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Das Parlamentswahlrecht als rechtsstaatliche Grundlage der Demokratie

Herausgegeben von

Andreas Glaser & Lorenz Langer

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ISBN 978-3-03891-197-5 (Dike Verlag Zürich/St. Gallen)ISBN 978-3-8487-7615-3 (Nomos Verlag, Baden-Baden)ISBN 978-3-7089-2010-8 (Facultas Verlag, Wien)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio-nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist weltweit urheberrechtlich geschützt. Insbeson-dere das Recht, das Werk mittels irgendeines Mediums (grafisch, technisch, elektronisch und/oder digital, einschliesslich Fotokopie und Downloading) teilweise oder ganz zu ver-vielfältigen, vorzutragen, zu verbreiten, zu bearbeiten, zu übersetzen, zu übertragen oder zu speichern, liegt ausschliesslich beim Verlag. Jede Verwertung in den genannten oder in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags.

© Dike Verlag AG, Zürich/St. Gallen 2020

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VII

Inhaltsübersicht

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren IX

I. Einführung

Europäische Mindeststandards zum Parlamentswahlrecht im Soft Law der Venedig-Kommission REGINA KIENER 3

II. Rechtsstaatliche Bezüge der Zusammensetzung des Wahlvolkes

Wer ist das österreichische Wahlvolk? Nuancen des allgemeinen Wahlrechts ANNA GAMPER 33

Zwischen republikanischer Selbstbestimmung und demokratischer Legitimation: Der schweizerische corps politique LORENZ LANGER 57

III. Wahlrechtsgrundsätze und Mandatsverteilung

Wahlrechtsgleichheit und Mandatsverteilung in Österreich ANDREAS TH. MÜLLER 89

Europäisches Parlament und Wahlrechtsgrundsätze WERNER SCHROEDER 109

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Inhaltsübersicht

VIII

IV. Modi der Wahlrechtsausübung

Die Reinheit der Wahl CHRISTOPH BEZEMEK 133

Briefliche und elektronische Wahl – Problemfelder des Wahlverfahrens in der Schweiz ANDREAS GLASER & CLIO ZUBLER 147

V. Rechtliche Kontrolle

Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen DANIEL MOECKLI 177

Rechtsschutz in Wahlangelegenheiten in Österreich GEORG LIENBACHER 205

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177

Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

DANIEL MOECKLI

Inhaltsübersicht

I. Das Recht auf Demokratie im Völkerrecht ............................................................ 178 II. Überblick über die völkerrechtlichen Garantien .................................................... 180

A. Recht auf freie und faire Wahlen ................................................................... 180 B. Recht auf wirksame Beschwerde ................................................................... 182 C. Recht auf ein faires Verfahren ....................................................................... 183

III. Bedeutung von Soft Law ........................................................................................ 183 IV. Inhalt des Anspruchs auf Rechtsschutz in Wahlsachen ......................................... 188

A. Anforderungen an die Rechtsmittelinstanz .................................................... 189 1. Zugang zu einer unabhängigen und unparteiischen Behörde ................ 189 2. Zugang zu einem Gericht?...................................................................... 190

a. Gestützt auf die Garantie eines fairen Verfahrens? ......................... 190 (1) Anwendbarkeit von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II ...................... 190 (2) Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK ................................. 192

b. Gestützt auf das Recht auf Wahlen? ............................................... 194 B. Anforderungen an das Verfahren ................................................................... 196

1. Verbot der Rechtsverweigerung ............................................................. 196 2. Anspruch auf rechtliches Gehör ............................................................. 197 3. Anspruch auf Entscheidbegründung ....................................................... 198 4. Anspruch auf ein rasches Verfahren ....................................................... 199

C. Anforderungen an die Wiedergutmachung .................................................... 200 1. Wiederherstellung einer Kandidatur ....................................................... 200 2. Aufhebung der Wahl bzw. Neuauszählung ............................................ 201

V. Völkerrechtskonformität des schweizerischen Rechtsschutzsystems für Wahlsachen ............................................................................................................ 203

Ich danke meinem Mitarbeiter MLaw Nils Reimann für seine wertvolle Unterstützung

bei der Recherche und seine hilfreichen Anregungen.

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Daniel Moeckli

178

I. Das Recht auf Demokratie im Völkerrecht

Das Völkerrecht war lange Zeit von der Haltung geprägt, dass es zur politischen Struktur der Staaten nichts zu sagen habe. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fand durch die Hintertür des Menschenrechtsschutzes das Ideal eines demokratisch or-ganisierten Staates langsam Eingang in das Völkerrecht.1

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hielt fest, dass der Wille des Volkes die Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt zu bilden hat, wobei dieser Wille durch regelmässige, unverfälschte, allgemeine und gleiche Wahlen mit geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen, freien Wahl-verfahren zum Ausdruck kommen muss.2 Eine Bestimmung mit sehr ähnlichem Wortlaut findet sich im UNO-Pakt II von 1966,3 und auch zahlreiche weitere uni-verselle und regionale Menschenrechtsinstrumente garantieren das Recht auf pe-riodische, unverfälschte, geheime Wahlen mit allgemeinem und gleichem Wahl-recht.4

Zumindest was Europa anbelangt, ist das Recht auf Demokratie – verstanden als Recht auf freie und faire Wahlen – auch Teil des völkerrechtlichen Gewohnheits-rechts geworden.5 Daran ändert auch nichts, dass auf der politischen Ebene die

1 JAN WOUTERS/BART DE MEESTER/CEDRIC RYNGAERT, «Democracy and International

Law», 34 Netherlands Yearbook of International Law (2003), Den Haag 2004, S. 139 (143).

2 Art. 21 Abs. 3 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, A/RES/217 A (III), U.N. Doc A/810, S. 71 ff. («The will of the people shall be the basis of the authority of government; this will shall be expressed in periodic and gen-uine elections which shall be by universal and equal suffrage and shall be held by secret vote or by equivalent free voting procedures.»).

3 Art. 25 lit. b Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. De-zember 1966, SR 0.103.2 («Every citizen shall have the right and the opportunity, without any of the distinctions mentioned in article 2 and without unreasonable re-strictions: >…@ To vote and to be elected at genuine periodic elections which shall be by universal and equal suffrage and shall be held by secret ballot, guaranteeing the free expression of the will of the electors.»).

4 Vgl. II. infra. 5 STEVEN WHEATLEY, «Democracy in International Law: A European Perspective»,

51(2) ICLQ (2002), S. 225 ff.; JEAN D’ASPREMONT, L’Etat non démocratique en droit

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

179

Demokratie zunehmend unter Druck gerät. Selbst Viktor Orbán schwebt eine De-mokratie – wenn auch eine illiberale – vor.6 Rechtlich gesehen ist die Feststellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), dass die Demokra-tie ein fundamentales Element des «European public order» darstellt, unverändert gültig. Demokratie ist demnach «the only political model contemplated by the >European@ Convention >on Human Rights@ and, accordingly, the only one com-patible with it.»7

Wie in diesem Beitrag aufgezeigt wird, vermittelt das Völkerrecht nicht nur ein Recht auf freie und faire Wahlen, sondern – als Teil dieses Rechts und weiterer völkerrechtlicher Garantien – auch einen Anspruch auf Rechtsschutz in Wahlsa-chen.

Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick über die diesen Anspruch vermittelnden völkerrechtlichen Garantien (II.) und die Bedeutung von Soft Law Standards in diesem Bereich (III.). Der Hauptteil des Beitrags ist dem Inhalt des völkerrechtli-chen Anspruchs auf Rechtsschutz in Wahlsachen gewidmet, wobei insbesondere auf die Anforderungen an die Rechtsmittelinstanz, das Verfahren und die Wieder-gutmachung eingegangen wird (IV.). Zum Schluss wird – aus völkerrechtlicher Perspektive – ein Blick auf das schweizerische Rechtsschutzsystem in Wahlsa-chen geworfen (V.).

international – Etude critique du droit international positif et de la pratique contempo-raine, Paris 2008, S. 269 ff.

6 Prime Minister Viktor Orbán’s Speech at the 25th Bálványos Summer Free University and Student Camp, 26. Juli 2014, <www.kormany.hu/en/the-prime-minister/the-prime-minister-s-speeches/prime-minister-viktor-orban-s-speech-at-the-25th-balvan yos-summer-free-university-and-student-camp> («>W@e had to make a statement that, similarly to the statements I quoted for you earlier, was also categorised as blasphemy by the liberal world. We had to state that a democracy does not necessarily have to be liberal. Just because a state is not liberal, it can still be a democracy.»); Prime Minister Viktor Orbán’s speech at the 29th Bálványos Summer Open University and Student Camp, 29. Juli 2018, <www.kormany.hu/en/the-prime-minister/the-prime-minister-s-speeches/prime-minister-viktor-orban-s-speech-at-the-29th-balvanyos-summer-open-university-and-student-camp> («Let us confidently declare that Christian democracy is not liberal. Liberal democracy is liberal, while Christian democracy is, by definition, not liberal: it is, if you like, illiberal.»).

7 Ždanoka gegen Lettland, EGMR (Grosse Kammer), Nr. 58278/00, 16. März 2006, § 98.

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Daniel Moeckli

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II. Überblick über die völkerrechtlichen Garantien

Der Anspruch auf Rechtsschutz in Wahlsachen ergibt sich aus den völkerrechtli-chen Garantien des Rechts auf freie und faire Wahlen (A.), des Rechts auf wirk-same Beschwerde (B.) und des Rechts auf ein faires Verfahren (C.).

A. Recht auf freie und faire Wahlen

Abbildung 1 gibt eine schematische Übersicht der die Schweiz bzw. Österreich bindenden völkerrechtlichen Bestimmungen, die das Recht auf freie und faire Wahlen garantieren.

Schweiz Österreich

Art. 25 UNO-Pakt II ✔ ✔

Art. 5(c) ICERD ✔ ✔

Art. 7(a) CEDAW ✔ ✔

Art. 29(a) CRPD ✔ ✔

Art. 41 ICPMW ✖ ✖

Art. 3 ZP 1 EMRK ✖ ✔

Art. 39 und 40 GRCh ✖ ✔

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

181

Auf der universellen Ebene gewährleistet Art. 25 lit. b UNO-Pakt II das Recht auf periodische, unverfälschte und geheime Wahlen mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht. Art. 5 lit. c ICERD8 bzw. Art. 7 lit. a CEDAW9 verbieten jegliche Dis-kriminierung in Bezug auf politische Rechte gestützt auf die Rasse, die Hautfarbe oder den nationalen Ursprung bzw. das Geschlecht. Gemäss Art. 29 lit. a CRPD10 müssen die Vertragsstaaten sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am politischen Leben teilhaben können.

Auf der europäischen Ebene findet sich die zentrale Wahlrechtsgarantie nicht in der EMRK11 selbst, sondern im ZP 1 EMRK12. Dessen Art. 3 vermittelt das Recht auf periodische, freie und geheime Wahlen von Legislativorganen. Die Schweiz hat – als einziges Mitglied des Europarates neben Monaco – das ZP 1 EMRK zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert.13 In seinem letzten Bericht uber die Schweiz und die Konventionen des Europarates stellt sich der Bundesrat auf den Stand-punkt, eine Ratifikation des ZP 1 EMRK sei «nicht prioritar». Einer der Gründe, die er dafür anführt, sind die – mittels Handerheben durchgeführten – Wahlen an Landsgemeinden.14 Im Unionsrecht finden sich Wahlrechtsgarantien in Art. 39 GRCh15 in Bezug auf Wahlen des Europäischen Parlaments und Art. 40 GRCh in Bezug auf Gemeindewahlen.

Das Recht auf freie und faire Wahlen wird von zahlreichen weiteren völkerrecht-lichen Verträgen gewährleistet, die weder von der Schweiz noch von Österreich

8 Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminie-

rung vom 21. Dezember 1965, (SR) 0.104. 9 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom

18. Dezember 1979, SR 0.108. 10 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezem-

ber 2006, SR 0.109. 11 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November

1950, SR 0.101. 12 Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreihei-

ten vom 20. März 1952, 213 United Nations Treaty Series (UNTS) 262. 13 Für den Ratifikationsstand siehe <https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-

/conventions/treaty/009/signatures>. 14 Elfter Bericht uber die Schweiz und die Konventionen des Europarates vom 24. August

2016, Bundesblatt (BBl) 2016, S. 7045 (7054). 15 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, OJ C 326/391.

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Daniel Moeckli

182

ratifiziert worden sind. So garantiert Art. 41 ICPMW16 Wanderarbeitnehmenden und ihren Familienangehörigen das aktive und passive Wahlrecht in ihrem Hei-matstaat. Zudem enthalten auch die nicht-europäischen regionalen Menschen-rechtskonventionen allgemeine Wahlrechtsgarantien, so die Amerikanische Men-schenrechtskonvention17 in Art. 23 Abs. 1 lit. b und die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker18 in Art. 13 Abs. 1.

B. Recht auf wirksame Beschwerde

Zentral für den Rechtsschutz in Wahlsachen sind neben dem Recht auf freie und faire Wahlen die völkerrechtlichen Verfahrensgarantien. Dazu gehört zunächst einmal das Recht auf wirksame Beschwerde.

Schweiz Österreich

Art. 2(3) UNO-Pakt II ✔ ✔

Art. 13 EMRK (✔) ✔

Art. 47 (1) GRCh ✖ ✔ Sowohl Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt II als auch Art. 13 EMRK vermitteln jeder Per-son, die in ihren vom Pakt bzw. von der Konvention anerkannten Rechten verletzt worden ist, das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Be-schwerde zu erheben. Wie sich aus ihrem Wortlaut klar ergibt, sind die Garantien von Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt II und Art. 13 EMRK akzessorisch, sie greifen also nur, wenn eine Verletzung eines anderen Pakt- bzw. Konventionsrechts geltend gemacht wird. Da in Bezug auf die EMRK das Recht auf freie Wahlen bloss durch das von der Schweiz nicht ratifizierte ZP 1 EMRK gewährleistet wird, kann in schweizerischen Wahlstreitigkeiten Art. 13 EMRK nicht angerufen werden. Das Unionsrecht garantiert das Recht auf wirksame Beschwerde in Art. 47 Abs. 1 GRCh.

16 Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer

Familienangehörigen vom 18. Dezember 1990, 2220 UNTS 3. 17 Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. November 1969, 1144 UNTS

123. 18 Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker vom 27. Juni 1981,

1520 UNTS 217.

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

183

C. Recht auf ein faires Verfahren

Über das akzessorische Recht auf wirksame Beschwerde hinaus garantieren die in II.B. vorne erwähnten Instrumente auch ein selbständiges Recht auf ein faires Ver-fahren.

Schweiz Österreich

Art. 14(1) UNO-Pakt II ✔ ✔

Art. 6(1) EMRK ✔ ✔

Art. 47(2) GRCh ✖ ✔ Gemäss Art. 14 Abs. 1 Satz 2 UNO-Pakt II hat jedermann Anspruch darauf, dass über eine gegen ihn erhobene strafrechtliche Anklage oder seine zivilrechtlichen Ansprüche «durch ein zuständiges, unabhängiges, unparteiisches und auf Gesetz beruhendes Gericht in billiger Weise und öffentlich verhandelt wird». Eine im Wortlaut fast identische Bestimmung findet sich in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Inwiefern diese menschenrechtlichen Garantien eines fairen Verfahrens auf Wahl-sachen anwendbar sind, wird in IV.A.2 hinten erörtert. Keine Beschränkung auf Straf- und Zivilsachen kennt die unionsrechtliche Garantie eines fairen Verfahrens nach Art. 47 Abs. 2 GRCh.

III. Bedeutung von Soft Law

Die in II. beschriebenen völkerrechtlichen Garantien werden durch zahlreiche Soft Law Standards (d.h. Verhaltensvorgaben, die zwar einen gewissen normativen Charakter aufweisen, aber rechtlich nicht verbindlich sind) konkretisiert. Insbe-sondere der Europarat, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in

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Daniel Moeckli

184

Europa (OSZE)19 und die Interparlamentarische Union (IPU)20 haben im Wahlbe-reich zahlreiche Leitlinien verabschiedet. Innerhalb des Europarates ist die Tätig-keit der Venedig-Kommission (offiziell: Europäische Kommission für Demokra-tie durch Recht), die Wahlen als eines ihrer Hauptaufgabengebiete erachtet,21 von herausragender Bedeutung.22 Die Venedig-Kommission verfasst Gutachten zu Entwürfen von Wahlgesetzen bzw. entsprechenden Verfassungsbestimmungen, reicht amicus curiae Gutachten bei Gerichten ein und erstellt Studien und Berichte zu zahlreichen Fragen rund um Wahlen.23

Ihre zentralen, generischen Leitlinien für den Wahlbereich hat die Venedig-Kom-mission in ihrem Code of Good Practice in Electoral Matters von 2002 zusam-mengefasst. Der Code, der von einem Explanatory Report (einer Art Kommentie-rung) begleitet wird, wurde 2003 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates24 und 2004 vom Ministerkomitee des Europarates25 gutgeheissen, was 19 Siehe insbesondere den die wichtigsten Leitlinien zusammenfassenden Bericht OSCE

Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR), Existing Commit-ments for Democratic Elections in OSCE Participating States, Warschau 2003; mit besonderem Fokus auf den Rechtsschutz in Wahlsachen: ODIHR, Resolving Election Disputes in the OSCE Area: Towards a Standard Election Dispute Monitoring System, Warschau 2000.

20 Siehe insbesondere IPU, Declaration on Criteria for Free and Fair Elections, 26. März 1994; IPU, Universal Declaration on Democracy, 16. September 1997.

21 Siehe die entsprechenden Erläuterungen auf der Webseite der Venedig-Kommission: <www.venice.coe.int/WebForms/pages/?p=01_Elections_and_Referendums>.

22 Siehe AMAYA ÚBEDA DE TORRES, «Between Soft and Hard Law Standards: The Con-tribution of the Venice Commission in the Electoral Field», in: Helen Hardman/Brice Dickson (Hrsg.), Electoral Rights in Europe: Advances and Challenges, Abingdon 2017, S. 30 ff.

23 Siehe dazu den Beitrag von REGINA KIENER, «Europäische Mindeststandards zum Par-lamentswahlrecht im Soft Law der Venedig-Kommission», in diesem Band.

24 Parlamentarische Versammlung des Europarates, Resolution 1320 vom 30. Januar 2003, insbesondere § 5 («The Assembly considers that the code constitutes a major step towards harmonising standards for the organisation and observation of elections and in establishing procedures and conditions for the organisation of the electoral pro-cess.»).

25 Ministerkomitee des Europarates, Declaration by the Committee of Ministers on the Code of Good Practice in Electoral Matters, 13. Mai 2004, CM(2004)83-final («Rec-ognises the importance of the Code of Good Practice in Electoral Matters, which re-flects the principles of Europe’s electoral heritage, as a reference document for the Council of Europe in this area, and as a basis for possible further development of the legal framework of democratic elections in European countries.»).

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

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seine Überzeugungskraft verstärkt.26 Das Ministerkomitee hat die Mitgliedstaaten des Europarates ausdrücklich dazu aufgerufen, den Code of Good Practice in Elec-toral Matters zu befolgen.27 Tatsächlich hat der Code die Standardsetzung in die-sem Bereich stark geprägt; er wird auch im Rahmen der Wahlbeobachtung, etwa durch die OSZE, regelmässig verwendet.28 Vor allem aber hat der Code, der sich seinerseits an der EMRK und der Praxis des EGMR orientiert,29 zur Weiterent-wicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs beigetragen: Der EGMR legt die Konventionsgarantien regelmässig im Licht des Code of Good Practice in Elec-toral Matters aus, wodurch die in ihm festgeschriebenen Soft Law Standards zu «Hard Law» Standards werden.30 Der Gerichtshof bezog sich bereits 2004, weni-ger als zwei Jahre nach dessen Verabschiedung, ein erstes Mal auf den Code.31 Insgesamt hat er ihn bislang in nicht weniger als 36 Urteilen zitiert.32 Dabei behandelt er die Empfehlungen der Venedig-Kommission im Allgemeinen als Mindeststandards. So erblickte er im Urteil Ekoglasnost gegen Bulgarien in der Nichteinhaltung der Vorgabe des Codes, dass Änderungen von wichtigen wahl-rechtlichen Normen mindestens ein Jahr vor einer Wahl erfolgen müssen,33 ohne Weiteres eine Verletzung von Art. 3 ZP 1 EMRK; dass die im fraglichen Zusam-menhang neu eingeführten Voraussetzungen für Kandidaturen an sich unproble-matisch waren, vermochte daran nichts zu ändern.34 In Bezug auf die Frage, 26 CRISTINA FASONE/GIOVANNI PICCIRILLI, «Towards a Ius Commune on Elections in Eu-

rope? The Role of the Code of Good Practice in Electoral Matters in ‹Harmonizing› Electoral Rights», 16 Election Law Journal (2017), S. 247 (249 f.).

27 Ministerkomitee des Europarates, Declaration by the Committee of Ministers on the Code of Good Practice in Electoral Matters, 13. Mai 2004, CM(2004)83-final.

28 ODIHR, Guidelines for Reviewing a Legal Framework for Elections, 2. Aufl., War-schau 2013; ODIHR, Existing Commitments for Democratic Elections in OSCE Par-ticipating States, Warschau 2003.

29 Siehe z.B. Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters: Explan-atory Report, CDL-AD(2002)023rev2-cor, Opinion No. 190/2002, 19. Oktober 2002, §§ 5, 6, 56.

30 YANNICK LÉCUYER, The Right to Free Elections, Strasbourg 2014, S. 21 f.; ÚBEDA DE TORRES (Fn. 22), S. 38.

31 Hirst gegen das Vereinigte Königreich (Nr. 2), EGMR, Nr. 74025/01, 30. März 2004, § 24.

32 Eigene Berechnung gestützt auf die Angaben der HUDOC-Datenbank vom 2. März 2020.

33 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters, CDL-AD(2002) 023rev2-cor, Opinion No. 190/2002, 19. Oktober 2002, Ziff. II.2(b).

34 Ekoglasnost gegen Bulgarien, EGMR, Nr. 30386/05, 6. November 2012, §§ 69 f.

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Daniel Moeckli

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welche wahlrechtlichen Normen als wichtig zu gelten haben, ging der EGMR so-gar über die Vorgaben der Venedig-Kommission hinaus.35

Der Code of Good Practice in Electoral Matters enthält in Ziff. II.3.3 relativ de-taillierte Leitlinien für die Ausgestaltung von Rechtsschutzsystemen in Wahlsa-chen. So formuliert der Code etwa Anforderungen betreffend Eigenschaften der Rechtsmittelinstanz, Ausgestaltung des Rechtsmittelverfahrens, Fristen für die Einreichung und Behandlung von Beschwerden, den Verfahrensbeteiligten einzu-räumende Rechte und Formen der Wiedergutmachung. Auch auf diese, den An-spruch auf Rechtsschutz in Wahlsachen konkretisierenden Vorgaben der Venedig-Kommission, hat der EGMR bereits wiederholt Bezug genommen. Ein gutes Bei-spiel ist das Urteil Grosaru gegen Rumänien, in dem der EGMR aus Art. 3 ZP 1 EMRK und Art. 13 EMRK einen Anspruch auf Zugang zu einem Gericht in Wahl-sachen ableitete (vgl. IV.A.2 hinten). Dabei kam für den Gerichtshof der Tatsache, dass der Code einen solchen Zugang zu einem Gericht empfiehlt,36 entscheidende Bedeutung zu.37 Dies ist nicht das einzige Urteil, das belegt, dass der EGMR auch in Bezug auf den Rechtsschutz in Wahlsachen die Vorgaben des Codes als Min-destanforderungen betrachtet. In Namat Aliyev gegen Aserbaidschan stützte er sei-nen Schluss, dass Wahlbeschwerdeverfahren nicht überspitzt formalistisch ausge-staltet bzw. durchgeführt werden dürfen, auf die entsprechende Vorgabe des Codes38.39 In Riza gegen Bulgarien war Art. 3 ZP 1 EMRK u.a. deshalb verletzt, weil – entgegen der entsprechenden Empfehlung des Codes40 – nach Aufhebung der fraglichen Wahl keine Neuwahlen durchgeführt wurden.41 Im Urteil Davydov

35 Ekoglasnost gegen Bulgarien, EGMR, Nr. 30386/05, 6. November 2012, § 69. 36 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(a). 37 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 26, 56; siehe auch

VINCENT BERGER/STÉPHANIE BOUCHIÉ DE BELLE, «The Code of Good Practice in Elec-toral Matters in the Case Law of the European Court of Human Rights», in: Venice Commission (Hrsg.), Science and Technique of Democracy No. 50: European Elec-toral Heritage – 10 Years of the Code of Good Practice in Electoral Matters, Strasbourg 2012, S. 51 (63).

38 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33), Ziff. II.3.3(b).

39 Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, § 86. 40 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(e). 41 Riza gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 48555/10, 48377/10, 13. Oktober 2015, §§ 177,

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gegen Russland schliesslich wird der Code gleich an sechs Stellen – teilweise ex-tensiv – zitiert,42 wobei der EGMR auch auf die Empfehlung der Venedig-Kom-mission betreffend die Beschwerdelegitimation in Wahlsachen43 Bezug nimmt.44 Allerdings hat der Gerichtshof auch klargemacht, dass Abweichungen von den Vorgaben des Codes ausnahmsweise zulässig sind, wenn eine seiner Richtlinien nicht eine einheitliche Praxis der Mitgliedstaaten des Europarates reflektiert. In Etxeberria gegen Spanien lag aus diesem Grund keine Konventionsverletzung vor, obwohl die in Spanien geltende zweitägige Frist für die Einreichung von Wahlbeschwerden nicht der Empfehlung der Venedig-Kommission (drei bis fünf Tage)45 entsprach.46 Insgesamt ist der Anspruch auf Rechtsschutz in Wahlsachen aber eine der Fragen, für die sich der EGMR am stärksten am Code orientiert.47

Über den Code of Good Practice in Electoral Matters hinaus stützt sich der EGMR im Wahlbereich auch regelmässig auf amicus curiae-Eingaben48 und Gutachten49 der Venedig-Kommission sowie Resolutionen50 und Gutachten51 der Parlamenta-rischen Versammlung des Europarates. Ebenfalls grosse Bedeutung misst er den

42 Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, §§ 196, 283, 284, 285,

287, 299. 43 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(f). 44 Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, § 287. 45 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(g). 46 Etxeberria, Barrena Arza, Nafarroako Autodeterminazio Bilguenea und Aiarako u.a.

gegen Spanien, EGMR, Nrn. 35579/03, 35613/03, 35626/03, 35634/03, 30. Juni 2009, § 79 f.

47 So auch BERGER/BOUCHIÉ DE BELLE (Fn. 37), S. 64. 48 Z.B. Sejdić und Finci gegen Bosnien und Herzegowina, EGMR (Grosse Kammer),

Nrn. 27996/06, 34836/06, 22. Dezember 2009, §§ 4, 36. 49 Sukhovetskyy gegen die Ukraine, EGMR, Nr. 13716/02, 28. März 2006, §§ 39, 61; The

Georgian Labour Party gegen Georgien, EGMR, Nr. 9103/04, 8. Juli 2008, §§ 48, 106; Sejdić and Finci gegen Bosnien und Herzegowina, EGMR (Grosse Kammer), Nrn. 27996/06, 34836/06, 22. Dezember 2009, §§ 22, 48; Ekoglasnost gegen Bulga-rien, EGMR, Nr. 30386/05, 6. November 2012, §§ 41, 64.

50 Sejdić und Finci gegen Bosnien und Herzegowina, EGMR (Grosse Kammer), Nrn. 27996/06, 34836/06, 22. Dezember 2009, § 21; Tănase gegen Moldawien, EGMR (Grosse Kammer), Nr. 7/08, 27. April 2010, §§ 48 ff., 168, 176 f.

51 Z.B. Sejdić und Finci gegen Bosnien und Herzegowina, EGMR (Grosse Kammer), Nrn. 27996/06, 34836/06, 22. Dezember 2009, § 21.

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verschiedenen Berichten bzw. Gutachten der OSZE zu;52 soweit der Gerichtshof die ordnungsgemässe Durchführung von Wahlen zu beurteilen hat, stellt er häufig auf die Erhebungen und Einschätzungen von OSZE-Wahlbeobachtungsmissionen ab.53

Insgesamt kann von einer fruchtbaren Wechselwirkung der Praxis der verschiede-nen Organe des Europarates und der OSZE im Wahlbereich gesprochen werden.54 Indem sich die Venedig-Kommission in ihrem Code of Good Practice in Electoral Matters sowie in ihren Gutachten und Berichten regelmässig auf die Rechtspre-chung des EGMR bezieht, verhilft sie dieser zu einer Wirkung über den Einzelfall hinaus und trägt damit zur harmonisierten Rezeption der EMRK bei. Indem der EGMR seinerseits die Leitlinien der Venedig-Kommission und der OSZE zur Konkretisierung der Konventionsgarantien heranzieht, verleiht er ihnen bindende Wirkung. Das Resultat ist eine weitgehende Vereinheitlichung der verbindlichen Vorgaben in gewissen Bereichen des Wahlrechts, zu denen auch der Rechtsschutz in Wahlsachen zählt.

IV. Inhalt des Anspruchs auf Rechtsschutz in Wahlsachen

Die in II. vorne dargestellten völkerrechtlichen Garantien vermitteln einen An-spruch auf wirksamen Rechtsschutz in Wahlsachen. Ein Rechtsschutzsystem kann nur dann als wirksam bezeichnet werden, wenn die für die Beurteilung von Wahl-beschwerden zuständige Behörde (A.), das dafür vorgesehene Verfahren (B.) und

52 Sukhovetskyy gegen die Ukraine, EGMR, Nr. 13716/02, 28. März 2006, § 39; Petkov

gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, §§ 53, 64, 66; Gahramanli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 36503/11, 8. Oktober 2015, §§ 54, 76.

53 Russian Conservative Party of Entrepreneurs gegen Russland, EGMR, Nrn. 55066/00, 55638/00, 11. Januar 2007, § 42; The Georgian Labour Party gegen Georgien, EGMR, Nr. 9103/04, 8. Juli 2008, §§ 49 ff., 85 f.; Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, §§ 55, 78, 84; Gahramanli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 36503/11, 8. Oktober 2015, § 53, 73, 81; Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, §§ 197 f., 309.

54 Siehe auch ÚBEDA DE TORRES (Fn. 22).

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

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die zur Verfügung stehenden Formen der Wiedergutmachung (C.) bestimmte Vo-raussetzungen erfüllen.

A. Anforderungen an die Rechtsmittelinstanz

Unbestritten ist, dass die Rechtsmittelinstanz für Wahlstreitigkeiten unabhängig und unparteiisch sein muss (1.). Noch nicht restlos geklärt ist hingegen die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein völkerrechtlicher Anspruch auf Zu-gang zu einer richterlichen Behörde besteht (2.).

1. Zugang zu einer unabhängigen und unparteiischen Behörde

Der völkerrechtliche Anspruch auf Rechtsschutz in Wahlsachen beinhaltet klarer-weise einen Anspruch auf Zugang zu einer unabhängigen und unparteiischen Be-hörde zur Beurteilung von Wahlbeschwerden. Die offenbar auf politischen Druck erfolgte Aufhebung der Stadtpräsidentenwahl in Istanbul vom März 2019 durch den Obersten Wahlrat ist eine gute Illustration der Bedeutung dieses Anspruchs.55

Der UNO-Menschenrechtsausschuss hat in seinem General Comment No. 25 zu Art. 25 UNO-Pakt II festgehalten, das Wahlverfahren müsse durch eine unabhän-gige Behörde überwacht werden.56 Im Individualbeschwerdefall Sinitsin gegen Belarus war dem Beschwerdeführer die Registrierung als Kandidat für die weiss-russische Präsidentschaftswahl von 2001 verweigert worden. Da ihm innerstaat-lich keinerlei Möglichkeit zur Verfügung stand, seine Nicht-Registrierung bei einer unabhängigen und unparteiischen Behörde anzufechten, schloss der Men-schenrechtsausschuss auf eine Verletzung der Wahlrechtsgarantie von Art. 25

55 Medienmitteilung des Europarates: Congress President calls on the Turkish authorities

to guarantee the electoral process for the repeated elections in Istanbul, 6. Mai 2019, <www.coe.int/en/web/congress/-/congress-president-calls-on-the-turkish-authorities-to-guarantee-the-electoral-process-for-the-repeated-elections-in-istanbul> («This situ-ation is aggravated by reports we have received about pressure exerted by the Govern-ment on the Supreme Election Council to rule in favour of a rerun of the local elections in Istanbul.»).

56 UNO-Menschenrechtsausschuss (MRA), General Comment No. 25 (1996), § 20.

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lit. b in Verbindung mit dem Recht auf wirksame Beschwerde nach Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt II.57

Der EGMR hat wiederholt festgehalten, dass ein innerstaatliches System zur ef-fektiven Überprüfung von Beschwerden in Wahlsachen eine der zentralen Garan-tien von freien und fairen Wahlen darstellt.58 Wo ein solches System besteht, be-schränkt sich der Gerichtshof auf eine Kontrolle, ob das im konkreten Fall durchgeführte Beschwerdeverfahren die sich aus Art. 3 ZP 1 EMRK ergebenden Anforderungen erfüllte. Wo ein solches System fehlt, prüft er zusätzlich eine Ver-letzung des Rechts auf wirksame Beschwerde gemäss Art. 13 EMRK.59 Teil des Anspruchs auf eine effektive Beschwerdemöglichkeit ist der Anspruch auf Zugang zu einer unabhängigen und unparteiischen Behörde.60

2. Zugang zu einem Gericht? a. Gestützt auf die Garantie eines fairen Verfahrens?

Umstritten ist hingegen, ob in Wahlsachen ein völkerrechtlicher Anspruch auf Zu-gang zu einem Gericht besteht. Die Frage wäre klarerweise zu bejahen, falls die Garantien eines fairen Verfahrens nach Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II bzw. Art. 6 Abs. 1 EMRK, die explizit eine gerichtliche Beurteilung bestimmter Streitigkeiten verlangen, anwendbar wären. Stellen Streitigkeiten in Wahlsachen Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche im Sinne dieser beiden Bestimmungen dar?

(1) Anwendbarkeit von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II

Die Frage der Anwendbarkeit von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II wird weder im Ge-neral Comment No. 25 zu Art. 25 UNO-Pakt II noch im General Comment No. 32

57 Sinitsin gegen Belarus, MRA, Nr. 1047/2002, 20. Oktober 2006, § 7.3. 58 Petkov gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, § 63;

Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, § 81; Uspaskich gegen Litauen, EGMR, Nr. 14737/0893, 20. Dezember 2016, § 93; Davy-dov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, § 274.

59 Paunović und Milivojević gegen Serbien, EGMR, Nr. 41683/03, 24. Mai 2016, § 68; Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, § 199.

60 Podkolzina gegen Lettland, EGMR, Nr. 46726/99, 9. April 2002, § 35; The Georgian Labour Party gegen Georgien, EGMR, Nr. 9103/04, 8. Juli 2008, § 101; Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, § 73; Gahramanli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 36503/11, 8. Oktober 2015, §§ 75 ff.; Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, §§ 275, 326.

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

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zu Art. 14 UNO-Pakt II61 angesprochen. Eine Gelegenheit zur Beantwortung der Frage bot sich dem UNO-Menschenrechtsausschuss im vorne erwähnten Fall Sinitsin gegen Belarus, machte doch der Beschwerdeführer u.a. eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II geltend. Doch der Ausschuss liess ausdrücklich offen, ob der vorliegende Fall die Festlegung von «rights and obligations in a suit at law» im Sinne dieser Bestimmung betraf, und beschränkte sich auf eine Beur-teilung der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt von Art. 25 lit. b in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 UNO-Pakt II.62 In einer partially dissenting opinion stellten sich drei Mitglieder auf den Standpunkt, der Ausschuss hätte auch auf diesen Teil der Beschwerde eingehen und die Anwendbarkeit von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II bejahen müssen: «The Committee has recognized in its jurisprudence that this article protects ad-ministrative, labour, and civil rights in general, not only in the field of private law. The rights enshrined in article 25 of the Covenant cannot be left outside the scope of the procedural safeguards prescribed by article 14, since this would leave un-protected certain rights explicitly mentioned in the Covenant which are highly im-portant in democratic systems.»63

In den 2018 beurteilten, praktisch identischen Fällen Burgoa gegen Bolivien und Iporre gegen Bolivien hat nun aber der UNO-Menschenrechtsausschuss die An-wendbarkeit von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II auf Streitigkeiten in Wahlsachen be-jaht.64 Die von der Beschwerdeführerin bzw. vom Beschwerdeführer eingelegten Rechtsmittel gegen ihren Ausschluss von Wahlen zum Stadtpräsidium waren von den zuständigen Gerichten verspätet behandelt worden, mit dem Resultat, dass die Gerichtsurteile erst nach erfolgter Wahl vorlagen. Der UNO-Menschenrechtsaus-schuss schloss in beiden Fällen auf eine Verletzung des Rechts auf ein faires Ver-fahren nach Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II, wobei er die Anwendbarkeit dieser Be-stimmung offenbar als selbstverständlich und keiner Begründung bedürftig erachtete.65

61 MRA, General Comment No. 32 (2007). 62 Sinitsin gegen Belarus, MRA, Nr. 1047/2002, 20. Oktober 2006, § 6.3. 63 Sinitsin gegen Belarus, MRA, Nr. 1047/2002, 20. Oktober 2006, Partially Dissenting

Opinion by Committee Members, Mr. Rafael Rivas Posada, Mr. Edwin Johnson and Mr. Hipólito Solari Yrigoyen, §§ 1 f.

64 Burgoa gegen Bolivien, MRA, Nr. 2628/2015, 28. März 2018; Iporre gegen Bolivien, MRA, Nr. 2629/2015, 28. März 2018.

65 Burgoa gegen Bolivien, MRA, Nr. 2628/2015, 28. März 2018, § 11.8; Iporre gegen Bolivien, MRA, Nr. 2629/2015, 28. März 2018, § 11.8.

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(2) Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK

Hingegen wendet der EGMR in ständiger Rechtsprechung Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht auf Wahlsachen an. Zur Begründung verweist er auf den Wortlaut der Be-stimmung, die von «determination of >…@ civil rights and obligations» bzw. «con-testations sur >…@ droits et obligations de caractere civil» spricht. Das Leiturteil ist Pierre-Bloch gegen Frankreich aus dem Jahr 1997.66 Der Abgeordnete Jean Pierre-Bloch hatte die Obergrenze für Wahlkampfausgaben überschritten. Er wurde deshalb vom Conseil constitutionnel für ein Jahr von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen, seinen Sitz in der Assemblée nationale musste er aufge-ben. Pierre-Bloch machte eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfah-ren, insbesondere auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung, gemäss Art. 6 Abs. 1 EMRK geltend. Der EGMR entschied, das Recht, sich für die Wahl in die Assemblée nationale zu bewerben, sei «a political one and not a ‹civil› one within the meaning of Article 6 § 1».67 Der Gerichtshof hat seither wiederholt68 – zuletzt in mehreren 2016 erlassenen Urteilen bzw. Entscheidungen69 – bestätigt, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht auf Parlaments- oder Gemeindewahlen anwendbar ist. Auch in der Literatur wird die Meinung vertreten, das Wahlrecht als «Kernbe-reich des öffentlichen Rechts» falle nicht unter diese Bestimmung.70

Diese Ansicht überzeugt nicht. Wie der UNO-Menschenrechtsausschuss im Fall von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II legt der EGMR den Begriff «civil rights» bzw. «droits de caractère civil» im Allgemeinen sehr weit aus, sodass Art. 6 Abs. 1 EMRK auch zahlreiche Bereiche des öffentlichen Rechts erfasst.71 Wieso ausge-rechnet Wahlsachen von dieser grosszügigen Anwendung von Art. 6 Abs. 1 66 Pierre-Bloch gegen Frankreich, EGMR, Nr. 24194/94, 21. Oktober 1997. 67 Pierre-Bloch gegen Frankreich, EGMR, Nr. 24194/94, 21. Oktober 1997, § 50. 68 Siehe z.B. Cherepkov gegen Russland (dec.), EGMR, Nr. 51501/99, 25. Januar 2000;

Gorizdra gegen Moldawien (dec.), EGMR, Nr. 53180/99, 2. Juli 2002. 69 Barski und Święczkowski gegen Polen (dec.), EGMR, Nrn. 13523/12, 14030/12,

2. Februar 2016, § 57; Paunović und Milivojević gegen Serbien, EGMR, Nr. 41683/03, 24. Mai 2016, § 75; Cumhuriyet Halk Partisi gegen die Türkei (dec.), EGMR, Nr. 16572/15, 30. August 2016, §§ 14 f.; Yavaş gegen die Türkei (dec.), EGMR, Nr. 16576/15, 30. August 2016, §§ 12 f.; Akova gegen die Türkei (dec.), EGMR, Nr. 33969/15, 13. September 2016, §§ 15 f.

70 CHRISTOPH GRABENWARTER/KATHARINA PABEL, Europäische Menschenrechtskon-vention, 6. Aufl., München 2016, § 24 N. 14.

71 Siehe z.B. DAVID HARRIS/MICHAEL O’BOYLE/ED BATES/CARLA BUCKLEY, Harris, O’Boyle & Warbrick: Law of the European Convention on Human Rights, 4. Aufl., Oxford 2018, S. 381 ff.

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

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EMRK ausgenommen sein sollten, leuchtet nicht ein. Mit dem Hinweis auf die Unterscheidung zwischen «civil» und «political» lässt sich der Ausschluss auf je-den Fall nicht rechtfertigen. Im Gegenteil spricht die Etymologie der Begriffe «ci-vil» und «political» gerade für eine Gleichbehandlung: «civil» stammt vom latei-nischen civis, «political» vom griechischen politis ab, was beides «Bürger» bedeutet.72 Der Text von Art. 6 EMRK beruht auf einem Vorschlag der britischen Delegation; dieser wiederum orientierte sich stark an einem Entwurf der UNO-Menschenrechtskommission, der schliesslich in Art. 14 UNO-Pakt II mündete.73 Nun kennt aber das englische Rechtssystem keine Unterscheidung zwischen «civil rights» einerseits und «political rights» (oder «public rights») andererseits.74 Das Recht auf freie Wahlen wird zu den «civil liberties» gezählt, ja sogar als «the core civil liberty» beschrieben.75 Dementsprechend unterscheiden auch internationale Menschenrechtsinstrumente im Allgemeinen nicht zwischen «civil rights» und «political rights». So spricht Art. 5 ICERD in lit. c von «political rights» und in der folgenden lit. d von «other civil rights», erachtet also Erstere als Teilgehalt der Letzteren.76 Auch im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II wird, wie oben dargelegt, als selbstverständlich vorausgesetzt, dass das Wahlrecht zu den von die-ser Verfahrensgarantie erfassten Rechten zählt. Insgesamt spricht somit viel dafür, dass mit dem in Art. 6 Abs. 1 EMRK verwendeten Begriff «civil rights» auch das Recht auf freie Wahlen erfasst werden sollte und die von der Mehrheit der Richter im Urteil Pierre-Bloch gegen Frankreich gemachte Unterscheidung auf einem Missverständnis der Begriffe «civil rights» bzw. «political rights» beruht.77 Rich-ter De Meyer wies in seiner opinion dissidente zu diesem Urteil zurecht darauf 72 Siehe dazu Pierre-Bloch gegen Frankreich, EGMR, Nr. 24194/94, 21. Oktober 1997,

opinion dissidente de M. le Juge De Meyer. 73 WILLIAM A. SCHABAS, The European Convention on Human Rights: A Commentary,

Oxford 2015, S. 267 f. 74 JAVAN HERBERG/ANDREW LE SUEUR/JANE MULCAHY, «Determining Civil Rights and

Obligations», in: Jeffrey Jowell/Jonathan Cooper (Hrsg.), Understanding Human Rights Principles, Oxford 2001, S. 91 (114).

75 CONOR GEARTY, Civil Liberties, Oxford 2007, S. 3. 76 PATRICK THORNBERRY, The International Convention on the Elimination of All Forms

of Discrimination: A Commentary, Oxford 2016, S. 327. 77 So auch JEAN-FRANÇOIS FLAUSS, «L’applicabilité de la Convention européenne des

droits de l’homme au contentieux des élections parlementaires : les enseignements de l’arrêt Pierre-Bloch», 4 Les Cahiers du Conseil constitutionnel (1998), S. 123; PAUL TAVERNIER, «Le Conseil constitutionnel français et la Convention européenne des droits de l’homme», 7 Droits fondamentaux (2008), S. 1 (6 f.); LÉCUYER (Fn. 30), S. 113; HARRIS/O’BOYLE/BATES/BUCKLEY (Fn. 71), S. 912.

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hin, dass politische Rechte in einem gewissen Sinn geradezu das Paradebeispiel von «civil rights» darstellen: «En réalité les droits ‹politiques› constituent une catégorie particulière de droits ‹civils›. Ils sont même plus ‹civils› que d’autres, en ce qu’ils sont plus directement inhérents à la qualité de citoyen et d’ailleurs normalement réservés aux seuls ci-toyens.»78

Der Ausschluss des Rechts auf freie und faire Wahlen vom Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK lässt sich auch nur schwer mit der vom EGMR häufig verwendeten Formel vereinbaren, wonach «the rights guaranteed under Article 3 of Protocol No. 1 are crucial to establishing and maintaining the foundations of an effective and meaningful democracy governed by the rule of law».79

b. Gestützt auf das Recht auf Wahlen?

Falls sich der Anspruch auf Zugang zu einem Gericht in Wahlsachen – wie vom EGMR behauptet – nicht aus der Garantie eines fairen Verfahrens ableiten lässt, stellt sich die Anschlussfrage, ob er sich direkt aus dem Recht auf Wahlen (allen-falls in Verbindung mit dem akzessorischen Recht auf eine wirksame Be-schwerde) ergibt.

In Bezug auf den UNO-Pakt II hat sich der Menschenrechtsausschuss nicht end-gültig festgelegt: Seiner Ansicht nach verlangt Art. 25 UNO-Pakt II, dass für Wahlbeschwerden «access to judicial review or other equivalent process» beste-hen muss.80

Der EGMR anerkannte im Kontext des Ausschlusses von Gefangenen vom Wahl-recht bereits 2005 die Bedeutung des Zugangs zu einem Gericht.81 2010 hielt er dann im wegweisenden Urteil Grosaru gegen Rumänien fest, als Regel müsse für 78 Pierre-Bloch gegen Frankreich, EGMR, Nr. 24194/94, 21. Oktober 1997, opinion dis-

sidente de M. le Juge De Meyer. 79 Zum ersten Mal findet sich die Formulierung in Hirst gegen das Vereinigte Königreich

(Nr. 2), EGMR (Grosse Kammer), Nr. 74025/01, 6. Oktober 2005, § 58; seither wurde sie mehr als 30 Mal wiederholt, z.B. in Ždanoka gegen Lettland, EGMR (Grosse Kam-mer), Nr. 58278/00, 16. März 2006, § 103; Paunović und Milivojević gegen Serbien, EGMR, Nr. 41683/03, 24. Mai 2016, § 59; Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, § 272.

80 MRA, General Comment No. 25 (1996), § 20. 81 Hirst gegen das Vereinigte Königreich (Nr. 2), EGMR (Grosse Kammer),

Nr. 74025/01, 6. Oktober 2005, § 71; siehe auch etwa Frodl gegen Österreich, EGMR, Nr. 20201/04, 8. April 2010, § 34.

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jegliche Art von Wahlbeschwerden eine gerichtliche Beurteilung gewährleistet werden.82 Die zentrale Wahlkommission Rumäniens, die sich aus sieben Richtern und 16 Vertretern politischer Parteien zusammensetzt, hatte den einer nationalen Minderheit zustehenden Parlamentssitz anstatt dem Beschwerdeführer einer Kan-didatin zugeteilt, die zwar in einem einzelnen Wahlkreis mehr, landesweit gerech-net aber weniger Stimmen erhalten hatte.83 Die von Herrn Grosaru gegen diesen Entscheid bei der zentralen Wahlkommission sowie einer parlamentarischen Kommission eingereichten Beschwerden wurden abgewiesen, auf seine beim Ver-fassungsgericht und beim Obersten Gerichtshof erhobenen Rechtsmittel wurde nicht eingetreten mit der Begründung, Entscheide der Wahlkommission seien end-gültig.84 Gestützt auf eine eingehende rechtsvergleichende Untersuchung stellte der EGMR fest, dass fast alle Mitgliedstaaten des Europarates die Möglichkeit einer gerichtlichen Anfechtung von Wahlbeschwerden vorsehen. Die einzigen Ausnahmen betreffen gemäss dem Gerichtshof Belgien, Italien und Luxemburg, wobei zu berücksichtigen sei, dass in diesen Staaten aufgrund ihrer langen demo-kratischen Tradition der fehlende Zugang zu einem Gericht weniger stark ins Ge-wicht falle.85 Der gesamteuropäische Trend in Richtung Gewährleistung des Zu-gangs zu einem Gericht für Wahlstreitigkeiten entspreche den von der Venedig-Kommission in ihrem Code of Good Practice in Electoral Matters formulierten Empfehlungen.86 Die gerichtliche Kontrolle von Wahlen sei zur Verhinderung von willkürlichen Entscheidungen von zentraler Bedeutung.87 Aufgrund der im vorlie-genden Fall unterbliebenen Überprüfung der Wahlbeschwerde durch ein nationa-les Gericht schloss der EGMR auf eine Verletzung von Art. 3 ZP 1 EMRK und Art. 13 EMRK.88

Unter gewissen, noch nicht in gefestigter Rechtsprechung definierten Umständen leitet der EGMR also den Anspruch auf Zugang zu einem Gericht direkt aus Art. 3 ZP 1 EMRK (allenfalls in Verbindung mit Art. 13 EMRK) ab. Dadurch wird der – nach hier vertretener Ansicht unhaltbare – Ausschluss von Wahlsachen vom An-wendungsbereich von Art. 6 Abs. 1 EMRK weitgehend kompensiert.89 Allerdings 82 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 55 ff. 83 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 9 ff., 18. 84 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 13 ff. 85 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 26 ff. 86 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 26, 56. 87 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 47, 55. 88 Grosaru gegen Rumänien, EGMR, Nr. 78039/01, 2. März 2010, §§ 57, 62. 89 Siehe HARRIS/O’BOYLE/BATES/BUCKLEY (Fn. 71), S. 912, 934 ff.

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gilt diese Feststellung natürlich nur für jene Staaten, die – anders als die Schweiz – das ZP 1 EMRK ratifiziert haben.

B. Anforderungen an das Verfahren

Gemäss EGMR finden die strengen Anforderungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK be-treffend Öffentlichkeit, rechtliches Gehör usw. nicht direkt Anwendung auf Verfahren zur Beurteilung von Wahlbeschwerden. Jedoch leitet der Gerichtshof auch in Bezug auf die Ausgestaltung solcher Verfahren eine ganze Reihe von An-forderungen direkt aus Art. 3 ZP 1 EMRK ab. So hat er – wie auch die Venedig-Kommission – betont, dass Wahlbeschwerdeverfahren klar geregelt sein und transparent durchgeführt werden müssen.90 Zudem greifen das Verbot der Rechts-verweigerung (1.), der Anspruch auf rechtliches Gehör (2.), einschliesslich auf Entscheidbegründung (3.), sowie der Anspruch auf ein rasches Verfahren (4.).

1. Verbot der Rechtsverweigerung Wenn eine Wahlbeschwerde eingereicht wird (wenn etwa glaubhaft dargelegt wird, dass bei der Stimmauszählung Fehler begangen wurden), besteht ein An-spruch darauf, dass diese von der zuständigen Behörde substanziell überprüft wird. Überspitzter Formalismus ist verboten.

Im Fall Namat Aliyev gegen Aserbaidschan machte der Beschwerdeführer zahl-reiche Unregelmässigkeiten bei den aserbaidschanischen Parlamentswahlen von 2005 geltend. Der EGMR hielt fest, die angerufenen Wahlkommissionen und Ge-richte hätten sich mit den glaubhaft dargelegten Anschuldigungen inhaltlich aus-einandersetzen und Schritte zur Beweiserhebung einleiten sollen.91 Stattdessen hätten sie dem Beschwerdeführer übermässig strikte prozessuale Hürden in den Weg gelegt und extrem formalistische Gründe angeführt, um eine Überprüfung des Inhalts der Beschwerde zu vermeiden.92 Der Gerichtshof verwies auf den Code of Good Practice in Electoral Matters der Venedig-Kommission, der festhält, 90 Podkolzina gegen Lettland, EGMR, Nr. 46726/99, 9. April 2002, § 35; The Georgian

Labour Party gegen Georgien, EGMR, Nr. 9103/04, 8. Juli 2008, § 101; Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, § 275; Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33), Ziff. II.3.3(c).

91 Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, §§ 83–85, 87–89.

92 Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, §§ 85, 88.

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überspitzter Formalismus sei in Wahlbeschwerdeverfahren zu unterlassen,93 und schloss auf eine Verletzung von Art. 3 ZP 1 EMRK.94

Der Fall Davydov gegen Russland betraf die Wahlen in das Parlament von St. Pe-tersburg und in die russische Staatsduma von 2011. Die 11 Beschwerdeführer machten auf unterschiedlichen prozessualen Wegen bei verschiedenen Behörden Wahlfälschung geltend. Der EGMR kam zum Schluss, dass den Beschwerdefüh-rern zwar der Zugang zu richterlichen Behörden offen gestanden hatte, die ange-rufenen Gerichte es aber unterlassen hatten, den Sachverhalt eingehend abzuklä-ren und sich mit der Substanz der Wahlbeschwerden zu befassen: «The courts were competent, under both federal and regional legislation, to per-form independent and effective evaluations of allegations of breaches of the right to free and fair elections. However, they generally refrained from going into the substance of the allegations, limiting their analysis to trivial questions of formal-ities and ignoring evidence pointing to serious and widespread breaches of pro-cedure and transparency requirements. In essence, they endorsed the electoral commissions’ decisions, without engaging in any real examination of the reasons for the challenges.»95

Vor diesem Hintergrund stellte der EGMR eine Verletzung von Art. 3 ZP 1 EMRK fest.96

Eine Verletzung des Rechtsverweigerungsverbots liegt auch dann vor, wenn ein Gericht, anstatt den Entscheid einer Wahlkommission auf seine Rechtmässigkeit zu untersuchen, sich darauf beschränkt, die Entscheidbegründung der Wahlkom-mission zu wiederholen.97

2. Anspruch auf rechtliches Gehör Die Venedig-Kommission hat in ihrem Code of Good Practice in Electoral Matters hervorgehoben, dass in Wahlbeschwerdeverfahren das rechtliche Gehör gewährt

93 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(b). 94 Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, §§ 86, 93. 95 Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, § 333. 96 Davydov gegen Russland, EGMR, Nr. 75947/11, 30. Mai 2017, § 338. 97 Kerimova gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 20799/06, 30. September 2010, §§ 52,

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werden muss.98 Der EGMR erachtet zwar die in Art. 6 Abs. 1 EMRK festgeschrie-bene Garantie eines «fair hearing» als in Wahlbeschwerdeverfahren nicht anwend-bar,99 leitet aber den Anspruch auf rechtliches Gehör direkt aus Art. 3 ZP 1 EMRK ab. Wer eine Wahlbeschwerde einreicht, hat demnach z.B. ein Recht auf Orientie-rung über den Verfahrensgang,100 auf Akteneinsicht,101 auf Äusserung und Mit-wirkung im Verfahren102 sowie auf Einräumung von genügend Zeit zur Vorberei-tung einer Verhandlung.103

3. Anspruch auf Entscheidbegründung Einen zentralen Teilgehalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör stellt das Recht auf Entscheidbegründung dar. Der EGMR anerkennt, dass Wahlbeschwerden rasch erledigt werden müssen (dazu sogleich 4. hinten), was es nötig machen könne, auf sehr ausführliche Entscheiderwägungen zu verzichten.104 Trotzdem müsse sichergestellt werden, dass auf den Inhalt von glaubhaft dargelegten Beschwerden eingegangen wird und die entsprechenden Entscheide in Bezug auf sowohl Sachverhaltsfragen als auch die rechtlichen Erwägungen eine genügend substantiierte Begründung aufweisen.105 Der Gerichtshof ist in mehreren Aser-baidschan betreffenden Urteilen zum Schluss gekommen, dass diese Anforderun-gen nicht erfüllt waren, womit jeweils eine Verletzung von Art. 3 ZP 1 EMRK vorlag.106

98 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(h). 99 Atakishi gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18469/06, 28. Februar 2012, § 52. 100 Atakishi gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18469/06, 28. Februar 2012, § 48. 101 Kerimli und Alibeyli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nrn. 18475/06, 22444/06, 10. Ja-

nuar 2012, § 40. 102 Kerimli und Alibeyli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nrn. 18475/06, 22444/06, 10. Ja-

nuar 2012, § 40; Gahramanli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 36503/11, 8. Oktober 2015, § 81.

103 Atakishi gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18469/06, 28. Februar 2012, § 48. 104 Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, § 90. 105 Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, § 90;

Kerimli und Alibeyli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nrn. 18475/06, 22444/06, 10. Ja-nuar 2012, § 39.

106 Namat Aliyev gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18705/06, 8. April 2010, §§ 83, 90; Kerimova gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 20799/06, 30. September 2010, § 48; Hajili gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 6984/06, 10. Januar 2012, §§ 54, 57; Kerimli

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4. Anspruch auf ein rasches Verfahren Insbesondere im Vorfeld einer Wahl erhobene Beschwerden müssen rasch behan-delt werden, damit sie überhaupt eine Wirkung entfalten können. Doch auch nach erfolgter Wahl ist eine prompte Erledigung von Beschwerden wichtig, damit all-fällige Zweifel an der Rechtmässigkeit der Wahl schnell aus dem Weg geräumt werden können. Gemäss der Venedig-Kommission müssen die Fristen für die Ein-reichung und die Behandlung von Wahlbeschwerden deshalb kurz bemessen sein, wobei die Kommission einen Zeitrahmen von je drei bis fünf Tagen vorschlägt.107

In den bereits erwähnten Fällen Burgoa gegen Bolivien und Iporre gegen Bolivien hatten die zuständigen Gerichte die gesetzlich vorgesehene Frist für die Behand-lung von Wahlbeschwerden ohne Begründung überschritten, was zur Folge hatte, dass die Gerichtsurteile erst nach durchgeführter Wahl vorlagen. In dieser unge-rechtfertigten Verzögerung des Verfahrens erblickte der UNO-Menschenrechts-ausschuss eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 UNO-Pakt II.108

In ihrem Kommentar zur Empfehlung betreffend Fristen für die Einreichung und Behandlung von Wahlbeschwerden anerkennt die Venedig-Kommission, dass das Erfordernis kurz bemessener Fristen in einem Spannungsverhältnis zu den An-sprüchen auf rechtliches Gehör und Entscheidbegründung stehen kann; die Fristen müssten kurz sein, gleichzeitig aber lang genug, damit die Verfahrensrechte sinn-voll ausgeübt werden könnten und der Entscheid genügend eingehend begründet werden könne.109 In Etxeberria gegen Spanien hatte sich der EGMR mit der in Spanien geltenden Frist von zwei Tagen für die Anfechtung der Nicht-Registrie-rung einer Wahlkandidatur auseinanderzusetzen. Der Gerichtshof räumte ein, dass die Frist sehr kurz war und nicht der Empfehlung der Venedig-Kommission ent-sprach.110 Jedoch hätten die Beschwerdeführer nicht nachgewiesen, dass es ihnen die knapp bemessene Frist verunmöglicht hätte, Beschwerde einzulegen und ihren

und Alibeyli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nrn. 18475/06, 22444/06, 10. Januar 2012, § 39; Atakishi gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 18469/06, 28. Februar 2012, §§ 46 f.

107 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33), Ziff. II.3.3(g).

108 Burgoa gegen Bolivien, MRA, Nr. 2628/2015, 28. März 2018, § 11.8; Iporre gegen Bolivien, MRA, Nr. 2629/2015, 28. März 2018, § 11.8.

109 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters: Explanatory Re-port (Fn. 29), § 95.

110 Etxeberria, Barrena Arza, Nafarroako Autodeterminazio Bilguenea und Aiarako u.a. gegen Spanien, EGMR, Nrn. 35579/03, 35613/03, 35626/03, 35634/03, 30. Juni 2009, §§ 78 f.

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Standpunkt effektiv zu vertreten, weshalb gemäss EGMR keine Konventionsver-letzung vorlag.111

C. Anforderungen an die Wiedergutmachung

Die für die Beurteilung von Wahlbeschwerden zuständige Behörde muss auf fest-gestellte Rechtswidrigkeiten angemessen reagieren können. Insbesondere muss sie die Möglichkeit haben, die Wiederherstellung einer Kandidatur anzuordnen (1.) und – falls nötig – eine Wahl aufzuheben (2.). Der EGMR hat klar gemacht, dass ein Rechtsmittelsystem in Wahlsachen nur dann als wirksam bezeichnet wer-den kann, wenn die Urteile der Rechtsmittelinstanzen beachtet und auch effektiv umgesetzt werden.112 Ist dies nicht der Fall, verliert die Beschwerdemöglichkeit jeglichen Nutzen.113 Segnet z.B. ein Verfassungsgericht die landesweiten Wahlre-sultate ab, bevor die Frist für die Einreichung von Wahlbeschwerden in den ein-zelnen Wahlkreisen abgelaufen ist, beraubt es diese Beschwerden ihrer Wirksam-keit.114

1. Wiederherstellung einer Kandidatur Der Code of Good Practice in Electoral Matters der Venedig-Kommission hält fest, dass die Rechtsmittelinstanz in Wahlsachen Entscheidungsbefugnisse in Be-zug auf das aktive und passive Wahlrecht, die Gültigkeit von Kandidaturen, die Einhaltung von Vorschriften betreffend Wahlkampagnen sowie die Wahlergeb-nisse haben muss.115

Gemäss dem EGMR stellt bei einem Ausschluss vom passiven Wahlrecht ein Rechtsbehelf, der bloss in die Zusprechung von Schadenersatz münden kann, kei-nen wirksamen Rechtsbehelf dar, wie er von Art. 3 ZP 1 EMRK in Verbindung

111 Etxeberria, Barrena Arza, Nafarroako Autodeterminazio Bilguenea und Aiarako u.a.

gegen Spanien, EGMR, Nrn. 35579/03, 35613/03, 35626/03, 35634/03, 30. Juni 2009, §§ 81 f.

112 Petkov gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, § 63. 113 Petkov gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, § 65. 114 Gahramanli gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 36503/11, 8. Oktober 2015, § 86. 115 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(d).

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mit Art. 13 EMRK gefordert ist. Der Gerichtshof weist zurecht darauf hin, dass ansonsten Wahlmanipulationen Tür und Tor geöffnet wären: «In cases where – as here – the authorities, through deliberate actions and omis-sions, prevent a parliamentary candidate from running, the breach of Article 3 of Protocol No. 1 cannot be remedied exclusively through such an award. If States were able to confine their response to such incidents to the mere payment of com-pensation, without putting in place effective procedures ensuring the proper un-folding of the democratic process, it would be possible in some cases for the au-thorities to arbitrarily deprive candidates of their electoral rights >…@ and even to rig elections.»116

2. Aufhebung der Wahl bzw. Neuauszählung Wo Unregelmässigkeiten das Resultat einer Wahl beeinflusst haben könnten, muss die Beschwerdeinstanz gemäss der Venedig-Kommission die Befugnis ha-ben, die Wahl – sei es als Ganzes, sei es beschränkt auf einzelne Wahlkreise bzw. Wahllokale – nachträglich aufzuheben; im Fall einer Aufhebung muss in den frag-lichen Wahlkreisen eine Neuwahl organisiert werden.117 Auch für den EGMR ergibt sich diese Befugnis aus dem Erfordernis einer wirksamen Beschwerde: Wenn eine Rechtsmittelinstanz eine Verletzung der Wahlvorschriften als so schwerwiegend erachte, dass sie den Wahlausgang beeinflusst haben könnte, müsse sie das Wahlresultat ganz oder teilweise aufheben können.118

Theoretisch könnte der EGMR selbst einen Vertragsstaat auffordern, eine Wahl zu wiederholen. Soweit ersichtlich, hat er dies allerdings noch nie gemacht.119 Vielmehr beschränkt er sich in aller Regel darauf, der verletzten Partei eine «ge-rechte Entschädigung» im Sinne von Art. 41 EMRK zuzusprechen, welche sich in einer Feststellung einer Konventionsverletzung erschöpft.120 Gestützt auf Art. 39 116 Petkov gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, § 79. 117 Venedig-Kommission, Code of Good Practice in Electoral Matters (Fn. 33),

Ziff. II.3.3(e). 118 Petkov gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, § 80. 119 Siehe BERGER/BOUCHIÉ DE BELLE (Fn. 37), S. 65; ESZTER BODNÁR, «The Level of Pro-

tection of the Right to Free Elections in the Practice of the European Court of Human Rights», in: Helen Hardman/Brice Dickson (Hrsg.), Electoral Rights in Europe: Ad-vances and Challenges, Abingdon 2017, S. 49 (60).

120 Siehe z.B. The Georgian Labour Party gegen Georgien, EGMR, Nr. 9103/04, 8. Juli 2008, § 155; Petkov gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, § 90.

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seiner Verfahrensordnung121 könnte der Gerichtshof sogar als vorläufige Mass-nahme die Suspension einer anstehenden Wahl (oder des Resultats einer bereits erfolgten Wahl) anordnen; auch dies scheint noch nie erfolgt zu sein.122

Die Aufhebung einer Wahl kommt nur bei schwerwiegenden Verletzungen der Wahlvorschriften in Frage.123 Vorausgesetzt wird, dass die Unregelmässigkeiten das Wahlresultat so stark verzerrt haben, dass die Feststellung des Wählerwillens unmöglich geworden ist.124 Wird eine Wahl trotz Fehlens dieser Voraussetzung aufgehoben, kann darin wiederum eine Verletzung von Art. 3 ZP 1 EMRK be-gründet liegen.125 Auch der UNO-Menschenrechtsausschuss betont, dass die Auf-hebung einer bereits erfolgten Wahl nicht in jedem Fall eine angemessene Form der Wiedergutmachung für Wahlunregelmässigkeiten darstellt – insbesondere dann nicht, wenn die Wahl schon längere Zeit zurückliegt. In einem solchen Fall kann sich der Ausschuss auf die Feststellung einer Verletzung von Art. 25 UNO-Pakt II beschränken.126 Eine wichtige Alternative zur Aufhebung einer Wahl be-steht in einem fairen Verfahren zur Neuauszählung der Stimmen. Wird ohne über-zeugende Begründung auf eine Neuauszählung verzichtet und direkt die Aufhe-bung der Wahl angeordnet, ist Art. 3 ZP 1 EMRK verletzt.127

121 Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 4. No-

vember 1998, SR 0.101.2. 122 MICHAEL O’BOYLE, «Electoral Disputes and the ECHR: An Overview», in: Venice

Commission (Hrsg.), Science and Technique of Democracy No. 46: The Cancellation of Election Results, Strasbourg 2010, S. 39 (53 f.).

123 Petkov gegen Bulgarien, EGMR, Nrn. 77568/01, 178/02, 505/02, 11. Juni 2009, § 80. 124 Kovach gegen die Ukraine, EGMR, Nr. 39424/02, 7. Februar 2008, §§ 60. 125 Kovach gegen die Ukraine, EGMR, Nr. 39424/02, 7. Februar 2008, §§ 60 f.; Riza ge-

gen Bulgarien, EGMR, Nrn. 48555/10, 48377/10, 13. Oktober 2015, §§ 176, 177, 179. 126 Matyus gegen die Slowakei, MRA, Nr. 923/2000, 22. Juli, 2002, § 11. 127 Kerimova gegen Aserbaidschan, EGMR, Nr. 20799/06, 30. September 2010, §§ 49,

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Völkerrechtliche Vorgaben für den Rechtsschutz in Wahlsachen

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V. Völkerrechtskonformität des schweizerischen Rechtsschutzsystems für Wahlsachen

Der aufmerksamen Leserin wird aufgefallen sein, dass die meisten der in diesem Beitrag zitierten Fälle osteuropäische Staaten betreffen. Das Rechtsschutzsystem für Wahlsachen in der Schweiz (und wohl auch in Österreich) ist weitgehend völ-kerrechtskonform. Das früher bestehende Problem, dass Streitigkeiten im Zusam-menhang mit der Wahl des Nationalrates in letzter Instanz zum Nationalrat selbst führten, wurde per 2007 behoben: Mit der damals in Kraft getretenen Justizreform wurde der Zugang zum Bundesgericht geöffnet.128 Aus völkerrechtlicher Sicht weiterhin problematisch ist, dass in gewissen Wahlsachen (einschliesslich bei Un-regelmässigkeiten von Nationalratswahlen) das Bundesgericht die einzige gericht-liche Instanz ist, dieses den Sachverhalt gemäss Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 1 BGG aber nicht frei überprüfen kann. Dies lässt sich kaum mit der – sich auch aus dem UNO-Pakt II ergebenden – völkerrechtlichen Vorgabe vereinbaren, dass Wahlbeschwerden einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen müssen (vgl. IV.A.2 vorne). Auch dieser Mangel hätte behoben werden sollen: Gemäss dem Entwurf zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes, der sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags in der parlamentarischen Beratung befand, könnte das Bundesgericht in Stimmrechtssachen den Sachverhalt frei überprüfen (vgl. Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 E-BGG).129 Jedoch scheint das Reformvorha-ben zum Scheitern verurteilt zu sein.130

Selbst wenn die schweizerische Gesetzgebung oder Praxis betreffend Wahlen von den völkerrechtlichen Vorgaben abweichen sollte, könnte dies nicht im Einzelfall festgestellt werden: Anders als in anderen – sicher nicht wichtigeren – Bereichen

128 Art. 88 Abs. 1 lit. b BGG (Bundesgesetz uber das Bundesgericht vom 17. Juni 2005,

SR 173.110) in Verbindung mit Art. 80 Abs. 1 und Art. 77 Abs. 1 lit. c BPR (Bundes-gesetz über die politischen Rechte vom 17. Dezember 1976, SR 161.1); siehe GEROLD STEINMANN/ADRIAN MATTLE, «Art. 82», in: Marcel Alexander Niggli/Peter Uebersax/ Hans Wiprächtiger/Lorenz Kneubühler (Hrsg.), Basler Kommentar Bundesgerichtsge-setz, 3. Aufl., Basel 2018, N 93.

129 Siehe Botschaft zur Änderung des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) vom 15. Juni 2018, BBl 2018, S. 4605 (4645 f.).

130 Siehe https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId= 20180051.

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Daniel Moeckli

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des Menschenrechtsschutzes erfolgt in Bezug auf Wahlen keine Kontrolle durch eine internationale gerichtliche Instanz. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Schweiz nicht durch das ZP 1 EMRK gebunden ist. Anders als Österreich hat sie auch nicht das Fakultativprotokoll zum UNO-Pakt II131 ratifiziert, das die Mög-lichkeit der Individualbeschwerde an den UNO-Menschenrechtsausschuss eröff-net.

Dieses Fehlen einer Beschwerdemöglichkeit auf der internationalen Ebene bei Streitigkeiten in Wahlsachen erweist sich zunächst einmal als nachteilig für die betroffenen Individuen. Es ist meines Erachtens aber auch aus einer gesellschaft-lichen Perspektive bedauernswert, und dies aus zwei Gründen. Erstens ist aus an-deren Grundrechtsbereichen bekannt, dass es hilfreich sein kann, wenn tief veran-kerte, kaum hinterfragte Regeln und Abläufe durch ein aussenstehendes Organ überprüft werden können.132 Zweitens wird in politisch heiklen Fragen wie Strei-tigkeiten betreffend Wahlen schnell politische Parteilichkeit vermutet. Die Gefahr, dass ein Anschein der Befangenheit entsteht, ist bei internationalen Gremien klei-ner als bei nationalen. Dies ist einer der zentralen Gründe für die Entsendung in-ternationaler Wahlbeobachtungsmissionen. Die durch die Distanz geschaffene grössere Akzeptanz spricht auch für die Möglichkeit der rechtlichen Kontrolle von Wahlen durch den UNO-Menschenrechtsausschuss und den EGMR. Ich bin über-zeugt, dass internationale Kontrolle letztlich den nationalen politischen Prozess stärkt.

131 Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte,

16. Dezember 1966, 999 UNTS 302. 132 Eine ganze Reihe von Beispielen findet sich in MAYA HERTIG RANDALL, «Auswirkun-

gen der EMRK auf andere Rechtsgebiete», in: Tobias Jaag/Christine Kaufmann (Hrsg.), 40 Jahre Beitritt der Schweiz zur EMRK, Zürich 2015, S. 115 ff.