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297 Reinhard W oschek TIMSS 2 elaboriert: Eine didaktische Analyse von Schiilerar beiten im Landervergleich Schweiz / Deutschland Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Piidagogik, vorgelegt beim Fachbereich Ma- thematik der Universitiit Duisburg-Essen, Campus Duisburg. Gutachter: Prof Dr. Gunter Tomer Prof Dr. Manfred Leppig Datum der miindlichen Priifung: 18. Juli 2005 Die Ergebnisse von TIMSS 2 sind deskriptive Befunde und damit yom Prinzip her nicht in der Lage, Ursachen fur das deutsche MittelmaB oder die exzellenten Leistungen Schweizer SchUler aufzudecken. Die vorliegende Arbeit verwendet daher die mathema- tikdidaktische Alternative der Deutung von SchUlerlosungswegen in Einzelprozessen (,study of mind'). Dazu wurde das Studiendesign gegeniiber TIMSS wesentlich geandert: die SchUler er- hielten reichlich Zeit zur Bearbeitung der TIMSS-Aufgaben und waren gehalten, ihre Losungen ausfiihrlich niederzulegen. Zusatzlich wurden Kommentare zu Curriculumva- liditat, Zeitpunkt der Bearbeitung im Unterricht sowie Bekanntheits- und Ubungsgrad gefordert. Weiter waren freie Kommentare erwiinscht. Parallel dazu wurden die unter- richtenden Lehrer zu jeder Aufgabe befragt. Die Stichprobe umfaBt mehr als 2700 bearbeitete TIMSS-Aufgaben in Deutschland und in der Schweiz. Zur Auswertung der Schiilerlosungswege wurde ein 20-stufiges Bewer- tungsraster entwickelt, welches gestattet, Losungen auch mit leichten oder schwereren Fehlern in eine vergleichende Beurteilung einzubeziehen. SchwerpunktmaBig wurden Geometrie-Aufgaben ausgewertet, da diese zum Testzeit- punkt (Ende Klasse 7) fur die Schweizer SchUler weitgehend curriculuminvalide waren. Bei einer TIMSS-konformen Aufgabenbewertung wurden die TIMSS-Resultate repro- duziert. Dies mag ein Indiz fur die Aussagekraft der Studie bei eingeschrankter Popula- tion (nur SchUler gymnasialen Niveaus) sein. Eine Auswertung unter Billigung leichter oder auch schwererer Fehler verschob lediglich in beiden Populationen den Prozentsatz ,richtiger' Aufgaben gleichmaBig; die relativen Abstande blieben erhalten. Anhand der elaborierten Bearbeitungen konnten bedingende Faktoren extrahiert werden. So stieg bei einer Aufgabe die Losungsrate gegeniiber TIMSS deutlich, weil anscheinend durch die reichlich zur Verfugung stehende Zeit nicht nur falschlich lediglich eine Dre- hung, sondern korrekt die erforderliche Drehspiegelung erkannt wurde. In einer weiteren (JMD 26 (2005) H. 3/4, S. 297-298)

TIMSS 2 elaboriert: Eine didaktische Analyse von Schülerarbeiten im Ländervergleich Schweiz / Deutschland

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Reinhard W oschek

TIMSS 2 elaboriert: Eine didaktische Analyse von Schiilerar­beiten im Landervergleich Schweiz / Deutschland

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Piidagogik, vorgelegt beim Fachbereich Ma­thematik der Universitiit Duisburg-Essen, Campus Duisburg.

Gutachter: Prof Dr. Gunter Tomer Prof Dr. Manfred Leppig

Datum der miindlichen Priifung: 18. Juli 2005

Die Ergebnisse von TIMSS 2 sind deskriptive Befunde und damit yom Prinzip her nicht in der Lage, Ursachen fur das deutsche MittelmaB oder die exzellenten Leistungen Schweizer SchUler aufzudecken. Die vorliegende Arbeit verwendet daher die mathema­tikdidaktische Alternative der Deutung von SchUlerlosungswegen in Einzelprozessen (,study of mind').

Dazu wurde das Studiendesign gegeniiber TIMSS wesentlich geandert: die SchUler er­hielten reichlich Zeit zur Bearbeitung der TIMSS-Aufgaben und waren gehalten, ihre Losungen ausfiihrlich niederzulegen. Zusatzlich wurden Kommentare zu Curriculumva­liditat, Zeitpunkt der Bearbeitung im Unterricht sowie Bekanntheits- und Ubungsgrad gefordert. Weiter waren freie Kommentare erwiinscht. Parallel dazu wurden die unter­richtenden Lehrer zu jeder Aufgabe befragt.

Die Stichprobe umfaBt mehr als 2700 bearbeitete TIMSS-Aufgaben in Deutschland und in der Schweiz. Zur Auswertung der Schiilerlosungswege wurde ein 20-stufiges Bewer­tungsraster entwickelt, welches gestattet, Losungen auch mit leichten oder schwereren Fehlern in eine vergleichende Beurteilung einzubeziehen.

SchwerpunktmaBig wurden Geometrie-Aufgaben ausgewertet, da diese zum Testzeit­punkt (Ende Klasse 7) fur die Schweizer SchUler weitgehend curriculuminvalide waren.

Bei einer TIMSS-konformen Aufgabenbewertung wurden die TIMSS-Resultate repro­duziert. Dies mag ein Indiz fur die Aussagekraft der Studie bei eingeschrankter Popula­tion (nur SchUler gymnasialen Niveaus) sein. Eine Auswertung unter Billigung leichter oder auch schwererer Fehler verschob lediglich in beiden Populationen den Prozentsatz ,richtiger' Aufgaben gleichmaBig; die relativen Abstande blieben erhalten.

Anhand der elaborierten Bearbeitungen konnten bedingende Faktoren extrahiert werden. So stieg bei einer Aufgabe die Losungsrate gegeniiber TIMSS deutlich, weil anscheinend durch die reichlich zur Verfugung stehende Zeit nicht nur falschlich lediglich eine Dre­hung, sondern korrekt die erforderliche Drehspiegelung erkannt wurde. In einer weiteren

(JMD 26 (2005) H. 3/4, S. 297-298)

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Aufgabe wurde das von TIMSS geforderte Ergebnis fast immer erkannt, dann aber in den schulereigenen Mathematik-Erfahrungsraum uminterpretiert, so dass falsche Ant­worten angekreuzt wurden. Koordinatenablesungen verbesserten sich deutlich, weil die SchUler geeignete Hilfslinien einzeichnen konnten.

Aus den Aufgabenbearbeitungen konnten keine mathematikimmanenten Ursachen fUr den Schweizer Leistungsvorsprung extrahiert werden.

Es gab jedoch deutliche Hinweise auf extramathematische bedingende Faktoren: die Schweizer SchUler bearbeiteten die Aufgaben wesentlich konzentrierter und erbaten in der vorgegebenen Arbeitszeit meist noch ein zweites Arbeitsheft, wogegen die deutschen Schuler bei gleicher Motivationssituation oft ganze Ketten von Aufgaben ubersprangen. Der Rateanteil deutscher SchUler war doppelt so hoch wie in der Schweiz (bei jeweils gleichverteiltem Rateerfolg). Die freien Kommentare der Schweizer SchUler befassten sich intensiv mit den Aufgaben, wogegen die deutschen SchUler meist ,schuldabwei­send' kommentierten.

Zumindest in dieser Studie ist daher der Erfolg der Schweizer SchUler eher sozialen Skripten als mathematischen Fertigkeiten zuzuschreiben.

Adresse des Autors:

Reinhard W oschek Wieselweg 8 41239 Monchengladbach E-Mail [email protected]