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28 TIERWELT / 27, 2. JULI 2015 29 TIERWELT / 27, 2. JULI 2015 REISEN REISEN Karten: © bogdanserban / istockphoto.com (1); Uwe Dedering / wikipedia.org (1) Bilder: © imago / imagebroker (1); Franz Lerchenmüller (4) Im indonesischen Dschungel sammeln Freiwillige Daten über den Sumat- ra-Tiger – als «Fusssoldaten der Wissen- schaft». Sie müssen zäh und geduldig sein. Denn vom Tiger findet sich meist keine Spur. E s ist eine erbärmliche Schinderei. Mat- thias, der Architekt aus Hessen, keucht und schüttet gierig einen halben Liter Wasser in sich hinein. Michael aus Sidney, Inhaber einer Softwareschmiede, lässt sich fallen, wo er steht, und schläft erschöpft ein. Steve, der in Hongkong eine Zeitschrift her- ausgibt, zupft ein paar Dornen aus seinem Finger, die beim versehentlichen Griff in ei- nen Schlangenhautfruchtbaum stecken geblie- ben sind. Auf seinem Hemdärmel breitet sich ein kleiner Blutfleck aus: Offenbar hat er einen der lästigen, aber harmlosen Blutegel nicht rechtzeitig entdeckt und weggespickt. Allein Febri, der indonesische Biologe, der vorneweg mit der Machete die sperrigsten Äste weggeschlagen hat, wirkt völlig unange- strengt. Drei Stunden lang haben sie sich von Bäumchen zu Bäumchen den steilen Hang hochgehangelt. Immer wieder sind sie auf schmierigen Blättern abgerutscht oder haben sich in einer Lianenschlinge verheddert. Trotz aller Anstrengung versuchten sie, den Boden ringsum im Blick zu behalten: Hat irgendwo ein Tier eine Spur hinterlassen? Und sie wur- den fündig: In einer Baumrinde entdeckten sie präzise Kerben, wie mit dem Messer hin- eingestochen. Steve holte den Auswertungs- bogen heraus und notierte: «Zelle AA 130. Malaienbär. Kratzspuren.» 300 Sumatra-Tiger gibt es noch Allen läuft der Schweiss in Bächen über das Gesicht. Verstohlen sehen sie sich an. So kräf- tezehrend hat keiner von ihnen sich das Un- ternehmen «Tigerforschung in Sumatra» vor- gestellt. Aber sie haben sich freiwillig darauf eingelassen. Insgesamt fünf Frauen und Män- ner von drei Kontinenten opfern als «Fusssol- daten der Wissenschaft» ihren Urlaub und leben zwei Wochen lang in einem luftigen Camp des World Wildlife Fund (WWF) am Subayang-Fluss an der nördlichen Grenze des Rimbang-Baling-Schutzgebiets auf der indo- nesischen Insel. Sie schlafen im Zelt oder auf der Veranda und steigen jeden Morgen in Hemden und Hosen, die in der schwülfeuchten Luft einfach nicht mehr trocknen wollen. Während der ersten beiden Tage haben sie mehr über das Projekt erfahren: Der Suma- tra-Tiger ist vom Aussterben bedroht. Etwa 300 Exemplare, schätzt die indonesische Re- gierung, leben noch. Der WWF untersucht seit 2004 den Bestand und hat mit seinen Kame- rafallen bisher rund 50 Einzeltiere identifi- ziert. Die Forscher haben ganz Sumatra in zwei mal zwei Kilometer grosse Zellen auf- geteilt. Diese Planquadrate werden zu Fuss nach Spuren von Tigern und ihren Beutetieren abgesucht. An geeigneten Stellen werden Ka- merafallen angebracht, in den Dörfern Men- schen nach ihren Erfahrungen mit Tigern befragt. Die gesammelten Daten münden am Ende in Vorschläge an die Regierung, welche Landschaftsteile besonders streng zu schützen sind – und wie. Mit einem der Langboote geht es jeden Morgen über den Subayang zum Ausgangs- punkt in ein neues Planquadrat. Sticht an einem Tag die Sonne gnadenlos, prasselt am anderen ein tropisches Trommelfeuer vom Himmel. Die Hobbyforscher klettern über das Wurzelgewirr gestürzter Bäume und durch Felstunnel, in denen Hunderte von Fleder- mäusen aufflattern. In manchen Flüssen reicht das Wasser bis zum Knie, bis zur Hüfte, bis zur Brust. Ein Kampf gegen Windmühlen? Und immer lautet die Tageslosung: Augen auf! Makaken toben durch die Bäume, Spuren von Tapiren, von Muntjakhirschen und Ottern werden gesichtet. Von dem aber, um den sich alles dreht, findet sich nicht das geringste An- zeichen. Mit 99-prozentiger Sicherheit, hatte Expeditionsleiter Ronald schon am ersten Tag gewarnt, werde man keinen Tiger zu Gesicht bekommen. Und er behält recht. Manchmal kommen den Teams in den Flüs- sen junge Männer entgegen, die an Seilen Dutzende sorgfältig zurechtgesägter, rötlicher Holzplanken flussabwärts treideln, also zie- hen. Auch auf dem Subayang sind immer wieder Boote unterwegs, Flösse aus 40, 50 Stämmen im Schlepptau. Die Begegnung mit dem illegalen Handel führt zu lebhaften Dis- kussionen. Wenn jede Woche allein hier ein paar Fussballfelder an Regenwald vernichtet werden – welchen Sinn ergibt dann die eige- ne, kleine Arbeit noch? Es ist ausgerechnet Febri, der oberste Naturschützer, der für Ver- ständnis plädiert: Diese Leute seien keine Kriminellen. Sie schlügen Holz, um ihre Fa- milien durchzubringen, denn nicht jeder hier besitze eine Kautschukplantage oder finde Arbeit. Ändern könne sich nur langfristig et- was über die Erziehung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die Besucher aus dem Westen stellen ihr eigenes Tun trotz der deprimierenden Bilder nicht in Frage. Naturschützer seien die Am- bulanz, die den Patienten am Leben erhalte, so lange bis die Ärzte, die Politiker, den ei- gentlichen Heilungsprozess einleiteten, meint Matthias Hammer, der Gründer der Natur - schutzorganisation Biosphere, die seit 1999 solche Touren veranstaltet – momentan zu elf verschiedenen Naturschutzprojekten in aller Welt. Über ihre Motivation reden die fünf Frei- willigen am Subayang-Fluss wenig. Sie gehö- ren zu denen, die am Tag vor dem Weltun- tergang noch das berühmte Apfelbäumchen pflanzen würden. Also fahren sie weiterhin jeden Tag hinaus und kehren spätnachmittags zurück. Sie heften die vollgeschriebenen For- mulare ab, Febri überträgt die gesammelten Daten in den Computer. Dann pflastern die einen ihre Blasen zu oder waschen Hemden und Socken aus. An- dere legen sich hin, geniessen ein kühles «Tiger»-Bier und schreiben Tagebuch. Um 19 Uhr kommt per Boot das fertige Abend- essen aus dem Dorf. Anschliessend berichten die verschiedenen Teams vom Verlauf ihrer Exkursionen und der kommende Tag wird geplant. Um halb zehn geht der Generator aus, die Lichter erlöschen. Schliesslich heisst es, am nächsten Mor- gen um sechs wieder aufzustehen. Die Am- bulanz muss früh auf ihrem Posten sein. Franz Lerchenmüller Geduldsprobe im Tigerwald Anreise und Informationen Die Wissenschaftstouren, organisiert von der gemeinnützigen Naturschutzorganisation Bio- sphere Expeditions, dauern 13 Tage und kosten 1940 Englische Pfund, etwa 2800 Franken. Letz- ter Termin 2015: 23. 8. bis 4. 9. 2015. Die Anreise nach Pekanbaru (roter Punkt) auf Sumatra orga- nisiert und bezahlt jeder Teilnehmer selbst. In- ternationale Flüge gehen über Kuala Lumpur, Singapur oder Jakarta. Das Visum für Indonesi- en kann am Flughafen von Pekanbaru erworben werden und kostet derzeit 35 US-Dollar. Klima: Während des Expeditionszeitraums herrscht Trockenzeit auf Sumatra – was nicht bedeutet, dass es nicht regnet. Manche Teilneh- mer haben zunächst Schwierigkeiten, mit der Schwüle und der hohen Luftfeuchtigkeit zu- rechtzukommen. Voraussetzungen: Unabdingbar sind körper- liche Fitness und die Bereitschaft, sich auf ein- fache Lebensverhältnisse einzulassen. Die Gruppen sind international, die Sprache im Camp ist Englisch. Ausrüstung: Vor Beginn der Reise gibt es ein ausführliches Dossier über den wissenschaftli- chen Hintergrund und die Methodik sowie eine Liste mit Ausrüstungsgegenständen. www.biosphere-expeditions.org Freiwillige aus dem Westen sammeln während entbehrungsreicher Wochen im indonesischen Dschungel Daten über den Sumatra-Tiger. Sumatra

Tierwelt, Switzerland, July 2015

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Two page feature of Sumatra tiger expedition

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28 TIERWELT / 27, 2. JULI 2015 29TIERWELT / 27, 2. JULI 2015

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Im indonesischen Dschungel sammeln Freiwillige Daten über den Sumat-ra-Tiger – als «Fusssoldaten der Wissen-schaft». Sie müssen zäh und geduldig sein. Denn vom Tiger findet sich meist keine Spur.

Es ist eine erbärmliche Schinderei. Mat-thias, der Architekt aus Hessen, keucht und schüttet gierig einen halben Liter

Wasser in sich hinein. Michael aus Sidney, Inhaber einer Softwareschmiede, lässt sich fallen, wo er steht, und schläft erschöpft ein. Steve, der in Hongkong eine Zeitschrift her-ausgibt, zupft ein paar Dornen aus seinem Finger, die beim versehentlichen Griff in ei-nen Schlangenhautfruchtbaum stecken geblie-ben sind. Auf seinem Hemdärmel breitet sich ein kleiner Blutfleck aus: Offenbar hat er einen der lästigen, aber harmlosen Blutegel nicht rechtzeitig entdeckt und weggespickt. Allein Febri, der indonesische Biologe, der vorneweg mit der Machete die sperrigsten Äste weggeschlagen hat, wirkt völlig unange-strengt.

Drei Stunden lang haben sie sich von Bäumchen zu Bäumchen den steilen Hang hochgehangelt. Immer wieder sind sie auf schmierigen Blättern abgerutscht oder haben sich in einer Lianenschlinge verheddert. Trotz aller Anstrengung versuchten sie, den Boden ringsum im Blick zu behalten: Hat irgendwo ein Tier eine Spur hinterlassen? Und sie wur-den fündig: In einer Baumrinde entdeckten sie präzise Kerben, wie mit dem Messer hin-eingestochen. Steve holte den Auswertungs-bogen heraus und notierte: «Zelle AA 130. Malaienbär. Kratzspuren.»

300 Sumatra-Tiger gibt es nochAllen läuft der Schweiss in Bächen über das Gesicht. Verstohlen sehen sie sich an. So kräf-tezehrend hat keiner von ihnen sich das Un-ternehmen «Tigerforschung in Sumatra» vor-gestellt. Aber sie haben sich freiwillig darauf eingelassen. Insgesamt fünf Frauen und Män-ner von drei Kontinenten opfern als «Fusssol-daten der Wissenschaft» ihren Urlaub und leben zwei Wochen lang in einem luftigen Camp des World Wildlife Fund (WWF) am Subayang-Fluss an der nördlichen Grenze des Rimbang-Baling-Schutzgebiets auf der indo-nesischen Insel. Sie schlafen im Zelt oder auf der Veranda und steigen jeden Morgen in Hemden und Hosen, die in der schwülfeuchten Luft einfach nicht mehr trocknen wollen.

Während der ersten beiden Tage haben sie mehr über das Projekt erfahren: Der Suma-tra-Tiger ist vom Aussterben bedroht. Etwa 300 Exemplare, schätzt die indonesische Re-gierung, leben noch. Der WWF untersucht seit 2004 den Bestand und hat mit seinen Kame-rafallen bisher rund 50 Einzeltiere identifi-ziert. Die Forscher haben ganz Sumatra in

zwei mal zwei Kilometer grosse Zellen auf-geteilt. Diese Planquadrate werden zu Fuss nach Spuren von Tigern und ihren Beutetieren abgesucht. An geeigneten Stellen werden Ka-merafallen angebracht, in den Dörfern Men-schen nach ihren Erfahrungen mit Tigern befragt. Die gesammelten Daten münden am Ende in Vorschläge an die Regierung, welche Landschaftsteile besonders streng zu schützen sind – und wie.

Mit einem der Langboote geht es jeden Morgen über den Subayang zum Ausgangs-punkt in ein neues Planquadrat. Sticht an einem Tag die Sonne gnadenlos, prasselt am anderen ein tropisches Trommelfeuer vom Himmel. Die Hobbyforscher klettern über das Wurzelgewirr gestürzter Bäume und durch Felstunnel, in denen Hunderte von Fleder-mäusen auf flattern. In manchen Flüssen reicht das Wasser bis zum Knie, bis zur Hüfte, bis zur Brust.

Ein Kampf gegen Windmühlen? Und immer lautet die Tageslosung: Augen auf! Makaken toben durch die Bäume, Spuren von Tapiren, von Muntjakhirschen und Ottern werden gesichtet. Von dem aber, um den sich alles dreht, findet sich nicht das geringste An-zeichen. Mit 99-prozentiger Sicherheit, hatte Expeditionsleiter Ronald schon am ersten Tag gewarnt, werde man keinen Tiger zu Gesicht bekommen. Und er behält recht.

Manchmal kommen den Teams in den Flüs-sen junge Männer entgegen, die an Seilen Dutzende sorgfältig zurechtgesägter, rötlicher Holzplanken flussabwärts treideln, also zie-hen. Auch auf dem Subayang sind immer wieder Boote unterwegs, Flösse aus 40, 50 Stämmen im Schlepptau. Die Begegnung mit dem illegalen Handel führt zu lebhaften Dis-kussionen. Wenn jede Woche allein hier ein paar Fussballfelder an Regenwald vernichtet werden – welchen Sinn ergibt dann die eige-ne, kleine Arbeit noch? Es ist ausgerechnet Febri, der oberste Naturschützer, der für Ver-ständnis plädiert: Diese Leute seien keine Kriminellen. Sie schlügen Holz, um ihre Fa-milien durchzubringen, denn nicht jeder hier besitze eine Kautschukplantage oder finde Arbeit. Ändern könne sich nur langfristig et-was über die Erziehung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Die Besucher aus dem Westen stellen ihr eigenes Tun trotz der deprimierenden Bilder nicht in Frage. Naturschützer seien die Am-bulanz, die den Patienten am Leben erhalte, so lange bis die Ärzte, die Politiker, den ei-gentlichen Heilungsprozess einleiteten, meint Matthias Hammer, der Gründer der Natur-schutzorganisation Biosphere, die seit 1999 solche Touren veranstaltet – momentan zu elf verschiedenen Naturschutzprojekten in aller Welt.

Über ihre Motivation reden die fünf Frei-willigen am Subayang-Fluss wenig. Sie gehö-

ren zu denen, die am Tag vor dem Weltun-tergang noch das berühmte Apfelbäumchen pflanzen würden. Also fahren sie weiterhin jeden Tag hinaus und kehren spätnachmittags zurück. Sie heften die vollgeschriebenen For-mulare ab, Febri überträgt die gesammelten Daten in den Computer.

Dann pflastern die einen ihre Blasen zu oder waschen Hemden und Socken aus. An-dere legen sich hin, geniessen ein kühles «Tiger»-Bier und schreiben Tagebuch. Um 19 Uhr kommt per Boot das fertige Abend-essen aus dem Dorf. Anschliessend berichten die verschiedenen Teams vom Verlauf ihrer Exkursionen und der kommende Tag wird geplant. Um halb zehn geht der Generator aus, die Lichter erlöschen. Schliesslich heisst es, am nächsten Mor-gen um sechs wieder aufzustehen. Die Am-bulanz muss früh auf ihrem Posten sein.

Franz Lerchenmüller

Geduldsprobe im Tigerwald

Anreise und InformationenDie Wissenschaftstouren, organisiert von der gemeinnützigen Naturschutzorganisation Bio­sphere Expeditions, dauern 13 Tage und kosten 1940 Englische Pfund, etwa 2800 Franken. Letz­ter Termin 2015: 23. 8. bis 4. 9. 2015. Die Anreise nach Pekanbaru (roter Punkt) auf Sumatra orga­nisiert und bezahlt jeder Teilnehmer selbst. In­ternationale Flüge gehen über Kuala Lumpur, Singapur oder Jakarta. Das Visum für Indonesi­en kann am Flughafen von Pekanbaru erworben werden und kostet derzeit 35 US­Dollar.Klima: Während des Expeditionszeitraums herrscht Trockenzeit auf Sumatra – was nicht bedeutet, dass es nicht regnet. Manche Teilneh­mer haben zunächst Schwierigkeiten, mit der Schwüle und der hohen Luftfeuchtigkeit zu­rechtzukommen.Voraussetzungen: Unabdingbar sind körper­liche Fitness und die Bereitschaft, sich auf ein­fache Lebensverhältnisse einzulassen. Die Gruppen sind international, die Sprache im Camp ist Englisch.Ausrüstung: Vor Beginn der Reise gibt es ein ausführliches Dossier über den wissenschaftli­chen Hintergrund und die Methodik sowie eine Liste mit Ausrüstungsgegenständen.

www.biosphere-expeditions.orgFreiwillige aus dem Westen sammeln während entbehrungsreicher Wochen im indonesischen Dschungel Daten über den Sumatra-Tiger.

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