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Wir veröffentlichen hier Auszüge aus dem einführenden Kapitel des Buches Tibetan Logic von Katherine Manchester Rogers. Dieses Buch bietet eine hervorragende Einführung in Tarig. Die Autorin stützt sich auf ein Handbuch der Einführung in Logik, „Der magische Schlüssel“ von Purbuchok. Obwohl in unserem Tarig Studienprogramm hauptsächlich ein anderer Text, nämlich „Der Spiegel, der alle Dharmas erhellt“ von Geshe Tsültrim Namgyäl Verwendung finden wird, umfassen ja beide Texte das gleiche Wissensgebiet, die gleiche Methodik, das gleiche Vokabular. Daher ist die Lektüre der Einführung, und natürlich des gesamten Buches, sehr empfehlenswert und erhellend. Leider haben wir trotz mehrfacher Bemühungen noch keine Antwort des Verlags snow lion erhalten.
Deutsche Übersetzung aus dem Amerikanischen unter Verwendung der Tibethaus Lorig-Terminologie durch Sabine Leuschner
Tibetische Logik
von Katherine Manchester Rogers1
Auszüge aus der Einführung
Zweck und Methode
Dieses Buch ist ein Versuch, einführende tibetische2 Logik zu erklären, wie sie in den Kloster
Universitäten der Gelugpa Schule des tibetischen Buddhismus studiert und praktiziert wird. Seit ihrer
Gründung durch Tsongkhapa im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert hat die Gelugpa Schule ein
Erziehungssystem und einen Lehrplan geschaffen, der es dem Schüler ermöglicht, einen "Weg3 des
logischen Denkens" zu entwickeln. Ein Weg des logischen Denkens ist ein Bewusstsein, das in einer
begründeten Analyse trainiert wurde, bis es die Analyse nutzen kann, um zuerst die Bedeutung
religiöser Texte und schließlich die wahre Natur der Realität zu erkennen.
Diese Arbeit ist hauptsächlich exegetisch und erklärt das Vokabular, die Konzepte und Prinzipien der
Gelugpa Logik, wie sie heute gelehrt wird. Es gibt jedoch keine monolithische Gelugpa Präsentation
der Logik; es gibt keine endgültige, unangefochtene Sicht zu allen Themen. Jede Klosterschule wird
1 Tibetan Logic, snow lion 2009; ISBN 9781559393157
2 Wir würden lieber den Begriff indo-tibetische Logik benutzen, da die buddhistische Logik von indischen
Denkern begründet wurde. 3 Im Buddhismus wird der Begriff „Pfad“ oder „Weg“ oft synonym für einen bestimmten Grad der
Verwirklichung in einem Bewusstsein verwendet. (Anm. der Übers.)
„Das geistige Training zielt nur teilweise darauf ab,
Missverständnisse in Bezug auf die
untersuchten Themen zu beseitigen.
Sein wichtigster Zweck für die Studierenden ist es,
eigene falsche Vorstellungen über Personen
und Phänomenen zu beseitigen„
Katherine Manchester Rogers
2
eigene Schwerpunkte und Lieblingstexte haben; und sogar innerhalb eines monastischen Colleges
werden verschiedene Gelehrte unterschiedliche Meinungen zu den Fragen haben, die sich beim
Studium der einführenden Logik ergeben. Es gibt also nicht den einen, unbestrittenen Standpunkt.
Vielmehr bietet die Gelugpa Logik heute einen faszinierenden Nexus von Meinungen und
Gegenaspekten, von Komplikationen und Widersprüchen. Mein Ziel ist es, aus diesem
Zusammenhang eine allgemeine Anerkennung der Gelugpa Herangehensweise an die Logik und ihren
Platz im religiösen Leben zu ziehen.
Als Grundlage für diese Studie habe ich ein einführendes, logisches Handbuch über Gründe und
logisches Denken von Pur bu chok4, dem Philosophie-Tutor des dreizehnten Dalai Lama, übersetzt.
Ich benutze diesen Text als Rahmen eines Versuchs, eine „Gelugpa-Präsentation“ des Themas zu
formulieren. Es ist eine mögliche Art und Weise, die manchmal verwirrende Komplexität und den
Reichtum der Gelugpa Tradition zu ordnen. Wo es Konsens gibt, erkläre ich es so gut wie möglich und
ziehe dabei eine Reihe von Quellen heran. Wo es Meinungsverschiedenheiten gibt, erkläre ich das
auch. Auf diese Weise hoffe ich, das Wesentliche und die lebendige Vielfalt des Gelugpa-Systems der
Logik zu skizzieren, wie es in den Klosteruniversitäten heute übertragen wird.
In meinen Erklärungen habe ich (1) Material aus anderen Gelugpa Texten, darunter einige über Logik
und einige zu verwandten Themen, und (2) Kommentare, die ich von hervorragenden Gelugpa
Gelehrten erhalten habe, verarbeitet.
(1) Gelugpa Texte
(a) Kommentare zu Dharmakirtis Kommentar zu (Dignagas) Zusammenstellung zur Direkten
Wahrnehmung
(1) Aufklärer des Weges der Befreiung von Gyal-Tsap
(2) Das Ornament der Argumentation zur Direkten Wahrnehmung des ersten Dalai Lama
(3) Erleuchtung des Gedankens von Panchen Sönam Drakpa
(b) Einführende Logik Handbücher
(1) Gründe und logisches Denken von Geshe Tsültrim Namgyäl
(2) Gründe und logisches Denken von Jamyang Shepa
(c) Andere Einführungshandbücher
(1) Ausgewählte Themen von Purbuchok
(2) Bewusstsein und Erkenntnis von Geshe Jampel Sampel
(2) Ich erhielt Kommentarunterweisungen von zahlreichen Lehrern zu den oben genannten
Texten. Diejenigen, von denen ich ausführliche Kommentare erhalten habe, sind:
(1) Lati Rinpoche, ehemaliger Abt des Shartse College der Klosteruniversität Ganden
(2) Kensur Yeshe Thubten, ehemaliger Abt von Loseling College der Drepung Klosteruniversität
(3) Geshe Gendün Lodrö, vom Gomang College der Drepung Klosteruniversität
(4) Geshe Pälden Drakpa von Loseling
(5) Geshe Lobsang Gyatso von Loseling
4 Pur-bu-chok Jam-pa Gya-tso (phur bu lcog byams ba rgya mthso, 1825-1901)
3
(6) Geshe Sanggyä Samdrup (Georges Dreyfus), der als erster Westler 1985 den Geshe-
Abschluss erhielt, nachdem er an der Buddhistischen Dialektikschule in Dharamsala und an
allen drei Gelugpa Klosteruniversitäten in Südindien studiert hatte
Die oben aufgeführten Texte erstrecken sich über sechs Jahrhunderte, vom 15. bis zum 20.
Jahrhundert, aber diese Studie ist keine historische Analyse. Ich vergleiche nicht Gelugpa Texte im
Laufe der Zeit und verfolge auch nicht die Entwicklung von Gelugpa Ideen. Ich betrachte weder die
Entwicklung der Gelugpa Logik von ihren Wurzeln in den Werken von Dignaga und Dharmakirti, noch
vergleiche ich die Gelugpa Logik-Handbücher mit Gelugpa Vorläufern (z. B. logische Werke der die
Sakyapa-Schule, wie Sakya Panditas Schatzkammer des logischen Denkens). Und ich vergleiche auch
nicht die einführenden Logikhandbücher, die heute in Gelugpa Klöstern verwendet werden, mit
früheren Versionen, wie dem bekannten Ratö-Handbuch von Gründe und logisches Denken von
Jamyang Chok lha Öser.
Die Gelugpa Schule hat mehrere konkurrierende Klosterschulen, die verschiedenen mündlichen
Überlieferungen folgen. Meine Darstellung veranschaulicht die Vielfalt dieser Traditionen, indem sie
die Ansichten von Gelehrten aus den Kollegien Ganden Sharte, Loseling und Gomang zitiert und
vergleicht. Meine Arbeit organsiert sich entlang der Themen und daher sollte der Leser weder einen
systematischen Vergleich der Gelugpa Logik der verschiedenen Klosteruniversitäten erwarten, noch
einen historischen Bericht über die Entwicklung ihrer verschiedenen mündlichen Überlieferungen.
Dies ist eine allgemeine Darstellung der Gelugpa Logik, wie sie heute in den Gelugpa Klöstern
erläutert wird. Indem ich diese Verschiedenartigkeit in eine auf Purbuchoks Text basierende Ordnung
bringe, zeige ich widersprüchliche Standpunkte auf und vermeide eine zu starke Vereinfachung. Ich
hoffe, den allgemeinen Charakter der Gelugpa Gedanken aufzuzeigen, ohne ihnen eine künstliche
"Einheit" aufzuerlegen.
Um diese Präsentation zu vertiefen, vergleiche ich die aktuelle Gelugpa Handhabung von
Schlüsselthemen mit der entsprechenden Behandlung in einer Quelle außerhalb der Schule, einem
logischen Text des 11. Jahrhunderts des indischen buddhistischen Logikers Moksakaragupta. Ich tue
dies aus zwei Gründen: um zu zeigen dass viele Aspekte des Gelugpa Systems der Logik keine
Innovationen, sondern Teil einer noch älteren Tradition sind und um Merkmale verschiedener
Themen hervorzuheben, die für die Gelugpa Sichtweise einzigartig sein können.
Tibetische Logikhandbücher sind extrem knapp und prägnant. Sie sind eher wie die Notizen eines
Lehrers, sie sollen nicht die vollständige Darstellung sein; Diskussion und Debatte füllen das Thema
aus. Um die Themen der einführenden Logik zu erklären, stelle ich Purbuchoks Handbuch in seiner
Gesamtheit vor und schließe Passagen aus anderen Gelugpa Logiktexten sowie den Kommentar von
Gelugpa Gelehrten ein.
Purbuchoks Text ist in der üblichen Kurzschrift gehalten, die außerhalb der Tradition nicht ohne
weiteres verständlich ist. Die Ideen werden von Lehrern im Unterricht sowie von fortgeschrittenen
Studierenden im Debattierhof entlang allgemein anerkannter Linien konkretisiert. Gelegentlich sind
Aussagen allerding so kurz wie mehrdeutig. Um dies zu illustrieren, ebenso wie die Vielfalt der
Antworten der Gelugpa Gelehrten, zitiere ich eine Passage aus Purbuchoks Erklärung des korrekten
natürlichen Grundes. Die hochtechnischen Aspekte dieses Themas sind in meinem Kapitel über „Die
Durchdringungen“ erklärt; hier stelle ich es nur kurz vor.
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Korrekte Gründe oder Zeichen (die Begriffe sind in diesem Zusammenhang äquivalent) sind Gründe,
die im Bewusstsein einer geeigneten Person ein neues Verständnis einer These erzeugen können. Im
Syllogismus, "das Subjekt, der Klang, ist unbeständig, weil er ein Produkt ist", ist der Grund
"Produkt", und das, was bewiesen wird (das Probandum), ist, dass Klang unbeständig ist. Eine
Person, die verstanden hat, dass der Klang ein Produkt ist und sich fragt, ob Klang unbeständig ist
oder nicht, wird als bereit zu verstehen, dass der Klang unbeständig ist, betrachtet; und dieses
Verständnis kann durch diese Argumentation ausgelöst werden.
In diesem Syllogismus ist "Produkt" ein natürlicher Grund. Korrekte Gründe können auf verschiedene
Arten kategorisiert werden, aber die primäre Unterteilung besteht aus drei: Wirkungsgrund,
Natürlicher Grund und Nichtbeobachtungsgrund. Purbuchoks Definition von etwas, das ein korrekter
natürlicher Grund ist, lautet:
(1) (x) ist ein korrekter Grund im Beweis von etwas und (2) es ist von dem Standpunkt aus
gesetzt, dass alles, was als das explizite Prädikat des Probandums im Beweis dafür durch
den Grund x gehalten wird, von einer Natur sein muss mit x.
Das ist alles; er fährt fort, die Aufteilung der natürlichen Gründe in zwei Typen zu besprechen und
Illustrationen zu geben.
Allein aus der obigen Definition lernt man, dass der Grund korrekt sein muss und dass das Prädikat
(unbeständig) von einer Natur mit dem Grund (Produkt) sein muss. Wenn dies eine angemessene
Charakterisierung von natürlicher Grund wäre, dann wäre jeder korrekte Grund, der ein Prädikat der
gleichen Art wie Grund enthält, ein korrekter natürlicher Grund - was nicht der Fall ist.
Die Gelugpa Gelehrten stimmen darin überein, Purbuchoks Punkte dahingehend zu verstärken, dass
ein natürlicher Grund (1) ein korrekter Grund eines positiven Phänomens sein muss und (2) im
Zusammenhang mit dem Prädikat in einer genau definierten "Gleichheit der Natur" stehen muss.
Keine dieser Anforderungen ist in Purbuchoks Definition klar, obwohl beide durch das Studium von
(a) anderen Teilen von Purbuchoks Text, (b) dem Kommentar von Gelugpa Gelehrten und (c) der
Behandlung dieses Themas in anderen Gelugpa Logiktexten verstanden werden können.
I. Das erste Problem: ein natürlicher Grund muss ein „korrekter Grund eines positiven
Phänomens“ sein. Für die meisten Hochschulen heißt dies, dass das Prädikat des Probandums
selbst ein positives Phänomen sein muss. Lati Rinpoche spiegelt diesen Standpunkt wider, wenn er
sagt:
Die ersten beiden Typen, korrekter Wirkungs- und natürlicher Grund, werden
korrekter Grund eines positiven Phänomens genannt, weil das Prädikat des
Probandums ein positives Phänomen ist; das heißt, das, was als das explizite Prädikat
des Probandums gehalten wird, ist ein positives Phänomen.
Im Syllogismus: "Das Subjekt, der Klang, ist unbeständig, weil es ein Produkt ist", ist "Produkt" ein
korrekter natürlicher Grund und (gemäß den meisten Colleges) "unbeständig" ein positives
Phänomen. Gelehrte des Gomang College der Drepung Klosteruniversität haben eine andere
Sichtweise. Geshe Pälden Drakpa erklärt:
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Nach dem Gomang-College muss das Prädikat des Probandums [im Falle natürlicher Gründe]
selbst kein positives Phänomen sein; es reicht aus, dass der Grund ein positives Phänomen
ist.
Gomang Gelehrte sind sich einig, dass ein natürlicher Grund ein positives Phänomen beweist, aber
sie lehren, dass das Prädikat selbst ein negatives Phänomen sein kann. Trotz ihrer Differenzen über
das Prädikat sind sich alle Hochschulen einig, dass ein natürlicher Grund ein Grund für ein positives
Phänomen sein muss. Purbuchoks Definition lässt diesen Punkt jedoch außer Acht, indem er nur
angibt, dass es sich um einen korrekten Grund handeln muss. Es ist interessant festzustellen, wie
verschiedene Gelehrte auf diese Unterlassung reagieren. Geshe Lobsang Gyatso sagt, dass es keinen
Fehler im Text gibt; die Bedeutung ist beabsichtigt, wenn auch nicht vollständig in der Definition
ausgedrückt, und man muss nur Material von anderswo bringen, um die Bedeutung zu füllen. Er
zitiert Purbuchoks eigene Aussage an anderer Stelle in seinem Text: "Was auch immer entweder ein
korrekter Wirkungsgrund oder ein korrekter natürlicher Grund ist, ist unweigerlich ein korrekter
Grund für ein positives Phänomen.
Eine interessante Tatsache, die aus dieser Studie hervorgeht, ist, dass Gelugpa Gelehrte die
Mehrdeutigkeit nicht als Makel in einem Text betrachten und manchmal sogar als eine Möglichkeit
erklären, eine Debatte zu provozieren. Dies kann natürlich eine Entschuldigung seitens der Gelehrten
sein, eine Art, Fehler in den Texten zu beschönigen; Einige vertreten jedoch die Ansicht, dass in
scheinbaren Fehlern, insbesondere in Einführungshandbüchern, ein pädagogischer Zweck bestehen
könnte. Geshe Gendün Lodrö unterstützt diesen Ansatz und sagt in einem anderen, aber ähnlichen
Kontext: "Es gibt keinen Fehler im Text; Es ist so geschrieben, um eine Debatte zu provozieren."
Scheinbare Unstimmigkeiten können zu Analysen und sorgfältiger Prüfung führen. Diese werden als
sehr wichtig angesehen, weil der Zweck des Studiums der Logik über ein bloßes Vertraut werden mit
den Logik Texten hinausgeht; es soll vielmehr ein Werkzeug sein, um einen Weg des logischen
Denkens zu entwickeln – also fähig zu werden, die Widersprüche, die sich beim Studium und in der
Meditation über ein breites Spektrum von Themen ergeben, kreativ und mit Enthusiasmus
konfrontieren zu können.
Andere Gelehrte kommen mit Purbuchoks Definition zurecht, indem sie Veränderungen vorschlagen.
Nachdem er als Problem der Definition herausgestellt hat, dass man zwar Beispiele setzen kann, die
sie erfüllen, aber nicht wirklich korrekte Gründe sind, sagt Geshe Pälden Drakpa:
Man sollte der Definition die Bedingung hinzufügen, dass, was auch immer als das explizite
Prädikat des Probandums in diesem Beweis gehalten wird, notwendigerweise ein positives
Phänomen sein muss; oder die Anforderung, dass der Grund ein Grund für ein positives
Phänomen sein muss.
II. Die zweite Frage: Ein korrekter natürlicher Grund muss mit dem Prädikat in einer Beziehung
der Gleichheit der Natur in Beziehung stehen. Das ist präziser und subtiler als Purbuchoks "muss
von einer Natur sein". Es muss eine besondere Beziehung zwischen dem Grund und dem Prädikat
geben, die mehr beinhaltet, als nur von einer Natur zu sein. Um die besondere Beziehung
zwischen dem Grund und dem Prädikat zu charakterisieren, erklären die Lehrer, dass (1) das
Prädikat die gleiche Natur wie der Grund sein muss und (2) das Prädikat den Grund durchdringen
muss. Das erste allein ist nicht genug, weil das Prädikat den Grund durchdringen muss, während
der Grund das Prädikat nicht durchdringen muss. In dieser Hinsicht ist die Definition von
6
Purbuchok unvollständig und könnte irreführend sein. Die Studenten werden später in ihren
monastischen Studien die technischen Voraussetzungen und die Feinheiten einer Beziehung der
Gleichheit der Natur lernen, aber Purbuchok hätte diese Definition leicht präzisieren können.
Hier ist die Definition des Ersten Dalai Lama für den korrekten natürlichen Grund:
(1) Es ist ein korrekter Grund eines positiven Phänomens im Beweis dafür und (2)
was auch immer das explizite Prädikat des Probandums im Beweis dafür ist, ist
notwendigerweise ein Durchdringer von der gleichen Natur.
Im ersten Teil wird das Erfordernis des "positiven Phänomens " genannt, das von Purbuchok nicht
explizit formuliert wird; und der zweite Teil drückt das zweite Kriterium von natürlichem Grund
genauer und vollständiger aus als Purbuchok. Die Definition des ersten Dalai Lama war allgemein
bekannt, aber Purbuchok entschied sich für eine andere Definition, die irreführend sein könnte. Ist es
ein zufälliger Fehler, der zu korrigieren ist, oder ein Lehrmittel, das für die Debatte verwendet
werden soll? Purbuchoks Text enthält andere Abschnitte von doppeldeutiger Kürze, auf die ich im
Detail eingehen werde, wenn sie an der Reihe sind.
In diesem Buch habe ich das Ziel, alle Themen zu erklären, die in Purbuchoks Handbuch "Grund und
logisches Denken" behandelt werden. Erklärung ist notwendig: wie andere Texte, die im Gelugpa
Lehrplan verwendet werden, ist es in einem knappen und gespreizten Stil geschrieben. Es ist nicht
beabsichtigt, dass das Handbuch von einem einzelnen Schüler verwendet wird; Es wird immer unter
der Leitung eines Lehrers studiert, und das Studium wird durch viele Stunden intensiver und
lebhafter Debatte vertieft.
Mein weiterer Zweck ist, Purbuchoks Themen in einen Kontext zu setzen und zu zeigen, wie sein
Handbuch im Gelugpa Lehrplan verwendet wird. Dieser Text soll nicht die gesamte tibetische Logik
abdecken. Er dient als Einführung in die komplexeren Themen der gültigen Wahrnehmung, indem er
einem Anfänger das Vokabular und den konzeptionellen Rahmen gibt, der für solche Studien
benötigt wird.
Kontext der Kultivierung eines „Weges des logischen Denkens“
Eine grundlegende Lehre des Buddhismus ist, dass das gewöhnliche Leben unter der Analyse als ein
Zustand des Leidens betrachtet wird. Grob gesagt, sind Wesen, die leiden (fühlende Wesen), in
einem Zyklus von Geburt, Tod und Wiedergeburt gefangen; dieser Kreislauf wird in Bewegung
gesetzt und angetrieben von einer Ursache, die in ihrem eigenen Geist sitzt - Ignoranz. Diese Wurzel
des Leidens ist eine spezifische und grundlegende Ignoranz: Unwissenheit über die wahre Natur der
Realität. Lebewesen verstehen die Art und Weise, wie die Dinge (d.h. sie selbst und die sie
umgebenden Phänomene) existieren, falsch.
Die verschiedenen Lehrsysteme des Buddhismus erklären dieses grundlegende Missverständnis mit
unterschiedlichen Graden der Subtilität. Das Prasangika-Madhyamaka Lehrsystem – das, so scheint
es, alle tibetisch-buddhistischen Schulen übereinstimmend als das höchste, weil subtilste,
betrachten, identifiziert diese Wurzel Unwissenheit als die Vorstellung, dass Phänomene aus sich
selbst heraus, inhärent, existieren. Ausführlicher formuliert, empfindungsfähigen Wesen ist das
Denken angeboren, sich selbst und Phänomenen als von Natur aus konkret "von ihrer eigenen Seite"
7
existierend wahrzunehmen. Dieses Missverständnis führt sie in falsche und bedrängte
Geisteszustände (wie Verlangen und Hass); diese getrübten Geisteszustände bringen sie dazu,
unheilsame Handlungen zu begehen; diese Aktivitäten bringen ihnen selbst und anderen Schaden
und Leid; und dieser Prozess geht immer weiter, bis die fühlenden Wesen die Wurzel-Unwissenheit
durch Weisheit ersetzen.
Jeder, der diesen Kreislauf des Leidens brechen will, muss "Weisheit, die die wahre Natur der
Wirklichkeit versteht" entwickeln. Das erklärte Ziel der religiösen Praxis im tibetischen Buddhismus
ist nicht nur, sich vom Leid der zyklischen Existenz zu befreien, sondern auch und vor allem, andere
zu befreien.
Tsongkhapa fasst die Aspekte des Wegs zur Erleuchtung unter drei Begriffen zusammen: Abkehr von
Samsara (Entsagung), Bodhicitta und die korrekte Sicht der Leerheit. Entsagung bedeutet zu sehen,
dass der wahre Charakter der zyklischen Existenz leidvoll ist und jegliche Anhaftung daran
aufzugeben. Je klarer man die zyklische Existenz betrachtet, umso weniger Verlockungen bietet sie,
es sei denn als Aufforderung, sich der religiösen Praxis zu widmen. Bodhicitta wird durch großes
Mitgefühl hervorgerufen; es ist ein Geist, der alle fühlenden Wesen wertschätzt und einsgerichtet
nach höchster Erleuchtung strebt, nicht um seiner selbst willen, sondern um Lebewesen vom Leiden
und von den Ursachen des Leidens zu befreien. Die korrekte Sicht der Leere ist die Weisheit, die die
Leerheit der inhärenten Existenz von Personen und Phänomenen erkennt.
Um Weisheit zu erlangen, muss man gültiges Wissen kultivieren; Weisheit ist ein gültiges Wissen
über die Natur von sich selbst und von Phänomenen. Man kultiviert gültiges Wissen, um sich selbst
zu verwandeln: um eine Person zu werden, die anderen wirkungsvoll helfen kann - um das Mitgefühl
und die Weisheit eines Buddhas zu entwickeln.
Im Zusammenhang mit der meditativen Praxis Erfahrung erlangt man Erfahrungen der Madhyamaka
Sichtweise durch Meditation über Leerheit, wie es im Madhyamaka Lehrsystem dargelegt ist. Diese
Leerheit bedeutet nicht Nicht-Existenz, Auslöschung oder Verneinung von Existenz; es ist die
Negation einer bestimmten Qualität oder Eigenschaft der Existenz - eine Qualität (inhärente
Existenz), die ungeschulte Personen automatisch sich selbst und, durch Übertragung, allen
Erscheinungen zuschreiben.
Die Ursache der zyklischen Existenz liegt in einem selbst (im eigenen geistigen Kontinuum). Es wird in
verschiedenen Sätzen beschrieben: „die Vorstellung von inhärenter Existenz“, „der Geist der an
inhärenter Existenz festhält“, oder „das angeborenen Bewusstsein einer „Ich“ -Vorstellung.
Nach dem Gelugpa System unternimmt man als Anfänger in der Meditation über die Leerheit eine
umfassende, analytisch anspruchsvolle, tiefgreifende Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst,
wie man sich selbst und die Welt wahrnimmt - wie man das Leben erfährt. Die Anstrengung erfordert
einen fähigen Verstand und die Beharrlichkeit, um es zu einem starken Geist zu machen - einen
starken "Weg des logischen Denkens" (ein in gültigem Wissen trainierter Geist), fokussiert und
gestärkt durch jahrelanges Training. Das Training beinhaltet ein rücksichtsloses Aufspüren von
Falschheit, von Fehlern im eigenen Denken, im eigenen Bewusstsein, in den eigenen Einstellungen
und Ansichten. Extreme Disziplin ist notwendig, erstens, weil die Meditationen intellektuell
anspruchsvoll sind, und zweitens, weil die Technik beinhaltet, starke Emotionen zu erzeugen und
dann die Wurzel dieser Emotion zu analysieren, um zu dem zugrundeliegenden Missverständnis zu
gelangen, das ihre Quelle ist.
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Somit muss der Schüler einen starken „Weg des logischen Denkens“ verfolgen, und zwar nicht nur
den akademischen Weg (die Anforderungen des Geshe Titels sind sehr fordernd), sondern auch den
Weg der Meditation und Selbsttransformation. Dieser "Weg des logischen Denkens" bezieht sich auf
einen Geist, der trainiert, kraftvoll, flexibel und in der Lage ist, sich einer Idee aus zahlreichen
Blickwinkeln zu nähern, die logischen Konsequenzen jeder Sichtweise zu erkennen und die
Konsequenzen prägnant und klar auszudrücken, so als ob man andere dazu zu bringen möchte,
Fehler in ihren Ansichten zu sehen. Diese Fähigkeit beginnt im Klassenzimmer mit den ersten
Einführungsthemen und wird im Debattenhof perfektioniert. Wenn es in der Meditation auf die
Leere angewandt wird, ist es ein mächtiges Werkzeug für die Selbsttransformation.
Das Curriculum der monastischen Universitäten umfasst fünf Kernthemen:
(1) Die Vollkommenheit der Weisheit
(2) Madhyamaka Philosophie
(3) Phänomenologie
(4) Disziplin und
(5) Gültige Erkenntnis
Bevor Studenten das Studium der der Hauptfächer beginnen, widmen sie jedoch einführenden
Themen viel Aufmerksamkeit. Sie konzentrieren sich auf drei Bereiche: (1) Gesammelte Themen
(bsdus grva), (2) Bewusstsein und Wissen (blo rig), und (3) Gründe und logisches Denken (rtags rigs).
In ihren Anstrengungen, einen Weg des logischen Denkens zu entwickeln, widmen Gelugpa
Studenten ihre ersten Jahre einführenden Themen. Diese beinhalten das Basisvokabular und
grundlegende Konzepte, die in den weiterführenden, komplexeren Hauptstudien benötigt werden.
In den gesammelten Themen lernt der Anfänger Konzepte wie etablierte Grundlagen, Existenzen,
unbeständige Phänomene und permanente Phänomene kennen. Sie werden Allgemeinheit und
Besonderheit und die Beziehung zwischen einer Allgemeinheit und Besonderheiten untersuchen, die
darin enthalten sind. Wie in jeder Disziplin gibt es ein Vokabular zu lernen. "Isolat" ist ein Beispiel:
Das Isolat eines Stiftes ist der Stift selbst, isoliert von allen anderen Phänomenen; nur der Stift selbst
ist „eins mit dem Stift“, das Isolat des Stiftes. Diese Konzepte werden in zukünftigen Studien der
Themen von Gültiger Wahrnehmung und Madhamaka Philosophie wesentlich sein.
Nach einem Jahr beginnt der Student "Bewusstsein und Wissen", das Studium von Bewusstseinsarten
wie direkter Wahrnehmung und Schlussfolgerung. Im darauffolgenden Jahr nimmt der Student
"Gründe und logisches Denken", die Einführung in die Logik, auf. Dazu gehören die Mechanik des
Denkens, Syllogismen und ihre Teile, korrekte Gründe und Zeichen, und wodurch sie korrekt sind -
nämlich fähig zu sein, im Debattierenden oder Meditierenden neues Wissen über etwas, das man
nicht früher verstanden hat, zu induzieren.
Die Gelugpa Schülerin versucht, einen Geist zu entwickeln, der zu einem subtilen und klaren
Verständnis fähig ist - fähig, die Wahrheit zu durchdringen, die Phänomene zu erkennen, so wie sie
sind. Die Wahrheit wird nicht für etwas gehalten, das einem einfach gesagt werden kann; das
Entscheidende ist, dass der Student es alleine und neu finden muss. So betonte der Buddha die
Notwendigkeit, dass Studierende seine Worte gründlich untersuchen sollen:
Mönche, meine Worte sollen von Gelehrten akzeptiert werden
[aber] nicht [nur] aus Respekt
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sondern nachdem sie sie genau analysiert haben, so wie
Gold nach dem Verbrennen, Schneiden, Reiben akzeptiert wird.
Phänomene erscheinen auf eine Weise, existieren aber auf eine andere Weise. Das heißt, gemäß
dem Buddhismus sehen wir die Dinge nicht so, wie sie letztlich existieren; gibt es eine Diskrepanz
zwischen der wahren Natur eines Phänomens und unserer Wahrnehmung davon. Der Geist, der die
wahre Natur von Phänomenen wahrnehmen kann, ist ein "Weisheits-Bewusstsein ". Solch ein Geist
wird als gültig beschrieben - als unumstößlich in seiner Wahrnehmung dieser wahren Natur.
Solch ein gültiger Geist kann konzeptuell oder nichtkonzeptuell sein. In der Tat ist es wichtig, die
Bedeutung des konzepthaften, analytischen Denkens im Gelugpa System zu beachten. Es gibt zwei
gültige Arten des Wissens: direkte gültige Erkenntnis und schlussfolgernde gültige Erkenntnis. Direkte
Wahrnehmungsweisen sind nichtkonzeptuell, nicht begleitet von konzepthaften Gedanken in
irgendeiner Form. Schlussfolgernde Erkenntnis ist eine indirekte Art und Weise wahrzunehmen, weil
sie konzeptuell ist - ihre Funktionsweise basiert auf Allgemeinbildern (konzeptuellen Konstrukten).
Schlussfolgernde Erkenntnis sollte jedoch nicht abgelehnt oder unterschätzt werden. Ein
wesentlicher Punkt im Gelugpa System ist, dass schlussfolgernde Erkenntnis - auch wenn sie indirekt
ist – unwiderlegbar ist, in dem Sinne, dass sie gültiges Wissen über das Objekt, auf das sie
konzentriert ist, hervorbringt. Dieser Punkt (dass uns schlussfolgernde Erkenntnis wirklich befähigen
kann, das betreffende Objekt wahrhaft zu begreifen), ist äußerst wichtig und rechtfertigt die enorme
Betonung, die auf das mentale Training und die Disziplin in diesem System gelegt wird.
Der gesuchte Geist ist ein völlig ungetäuschter Geist, der die Wahrheit wahrnimmt - ein direkter
gültiger Wahrnehmender. Die Entwicklung eines solchen Geistes geschieht in Abhängigkeit eines
vorausgehenden indirekten, konzepthaften Verständnisses der Leerheit. In diesem System wird
schlussfolgernde Erkenntnis als eine notwendige Zwischenstufe zwischen verkehrtem Bewusstsein
und direkter gültiger Wahrnehmung angesehen. Schlussfolgernde Erkenntnis ist in der Tat getäuscht,
aber nur in einem Sinne: dass das, was ihr erscheint, nicht die wahre Natur eines Objekts ist. Was
dem gut geübten Bewusstsein (dem guten "Weg des logischen Denkens") erscheint, ist immer noch
ein mentales Konstrukt, aber es ist völlig korrekt und eine wahre Widerspiegelung des Phänomens,
und ermöglicht es einem so, die wahre Natur dieses Phänomens zu erfahren. Ein Mensch, der einen
guten Weg des logischen Denkens entwickelt hat, kann eine klare Erkenntnis aller Phänomene
erlangen.
In der Sprache der grundlegenden Logiktexte ausgedrückt heißt es, dass "in Abhängigkeit von der
Darlegung der Gründe und logischem Denken die Art und Weise des Verweilens aller Phänomene klar
zu sehen ist, wie in einem Spiegel". Der Anspruch ist dass man, wenn man die Darlegung von Gründe
und logisches Denken gut kennt, klare Erkenntnis aller Phänomene erreichen kann. Durch diesen
starken Weg des logischen Denkens wird gültiges Wissen erlangt - Weisheit, die die wahre Natur der
Phänomene durchdringt, ihre Art zu verweilen, so wie sie sind. Aus diesem Grund wird das Studium
von Gründe und logisches Denken als ein Schlüssel, der die Tür zu den tiefgründigen Abhandlungen
über gültige Wahrnehmung öffnet, betrachtet.
Gültigkeit entsteht nicht von selbst; ein Geist, der zweifelsfrei in seiner Wahrnehmung der wahren
Natur der Phänomene ist, muss entwickelt werden. Vom Buddha wird gesagt, dass er Gültigkeit
erlangt hat; das heißt, er hat Gültigkeit in sich selbst erzeugt, um anderen zu helfen. Dies spiegelt sich
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in den Anfangsstrophen eines der Haupttexte über gültige Erkenntnis, Dignagas Zusammenstellung
der Direkten Erkenntnis:
Verehrung demjenigen,
der Gültigkeit erlangt hat,
der die Aufgabe, den wandernden Wesen5 zu helfen, übernommen hat,
dem Lehrer, Sugata und Beschützer.
Purbuchok schreibt zu diesem Vers:
Die Worte "hat die Aufgabe übernommen, den wandernden Wesen zu helfen" zeigen an, dass [ein
Buddha] in Abhängigkeit von seinen Ursachen, der Verwirklichung von Kontemplation und
Anwendung, entsteht. Welche Eigenschaften besitzt unser Lehrer? Der Ausdruck "Sugata und
Beschützer" weist darauf hin, dass er ein unübertroffener Beschützer ist, weil er sowohl die
Verwirklichung der Überwindung (der Leidensursachen) für sein eigenes Wohl sowie die Erlangung
der Vollkommenheit zum Wohle der anderen besitzt.
Der Verstand ist nicht automatisch in der Lage, die Wahrheit zu durchdringen; diese Fähigkeit muss
entwickelt werden. Ein Geist, der diese Fähigkeit hat - der in den Themen der gültigen Erkenntnis und
Gründe und logisches Denken- geübt ist, wird als "Weg des logischen Denkens" bezeichnet.
Letztendlich versucht der Student, die wahre Natur aller Phänomene zu verstehen. Dharmakirti sagt
über den Buddha: "Er hat das Netz der Begrifflichkeit beseitigt." Begrifflichkeit bezieht sich immer auf
etwas, auf ein Objekt. Ihre zwei Teile – das Konzept eines Selbst der Phänomene und das eines Selbst
der Personen - sind wie Netze oder Fallen, die beseitigt werden müssen.
Es ist nicht widersprüchlich für ein Handbuch zum Geistestraining, das dazu dient, Studierende in der
strengen Kanalisierung konzeptueller Gedanken und der Entwicklung eines kraftvollen begrifflichen
Denkens zu unterstützen, denjenigen zu loben, der "das Netz der Begrifflichkeit" beseitigt hat. Im
Gegenteil, dieses Beseitigen ist das letztendliche Ziel dieses Geistestrainings.
Auf welches Objekt ist das korrekte Denken (gültiges Bewusstsein) nun gerichtet? Es ist die wahre
Natur der Wirklichkeit, Leerheit, wie sie im Prasangika-Madhyamaka Lehrsystem gelehrt wird. So
versucht die Gelugpa Schülerin, ein wahres (starkes, gültiges) Wissen über Phänomene zu
entwickeln, das die Beseitigung falscher Ideen erfordert. Als Mahayana-Anfänger, die das
Verständnis für die ultimative Wahrheit suchen, erkennen Gelugpa Schüler, dass ihre Wahrnehmung
der Natur der Realität getäuscht ist, dass Phänomene mit geistigen Überlagerungen bedeckt sind, die
verhindern, dass man ihre wahre Natur erfasst. Das geistige Training zielt nur teilweise darauf ab,
Missverständnisse in Bezug auf die untersuchten Themen zu beseitigen. Sein wichtigster Zweck für
die Studierenden ist es, eigene falsche Vorstellungen über Personen und Phänomenen zu beseitigen.
Dem Studium von Madhyamaka gehen jahrelange Erfahrungen in Debattieren und Logik voraus. Das
Studium der gültigen Erkenntnis durchdringt den gesamten Lehrplan, indem die Themen der gültigen
Erkenntnis, angefangen mit Gründe und Logisches Denken, im Allgemeinen zwei Monate pro Jahr
studiert werden. Dies ist also ein roter Faden im Lehrplan.
Das Studium der gültigen Erkenntnis umfasst acht Themen, wie sie in den Kommentaren zur
Pramanavarttika dargelegt sind, aber die einführenden Logik-Handbücher behandeln nur zwei von
5 Die Lebewesen, die im Leidenskreislauf umherwandern
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diesen: korrekte Schlussfolgerung und [falsche] Schein-Schlussfolgerung. In diesem Stadium geht es
dem Schüler darum, schlussfolgernde Erkenntnis zu verstehen: ihre Erzeugung, ihre
Weiterentwicklung und ihre Grundlage (korrekte Gründe).
Einige Begriffe, die in Gründe und logisches Denken verwendet werden
Ein Zeichen (rtags) ist ein Grund (gtan tshigs) - die Begriffe sind Synonyme – das in einem Syllogismus
verwendet wird, um eine bestimmte These zu beweisen. Logisches Denken ist ein allgemeiner Begriff
für die Anwendung der Regeln der Logik. Das logische Denken umfasst nicht nur Gründe, sondern
auch Syllogismen (sbyor ba), Beweisaussagen (sgrub ngag) und Konsequenzen (thal gyur) - eigentlich
alles, was an der Feststellung der Gültigkeit einer These beteiligt ist.
Purbuchok postuliert als die Definition von „Grund“: „das, was als Grund gesetzt ist.“ Lati Rinpoche
erklärt die Bedeutung dieser Definition folgendermaßen: „das, was geistig als Grund erfasst wird".
Purbuchok führt jedoch weiter aus:
Was auch immer existent oder nicht existent ist, ist notwendigerweise ein Grund im Beweis
von etwas, denn was auch immer existent oder nicht existent ist, wird notwendigerweise als
ein Grund in dem Beweis dafür gesetzt. Dies ist so, weil "Horn eines Hasen" als der Grund in
"dieses und jenes Subjekt ist unbeständig, weil es das Horn eines Hasen ist“, gesetzt ist.
Offensichtlich kann alles geistig als ein Grund erfasst werden, wie absurd es auch sein mag. Was als
Grund gesetzt ist, muss nicht notwendigerweise ein korrekter Grund (rtags Yang dag). sein.
Korrekte Gründe können zu einem gültigen Wissen über Phänomene führen, die ansonsten
verborgen und unzugänglich bleiben würden. Logisches Denken ist das Mittel zur Entwicklung
unwiderlegbaren Wissens über und Erfahrung mit Phänomenen, die derzeit verborgen sind, und es
ist das Mittel zur Beseitigung von Unwissenheit - also solcher falschen Vorstellungen wie
Phänomenen und Personen inhärente Existenz zuzuschreiben.
Es wird angenommen, dass fühlende Wesen falsche Ansichten über viele Dinge haben. Wenn wir die
Qualität x einem Objekt zuordnen, das diese Qualität nicht besitzt, dann existiert in der Gelugpa
Sprechweise x in Bezug auf dieses Objekt nicht. Zum Beispiel kann eine Person mit Emphysem ein
gutes Recht auf einen Parkplatz haben, der für Behinderte reserviert ist, und doch, da sie äußerlich
als körperlich nicht eingeschränkt erscheint, unfairerweise kritisiert werden. Der Kritiker schreibt der
Person körperliche Stärke auf der Grundlage der Erscheinung zu, aber Stärke ist in der Tat in Bezug
auf diese Person nicht existent. Die Zuschreibung ist falsch und alle darauf basierenden Urteile der
Person sind falsch.
Die Anfängerhandbücher der Logik bieten eine Möglichkeit, gültiges Wissen über versteckte
Phänomene zu entwickeln - jene, die für direkte Wahrnehmung nicht zugänglich sind. Versteckte
Phänomene beinhalten subtile Unbeständigkeit und Leerheit, und das Wissen über sie wird -
zunächst - nur durch logisches Denken entwickelt. Darüber hinaus kann, in Fortsetzung der
Grundprinzipien, die im Handbuch dargelegt werden, ein Grund nur dann die Basis von korrekter
schlussfolgernder Erkenntnis sein, wenn es sich um einen korrekten Grund handelt. Nicht jeder
Grund oder jedes Zeichen, ist korrekt. Ein korrekter Grund ist definiert als "der mit den drei Modi".
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Die drei Modi (tshul sum) sind die drei Eigenschaften, die ein Grund haben muss, um korrekt zu sein;
sie sind Kriterien für die Festlegung der Gültigkeit des Grundes. Die Modi beziehen sich auf die
Beziehungen, die in einem Syllogismus zwischen dem Subjekt (chos can), dem Prädikat des
Probandums, (bsgrub bya'i chos) und dem Grund existieren muss, wenn der Grund zu einem
schlussfolgerndem Verständnis der These führen soll. Diese drei Modi sind: (1) die Eigenschaft des
Subjekts (phyogs chos), (2) die Vorwärtsdurchdringung (rjes khyab) und (3) die Gegendurchdringung
(ldog khyab).
Um den Schülern zu helfen, diese Ideen zu verstehen, diskutieren Gelugpa Lehrer sie in Bezug auf
spezifische Syllogismen. Sie haben mehrere "Modell" -Syllogismen, die immer wieder verwendet
werden.
Der Modell-Syllogismus. Betrachten wir einen traditionellen Syllogismus und seine beiden
Beweisaussagen. Im Syllogismus: "Das Subjekt, der Klang, ist unbeständig, weil er ein Produkt ist":
Das Subjekt ist "Klang"
Die These (was bewiesen werden soll, das „Probandum“) ist „Klang ist unbeständig“
Das Prädikat des Probandums ist „unbeständig“.
Der Grund ist „Produkt“.
Dieser Syllogismus hat zwei Beweis Aussagen:
Positiv: „Was auch immer ein Produkt ist, ist notwendigerweise unbeständig, wie es
der Fall mit Topf ist; Klang ist auch ein Produkt.“
Negativ: „Was auch immer dauerhaft ist, ist notwendigerweise ein Nicht-Produkt, wie
es der Fall mit nichtzusammengesetztem Raum ist; Klang ist jedoch ein Produkt."
Jede der beiden Beweisaussagen drückt explizit die drei Modi aus. "Klang ist auch [oder jedoch] ein
Produkt" gibt den ersten Modus (die Eigenschaft des Subjekts) an, indem er angibt, dass der Grund
"Produkt" eine Eigenschaft des Subjekts "Klang" ist. Die positiven und negativen Aussagen der
Durchdringung ("was auch immer ein Produkt ist, ist notwendigerweise unbeständig" und "was
dauerhaft ist, ist notwendigerweise ein Nichtprodukt") stellen die beiden Aspekte der Beziehung
zwischen dem Grund und dem Prädikat dar, die den zweiten Modus (Vorwärtsdurchdringung) und
den dritten Modus (Gegendurchdringung) bilden. Der Syllogismus fasst die drei Modi zusammen und
gibt die Schlussfolgerung an (die These wird bewiesen).
Die Konsequenz. Eine andere Basis für Schlussfolgerung ist die Konsequenz, eine Aussage der
logischen Erweiterung einer Idee. Wenn jemand meint, dass Klang beständig ist, dann lautet die
konsequente Aussage beispielsweise: „Es folgt, dass Klang kein Produkt ist, da er beständig ist.“ Mit
anderen Worten, wenn Klang beständig ist, so folgt daraus, dass er kein Produkt ist.
Westliche Studenten werden wahrscheinlich nicht behaupten, dass Klang dauerhaft ist, aber laut
Buddhisten haben viele hinduistische Studenten - die mit der Lehrmeinung, dass der Klang der Veden
ewig währe, aufwuchsen - eine unreflektierte Vorstellung von Klang als beständig. Die Konsequenz,
dass Klang ein Nichtprodukt sein muss, führt zur logischen Untersuchung einer solchen Idee.
Syllogismen und Konsequenzen haben die Funktion, neues Verständnis in einem "korrekten Gegner"
hervorzurufen - einer Person, die bereit ist. Die Bereitschaft einer Person ist ein wesentlicher Punkt in
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der tibetischen Logik. Wenn eine Person etwas für selbstverständlich gehalten hat, was keine gültige
Idee ist, kann die klare Aussage der logischen Konsequenz dieser Idee eine intellektuelle Anstrengung
verursachen und schließlich zu einem Verständnis führen. Wenn es eine unbewusste emotionale und
psychologische Anhaftung an die ungültige Idee gab, kann diese Anstrengung verblüffend oder sogar
beängstigend sein.
Wenn eine "Konsequenz" jemandem helfen soll, ein neues Verständnis zu entwickeln - zum Beispiel
von Unbeständigkeit - muss es für diese Person relevant sein. Berge könnten ein Beispiel sein: Viele
Menschen finden psychologische Sicherheit im Konzept der Beständigkeit, und Berge sind Symbole
der Beständigkeit in vielen Traditionen. Die Logik kann die Bindung an diesen besonderen Begriff der
Beständigkeit schwächen. Die Konsequenz ist: "Daraus folgt, dass ein Berg ein Nichtprodukt ist, weil
er dauerhaft ist." Aber ein Berg ist ein Produkt - Geologen haben den Gebirgsbau studiert und den
Prozess zu einem Teil des konventionellen Wissens gemacht. Wenn man die Konsequenz explizit
ausspricht, kann das Festhalten an der Sicht, dass Berge beständig sind, abgeschwächt werden.
Das Konzept der Unbeständigkeit wird allgemein als wichtig angesehen und im Gelugpa System
gründlich studiert. Die Unbeständigkeit, die leicht zu erkennen ist , wird als grobe Unbeständigkeit
bezeichnet - die Tatsache , dass Objekte im Laufe der Zeit zerfallen, zerbrechen, ihre Form verlieren,
sterben. Doch die Unbeständigkeit, die durch logisches Denken gesucht wird, ist die subtile
Unbeständigkeit. Dies ist die augenblickliche Natur der Objekte, ihre Art, sich von Moment zu
Moment zu formen, zu zerfallen und zu reformieren.
Angesichts der Physik und Chemie des 21. Jahrhunderts sind belesene Menschen nicht schockiert
über die Aussage, dass sich eine Porzellanschale jeden Moment verändert. Das Konzept von Atomen
und subatomaren Partikeln, die in Mustern wirbeln, ist eine vertraute und bequeme mentale
Perspektive. Aber es ist eine Elfenbeinturmperspektive, die gewöhnlich getrennt von der geistigen
Sichtweise gehalten wird, die man für das tägliche Leben benutzt. Das wirkliche Verständnis von
Unbeständigkeit verlangt nach tiefer Analyse von Phänomenen, bis hin zu der Fähigkeit, die flüchtige
Auflösung der Schale direkt zu sehen.
Im Grundsatz System des Prasangika-Madhyamaka, genügt die bloße Angabe der Konsequenz eines
ungeprüften Glaubens (dass ein Berg kein Produkt ist), um in einem Studenten, der bereit ist, die
schlussfolgernde Erkenntnis, dass Berge unbeständig sind, zu bewirken. Dies ist jedoch nicht in jedem
Lehrsystem der Fall. Das System der „Begründung, die dem Sautantrika folgt“, sagt zum Beispiel, dass
die Aussage einer Konsequenz für sich alleine kein schlussfolgerndes Verständnis der These (dass ein
Berg unbeständig ist) hervorruft. Es wird jedoch das Haften an der Vorstellung, dass Berge beständig
seine, schwächen. Dann werden die positiven und negativen Beweisaussagen dazu verwendet, die
drei Modi des Grundes zusammenzufassen.
Die positive Beweisaussage lautet: "Was immer ein Produkt ist, ist notwendigerweise unbeständig,
wie im Falle eines Topfes; Berg ist auch ein Produkt„. Die negative ist: „Was auch immer dauerhaft
ist, ist notwendigerweise kein Produkt, wie es der Fall mit nichtzusammengesetztem Raum ist (Das
Subjekt, Berg, ist unbeständig, da es ein Produkt ist) – und es ist an diesem Punkt diese Aussage, die
schlussfolgerndes Verstehen der These (Berge sind unbeständig) im Bewusstsein eines korrekten
Gegners auslöst.
Die Lehren, die unter dem Thema Gültige Erkenntnis erfasst sind, spiegeln die Sichtweise des Lehr
systems der „Begründung, die dem Sautantrika folgt“, wieder. Dies bedeutet, dass, obwohl sich die
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Gelugpa Schule, so wie alle anderen tibetischen Schulen, an der Madhamaka-Prasangika Sichtweise
orientiert, einige Aspekte dieser Studien aus der Sichtweise und im Vokabular der unteren
Lehrsysteme dargelegt werden. Die grundlegenden Prinzipien der Logik, die in den Klöstern gelehrt
werden, stimmen mit dem Sautantrika System überein. Der Zweck dieser Lehren überschreitet
jedoch die Begrenzung des Sautantrika Systems in dem Sinne, dass Studierende dieses Logiksystem
letztlich dazu nutzen werden, das subtile Madhamaka System zu verstehen.
Gültigkeit
Ein wichtiges Merkmal der tibetischen Logik is, dass es dazu verwendet wird, ein neues und gültiges
Verständnis über sich selbst und die Welt zu erwerben. Gültiges Wissen gilt als unwiderlegbar,
unerschütterlich; es ist authentisch, wahr und sicher. Die westliche Logik unterscheidet sich
grundlegend von der tibetischen Logik. Im westlichen System wird scharf zwischen empirischem
Wissen und dem Wissen, das durch die Anwendung der Regeln formaler Logik gewonnen wird,
unterschieden. Empirisches Wissen hängt von Erfahrung und Beobachtung ab und gilt
notwendigerweise als abhängig, unbestimmt, mutmaßlich; es ist nicht als eindeutig und
unwiderlegbar wahr erkennbar. Nur in Mathematik und formaler Logik kann es Gewissheit geben;
alles andere Wissen muss mutmaßlich bleiben. Diese Sichtweise spiegelt sich deutlich in den Worten
des westlichen Logikers Karl Popper:
„In den empirischen Wissenschaften, die allein uns Informationen über die Welt, in der wir
leben, liefern können, treten keine Beweise auf, wenn wir mit "Beweis" ein Argument
meinen, das die Wahrheit einer Theorie für immer festlegt. Auf der anderen Seite geben uns
die reine Mathematik und Logik, die Beweise zulassen, keine Informationen über die Welt,
sondern entwickeln nur die Mittel, sie zu beschreiben.“
Dies deutet auf einen grundlegenden Unterschied zwischen westlicher und tibetischer Logik hin.
Nach Ansicht einiger westlicher Logiker ist es durch Logik nicht möglich, neues Wissen über die Welt
zu gewinnen; es ist nicht der Zweck der Logik, neues Wissen zu erzeugen. Das Ziel der Logik ist streng
propositional, da sie für ihre Gültigkeit streng von der Aufstellung von Thesen abhängig ist. In der
westlichen Logik ist Gültigkeit an die korrekte logische Form eines Arguments gebunden. Ein
westlicher Logiker, Stephen Barker, erklärt:
„In der Logik sind wir hauptsächlich daran interessiert, Argumente zu betrachten, deren
Gültigkeit von ihren logischen Formen abhängt. ... Wenn die Prämissen eines Arguments in
der korrekten Weise mit der Schlussfolgerung verknüpft sind, wird das Argument als gültig
bezeichnet.“
Im Gelugpa Lehrsystem besteht der Zweck der Logik darin, neues Wissen zu erzeugen, nicht über
Propositionen, sondern über Phänomene; das heißt, über sich selbst und die Welt. Logik wird
verwendet, um einen Weg des logischen Denkens zu entwickeln, um gültiges Wissen zu erwerben.
Die tibetische Logik ist insofern transformativ, als sie neues und gültiges Wissen bringen soll, das
unsere Beziehung zur Welt verändert und uns der Wahrheit und der Erleuchtung näher bringt - näher
zur Wahrheit, indem wir ein zutreffenderes Verständnis über die Welt erlangen und unsere
Beziehungen zu anderen Menschen auf einem wahren Verständnis der Natur der Realität statt auf
Illusion und Ignoranz beruhen.