. unsicher oder instabil. Die ausgleichende Balance schafft der zweite Fuß. Wenn es uns nicht gut geht, wir irritiert sind, oder uns in einer Situation nicht wie gewohnt zurechtfinden, dann sagen wir: „Ich bin aus dem Gleichgewicht“, „ich bin außer mir“, „ich muss meine Mitte wiederfinden“ oder „ich bin ganz aus dem Tritt“ (mein Rhythmus ist nicht gleichmäßig/stabil).

Wir erleben die fehlende Stabilität als unsicher – mental, psychisch und phy-sisch. Stabilität ist deshalb die Voraussetzung für unser Gleichgewicht, sie bietet uns gefühlte Sicherheit (Abb. 2.19). Dasselbe gilt für Organisationen. Sie brau-chen Stabilität im Sinn ihres Selbsterhalts und entwickeln hierfür Strukturen und Prozesse, die eine kontrollierbare Leistungserbringung sicherstellen sollen.

Hierbei tendieren sie dazu, die immer gleichen Entscheidungen zu treffen oder Handlungen zu vollziehen. Sie neigen zu sog. selbstreferenziellen Anschlusshand-lungen, d. h. sie wiederholen das, was sie schon einmal so getan haben, indem sie sich auf sich selbst beziehen. Was sie einmal so getan haben, das tun sie immer wieder so, weil sie davon ausgehen können, dass ihre Handlungen der Grund sind, dass es sie noch gibt – und zwar genau so, wie sie sind. Sie sagen deshalb: „Wir ändern das nicht. Das haben wir hier schon immer so gemacht“.

Abb. 2.19 Gleichgewicht: Stabilität und Sicherheit

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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28 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Zweite Voraussetzung für Gleichgewicht: Wachstum und VeränderungFür jedes Wachstum aber braucht es immer wieder Momente der Instabilität, damit Systeme von einem Zustand in den nächsten übergehen und sich verändern können: Ohne Instabilität also kein Gleichgewicht, das wiederum der Stabilität dient (die Bedingung für Gleichgewicht ist; Abb. 2.20).

Hier tritt einmal mehr der polare Charakter von komplexen Systemen hervor, der eine Kette von Widersprüchlichkeiten zu einem eleganten Kreis ohne Start- und Endpunkt für Wenn-Dann-Konstruktionen schließt. Logisch rational können die Zusammenhänge von Instabilität und Stabilität deshalb nicht erklärt werden, denn als Widersprüche heben sie einander auf. Unter logischen Gesichtspunkten kann Instabilität nicht dem Gleichgewicht dienen, wenn Stabilität das tut – und umgekehrt.

Erst mit dem systemischen Blick wird ein ganzheitliches Verständnis dieses scheinbaren Widerspruchs möglich. Hier ergänzen die Gegensätze einander wie zwei Seiten derselben Münze – zwei Aspekte, die erst in Kombination ein sinn-volles Ganzes bilden.

Systemisch verstanden sind Instabilität und Stabilität also zwei einander ergänzende Aspekte ein und desselben Systems. Sie sind gleichzeitig als Dif-ferenz und als systemische Einheit (als Polarität) vorhanden, in jedem Fall potenziell. Deshalb gebührt beiden die notwendige Aufmerksamkeit, damit die Gleichgewichtsbedingungen des Systems erfüllt werden.

Dritte Voraussetzung für Gleichgewicht: Regulation und KontrolleRegulation und Kontrolle sind wesentliche Bestandteile für die Aufrechterhal-tung von Gleichgewicht in Organisationen (Abb. 2.21). Die Maßnahmen, die in der Vergangenheit ergriffen wurden, werden analysiert, evaluiert und bei Bedarf

Abb. 2.20 Gleichgewicht: Wachstum und Veränderung

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reguliert, sodann wiederum kontrolliert. Dienen die Maßnahmen dem Gleichge-wicht, muss darauf geachtet werden, dass sie zukünftig erneut ergriffen werden. Zugleich muss aber auch die kontinuierlich notwendige Instabilität berücksichtigt werden, damit Weiterentwicklung möglich bleibt. Die Kontrolle dient auch dazu, die organisationale Vielschichtigkeit durch die Verknüpfung verschiedener Per-spektiven zu erfassen.

Regulation und Kontrolle widmen sich z. B. diesen Fragen:

In welcher Beziehung stehen die gesetzten Ziele zur Identität derOrganisation – entsprechen sie der Vision und der Mission?Gelten die Ziele noch, die man sich gesetzt hatte, oder hat man überhaupt Ziele?Welche Maßnahmen hat man ergriffen, und wie hat man sie ergriffen?Ist man von Voraussetzungen ausgegangen, die sich als sinnvoll erwiesen haben?Wie haben die Maßnahmen gegriffen?

Das sind nur einige Beispiele für die Aspekte, die erfragt und verstanden werden wollen.

Vierte Voraussetzung für Gleichgewicht: Sinn und KulturDie vierte Voraussetzung für Gleichgewicht ist Sinn (Abb. 2.22). Er ergibt sich aus der Vision der Organisation, und die Frage lautet: Macht das, was wir in der Organisation tun angesichts unserer gemeinsamen Vision einen Sinn? Visionen entspringen dem menschlichen Geist und sind so gesehen als individuelle oder soziale Fantasie zu verstehen. Wie ich weiter oben beschrieben habe, reduzieren sie die komplexe Welt auf vereinfachende und sinngebende Ideen und Aussagen.

Abb. 2.21 Gleichgewicht: Regulation und Kontrolle

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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30 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Eine Vision ist also ein Bild der Welt, das Sinn macht, Sinn stiftet und sich für alle sicher, weil sinnvoll anfühlt. Sie dient damit dem Miteinander, um gemein-sam Bedürfnisse zu befriedigen. Ohne einen inneren und äußeren Sinnzusam-menhang können Organisationen nicht erkennen, ob ihre Handlungen sinnvoll sind. Und ohne Sinn würde ein System kein Gleichgewicht finden.

Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann hat in seinem Buch Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie den Sinn „Weltform“ genannt (Luhmann 1984, S. 95). Der Sinn formt ein Abbild einer gegebenen Realität und führt dazu, dass dieses Abbild zur Wirklichkeit wird. Der Sinn formt die Welt oder: Der Sinn ist die Form der Welt, so wie sie sich für das jeweilige System (die Organisation) darstellt.

Dabei strebt jede Organisation (bewusst oder unbewusst) nach der Verwirk-lichung ihrer Vision in ihren Verbindungen. Sie versucht andauernd, im Inneren und mit dem Umfeld einen Konsens herzustellen. Das geschieht in kontinuierli-chen Kommunikationsprozessen, in denen die Wirklichkeit in Bezug auf den Sinn konstruiert wird bzw. werden soll.

Entscheidend ist dabei die Art und Weise, wie Wirklichkeit konstruiert wird oder anders: wie Organisationen es tun. Kultur ist deshalb keine nette Zugabe zu den harten Fakten einer Organisation. Die Kultur steht für die Art und Weise, wie eine Organisation kommuniziert. Sie steht für das Wertgefüge bei der Ent-wicklung von Strategien, Zielvorgaben, Maßnahmen, Zusammenstellung des Portfolios, Prozessorganisation, Personalführung und -entwicklung, Zielgruppen-kommunikation und und und. Kurz: Die Organisationskultur beschreibt die Orga-nisationspersönlichkeit, ohne die eine Organisation nicht denkbar ist.

Abb. 2.22 Gleichgewicht: Sinn und Kultur

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Drittes Funktionsprinzip: RückkopplungIm Zusammenhang mit dem Gleichgewicht zwischen einem System und seinem Umfeld ist die Rückkopplung von zentraler Bedeutung (Abb. 2.23). Denn jede Handlung provoziert eine Rückkopplung. Die Art der Rückkopplung hat einen direkten Einfluss – sowohl auf das Gleichgewicht des inneren Systems als auch auf das Gleichgewicht zwischen System und Umfeld. Dabei gibt es zwei Arten von Rückkopplung – positive und negative (Abb. 2.24). Die Begriffe sind hier allerdings nicht qualitativ gemeint, sondern haben eine quantitative Bedeutung.

Positive Rückkopplung meint im Wesentlichen: Durch mehr wird mehr erzeugt. Die Systemtheorie beschreibt das sinngemäß so: Eine Variable beeinflusst sich selbst direkt oder indirekt so, dass ihr Wachstum gleichzeitig zu weiterem Wachstum führt. So zeigen z. B. einzelne Populationen in der Natur eine positive Rückkopplung: Je mehr Tiere einer Art existieren, desto mehr vermehren sie sich. Positive Rückkopp-lung führt i. d. R. zu exponentiellem Wachstum und kann für die Stabilität eines Systems in Rückkopplung mit seinem Umfeld gefährlich sein. So gleicht z. B. die Zunahme der Weltbevölkerung einer positiven Rückkopplung, die dazu führen kann, dass irgendwann nicht mehr genügend Ressourcen im Umfeld vorhanden sind.

Auch Wirtschaftsorganisationen neigen immer wieder zu positiver Rück-kopplung. Haben sie einmal Erfolg mit einem Angebot, tendieren sie dazu, mehr desselben anzubieten. Das tun sie sogar dann, wenn Wettbewerber mit einem ähn-lichen, einem Me-too-Angebot auftreten.

Abb. 2.23 Drittes Funktionsprinzip: Rückkopplung

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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32 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Kann sich ein Unternehmen in einem solchen Fall nicht als starke Marke gegen den Wettbewerb behaupten, wird es i. d. R. die Preise senken, um die vermeintliche Attraktivität seines Angebots zu erhöhen und damit den Umsatz zu steigern bzw. in jedem Fall zu sichern. In der Regel wird der Wettbewerber jedoch ebenfalls seine Preise senken und nun entsteht ein sog. Skimming-Effekt im Kontext der positiven Rückkopplung: Beide Wettbewerber fokussieren auf mehr Umsatz durch Kostenreduktion und Steigerung des Absatzvolumens – sie unterbieten einander und die Preise fallen. Sie können natürlich nicht ins Boden-lose fallen, wie der Volksmund sagt. Eine nach unten gerichtete Preisspirale findet deshalb ihr natürliches Ende bei Null.

Um der Gefahr der positiven Rückkopplung zu entgegnen, verknappen Unter-nehmen ihr Angebot, statt die Preise zu senken. Sie entwickeln anstelle der Preis-führerschaft eine Strategie der Qualitätsführerschaft und machen ihr Angebot durch die Verknappung attraktiv. Damit leiten sie eine negative Rückkopplung ein, die einer Pull-Strategie gleichkommt: Verknappung des Angebots und in der Folge Erhöhung der Angebotsattraktivität.

Negative Rückkopplung schafft also den Ausgleich für den nachhaltigen Syste-merhalt (Abb. 2.25). In der Natur gibt es bei positiver Rückkopplung (der einzel-nen Populationen) immer auch eine ausbalancierende negative Rückkopplung: Gibt es z. B. viele Mäuse, dann haben die Katzen genug zu essen. Je mehr Mäuse sie essen, desto mehr nimmt die Mäusepopulation ab. Das hat zur Folge, dass die Kat-zen irgendwann nicht mehr genügend Nahrung haben. Dadurch dezimiert sich ihre Population automatisch und je weniger Katzen es gibt, desto mehr haben die Mäuse wieder eine Chance, sich zu vermehren, was den Katzen wiederum genügend

Abb. 2.24 Positive Rückkopplung

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Futter bietet. Das beschreibt das systemerhaltende Zusammenspiel von positiver und negativer Rückkopplung in der Natur.

Positive und negative Rückkopplung sind als Polarität zu verstehen – sie die-nen gemeinsam dem Erhalt und der Weiterentwicklung eines Systems.

Viertes Funktionsprinzip: SelbstorganisationSobald eine Organisation entstanden ist, zielt alles Geschehen auf Selbstorgani-sation (Abb. 2.26). Für diese gelten vier Prinzipien: Komplexität, Selbstreferenz, Autonomie und Redundanz.

Abb. 2.25 Negative Rückkopplung

Abb. 2.26 Vier Prinzipien der Selbstorganisation

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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34 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Erstes Prinzip für Selbstorganisation: KomplexitätOrganisationen sind komplex und auch ihre Selbstorganisation geschieht nach dem Prinzip der Komplexität: Sie findet im Rahmen interdependenter Strukturen auf vielschichtigen Ebenen statt (Abb. 2.27). Dadurch ist die Organisation als ein Raum für maximales Resonanzgeschehen zu verstehen – alles beeinflusst einan-der, direkt oder indirekt.

Es gilt deshalb, aus dem komplexen System eine funktionierende Organisation durch Reduktion der Komplexität zu formen. Dafür müssen Elementegruppen gebildet werden. Die Bildung einzelner Abteilungen, Organigramme und Stellen-beschreibungen ist hierfür ein Beispiel.

Zweites Prinzip für Selbstorganisation: SelbstreferenzSelbstreferenz meint: Organisationen entwickeln ihre Identität entlang ihrer Handlungen (Abb. 2.28). Sie sind so, wie sie sind, weil sie das tun, was sie tun. Diese selbstähnlichen (oder auch authentischen) Handlungen beruhen auf dem systemischen Prinzip der Selbstreferenz. Systeme tendieren dazu, sich auf ihren eigenen Erfahrungsschatz an vergangenen Handlungen und Einsichten zu bezie-hen, wenn sie Entscheidungen für die Zukunft treffen wollen: So machen wir das hier schon immer. Deshalb sind offene Systeme hinsichtlich ihrer Handlungen operational geschlossen, d. h. sie sind ausschließlich auf sich selbst bezogen.

Drittes Prinzip für Selbstorganisation: AutonomieOperationale Geschlossenheit meint: Organisationen handeln nicht aufgrund exter-ner Einflüsse, sondern autonom – aus sich selbst heraus (Abb. 2.29). Die opera-tionale Geschlossenheit steht dabei keinesfalls im Widerspruch zu den offenen

Abb. 2.27 Selbstorganisation und Komplexität

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Austauschbeziehungen. Es obliegt aber ausschließlich der Organisation zu entschei-den, welche Maßnahmen sie angesichts eines Umstands oder einer Herausforderung ergreift. Oft ist die Überzeugung von Organisationen diese: Wir tun das, weil die Bedingungen oder Umstände uns dazu zwingen. Das systemische Verständnis lautet dagegen: Die Umstände sind so, wie sie sind, sie handeln so, wie sie handeln, weil sie so handeln.

Viertes Prinzip für Selbstorganisation: Redundanz (Üppigkeit)Redundanz bezeichnet das üppige Vorhandensein funktional gleicher oder ver-gleichbarer Elemente in einem System (Abb. 2.30). Für das Bestehen einer

Abb. 2.29 Selbstorganisation und Autonomie

Abb. 2.28 Selbstorganisation und Selbstreferenz

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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36 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Organisation bedeutet das: Sie kann nur fortbestehen, wenn ihre Elemente die Funktionen aus- oder wegfallender Elemente übernehmen können. Wir kennen die Gefahr fehlender Redundanz aus kleinen Organisationen, in denen bestimmte Funktionen sehr eng an eine Person gebunden sind. Fällt sie aus, gibt es nieman-den, der die Funktion übernehmen kann.

Redundanz bezieht sich außerdem darauf, dass alle Elemente das System mitgestalten. In Organisationen besteht also ein hohes (üppiges) Gestaltungspo-tenzial, das i. d. R. unzureichend genutzt wird, weil das Mitmachen immer auch Aspekte von abnehmender Kontrollmöglichkeit und zunehmender individueller Gestaltungsmacht birgt.

Organisationsaufstellungsformat: Systemische Funktionsprinzipien – der identische AbstandMit dem Aufstellungsformat Systemische Funktionsprinzipien – der iden-tische Abstand können die vier Funktionsprinzipien von offenen Systemen erfahrbar gemacht werden (Abb. 2.31). Die Teilnehmer einer Gruppe mit einer durch drei teilbaren Gruppengröße (optimal: zwölf Personen) werden aufgefordert, sich ohne Blickkontakt oder verbale Verständigung jeweils zwei Personen aus dem Teilnehmerkreis auszusuchen. Daraufhin sollen

Abb. 2.30 Selbstorganisation und Redundanz

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sie im Raum eine Konstellation herstellen, in der sie mit den beiden ausge-suchten Partnern – die nicht wissen, von wem sie ausgesucht wurden – ein gleichseitiges Dreieck bilden. Alle drei Personen sollen einen identischen Abstand zueinander haben. Wie groß das Dreieck im Raum sein soll, wird nicht vorgegeben.

Nachdem alle ihre Position im Raum gefunden haben, werden die Teil-nehmer aufgefordert, sich über ihre Erfahrungen in Dreiergruppen auszu-tauschen und diese zu notieren – Gruppe 1 beleuchtet ihre Erfahrungen und Erkenntnisse in Bezug auf Komplexität, Gruppe 2 mit Blick auf Gleichge-wicht, Gruppe 3 in Bezug auf Rückkopplung und Gruppe 4 mit Blick auf Aspekte der Selbstorganisation. Anschließend stellen die Kleingruppen ihre Ergebnisse vor und diskutieren sie im Plenum.

Hier zeige ich einige Beispielergebnisse zu den vier Funktionsprinzipien aus einer meiner Weiterbildungsgruppen (Abb. 2.32, 2.33, 2.34 und 2.35). Im Anschluss haben wir im Plenum Beispiele aus der Organisationspraxis für die vier Funktionsprinzipien gesammelt und exemplarisch aufgestellt.

Abb. 2.31 Organisationsaufstellungsformat: Gleichseitiges Dreieck

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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38 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Abb. 2.32 Gruppenergebnisse Komplexität

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Abb. 2.33 Gruppenergebnisse Gleichgewicht

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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40 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Abb. 2.34 Gruppenergebnisse Rückkopplung

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Abb. 2.35 Gruppenergebnisse Selbstorganisation

2.3 Systemische Funktionsprinzipien

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42 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

2.4 Systemische Ordnungsprinzipien

Im Rahmen seiner Arbeit mit Familienaufstellungen identifizierte Bert Hellinger drei grundlegende Eigenschaften von Familiensystemen, die er als „raumgebende Lebensprinzipien“ bezeichnete (Abb. 2.36). Diese sind:

Bindung im FamiliensystemDas Prinzip der familiären Bindung besagt: Jeder hat qua Geburt in seiner Fami-lie dasselbe Recht, dazuzugehören. Das gilt auch über seinen Tod hinaus. Mit der Bindung oder Zugehörigkeit geht ein Gefühl einher, das Hellinger „Urliebe“ oder auch „primäre Liebe“ nannte.

Ordnung im FamiliensystemDas Prinzip der Ordnung zeigt sich in Familiensystemen als ein Prinzip des Vor-rangs des Früheren – Eltern vor Kindern, ältere Geschwister vor jüngeren.

Ausgleich von Geben und Nehmen im FamiliensystemDas Prinzip des Ausgleichs von Geben und Nehmen ist direkt mit dem Funkti-onsprinzip des Gleichgewichts in offenen Systemen verknüpft. Wo gegeben wird, wird genommen – und umgekehrt. Die Besonderheit in Familiensystemen stellt das Geschenk des Lebens selbst dar: Dieses kann von Kindern nicht ausgeglichen werden, denn das würde ein Agieren auf gleicher Ebene, also auf Augenhöhe bedeuten, die durch den Vorrang des Älteren ausgeschlossen ist. An die Stelle des Ausgleichs tritt hier die Würdigung des Geschenks und – wo möglich – dessen Weitergabe an die nächste Generation.

Alle Interaktionen innerhalb einer Familie können einem oder mehreren Lebensprinzipien zugeordnet werden. Beim familiären Miteinander und den

Abb. 2.36 Systemische Ordnungsprinzipien in Organisationen

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damit einhergehenden Wechselwirkungen unterliegen diese drei Prinzipien einer andauernden Veränderungsdynamik.

Bei der Übertragung seiner Erfahrung in den organisationalen Kontext hat Hellinger die Ordnungsprinzipien für alle sozialen Systeme – also eben auch für Organisationen mit einem gemeinsamen Ziel- und Handlungsrahmen – als über-geordnet gültig erklärt. Für Organisationsaufstellungen mit dem Fokus auf die sozialen Interaktionen und Kommunikationen kann deshalb grundlegend festge-halten werden, dass sie ein Transfer aus dem Familiensystem in das Organisati-onssystem sind.

Zugehörigkeit in OrganisationenDas erste organisationale Ordnungsprinzip ist die Zugehörigkeit (Abb. 2.37). Wer zu einer Organisation gehört, hat das Recht auf Zugehörigkeit – aber eben nur, solange er vertragsgemäß dazugehört. Einen lebenslangen (oder gar über das Leben hinausgehenden) Anspruch auf Zugehörigkeit gibt es in Organisationen – anders als in Familien – nicht.

Analog zum Beispiel einer Melodie, für die bei einer Übertragung in eine andere Tonart die Noten gewechselt werden, die Melodie aber erhalten bleibt, gilt in Organisationen, dass Menschen Funktionselemente sind, d. h. sie können prinzipiell ausgetauscht werden.

Weil das so ist, wurden für das Tauschgeschäft Arbeit gegen Lohn vom Gesetzgeber umfassende Regelungen im Arbeitsrecht entwickelt, die eine Existenzsicherung des Menschen und die Gewährleistung der Qualität seiner Arbeitsumstände und weniger seine Funktion in den Fokus nehmen. Man kann sagen: Das größere System (Rechtsstaat) nimmt das Subsystem (Organisation) im Eigeninteresse in die Pflicht. Bei anderen Organisationen – wie z. B. Vereinen – gibt es für die Sicherung der Zugehörigkeit wiederum Satzungen und Geschäfts-ordnungen, die eine Willkür beim Ausschluss verhindern sollen.

Abb. 2.37 Das Prinzip der Zugehörigkeit in Organisationen

2.4 Systemische Ordnungsprinzipien

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44 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Von der einfachen funktionsorientierten Austauschbarkeit ausgenommen sind Inhaber von Organisationen und/oder Gesellschafter von Unternehmen, zu denen auch die Shareholder einer Aktiengesellschaft gehören. Natürlich können auch sie ausgetauscht werden, jedoch nur unter spezifischen Bedingungen. Werden sie ausge-tauscht, kann es leicht passieren, dass eine Organisation in ihrer ursprünglichen Form nicht mehr besteht. So wird z. B. eine Organisation nach einem Eigentumsübergang selten als solche erhalten. Die Gründe hierfür reichen von einer kompletten Neuaus-richtung bis hin zur Verschmelzung oder Eingliederung in etwas Größeres.

Entscheidend beim Eigentumsübergang ist in jedem Fall der Zweck, auf den dieser ausgerichtet ist. Er entscheidet darüber, ob die Organisation als sol-che erhalten bleiben soll. Zwar gibt es also eine Vielzahl der Möglichkeiten und Gründe für Eigentumsübergänge, als Regel aber gilt, dass Eigner von der einfa-chen Austauschbarkeit ausgenommen sind.

Darüber hinaus sieht man in Organisationsaufstellungen bisweilen auch, dass Verstorbene oder Ehemalige (Inhaber/Mitarbeiter) eine wichtige Rolle im syste-mischen Gefüge spielen und noch immer eine Wirkung haben. Ihre Bedeutung für die Organisation hat so gesehen quasi eine systemische Halbwertzeit. Dieses Phä-nomen ist im Besonderen im Rahmen von Organisationsübernahmen oder Joint Ventures zu beobachten. Das Phänomen widerspricht nicht der Regel des Rechts auf Zugehörigkeit unter Organisationsaspekten. Systemisch gesehen aber kann ein ehemaliges Element auch nach seinem Ausscheiden noch Bedeutung und des-halb eine Wirkung auf das System haben.

Nicht zuletzt gilt das Zugehörigkeitsprinzip für alle dinglichen Aspekte einer Organisation. So können z. B. auch ein Standort oder ein neues/ausgelistetes Pro-dukt im Systemgefüge wirken.

Bindung in OrganisationenEng verknüpft mit dem Ordnungsprinzip der Zugehörigkeit ist das der Bindung (Abb. 2.38). Organisationen haben – wie alle offenen Systeme – eine spezifische Bindungskultur. Sie gibt vor, nach welchen Kriterien Miteinander geschehen soll und wie demnach ein Recht auf soziale Zugehörigkeit besteht. Die Bedingungen für Bindung entwickeln sich quasi automatisch und hierbei gibt es keinen Anfang und kein Ende: So wie die verbindende Kultur im Miteinander entsteht, so ist sie verbindlich für das Miteinander (Abb. 2.39).

Im Kontext der kulturellen Bindung ist das Gewissen gewissermaßen der Lackmustest für die Einhaltung der Bindungsregeln. Gemeint sind hierbei sowohl das individuelle als auch das Gruppengewissen. Ist es gut, kann man davon aus-gehen, dass man sich an die Systemregeln hält; und umgekehrt: Ist es schlecht, hat man sich wahrscheinlich nicht an die Regeln gehalten.

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In der neueren Zeit hat der Aspekt der verbindlichen Regeln in einer Organisation eine sehr viel gewichtigere Bedeutung bekommen. Was sich unter dem Begriff Com-pliance entwickelt hat, ist letztlich auf den Zusammenbruch der Lehman Brothers Bank in 2008 und das nachfolgende Schwanken des weltweiten Banken- und Finanzsystems zurückzuführen. Die Folge war ein derart weitverbreitetes Misstrauen im Miteinander, dass sich ein Anschwellen der Regelsetzungen und eine regelrechte Verrechtlichung weiter Bereiche entwickelte.

Die Bindungsregeln beschreiben im Übrigen nicht nur das soziale Miteinan-der. Sie wirken auch bei der spezifischen Ausprägung von Aufbau- und Ablauf-organisation, Stellenbeschreibungen oder Leistungs-, bzw. Zielvorgaben. Auch diese Bereiche müssen entsprechend ausgestaltet werden.

Abb. 2.39 Der Kulturkreis der (Ver-)Bindung

Abb. 2.38 Das Prinzip der Bindung in Organisationen

2.4 Systemische Ordnungsprinzipien

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46 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Ordnung in OrganisationenFür jede Organisationsaufstellung spielt vor diesem Hintergrund die Ordnung einer Organisation die zentrale Rolle (Abb. 2.40). Hier gibt es zum einen die formaljuristische Perspektive der gewählten Organisationsform, die bestimmte Rechte und Pflichten mit sich bringt. Weitere Informationen hierzu finden Sie im Anhang. Darüber hinaus ist die spezifische Ausgestaltung der Ordnung im Innen-verhältnis der Organisation entscheidend.

So individuell deren Gestaltung im Einzelnen sein kann, so prinzipiell gelten bestimmte Aspekte für die Ordnung: Weisungsbefugte rangieren vor Weisungsge-bundenen, Können und Kompetenzen rangieren vor Alter oder Länge der Organi-sationszugehörigkeit – eine Sollvorgabe, die nicht selten unberücksichtigt bleibt. Bei Gleichrangigen gilt i. d. R. der Vorrang derer, die früher in der Organisation waren – sowie nachgeordnet der Vorrang der Älteren vor den Jüngeren. Das kann als Faustregel verstanden werden, die in Einzelfällen anders gestaltet werden kann, was wiederum eng mit der jeweiligen Kultur in Verbindung steht.

Im Wesentlichen herrschen im Innenverhältnis von Organisationen zwei Ord-nungstypen: die vertikale hierarchie- und die horizontale sachzentrierte (bzw. prozessorientierte) Ordnung. In der Regel wirkt eine Nichtberücksichtigung bzw. Nichtbewusstheit über die eigene Ordnung in das Feld der Aufstellung. Das geschieht v. a. dann, wenn der Organisationsaufsteller die Frage nach der gegebenen Ordnung im Vorgespräch nicht abgefragt oder einleitend zur Aufstel-lung nicht thematisiert hat – der blinde Fleck der Organisation vernebelt dann gleichermaßen den Blick des Aufstellers. Fehlende Organigramme und halbfertig ausgearbeitete Stellenbeschreibungen sind Störungsklassiker. Diesen sollte in den Vorgesprächen zur Organisationsaufstellung ein hohes Maß an Aufmerksamkeit gewidmet werden.

Abb. 2.40 Das Prinzip der Ordnung in Organisationen

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Ausgleich in OrganisationenUnabhängig von ihrer Größe sind Organisationen im Kontext ihrer Wechselwir-kungen in ihrem Inneren und mit ihrem Umfeld zu verstehen. Deshalb überlagern sich hier mehrere Beschreibungsebenen und ergänzen einander zu einem komple-xen Ganzen. Die einzelnen Ebenen sind wiederum als komplexe Subsysteme zu verstehen, in denen einzelne Menschen und Gruppen mit Ordnungs- und Funk-tionselementen zusammenwirken.

Im Interesse des systemischen Gleichgewichts geht es bei den Wechselwir-kungen immer um Ausgleich (Abb. 2.41). Wie ein Ausgleich grundlegend ausge-staltet sein muss, ist ebenso wenig allgemeingültig festgelegt, wie der eigentliche Zustand des Gleichgewichts. Es gibt keine definierte Vorgabe, die sagt: Nur wenn 50:50, dann Gleichgewicht. Es gilt aber grundsätzlich, dass ein Ausgleich statt-finden muss. Und es gilt auch, dass es ein Gleichgewicht im Inneren des Systems und des Systems mit seinem Umfeld geben muss.

Der Ausgleich ist das Ergebnis konstruktivistischer Aushandlungsprozesse zwischen den Protagonisten, d. h. Ausgleich ist ein soziales Verhandlungskon-strukt. Ein Ausdruck dieser Konstruktion ist z. B.: Der Markt bestimmt die Preise. Ein nicht berücksichtigter oder fehlender Ausgleich ist häufig der Grund für Störungen in der Organisation.

Der Mensch als SymptomträgerAufgrund der komplexen Wechselwirkungen sind alle Mitarbeiter dem Kräftefeld der Organisation ausgesetzt. Sie sind deshalb niemals Verursacher einer Störung. Systemische Beratung versteht die Menschen in einer Organisation vielmehr als Symptomträger des Gesamtgeschehens.

Wie bereits beschrieben eignet sich die Organsiationsaufstellung außerdem für solche Organisationsbereiche und -elemente, die zwar von Menschen entwickelt

Abb. 2.41 Das Prinzip des Ausgleichs in Organisationen

2.4 Systemische Ordnungsprinzipien

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48 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

und gestaltet wurden, deren Verbindungsqualitäten aber unabhängig von diesen verstanden werden können und müssen. Deshalb ist es grundlegend hilfreich, die verschiedenen Beschreibungsebenen in Organisationen zu kennen.

2.5 Beschreibungsebenen in Organisationen

Natürlich sind die organisationalen Beschreibungsebenen nicht so eindeutig von-einander abgrenzbar, wie es hier dargestellt ist, weil sie eben alle zusammen-hängen und einander beeinflussen (Abb. 2.42). Dennoch ist im Rahmen einer Organisationsaufstellung eine Klarheit darüber, mit welcher Ebene bzw. welchen Ebenen man bei dem formulierten Anliegen konfrontiert ist, wichtig – und nicht selten entscheidend.

Die individuell-funktionale EbeneHierzu gehören individuelle Aspekte bezüglich Funktion und Verhalten in der Orga-nisation sowie Persönlichkeitsstruktur und private Themen, die eine Wirkung auf die Arbeit in der Organisation haben können. Insbesondere die Vermischung von per-sönlichen mit funktionalen Themen ist häufig ein Aspekt organisationaler Störungen. Sie kommen derart häufig vor, dass man sie beinahe als Störungsklassiker bezeich-nen kann – persönliche Eigenheiten oder Belastungen werden zu Störungen in der funktionalen Kooperation. Dasselbe gilt für sog. Verstrickungen oder auch Projektio-nen, die aus dem familiären Feld unbewusst in die Organisation hineingetragen wer-den oder durch die Familie und Organisation einander wechselseitig beeinflussen. So können sich z. B. Autoritäts- und Loyalitätskonflikte mit den Eltern zu Störungen bei Weisungsbefugnis und Weisungsgebundenheit führen. Ein biografisch beding-tes, gestörtes Verhältnis zur Mutter kann sich im Verhalten gegenüber einer Gruppe zeigen. Auf der Ebene der eher horizontal organisierten Zusammenarbeit können Erfahrungen mit familiären Geschwisterrivalitäten zum Tragen kommen.

Die soziale EbeneDie soziale Ebene beschreibt grundsätzlich Aspekte des kollegialen Miteinanders. Hierzu gehören sämtliche Fragen zu Kultur und Personalmanagement – wie z. B. Kommunikation und vertikale wie horizontale Zusammenarbeit, Fragen zu Führung oder auch zum Verhältnis zwischen Eigentümer und Management. Die soziale Ebene hat eine direkte Verbindung zur Qualifikationsebene.

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Die Leistungs-, Qualifikations- und BildungsebeneHierzu gehören alle Aspekte von fachlichem und persönlichem Können und Wis-sen mit einem direkten oder indirekten Einfluss auf die Qualität der Leistungser-bringung. Die Ebene zeigt oft eine direkte Wechselwirkung zur Gestaltung von Beförderungs-, Gehalts- und Bonussystemen, die Teil der Organisationsstruktur-ebene sind.

Die OrganisationsstrukturebeneHierzu gehören Aspekte wie Hierarchie, Aufbau- und Ablauforganisation, Orga-nigramme, Stellenbeschreibungen, Verträge, Prozessgestaltung, Outsourcing oder auch strukturelle Organisationsentwicklung.

Abb. 2.42 Beschreibungsebenen in Organisationen

2.5 Beschreibungsebenen in Organisationen

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50 2 Das systemische Verständnis von Organisationen

Die AngebotsebeneHierzu gehören Produkte und Dienstleistungen und deren Entwicklungsprozesse sowie ihre Zusammenstellung im Portfolio, ebenso wie alle Fragen der Preisge-staltung. Diese Ebene zeigt eine direkte Wechselwirkung mit der Leistungsebene sowie mit dem Stakeholdermanagement der Umfeldebene.

Die UmfeldebeneHierzu gehören Zielgruppen-, Kunden- und Schlüsselkundenmanagement ebenso wie das Management aller Anspruchsgruppen (Stakeholder) wie z. B. Region, Presse, Politik oder Hochschulen.

Die MarkierungsebeneHierzu gehören alle Aspekte, die die Organisation im Inneren und nach außen identifizierbar machen, wie z. B. Vision und Mission, Corporate Design und Corporate Communication.

2.6 Zusammenfassung

Eine Organisation ist ein offenes System – eine eigenständige Entität, die etwas anderes ist, als die Summe ihrer Teile (Abb. 2.43). Sie besteht aus direkt und indirekt miteinander verbundenen Elementen. Für ihren Fortbestand ist sie auf Austausch mit dem Umfeld angewiesen.

Jede Organisation entsteht durch Kooperation. Sie entwickelt ihre Identität durch Handlungen, ihre Organisationswirklichkeit ist konstruiert.

Als Entität gibt die Organisation die Qualität ihrer Elemente und deren Verbin-dungsstruktur vor. Das gilt für alle organisationalen Elemente – diese sind Men-schen (PE), strukturelle Aspekte und Dinge (OE) sowie alle Wertstellungen.

Die vier Funktionsprinzipien jeder Organisation sind Komplexität und Gleich-gewicht, Rückkopplung und Selbstorganisation.

Die Ordnungsprinzipien für Organisationen sind Zugehörigkeit und Bindung, Ordnung und Ausgleich.

Es gibt verschiedene Beschreibungsebenen in Organisationen, denen auftre-tende Störungen i. d. R. zugeordnet werden können.

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Abb. 2.43 Übersicht: Offene Systeme und deren Funktions- und Ordnungsprinzipien

Literatur

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Suhrkamp.NIKE. (2017). The NIKE Company, Our Mission. https://about.nike.com/.

Literatur

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Wahrnehmung und Erkenntnis

ZusammenfassungWenn Menschen in Organisationen Entscheidungen treffen möchten, dann brau-chen sie eine Grundlage, auf deren Basis sie das tun können. Die Grundlage sind Erkenntnisse, die i. d. R. auf Wahrnehmungen innerhalb oder außerhalb der Organisation beruhen. Die Annahme dabei ist, dass das, was beobachtet wird, (jedenfalls meistens) objektiv, also absolut richtig erkannt wird. Und man könnte annehmen, dass die Objektivität der Erkenntnisse für Organisationen eine Condi-tio sine qua non ist. Wie anders sollten wir eine Entscheidung in der Sache tref-fen, wenn wir sie nicht objektiv erkennen könnten?

In der Regel aber haben wir ganz unterschiedliche Erkenntnisse über dieselben Fakten, weil unsere Erkenntnisse individuelle Sinnkonstruktionen sind. Hätten wir alle dieselbe Erkenntnis, dann würden wir wahrscheinlich auch zu denselben Schlussfolgerungen für weitere Entscheidungen oder Aktivitäten kommen. Genau das aber geschieht nicht.

Nun ist es natürlich nicht so, dass die einzelnen Fakten nicht objektiv erkenn-bar und präzise benennbar wären, und natürlich haben sie auch eine Bedeutung für unsere Beobachtung. Die entscheidende Frage ist aber, wie wir die Fakten in einen Sinnzusammenhang bringen, denn erst dieser Zusammenhang macht sie relevant für uns. Das Zusammenfügen der Fakten gleicht der Konstruktion einer subjektiv sinnvollen Realität, und spannend ist dann, wie wir auf dieser Basis mit anderen in Kommunikationsprozessen eine gemeinsame (intersubjektive) Wirk-lichkeit herstellen.

Dass es möglich ist, eine gemeinsame Wirklichkeit herzustellen, ist offensicht-lich. Angesichts dieser Konsensmöglichkeit stellt sich die Frage, ob wir bei aller subjektiven Erkenntnis ähnliche oder identische Grundmuster bei der Beobach-tung bzw. Wahrnehmung teilen. Denn gäbe es sie nicht, wäre es wohl schwer bis unmöglich, zu einem Konsens mit anderen zu kommen. Genau den aber brauchen

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_3

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54 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

wir für die Entwicklung und Steuerung von Organisationen, um die gegebene Komplexität und die damit verbundene Angst und Unsicherheit so gut wie mög-lich beherrschbar zu machen.

Deshalb ist für die Beratung von Organisationen hilfreich zu wissen, wie die Ordnung in der menschlichen Wahrnehmung entsteht. Auch hier kommen wie-der die Erkenntnisse der Gestalttheorie ins Spiel, die sich im Wesentlichen mit der Entstehung von Ordnung im psychischen Geschehen – in der Wahrnehmung, im Denken, im Fühlen und im Verhalten – beschäftigt. Wie die Ordnung im psy-chischen Geschehen entsteht, und welche Prinzipien dafür gelten, das beschreibt dieses Kapitel ebenso, wie die möglicherweise zu beachtenden Aspekte – z. B. für die strukturelle Gestaltung der Organisation, für personale Interaktionen oder auch für die Präsentation eines Angebots.

3.1 Gesetze der Wahrnehmung

Der tschechische Psychologe Max Wertheimer (1880–1943) war einer der Mitbe-gründer der Berliner Schule der Gestalttheorie. Er formulierte erstmals Gesetze (Ordnungsprinzipien) für die Wahrnehmung, die im übergeordneten Sinn für alle Wahrnehmungsvorgänge gelten – unabhängig davon, ob wir mit den fünf Sin-nen wahrnehmen, denkend zu verstehen glauben oder einen intuitiven spürenden Zugang haben. Deshalb können sie für die Führung und für die Beratung von Organisationen in beinahe allen Bereichen eine Richtschnur sein.

Gesetz der Prägnanz und der guten GestaltDas Gesetz der Prägnanz und der guten Gestalt ist nach Wertheimer ein Fundamental-prinzip. Es liegt jeder Wahrnehmung zugrunde und besagt, dass wir alles Gesehene, Gehörte oder Gefühlte bevorzugt als ein geschlossenes Ganzes, eine Entität wahrneh-men. Das mag damit zusammenhängen, dass wir uns selbst als unteilbar empfinden und identifizieren. Die Bezeichnung Individuum (lat. für das Unteilbare) weist darauf hin. Diese unteilbare Einheit nennen wir „ich“. Und als solche nehmen wir bevorzugt andere unteilbare Entitäten wahr – wir neigen dazu, offene Formen assoziativ sehend zu schließen oder unfertige Aussagen assoziativ denkend zu ergänzen. Wir nehmen jede Figur, Form bzw. Gestalt so wahr, dass sie in einer möglichst einfachen Struktur, einer guten Gestalt resultiert. Dabei nehmen wir wiederum bevorzugt solche Gestal-ten wahr, die sich in ihrer Prägnanz deutlich von anderen unterscheiden.

Die vier Figuren geben uns eine Idee davon, was mit dem Wahrnehmungsge-setz der guten Gestalt gemeint ist (Abb. 3.1). In der Abbildung liegt ein Dreieck über einem Viereck (oben links). Füllen wir nun die gesamte Fläche oder zeigen nur noch die äußeren Umrisslinien (rechte Reihe oben und unten), dann nehmen

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wir immer noch ein Dreieck und ein Viereck wahr. Wir sehen kein Vieleck mit vielen Winkeln. Wir konzentrieren unsere Wahrnehmung auf prägnante Formen, die für uns einen Sinn ergeben – hier auf Drei- und Viereck. Das Vieleck ergibt keinen wirklichen Sinn für uns, es ist nicht prägnant.

Sparen wir das Dreieck als weiße Form vor dem schwarzen Viereck aus (unten links), erkennen wir immer noch ein Dreieck über einem Viereck und nicht drei schwarze, unabhängige Formen. In unserer Wahrnehmung lassen wir immer eine gute, weil einfache Gestalt entstehen, wir schließen das Gesehene zu einem sinnvollen Ganzen. Das heißt auch, dass wir in unserer Wahrnehmung Komplexität so reduzieren, dass sie uns beherrschbar erscheint: Wir nehmen sie als einfach wahr.

Unser Bedürfnis nach Geschlossenheit und Prägnanz führt z. B. in der Wirt-schaft zu der Forderung nach einem Alleinstellungsmerkmal (USP) oder nach einer starken Marke (einer eindeutigen und prägnanten Markierung). Ist nämlich eine Organisation nicht eindeutig erkennbar oder in ihrer Ausgestaltung unvoll-ständig, tendieren die Menschen im Inneren und im Umfeld dazu, die Organisati-onsmarke für sich zu einer guten Gestalt zu schließen – wir sagen deshalb auch: Marke ist das Bild im Kopf des Betrachters. Hier wird deutlich, wie wichtig es für Anbieter ist, die Deutungshoheit über ihre eigene Identität nicht dem Umfeld zu überlassen – oder anders: Es zeigt sich, wie elementar wichtig eine konsequent stringente Markenführung ist.

Mit Blick auf die Beratung von Unternehmen wird hier deutlich, welchen hohen Stellenwert die Themen Identität und Selbstbewusstheit für Organisationen

Abb. 3.1 Gesetz der guten Gestalt und der Pragnänz

3.1 Gesetze der Wahrnehmung

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56 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

haben (müssen). Meiner Erfahrung nach spielen sie bei vielen Störungen eine fundamentale Rolle.

Das Gesetz der guten Gestalt gilt für unsere sinnliche Wahrnehmung ebenso wie für unseren Geist: Wir denken zu Ende, interpretieren oder widersprechen, einzig mit dem Ziel, eine für uns gute bzw. sinnvolle Aussage(-gestalt) zu erhalten.

Gesetz der NäheAuch das Gesetz der Nähe beschreibt, wie wir in unserer Wahrnehmung Komple-xität reduzieren. Für uns gehören solche Elemente zusammen, die einen geringe-ren Abstand zueinander haben als andere Elemente (Abb. 3.2). Nach dem Gesetz der Ähnlichkeit gehen wir zwar in unserer Wahrnehmung davon aus, dass Ähnli-ches zusammengehört. Verändern wir jedoch die Abstände so, dass sich ungleiche Elemente näher sind als gleiche, ändert sich das.

Auch diese Wahrnehmung beruht auf der Logik unserer Psyche: Wenn wir einen Menschen besonders mögen, dann möchten wir ihm nahe sein. Wir möch-ten fühlen, dass wir zu ihm gehören. Hier in der veranschaulichenden Grafik neh-men wir die Waagerechten vorrangig vor den Senkrechten wahr, obwohl in der Waagerechten nicht ähnliche Elementen aneinandergereiht sind.

Das Gesetz der Nähe spielt eine wichtige Rolle bei jeglicher Gestaltung von Struk-turen, z. B. der räumlichen Anordnung von Abteilungen, und Prozessen oder auch bei der Zusammenstellung und Präsentation von Produkten und Dienstleistungen.

Abb. 3.2 Gesetz der Nähe

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Gesetz der ÄhnlichkeitGleiche oder einander ähnliche Elemente nehmen wir als zusammengehörig wahr, und auch dieses Prinzip spielt eine wichtige Rolle in Organisationen (Abb. 3.3). Die Voraussetzung für Zugehörigkeit ist Ähnlichkeit. Wenn den Mitgliedern einer Organisation nicht das Gefühl „denkt und handelt in unserem Sinne, ist uns ähn-lich, passt zu uns, ist einer von uns“ vermittelt wird, dann entwickeln sie keine Identifikation mit der Organisation. Ein fehlendes Ähnlichkeits-Wir schwächt die Organisation. Die nötige Identifikation gelingt nur durch das Erlebbarmachen einer verbindlichen Organisationskultur – sie ist der soziale Klebstoff für das Wir. Wie stark dieser soziale Klebstoff sein kann, zeigt sich i. d. R. beim Zusammen-schluss zweier Organisationen, bei Übernahmen oder Joint Ventures. Die dabei aufeinandertreffenden sozialen Unähnlichkeiten können nicht selten dazu führen, dass der Zusammenschluss scheitert, obwohl die ökonomischen Aspekte für eine Verbindung sprechen.

Auch bei der Produktgestaltung spielt Ähnlichkeit im Sinn der identifizierba-ren Zugehörigkeit zum Anbieter eine wichtige Rolle. Wie wichtig dieser Aspekt ist, wissen wir spätestens aus der Automobilindustrie, in der uns das Karos-seriedesign ermöglicht, einen Audi immer als Audi und einen Mercedes immer

Abb. 3.3 Gesetz der Ähnlichkeit

3.1 Gesetze der Wahrnehmung

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58 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

als Mercedes zu erkennen. Und nicht nur das: Manche von uns sind derart mit bestimmten Automarken im Zuge ihres Ähnlichkeitsgefühls identifiziert, dass es uns unmöglich scheint, eine andere Automobilmarke für uns auch nur zu denken, geschweige denn fahren zu wollen.

In der Wirtschaft zeigt sich die Beherrschung dieses Wahrnehmungsprinzips der Ähnlichkeit im Aufbau von Markenwelten, die dazu einladen, sich einer Gruppe von Ähnlichen anzuschließen. Schließlich folgt jeder Aspekt von Corporate Design, Corporate Fashion oder auch Corporate Architecture dem Gesetz der Ähnlichkeit mit dem Ziel, Stärke durch Reduktion der Komplexität zu erreichen.

Gesetz der KontinuitätÄhnliches und Gleiches bergen auch die Aspekte von Sicherheit und Bestand – sie stehen für (gefühlte) Kontinuität. Psychologisch gesehen ist das Bedürfnis nach Kontinuität verständlich: Unser Leben soll schließlich weitergehen. Da ist es nicht verwunderlich, dass wir dazu tendieren, in Fortsetzungen wahrzunehmen.

Reize, die eine Fortsetzung vorangehender Reize zu sein scheinen, nehmen wir deshalb als zusammengehörig wahr (Abb. 3.4). Für unser Auge liegen in der Abbildung die weißen Elemente auf den schwarzen Kreisen – wir erkennen sie als eine Fortsetzung von zusammengehörigen Reizen. Hier wiederholt sich auch noch einmal das Prinzip der Prägnanz und der guten Gestalt. Anstelle der Kreis-elemente tendieren wir zur prägnanteren Kreisform und schließen die weißen Unterbrechungen der Kreise zum Gerüst einer geschlossenen Kastenform.

Abb. 3.4 Gesetz der Kontinuität

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Versteht man jede Form von Aktivität als Impuls oder Reiz – seien es Ankün-digungen, Informationen, Verhaltensweisen oder Angebote einer Organisation – dann wird deutlich, wie entscheidend der bewusste Umgang mit der Aussen-dung von kontinuierlichen, in ihrer Qualität aufeinander bezogenen Reizen ist. Nur eine konsistente Gestaltung all dieser Reize ermöglicht die Identifizierbarkeit einer Gestalt: Hier gehört alles zusammen und ist am richtigen Platz. Und: Hier bleibt alles so wie es ist.

Gesetz der fortlaufenden LinieDass alles so bleiben soll, wie es ist, zeigt eine weitere Tendenz in unserer Wahr-nehmung: Das Gesetz der fortlaufenden Linie (Abb. 3.5). Hier in der Grafik ver-laufen die Linien für uns von oben links nach unten rechts und von oben rechts nach unten links. Wir gehen nicht davon aus, dass der Linienverlauf am Kreuz der Überschneidung einen Knick macht und seine Richtung ändert – deshalb würden wir das auch nicht wahrnehmen, wenn es eine solche Situation faktisch gäbe.

Angenommen, ein Unternehmen behauptet von sich, es sei innovativ, weil hier Produkte entwickelt wurden, die eine wirkliche Innovation für den Markt sind. Angenommen außerdem, es ist ein mittelständisches Familienunternehmen, in dem patriarchale Strukturen mit einer konservativen Kultur herrschen. Ein Betrachter, der dem Unternehmen begegnet, versteht es so, wie sich das Unternehmen präsen-tiert: patriarchal und konservativ. Umso schwerer fällt es ihm da verständlicher-weise, die innovativen Potenziale der Produktentwicklung wahrzunehmen, weil

Abb. 3.5 Gesetz der fortlaufenden Linie

3.1 Gesetze der Wahrnehmung

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60 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

die Linie nicht durchgängig ist. Auch wenn das Unternehmen also behauptet, seine Entwicklungen seien sehr innovativ oder gar progressiv, so nimmt der Betrach-ter das unbewusst als eine Behauptung wahr, die sich für ihn nicht einlöst, weil die Linie der Reize nicht entsprechend seiner Wahrnehmungen fortläuft. Für das Unternehmen bedeutet das eine Konzentration auf die Frage, wie es sich aufstellen und wie es kommunizieren muss, damit die Zielkunden ihre innovativen Entwick-lungen erkennen können. Hier besteht die Aufgabe, eine nachvollziehbare Verbin-dung zwischen Erhalt und Innovation herzustellen, die leicht wahrnehmbar und überzeugend ist.

„Das hätte ich nie von Dir gedacht“ oder „das hätte ich Dir gar nicht zuge-traut“ sind typische Aussagen für Brüche in der fortlaufenden Linie. Für Organi-sationen spielt dieses Gesetz im Sinn der Vertrauensbildung im Inneren sowie mit dem Umfeld deshalb eine ganz besondere Rolle.

Gesetz der GeschlossenheitAuch bei diesem Prinzip geht es letztlich um Vertrauen: Wir brauchen eine wahr-nehmbare Geschlossenheit, um uns mit anderen als Einheit wahrzunehmen – oder andersherum: Wir tendieren dazu, unsere Reihen zu schließen, um uns als Einheit fühlen zu können (siehe Gesetz der guten Gestalt) (Abb. 3.6).

Abb. 3.6 Gesetz der Geschlossenheit

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Die Grafik zeigt das: Linien, die miteinander verbunden sind und dadurch eine Fläche umschließen, nehmen wir als eine Einheit wahr – anders als die Linien, die nicht verbunden sind.

Das Gesetz der Geschlossenheit ist ein wichtiges Gestaltungswerkzeug. Mit seiner Hilfe kann man Informationen ordnen, Zusammenhänge deutlich machen und die Orientierung erleichtern. Im Webdesign spielt es deshalb z. B. eine große Rolle in der Nutzerführung – jeden Kasten, jede Tabelle und jeden Button neh-men wir nach dem Gesetz der Geschlossenheit als Einheit wahr. Wenn Dinge, die zusammengehören, in unterschiedlichen Kästen platziert oder durch Linien von-einander abgegrenzt sind, dann ist es uns beinahe unmöglich, sie als zusammen-gehörig und damit gemeinsam zu beachten, auch dann, wenn z. B. die Distanz gering oder die Ähnlichkeit groß ist.

Was in der grafischen Gestaltung z. B. von Formularen oder Internetseiten der schnellen und unmissverständlichen Orientierung dient, ist natürlich auch für das Erscheinungsbild von Organisationen wichtig. Ein nicht durchgängig komponier-tes Erscheinungsbild erscheint als nicht geschlossen. Jede Darstellung einer Orga-nisation muss die Verbindungen zwischen ihren Einzelaspekten berücksichtigen und sollte sich darüber im Klaren sein, welche Formen sich aus den Verbindun-gen in der Wahrnehmung der Menschen innerhalb und außerhalb der Organisa-tion ergeben.

Das Gesetz hat nicht zuletzt natürlich auch eine Bedeutung bei der Bildung von Abteilungen oder zum Beispiel bei der Entscheidung über die Einrichtung von Großraumbüros.

Gesetz der gemeinsamen BewegungEin Teilaspekt von Geschlossenheit ist die Bewegung in ein und dieselbe Rich-tung – man denke z. B. an militärische Aufmärsche, in denen das Gesetz der gemeinsamen Bewegung nicht nur bei der Richtung, sondern auch beim Gleich-schritt greift und dadurch besondere Stärke durch Ähnlichkeit und Zusammenge-hörigkeit demonstriert. Schließlich wird hier durch die Bewegung Wie-ein-Mann eine gute weil einfache Gestalt erzeugt (Abb. 3.7).

Auch hier soll die Grafik das veranschaulichen: Zwei oder mehrere Elemente, die sich gleichzeitig in eine Richtung bewegen, werden als eine Einheit wahrge-nommen, z. B. als ein Paar oder eine Gruppe. Die gemeinsame Bewegung in eine Richtung fördert die Wahrnehmung der Zusammengehörigkeit.

Das Wissen darum wird z. B. in Form von Outdoortrainings für Teams einge-setzt. Das Gemeinsam-Ziele-Verfolgen birgt neben dem synergetisch-physischen Aspekt auch das psychische Phänomen der gefühlten sozialen Zusammengehö-rigkeit. Workshops, die das Prinzip der gemeinsamen Bewegung berücksichtigen,

3.1 Gesetze der Wahrnehmung

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62 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

können i. d. R. einen Bewegungs- und Kooperationsschub in der Organisation bewirken. Maßgabe hierfür ist, dass die Teilnehmer an solchen Workshops die Themen, an denen sie arbeiten möchten, selbst identifizieren, um dann gemein-sam Ideen für die Lösungen zu entwickeln.

Zusammenfassung: Wahrnehmungsgesetze der GestalttheorieWir erkennen in Mustern und verbinden einzelne Elemente zu einem für uns sinn-vollen Ganzen. Oder anders: Wir komponieren einzelne Informationen zu einer für uns sinnvollen Wirklichkeit. Dabei geht das Ganze den Teilen voraus, d. h. Unvollständiges vervollständigen wir in unserer Wahrnehmung. Dieser Prozess geschieht dauernd und ununterbrochen, sei es bei strategischen Entscheidungen, bei der Positionierung einer Organisation in ihrem Umfeld oder den Zielmärkten, bei der Entscheidung für eine neue Leistung – ein Produkt, eine Dienstleistung – oder für einen neuen Geschäftsbereich, bei der Einführung von Personalentwick-lungsmaßnahmen oder bei der Frage, ob ein Bewerber für die neue Stelle infrage

Abb. 3.7 Gesetz der gemeinsamen Bewegung

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kommt. Es gibt keinen Organisationsbereich, für den es nicht entscheidend ist, aufgrund welcher Wahrnehmungen wir eigentlich welche Entscheidungen treffen.

Für Organisationen gibt es heute zahlreiche Analyseverfahren für die Gewin-nung aussagekräftiger Erkenntnisse als Grundlage für Entscheidungen. Sie sind elementaristisch ausgelegt, d. h. sie richten ihren Fokus auf die Analyse des Gan-zen durch das Betrachten seiner Einzelelemente. Wodurch sie sich eben nicht aus-zeichnen, ist die Beobachtung, wie aus den einzelnen Teilen Muster entstehen, die uns als Wirklichkeit erscheinen.

Für den systemischen Berater gilt die Frage, wie Organisationen zu ihren Ent-scheidungen kommen. Mithilfe der Aufstellungen befähigt er die Organisation, sich selbst dabei zu beobachten, wie sie zu ihren Entscheidungen kommt. Der Aufsteller bietet der Organisation dadurch die Position des Beobachters zweiter Ordnung, wie der Konstruktivismus das nennt.

Weil alles, was wir gemeinsam unternehmen, dem Gesetz der guten Gestalt gehorcht und alle unsere Wahrnehmungen in Mustern geschehen, ist es bei-nahe ein organisationales Gebot, zu professionellen Selbstbeobachtern zwei-ter Ordnung zu werden. Dabei können Organisationsaufstellungen maßgeblich unterstützen.

3.2 Visual-Thinking-Strategie

Der Beobachter zweiter Ordnung, der beobachtet, wie der Prozess der Herstel-lung von Wirklichkeit ist, spielt also eine wichtige Rolle für Organisationen. In diesem Zusammenhang möchte ich hier eine sehr wirkungsvolle Methode vorstel-len, die sich mit der Beobachtung und dem Bewusstmachen von Wirklichkeits-konstruktion befasst: Die Visual-Thinking-Strategie (VTS; Abb. 3.8).

Abb. 3.8 Die drei Fragen der Visual-Thinking-Strategie

3.2 Visual-Thinking-Strategie

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64 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

Was ursprünglich der Entwicklung von visueller Mündigkeit im musealen Bereich dienen sollte, hat sich über die Jahre als verblüffend wirkungsvolle Schu-lungsmethode weiterentwickelt. Bei uns ist die Methode noch immer relativ unbe-kannt, während sie in Amerika große Verbreitung in der Anwendung gefunden hat. Ich habe sie von meiner österreichischen Kollegin Angelika Jung kennengelernt, die sie wiederum aus Amerika mitgebracht hatte. Ähnlich zur Aufstellungsarbeit wird auch hier eine Aus- und kontinuierliche Weiterbildung benötigt, um die wirklich intensiven Gruppenprozesse der Wirklichkeitskonstruktion führen zu können.

Der methodische Prozess der VTS klingt geradezu simpel: Eine Gruppe sitzt vor einem Bild und der VTS-Moderator fragt: Was passiert auf diesem Bild? Er fragt wohlgemerkt nicht: Was sehen Sie auf diesem Bild? Die einzelnen Gruppenmitglieder erzählen nun ihre persönliche Wirklichkeit, die sie aus den gesehenen Einzelfakten konstruieren und in eine zu erzählende Geschichte übersetzen.

Die zweite Frage des Moderators lautet: Was genau siehst Du, dass Du das glaubst/annimmst? Die Beantwortung der Frage lässt Erläuterung für Erläute-rung ein Verständnis für die subjektive Wirklichkeitskonstruktion entstehen – beim Einzelnen, wie auch in der Gruppe. Jede neue Perspektive und jede neue, zu einem eigenen Sinn verknüpfte Geschichte bietet den Gruppenteilnehmern eine neue Sichtweise und damit eine Erweiterung der möglichen Wahrnehmung von dem, was sich zeigt. Dadurch, dass die Methode bewusst von einer Haltung des Falsch oder Richtig absieht und vielmehr die Vielfalt möglicher Erkennt-nisse offenbart, bietet sich genau hier eine unendliche Quelle von Innovation und Kreativität.

Die dritte Frage schließlich, die den Prozess abrundet, lautet: Und was siehst Du noch? Sie regt an, uns entgegen unserer Tendenz, immer eine vereinfachte gute Gestalt wahrzunehmen, differenzierter mit unseren Wahrnehmungen zu beschäftigen.

Ein VTS-Gruppenprozess dauert zwischen 45 min und 1,5 h und ich kann die Beschäftigung mit der Methode für alle systemischen Berater und natürlich insbe-sondere Organisationsaufsteller sehr empfehlen. Informationen über die Methode finden Sie auf der amerikanischen Website unter https://vtshome.org/ oder bei meiner erwähnten Kollegin unter https://www.visbild.com/.

3.3 Konstruktivismus und Phänomenologie

Unsere Erkenntnisse folgen unseren Wahrnehmungen, und mit der Frage ‚konstruk-tivistisch oder phänomenologisch?‘ ist die Aufstellungsarbeit seit ihrem Entstehen eng verknüpft. Bevor ich das näher erläutere, stelle ich zunächst die Grundgedanken von Konstruktivismus und Phänomenologie vor.

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Sie gehören zu den philosophischen Erkenntnistheorien, die der Frage nachge-hen, welche Erkenntnis möglich ist und wie sie gelingen kann.

Der Konstruktivismus ist ein Sammelbegriff für mehrere Strömungen in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, deren gemeinsame Aussage lautet: Eine objek-tive Erkenntnis gibt es nicht. Ein Gegenstand wird vom Betrachter durch den Vor-gang des Erkennens erst konstruiert. Von dieser Kantschen Grundidee ausgehend teilt sich der Konstruktivismus in verschiedene Denkschulen. So postuliert z. B. der radikale Konstruktivismus, dass jede Erkenntnis radikal subjektiv und indi-viduell sei. Der Erlanger Konstruktivismus, um ein anderes Beispiel zu nennen, ist hingegen davon überzeugt, dass wir zwar individuell wahrnehmen, jedoch dann zugunsten der Gemeinschaft auch in intersubjektiven Konsensprozessen Erkenntnis konstruieren können.

Mit ihren Überzeugungen implizieren konstruktivistische Theorien in jedem Fall ein objektiv Gegebenes. Dieses aber – so sagen sie – können wir nicht erken-nen, weil wir Wirklichkeit subjektiv konstruieren. Natürlich stellt sich hier die Frage, woher eigentlich ein Stellvertreter des Konstruktivismus weiß, dass es etwas Objektives überhaupt gibt? Denn gemäß seiner eigenen Theorie kann er das ja nicht erkennen. Die Antwort auf diese Frage bleibt offen – ähnlich wie in der Philosophie Immanuel Kants, der auch von einem objektiv Gegebenen sprach, das er als das Ding an sich bezeichnete, das wir als solches aber nicht erken-nen können. Wenn wir Kant und dem aus seinen Grundgedanken entstandenen Konstruktivismus folgen, können wir über das Objektive lediglich subjektiv bzw. intersubjektiv spekulieren, wobei Betrachter und Betrachtetes hierbei stets eine Einheit bilden.

Die Vertreter der Phänomenologie gehen ebenfalls von der Einheit Betrachter und Betrachtetes aus. Für sie entstehen alle Bewusstseinsakte immer in Relation zu einem Inhalt, d. h. sie sind auf einen materiellen oder immateriellen, realen oder bloß vorgestellten Gegenstand gerichtet.

Der deutsche Philosoph und Psychologe Franz Brentano hob den intentionalen Charakter aller Bewusstseinsakte hervor. Damit wies er darauf hin, dass in jeder Vorstellung etwas vorgestellt, in jedem Urteil etwas anerkannt, in der Liebe etwas geliebt, im Hass etwas gehasst, im Gefühl etwas gefühlt und im Begehren etwas begehrt werde. Dieser durch eine Absicht geleitete, intentionale Charakter sei eigentümlich für psychische Phänomene – kein physikalisches Phänomen zeige diese Eigenschaft.

Wenn wir also unsere subjektiven Inhalte (unsere psychischen Phänomene) auf etwas Objektives richten, dann ist unsere Erkenntnis dessen, was uns begegnet,

3.3 Konstruktivismus und Phänomenologie

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66 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

subjektiv in dem Sinn, dass wir es in Bezug zu uns setzen. Auch wenn an dieser Stelle nicht erörtert werden soll, ob es ein Objekt überhaupt gibt oder ob es aus-schließlich durch unsere Gedanken hervorgebracht wird, so bleibt der Gedanke als solcher in diesem Zusammenhang natürlich dennoch von Bedeutung.

Gehen wir hier von der allgemein herrschenden Übereinkunft aus, dass ein wahrnehmbares Objekt tatsächlich existiert, so gilt immer, dass Subjekt und Objekt (Bewusstsein und materielle Welt) miteinander verbunden sind und in dieser Verbindung eine (für uns Sinn machende) Erkenntniseinheit bilden. Tat-sächlich aber empfinden wir das so nicht – wir erleben die Dinge der Welt als unabhängig von unserem Bewusstsein, als vermeintlich äußere, objektive Welt.

Bis zu diesem Punkt der Erkenntnistheorie widersprechen Konstruktivismus und Phänomenologie einander nicht – beide gehen von einer subjektiven Kons-truktion der Wirklichkeit aus. Edmund Husserl, österreichisch-deutscher Phi-losoph und Mathematiker und eben auch der Begründer der philosophischen Strömung der Phänomenologie, war jedoch der Meinung, dass eine entsubjek-tivierte größere Erkenntnis durchaus möglich und für die Wissenschaft nötig, ja unabdingbar sei.

Wenn wir vorurteilsfrei unsere Erkenntnisweise von der Welt erfassen wol-len, so Husserl, dann müssen wir zunächst von allen Vorannahmen, Theorien und Selbstverständlichkeiten absehen, damit die Sachen selbst zum Vorschein kom-men, so wie sie sind (hier erscheint Kants Idee vom Ding an sich wieder). Husserl nannte diese Methode Epoché (ein alter Begriff für Enthaltung, Innehalten). Das vorläufige Einklammern aller Vorannahmen und Vormeinungen bezeichnete er als eidetische Reduktion.

In gewisser Hinsicht können wir das Verhältnis von Konstruktivismus und Phänomenologie ähnlich dem Verhältnis von Kant und Schopenhauer verstehen. Sie vertraten beide die Idee einer transzendentalen (will sagen: subjektiv gefärb-ten und damit relativen) Erkenntnis. Da aber, wo Immanuel Kant diese quasi radikal vertrat (bis auf seine Definition von der Absolutheit von Zeit und Raum), erkannte der ihm nachfolgende Arthur Schopenhauer die Möglichkeit des reinen Schauens, bei dem sich größere Ordnungen offenbaren.

Schopenhauer schrieb dazu in seinem 1819 erschienen Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung:

Genialität ist die Fähigkeit, sich rein anschauend zu verhalten, sich in die Anschau-ung zu verlieren und die Erkenntnis, welche ursprünglich nur zum Dienste des Wil-lens da ist, diesem Dienste zu entziehen, das heißt, sein Interesse, sein Wollen, seine Zwecke, ganz aus den Augen zu lassen, sonach seiner Persönlichkeit sich auf eine Zeit völlig zu entäußern, um als rein erkennendes Subjekt, klares Weltauge übrig zu bleiben. (Schopenhauer 1819, Buch III, § 36)

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Schopenhauers Worte beschreiben – auf eine für mich poetische Weise – genau das, was Husserl später mit seiner eidetischen Reduktion meinte.

Zusammengefasst also sagt die Phänomenologie: Es gibt größere Ordnungs-prinzipien, die wir wahrnehmen können. Das impliziert: Ordnungsprinzipien sind objektiv (ohne unsere Konstruktion) gegeben. Der Konstruktivismus hingegen sagt: Ordnungsprinzipien sind von Menschen konstruiert (Abb. 3.9).

Was hier der einen oder dem anderen vielleicht als irrelevanter Ausflug in die Philosophie scheint, ist tatsächlich von zentraler Bedeutung bei der Arbeit mit Organisationen, denn natürlich braucht es seitens des Organisationsaufstellers ein Verständnis darüber, mit welchem Realitätsverständnis er konfrontiert wird, und welches er selbst hat. Denn schließlich spielt dieses Realitätsverständnis eine Rolle bei dem, was sich im Feld der Aufstellung zeigt, und es spielt eine Rolle bei der Art der Leitung durch den Aufsteller. Die Ausführungen im Folgenden machen das vielleicht noch ein bisschen deutlicher.

Bedeutung der erkenntnistheoretischen Ansätze in der AufstellungsarbeitWenn es auch verschiedene Erzählversionen über die Entwicklungsgeschichte und Urheberschaft der systemischen Aufstellungen gibt, so kann man wohl über-einstimmend festhalten, dass die Aufstellungsarbeit in ihren Anfängen auf dem Verständnis der systemischen Therapieansätze fußte. Diese verstehen das Indivi-duum im sozialen Kontext seiner Beziehungsqualitäten, seien sie beruflicher oder privater Natur.

Abb. 3.9 Konstruktivismus vs. Phänomenlogie

3.3 Konstruktivismus und Phänomenologie

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68 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

Aufgekommen waren die systemischen Therapien in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Sie folgen den Grundgedanken der Systemtheorie und einer ihrer Denkschulen, dem Konstruktivismus. Möglicherweise findet sich genau hier auch die Wurzel für eine Kontroverse, die so alt ist wie die Aufstellungsarbeit, wie wir sie heute kennen. Um ein bisschen besser verstehen zu können, worum es bei der Kontroverse geht, lohnt ein zunächst näherer Blick auf die hierfür entscheidenden Aspekte in Systemtheorie und Konstruktivismus.

Als interdisziplinäres Erkenntnismodell hat die Systemtheorie übergeordnet gültige Funktionsprinzipien und Gesetzmäßigkeiten für Systeme formuliert, wie ich sie weiter oben beschrieben habe.

Der Konstruktivismus – als ein Zweig der Systemtheorie und zugleich zweite Grundlage systemischer Therapie – geht wie weiter oben beschrieben hingegen davon aus, dass jede Erkenntnis der Realität eine individuelle Konstruktion ist. Deshalb orientiert sich der Konstruktivismus am Subjekt des Beobachters als erkennende Instanz – und eben nicht an einer beobachterunabhängigen, vermeint-lich objektiven Realität systemischer Prinzipien und Gesetze.

Schaut man auf diese beiden, der systemischen Therapie gleichermaßen zugrunde liegenden Ansätze, dann erkennt man bereits die auseinanderstrebenden Tendenzen ihrer jeweiligen Ausrichtung:

Wenn es einerseits so ist, dass prinzipielle Gesetzmäßigkeiten für Systeme gel-ten, die sich auf die Verbindungen der Systemelemente beziehen, dann gilt mit-hin etwas Objektives, etwas, das eine absolute und übergeordnete Gültigkeit hat, ja haben muss. Und wenn diese Gesetzmäßigkeiten vom Subjekt erkannt werden können, dann müssen sie dem Subjekt auch phänomenal erscheinen (um von ihm wahrgenommen werden zu können). Der objektive Charakter der Systemge-setze wäre demnach phänomenal zu erkennen, er kann dann nicht von Menschen gemacht werden, sondern wäre systemisch vorgegeben.

Wo aber andererseits die Überzeugung herrscht, dass Wirklichkeit nur durch subjektive Erkenntnis konstruiert wird, gibt es nichts Objektives, bzw. kann man nicht wissen, ob es eine objektive Wirklichkeit gibt. Die maximale Wirklich-keit könnte lediglich durch intersubjektive (oder wie die Konstruktivisten auch sagen: interaktionistische) Vereinbarungen konstruiert werden. Der Charakter der Systemgesetze wäre dabei jedenfalls immer konstruktivistisch – sie wären nicht systemisch vorgegeben, sondern soziale Konstrukte, von Menschen gemacht.

Dass der eine Ansatz den anderen unter logisch-linearen Gesichtspunkten aus-schließt, ist klar. Die Frage, ob dieselbe Wirklichkeit objektiv gegeben oder sub-jektiv bzw. intersubjektiv konstruiert ist, kann der Logik folgend schlechterdings mit Sowohl-als-auch beantwortet werden. Insofern verwundert es nicht, dass der

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Grundkonflikt sich auch in der Aufstellungsarbeit widerspiegelt, die sich mit sys-temischem Denken identifiziert.

Interessant aber ist dabei ein Aspekt, der die einfache Aufteilung in phäno-menologisch und konstruktivistisch bei näherem Hinsehen bereits innerhalb der einzelnen Ansätze auflöst. Da nämlich, wo die Systemtheorie vier Funktions-prinzipien für Systeme formuliert hat, da hat sie als viertes Prinzip die autonome Selbstorganisation der Systeme benannt (Abb. 3.10).

Die Selbstorganisation als Prinzip besagt, dass Systeme sich selbstbestimmt organisieren und entwickeln, mithin konstruieren. Diese Autonomie meint einer-seits die Autopoiese des Systems, die Selbsterschaffung bezieht sich also auf das System als Ganzes. Oder anders: Das Ganze erschafft sich selbst.

Zugleich aber entsteht das System ja als Ergebnis der autonomen Handlun-gen seiner Elemente und insofern bezieht sich die Autonomie eben auch auf die einzelnen Systemelemente (die ja durchaus auch gegen das System arbeiten und dieses sogar zerstören können). Somit entsteht also das Ganze durch die autono-men Handlungen seiner Elemente und eben nicht durch sich selbst – es sei denn, System und Elemente wären hier mit dem Begriff der Autopoiese als ein und das-selbe gedacht.

Die Autonomie der Systemelemente impliziert in jedem Fall die Mitgestal-tung der einzelnen Elemente am ganzen System und sie ist insofern ein Hinweis auf die Bedeutung der notwendigen Mitverantwortung eines jeden Einzelnen zur Mitgestaltung. Ich könnte fast sagen, dass Systeme ihre eigenen Elemente in den Dienst für ihren Selbsterhalt und ihre Weiterentwicklung nehmen – und dieser

Abb. 3.10 Phänomenologische und konstruktivistische Aussagen in der Systemtheorie

3.3 Konstruktivismus und Phänomenologie

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70 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

Dienst ist von den Elementen autonom zu gestalten. Das scheint ein Widerspruch, ist aber systemisch betrachtet als Polarität zu verstehen.

Durch die autonomen Handlungen der Systemmitglieder entsteht das Sys-tem als übergeordnetes Ganzes, das nun grundlegenden Funktionsprinzipien unterworfen ist, wie z. B. Gleichgewicht oder Rückkopplung. Diese Prinzipien sind jedoch nicht inhaltlich definiert, sie sind vielmehr prinzipiell als ordnende Strukturvorgabe zu beachten. Es gibt also z. B. keine Regel, die sagt, wie Gleich-gewicht hergestellt werden muss, es gibt nur ein Prinzip, das sagt, dass Gleichge-wicht hergestellt werden muss. Und Gleichgewicht ist genau dann gegeben, wenn Gleichgewicht gegeben ist. Die Freiheit der Autonomie kann so gesehen dann nur im Kontext unbedingter Verantwortung für den Erhalt und die Weiterentwicklung des Systems verstanden werden.

Die Idee der konstruktivistischen Gestaltung des Systems wurde zur ent-scheidenden Grundlage für die ersten Ansätze der systemischen Therapie, wie sie u. a. auch die Heidelberger Schule vertritt. Einer ihrer bekannten Vertre-ter ist Gunthard Weber, der auch einer der ersten Schüler des Philosophen und Theologen Bert Hellinger war. Dieser hatte über Gruppen- und Primärtherapie, Transaktionsanalyse und verschiedene hypnotherapeutische Verfahren schließlich eine ganz eigene System- und Familientherapie mithilfe der Aufstellungsarbeit entwickelt, deren methodische Wurzeln man durchaus in der Gestalttherapie, in der Familienskulptur oder im Psychodrama verorten kann.

Dem konstruktivistischen Ansatz der Heidelberger Schule jedenfalls stand Hellingers Verständnis einer festgelegten Systemordnung, die sich in seinen Auf-stellungen phänomenologisch zeigte, diametral entgegen. Und durch die persönliche Verbindung zu Gunthard Weber befand er sich nun unvermittelt in einem Dissens mit den Vertretern der Heidelberger Schule (zu denen Weber ja eben auch gehörte).

Außerdem hatte Gunthard Weber als Eigner des Carl-Auer-Verlags das erste Buch von Hellinger herausgebracht (Zweierlei Glück), dessen Untertitel – Die Systemische Psychotherapie Bert Hellingers ein Affront gegen das bis dahin allgemein gültige Verständnis von systemischer Therapie war, ja sein musste. Die Tatsache, dass das Buch dann auch noch zu einem Bestseller wurde, führte schließlich dazu, dass hier eine Vermischung der beiden systemischen Verständ-nisansätze ihren Ursprung hat.

Während die Heidelberger davon überzeugt waren, dass ein gutes Miteinander ausschließlich das Ergebnis eines autonomen Aushandlungsprozesses sein könne, vertrat Hellinger den gestaltorientierten Ansatz. Für ihn gibt das System die Ord-nung vor, und dieser habe sich der Einzelne zu fügen.

Hellingers phänomenologisches Ordnungsverständnis stieß einerseits auf hef-tigen Widerstand angesichts einer seinerzeit gesellschaftlichen Entwicklung von

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Emanzipation und sich auflösenden Familien- und Beziehungsstrukturen – ebenso wie angesichts einer wissenschaftlichen Entwicklung, die Samenspende und in vitro Befruchtung möglich machte. Diesem Widerstand begegnete Hellinger weniger mit Verständnis als vielmehr mit einer ihm eigenen provokativen Gegen-wehr. Möglicherweise finden wir hier auch die Wurzeln für die weithin in Verruf geratene Aufstellungsarbeit.

Dem phänomenologischen Ansatz widersprachen also die Heidelberger Vertre-ter der konstruktivistischen Ansätze vehement. Zwar hatten sie die Aufstellungs-methode als therapeutisch wertvoll erkannt und teils in ihre Arbeit integriert. Sie argumentierten aber, dass Deutungen und objektive (Ordnungs-)Überzeugungen des Aufstellers nicht zum Ziel führen können, da es sich bei dem, was sich zeigt, nicht um absolute Wahrheiten (Ordnungen), sondern ausschließlich um relative persönliche Sichtweisen, also konstruierte Wirklichkeiten des Klienten handele.

Ein Aufstellungsleiter, der meint, eine Ordnung zu erkennen, missachte genau diese Tatsache des relativen persönlichen Erlebens des Klienten. Und weil es sich bei Aufstellungen eben um die lösungsorientierte Erweiterung der Handlungs-möglichkeiten des Klienten handele, ja handeln müsse, ginge es ausschließlich darum, dessen Ressourcen und dessen Verständnis von Wahrheit in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen.

Die konstruktivistische Überzeugung war es deshalb, dass es in Aufstellungen lediglich um Beziehungen (systemische Strukturen) aller Art und eben nicht um Systeme (und deren vermeintliche Ordnungen) gehen könne. Zwei prominente Vertreter dieser konstruktivistischen Richtung, Matthias von Varga Kibéd und Insa Sparrer, haben vor dem Hintergrund dieses Verständnisses die systemischen Strukturaufstellungen entwickelt, die den Klienten als radikalen Konstrukteur jeg-licher Beziehungen in einer für ihn realen Wirklichkeit und den Aufstellungsleiter in erster Linie als Gastgeber für einen Prozess verstehen. Sie arbeiten dabei nach ihrer eigenen Überzeugung weder vorausschauend noch interpretierend.

Hellinger stellte gegen dieses konstruktivistische Verständnis sein phänomeno-logisches Verständnis: Es gehe weniger darum, die eine oder die andere Sicht-weise zu präferieren (die des Aufstellers oder die des Klienten), es gehe vielmehr darum, zu einer absichtslosen Haltung des Schauens zu gelangen, die es ermögli-che, jenseits der selbstkonstruierten Konzepte (seien es die des Klienten oder die des Aufstellers) auf die Wirklichkeit zu schauen. Und eben hier zeigten sich für ihn nach und nach familiäre und später auch organisationale Grundordnungen mit universeller Gültigkeit, die sich auf die Aspekte Zugehörigkeit, Bindung und Aus-gleich bezogen.

Mit dem absichtslosen Schauen setzte Hellinger die oben beschriebenen Gedan-ken von Arthur Schopenhauer und Edmund Husserl fort und seine Forderung nach

3.3 Konstruktivismus und Phänomenologie

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72 3 Wahrnehmung und Erkenntnis

absichtslosem Schauen goss er in die Worte „Anerkennen, was ist“. Sie wurden nicht nur zum Titel eines seiner Bücher, sie wurden auch zum geflügelten Begriff der phänomenologisch orientierten Systemaufsteller.

In der Wirklichkeit, die sich ihm bei diesem absichtslosen Schauen immer wieder zeigte, erkannte Hellinger eine allgemeingültige und eben universell fest-geschriebene Ordnung, die für jedes System und somit für jedes Systemmitglied gilt. Nicht zuletzt um ihrer Wirkung willen gelte diese Ordnung in der Aufstel-lung als einzig richtige Wirklichkeit, weil sie sich für den Klienten in diesem Moment als hilfreich erweisen, ihm neue Erfahrungen und vielleicht sogar neue Lösungsansätze eröffnen könne.

Wohlgemerkt, wir befinden uns hier mitten in einem ursprünglich therapeuti-schen Dissens. Möglicherweise ging dieser ohne eine vertiefende Reflexion naht-los in das Feld der Organisationsaufstellungen über, und ich vermute, dass wir mit der gedanklichen Durchdringung von Phänomenologie und Konstruktivismus im Kontext der Organisationsaufstellungen noch am Anfang stehen.

Wenn wir mit einem systemischen Blick auf die vermeintlichen Antagonisten Konstruktivismus und Phänomenologie schauen, wird deutlich, dass es sich hier-bei lediglich um ein von uns so gedachtes Widerspruchspaar handeln kann, das in Wirklichkeit ein polarer und damit ein einander bedingender komplementärer Ausdruck des Identischen ist. Das Identische ist hier: Erkenntnis – Phänomenolo-gie und Konstruktivismus sind verschiedene Ausdrucksformen ein und derselben (weil unteilbaren) Erkenntnis.

Was meiner Erfahrung nach jedenfalls stimmt, ist die Erkenntnis von Hellinger, dass Ordnung ein Prinzip in Systemen ist, das phänomenologisch wahrgenommen werden kann. Welche Art der Ordnung sich aber in einem (Organisations-) System entwickelt hat, hängt dann offensichtlich von der soziokulturellen Wirklich-keitskonstruktion im Verlauf der Kommunikationsprozesse ab, wie das folgende Kapitel über Strukturen und Paradigmen zeigen wird.

Literatur

Schopenhauer, A. (1819). Die Welt als Wille und Vorstellung. Buch III, § 36

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Organisationsstrukturen und Paradigmen

ZusammenfassungDie Strukturen einer Organisation geben Auskunft darüber, wie ihre Elemente miteinander verknüpft (organisiert), bzw. aufeinander bezogen sind, um zu einem gemeinsamen Ziel zu gelangen, und natürlich verbergen sich hinter den jeweili-gen Strukturen umfassende kulturelle Überzeugungen und Haltungen.

Der Unternehmensberater und ehemalige McKinsey-Partner Frederic Laloux hat sich intensiv mit dem Thema der Organisationsstrukturen befasst – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund von Erkenntnissen, wie sie u. a. in einer Stu-die im Harvard Business Manager im Jahr 2015 veröffentlicht wurden: Zwei von drei Arbeitnehmern leisten demnach Dienst nach Vorschrift, und jeder siebte hat bereits innerlich gekündigt. Seit nun schon rund 15 Jahren zeigen Befragte ein bedenkliches Bild der zunehmenden Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit, die ja immerhin einen großen Teil des Lebens bestimmt. Das findet nicht zuletzt auch Ausdruck in den anschwellenden Zahlen psychischer Erkrankungen – die Men-schen kippen förmlich in beängstigender Menge aus den Arbeitssystemen; in Bal-lungszentren kippen sie zudem vermehrt aus den Gesellschaftssystemen.

In seinen Recherchen nach den Hintergründen und nach neuen Gestaltungs-möglichkeiten der Arbeit in Organisationen erkannte Laloux zunächst, dass jede Stufe unserer Entwicklung mit einer neuen Organisationsform einhergeht. Jeder Bewusstseinswandel erzeugt neue Paradigmen und verändert die Art unse-res Zusammenarbeitens. Mit Blick auf die Diskussion um Phänomenologie und Konstruktivismus des vorangegangenen Kapitels kommt hier also der Aspekt des

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_4

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74 4 Organisationsstrukturen und Paradigmen

Bewusstseins in die Diskussion um gegebene und/oder konstruierte Prinzipien in Organisationen. Interessant dabei ist, dass die organisationalen Entwicklungs-stufen eine Korrelation zu den Entwicklungsstufen des Individuums und auch zu den Entwicklungsstufen von Gesellschaften aufweisen. Dieses Kapitel stellt die Erkenntnisse von Laloux vor und beschreibt deren Bedeutung für die systemische Beratungsarbeit.

4.1 Die sieben Paradigmen

Inspiriert von der integralen Theorie Ken Wilbers (Wilber 2000) fragte sich Laloux, wie eine Organisation aussehen würde, die mit einem integralen Bewusst-sein geführt wird. Er wollte wissen: Gibt es solche Unternehmen schon? Wenn ja, wie arbeiten sie? Wie ergeht es ihren Mitarbeitern? Welche Führungsstrukturen und Prozesse haben sie gestaltet? Und ganz wesentlich: Sind sie substanziell, kon-kurrenzfähig und haben sie das Potenzial und die Kraft zur Weiterentwicklung?

Laloux wurde fündig und in seinem Buch Reinventing Organizations (Laloux 2015) stellt er im zweiten Teil zwölf Organisationen unterschiedlicher Größe, unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Branchen vor, die anders als gemeinhin üblich, wiewohl bemerkenswert erfolgreich arbeiten. Laloux zeigt, wie eine radikal neue Form sinnstiftender Zusammenarbeit aussehen kann und beschreibt bei den Organisationen Gemeinsamkeiten, die den sinnstiftenden Unterschied gegenüber gängigen Organisationsformen ausmachen.

Um uns die Spezifika der gemeinhin üblichen Organisationsformen zu ver-deutlichen, skizziert Laloux im ersten Teil des Buchs zunächst die Entwicklungs-geschichte von Organisationen – hier haben sich im Geschichtsverlauf sechs Strukturmodelle mit entsprechenden Paradigmen herausgebildet. Die alternative siebte Organisationsform beruht nach Laloux weniger auf einer fließenden Modi-fikation der bisherigen Modelle als vielmehr auf einem radikalen Bewusstseins-sprung hin zu einem Paradigma, das er evolutionär integral nennt.

In den ersten beiden Entwicklungsstufen geht es um die Organisation des all-täglichen Lebens im Zuge der existenziellen Bedürfnisregulierung:

Das reaktive ParadigmaDas magische Paradigma

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In den folgenden vier Entwicklungsstufen geht es um die strukturelle Gestaltung von Organisationen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen:

Das tribale impulsive ParadigmaDas traditionell konformistische ParadigmaDas moderne leistungsorientierte ParadigmaDas postmoderne pluralistische Paradigma

Das integrale evolutionäre Paradigma ist nach Laloux die neue Entwicklungsstufe für die Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit in Organisationen.

4.2 Das reaktive Paradigma

Das reaktive Paradigma geht zurück auf die früheste Entwicklungsstufe mensch-licher Organisation (Abb. 4.1). Hier gibt es Familienverbände mit wenigen Mit-gliedern. Das Ego ist nicht besonders ausgebildet, die Menschen fühlen sich ihrem natürlichen Umfeld eng verbunden. Das Bewusstsein entspricht dem eines Neugeborenen, das sich noch nicht getrennt von der Welt wahrnimmt. Das Leben ist von der Suche nach Lebensraum und Nahrung geprägt. Das führt zwischen einzelnen Familien zu Verteilungskämpfen mit einer hohen Rate an Gewalt und Mord. Vertikale, hierarchische Strukturen sind kaum vorhanden, horizontale Unterscheidungen beschränken sich im Wesentlichen auf das Gebären.

Abb. 4.1 Das reaktive Paradigma

4.2 Das reaktive Paradigma

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76 4 Organisationsstrukturen und Paradigmen

4.3 Das magische Paradigma

Die Familien schließen sich zu Familienverbänden mit mehr Mitgliedern zusam-men und lernen nun, mit direkter und indirekter Verbindung (Komplexität) umzu-gehen (Abb. 4.2). Das eigene Selbst wird differenziert vom anderem und vom Umfeld wahrgenommen, wobei sich jeder Einzelne als das Zentrum des Uni-versums erlebt. Er hat noch keine Kenntnis über Ursache und Wirkung, deshalb wirkt vieles magisch/göttlich für ihn. Er hat auch keine Vorstellungen von großen Mengen, Klassifizierung oder gar Abstraktion. Noch gibt es wenig Teilung der Aufgabenbereiche. Erste Hierarchien bilden sich aber angesichts der Bedeutung der Stammesältesten. Das magische Paradigma entspricht der Entwicklungsstufe eines Zweijährigen mit sensorischer, motorischer und emotionaler Differenzie-rung (Mama, Papa, ich).

Bei den beiden ersten Paradigmen gibt es neben der Lebensbewältigung noch keine weitergehenden (abstrakten) Formen der Organisation. Das Erleben ist aus-schließlich auf die existenzielle Bedürfnisregulierung im Jetzt ausgerichtet. Vergan-genheit spielt wenig bis gar keine Rolle. Zukunft wird als Abstraktum nicht gedacht.

Abb. 4.2 Das magische Paradigma

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4.4 Das tribale impulsive Paradigma

Erste Stammesfürstentümer und Imperien entstehen. Das Ego ist voll ausge-bildet, das Individuum erlebt sich als gänzlich abgetrennt von anderen und von der Umwelt. Die Bedeutung des Todes wächst, das Sterben wird nun gefürchtet. Deshalb wird das Leben als bedroht erlebt und in Verbindung mit der alltäglich notwendigen Bedürfnisbefriedigung bedingt das Stärke und Widerstandskraft. Formen der Machtausübung entwickeln sich (Abb. 4.3).

Der Fokus ist dabei weiterhin auf die Gegenwart gerichtet, Bedürfnisse sollen ad hoc erfüllt werden. Primitive Emotionalität bedingt Wutausbrüche und Gewalt bei unbefriedigten Bedürfnissen. Ein erstes Verständnis für einfache kausale Beziehungen – z. B. Belohnung und Strafe – entwickelt sich. Es herrschen dua-listische Denkstrukturen vor – schwarz vs. weiß, gut vs. böse. Die Ausbildung des Egos bedingt erste Rollenverteilungen in horizontalen Strukturen und die brutale Machtausübung befördert strikte Hierarchien. Es gilt das Recht des Stärkeren. Andere Stämme werden unterworfen und zu Sklaven gemacht. Ins Zentrum des Interesses rücken Ziele, die über die existenziellen Notwendigkeiten hinausgehen.

Erste tribale Organisationen sind militärische Verbände, die andere Fürstentü-mer angreifen. In ihrer Organisationsstruktur ähneln sie modernen Straßengangs und Mafiaclans. Zwar nutzen solche Organisationen modernste Waffen und Infor-mationstechnologie, ihre Paradigmen aber bleiben tribal. Ihr Zusammenhalt wird durch ständige Machtausübung gesichert; die Beute wird geteilt, damit die Unter-gebenen zufrieden sind.

Abb. 4.3 Das tribale impulsive Paradigma

4.4 Das tribale impulsive Paradigma

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78 4 Organisationsstrukturen und Paradigmen

4.5 Das traditionelle konformistische Paradigma

Im konformistischen Paradigma (etwa 4000 v. Chr.) entwickeln sich Staaten und Zivilisationen und mit ihnen Sesshaftigkeit und Landwirtschaft (Abb. 4.4). Es herrscht ein gutes Verständnis von Ursache und Wirkung – wodurch ein Pro-jizieren in die Zukunft und damit eine längerfristige Planung möglich werden. Es entsteht auch ein erstes Bewusstsein für die Gefühle und Sichtweisen ande-rer Menschen. Damit wird ein gedanklicher Perspektivenwechsel möglich. Diese Fähigkeit entspricht der Entwicklungsstufe eines sechs- bis siebenjährigen Kinds. Mit dem Perspektivenwechsel einher geht die Relativierung des Selbst-bewusstseins, das in Abhängigkeit von der Sichtweise anderer gerät. Das führt zum Bestreben, mit den anderen gleich zu werden. Gruppennormen bekommen eine besondere Bedeutung. Wichtig werden hierbei übergeordnete Regeln, rich-tige Handlungen und Vorhersehbarkeit. Veränderungen werden nicht gewünscht.

Organisationen mit traditionellen konformistischen Strukturen sind unflexi-bel, misstrauisch und schwach im Konkurrenzkampf. Sie erzeugen daher stabile Machtstrukturen mit formellen Titeln, festen Hierarchien und Organigrammen. In der Regel herrscht ein pyramidaler Aufbau mit Einbahnstraßenkommunikations-wegen (Was Ihr wissen müsst). Planung und Ausführung sind strikt vertikal orga-nisiert: Planung oben, Ausführung unten. Dafür werden die Kontrollmechanismen verfeinert. Es entstehen umfangreiche Regelwerke und es gibt Mitarbeiter, die dafür sorgen, dass die Regeln von allen eingehalten werden.

Abb. 4.4 Das traditionell konformistische Paradigma

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Der Aufbau und die Führungsmethoden solcher Organisationen können mit denen von Armeen verglichen werden. Der Mensch wird erstmals austauschbar – entscheidend ist jetzt nicht mehr seine Person, sondern nur noch seine Funktion im System. Sein höchster Wert bemisst sich an der Qualität seines Diensts am System. Für viele Menschen erscheint die Vorhersehbarkeit konformistischer Organisationen dennoch wie ein sicherer Hafen, denn die Einhaltung der Regeln sichert (vermeintlich) Zugehörigkeit. Die Kirche, das Militär und staatliche Bil-dungsinstitutionen sind Beispiele für traditionelle konformistische Organisations-strukturen.

4.6 Das moderne leistungsorientierte Paradigma

Auf der modernen Entwicklungsstufe setzt sich die Erkenntnis durch, dass es keine unabänderlichen Regeln und Gesetze gibt (Abb. 4.5). Gegen die Über-zeugung, dass es richtig und falsch gibt, steht nun die Frage: Was funktioniert? Das relativiert Regeln und Gesetze und misst diese am Ergebnis. Die Ausrich-tung auf Effektivität beginnt, moralisches Denken aufzulösen – jetzt geht es viel-mehr darum, erstens gut, zweitens besser und drittens immer noch besser und v. a. erfolgreich zu sein. Gut ist, was funktioniert; gut ist, wer gewinnt. Richtig ist der Sieg, nachweislich falsch die Niederlage.

Abb. 4.5 Das modern leistungsorientierte Paradigma

4.6 Das moderne leistungsorientierte Paradigma

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80 4 Organisationsstrukturen und Paradigmen

Vorausplanung wird durch die Fähigkeit erweitert, Was-wäre-wenn zu erwä-gen. Die Menschen können verschiedene Handlungsoptionen für sich als mög-lich erwägen. Das weicht in der Folge feste hierarchische Strukturen auf, denn jetzt kann oben stehen, wer erfolgreich ist. Verbunden damit löst sich auch die bis dahin geltende soziale Zugehörigkeit zu bestimmten Hierarchieebenen auf. Vom Tellerwäscher zum Millionär ist fortan die neue Option der Allmach(t)barkeiten.

Entwicklungsgeschichtlich erreichen die weltlichen Kulturen dieses Paradigma in der Zeit der Renaissance. Die Wiedergeburt des Menschen geht Hand in Hand mit dem Bezweifeln eines allmächtigen Gotts, nachdem die Pest ein Drittel der europäischen Bevölkerung vernichtet hat. In Organisationen setzt sich das Para-digma in Form entsprechender Strukturen in Zeiten der sich anschließenden indus-triellen Revolution durch, die eine neue Welt ungeahnter Machbarkeiten erschließt.

Die Frage nach der maximalen Effektivität bei gleichzeitig hoher Effizienz löst eine Welle zahlreicher Entwicklungen aus. Besonders die ökonomischen Wissen-schaften beschäftigen sich hiermit. Hier entsteht auch die Forderung nach Innova-tionskraft – Erneuerung gilt jetzt als Chance für stetige Optimierung, für immer mehr und immer weiter.

Wo es in traditionellen Organisationen noch feste Prozesse gab, werden diese nun beständig hinterfragt. Projekte bekommen eine hohe Bedeutung. Zwar bleibt die pyramidale Grundstruktur erhalten, feste Hierarchien aber lösen sich mehr und mehr auf. Stabsfunktionen und Projektgruppen, Experten und interne Berater bestimmen fortan das Streben nach immer neuen und verbesserten Methoden und Praktiken.

Entsprechend wandelt sich das Gehorsamkeits- zum Leistungsprinzip – gut ist, wer viel leistet und eine hohe Wirksamkeit vorweist. Man kann dies auch als den modernen Durchbruch der sozialen Fairness betrachten – es liegt bei jedem Einzelnen, welchen Platz im System er sich ergattert (ergattern will). Dass das zu einer Forderung nach gleichen Chancen für alle und Bildung für alle und nach beständiger Weiterbildung in Organisationen führt, scheint beinahe zwingend konsequent. Die Idee von Gerechtigkeit gestaltet sich entlang ihrer Möglichkeiten.

Die zielorientierte Entwicklung von Zukunftsszenarien bringt eine weitere Entwicklung mit sich: das Controlling. Grundlage hierfür ist das „management by objectives“ – das Führen nach Zielvorgaben. Der Weg zum Ziel wird den Mitarbeitern und Projektteams überlassen, und von oben gibt es nur noch über-geordnete Zielvorgaben und Meilensteine, die für das Controlling zum Maßstab werden.

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4.7 Das postmoderne pluralistische Paradigma

Die Leistungsorientierung moderner Organisationen hat eine Gier des Immer-mehr und eine unmoralische Ellenbogenmentalität befördert, die ihre Schatten-seiten vorauswirft und deutlich spürbar wird: Materialismus, Ungerechtigkeit und der Verlust von sicheren gemeinschaftlichen sozialen Räumen (Kasten) erschaf-fen nun die Wirklichkeit (Abb. 4.6).

Wo in modernen Organisationen das Interesse ausschließlich der Frage was funktioniert, und was nicht gilt, greift das für das postmoderne Paradigma zu kurz. Zumal die Erfahrung zeigt, dass es zahlreiche Wege nach Rom gibt. Der sich hieraus ergebende Pluralismus beinhaltet die Forderung, dass alle Perspek-tiven denselben Respekt verdienen. Das soll schließlich dazu führen, dass die durch den Funktionalismus verloren gegangene Moral durch Werte wie Fairness, Gleichheit, Harmonie und Konsens ersetzt werden und als Klebstoff für eine gute Gemeinschaft in der Gesellschaft garantieren soll.

Das verschiebt fundamental den Fokus von der Wirkung der Handlungen auf die Qualität der Beziehungen und damit auf die Befindlichkeit im Miteinander. Die Prozessketten werden förmlich auf den Kopf gestellt: So soll aus der Summe der vielen verschiedenen Perspektiven und Ansätze ein Konsens entwickelt wer-den, der dann als bestmögliche Option gilt.

Abb. 4.6 Das postmodern pluralistische Paradigma

4.7 Das postmoderne pluralistische Paradigma

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82 4 Organisationsstrukturen und Paradigmen

Klassische Erscheinungsformen des pluralistischen Paradigmas sind Mitarbei-terbeteiligungen, rollierende Besetzungen von Führungspositionen oder auch die Kommunen der 1960er-Jahre.

Das postmoderne Paradigma herrscht v. a. in gemeinnützigen Organisationen vor, während es in wirtschaftlich ausgerichteten Organisationen in seiner reinen Form eher selten anzutreffen ist. Denn Pluralismus würde prinzipiell Macht und Hierarchie vermeiden wollen, findet aber gegenüber unheilvollen, menschen-verachtenden oder zerstörerischen Ideen wenig Möglichkeiten zur Positionsbe-ziehung. Denn auch ihnen müsste der Pluralismus ja theoretisch vollen Respekt zollen. „Anything goes“ aber hat sich keinesfalls als praktikabler Leitfaden für organisatorisches Handeln erwiesen. Das postmoderne Paradigma zeigt sich höchst wirkungsvoll beim Einreißen alter Strukturen und setzt diesen einen bun-ten Strauß beliebiger Möglichkeiten entgegen. Eben dieser Pluralismus aber führt zu einer beobachtbaren Ineffektivität beim Formulieren wirklich praktikabler Alternativen, da, wo in letzter Konsequenz nichts ausgeschlossen werden soll.

Natürlich aber hat die Postmoderne auch ihre Spuren in Organisationen hinter-lassen und nach Laloux wesentliche Durchbrüche erreicht: Empowerment, wert-orientierte Organisationskulturen und auf einen Sinn ausgerichtetes Handeln sowie schließlich die Integration verschiedener Interessengruppen.

4.8 Das integrale evolutionäre Paradigma

Eine grundlegend neue Form der Organisation beschreibt Laloux mit der jüngsten Entwicklungsstufe, dem integralen evolutionärem Paradigma, und belegt dessen Praxiserfolg anhand der oben genannten zwölf Organisationen, die alle bemer-kenswert erfolgreich in ihrer jeweiligen Branche sind.

Die Metapher für diese Organisationen ist der lebendige Organismus. Eben dieser entspricht dem offenen System, von dem ich in Kap. 2 geschrieben habe, dass wir Organisationen als solche systemisch verstehen müssen. Als lebendiger Organismus adaptieren sich integrale Organisationen eigenständig an die Umwelt und besitzen – wie ihr natürliches Pendant – keine vertikalen Machthierarchien. In diesem Kontext erfährt auch die Idee von Führung eine gänzlich neue Dimen-sion. Darauf werde ich im nächsten Kapitel weiter eingehen.

Das integrale evolutionäre Paradigma steht im Wesentlichen für die Über-windung des Egos, vielleicht auch für die Überwindung der Illusion eines Ichs (Abb. 4.7). Sind wir nämlich mit unserem Ich identifiziert, dann glauben wir an unsere Ideen und bewegen uns in einer ausschließlich selbstzentrierten Wirklich-keit von ununterbrochener Vergangenheitswiederholung. Im Kontext von Sicher-heit und Weiterentwicklung neigen wir außerdem dazu, unsere Entscheidungen

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abhängig von äußeren Faktoren zu treffen. Die Gradmesser lauten Zugehörigkeit, Anerkennung und Erfolg.

Durch die Überwindung des Egos wendet sich die Aufmerksamkeit von außen nach innen – anstelle des Egoerfolgs soll sich jetzt das Selbst verwirklichen. Unabhängig davon, ob für uns dieses Selbst wirklich sprachlich greifbar ist und so definiert werden kann, gilt als gesichert, dass wir ihm durch die meditative Übung der absichtslosen Präsenz näherkommen. Unser Selbst begegnet uns dann, wenn wir in einem phänomenologischen Zustand des anerkennenden Wahrneh-mens sind. Die geforderte Selbstverwirklichung in evolutionären Organisationen geht also einher mit der Forderung nach einem hohen Grad an Selbstbewusstheit (die durch Meditation und eben auch durch die systemische Aufstellungsarbeit maßgeblich gefördert werden kann).

„Auf der integralen Stufe“, so schreibt Laloux, „wird das Leben als eine persön-liche und kollektive Reise zu unserer wahren Natur gesehen […] Wenn wir uns in das Integrale hinein entwickeln, dann setzen wir uns keine Lebensziele mehr, die bestimmen, in welche Richtung wir gehen. Stattdessen lernen wir, loszulassen und auf das Leben zu hören, das durch uns gelebt werden will“ (Laloux 2015, S. 45).

Die grundsätzlichen Neuerungen dieser evolutionären Organisationsform finden sich beim Selbstmanagement (viertes systemisches Funktionsprinzip: Selbst-organisation), in der Ganzheitlichkeit (zweites systemisches Funktionsprinzip: Gleichgewicht) und im evolutionären Zweck (systemische Grundfunktionen: Selbsterhalt und Weiterentwicklung, Autopoiese).

Abb. 4.7 Das integrale evolutionare Paradigma

4.8 Das integrale evolutionäre Paradigma

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84 4 Organisationsstrukturen und Paradigmen

Selbstmanagement/SelbstführungEvolutionäre Organisationen funktionieren ohne Hierarchie (und auch ohne Kon-sens). Sie haben die Funktionsweisen von komplexen adaptiven Systemen, wie sie in der Natur vorkommen, auf Organisationen übertragen.

GanzheitBisher haben Organisationen von den für sie arbeitenden Menschen erwartet, sich ausschließlich mit ihrem beruflichen Selbst einzubringen und andere Teile des Selbst an anderer Stelle zu leben. Homo Faber soll hier eindeutig ein ande-rer sein als Homo. Darüber hinaus gelten bestimmte Qualitäten als zielfördernd, wie z. B. maskuline Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und Stärke, während andere Qualitäten wie Emotionalität, Intuition und Spiritualität als unkontrollierbar und irrational gelten. In evolutionären Organisationen wird diese Zersplitterung des Menschen zugunsten eines ganzheitlichen und damit gleichgewichtigen Mitein-anders aufgehoben.

Evolutionärer SinnEvolutionäre Organisationen sind aus sich heraus lebendig und entwickeln dadurch automatisch (autopoietisch) eine Richtung. Statt die Zukunft zu planen und die Wege dorthin kontrollieren zu wollen, werden die Menschen eingeladen, zuzuhören und zu verstehen, was die Organisation werden will und welchem Sinn sie dienen möchte.

Mit Laloux’ Arbeit haben die grundlegenden Gedanken der Systemtheorie Einzug in die moderne Managementliteratur gehalten.

4.9 Entwicklung entlang der Paradigmen

Laloux schreibt:

„In jeder Organisation nimmt die Effektivität der Mitarbeiter zu, je höher sie sich im Entwicklungsspektrum entwickelt haben […] Es scheint, dass sich das Gesetz der Evolution auf der integralen evolutionären Stufe genauso bestätigt, wie bei den vorhergehenden Paradigmen: Je komplexer unsere Weltsicht und unsere Kognition ist, desto effektiver können wir mit Problemen umgehen […] Für Organisationen ist dies eine hoffnungsvolle Botschaft, vor allem, wenn nicht nur Einzelne innerhalb der Organisation, sondern die Organisation selbst aus integralen evolutionären Prin-zipien handelt […]“ (Laloux 2015, S. 50).

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Laloux beschreibt hier mit eigenen Worten, was die Gestalt- und die Systemthe-orie als Gesetzmäßigkeiten für nachhaltigen Systemerhalt und Weiterentwicklung formuliert haben.

In der Praxis findet man die hier beschriebenen Paradigmen natürlich eher selten in ihrer reinen Form. So, wie sie sich fließend weiterentwickelt haben, so enthalten sie immer auch Aspekte der Strukturen, aus denen sie sich entwickelt haben. Meiner Erfahrung nach lassen sich viele der hier beschriebenen Aspekte parallel zueinander in Organisationen finden.

Für die Arbeit als Organisationsaufsteller ist es dabei immer hilfreich, sich zu vergegenwärtigen, mit welchen strukturellen Aspekten und Glaubenshaltungen man jeweils konfrontiert ist. Entscheidend dabei ist, nicht dem Missverständnis zu erliegen, das eine oder andere Paradigma könnte besser oder schlechter sein. Aus systemischer Sicht gilt die Frage: Wie interagieren die Menschen in ihren jeweiligen Strukturen und welche sind dabei die möglichen Parameter ihrer Glau-benshaltungen und Überzeugungen? Sind ihnen diese bewusst?

Literatur

Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations – Ein Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. München: Vahlen.

Wilber, K. (2000). A theory of everything: An integral vision of business, politics, science und spirituality. Boston: Shambala Publications.

Literatur

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Führung

ZusammenfassungDie Führung von Organisationen und von Menschen in Organisationen ist kom-plex und herausfordernd. Die Ansprüche, die vonseiten der Organisation an ihre Führungskräfte, von den Führungskräften an die Mitarbeiter und schließlich von den Mitarbeitern an die Führungskraft explizit wie implizit gestellt werden, sind in den vergangenen Jahrzehnten parallel zu der zunehmenden Komplexität der Umfelder und Märkte gestiegen. Die außerdem steigenden Bildungs- und sozia-len Niveaus, die emanzipatorische Wirkung des Internets, der wachsende Anteil von Frauen in der Arbeitswelt und eine im Kontext der Globalisierung zuneh-mend pluralistische Kultur haben ihr Übriges dazu beigetragen.

In Ergänzung zu den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dimensionen sind Situationen von Führen und Geführtwerden im psychischen Erleben prinzipiell – und in den meisten Fällen unbewusst – auf das Engste mit den biografischen Erfahrungen, mit dem Eltern-Kind-Erleben (auch Großeltern, Tanten, Onkel oder andere Erziehungsberechtigte) oder dem Geschwistererleben verknüpft. Neben den alltäglich erfahrenen Situationen können aber auch traumatische Erfahrungen und damit verbundene Gefühle im organisationalen Miteinander und hier eben im Besonderen in hierarchisch strukturierten Beziehungen reaktiviert werden. Ange-sichts der sich daraus ergebenden Gefühle und Wirklichkeitskonstruktionen zei-gen sich dann z. B. Kontextverschiebungen, Verwechslungen, Projektionen oder

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_5

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88 5 Führung

Verstrickungen. Ein klassisches Beispiel dafür ist die unbewusste Verwechslung eines Vorgesetzten mit dem eigenen Vater und die daraus erfolgende Zuschreibung von Eigenschaften. Im Führungsgeschehen gibt es tatsächlich zahlreiche Möglich-keiten der Verschiebung, Verwechslung, Projektion oder Verstrickung.

In jedem Fall sollte ein Organisationsaufsteller deshalb über eine umfassende Selbsterfahrung verfügen, um in diesem wirklich sehr komplexen Feld nicht den eigenen blinden Flecken zu erliegen. Er sollte außerdem genügend psychologi-sche Kenntnisse und Erfahrung als Berater haben, um die Dimensionen, die ihm möglicherweise in einer Beratungssituation begegnen, in ihrem tatsächlichen Ausmaß erfassen zu können. Nicht zuletzt sollte er schließlich mit den gängigen Modellen von Führung vertraut sein, damit er verstehen kann, mit welchen Para-digmen Führung im Unternehmen oder im individuellen Fall verbunden sind.

In diesem Kapitel betrachte ich die komplexen Dimensionen von Führung und biete ein tiefer gehendes Verständnis bezüglich der Haltungen, die mit den gän-gigen Führungsstilen in Organisationen einhergehen. Abschließend erörtere ich dann Ansätze und Möglichkeiten der systemischen Führung.

5.1 Führung von Organisationen, Führung in Organisationen

Unbesehen der allseits hohen Ansprüche ist eine Führungskraft immer untrennba-rer Teil eines Systems; sie ist als Systemelement zu verstehen. Führung kann also nicht losgelöst vom systemischen Resonanzgeschehen verstanden und entwickelt werden. Und obwohl sich inzwischen längst die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass es keinesfalls allein den Fähigkeiten einer Führungskraft obliegt, ob sich eine Organisation wie gewünscht entfaltet, gilt weiterhin als unwidersprochen, dass ein System mit der Qualität ihrer Führungskräfte steht und fällt. Die Ansprüche bleiben dadurch unverändert hoch bis überfordernd. Und wir können davon aus-gehen, dass sie mit zunehmender Komplexität weiter steigen werden.

Die Führung von Organisationen zielt auf den Erhalt und die Entwicklung der Organisation. Gefordert ist dafür erstens ein vertieftes Verständnis der Orga-nisationsgestalt mit Vision, Mission, Kultur und Werten sowie mit Struktur, Beschaffenheit und Wesen. Gefordert sind zweitens breit angelegte Kenntnisse zu übergeordneten Entwicklungen und Trends sowie über Märkte und Produkte, kombiniert mit den dazugehörenden nötigen Fachkompetenzen und Erfahrungs-werten, die zu Entscheidungen und Bewertung von Maßnahmen befähigen. Im Kontext einer systemischen Beratung und dem Einsatz von Organisationsaufstel-lungen sind all diese Aspekte zu berücksichtigen (Abb. 5.1).

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Die Führung in Organisationen meint die Personalorganisation, -führung und -entwicklung. Letztere umfasst ein weites Feld der Diagnostik und der kontinuierlichen Bildung und Weiterbildung von fachlichen und Schlüssel-kompetenzen. Fragen der Personalführung beziehen sich heute i. d. R. auf die zielgerichtete Beeinflussung von Mitarbeitern durch Vorgesetzte. Da Organisa-tionen (jedenfalls bisher) zweckgebundene Systeme sind, die bestimmte Ziele zu erreichen suchen, beschreibt die klassische Literatur die Führungsfunktion einerseits als Antrieb (Lokomotionsfunktion) – die Mitarbeiter sollen dazu gebracht werden, die Ziele der Organisationsleitung zu erreichen. Und weil Menschen bekanntermaßen zu Dysfunktion neigen, wenn sie ausschließlich unter funktionalen Aspekten behandelt und bewertet werden, beschreibt sie die Führungsfunktion andererseits als Sorge um sozialen Zusammenhalt (Kohäsi-onsfunktion).

Dabei spielen in der Personalführung zahlreiche Faktoren und Bedeutungsebe-nen eine entscheidende Rolle, angefangen beim komplexen System Mensch, wei-ter über die schwierige strukturelle Kopplung von Mensch und seiner Funktion in der Organisation, bis hin zur Einbindung des Mitarbeiters in ein prozessuales Gesamtgefüge sowie in die soziale und fachgebundene Interaktion mit Kollegen. Die Führung von und in Organisationen ist also multifaktoriell. Sie ist maximal komplex und in ihren einzelnen Aspekten interdependent (Abb. 5.2).

Als ob das nicht schon genug zu berücksichtigen wäre, wird Führung aber nicht nur von autorisierten Führungspersonen betrieben, wie es die Betriebswirt-schaftslehre behauptet. Sie ist unter systemischen Gesichtspunkten interaktional

Abb. 5.1 Führung von und Führung in Organisationen

5.1 Führung von Organisationen, Führung in Organisationen

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und multidirektional zu verstehen. Das weist auch auf das potenzielle Vorhanden-sein informeller Führungspersonen. Ich gehe weiter unter näher darauf ein.

Systemische Berater, Organisations- und Personalentwickler brauchen dem-nach ein grundlegendes Wissen über gängige Formen der Führung, wie sie ihnen in der Regel im Organisationsalltag begegnen. In ihnen verbergen sich die ver-schiedenen Haltungen, die entscheidende Einflussfaktoren bei der Interaktion sind. Denn hier zeigen sich die Aspekte, die im Kontext der vielschichtigen syste-mischen Verbindungen zum Tragen kommen können.

5.2 Klassische Führungsstile

Führung ist eines der meistbehandelten Themen in der klassischen betriebswirt-schaftlichen und sozialwissenschaftlichen Literatur. Hier bezieht man sich bei-nahe ausschließlich auf die Personalführung und geht im Wesentlichen davon aus, dass der Führende außerhalb des zu führenden Systems steht – nämlich dar-über. Das gilt vor allem für die klassischen Führungsstile autoritär, laissez-faire und kooperativ (Abb. 5.3). Die Mitarbeiter sollen durch ein bestimmtes Verhalten

Abb. 5.2 Sachfunktionen und Sozialfunktionen der Führung. (Nach von der Oelsnitz 2012)

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zu etwas bewegt werden. Das kann jenseits einer Bewertung als manipulie-rende Absicht verstanden werden, die Führung als eine „wenn-dann“ Beziehung versteht: Wenn ich mich so verhalte, dann tust Du das oder das. Die klassischen Führungsstile sind daher eindimensional zu verstehen. Sie fokussieren auf die Frage: „Wie muss ich mich verhalten, damit der Andere das (für die Organisa-tion) tut, was ich will?“. Hierbei geschieht der Austausch indirekt, auf verschobe-nen Ebenen. Er lautet: „Weil Du von der Organisation Gehalt bekommst und mir unterstellt bist, muss Du tun, was ich Dir sage“.

Bezüglich der Graduierung im Verhalten gibt es das Führungskontinuum, das von den Amerikanern Robert Tannenbaum und Warren Schmidt veröffentlicht wurde (Harvard Business Review, March-April 1958) (Abb. 5.4). Es stellt eine Typisierung von Führungsverhalten dar, bei dem das relevante Kriterium der Par-tizipationsgrad der Mitarbeiter an Entscheidungen ist. Zwischen den Polen auto-ritär und autonom ergibt sich eine siebenfache Abstufung:

5.3 Transaktionale Führung

Die transaktionale Führung ist durch „*Management by … objectives/… sys-tems/… decision… rules etc.“ Modelle gekennzeichnet (* objectives: Führen durch die Vereinbarung von gemeinsamen Zielen/systems: Delegation, laufende Kontrolle und Rückmeldung/decision rules: Regelhandbücher für Prozesse). Auch sie basiert auf einer Austauschbeziehung. Dabei bezeichnet der Begriff der Trans-aktion den Austausch von Beiträgen zwischen Mitarbeitern und Führungskraft nach dem Prinzip von „Leistung-gegen-zusätzliche-Belohnung“ (Abb. 5.5).

Abb. 5.3 Klassische Führungsstile

5.3 Transaktionale Führung

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92 5 Führung

Abb. 5.4 Führungskontinuum nach Tannenbaum & Schmidt Siebenstufige Typologie alternativer Führungsstile anhand des Kriteriums der Partizipation bei Entscheidungen

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Anders als bei den klassischen Führungsstilen geht man hier davon aus, dass die einfache Austauschbeziehung Arbeit gegen Arbeitsplatz und Lohn für eine erfolgreiche Organisationsgestaltung und -entwicklung nicht ausreicht. Transak-tionale Führung versteht den Mitarbeiter vielmehr als rationalen Nutzenmaximie-rer, der fragt: „Welchen Zusatznutzen kann mein Engagement für mich haben, und wie kann ich diesen Nutzen maximal steigern?“

Motivation soll deshalb durch zusätzliche Belohnungsanreize von außen gesteigert werden wie z. B. durch Weiterbildung, Boni, Beförderung oder Arbeitserleichterung. Hier erkennt man bereits, warum transaktionale Führung irgendwann an ihre Grenzen stößt. Anreize verlieren erfahrungsgemäß schnell an Reiz und müssten dementsprechend andauernd erneuert oder gesteigert werden. Löhne und Boni sind nach oben naturgegeben nicht grenzenlos zu gestalten.

Der transaktionale Führungsstil hat ein zweidimensionales Verständnis und orientiert sich an der Frage: „Was muss ich dem Anderen an Nutzen bieten, damit er das tut, was ich für die Organisation will?“

5.4 Transformationale Führung

Auch die transformationale Führung basiert auf dem Prinzip des Tauschs. Anders aber als in der transaktionalen Führung ist hier das Tauschobjekt das gemeinsame (höhere) Ziel oder auch: die Vision (Abb. 5.6). Der Grundgedanke der transfor-mationalen Führung lautet: Der Geführte wird verwandelt (transformiert). Er setzt sich höhere (gemeinsame) Ziele und handelt deshalb nicht nur aus reinem Eigen-interesse.

Abb. 5.5 Transaktionale Führung

5.4 Transformationale Führung

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94 5 Führung

Der transformationale Führer weiß, wie er Einstellungen und Wünsche, Struk-turen, Normen und Denkweisen transformieren kann. Als charismatische Per-sönlichkeit weckt er Begeisterung für Werte, Ziele und Aufgaben und macht den Geführten zum Selbstführer (Stichwort Mitunternehmer). Allerdings wird hier ein großes Missbrauchspotenzial deutlich: Charisma kann leicht für destruktive Zwe-cke oder für die Erfüllung narzisstischer Bedürfnisse missbraucht werden. Die Idee der transformationalen Führung wird in den so häufig zitierten Worten von Antoine de Saint Exupéry deutlich: Wenn Du ein Schiff bauen willst (das Organi-sationsziel), so trommle nicht die Männer zusammen, die Holz beschaffen, Werk-zeuge vorbereiten, Holz bearbeiten und zusammenfügen (die Aufgaben, die zur Zielerreichung getan werden sollen), sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, unendlichen Meer (das höhere gemeinsame Ziel, die Vision).

Der transformationale Führungsstil ist dreidimensional ausgerichtet und orientiert sich an der Frage: „Wie kann ich den Anderen für ein höheres Ziel begeistern, damit er mit mir die Organisationsziele engagiert und selbstverantwortlich verfolgt?“

5.5 Agile Führung

Agile Führung ist ein Begriff, der in jüngerer Zeit in der Literatur auftaucht. „Die moderne Arbeitswelt verlangt nach agiler Führung“, so heißt es bei einem der großen bundesdeutschen Anbieter für Führungstrainings. Vertieft man sich jedoch in die Beschreibungen und Konzepte, so wird schnell klar, dass der Begriff der agilen Führung für alle Methoden verwendet wird, die beanspruchen, eine Ant-wort auf die zunehmende Dynamik angesichts wachsender Komplexität zu sein.

Als bedingende Kernkompetenz für ein Gelingen agiler Führung (und agilen Geführt-Werdens) gelten eine hohe kommunikative Fähigkeit sowie die Bereitschaft zu andauernder Reflexion und Feedback (Abb. 5.7). In einem immer komplexer

Abb. 5.6 Transformationale Führung

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95

werdenden Umfeld kommen hoch spezialisierte Experten zusammen, die gemein-sam Visionen entwickeln und angesichts einer rasanten Veränderungsdynamik Mög-lichkeiten und Methoden für ebenso schnelle Flexibilität und Reaktionsfähigkeit entwickeln. Hieraus ergibt sich eine notwendige Form der Führung, die als „Shared Leadership“ bezeichnet wird – Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, und diejenigen, die vorher als Führungskräfte alleine in der Verantwortung gestanden haben, sehen sich nun in der dienenden Rolle der Moderatoren und Mediatoren im Prozessgeschehen.

Die Einführung eines agilen Führungsstils fordert erhebliche Umstrukturie-rungen in der Organisation, Aufwandstreiber müssen analysiert werden, und Tätigkeitsstrukturanalysen sollen Aussagen über den Wirkungsgrad einzelner Tätigkeiten treffen. Für die prozess- und teamorientierten Entscheidungswege muss die Organisation sich nicht nur strukturell, sondern auch kulturell von der Vertikale in die Horizontale bewegen. Dass hierfür die Bereitschaft zur Verände-rung bei allen Beteiligten groß sein muss, versteht sich von selbst.

Wenn sich auch in der Literatur kein definiertes Konzept für agile Führung finden lässt, so kann man dennoch bestimmte Prinzipien subsumieren, die für Ansätze einer agilen Führung stehen (Abb. 5.8). Die Prinzipien Übersicht liest sich von links nach rechts so: Sinn stiften statt Ziele vorgeben/Ergebnisse erzielen, statt Pläne einhalten.

Sie kann auch von rechts nach links in Form von Fragen gelesen werden: Wel-che Ergebnisse brauchen wir, um einen gemeinsamen Sinn entwickeln zu können?/welche Strukturen sollten wir entwickeln, um unsere Prozesse gestalten zu können?

Zusammengefasst ist der agile Führungsstil also weniger ein Stil, sondern vielmehr eine Vielzahl an unterschiedlichen Methoden und Konzepten, die Ant-worten auf die wachsenden Experten-Anforderungen bei zunehmender Verände-rungsdynamik zu geben suchen. Die Führungskräfte orientieren sich dabei an der Frage: „Wie diene ich meinen Teams als Moderator und Mediator so, dass sie gemeinsam Entscheidungen treffen und Prozesse gestalten können?“

Abb. 5.7 Agile Führung

5.5 Agile Führung

Page 104: Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen f¼r systemische Personal- und Organisationsentwicklung

96 5 Führung

5.6 Systemische Führung

Das Verständnis von vieldimensionaler (komplexer) systemischer Führung ist ein frontaler Angriff auf jedes traditionelle Führungsverständnis – zumal der zusammengesetzte Begriff ein Widerspruch in sich ist: Systemisch verstanden gibt es nämlich gar keine Führung. Vielmehr wird die Idee eines Managers als weisungsbefugter Macher, der als Einzelner aufgrund seines Einflussmonopols eine Organisation und die Menschen darin steuert, durch eine auf Verbindun-gen ausgerichtete Grundhaltung ersetzt, die von zahlreichen und vielschichtigen

Abb. 5.8 Prinzipien agiler Führung; von links nach rechts: „so…statt so“

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97

Einflussquellen ausgeht. Dabei stehen die Aspekte der kritischen Reflexion und der Förderung einer kollektiven Selbstorganisation im Vordergrund.

In seinem Buch „Systemische Intervention in der Mitarbeiterführung“ schreibt Peter Steinkellner:

Das Problem der Intervention ist eines der Grundprobleme des praktischen Umgangs mit komplexen sozialen Systemen und daher auch der Schlüssel zur prak-tischen Bedeutung der Systemtheorie und des systemischen Denkens. Die gezielte Beeinflussung komplexer Systeme ist sehr voraussetzungsvoll und gelingende Inter-vention sehr unwahrscheinlich. Zum Normalfall wird vielmehr die Unwahrschein-lichkeit gelingender Intervention (Steinkellner 2006, S. 95).

Systemische Führung berücksichtigt zuvorderst die Erkenntnis, dass in Organi-sationen alles mit allem verbunden ist. Die Interdependenz betrifft die Verbin-dungen zwischen Strukturen und Leistungen, linearen Funktionen, inneren und äußeren Beziehungsebenen und Beziehungsnetzwerken. Gefragt ist deshalb eine Grundhaltung der Gewissheit, dass nichts ist, wie es (unserem Verstand) scheint, sowie ein sensibles Gespür für Wirkungszusammenhänge.

Dieses erfordert ein hohes Maß an Achtsamkeit und Selbstbewusstheit sowie eine ausgeprägte Empathie und Intuition. Nur wer sich selbst wahrnehmen kann, kann auch seine Verbindung zu anderen wahrnehmen und sich in dieser Verbin-dung dann kritisch reflektieren.

Systemische Organisationsführung fragt so gesehen nach der Fähigkeit, die eigene Person (individuell und funktional) sowie sämtliche Aspekte der Organisa-tion als verbundenes und sinnvolles Ganzes mit einer eigenen Vision wahrzuneh-men. Dieses Ganze will sich in seiner Autopoiese selbst entfalten und kann das nur, wenn es wie ein Organismus verstanden wird. Darüber hinaus beeinflussen das Umfeld – Märkte, der Standort der Organisation und sämtliche Anspruchs-gruppen – sowie sämtliche Teile und strukturellen Aspekte der inneren Orga-nisation einander andauernd gegenseitig. Das Ganze will in ein dem System dienendes rückkoppelndes Gleichgewicht gebracht und darin gehalten werden. Systemische Führung dient hier der kontinuierlich kritischen Betrachtung der Frage, wie das in der Gesamtgestaltung der Organisation gewährleistet bleiben und ggf. optimiert werden kann. Sie bedient sich dabei der autonomen Selbstor-ganisation der Systemmitglieder.

Systemische Personalführung versteht sich gleich einer Bewegung in kom-plexen sozialen Resonanzräumen, in denen es weniger um die zielorientierte, funktionale Passung zwischen Mensch und System, sondern vielmehr um eine

5.6 Systemische Führung

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98 5 Führung

identitätsbasierte, sinn- und werteorientierte Passung geht. Personalführungs-kräfte und Mitarbeiter bilden dabei eine arbeitsteilige Sinn- und Wirkgemein-schaft, deren Entwicklung als quasi automatische Wirklichkeitserschaffung (Autopoiese) in Kommunikationsprozessen zu verstehen ist.

Diese Wirkgemeinschaft ist operational geschlossen, weil alle Handlungen auto-nom und selbstreferenziell entschieden werden (vergleiche: Funktionsprinzipien für Systeme). Systemische Personalführung hat deshalb zuvorderst die Aufgabe, eine identitätsbasierte und sinnorientierte Kultur für Autopoiese zu ermöglichen. So sagt denn auch Laloux sinngemäß: Führen ist ermöglichen (Abb. 5.7).

Und so gesehen kann prinzipiell jeder Mensch im System als „informeller Führer“ verstanden werden – denn jeder gestaltet die Organisation mit. Für Orga-nisationsaufsteller gilt deshalb im Allgemeinen wie im Besonderen immer wieder die Frage, wer im System auf welche Weise Einfluss durch Mitgestaltung ausübt.

Die Leitfrage der systemischen Führung lautet: „Was will sich in unserem Sys-tem entfalten, und wie können wir das gemeinsam gestalten?“ (Abb. 5.9)

(Systemische) Führung ist eine SystemfunktionBei all dem muss dann – ausgehend von der Erkenntnis, dass Menschen Funkti-onselemente eines Organisationssystems sind – Führung als Systemfunktion ver-standen werden, deren Zweck es eben auch ist, das System kontinuierlich kritisch zu reflektieren.

Torsten Groth, Dozent am Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU) der Universität Witten/Herdecke, nennt diese Art der Führung die Führung 2.

Abb. 5.9 Systemische Führung

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99

Ordnung und sagt hierzu in seinem Buch „66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung“:

Führung wird als eine Funktion betrachtet. In einem Sozialsystem bzw. in der Kom-munikation vollzieht sich Führung, sofern reflektiert und kontrolliert wird, ob die gegenwärtige Praxis noch zu den zukünftigen Anforderungen passt. Führung wird damit zu einer Fähigkeit des Systems, sich hinterfragend zu beobachten. Führung vollzieht sich als eine Prüfschleife und bemisst sich in ihrem Erfolg daran, dass diese Prüfung auch zu beobachtbaren organisationalen Veränderungen führt. Dieser These folgend ist Führung eine Form reflektierender Kommunikation (Groth 2017, S. 83).

Diese Fähigkeit zur kritischen Reflexion fordert ein gewisses Nichtwissen in Bezug auf alle Determinanten der Organisation, oder anders gesagt: Systemische Führung muss in einem kontinuierlichen Prozess paradoxe Optionen entfalten, die zum Beispiel lauten können: „Das ist vielleicht genau das richtige Angebot für unsere Zielgruppe“, „Das ist vielleicht genau das falsche Angebot für unsere Zielgruppe“. Erst durch die Verbindung mit der Zielgruppe ergeben sich Wirk-lichkeiten, und diese lassen sich ausschließlich am Grad des systemischen Selbst-erhalts bemessen.

Systemische Führung umfasst also die kontinuierlich kritische Hinterfragung dessen, was ist (Führung 2. Ordnung) – sowie die Fähigkeit, Personal und Orga-nisation zu einem lernenden Organismus zu verbinden und eine individuelle wie kollektive Kompetenz für mögliche oder gar nötige Änderungen zu erzeugen (Führung 1. Ordnung) (Abb. 5.8).

Hierzu noch einmal aus dem Buch von Steinkellner:

Aufbauend auf die systemtheoretische Sichtweise, welche Organisationen als autopoi-etisch geschlossene soziale Systeme auffasst, deren Basiselement Kommunikation ist, wird von der Fixierung auf Personen abgerückt. An deren Stelle treten Kommunika-tionen und die sie steuernden und von ihnen produzierten Strukturen. Organisationen bestehen aus Kommunikationen, die nicht auf irgendein Ereignis von außen reagieren können, sondern die immer nur auf Kommunikationen mittels weiterer Kommunika-tion reagieren. Eine Kommunikation schließt hierbei an die andere an. Diese Über-legungen ergeben sich unmittelbar aus dem Gedanken der operativen Schließung sozialer Systeme mit Kommunikation als Baustein (Steinkellner 2006, S. 99).

Führen von Organisationen und in Organisationen heißt, aus dieser Perspektive nicht Sachen und Menschen bestimmen. Es heißt erstens, kritisch zu reflektieren, zweitens fördernde Strukturen für Kommunikationsprozesse zu implementieren und drittens, kollektive organisationale Kompetenz und Lernkompetenz zu erzeu-gen (Abb. 5.10).

5.6 Systemische Führung

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100 5 Führung

Literatur

Groth, T. (2017). 66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung (S. 83). Heidelberg: Carl-Auer.

Oelsnitz, D. von der. (2012). Einführung in die systemische Personalführung. Heidelberg.Steinkellner, P. (2006). Systemische Intervention in der Mitarbeiterführung (S. 95, 99).

Heidelberg: Carl-Auer. http://www.systemagazin.de/bibliothek/texte/steinkellner_syst_fuehrung.pdf.

Abb. 5.10 Systemische Führung ist eine Systemfunktion

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Teil IIOrganisationsaufstellungen – Praxiswissen

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Einleitung

Das Praxisfeld der Organisationsaufstellungen ist groß – wie groß, das erschließt sich, wenn man sich die umfassenden Tätigkeitsfelder verdeutlicht, mit denen Organisationen tagtäglich befasst sind.

Ob es sich um strategische Entwicklungsfragen der Organisation, um Marken-entwicklung oder um strukturelle oder prozessgestaltende Fragen handelt; ob es um die Zusammensetzung eines Portfolios geht oder um die Kommunikation mit den verschiedenen Anspruchsgruppen – all dies sind Beispiele aus dem großen Bereich der Organisationsentwicklung, bei der die Qualität der Verbindungen zwischen den erfolgskritischen Aspekten gestaltet werden will.

Dazu kommt das große Feld der Personalentwicklung, in dem sich der Bogen von der Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Menschen über Fragen seiner Qualifikation und Weiterbildung bis hin zu Fragen von Kooperation, Führung und Geführtwerden spannt. Auch hierbei geht es i. d. R. darum, die Verbindungen im Interesse der übergeordneten Organisation zu leben, zu pflegen, zu führen und gegebenenfalls zu optimieren.

Außerdem ist im ersten Teil des Buchs deutlich geworden, dass es sich bei Organisationsaufstellungen nicht nur um eine Methode handelt. Vielmehr sind sie einerseits operativer Ausdruck einer Haltung, die Organisationen als ganzheitli-che, selbstorganisierte und sinnorientierte Systeme versteht, einer Haltung zudem, die meditative Präsenz, Zentriertheit und Unvoreingenommenheit braucht, um gegenüber dem, was sich zeigt oder auch angesichts eventuell nötiger Verände-rungen und möglichem Neuen offen zu bleiben.

Andererseits bieten Organisationsaufstellungen – wie keine andere Methode – den Zugang zu den vielschichtigen komplexen Wirkungsebenen von und in

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_6

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104 6 Einleitung

Organisationen und erlauben Erkenntnisse, die weit über das rational Fassbare hinausgehen. Auch damit dienen sie dem integral evolutionären Anspruch an Ganzheitlichkeit, der sich in dem Paradigmenwechsel manifestiert, der im Kapitel Organisationsstrukturen eingehend beschrieben wurde.

Nichtsdestotrotz, bei aller über- (oder unter-)geordneten Haltung – ein guter Organisationsaufsteller braucht eine sichere Professionalität bei der Anwendung der Methode, und er braucht einen gut bestückten Handwerkskasten, um die vie-len verschiedenen Anwendungsbereiche mit entsprechenden Formaten bedienen zu können. Der zweite Teil des Buchs geht auf alle damit verbundenen Fragen und Aspekte im Einzelnen ein und legt sie – analog zum Beratungsprozess – Schritt für Schritt dar.

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Das ist eine Organisationsaufstellung

ZusammenfassungAuf die Frage, was genau eine Aufstellung sei, gibt es zahlreiche Antworten, die von strukturellprozessualen bis hin zu tiefgehenden spirituellen Verständnis-ansätzen reichen. In diesem Kapitel beschränke ich mich einleitend auf die rein beschreibende Erklärung einer Systemaufstellung. Im Anschluss beleuchte ich alle praxisrelevanten Aspekte der Organisationsaufstellung, von möglichen The-men- und Anwendungsbereichen über gängige Formate und Fragen des Aufstel-lungsorts.

7.1 Eine systemisch-präsentische Methode

Eine Organisationsaufstellung ist eine systemisch-präsentische Methode – sie ist die räumliche Abbildung von strukturellen und sozialen Beziehungen einer Orga-nisation in ihrem Inneren oder zu ihrem Umfeld (Abb. 7.1). Räumliche Abbil-dung meint: Für die Elemente, über deren Beziehung ein Auftraggeber etwas erfahren will, stehen Menschen (Stellvertreter) oder Objekte an einem bestimm-ten Platz im Raum.

Die Elemente können einzelne Mitarbeiter oder Personalgruppen sein, z. B. Inhaber, Teams, Abteilungen, Kunden. Es können Dinge sein, z. B. Produkte, Leistungen, Strukturen, Verträge. Und schließlich können es Aspekte bzw. Werte sein, z. B. Visionen, Werte, Vergangenheit, Vertrauen (Abb. 7.2).

Die Stellvertreter nehmen an ihrer Position wahr, wie die Qualitäten der Beziehungen im Aufstellungsfeld auf sie wirken. Das gilt natürlich nur, wenn Menschen die Stellvertreter sind. Die Arbeit mit stellvertretenden Objekten oder mit sog. Bodenankern ist eine Sonderform, auf die ich später eingehen werde.

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106 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

Stehen jedenfalls Menschen als Stellvertreter, werden Wahrnehmungen und Erkenntnisse möglich, die einer rational-logischen Analyse i. d. R. nicht zugänglich sind und deshalb für unseren Verstand bisweilen irritierend sein können. Die Stell-vertreter erfassen im Wesentlichen die Komplexität des jeweils genannten Anliegens, sie nehmen Wirklichkeit wahr und formulieren ein Wissen um mögliche Lösungen.

Abb. 7.1 Das ist eine Organisationsaufstellung

Abb. 7.2 Organisationselemente

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107

Die Erklärung dafür, warum Aufstellungen funktionieren und die Stellvertreter mit bisweilen verblüffend umfangreichem Wissen für eine bessere Funktion der Organisation aufwarten, reichen weit in die wissenschaftlichen Tiefen von Neu-rologie, Neurobiologie und Quantenphysik. Hierüber gibt es inzwischen einige Veröffentlichungen. Prof. Dr. Thomas Görnitz, langjähriger Mitarbeiter des deut-schen Physikers und Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker (1912–2007), der Mitte der 1950er-Jahre auf der Basis der klassischen Informationstheorie und Quantenmechanik die Ur-Theorie entwickelt hatte, legte 2015 bei einer Veranstal-tung der Deutschen Gesellschaft für Systemaufstellung in Königsstein eindrück-lich dar, warum Aufstellungsarbeit angewandte Quantenphysik ist.

Zwar genießt die Methode inzwischen wissenschaftliche (empirische) Aner-kennung, die Unzugänglichkeit für den rationalen Verstand aber macht es verständlicherweise bis heute nicht leicht, ihr einen adäquaten Platz in der Orga-nisationsberatung zu sichern.

7.2 Anwendungsbereiche der Organisationsaufstellung

Wie bereits erwähnt, gibt es im Wesentlichen keinen organisationalen oder per-sonalen Bereich, in dem nicht mit Organisationsaufstellungen gearbeitet werden kann. Ihr Einsatzbereich umfasst Fragen zu(r):

Markt, Wettbewerb, Marktentwicklung und TrendsDie Eigenheiten des MarktsWettbewerber im MarktMarktentwicklung – spezifische und übergeordnete Trends

OrganisationsgestaltDie Organisationsmarke und ihr MarkenkernVision und Mission, Kultur und WerteWesen und BeschaffenheitErscheinungsbild

OrganisationsstrukturDie Organisation und ihre konstituierenden ElementeDie Beziehung von Funktionsbereichen bzw. AbteilungenOrganigramme und EntscheidungsprozesseProzesse und SchnittstellenVerträge

7.2 Anwendungsbereiche der Organisationsaufstellung

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108 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

Erhalt und WeiterentwicklungStrategie und ZieleSelbsterhalt und WeiterentwicklungUnveränderbare und veränderbare OrganisationselementeControllingForschung und EntwicklungLernende OrganisationInnovation und IdentitätVeränderungsprozesseNachhaltigkeit und Ökonomie

Angebot, Vertrieb, MarketingProduktentwicklung, AngebotsentwicklungProduktmarke, DienstleistungsmarkeProduktanalyse, DienstleistungsanalysePortfoliogestaltungMarktforschungAngebot und PreisVertrieb und KundeA-, B- und C-Kunden

Kommunikation und BeziehungsmanagementCorporate CommunicationMarketing, Vertrieb und VerkaufKundenbeziehungsmanagementAnspruchsgruppenbeziehungsmanagementProjektmanagement

FührungFührungsmodelle und FührungsstileLeadership vs. ManagementOrganisationseigner und ManagementSelbstführung und MotivationFührung und Abteilung/TeamFührung zwischen Weisungsgebundenheit und WeisungsbefugnisCompliance

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Gruppen und KooperationZusammenstellung des TeamsDas Individuum im TeamRollenmodelle im TeamTeamkonflikte

Personal und EntwicklungEine Stelle neu besetzenAssessmentcenterPersonaleinsatzPerson und FunktionPerson und KompetenzPotenziale und FähigkeitenSelbstorganisation und EigenverantwortungPersönlichkeitsentwicklungWeiterbildung

7.3 Grundformen der Organisationsaufstellung

Unabhängig vom Anwendungsbereich gibt es verschiedene Ausrichtungen, auf die eine Organisationsaufstellung fokussieren kann. Hieraus ergeben sich die For-mate, die angewendet werden können.

Analysefokussierte OrganisationsaufstellungDie analysefokussierte Aufstellung dient der Frage: Womit haben wir es hier zu tun? Sie kann zeigen, wie etwas zusammenhängt und welche Wirkung das erzeugt. Weil Systeme komplex und ihre Elemente damit interdependent sind, stellt sie einander im System bedingende Wirkungen dar. Aus dem Erkenntnis-gewinn über die Beziehungswirkungen lassen sich Gestaltungsmöglichkeiten für Interventionen, Veränderungen oder gar Lösungen ableiten.

Lösungsfokussierte OrganisationsaufstellungDie lösungsfokussierte Organisationsaufstellung dient der Frage, wie die Bezie-hungen strukturiert sein müssen, damit ein wie auch immer gearteter problema-tischer Umstand einer Lösung zugeführt werden kann. Natürlich kann es sein, dass die Zeit für eine Lösung noch nicht reif ist, weil bestimmte Entwicklungen noch nicht stattgefunden haben. Auch das kann in lösungsfokussierten Formaten erkannt werden. Mit dem Fokus auf das gewünschte Ziel der Lösung können sol-che Formate deshalb auch Elemente der Simulation beinhalten.

7.3 Grundformen der Organisationsaufstellung

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110 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

Kontextrelevante ZielaufstellungenKontextrelevante Zielaufstellungen fokussieren einerseits auf ein Ziel und geben Informationen darüber, wie dieses erreicht werden kann. Sie betrachten zugleich mögliche Aspekte, die von der Zielerreichung betroffen sein können, und geben damit Auskunft darüber, welchen Einfluss die Zielerreichung auf diese haben kann. Die Kontextrelevanz kann durch simulierende Elemente erkannt werden.

Simulierende OrganisationsaufstellungInsbesondere bei offenen Was-wäre-wenn-Fragen eignen sich simulierende Auf-stellungsformate, die die Alternativen der strukturellen Gestaltung und deren Wir-kungen im System abbilden können.

Verdeckte AufstellungBei der verdeckten Aufstellung gibt es verschiedene Anwendungsmöglichkeiten. Eine ist: Bis auf den Klienten selbst weiß niemand, worum es geht. Weder ist das Anliegen bekannt, noch wissen die Stellvertreter, für wen sie stehen. Mögli-che Erkenntnisse ergeben sich ausschließlich aus dem Geschehen im Feld. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Aufstellungsleiter darüber informiert ist, worum es geht, und in Absprache mit dem Klienten legt er dann fest, welche Protagonis-ten stellvertreten werden. Die Stellvertreter selbst wissen nicht, für wen sie ste-hen, und sie kennen auch das Anliegen nicht.

Für verdeckte Aufstellungen kann es verschiedene Gründe geben. Einer kann sein, dass die Stellvertreter möglichst unvoreingenommen von den Wahrnehmun-gen auf ihren Positionen berichten sollen. Ein anderer dient z. B. dem Schutz vor Identifizierbarkeit, insbesondere da, wo Bloßstellung gefürchtet wird.

Symptomaufstellung – auch PhänomenaufstellungSystemisch verstanden hat ein Symptom eine Funktion. Es wird selbst nicht als Störung verstanden, sondern vielmehr als wertvoller Hinweisgeber – es drückt aus, was im System wirkt. Weil der Begriff Symptom i. d. R. mit der Idee von persönlichen Krankheitsbildern konnotiert ist, spreche ich im organisationalen Kontext häufiger auch von Phänomenaufstellungen. Als wertvoller Hinweisge-ber gilt in diesem Format das Symptom bzw. Phänomen als freies Element, dem Bewegungen und Äußerungen jederzeit erlaubt sind.

StrukturaufstellungDie Strukturaufstellung wurde ursprünglich von Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd als konstruktivistisches Aufstellungsformat entwickelt. Sie fokussiert ausschließlich auf die Beziehungsaspekte zwischen Strukturelementen. Davon gibt

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111

es in Organisationen zahlreiche, wie z. B. Abteilungen, Produkte und Verträge oder auch Qualitäten und Werte, Hindernisse und Ideen, um nur einige zu nennen.

ProblemaufstellungDie Problemaufstellung gehört zu den Strukturaufstellungen und kann für unter-schiedlichste Arten von Problemlösungen eingesetzt werden. Die aufzustellenden Systemelemente sind:

Der Fokus – Träger des ProblemsDas Ziel – das, was erreicht werden sollDas Hindernis – das dem Erreichen des Ziels im Weg stehtDie Ressource – für das Erreichen des ZielsDer Gewinn – oder auch der Nutzen, den Problem für das System hatDie Aufgabe – für die Zukunft, nachdem das Ziel erreicht wurde.

TetralemmaaufstellungAuch die Tetralemmaaufstellung gehört zu den strukturellen Formaten und eig-net sich in Situationen, in denen es keine Möglichkeit der Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten zu geben scheint. Die vier Systemelemente mit unveränderli-chen Positionen in einer quadratischen Anordnung sind:

Das eine – die vielleicht näher liegende AlternativeDas andere – die andere AlternativeBeide – das, was beide möglicherweise verbindetKeines von Beiden – wenn keine der Alternativen stimmt oder wenn und es eventuell übersehene Alternativen oder Aspekte gibt

Außerdem gibt es ein fünftes freies Element:All dies nicht und selbst das nicht – die vierfache Verneinung, das freie Element

Und schließlich steht ein Stellvertreter für den Fokus – das ist die Person, die sich im Dilemma befindet:Der Fokus – der Klient, der sich im Entscheidungsdilemma befindet

PolaritätenaufstellungDie Polaritätenaufstellung gehört ebenfalls zu den strukturellen Formaten und wid-met sich einer Polarität. Hier gibt es wiederum verschiedene Möglichkeiten, eine Polarität darzustellen. Eine habe ich weiter vorn im Buch beschrieben, sie besteht aus den Positionen das eine/das andere/dasselbe. Die Annahme bei diesem Format

7.3 Grundformen der Organisationsaufstellung

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112 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

ist, dass scheinbare Widersprüchlichkeiten Ausdruck desselben sind, so wie z. B. warm und kalt zwei Zustände von Temperatur sind.

Darüber hinaus gibt es noch die Polaritätenaufstellung der Überzeugungen, die (m)eine organisationale Übersetzung der von Matthias Varga von Kibéd ent-wickelten Glaubenspolaritätenaufstellung ist. Das Format dient der Reflexion von Werten und der gegebenenfalls gewünschten Modifizierung von Überzeugungen. In jedem System sollten nach Varga von Kibéd idealerweise alle drei Qualitäten ausgewogen vorhanden sein, für die diese Positionen in Form eines Dreiecks besetzt werden:

Das Positive – Vertrauen, Sympathie, Freundschaft o. ä.Die Ordnung – Hierarchie, StrukturDas Wissen – Kompetenz, Erfahrung, FachwissenDie vierte Position ist ein freies ElementDas übergeordnete Wissen – ein freies Element für wertvolle Hinweise

Reine Formen und MischformenSo wichtig die Entscheidung darüber ist, welche Form der Aufstellung sich für ein Anliegen eignet, so zugleich eindeutig voneinander abzugrenzen sind manche Formate nicht immer. Dabei sind aber z. B. die Tetralemma- oder die Polaritäten-aufstellung reine, d. h., festgelegte Formate, die i. d. R. nicht mit anderen Forma-ten gemischt werden.

7.4 Art und Ort der Organisationsaufstellung

Vor einer Organisationsaufstellung gilt es zu klären, ob sich das Anliegen für eine Einzelarbeit eignet oder besser in der Gruppe bearbeitet werden könnte. Wäre eine Aufstellung in der Gruppe geeignet, stellt sich die Frage, ob die Organisationsauf-stellung in der Organisation oder ob sie außerhalb der Organisation stattfinden soll.

7.4.1 Organisationsaufstellung in der Einzelarbeit

Für die Einzelarbeit bieten sich Figuren oder Bodenanker an.

TischfigurenVerwendet man kleine Figuren und arbeitet mit dem Klienten am Tisch, gilt des-sen Blick dem Gesamtgefüge und er äußert, wie er die aufgestellte Konstellation wahrnimmt, welche Vor- und Nachteile er hier eventuell erkennt und wie er diese

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113

zugunsten seines Anliegens verändern könnte. Hier ist die Frage: Wie fühlt es sich für mich an, wenn ich sehe, wie A da steht, oder wenn ich sehe, wie A in Bezie-hung zu B steht?

Größere Objekte als StellvertreterBei der Arbeit mit größeren Objekten werden diese in den Raum gestellt – z. B. Papprollen oder Plastikrohre (mit einer Markierung für die Blickrichtung und einer Bezeichnung, wofür sie stehen). Durch ihre Größe (80–100 cm hoch) haben sie eine andere Wirkung auf den Klienten als die kleinen Figuren auf dem Tisch. Hier hat er weniger Überblick über das Gesamtgefüge als vielmehr eine Ansicht oder besser noch eine Einsicht – er kann sich zwischen den Objekten im Feld bewegen. Hier ist die Frage: Wie fühlt sich das Feld von außen an und wie fühlt es sich bei den jeweiligen Positionen an, wenn ich mich durch das Feld bewege?

BodenankerBodenanker sind auf dem Boden liegende Papiere oder Filze, auf denen Blick-richtung und Bezeichnung (für welches Element liegen sie?) notiert sind. Wie bei der Arbeit mit Tischfiguren hat der Klient zunächst die Möglichkeit, das Gesamt-gefüge zu überblicken und dadurch sozusagen aus der Distanz auf sich wirken zu lassen. Danach bewegt er sich – wie bei der Arbeit mit größeren Objekten – durch das Feld und stellt sich dann auf oder hinter die einzelnen Blätter.

7.4.2 Organisationsaufstellung in der Gruppe

Für die Arbeit mit einer Gruppe sind einige Aspekte bezüglich der Frage, ob die Organisationsaufstellung in oder außerhalb der Organisation erfolgen soll, zu berücksichtigen.

In einer Organisation gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sind die Mitarbeiter sowohl Zuschauer als auch Stellvertreter oder die Stellvertreter sind Personen, die von außerhalb kommen und die Organisation nicht kennen.

Wenn die Mitarbeiter als Stellvertreter in ihrer Organisation stehen sollen, eignen sich i. d. R. Strukturaufstellungen, in denen sie für Personengruppen und andere Organisationselemente stehen. Jede Organisationsaufstellung, in der die Mitarbeiter für einzelne Personen stünden, betrachte ich grundsätzlich als kritisch, weil hier i. d. R. die Gefahr der Entblößung Einzelner gegeben ist. Ich kalkuliere außerdem, dass die Mitarbeiter keine geübten Stellvertreter sind und möglicherweise dazu tendieren könnten, ihre Vorstellung von der Person, für die sie stehen, zu inszenieren.

7.4 Art und Ort der Organisationsaufstellung

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114 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

Unabhängig von der jeweils gewünschten Form der Organisationsaufstellung lasse ich Mitarbeiter nur dann für einzelne Personen stehen, wenn ich vorher auf die Risiken aufmerksam gemacht habe und diese Form ausdrücklich gewünscht wird. Das trifft z. B. auf die Arbeit mit kleineren Teams zu, die ein offenes per-sönliches Miteinander pflegen.

Außerhalb einer Organisation gibt es ebenfalls die beiden Möglichkeiten der Stellvertreter durch Mitarbeiter oder durch fremde Personen. Für die erste Mög-lichkeit gilt das oben Gesagte.

Die zweite Form ist als singuläre Arbeit die gemeinhin unverfänglichste. Mit singulär meine ich: Hier kann ein Mitarbeiter einer Organisation ohne seine Kol-legen seine Anliegen mithilfe der Unterstützung geübter Stellvertreter bearbeiten. Er muss hierbei nicht die Identität der Organisation preisgeben. Führungskräfte empfinden das bisweilen durchaus als entlastend.

Ich habe auch schon Organisationsaufstellungen für Inhaber-, Management- oder Arbeitsteams in meinen eigenen Räumen gemacht, bei der fremde Stell-vertreter für die Protagonisten standen, die wiederum alle persönlich anwesend waren. In einem Fall zeigten sich in einem Inhaberteam (Gesellschafter) dabei derart heftige Verwerfungen, dass sich die Organisation im Anschluss aufgelöst hat. Wir hatten zwar vorab über eine solche Möglichkeit gesprochen, die Theo-rie ist aber bei Weitem nicht so erschreckend wie der eventuell eintretende Fall. Ich habe mich später gefreut zu erfahren, dass die Folgen der Auflösung für alle Beteiligten schlussendlich von Vorteil waren.

Fazit zum Ort der OrganisationsaufstellungWirklichkeit wirkt immer, und es wird meiner Erfahrung nach kaum gelingen, für alle Eventualitäten Sicherungssysteme einzubauen. Als Faustregel aber würde ich sagen, dass sich für Gruppenprozesse in der Organisation bevorzugt das Format der Strukturaufstellung eignet. Für persönliche Themen, bei denen es um einzelne Personen geht, die stellvertreten werden, eignen sich eher Veranstaltungen außer-halb der Organisation und hier wohl eher singuläre Aufstellungen, bei denen der Klient als einziges Mitglied seiner Organisation anwesend ist.

7.5 Erstgespräch und Auftragsklärung

Bevor die Entscheidung über eine Organisationsaufstellung getroffen wird, braucht der systemische Berater eine Vorstellung davon, wer – aus der Sicht sei-nes Auftraggebers – die Protagonisten einer dargelegten Störung sind. Er sollte

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auch erfragen, wer die Verantwortlichen mit Blick auf die gegebenen hierarchi-schen Strukturen sind. Bereits in dieser Phase vermittelt sich ein erster Eindruck von den möglichen Dimensionen einer Störung ebenso wie von der Haltung, mit der die möglichen Auftraggeber der Störung begegnen.

Wenn sich der Berater darüber bewusst ist, in welchem organisationalen Bereich die Störung zu verorten ist, kann er weitere entscheidende Fakten abfragen. Eine wichtige Frage ist z. B. die nach der Kette der Weisungsbefugnis oder nach einem Organigramm, nach klaren Regeln und Vorgaben – und in diesem Zusammenhang natürlich danach, wie die Leitungs- und Führungspositionen ausgefüllt werden und welchen Regularien sie unterliegen. Im Anhang habe ich zu den eventuell nötigen Fragen über Eigentumsverhältnisse sowie Rechte und Pflichten in der Organisation ebenso eine Übersicht zusammengestellt wie über die gemeinhin üblichen Organi-sationsformen, wie sie im Profit- und Non-Profitbereich vorkommen.

An dieser Stelle möchte ich erfahrungsgemäß typische Gesprächssituatio-nen beschreiben, die für die Auftragsklärung von Bedeutung sein können. In der Regel ist es so, dass der Bedarf für eine Beratung dann aufkommt, wenn es eine einzelne Störung in der Organisation gibt. Systemisch gesehen gibt es keine ein-zelnen Störungen – sie sind symptomatischer Ausdruck der dahinter- oder darun-terliegenden Zusammenhänge (Abb. 7.3).

Zugleich sind die als Störung empfundenen Symptome aber natürlich ein guter Anlass, sich dem System Schritt für Schritt zu nähern und den Beteiligten eine

7.5 Erstgespräch und Auftragsklärung

Abb. 7.3 Regeln für die Auftragsklärung

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116 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

Orientierung bezüglich ihrer jeweiligen Verbindungen zu ermöglichen. Dabei gibt es (beinahe typische) Sätze in Vorgesprächen, die einen systemischen Berater hell-hörig werden lassen sollen. Denn sie könnten Hinweise auf mögliche sog. Auf-tragsfallen bezeichnen. Die folgenden Beispiele sollen das näher erläutern.

Machen Sie uns erfolgreich.Diese Aufforderung kommt in zahlreichen Formulierungsalternativen daher und meint: Werden Sie Teil unserer Organisation und übernehmen Sie die Verantwor-tung für uns.

Regel 1: Der systemische Berater bleibt immer außerhalb des zu beratenden Systems.

Regel 2: Der systemische Berater ist niemals verantwortlich für den Erfolg der Organisation.

Lassen Sie mich aus dem Spiel.Diese Aufforderung kommt i. d. R. von Abteilungs- und Teamleitern, immer wieder auch von Gesellschaftern, die Störungen in ihrem Management monie-ren. Das Aus-dem-Spiel-lassen meint: Ich mache alles richtig und brauche keine Beratung. Das Problem sind die anderen. Die sollen in meinem Sinn repa-riert werden.

Regel 3: Der Auftraggeber ist untrennbarer Teil seiner Organisation.Regel 4: Einzelne Elemente der Organisation können nicht losgelöst vom

Ganzen verstanden werden.

Wir haben hier schon so viele Trainings gemacht.Diese Aussage zeigt, dass es keine ökonomische Grundausrichtung in Bezug auf Veränderung und Entwicklung, vielleicht sogar Verbesserung gibt. Sie kann auch ein Hinweis darauf sein, dass es kein wirkliches Interesse an Veränderung gibt. Schon-so-viele-Trainings-gemacht meint nicht selten: Wir haben kein wirkliches Interesse an nachhaltiger Veränderung. Wir geben gern Geld dafür aus, dass alles so bleibt, wie es ist.

Regel 5: Der Wunsch nach Veränderung setzt Mut und die Bereitschaft vor-aus, die Dinge anders zu tun.

Regel 6: Die geäußerte Einschätzung möglicher systemischer Interventionen zeigt, ob sie als Möglichkeit für die Entwicklung der Organisation verstanden werden.

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7.5.1 Grundhaltungen in der Gesprächsführung

Es gibt einige hilfreiche Grundhaltungen und Methoden, um in einem Erstge-spräch nicht auf das Glatteis dessen zu geraten, was dem Berater bei der Darstel-lung des Anliegens gesagt wird. Ich nenne es deshalb Glatteis, weil das Gesagte erstens einer inneren Logik folgt, die immer in sich schlüssig zu sein scheint, und weil der Auftraggeber zweitens aufgrund der Systemzugehörigkeit blinde Flecken haben kann (auf dem eigenen Auge…). In der Regel beginnt die Beratung schon bei der ersten Begegnung und der Klärung des eigentlichen Auftrags.

Doppelte WahrnehmungDie Haltung des systemischen Beraters im Gespräch heißt: Ich höre nicht, was er sagt, sondern ich lasse auf mich wirken, wie es sich anfühlt und wie er es sagt. Diese Grundhaltung setzt den Zustand der doppelten Wahrnehmung voraus. Damit meine ich: Ich spüre mich selbst und ich spüre den anderen. So nehme ich mich und zugleich mein Gegenüber wahr. Der optimale Zustand für die doppelte Wahrnehmung ist so gesehen ein meditativer: Den eigenen Atem wahrnehmen, nach innen spüren und wahrnehmen, was ist.

Wie fühlt es sich an, was mein Gegenüber sagt – gehetzt, enttäuscht, ärgerlich?Wie klingt seine Stimme – ist sie fest und klar, sonor, leicht kratzig oder vielleicht

eher gepresst?Welchen Gesichtsausdruck sehe ich – einen fordernden, einen freundlichen, einen

entschiedenen?Wie ist die Kopfhaltung – geneigt, nach hinten? Werde ich angeschaut? Gibt es

Momente, in denen die Augen nach oben rechts/links oder nach unten schauen?Haben Sätze eine Wirkung auf seinen Körper, kann ich eine plötzliche Bewegung

erkennen?Was machen die Hände – liegen sie ruhig, reiben sie einander, sind sie verkrampft?Haben die Sätze eine Wirkung auf meinen Körper?

Das sind natürlich nur einige Beispiele und es geht mir hier nicht darum, dass man all das, was man wahrnehmen kann, im Hinterkopf behalten muss, wenn man in einem Auftragsklärungsgespräch sitzt. Es geht vielmehr um eine Haltung der ganzheitlichen Wahrnehmung, bei der man – selbstverständlich – dem ande-ren zuhört, sich dabei aber insgesamt mehr auf den Gesamteindruck konzentriert, als auf die inhaltlichen Details des Gesagten.

Ich habe wiederholt die Erfahrung gemacht, dass ich gerade in dieser ganz-heitlich wahrnehmenden Grundhaltung ein besonderes Ohr für merkwürdige Aus-sagen oder individuelle Sinnkonstruktionen habe – mir erschließt sich nicht

7.5 Erstgespräch und Auftragsklärung

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118 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

selten dabei, nach welchen Mustern mein Gegenüber seine Wirklichkeit konstru-iert. Natürlich handelt es sich bei den ersten zu benennenden Eindrücken meiner Wahrnehmungen um meine (konstruierten) Hypothesen. Genau diese aber kann ich dann meinem Gegenüber anbieten, um eine vertiefte Verbindung der Verstän-digung herzustellen.

Die doppelte Wahrnehmung nutzt jedenfalls unsere Fähigkeit zu Empathie und Intuition und ermöglicht es uns, zu spüren, welche Gefühle, Wertstellungen und eventuell auch persönlichen Aspekte mit einem organisationalen Thema verbun-den sind.

Das Ich im SpiegelWas er/sie über andere sagt, sagt er/sie über sich selbst – diese Grundhaltung geht davon aus, dass wir spiegelgleiche Begegnungen in unseren Resonanzräu-men haben bzw. kreieren. Wir sehen uns selbst im Spiegel unseres Gegenübers. Er wird zu unserer Projektionsfläche. Das ist uns nicht bewusst – wir denken, wir sehen einen anderen. Dementsprechend sprechen wir über ihn. Hierbei gibt es die direkte Spiegelung, die zum Beispiel die eigene (unterdrückte oder als schlecht bewertete) Aggressivität beim anderen vermutet. Diese Spiegelung heißt auch Projektion. Es gibt außerdem die spiegelverkehrte Spiegelung, bei der die Aus-sage „die sind unfähig zu tun, was man ihnen sagt“ bedeutet: „Ich bin unfähig ihnen zu sagen, was sie tun sollen“.

PapageiPapagei meint die wortwörtliche Wiederholung dessen, was der andere sagt. Das hat nicht selten zur Folge, dass sich die Gedanken beim Gegenüber neu sortieren und ihm dabei etwas bewusst wird.

Wiederholung mit eigenen WortenAnstatt papageienhaft zu wiederholen, was der andere sagt, kann der Berater das, was ihm gesagt wird, mit eigenen Worten wiederholen, um Missverständnisse zu vermeiden: „Ich habe Sie so verstanden, dass …“ oder „Ich versuche noch ein-mal mit meinen Worten zusammen zu fassen, was Sie gesagt haben“ sind die ein-leitenden Sätze hierzu. Die Folge der Wiederholung mit einem anderen Vokabular bewirkt möglicherweise, dass dem Gegenüber wesentliche Aspekte zu seinem Thema auf- oder einfallen, die ihm vorher gar nicht bewusst waren.

ReframingDie englische Vokabel „reframe“ bedeutet umrahmen. Gemeint ist hier, das, was geäußert wird, in einen anderen Kontext zu stellen oder aus einer anderen

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Perspektive zu beschreiben. Das kann den Klienten darin unterstützen, seine Betrachtungsmuster zu verlassen und einen neuen Zugang zu seinem Anliegen zu gewinnen. Aus der provokativen Gestalttherapie gibt es auch die Variante, das, was als störend empfunden wird, in allen Details derart auszumalen, bis der Klient eigene Vorschläge zu Veränderung oder sogar zur Lösung einbringt. Die Vorgehensweise beruht auf der Erkenntnis, dass das beklagte Problem tatsächlich oft weniger bedrohlich als eine mögliche Lösung angesehen wird.

Über die eigene Hypothesenbildung informierenWir haben automatisch Assoziationen und bilden Hypothesen, wenn wir anderen begegnen. Für eine gute Verständigung ist es hilfreich, seinem Gesprächspartner zu verdeutlichen, dass das, was man zu erkennen glaubt, eine Hypothese ist. Das gibt diesem die Möglichkeit, gegenzusteuern oder zu justieren. Die Reaktion auf eine formulierte Hypothese ist nicht selten: „So habe ich es noch gar nicht gese-hen“ oder „auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen“. Es ist beim Gegen-über ein erster Schritt in Richtung Perspektivenerweiterung und Verbindung mit anderen. So kann die Hypothesenbildung auch einen Reframing-Effekt haben.

Zuordnung des AnliegensDer Berater sollte klären, zu welcher Beschreibungsebene das formulierte Anlie-gen gehört (s. hierzu Abschn. 2.5).

Der Kern des AnliegensHäufig bezieht sich die Auftragsklärung im Wesentlichen darauf, dass sich der Auftraggeber und der Berater darüber im Klaren werden, was der eigentliche Auftrag ist und welches Ergebnis gewünscht ist. Soll zum Beispiel ein Team bes-ser zusammenarbeiten, dann ist die Frage: Was bedeutet besser für Sie und woran erkennen Sie, wenn das Team besser zusammenarbeitet? Welches Ziel wollen Sie erreichen: a) eine bessere Stimmung? b) Mehr Effizienz? c) Mehr Effektivi-tät? d) Etwas anderes?

Verantwortlichkeiten klärenEntscheidend ist die Frage: Ist der vermeintliche Auftraggeber auch der autori-sierte Auftraggeber? Das sollte zu Beginn eines Gesprächs geklärt werden, denn es kommt leider vor, dass sich erst im Verlauf eines Gesprächs herausstellt, dass es für die Beauftragung eines Beraters gar keine Autorisierung gibt. In solchen Fällen lautet ein typischer Satz: „Jetzt müssen wir nur noch den Chef ins Boot holen“.

7.5 Erstgespräch und Auftragsklärung

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120 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

AuftragsvereinbarungEine schriftliche Auftragsvereinbarung ist nicht immer nötig – in jedem Fall aber dann, wenn es einen längeren Beratungsprozess gibt. Die schriftliche Auftrags-vereinbarung legt fest, worauf der Auftrag abzielt, welche Ziele erreicht werden, wie Meilensteine definiert und bis wann sie erreicht sein sollen. Sie legt auch den Umfang der nötigen Maßnahmen sowie ein hierfür vereinbartes Honorar fest.

7.6 Die Gesprächsführung zu Beginn einer Organisationsaufstellung

Grundsätzlich gelten für die Gesprächsführung zu Beginn einer Organisationsauf-stellung dieselben Kriterien, wie im Auftragsgespräch:

Doppelte Wahrnehmung – sich und das Gegenüber wahrnehmenDas Ich im Spiegel – der Klient spricht über sichPapagei/Wiederholen mit eigenen WortenReframingInformation über die eigene HypothesenbildungZuordnung des Anliegens

7.6.1 Das Anliegen klären

Natürlich kann es vorkommen, dass der Auftraggeber für eine Organisationsauf-stellung nicht identisch mit dem Fokus ist. In der Aufstellersprache ist Fokus die zentrale Person oder der zentrale Aspekt, um die bzw. den es in der Aufstellung geht. In solch einem Fall kann es sein, dass das Anliegen des Auftraggebers ein anderes ist, als das des Fokus. Ob der Fokus über eine mögliche Differenz auf-geklärt werden sollte, kann nur im jeweiligen Einzelfall beantwortet werden. In jedem Fall aber gilt, dass das Anliegen des Auftraggebers und sein Wunsch nach Öffentlichkeit bzw. Verschwiegenheit Vorrang haben. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Aufstellung mit einem Team gemacht werden soll und der Auftragge-ber nicht Mitglied des Teams ist.

Angenommen der Auftrag lautet: Funktionstüchtigkeit eines bestimmten Teams wiederherstellen. In unserem Beispiel ist nicht klar, ob die der Störung zugrunde liegenden Beziehungsqualitäten struktureller, personaler oder gar persönlicher Natur sind. Weiter angenommen, bei der Befragung des Teams zu seinem Zustand und seiner Funktionsfähigkeit äußert ein Mitglied des Teams, es stimme, dass das Team nicht gut funktioniere und das habe aus seiner Sicht damit zu tun, dass es eine Störung zwischen zwei Personen gibt.

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Der Aufsteller könnte hier wie folgt vorgehen: Mit Zustimmung des Teams macht er sich im Rahmen einer Strukturaufstellung ein Bild davon, ob die Störung struktureller Natur ist. Hierfür kann er z. B. einen Stellvertreter für das Team und einen Stellvertreter für die Aufgabe des Teams aufstellen. Er kann das Team auch differenzierter stellvertreten lassen – etwa mit je einem Stellvertreter für a) die Definition der Aufgabe, b) die Entwicklung von geeigneten Maßnahmen, c) die Verteilung der Aufgaben, d) die Kontrolle über die Umsetzung der Maßnahmen und e) die Evaluation der erfolgten Maßnahmen. Meiner Erfahrung nach zeigt sich in nicht wenigen Fällen bereits hier eine strukturelle Unordnung, die das Symp-tom Funktionsunfähigkeit befördert und dahingehend wirken kann, dass es per-sönliche Differenzen aufgrund dieser Unordnung gibt. Sollte das hingegen nicht der Fall sein, kann der Organisationsaufsteller dann den Blick auf die Qualität der persönlichen Beziehungen richten. Hier gilt – wie im Kapitel Art und Ort der Auf-stellung beschrieben – eine besondere Achtsamkeit in Bezug auf den vorrangigen Schutz der Person. Niemand darf bloßgestellt oder geschwächt werden.

7.6.2 Aufstellungsregeln erläutern

In diesem Kontext ist es wichtig, dass zu Beginn einer Aufstellung bestimmte Regeln erläutert werden (Abb. 7.4).

7.6 Die Gesprächsführung zu Beginn einer Organisationsaufstellung

Abb. 7.4 Regeln für die Aufstellung

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122 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

Die erste Regel: Verschwiegenheit. Alle Anwesenden sollten per Handzeichen signalisieren, dass eventuell auftretende persönliche Themen dem Verdikt der absoluten Verschwiegenheit unterliegen.

Die zweite Regel: Wahrnehmen, was ist – nicht spekulieren, was sein müsste. Das gilt erstens für den, der die Stellvertreter aufstellt – seine Aufgabe ist, dabei ausschließlich seiner Intuition zu folgen und nicht seiner Idee. Und das gilt zwei-tens für die Stellvertreter – sie sollen nur darauf achten, welche Empfindungen sie auf ihrem Platz haben und wie sich diese gegebenenfalls verändern, wenn sie ihre Position wechseln.

Die dritte Regel: Natürlich ergibt sich die Interpretation dessen, was sich zeigt, automatisch – wir können gar nicht anders, als ein Verständnis über das, was sich uns zeigt, zu entwickeln. Für die Aufstellung ist aber wichtig, die eigene Interpre-tation als Hypothese wahrzunehmen und als solche zu behandeln. Damit meine ich, dass jeder im Feld dafür offen bleibt, dass sich etwas anderes zeigt, als man selbst erwartet hätte.

Die vierte Regel: Sich nicht mit der Position, auf der man steht, identifizie-ren. Ich sage den Teilnehmern oft, dass es hilfreich ist, wenn man quasi wie ein Reporter über das berichtet, was man am eigenen Platz spürt. Das hilft den Stell-vertretern dabei, sich nicht mit dem zu identifizieren (zu verwechseln), für den oder für das man steht.

Die fünfte Regel: Wenig sprechen. Sprechen lenkt leicht vom Wahrnehmen und Spüren ab.

Die sechste Regel: Die Aufstellung sollte für die Organisation protokolliert werden.

Den Teilnehmern sollte vor der Organisationsaufstellung auch gesagt werden, ob sie sich frei bewegen dürfen oder ob sie ausschließlich der Weisung des Auf-stellungsleiters folgen sollen. Grundlegend wichtig ist zu Beginn auch die Infor-mation, dass es bei der systemischen Betrachtung niemals um eine Schuld- oder Verursacherfrage geht, sondern dass jede Störung und jeder Störer als ein Symp-tom im Sinn eines Hinweises auf bestimmte Beziehungsstrukturen verstanden wird. Diese Information wird von manchen zwar erst verstanden, nachdem sie an einer Aufstellung teilgenommen haben, dennoch kann sie vorher für eine gewisse Entspannung unter den Teilnehmern sorgen.

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7.7 Abschlussgespräch nach einer Organisationsaufstellung

Nach einer Organisationsaufstellung kann der Aufstellungsleiter den Teilneh-mern die Möglichkeiten geben, Fragen zur Aufstellung zu stellen. Es obliegt sei-ner Sensibilität dafür zu sorgen, dass das, was sich in der Aufstellung gezeigt hat, nicht zerredet wird. Hierfür hat es sich als hilfreich erwiesen, dass die Fragen nur vom Aufstellungsleiter beantwortet werden und eine weitere Diskussion unter-bunden wird.

Nach der Beantwortung der Fragen kann der Aufstellungsleiter wiederum die Teilnehmer fragen, ob sich ihnen eventuell Perspektiven für ein weiteres Vorge-hen eröffnet haben und ob sie diese gerne den anderen mitteilen möchten. Im Anschluss daran sollte der Aufstellungsleiter die Teilnehmer darüber unterrichten, welches weitere Vorgehen geplant ist.

7.7.1 Abschlussgespräch mit dem Auftraggeber der Organisationsaufstellung

Hat der Auftraggeber für die Organisationsaufstellung nicht an dieser teilgenom-men, sollte er das Aufstellungsprotokoll als Grundlage für ein eventuell weite-res Vorgehen ausgehändigt bekommen. Wie ein Aufstellungsprotokoll aussehen kann, dafür gibt es keine allgemeingültigen Vorgaben. Ich persönlich finde es hilfreich, mit vorgefertigten Formularen zu arbeiten, wie ich sie hier zeige (Abb. 7.5 und 7.6).

7.7 Abschlussgespräch nach einer Organisationsaufstellung

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124 7 Das ist eine Organisationsaufstellung

Abb. 7.5 Aufstellungsprotokoll Seite 1

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1257.7 Abschlussgespräch nach einer Organisationsaufstellung

Abb. 7.6 Aufstellungsprotokoll Seite 2

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127

Fallbeispiele aus der Praxis

ZusammenfassungFallbeispiele für Organisationsaufstellungen sind mit zwei Augen zu betrachten – einerseits beschreiben sie einzigartige, sich nicht wiederholende Situationen, ande-rerseits können sie als Anregung für ein mögliches Verständnis und eventuelle Interventionen dienen.

Aufstellungen im personalen Bereich sind so individuell, wie die Menschen, um die es bei den jeweiligen Themen geht. Das bedeutet: Innerhalb der systemi-schen Grundfunktionen und Ordnungsprinzipien ist die mögliche Ausgestaltung des Miteinanders so mannigfaltig wie einzigartig. Was sich in einem Fallbeispiel als mögliche Lösung oder Verbesserung zeigt, kann in einem anderen, mehr oder weniger identisch gelagerten Setting zu ganz anderen Ergebnissen führen. Diese Aussage mag banal klingen, darf aber in ihrer Relevanz nicht unterschätzt werden – insbesondere angesichts einer (für mich) nicht selten zu beobachtenden Tendenz zu standardisierten Abläufen und Bewegungsanweisungen in Aufstellungen. Bei aller Gebotenheit der Beachtung systemischer Funktions- und Ordnungsprinzi-pien verträgt eine Organisationsaufstellung – insbesondere im Bereich der Perso-nalentwicklung – kein Schema F.

Neben der Arbeit im personalen Bereich besteht die Möglichkeit, mit Syste-maufstellungen zu Fragen der Organisationsentwicklung zu arbeiten – z. B. mit Blick auf Strukturen, Angebots- und Portfoliogestaltung, Markenentwicklung, Marktanalyse oder Leistungserstellungsprozesse.

Und natürlich gibt es viele Anliegen, die auf eine Verbindung der beiden Ent-wicklungsbereiche Personal und Organisation zielen und als solche betrachtet werden wollen.

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_8

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128 8 Fallbeispiele aus der Praxis

Das Anliegen für eine Organisationsaufstellung kann also individuelle und per-sonale (menschlich-menschlich), menschlich-dingliche oder dinglich-dingliche Beziehungen bzw. Verbindungen betreffen. Die folgenden drei Beispiele sollen dies verdeutlichen.

8.1 Anliegen aus dem personalen Bereich (Mensch-Mensch)

Mein erstes Fallbeispiel ist ein Anliegen aus dem personalen Bereich, bei dem es um soziale Fragen von Führung und Kooperation geht, um eine Mensch-Mensch-Verbindung also (Abb. 8.1).

Ein Abteilungsleiter (AL) will für seine Abteilung eine Aufstellung machen. Hier gibt es mehr Gegeneinander als Miteinander und die Kommunikation in der Abtei-lung sowie zwischen Abteilung und Leiter ist oft angespannt und wenig konstruktiv.

Für die Aufstellung wählt AL zwei Stellvertreter für die gegeneinander agie-renden Mitarbeiter (M1 und M2) der Abteilung und einen Stellvertreter für sich selbst (Abb. 8.2).

Als AL den Organisationsaufstellungsleiter (OAL) darüber informiert, dass er erst kürzlich die Abteilung übernommen habe und sein Vorgänger mehr oder weniger über Nacht gekündigt worden war, stellt OAL einen weiteren Stellvertre-ter für den ehemaligen Abteilungsleiter (AAL) auf (Abb. 8.3).

Die beiden Stellvertreter für die Mitarbeiter fragen ihn, warum er ohne Grund gegangen sei – sie würden seine Beweggründe nicht verstehen. Dabei zeigt sich, dass einer der beiden Mitarbeiterstellvertreter (M2) dem ehemaligen Leiter loyal verbunden ist. Er sagt, dass seitens der Firmenleitung angesichts der plötzlichen Kündigung nicht gut mit diesem umgegangen worden sei. Nicht zuletzt ärgert er sich darüber, dass „nicht wenigstens einer von uns“ die Stelle bekommen hat – der neue AL kommt aus einem anderen Unternehmen.

Der andere Mitarbeiterstellvertreter M1 wiederum freut sich darüber, dass der alte Leiter weg ist, er habe seine Arbeit in der letzten Zeit nicht wirklich gut gemacht und ganz schön abgebaut. M1 hat zugleich eine abwartende Haltung: Mal sehen, wie der Neue so ist.

Abb. 8.1 Verbindung zwischen Menschen. OA Organisationsaufstellungen

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M1 und M2 befürchten, dass die plötzliche Kündigung Ausdruck eines So-machen-wir-das-hier sein könnte und auch sie eines Tages völlig unerwartet betreffen könnte. Das veranlasst den Aufstellungsleiter, einen weiteren Stellver-treter für die Führungskraft (FK) ins Feld zu stellen, die die Kündigung des ehe-maligen AAL veranlasst hat (Abb. 8.4).

Abb. 8.2 Abteilungsleiter (AL) und Team 1 aus Mitarbeitern (M1, M2)

Abb. 8.3 Abteilungsleiter (AL) und Team 2 aus ehemaligem Abteilungsleiter (AAL) und Mitarbeitern (M1, M2)

8.1 Anliegen aus dem personalen Bereich (Mensch-Mensch)

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130 8 Fallbeispiele aus der Praxis

Die Aufstellung offenbart die Beweggründe der Kündigung, die auf Wunsch des AAL ausgesprochen worden war und auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Das führt dazu, dass sich Mitarbeiter und der ehemalige AL die gegenseitige Achtung aussprechen und einander für die gemeinsame Zeit danken. Die Mitarbeiter erkennen auch an, dass die kündigende Person im Interesse aller gehandelt hat. M1 verändert seine bis dahin ablehnende Haltung gegenüber AAL. Schließlich bittet AAL seine Mitarbeiter, den neuen AL zu unterstützen, damit die gemeinsam bisher erreichten Erfolge fortgesetzt werden können.

Alle Stellvertreter finden im Feld eine Position, die ihren veränderten Bezie-hungsqualitäten Ausdruck verleiht und den neuen AL als Führung anerkennt (Abb. 8.5).

Das Beispiel zeigt die Vielschichtigkeit und Interdependenz der Beweggründe, die den Betroffenen im Einzelnen gar nicht immer bewusst sind, die aber syste-misch wirken und dazu führen können, dass ein gutes Miteinander und ein rei-bungsloser Arbeitsfluss nicht möglich sind.

Die Folge dieser Aufstellung war ein effizienteres und effektiveres Miteinan-der in der Abteilung, das von gegenseitiger Achtung geprägt war. Der neue Leiter wurde nun von allen anerkannt. Aus der Erfahrung der unterschiedlichen Ein-schätzungen gegenüber seinem Vorgänger implementierte er in seiner Abteilung regelmäßige Treffen, in denen er gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Lösungen für Problemstellungen und Maßnahmen zur Zielerreichung entwickelte. Außer-dem wurden auf seine Anregung hin im Unternehmen regelmäßige 360-Grad-Feedback-Gespräche eingeführt, in denen die Mitarbeiter eine differenzierte

Abb. 8.4 Abteilungsleiter (AL) und Team 3 aus ehemaligem Abteilungsleiter (AAL), Mit-arbeitern (M1, M2) und Führungskraft (FK)

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Einschätzung ihrer Leistung aus unterschiedlichen Perspektiven gewinnen können. Die Gründe für die Kündigung führten schließlich auch dazu, dass im Unterneh-men Staff Counseling als prophylaktische Maßnahme implementiert wurde (Staff Counseling ist die Verbindung von Coaching und betrieblicher Sozialberatung).

8.2 Anliegen zu einem neuen Produkt (Mensch-Ding)

Mein zweites Fallbeispiel beschreibt die Qualität einer Mensch-Ding-Verbindung (Abb. 8.6). Hierbei geht es um die Reaktionen der Zielkunden auf ein Produktan-gebot.

Abb. 8.5 Abteilungsleiter und Team 4 aus Mitarbeitern (M1, M2), Führungskraft (FK) sowie ehemaligem Abteilungsleiter (AAL)

8.2 Anliegen zu einem neuen Produkt (Mensch-Ding))

Abb. 8.6 Verbindung zwischen Menschen und Dingen. OA Organisationsaufstellungen

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132 8 Fallbeispiele aus der Praxis

Der Inhaber eines Unternehmens möchte wissen, ob das neu entwickelte Pro-dukt das Interesse seiner Kunden findet, und wenn ja, ob es noch Verbesserungs-möglichkeiten am Produkt gibt. Hierfür wählt er einen Stellvertreter für das neue Produkt, einen für das bestehende Produktangebot, einen für die Kunden, einen für den Vertrieb und einen für sein Unternehmen.

Die Aufstellung zeigt, dass die Kunden zwar durchaus am Produkt interes-siert sind, dass sie es aber nicht wirklich verstehen. Es zeigt sich auch, dass der Vertriebsmitarbeiter, der dem Kunden das Produkt anbietet, mit keinen weiteren Informationen ausgestattet ist und vom Unternehmen abgetrennt steht. Als ein Stellvertreter für die Informationen dazugestellt wird, stellt sich heraus, dass die Vermittlung immer noch nicht funktioniert. Erst als der Produktentwickler mit aufgestellt wird und dem Kunden das Produkt nun persönlich erläutert, versteht der Kunde das Produkt und will es unbedingt haben. Dabei äußert der Kunde, dass er sich freuen würde, wenn er mehr gefragt und in die Produktentwicklung mit einbezogen würde.

Die Folge der Aufstellung ist, dass das Produkt ins Portfolio übernommen wird. Außerdem wird der Vertrieb im Unternehmen umstrukturiert. Vertrieb und Unternehmen rücken zusammen und die Vertriebsmitarbeiter werden in den Pro-duktentwicklungsprozess mit einbezogen. Zu den Kunden gehen nun immer ein Verkäufer und ein Produktentwickler. Schließlich werden von Verkäufern und Produktentwicklern Kundenbefragungen eingeführt, die dem Unternehmen eine genaue Vorstellung vom deren Bedarf vermitteln. Außerdem werden Workshops mit Kunden implementiert, in denen Kunden und Unternehmen gemeinsam Lösungen für den bestehenden Bedarf entwickeln. Das dadurch bedarfsgerechtere Angebot senkt nachhaltig die Produktentwicklungskosten und steigert maßgeb-lich den Umsatz. Nicht zuletzt wächst die Produktpalette des Unternehmens nun nach einem strukturierten Ablauf.

8.3 Anliegen zu einem neuen Geschäftsbereich (Ding-Ding)

Mein drittes Fallbeispiel beschreibt eine Ding-Ding-Verbindung (Abb. 8.7). Hier-bei geht es um die geplante Kombination von Angeboten, man spricht auch von einer Portfoliostrategie.

Ein Facharzt für Neurologie mit eigener Praxis hat erfolgreich mehrere Aku-punkturfortbildungen abgeschlossen. Er möchte nun wissen, ob sich die asia-tischen Therapien gut in seine weithin schulmedizinische ausgerichtete Praxis integrieren lassen. Hierfür stellt er zunächst einen Stellvertreter für die Praxis,

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einen für die schulmedizinisch ausgerichtete Neurologie und einen für die Aku-punktur auf. Der Aufstellungsleiter stellt einen weiteren Stellvertreter für das Verbindende hinzu. Eine weitere inhaltliche Definition des Verbindenden gibt er nicht.

Im Feld zeigt sich, dass Neurologie und Akupunktur durchaus Sympathien füreinander hegen. Dabei steht die Neurologie ganz dicht bei der Praxis, während die Akupunktur etwas abseits steht. Praxis, Neurologie und Akupunktur schauen freundlich auf das Verbindende und haben übereinstimmend eine erwartungsfrohe und abwartende Haltung. Der Stellvertreter für das Verbindende sagt, dass er sich wie ein Raum fühle, in dem etwas gelernt werden solle. Aus der Sicht von Neuro-logie und Akupunktur erscheint das Verbindende als ein wissendes Element.

Intuitiv stellt der Aufstellungsleiter einen weiteren Stellvertreter für Fortbil-dungsveranstaltungen mit ins Feld. Sofort gerät alles in Bewegung. Fortbildung und das Verbindende rücken nah an die Praxis ran, die Akupunktur nähert sich ebenfalls. Als der Aufstellungsleiter nun einen Stellvertreter für die Patienten auf-stellt, schauen diese erfreut auf die Gruppe aus Praxis, Fortbildung, Schulmedizin und Akupunktur.

Nach der Aufstellung bietet der Arzt Abendveranstaltungen in seiner Praxis an, in denen er über die therapeutischen Möglichkeiten aus der Verbindung von Neurologie und Akupunktur berichtet. Die Patienten sind sehr interessiert und das Angebot spricht sich schnell rum. Der Arzt kann seine neuen Therapien erfolg-reich in die Praxis integrieren.

Abb. 8.7 Verbindung zwischen Dingen. OA Organisationsaufstellung

8.3 Anliegen zu einem neuen Geschäftsbereich (Ding-Ding)

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Akzeptanz von Organisationsaufstellungen in Organisationen

ZusammenfassungDie drei Fallbeispiele aus dem vorangegangenen Kapitel machen deutlich, dass Organisationsaufstellungen sich sowohl für personale als auch für organisationale Fragen eignen. Es gibt so gesehen eigentlich keine Beziehung – ob sozialer oder struktureller Natur – die nicht mithilfe der Methode beleuchtet und gegebenen-falls optimiert werden kann.

So überzeugend aber die hier dargelegten Beispiele für Organisationsaufstel-lungen vielleicht klingen mögen – im Alltag begegnet der Methode auch immer noch eine kritische bis ablehnende Haltung, die ich in diesem Kapitel ein wenig vertiefter betrachten möchte.

9.1 Unkontrollierbar, therapeutisch, esoterisch?

Die kritische bis ablehnende Haltung hängt möglicherweise damit zusammen, dass die Organisationsaufstellung mit ihrem systemischen Ansatz nicht aus dem Feld der klassisch-rationalen Personal- und Organisationsentwicklungsmethoden kommt, die nicht selten den Wunsch nach kontrollierbarer Planbarkeit bedienen und implizit versprechen: Wenn wir diese Methode einsetzen, werden wir dieses Ziel erreichen.

Außerdem hängt der Aufstellungsarbeit noch immer der Nimbus der Indivi-dualtherapie und einer eher psychologisch gefärbten Betrachtungsweise an. Das ist mit Blick auf die familientherapeutischen Ursprünge der Systemaufstellungen

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_9

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136 9 Akzeptanz von Organisationsaufstellungen in Organisationen

verständlich. Es führt jedoch leider auch dazu, dass Effizienz und Effektivität der Organisationsaufstellungen für Personal- und Organisationsentwicklung weithin unterschätzt werden.

Für die noch geringe Akzeptanz kann ein weiterer Grund sein, dass man durch die Komplexität des systemischen Geschehens i. d. R. nicht logisch nachvollzie-hen kann, welche Ursache welche Wirkung hervorgerufen hat – und v. a. warum. Genau das aber wüssten Auftraggeber schon gern, damit sie entsprechende Maß-nahmen zur Beseitigung einer ungewünschten Störung einleiten können.

Der systemische Beratungsansatz sieht das so nicht vor – zwar können natür-lich auch mit Organisationsaufstellungen Störungen beseitigt werden. Zunächst aber wird jede Störung als symptomatischer Ausdruck des strukturellen Gesamt-geschehens verstanden, das es möglicherweise in ein modifiziertes Gleichgewicht zu bringen gilt. Und genau hier liegt ein kritischer Punkt: Organisationsaufstel-lungen offenbaren die (größeren) strukturellen Zusammenhänge und deren Qua-litäten, eventuell eben auch Ungleichgewichte. Das entspricht i. d. R. aber nicht dem Wunsch möglicher Auftraggeber – es könnte ein Anliegen ja unnötig ver-komplizieren und eventuell sogar Schwachstellen im System aufdecken.

Ein weiterer Grund ist die noch immer fragliche Seriosität der Methode, die zwar wissenschaftlich anerkannt ist – aber eben nur empirisch und nicht natur-wissenschaftlich. Heute jedenfalls kann ohne weitschweifende Darlegungen der Erkenntnisse – aus Soziologie, Biologie, Neurophysiologie oder auch Quanten-physik – noch nicht begründet werden, wie Aufstellungen funktionieren, warum Stellvertreter ihre Wahrnehmungen haben bzw. woher deren Wissen um die dar-gestellten Zusammenhänge kommt, wenn sie – jedenfalls nach rationaler Logik – keine Ahnung von denselben haben können.

Tatsache bleibt: Die Stellvertreter haben sehr präzise und konkrete Wahr-nehmungen, die Auskunft über die Beziehungen hinter den Symptomen liefern. Natürlich können wir diese Wahrnehmungen nicht beweisen. Genau das aber brauchen potenzielle Auftraggeber oft – frei nach Nietzsche, der sinngemäß gesagt hat: Wer ein Warum hat, erträgt jedes Wie. Für diejenigen, die eine Orga-nisationsaufstellung beauftragen und deren Ergebnisse dann als Grundlage für Veränderungen nehmen wollen, besteht aufgrund der nicht gegebenen rationalen Nachvollziehbarkeit ein Vermittlungs- und ein Rechtfertigungsproblem gegen-über Kollegen oder Vorgesetzten.

Ein weiterer Grund ist die sensible Nahtstelle zwischen Funktion und Person im Bereich der Personalentwicklung sowie die damit oft verbundene Betrach-tung gegebener hierarchischer Strukturen. Der Gefahr der persönlichen Bloßstel-lung ist mit Blick auf möglicherweise verdeckte Machtkonstellationen immer da gegeben, wo die Methode nicht professionell und mit dem präzisen Fokus auf den gegebenen Organisationsbedarf angewendet wird.

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Angesichts der Kultur in vielen Organisationen liegt es nahe, dass ein Blick auf die Verbindungen (der durchaus einem Blick hinter die Kulissen gleichkommt) nicht gewollt ist. Hier könnten sich z. B. störungsrelevante Aspekte zeigen, die aber tatsächlich genau so gewollt sind. Nicht alle Organisationen tendieren z. B. zum integralen evolutionären Paradigma und das muss natürlich respektiert und akzeptiert werden. Zugleich aber ist die Grundhaltung dieses Paradigmas der sys-temischen Haltung und dem phänomenologischen Arbeiten eng verwandt.

Aus diesen und ähnlichen Gründen hat es die Organisationsaufstellung trotz ihrer breiten Anwendbarkeit bis heute nicht ins alltäglich selbstverständliche Repertoire der Beratungsmethoden geschafft, und es ist nicht leicht, die Methode potenziellen Auftraggebern anzutragen. Ausgerechnet in schwierigen Zeiten Risi-ken einzugehen, scheint vielen nicht unbedingt angeraten. Zumal i. d. R. heute die Controlling-Verantwortlichen über die Beauftragung Externer entscheiden und zu sicheren Entscheidungen mit dem verständlichen Fokus auf Return-on-invest-Kriterien tendieren, die sie nicht erst mühsam erklären müssen.

Vor dem Hintergrund der hier dargelegten Skepsis gegenüber Organisations-aufstellungen wage ich die Behauptung: Organisationen suchen nach Beratung, aber sie wollen deshalb nicht gleich systemisch beraten werden. Das liegt nach meiner Einschätzung in der Natur des Bedarfs nach Beratung, der i. d. R. dann aufkommt, wenn etwas nicht so läuft wie geplant, wenn die Zusammenarbeit nicht störungsfrei läuft oder wenn ein Angebot nicht den erhofften Erfolg hat. Aus der Sicht eines Auftraggebers sind all dies meistens nichtsystemische Stö-rungen. Er versteht sie vielmehr als separate Probleme, die im Einzelnen beho-ben werden können und sollen. Das entspricht dem eingangs beschrieben linearen (Problem-)Denken, das Unterscheidungen trifft: Es läuft falsch und es soll richtig laufen. Es ist zugleich eine logische Wenn-dann-Konstruktion, die eine einzelne Ursache für eine Störung vermutet, die – losgelöst von der Komplexität des Orga-nisationsgeschehens – beseitigt werden kann und soll.

Die Störung wird nicht als symptomatischer Ausdruck verstanden. Sie gilt sozu-sagen als falsches Moment, das beseitigt oder repariert werden soll. Gewünscht werden deshalb i. d. R. symptombeseitigende Maßnahmen. Aus systemischer Sicht gibt es jedoch keine nichtsystemischen Störungen. Hier werden Störungen immer als Symptom oder als Ausdruck einer Qualität von Beziehungen verstanden.

9.2 Nur mal angenommen

Nur mal angenommen, ein Produkt findet keine Abnehmer. Der klassische Bera-ter rät vielleicht zu verstärkten Marketingmaßnahmen. Das Produkt verkauft sich schlecht – es muss besser vermarket werden, so schlussfolgert er möglicherweise

9.2 Nur mal angenommen

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138 9 Akzeptanz von Organisationsaufstellungen in Organisationen

in seiner Logik. Folgt der Auftraggeber dem Berater, muss er nun in Vermark-tungsmaßnahmen investieren. Vielleicht kommt der Berater aber auch zu einer anderen logischen Schlussfolgerung und rät zur Produktverbesserung. Auch hier müsste der Auftraggeber in die Tasche greifen und ein fertiges Produkt erneut in die Entwicklung geben.

Greifen diese beiden Maßnahmen nicht, kann der Auftraggeber nun entweder entscheiden, das Produkt aus seinem Angebot zu streichen. Er kann auch dem Berater folgen, der nun vielleicht aufwendige Marktforschungsstudien empfiehlt. Hier zeigt sich jetzt ein erster Ansatz, in Verbindungen zu denken: Wie ist die Beziehung der Kunden zum Produkt – sagen sie uns, warum sie das Produkt nicht kaufen? Die Aufgabe für die Marktforschungsstudie hieße nun: Alle nötigen Fak-ten sammeln, Sachverhalt analysieren und verstehen, Entscheidung treffen. Das ist das übliche Vorgehen.

Der klassische Berater würde vielleicht am Ende zu der Erkenntnis zu gelan-gen, dass die Abnehmer das Produkt zu teuer finden. Das Ergebnis seiner Analyse hieße dann: Das Produkt ist zu teuer, Preis senken.

Warum ein Produkt oder allgemein ein Angebot vom Markt nicht akzeptiert wird, ist immer eine systemische Frage, die auf die Qualität von Verbindungen zielt. Dabei kann es sich um die Verbindung von diesem einen Angebot zu allen anderen Angeboten handeln (passt das Angebot zu den anderen Angeboten? – Portfolioverbindung). Es kann sich auch um die Verbindung von Angebotsidee und Angebotsgestaltung (Entspricht die Ausgestaltung des Produkts dem, was intendiert wird? – Produktdesignverbindung) oder auch um die Verbindung von Angebot und Kommunikation (Wie wird eine Verständigung über die Sinnhaftig-keit des Angebots hergestellt, sodass ein Kaufimpuls ausgelöst wird? – Marke-tingverbindung). Es kann sich schließlich auch um die Verbindung von Angebot und Nachfrage handeln (Ist das Angebot die passende Antwort für einen Bedarf? – Marktverbindung).

Alle diese Verbindungen lassen sich mit einer systemischen Analysemethode wie einer Organisationsaufstellung zu vergleichsweise geringen Kosten evaluie-ren. In der Organisationsaufstellung stellt man die Qualität der jeweiligen Bezie-hung dar und erhält erfahrungsgemäß umfangreiche Informationen, die in der Folge eine präzise Abstimmung des Angebots mit seinen jeweiligen Bezugssyste-men ermöglichen.

Die Marktforschungsstudie aus meinem Beispiel würde eine Warum-Frage stellen: Warum verkauft sich das Produkt nicht? Die systemischen Maßnahmen stellen hingegen immer Wie-Fragen: Wie ist die Qualität der Beziehung zwischen A und B? Für das Warum kann es i. d. R. nur eine Antwort geben: Weil. Für das Wie bieten sich möglicherweise vielerlei Aspekte, die zudem einander beein-flussen. Mit einer systemischen Beratung bekäme ein Auftraggeber also eine

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139

umfassendere Vorstellung von den Bezugssystemen seines Angebots. Und er würde im Vergleich zu den klassischen Vorgehensweisen in einem nicht unbe-trächtlichen Umfang Zeit-, Personal- und finanzielle Ressourcen sparen.

Ein anderes Beispiel für eine vermeintlich nichtsystemische Störung ist die schlechte Zusammenarbeit in einem Team. Der Auftraggeber, der hier beispiels-weise zugleich der Leiter des Teams ist, mag davon ausgehen, dass das Team als geschlossene Einheit, also losgelöst von ihm zu verstehen ist. Er kann deshalb schließen, dass seine Teamführung keinerlei Einfluss auf die Qualität des Mitein-anders in dieser Gruppe hat.

Ein klassischer Berater würde nun wahrscheinlich mit dem Team arbeiten und versuchen, eine bessere Funktionsfähigkeit der Teammitglieder zu erzie-len. Systemisch verstanden ist der Teamführer jedoch ein untrennbarer Teil des Teams und mein Abteilungsleiterbeispiel aus dem vorangegangenen Kapitel mag verdeutlicht haben, wie viele Beschreibungsebenen eine Störung namens nicht funktionierendes Team haben kann. Es gibt zahlreiche Beispiele für Störungen in Organisationen und es gibt meiner Erfahrung nach kein einziges, bei dem es sich um eine nichtsystemische Störung handelt.

Zugleich aber kann es natürlich nicht Aufgabe des systemischen Beraters sein, als Besserwisser aufzutreten. Die systemische Grundhaltung soll heißen: Ich weiß nicht, was Du tun musst, um Dein Problem zu lösen oder Deine Störung zu besei-tigen. Ich weiß aber, welchen Weg Du dahin nehmen kannst – und ich habe ein Methodenrepertoire, mit dem ich Dich darin unterstützen kann, die Wirklichkeit der von Dir angesprochenen Störung zu erfassen, darin Lösungsansätze zu erken-nen und gegebenenfalls Besserung herbeizuführen.

Das wird ein Auftraggeber vielleicht ungern hören wollen. Zumal dann nicht, wenn er wie beschrieben an symptombehebenden Rezepten interessiert ist. Für den systemischen Berater gilt es deshalb an erster Stelle, die Verbindung zwi-schen dem Wunsch des Auftraggebers und den systemischen Möglichkeiten her-zustellen. Verbindung herstellen bedeutet zunächst: Fragen stellen. Die Fragen richten sich hierbei nicht auf ein Warum. Sie richten sich beinahe ausschließlich auf das Wie.

9.3 Plädoyer und Widmung

Mit der systemischen Haltung der Verbundenheit, einem gewollten Zustand des Nichtwissens, einer phänomenologischen Präsenz und der unvoreingenommenen Frage nach dem Wie finden sich Organisationsaufsteller auf dem einerseits siche-ren Fundament der System- und Gestalttheorie und in einem andererseits noch

9.3 Plädoyer und Widmung

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140 9 Akzeptanz von Organisationsaufstellungen in Organisationen

jungen Feld ganzheitlicher Ansätze von Management, Organisations- und Per-sonalentwicklung, wie sie auch in Konzepten wie z. B. der Theory U von Carl Otto Scharmer oder auch bei Reinventing-Organisationen von Frederic Laloux vor dem Hintergrund von Ken Wilbers A Theory of Everything: An Integral Vision of Business, Politics, Science and Spirituality entwickelt bzw. vorgestellt wurden.

Es besteht aus meiner Sicht noch immer die Gefahr, dass Organisationsauf-stellungen lediglich als Methode verstanden werden könnten. Das wäre schade. Denn es zeigt sich immer wieder, dass die präsentischen Methoden ein Medium der Systeme sind. So wie wir Sprache nutzen, um uns zu verständigen, so nutzen wir Aufstellungen, um die Systeme in ihrer ganzheitlichen Komplexität sprechen zu lassen. Dennoch sollten Organisationsaufstellungen nicht als Allheilmittel gesehen werden, die eine fundierte systemische Beratung ersetzen können. Sie können sie aber in jedem Fall maximal bereichern und ergänzen.

Das Feld der integral evolutionären oder auch organismischen Organisati-onspraxis ist jung, ein noch zartgrüner Spross, der sich hoffnungsvoll streckt und von so manchem freudig begrüßt wird. Natürlich bleibt es spannend, ob der von Laloux beschriebene Paradigmenwechsel tatsächlich eine nachhaltige Tragweite hat, die uns hin zu einem menschlicheren Miteinander in organismisch verstande-nen Organisationen führen kann. Organisationsaufstellungen brauchen in diesem Feld ganz sicher einen zentralen Platz und ebenso heißherzige wie kompetente Vertreter. Ihnen sei dieses Buch gewidmet.

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Teil IIIAnhang

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143

Systemisches Vokabular

Die Systemtheorie spricht bisweilen eine ganz eigene Sprache. Hier eine Über-sicht über die wichtigsten Begriffe.

AutopoieseSelbsterschaffung. Griechisch autos für selbst, poiein für erschaffen.

EmergenzDas Emporsteigen, das Auftauchen. Lateinisch emergere für auftauchen.

FließgleichgewichtIn offenen Systemen herrscht aufgrund andauernder Veränderung kein statisches, sondern ein dynamisches Gleichgewicht – das sog. Fleißgleichgewicht. Mögli-cherweise hat es seinen Namen nach dem griechischen Philosophen Heraklit, der zur andauernden Veränderung gesagt hat: panta rhei (alles fließt).

GleichgewichtBezieht sich auf die Balance zwischen Selbsterhalt und Weiterentwicklung, zwi-schen verschiedenen Elementen (Menschen, Dingen, Aspekten) und zwischen den Polen einer Polarität. Es gibt keine inhaltlichen Vorgaben für Gleichgewicht in einem System. Das Prinzip heißt: Gleichgewicht ist gegeben, wenn Gleichge-wicht gegeben ist.

KommunikationSystemisch verstanden ist die Kommunikation ein Austausch, bei dem in der Ver-bindung eine gemeinsame Wirklichkeit entsteht. Das systemische Verständnis der Vokabel ist nah am Lateinischen angelehnt: communicare für etwas gemeinsam machen, vereinigen, zusammenlegen.

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144 10 Systemisches Vokabular

Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann hat gesagt, die Elemente von Syste-men seien Kommunikationen – gemeint als die Momente, in denen Systemwirk-lichkeit konstruiert wird.

KomplexitätEntsteht, wenn in einem System so viele Elemente vorhanden sind, dass nicht mehr alle Elemente direkt, sondern nunmehr auch indirekt miteinander verbunden sind. Dadurch ergeben sich auch verschiedene Verbindungsebenen. Komplexität ist ein Funktionsprinzip von offenen Systemen. Lateinisch complex für der Ver-bündete.

RedundanzRedundanz bezeichnet das üppige Vorhandensein funktional gleicher oder ver-gleichbarer Elemente in einem System. Fällt ein Element aus, können andere seine Funktion übernehmen. Auch Redundanz ist ein bedingendes Funktionsprin-zip offener Systeme. Lateinisch redundare für überströmen, überfließen.

SelbstreferenzDas vierte Funktionsprinzip für offene Systeme ist die Selbstorganisation, die das autonome Handeln der Systemelemente impliziert. Dabei wird jede Handlung als selbstreferenzielle Anschlusshandlung verstanden – Systeme beziehen sich bei ihren Handlungen auf sich selbst.

Systemisch denkenIn Verbindungen denken – zeitlich, räumlich, physisch, psychisch.

Systemische HaltungAus einer Haltung der Verbundenheit denken und handeln.

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145

Organisationsformen

ZusammenfassungWill man mit Aufstellungen in Organisationen arbeiten, braucht man Kenntnisse darüber, welche Eigentums- und Haftungsverhältnisse sowie Rechte und Pflichten im Innen- wie im Außenverhältnis der Organisation gegeben sind.

Im Vorgespräch gilt es zunächst einmal zu klären, welche Position der anfra-gende Ansprechpartner in der Organisation hat. Das Organigramm gibt Auskunft hierüber. Diese Information ist wichtig, weil sie eventuell klären kann, ob er ver-antwortlich bzw. auftragsbefugt ist. Das Organigramm informiert gegebenenfalls auch darüber, in welcher Verbindung er zu dem zu lösenden Problem steht. Ist er als Führungskraft direkt dafür verantwortlich?

Vor einer Aufstellung sollte der Aufsteller in jedem Fall ein klares Bild von den Strukturen der Organisation haben. Denn grundsätzlich ist jede Organi-sationsform (auch) eine rechtliche Konstruktion, die dazu angelegt ist, die Nachhaltigkeit der Organisation in Hinblick auf den Schutz der Gläubiger zu gewährleisten und die Einhaltung der geltenden Gesetze zu sichern.

Unabhängig von der Organisationsform sind deshalb folgende Aspekte zu ver-stehen:

Im Außenverhältnis

Eigentumsverhältnis und RechtspersönlichkeitHaftung der EigentümerLeitung der Organisation mit Befugnissen und Pflichten

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146 11 Organisationsformen

Kontrolle der LeitungPersönliche Haftung der Leitung (bei Regelverstößen)

Im Innenverhältnis

Leitung auf der jeweiligen Hierarchieebene mit Befugnissen und PflichtenKontrolle der Leitung mit BefehlskettenKooperation auf gleicher Hierarchieebene

Darüber hinaus entscheidet z. B. auch der Tätigkeitsbereich oder die Frage nach einer eventuellen Gemeinnützigkeit über den spezifischen Charakter einer Orga-nisation, der sich dann in entsprechenden Überzeugungen und Glaubenssätzen widerspiegelt. Hierbei gibt es derart viele Konstellationen und Eventualitäten, dass sie nicht alle in einem Raster erfasst werden können. Dennoch ist es hilf-reich, wenn man mit den gebräuchlichsten Erscheinungsformen vertraut ist. Deshalb gebe ich hier eine allgemeine Übersicht über die gängigen Organisati-onsformen, mit denen ein systemischer Berater befasst sein kann.

Grundsätzlich kann man Organisationen in die beiden Gruppen Profit- und Non-Profit-Organisationen unterteilen.

11.1 Non-Profit-Organisationen

Non-Profit-Organisationen (NPO) verfolgen keine wirtschaftlichen Gewinnziele. Ihre grundlegenden Merkmale sind: Sie sind nicht staatlich, wiewohl häufig staatlich gefördert, haben ein Mindestmaß an Selbstverwaltung bzw. Entschei-dungsautonomie und Freiwilligkeit, erbringen einen sozialen, kulturellen oder wissenschaftlichen Nutzen für die Allgemeinheit, verfolgen gemeinnützige oder eigennützige Zwecke und schütten keine Gewinne an Eigentümer oder Mitglieder aus.

Hierbei unterscheidet man zwischen öffentlichen und privaten NPO.Öffentliche NPO erbringen auf Bundes-, Landes- oder Gemeindeebene Leis-

tungen für ihre Bürger – hierzu gehören z. B. öffentliche Verwaltungen oder auch Krankenhäuser und Hochschulen. Sie sind so als Intermediäre zwischen Staat und Markt zu verstehen.

Private NPO unterteilen sich in wirtschaftliche (z. B. Gewerkschaften), poli-tische (z. B. Parteien), soziokulturelle (z. B. Sportvereine) und karitative NPO (z. B. Suchtberatung). Hier sind die Mitarbeiter entweder angestellt oder sie leis-ten ihre Arbeit ehrenamtlich. Dann erhalten sie für ihre Tätigkeit kein Gehalt,

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147

erlaubt sind jedoch Aufwandsentschädigungen im Verhältnis zur Beanspruchung der jeweiligen Leistung.

Private NPO finanzieren ihre Leistungen über Mitgliedsbeiträge, Spenden und/oder Zuschüsse. Typische Rechtsformen sind der eingetragene Verein (e. V.), die gemeinnützige GmbH (gGmbH) und die gemeinnützige Stiftung.

Der eingetragene VereinDer Eigentümer eines eingetragenen Vereins sind seine Mitglieder. Der eingetra-gene Verein ist eine juristische Person mit Rechten und Pflichten, die z. B. für Schäden haftet oder selber als Kläger auftreten kann. Haftungskapital ist aus-schließlich das Vereinsvermögen. Leitung und Vertretung nach außen übernimmt ein von den Mitgliedern gewählter Vorstand im Rahmen der Vereinssatzung. Die Kontrolle des Vorstands übernimmt die Mitgliederversammlung (bei großen Ver-einen auch die Delegiertenversammlung) in vereinbarten Perioden. Nach einer Wahlperiode kann ein Vorstand von den Mitgliedern komplett abgewählt und durch neues Personal ersetzt werden. Somit hat ein eingetragener Verein einen basisdemokratischen Charakter und erscheint in Bezug auf Motivtreue verläss-lich. Die Gewinne des eingetragenen Vereins müssen im Verein bleiben und ste-hen nicht den Mitgliedern (Eigentümern) zu.

Die gemeinnützige GmbHEigentümer der gGmbH sind die Gesellschafter. Die gGmbH ist eine juristische Person mit Rechten und Pflichten, die z. B. für Schäden haftet oder selbst als Klä-ger auftreten kann. Haftungskapital ist ausschließlich das Gesellschaftsvermö-gen. Leitung und Vertretung nach außen übernimmt eine von den Gesellschaftern bestimmte Geschäftsführung im Rahmen der Geschäftsordnung. Die Kontrolle der Geschäftsführung übernimmt die Gesellschafterversammlung mindestens jährlich. Die Gewinne der gGmbH müssen in der Gesellschaft bleiben und stehen nicht den Gesellschaftern zu – es sei denn, ein Gesellschafter ist eine gemeinnüt-zige juristische Person wie z. B. ein eingetragener Verein. Deshalb gibt es häufi-ger eine Konstruktion aus einem eingetragenen Verein mit einer gGmbH-Tochter.

Die gemeinnützige StiftungIn der Regel hat eine gemeinnützige Stiftung keinen Eigentümer und das Stif-tungsvermögen gehört der Stiftung, die eine juristische Person mit Rechten und Pflichten ist und z. B. für Schäden haftet oder selbst als Kläger auftreten kann. Haftungskapital ist ausschließlich das Stiftungsvermögen. Leitung und Vertre-tung nach außen übernimmt ein Vorstand im Rahmen der Stiftungssatzung. Die-ser wird i. d. R. vom Stifter des Stiftungsvermögens bestellt. Die Kontrolle des

11.1 Non-Profit-Organisationen

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148 11 Organisationsformen

Vorstands übernimmt die staatliche Stiftungsaufsicht. Die Gewinne der Stiftung stehen dem Stiftungszweck zu.

Insgesamt ist das Stiftungsrecht sehr komplex, weil die Regelungen über ver-schiedene Bundes- und Landesgesetze verteilt sind. Im Fall einer Beratung sollte man sich deshalb immer über die besondere Konstruktion einer Stiftungsorgani-sation im Einzelnen informieren.

11.2 Profitorganisationen

Gewinnorientierte Organisationen werden i. d. R. als Unternehmen bezeichnet. Je nach Größe und Art des Unternehmens kann eine Personen- oder Kapitalgesell-schaft gegründet werden.

Bei der Personengesellschaft stehen jene Personen im Mittelpunkt, die mit ihrem gesamten Gesellschafts- und Privatvermögen haften. Personengesellschaf-ten sind keine juristische Person, d. h. sie haben keine eigene Rechtspersönlich-keit, die z. B. für Schäden haftet oder selbst als Kläger auftreten kann.

Organisationsformen für Personengesellschaften sind

EinzelunternehmenGesellschaft des bürgerlichen Rechts (GbR)Stille GesellschaftOffene Handelsgesellschaft (OHG)Kommanditgesellschaft (KG)

Das EinzelunternehmenEigentümer von Einzelunternehmen können Gewerbetreibende, Freiberufler oder Land- und Forstwirte sein. Als alleiniger Inhaber haftet ein Einzelunternehmer mit seinem gesamten Vermögen für sein Unternehmen und ist bei seinen unter-nehmerischen Entscheidungen als Geschäftsführer seiner Eigenkontrolle unter-worfen. Das Einzelunternehmen hat keine eigene Rechtspersönlichkeit und verfügt über kein Gesellschaftskapital.

Die Gesellschaft des bürgerlichen RechtsSobald zwei oder mehr natürliche oder juristische Personen wirtschaftlich einen gemeinsamen Zweck verfolgen, bilden sie automatisch eine GbR. Und unabhängig davon, ob sie für ihr gemeinsames Agieren einen Vertrag schließen oder nicht, unter-liegen sie als solche Gesellschaft den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Eigen-tümer der GbR sind die Personen, die einen gemeinsamen Zweck verfolgen. Als

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149

Partner sind sie gleichberechtigt in Geschäftsführung und gegenseitiger Kontrolle. Die Partner haften mit ihrem Privatvermögen. Die GbR hat keine eigene Rechtsper-sönlichkeit und verfügt über kein Gesellschaftskapital.

Die Stille GesellschaftDie Stille Gesellschaft ist eine Sonderform einer Personengesellschaft ohne Ein-tragungspflicht. Sie entsteht, wenn ein Gesellschafter nur im Innenverhältnis an einem Unternehmen beteiligt ist. Er hat dadurch weder ein Mitspracherecht, noch Rechte und Pflichten im Geschäftsbetrieb. Die im Unternehmen geschlossenen Geschäften obliegen nach Rechten und Pflichten allein dem Inhaber des Unter-nehmens und das Geschäftsvermögen ist dessen Alleinvermögen. Die Haftung des stillen Gesellschafters ist auf seine getätigte Einlage beschränkt. Es kann auch vereinbart werden, dass der stille Gesellschafter nicht am Verlust der Gesell-schaft beteiligt sein soll. Seine Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft ist hinge-gen verpflichtend. In Bezug auf Geschäftsführung und Kontrolle gelten ansonsten die oben genannten Kriterien für Einzelunternehmen.

Die Offene HandelsgesellschaftZum Betrieb eines auf Handel ausgerichteten Gewerbes eignet sich die OHG, die gemeinschaftlich von mindestens zwei Kaufleuten gegründet wird und ins Han-delsregister eingetragen werden muss. Eigentümer der OHG, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, sind die Gesellschafter, die unmittelbar und unbe-schränkt mit ihrem gesamten Privat- und Gesellschaftsvermögen haften. Als Voll-hafter obliegt ihnen zugleich die Geschäftsführung und gegenseitige Kontrolle.

Die KommanditgesellschaftDie KG besteht aus zwei Gesellschaftertypen – den Komplementären (Vollhafter) und den Kommanditisten (Teilhafter). Diesen kommen jeweils unterschiedliche Haftungsverpflichtungen und Entscheidungsrechte zu. Als Gesellschafter haften die Kommanditisten nur mit ihrer Stammeinlage. Die Komplementäre haften hin-gegen uneingeschränkt mit ihrem Gesamtvermögen und haben deshalb das allei-nige Recht zur Geschäftsführung. Kontrolliert wird die Geschäftsführung von der Gesellschafterversammlung. Wie die OHG muss auch die KG ins Handelsregister eingetragen werden. Sie hat keine eigene Rechtspersönlichkeit.

GmbH & Co. KGEine Sonderform der KG ist die GmbH & Co. KG, bei der die GmbH als haf-tungsbeschränkte Kapitalgesellschaft in die Rolle des Komplementärs eintritt – und eben nur mit ihrem Stammkapital haftet. Hierbei handelt es sich also um eine

11.2 Profitorganisationen

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150 11 Organisationsformen

Kombinationsform einer Personengesellschaft mit einer Kapitalgesellschaft, die die flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten einer Personengesellschaft mit dem Vor-teil der Haftungsbeschränkung durch eine Kapitalgesellschaft zu verbinden weiß. Als Vertreter der Komplementär-GmbH sind deren Geschäftsführer automatisch zur Geschäftsführung der GmbH & Co. KG berechtigt. Dabei werden sie von allen Gesellschaftern der GmbH & Co. KG kontrolliert. Als Personengesellschaft besitzt die GmbH & Co.KG keine eigene Rechtspersönlichkeit.

Bei der Kapitalgesellschaft steht die Gesellschaft als eigene Rechtspersön-lichkeit im Mittelpunkt, die nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen haftet. Anders als bei den Personengesellschaften stellen die Eigentümer der Kapitalgesell-schaft das Gesellschaftskapital bereit und haften i. d. R. nur mit diesem. Über die Gesellschafterversammlung haben sie das Recht, die Geschäftsführung zu bestimmen und zu kontrollieren.

Um eine Kapitalgesellschaft zu gründen, braucht es ein Mindeststammkapital, einen Gesellschaftsvertrag und die Eintragung in das Handelsregister.

Die Besonderheit einer Kapitalgesellschaft in Abgrenzung zur Personen-gesellschaft liegt darin begründet, dass sich bei ihr die Interessen der Eigentü-mer (Kapitalgeber) von denen der haftenden Organisation (vertreten durch die Geschäftsführung) auseinander entwickeln können.

Diese Besonderheit hat eine juristische, eine wirtschaftliche und eine psycho-logische Dimension. Rechtlich ist die Kapitalgesellschaft zum Schutz der Gläu-biger auf Langlebigkeit konstruiert. Wirtschaftlich ist sie vom Eigentümer für (maximale) Gewinnausschüttung gewollt. Für die Geschäftsführung ergibt sich nicht selten dadurch ein Lavieren zwischen den gesetzlichen Anforderungen an die Organisation, den Eigentümerinteressen und natürlich auch den eigenen Inte-ressen als Geschäftsführung. Der Ausgleich dieser Interessen beschreibt zugleich die Kunst der Geschäftsführung.

Und in diesem Spannungsverhältnis zeigt sich die psychologische Dimension des Systems.

Zu den üblichen Organisationsformen für Kapitalgesellschaften zählen

Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)Aktiengesellschaft (AG)Eingetragene Genossenschaft (eG)

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151

Die Gesellschaft mit beschränkter HaftungDie GmbH ist eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie kann von einem oder von mehreren Gesellschaftern gegründet werden. Dafür müssen ein Gesellschaftsvertrag geschlossen und die Gesellschaft ins Handelsregister ein-getragen werden.

Für ihre Gründung ist heute ein Mindeststammkapital von 25.000 EUR erfor-derlich. Eine Sonderform der GmbH ist die Unternehmergesellschaft (UG), für die nur ein Mindeststammkapital von einem Euro erforderlich ist. Die UG ist jedoch zur Bildung von Rücklagen verpflichtet, bis ein Mindeststammkapital ana-log zur GmbH angespart ist.

In der Regel haften die Gesellschafter nur mit ihren Einlagen.Eigentümer der GmbH sind die Gesellschafter entsprechend ihrer prozentu-

alen Anteilen am Gesellschaftsvermögen. Genauso anteilig ist auch die Gesell-schafterversammlung mit ihren Entscheidungsbefugnissen zusammengesetzt, ebenso wie die Gewinnverteilung.

Die Gesellschafterversammlung bestellt die Geschäftsführung und kontrolliert diese.

Die AktiengesellschaftAuch die AG ist eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie kann von einem oder von mehreren Gesellschaftern gegründet werden. Dafür müssen ein AG-Vertrag geschlossen und die AG ins Handelsregister eingetragen werden.

Zum Zeitpunkt der Gründung muss ein Grundkapital von mindestens 50.000 EUR vorhanden sein. Das Grundkapital wird von den Gesellschaftern eingebracht und in Aktien aufgeteilt. Dadurch werden die Gesellschafter nun zu Aktionären. Die Aktionäre haften nur mit ihren Einlagen.

Im Unterschied zum Gesellschaftsanteil an einer GmbH ist die Aktie leichter zu kaufen und zu verkaufen. Damit kann sich in der AG eine deutlich komplexere Eigentümerstruktur als in der GmbH entwickeln – mit der Folge einer eigenstän-digen Aktionärsgruppe, die wie ein System außerhalb des Organisationssystems wirken kann.

Je unpersönlicher also die Bindung von Kapital und Organisation wird, desto eigenständiger sind die jeweiligen Interessensgruppen zu betrachten, die hier mit-einander oder eben gegebenenfalls auch gegeneinander agieren.

Die Organe der Aktiengesellschaft sind Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptver-sammlung der Aktionäre. Die Geschäftsführung obliegt dem Vorstand, der vom Aufsichtsrat bestellt und kontrolliert wird. Die jährliche Hauptversammlung

11.2 Profitorganisationen

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152 11 Organisationsformen

wählt den Aufsichtsrat, entlastet Aufsichtsrat und Vorstand und entscheidet über die Gewinnverwendung.

Die eingetragene GenossenschaftAls Mischform aus Personen- und Kapitalgesellschaft ist die eingetragene Genos-senschaft ein Zusammenschluss von mindestens drei natürlichen oder juristischen Personen und erhält als juristische Person ihre Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Genossenschaftsregister. Sie kann als Konsum-, Bank-, Bau-, Dienstleis-tungs-, Absatz- oder Produktionsgenossenschaft gegründet werden. Ihre Mitglie-derzahl ist offen.

Für die Gründung ist kein Mindestkapital erforderlich und die e. G. haftet aus-schließlich mit ihrem Stammkapital.

Die Mitglieder sind die Eigentümer – sie erwerben Anteile an der Genossen-schaft, deren Ziel es ist, die wirtschaftlichen, sozialen oder gesellschaftlichen Belange ihrer Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu för-dern.

Hierfür hat die e. G. drei Organe, die analog zur AG funktionieren: Vorstand, Aufsichtsrat und General- bzw. Vertreterversammlung. Das Geschäftsführungsor-gan ist der Vorstand, das überwachende und beratende Organ ist der Aufsichtsrat, und die General-/Vertreterversammlung wählt den Aufsichtsrat, entlastet Auf-sichtsrat und Vorstand und entscheidet über die Gewinnverwendung.

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Literaturempfehlungen

Meine Literaturempfehlungen erfolgen in der Reihenfolge des Erscheinungsjahres.

Praxis der OrganisationsaufstellungenGrundlagen, Prinzipien, AnwendungsbereicheGunthard Weber (Hrsg.)Carl Auer Verlag, Heidelberg 2000

Systemdynamische OrganisationsberatungEin Handlungsleitfaden für Unternehmensberater und TrainerKlaus Grochowiak und Joachim CastellaCarl Auer Verlag, Heidelberg 2002

Einführung in Systemtheorie und KonstruktivismusFritz B. SimonCarl Auer Verlag, Heidelberg 2006

Systemische Organisationsentwicklung und Beratung bei Veränderungspro-zessenEin HandbuchNino Tomaschek (Hrsg.)Carl Auer Verlag, Heidelberg 2006

Essenzen aus der systemischen OrganisationsberatungKonzepte, Kontexte, KommentareMartin Hillebrand, Ebru Sonuc, Roswita Königswieser (Hrsg.)Carl Auer Verlag, Heidelberg 2006

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154 12 Literaturempfehlungen

Management ConstellationsMit Systemaufstellungen Komplexität managenClaude Rosselet und Georg SenonerKlett-Cotta Verlag, Stuttgart 2007

Perspektiven systemischer Entwicklung und Beratung von OrganisationenEin SammelbandNino Tomaschek (Hrsg.)Carl Auer Verlag, Heidelberg 2007

Einführung in die systemische OrganisationstheorieFritz B. SimonCarl Auer Verlag, Heidelberg 2007

Potenziale der OrganisationsaufstellungInnovative Ideen und AnwendungsbereicheThorsten Groth, Gerhard Stey (Hrsg.)Carl Auer Verlag, Heidelberg 2007

Systemische StrukturaufstellungenTheorie und PraxisInsa SparrerCarl Auer Verlag, Heidelberg 2009

Systemisch beraten und steuern liveModelle und Best Practices in OrganisationenMarkus Schwemmle und Bernd SchmidVandenhoek & Ruprecht Verlag, Göttingen 2009

Von der systemischen Familientherapie zur systemischen OrganisationsberatungKonzeptübernahme oder Weg zur eigenständigen Theorie?Stefanie HagenGrin Verlag, München 2009

Systemische Intervention in der MitarbeiterführungPeter SteinkellnerCarl Auer Verlag, Heidelberg 2012

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15512 Literaturempfehlungen

Einführung in das systemische ManagementFrank Boos und Gerald MittererCarl Auer Verlag, Heidelberg 2014

Einführung in die systemische PersonalführungDietrich von der OelsnitzCarl Auer Verlag, Heidelberg 2014

Einführung in die (System-)Theorie der BeratungFritz B. SimonCarl Auer Verlag, Heidelberg 2014

Gestalt im ManagementEine andere Sicht auf Marken- und Unternehmensführung in komplexen MärktenStephanie HartungSpringer Gabler Verlag, Wiesbaden 2014

Warum funktionieren Aufstellungen?Eine Betrachtung in 14 ThesenStephanie HartungDeutscher Wissenschafts-Verlag, Baden-Baden 2014

Handbuch Systemische OrganisationsberatungEckard König und Gerda VolmerBeltz Verlag, Weinheim 2014

Einführung in die Methoden der systemischen OrganisationsberatungJoana KrizanitzCarl Auer Verlag, Heidelberg 2014

Wunder, Lösung und SystemLösungsfokussierte systemische Strukturaufstellungen für Therapie und Orga-nisationsberatungInsa SparrerCarl Auer Verlag, Heidelberg 2014

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156 12 Literaturempfehlungen

Reinventing OrganizationsEin Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der ZusammenarbeitFrederic LalouxFranz Vahlen Verlag, München 2015

Einführung in die systemische OrganisationstheorieFritz B. SimonCarl Auer Verlag, Heidelberg 2015

Theorie U – Von der Zukunft her führenPresencing als soziale TechnikCarl Otto ScharmerCarl Auer Verlag, Heidelberg 2015

OrganisationsaufstellungenGrundlagen, Settings, AnwendungsfelderGunthard Weber, Claude Rosselet (Hrsg.)Carl Auer Verlag, Heidelberg 2016

Zwei Seiten der ErfahrungWie Organisationen intelligenter werden könnenJames G. MarchCarl Auer Verlag, Heidelberg 2016

66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und BeratungThorsten GrothCarl Auer Verlag, Heidelberg 2017

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Literaturhinweise

Cook 2009Tim CookThe Cook Doctrine at Apple, 2009http://fortune.com/2009/01/22/the-cook-doctrine-at-apple/

Disney 2017The Walt Disney CompanyOur Missionhttps://thewaltdisneycompany.com/about/

Ehrenfels 1890Christian von EhrenfelsVierteljahrsschrift für wissenschaftliche PhilosophieJahrgang 13, Leipzig 1890, Wiederabdruck 1978, S. 12http://www.gleichsatz.de/b-u-t/begin/ehrfels0.html

Groth 2017Thorsten Groth66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und BeratungCarl-Auer Verlag, Heidelberg 2017, S. 83

Gutmark 2014Benny J. GutmarkSystemische Aufstellungen im organisationalen KontextDissertation Technische Universität Darmstadt 2014Teil I Systemisches Grundlagenwissen, S. 12http://tuprints.ulb.tu-darmstadt.de/3837/

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© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018 S. Hartung, Theorie und Praxis der Organisationsaufstellung, https://doi.org/10.1007/978-3-662-56210-9_13

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158 13 Literaturhinweise

Hegel 1812Georg Friedrich Wilhelm HegelWissenschaft der Logik I, 11.Nürnberg, 1812–1816

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Wilber 2000Ken WilberA Theory of Everything: An Integral Vision of Business, Politics, Science und Spiri-tualityShambala Publications, Boston 2000