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Fischer, Angelika Betreutes Wohnen in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke Menschen – eine systemische Betrachtung der Betreuung der Familienpflegeverhältnisse eingereicht als BACHELORARBEIT an der HOCHSCHULE MITTWEIDA UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCES Fakultät Soziale Arbeit Roßwein 2011 Erstprüfer: Dipl. Päd. Dominique Arnaud Zweitprüfer: Prof. Dr. phil. Stephan Beetz

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Fischer, Angelika

Betreutes Wohnen in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke

Menschen – eine systemische Betrachtung der Betreuung der

Familienpflegeverhältnisse

eingereicht als

BACHELORARBEIT

an der

HOCHSCHULE MITTWEIDA

UNIVERSITY OF APPLIED SCIENCES

Fakultät Soziale Arbeit

Roßwein 2011

Erstprüfer: Dipl. Päd. Dominique Arnaud

Zweitprüfer: Prof. Dr. phil. Stephan Beetz

Bibliographische Beschreibung:

Fischer, Angelika:

Betreutes Wohnen in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke Menschen – eine

systemische Betrachtung der Betreuung der Familienpflegeverhältnisse. 43 S.

Roßwein, Hochschule Mittweida/Roßwein (FH), Fakultät Soziale Arbeit,

Bachelorarbeit 2011

Referat:

Die Bachelorarbeit befasst sich mit einer systemischen Sicht auf die Betreuung der

Gastfamilien und GastbewohnerInnen durch das Fachteam des Betreuten Wohnens in

Gastfamilien. Dabei wird Bezug genommen auf Erfahrungen und Bedingungen im

Freistaat Sachsen.

Es werden dyadische und triadische Beziehungen unter systemtheoretischen Aspekten,

auf der Grundlage von Literaturrecherchen untersucht und anhand einzelner

Fallepisoden des Betreuten Wohnens in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke

Menschen praktisch analysiert.

Durch das Zugrundelegen und die Anwendung systemtheoretischer Ansätze sowie

Sichtweisen sollen multiperspektivische sozialarbeiterische Handlungsweisen eröffnet

und das professionelle Selbstverständnis erweitert werden.

Diese Arbeit soll gleichzeitig zur weiteren Etablierung des Projektes beitragen und

systemische Betrachtungs- und Arbeitsweisen in der psychiatrischen Familienpflege

anregen.

3

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis 4

Einleitung 5

1 Psychiatrische Familienpflege – Gestern und Heute 8

1.1 Begriffliche Bestimmung 8

1.2 Psychiatrische Familienpflege – Tradition-Vergessenheit-Renaissance 9

1.3 Betreutes Wohnen in Gastfamilien für erwachsene behinderte Menschen – 11

im Freistaat Sachsen

2 Systemtheoretische Betrachtungen 13

2.1 Systemtheorie und systemtheoretische Ansätze 13

2.2 Familie als soziales System 15

3 Die Akteure in der Psychiatrischen Familienpflege 20

3.1 Die Gastfamilien 20

3.2 Die GastbewohnerInnen 23

3.3 Das Familienpflegeteam 25

3.4 Der Kostenträger 27

4 Systemische Betrachtung der Betreuung der Familienpflegeverhältnisse 28

4.1 Die Dyaden im Betreuten Wohnen in Gastfamilien 28

4.2 Die Triaden im Betreuten Wohnen in Gastfamilien 35

4.3 Systemische Metaprinzipien und Grundannahmen – bezogen auf

Betreutes Wohnen in Gastfamilien 42

5 Fazit 46

Anlagen 48

Literaturverzeichnis 54

4

Abkürzungsverzeichnis

ABW Ambulant Betreutes Wohnen

BMAS Bundesministerium für Arbeit und Soziales

BWF Betreutes Wohnen in (Gast-)Familien

DGSP Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

KSV Sachsen Kommunaler Sozialverband Sachsen

MPD Medizinisch-Pädagogischer Dienst

SächsAGSGB Sächsisches Ausführungsgesetz Sozialgesetzbuch – SGB

SächsGVBl. Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt

SGB IX Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch

- Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -

SGB XII Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch

- Sozialhilfe -

SPFH Sozialpädagogische Familienhilfe

UN United Nations

5

Einleitung

Seit den 90er-Jahren gibt es in der Behindertenhilfe hinsichtlich der Wohn- und

Betreuungsformen eine verstärkte Entwicklung weg von den Großeinrichtungen und hin

zu kleinen, dezentralen Wohngruppen bzw. alternativen Wohn- und Lebensformen. Der

bekannte Sozialpsychiater Klaus Dörner bezeichnet diesen Prozess der Dezentralisie-

rung als „Deinstitutionalisierung“1. Dabei gehe es nicht darum die Menschen zu ändern,

sondern die Institutionen (vgl. Dörner in Koch 2009, S. 14 f.).

Doch nicht nur der gesellschaftliche Wertewandel, die Diskussionen um die Selbstbe-

stimmung behinderter Menschen (als die Möglichkeit über Aspekte des eigenen Lebens

selbst verfügen zu können), das Normalisierungsprinzip und der Wunsch vieler Betei-

ligter nach Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderung fördern

diese Veränderung.

Die seit Jahren kontinuierlich zunehmenden Fallzahlen und Ausgaben in der Eingliede-

rungshilfe für behinderte Menschen rücken den Prozess ebenso in den Mittelpunkt und

forcieren die Suche nach neuen Möglichkeiten zur Steuerung der Kostenentwicklung in

der Sozialhilfe. Von 1991 bis zum Jahr 2008 hat sich die Zahl der Empfänger von Ein-

gliederungshilfe für behinderte Menschen in Deutschland mehr als verdoppelt. Lag sie

1991 bei 324 000 Personen, so waren es 2008 713 000 Personen, was einer Steigerung

um 120% gegenüber 1991 entspricht (vgl. Statistisches Bundesamt 2010, S. 5) (s.

Anlage 1). Dies spiegelt sich auch in einer höheren Empfängerquote wider, die 2008 bei

rund 9 von 1 000 Einwohnern lag, während 1963 nur etwa 1 von 1 000 Einwohnern die

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen bezog (vgl. ebd.). Analog zur

Entwicklung der Empfängerzahlen gestalteten sich auch die Ausgaben für die

Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Seit Einführung der Sozialhilfe haben

sich die Bruttoausgaben für die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen mehr als

verdreifacht (+206%), d. h. sie sind von rund 46 Millionen Euro (1963) auf rund 12,5

Milliarden Euro 2008 gestiegen (vgl. ebd., S. 6). Damit stellt die Eingliederungshilfe für

behinderte Menschen mit einem Anteil von 57% an den gesamten Nettoaufwendungen

1 Der Prozess der Deinstitutionalisierung beinhaltet die Schaffung einer gemeindenahen, patientenorientierten

Versorgung, die Verkleinerung und Schließung großer psychiatrischer Krankenhäuser, die Ergänzung des

psychiatrischen Krankenhauses um eine Vielfalt außerstationärer Einrichtungen durch Angebote zusätzlich

flankierender Hilfen und die Einführung komplementärer ambulanter Behandlungsformen zur Vermeidung von

stationären psychiatrischen Behandlungen sowie Hilfestellungen, die vom sozialen Umfeld geboten werden können.

6

der Sozialhilfe die finanziell mit Abstand bedeutendste Hilfeart der Sozialhilfe nach

dem SGB XII dar (vgl. ebd., S. 12).

Vor allem der Bedarf an betreuten Wohnmöglichkeiten für behinderte Menschen steigt

ständig an. Im Zusammenhang mit dem Modell und Begriff der „Inklusion“2 wird die

Aufmerksamkeit auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Bedingungen zu einem

besseren Leben von Menschen mit Behinderungen in der Gemeinde gerichtet (vgl. Röh

2009, S. 72). Diese Veränderungsprozesse haben unter o. g. Gesichtspunkten auch im

Freistaat Sachsen zur Umsetzung neuer Handlungsvorschläge und zu neuen Leistungs-

angeboten geführt. Eines davon ist das „Betreute Wohnen in Gastfamilien“ (BWF) für

erwachsene Menschen mit Behinderung.

Beginnend von der Vorstellung des Projektes auf dem 6. Tag der Gemeindepsychiatrie

in Chemnitz am 14.06.2008 durch den Kommunalen Sozialverband (KSV) Sachsen und

einen freien Träger aus dem Landkreis Dahme-Spreewald, fortführend über die

Teilnahme am Fachtag "Betreutes Wohnen in Gastfamilien" beim KSV Sachsen am

25.11.2008 in Leipzig bis hin zu Schritten zur Vorbereitung, Start-, Anlauf- und

Realisierungsphase habe ich dieses Projekt begleitet, umgesetzt und bin auch weiterhin

am Auf- und Ausbau dieser Wohn- und Lebensform für behinderte Menschen beteiligt.

Aus meinen praktischen Erfahrungen heraus und in Verbindung mit theoretischem

Wissen möchte ich die Fragestellung untersuchen, inwieweit eine systemische

Betrachtungs- und Arbeitsweise in Bezug auf die Betreuung und Begleitung der

Gastfamilien und GastbewohnerInnen zu einem gelingenden Familienpflegeverhältnis

beitragen kann.

Die Zielstellung dieser Arbeit besteht darin, herauszuarbeiten

• wie durch eine systemische Sicht sozialarbeiterische Handlungsweisen eröffnet

werden können,

• welche Besonderheiten die psychiatrische Familienpflege in Bezug auf eine

systemische Betrachtung aufweist und

• welche systemischen Wechselverhältnisse innerhalb und außerhalb der

Beteiligten-Konstellationen bestehen.

2 Inklusion stellt eine Weiterentwicklung des Integrationsmodells dar und richtet die Aufmerksamkeit auf strukturelle

Veränderungen in der Gesellschaft für ein besseres Leben von Menschen mit Behinderungen in derselben. Die

behinderten Menschen sind als Bürger eines Gemeinwesens wahrzunehmen, mit all den für nicht behinderte Bürger

geltenden Rechten aber auch Pflichten Das umfasst ebenso die Einbeziehung in die Gesellschaft als vollwertiges

Mitglied und geht damit über den (Wieder-)Eingliederungsgedanken und damit die Integrationsbemühungen hinaus

(vgl. Röh, 2009, S. 72 f.).

7

Diese Arbeit soll in der neuen sächsischen Landschaft des BWF eine Orientierungs-

möglichkeit für Handlungen und Sichtweisen meiner eigenen Tätigkeit und der meines

Teams geben und einen Beitrag zum Diskurs in der bundesdeutschen BWF-Community

hinsichtlich systemischer Ansätze im Betreuten Wohnen in Gastfamilien leisten.

Der erste Gliederungspunkt beschäftigt sich mit Psychiatrischer Familienpflege im

Kontext der Einführung des BWF in Sachsen. Der zweite Teil der Arbeit beinhaltet

systemtheoretische Aspekte und Betrachtungen bei der Arbeit mit Familien und

Systemen. Im dritten Abschnitt werden die Akteure der Psychiatrischen Familienpflege

unter systemischer Sicht vorgestellt und der vierte Gliederungspunkt behandelt Dyaden,

Triaden sowie systemische Metaprinzipien und Grundannahmen im Betreuten Wohnen

in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke Menschen. Zum Schluss wird im

fünften Punkt ein Fazit hinsichtlich systemischer Betreuung im BWF gezogen und auf

Perspektiven hingewiesen.

An dieser Stelle soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Arbeit vor allem

Bezug nimmt auf das Betreute Wohnen in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke

Menschen. Da die Einrichtung, in der ich arbeite und welche auch dieses Projekt in

freier Trägerschaft etabliert, dem Gemeindepsychiatrischen Verbund angehört, dessen

Zielgruppe psychisch kranke Menschen sind, wird hier nur diese Gruppe einbezogen3.

Eine weitere Besonderheit dieser Arbeit liegt in der Neuartigkeit4 des Projektes in

Sachsen und damit dem Fehlen von längerfristigen Erfahrungen, zumal in

der Start- und Aufbauphase erst einmal eine immense Öffentlichkeitsarbeit zur

Bekanntmachung dieser Wohn- und Lebensform für behinderte Menschen geleistet

werden und eine Akquirierung von Gastfamilien und GastbewohnerInnen erfolgen

muss. Außerdem erfordert die Kontakt- und Anbahnungsphase bis hin zum

Zustandekommen eines Familienpflegeverhältnisses einen mehrmonatigen Zeitraum, so

dass in der Reflexion der Thematik auf kein quantitativ wissenschaftlich auswertbares

Spektrum zurück gegriffen werden kann.

3 Die von der Einrichtung in Verbindung mit dem Rahmenvertrag gemäß § 79 Abs.1 SGB XII für den Freistaat

Sachsen vom 29.06.2006 mit dem KSV Sachsen abgeschlossene Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII

erweitert den Personenkreis der chronisch psychisch kranken Menschen auf erwachsene Menschen mit einer

wesentlichen Behinderung i. S. von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX. 4 Der Begriff „Neuartigkeit“ ist historisch betrachtet relativ zu sehen. Im Punkt 1 dieser Arbeit werden dazu nähere

Ausführungen vorgenommen.

8

1 Psychiatrische Familienpflege – Gestern und Heute

1.1 Begriffliche Bestimmung

Die frühere Bezeichnung „Psychiatrische Familienpflege“ wird heute weitgehend

ersetzt durch den Begriff „Betreutes Wohnen in Familien“ – BWF – mit dem Suffix

„Psychiatrische Familienpflege“5. Diese bundeseinheitliche Bezeichnung gab der

DGSP-Fachausschuss 2005 als Empfehlung heraus. Mittlerweile hat sich aber auch die

etwas flüssigere Bezeichnung „Betreutes Wohnen in Familien für Menschen mit

seelischer oder geistiger Behinderung“ durchgesetzt (vgl. BWF-Info, Geschichte).

In Sachsen wird vorwiegend der Begriff „Betreutes Wohnen in Gastfamilien“ mit der

entsprechenden Bezeichnung der GastbewohnerInnen-Gruppe (…für psychisch kranke

Menschen; …für geistig behinderte Menschen) geführt. In dieser Arbeit werden sowohl

der Begriff „Psychiatrische Familienpflege“ als auch der Begriff „Betreutes Wohnen in

(Gast-)Familien“ als Synonym verwendet.

Unter dem Betreuten Wohnen in Gastfamilien versteht man das Zusammenleben eines

behinderten Menschen mit einer Fremd- oder auch genannt Gastfamilie. Der seelisch

oder geistig behinderte Mensch wird in die Gastfamilie integriert und von ihr

ganzheitlich betreut. Die Familie erhält dafür ein Betreuungsentgelt und die anteiligen

Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Durch die Gastfamilie wird dem/der

GastbewohnerIn seinem/ihrem individuellen Bedarf entsprechend Hilfe bei der

Basisversorgung, der alltäglichen Lebensführung, der Gestaltung persönlicher

Beziehungen, der Freizeitgestaltung, der Tagesstrukturierung, der Kommunikation und

der Bewältigung von Problemen gewährt. Dabei werden die Hilfen im Rahmen des

natürlichen Tagesablaufs der Gastfamilie erbracht.

Somit vereint die Familienpflege zwei soziale Grundprinzipien:

Die Gemeindeintegration6, gegeben durch die Aufnahme in den Sozialraum der

Gastfamilie und die personenzentrierte Betreuung entsprechend dem individuellen

5 Hat der/die GastbewohnerIn primär eine geistige Behinderung, wird der Suffix „Familienpflege für Menschen mit

geistiger Behinderung“ geführt. 6 Unter Gemeindeintegration wird das Leben und Wohnen von Menschen mit Behinderung in der Gemeinde

verstanden, ihr Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Erholungseinrichtungen, zum Wohnungsmarkt, Verkehrswesen

etc., so wie ihn auch nichtbehinderte Menschen haben sowie die Teilhabe am Leben des Gemeinwesens (s. dazu auch

Artikel 19 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Anlage 5).

9

Hilfebedarf des/der GastbewohnerIn, ebenfalls gegeben durch die Gastfamilie (vgl.

BWF-Info, Was ist BWF?).

Auf diese Weise können auch stärker behinderte Menschen, die gern in einer Familie

leben möchten, aber auf Grund ihrer Behinderung keine Lebensgemeinschaft begründen

können, außerhalb eines Wohnheimes und in familiären Verhältnissen leben, die

Normalität, Alltag, soziale Kontakte und Integration bieten.

Die zeitliche Dimension des Zusammenlebens kann sowohl unbegrenzt als auch

begrenzt für die Zeit der Rehabilitation sein, bis ein Leben in einer selbständigeren

Form mit weniger Unterstützung möglich ist.

Eine Besonderheit der Psychiatrischen Familienpflege besteht darin, dass

GastbewohnerIn und Gastfamilie von einem multiprofessionellen Fachteam, dem BWF-

Team, von Anfang an begleitet, beraten und unterstützt werden. Dem Team obliegen

u. a. die Gewinnung, Auswahl und Prüfung der Gastfamilien und Betroffenen, die

fachgerechte Zuordnung zueinander, die Begleitung der Kontaktanbahnung,

Vermittlung und die kontinuierliche supervisorische Begleitung während des

Zusammenlebens sowie die Krisenintervention.

1.2 Psychiatrische Familienpflege – Tradition-Vergessenheit-Renaissance

Die Psychiatrische Familienpflege ist keine Erfindung unserer heutigen Zeit, sondern

ihre Wurzeln gehen weit zurück in das Mittelalter. Das Betreute Wohnen in Familien ist

eine der ältesten Formen der Versorgung seelisch und geistig behinderter Menschen in

Europa.

Das belgische Städtchen Gheel spielt dabei eine besondere Rolle. Einer Legende aus

dem 6. Jahrhundert folgend, pilgerten „Wallfahrer mit ihren von Dämonen besessenen

Angehörigen“ (Kisch in Konrad/Schmidt-Michel 1993, S. 29) nach Gheel und erhofften

Heilung für die Kranken. Seit 1250 urkundlich belegt, wurden die Insassen der

gegründeten Heil- und Pflegeanstalt vorwiegend in Familien betreut.

In Deutschland wurde im 19. Jahrhundert die Psychiatrische Familienpflege als

kostensparende Ergänzung zu der asylierenden Versorgung in psychiatrischen Anstalten

eingeführt. Vor allem bäuerliche Familien nahmen psychisch Kranke auf, die billige

Arbeitskräfte darstellten. Entsprechend einer späteren Erhebung gab es 1934 über

5 000 Patienten in Familienpflege (vgl. Konrad/Schmidt-Michel 1993, S. 59).

10

In der Zeit des Nationalsozialismus fand eine sukzessive Auflösung der Familienpflege

statt. Die damals dort lebenden Patienten wurden auf Grund der Sterilisationsgesetze

und „Spargesetze“ der Nazis teilweise in die Anstalten zurück geführt. Durch die enge

Anbindung der Familienpflege an die Anstalten fielen fast alle ehemaligen Patienten der

Familienpflege entweder der Mordaktion „T 4“ zum Opfer oder wurden auf Grund ihrer

Arbeitskraft in die entvölkerten Anstalten zurück genommen, wo sie nach dem Krieg

noch dort lebten (vgl. ebd., S. 74 ff.).

Nach dem II. Weltkrieg geriet die Psychiatrische Familienpflege in Deutschland fast

völlig in Vergessenheit. Erst Mitte der 80er Jahre erlebte sie wieder eine Renaissance

durch die Modellversuche der Rheinischen Landesklinik Bonn (Rheinland) und durch

einen freien Träger in Ravensburg zusammen mit dem psychiatrischen Landeskranken-

haus Weißenau (Württemberg). Das entscheidend Neue gegenüber der früheren

Familienpflege besteht seitdem darin, dass eine fortlaufende und intensive Betreuung

der Familienpflegeverhältnisse durch Familienpflegeteams stattfindet. Die Einführung

weiterer Modellprojekte in diesen und anderen Regionen Deutschlands folgte mit z. T.

unterschiedlichen Finanzierungsformen. Seit 1997 sind die Teams der Familienpflege

im „Fachausschuss Familienpflege“ der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie

e. V. (DGSP) bundesweit organisiert. Einmal jährlich treffen sie sich zu überregionalen

Fachtagungen mit internationalem Charakter.

In den neuen Bundesländern wurde die Psychiatrische Familienpflege erstmals 1999 mit

einem Modellprojekt im Landkreis Dahme-Spreewald (Brandenburg) und 2003 in Jena

(Thüringen) eingeführt. 2006 begann auch Sachsen mit der Umsetzung des Projektes

und mit der Etablierung des Betreuten Wohnens in Gastfamilien für behinderte

Menschen. – Psychiatrische Familienpflege wird nicht nur im deutsch-sprachigen Raum

praktiziert, sondern auch in Italien, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, USA

und in Belgien, wobei es in den Ländern jeweils Besonderheiten gibt. Auch wenn die

Psychiatrische Familienpflege eine lange Tradition hinter sich hat, musste und muss sie

sich durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder an die veränderten

gesellschaftlichen Bedingungen anpassen, Widerstände überwinden, den veränderten

Blick auf den psychisch kranken Menschen mit wahrgenommener eigener Identität

aufnehmen und sich mit den jeweils neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und

Theorien auseinandersetzen. Ihre weitere Etablierung und Entwicklung in neuer,

zeitgemäßer Form ist die Aufgabe und das Ziel aller Beteiligten.

11

1.3 Betreutes Wohnen in Gastfamilien für erwachsene behinderte Menschen –

im Freistaat Sachsen

Im Jahre 2006 beschreitet der Kommunale Sozialverband Sachsen als überörtlicher

Träger der Sozialhilfe im Freistaat und Körperschaft des öffentlichen Rechts mit der

Umsetzung des „Betreuten Wohnens in Gastfamilien für erwachsene behinderte

Menschen“ neue Wege in Sachsen. Damit schafft er ein weiteres Angebot an Wohn-

und Lebensformen für behinderte Menschen, eine Alternative zum Wohnen in

vollstationären Einrichtungen und ein niederschwelliges Angebot, um eine

bedarfsgerechte Versorgung der Leistungsberechtigten zu gewähren.

Rechtsgrundlagen sind die §§ 27 ff., 41 ff. sowie 53 ff. SGB XII.

Außerdem entspricht er damit dem gesetzlichen Auftrag „ambulant vor stationär“ nach

§ 13 Abs. 1 S. 3 SGB XII.

In welchem Kontext steht die Schaffung dieses Angebotes?

Die Überlegungen zur Einführung der so genannten „Familienpflege“ geschahen im

Rahmen der Weiterentwicklung der Hilfen für behinderte Menschen im Freistaat

Sachsen. Einfluss darauf hatten die Erfahrungen anderer Bundesländer, die diese Hilfe

bereits seit vielen Jahren anbieten. Entsprechend des Leitbildgedankens des KSV

Sachsen, der die Interessen der behinderten Menschen in den Mittelpunkt stellt, sollen

die Leistungsberechtigten ihrem individuellen Bedarf (Individualisierungsprinzip)

gemäß eine angemessene Hilfe erhalten. Die individuelle Hilfegewährung gehört dabei

neben dem Nachrang der Sozialhilfe, der Bedarfsdeckung sowie der Hilfe zur

Selbsthilfe zu den speziellen Strukturelementen der Sozialhilfe (vgl. KSV Sachsen

2010, S. 4).

Ein weiterer bedeutender Aspekt der Einführung des Betreuten Wohnens in

Gastfamilien findet sich in der Steuerung der Kostenentwicklung in der überörtlichen

Sozialhilfe im Freistaat Sachsen. Der durch die jährlichen Fallzahlsteigerungen

zu erwartende Kostenanstieg kann durch das BWF gedämpft werden, denn mit diesem

Baustein in der Angebotspalette der ambulant betreuten Wohnformen kann der

Schaffung neuer Heimplätze vorgebeugt und die Anzahl der Neuaufnahmen in

vollstationäre Einrichtungen verringert werden. Das Ziel, erwachsene Menschen mit

einer wesentlichen Behinderung und gleichzeitiger Heimbetreuungsbedürftigkeit in

Familien einzugliedern und damit eine sonst erforderliche Heimunterbringung zu

vermeiden, hat aus fiskalischer Sicht ein entsprechendes Konsolidierungspotenzial.

12

Die Kosten, die durch das BWF entstehen, liegen deutlich unter den Kosten einer

vollstationären Unterbringung. Das BWF stellt somit kein zusätzlich erhobenes

Angebot in dem Sinne dar, dass erwachsene behinderte Menschen bei eigenem Wunsch

in einer Familie leben zu wollen, dieses frei wählen können (mit Ausnahme von

Selbstzahlern), sondern steht unter der Voraussetzung der Vermeidung von

Heimunterbringung. Diese Spezifik charakterisiert das Betreute Wohnen in

Gastfamilien im Freistaat Sachsen.

Nach der Statistik der Sozialhilfe (vgl. Statistisches Bundesamt 2010, S. 14)

(s. Anlage 2) lagen die durchschnittlichen Nettoausgaben7 pro Empfänger der

Eingliederungshilfe in Einrichtungen erwartungsgemäß deutlich über denen außerhalb

von Einrichtungen. In allen Bundesländern (mit Ausnahme von Hamburg) überwogen

die Hilfen in stationären Einrichtungen. Interessant ist der Fakt, dass 2008 die

Nettoausgaben der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen im Bundesdurchschnitt

bei 136 € je Einwohner lagen. Dabei wurden in Bremen die weitaus höchsten

Nettoausgaben für die Eingliederungshilfe je Einwohner getätigt (210 €), gefolgt von

Schleswig-Holstein (168 €), während Sachsen die niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben

(80 €) hatte (vgl. ebd., S. 17) (s. Anlagen 3 und 4).

Nachdem in den ersten zwei Jahren der KSV Sachsen das Projekt ohne die

Unterstützung eines Trägers durchführte (die Betreuung erfolgte durch MitarbeiterInnen

des Medizinisch-Pädagogischen Dienstes – MPD – des KSV Sachsen), konnte die

hiesige Verwaltung mit der Zunahme der Anzahl der Betreuungen diese zusätzliche

Aufgabe nicht mehr selbst abdecken. So wurden Träger zur fachlichen Begleitung der

Familien eingeschaltet (vgl. KSV Sachsen 2009, S. 15). In Sachsen wird das BWF, wie

auch in anderen Bundesländern, von einem breiten Spektrum unterschiedlichster Träger

angeboten, darunter freie Träger der Wohlfahrt, gemeinnützige Vereine, gemeinnützige

Gesellschaften, allerdings nicht von psychiatrischen Kliniken.

Derzeit8 hat der KSV Sachsen mit 7 sächsischen Trägern eine Vereinbarung nach § 75

Abs. 3 SGB XII abgeschlossen.

7 Nettoausgaben = Bruttoausgaben abzüglich der Einnahmen (insbesondere Erstattungen von anderen

Sozialleistungsträgern). 8 Stand Dezember 2010

13

2 Systemtheoretische Betrachtungen

2.1 Systemtheorie und systemtheoretische Ansätze

Die soziale Arbeit mit Familien wird bereits von frühen Sozialarbeitstheoretikerinnen

wie z. B. Alice Salomon dahingehend beschrieben, dass das Verhalten des Einzelnen

nur im Zusammenhang mit seiner Familie gesehen und beeinflusst werden kann.

Frühzeitig wird erkannt, dass die Bemühungen um den Einzelnen in der Sozialen Arbeit

stets seine ganze Familie beeinflussen und die einzelnen Glieder der Familie wiederum

einen Rückbezug auf das Verhalten des anderen haben, dass das Verhalten einer Person

letztendlich im Kontext ihrer familiären Beziehungen zu sehen ist (vgl. Salomon 1998,

S. 140 in Kleve 2007, S. 116).

Durch den Einzug des systemtheoretischen Denkens in die Familienarbeit wird die

Aufmerksamkeit nicht mehr primär auf das auffällige Familienmitglied gelenkt, also

nicht vordergründig auf Symptome gerichtet, sondern bezieht sich auf die ganze Familie

als Kommunikations- und Beziehungssystem (vgl. Erler 2003, S. 14).

Die Rezeption systemtheoretischer Ansätze in die Soziale Arbeit ermöglicht eine

multiperspektivische Beschreibung und Erklärung sozialer Wirklichkeiten, eine

Erweiterung an verstehenden und erklärenden Perspektiven der Familienarbeit sowie an

Handlungsorientierungen unter dem zentralen Aspekt der Ganzheitlichkeit (vgl.

Ritscher 2007, S. 9).

Mit dem systemtheoretischen Fokus darauf, wie ein System als Ganzes funktioniert,

wird nicht mehr auf Problemkonstellationen mit Monokausalitäten geantwortet. Die

damit verknüpften Wenn-Dann-Aussagen haben keine Gültigkeit mehr, denn Aussagen

werden nun grundlegend relativiert. Im traditionellen Begriffsverständnis eines Systems

kommt es darauf an zu erkunden, wie das „Ganze“ funktioniert, wie die einzelnen Teile

dem „Ganzen“ zuzuordnen und wie die Beziehungen untereinander gestaltet sind. Im

Mittelpunkt stehen vor allem das Zusammenwirken der Teile und ihre wechselseitigen

Abhängigkeiten – Interdependenzen (vgl. Erler 2003, S. 15).

Ein System wird immer erst dann als System erkennbar, wenn es von einer Umwelt

unterschieden werden kann. Es besteht also ein Unterschied zwischen Elementen, die

innen im System sind und denen, die außen der Umwelt zugeordnet werden (vgl.

14

Schlippe/Schweitzer 1999, S. 54 f.). Dabei entwickeln Systeme aus der Differenz

zwischen sich selbst und ihrer Umwelt Eigenschaften und Eigendynamiken. Bei

lebenden Systemen werden diese aktiv aufrechterhalten (z. B. durch ein bestimmtes

Verhalten), wobei sich die Eigendynamik einer genauen Analyse und Beeinflussung

von außen entzieht. Solcherart Systeme werden auch als nichttriviale Systeme

bezeichnet, die für einen Beobachter potenziell nicht vollständig durchschaubar und von

ihm nicht steuerbar sind (vgl. ebd., S. 55). Lebende Systeme verfügen offensichtlich

über ein unendlich großes Spektrum von Möglichkeiten, haben eine potenziell

grenzenlose Komplexität, die sie über das Entwickeln von Ordnungen reduzieren und

einschränken (vgl. ebd., S. 56 f.). Ab einem bestimmten Komplexitätsgrad ist ein

System bestrebt, Subsysteme auszubilden, um eine stabile Struktur zu halten. Nach

außen hin kann ein System immer in ein übergreifendes System eingeordnet werden,

dessen Eigenschaften aus dem Wechselverhältnis seiner Subsysteme hervorgehen (vgl.

Erler 2003, S. 15).

Systeme grenzen sich durch ihre Eigenschaften von der Umwelt ab. Sie sind

autopoietisch und selbstreferentiell und in diesem Sinne als geschlossene Systeme zu

betrachten.

Autopoiese bedeutet so viel wie „Selbsterzeugung“, „Selbstreproduktion“. Mit diesem

Konzept, das Luhmann von den Kognitionsbiologen Maturana und Varela übernommen

hat und welches weit über die Eigenschaft der Selbstreferentialität hinausgeht, wird

erklärt, dass Systeme sich nicht nur auf sich selbst beziehen, sondern sich über

systemspezifische Operationen selbst reproduzieren. Beispielsweise schließen bei

lebenden Systemen biologische Prozesse an biologische Prozesse an, d. h. gleichartige

Operationen schließen an gleichartige Operationen an (operationale Geschlossenheit).

Analog dazu ist die systemreproduzierende Operation bei psychischen Systemen das

Bewusstsein und bei sozialen Systemen die Kommunikation.

Systeme entstehen durch Abgrenzung. Dabei wird die Kategorie „Grenze“ als

Beschreibung genutzt, wie sich die Beziehung (strukturelle Kopplung) z. B. zwischen

Mensch und Umwelt in sozialen Systemen gestaltet. Diese Abgrenzung ermöglicht

Identitätsbildung und reguliert die kommunikative Abschottung oder

Anschlussbereitschaft des Systems. In sozialen Systemen entstehen Grenzen durch

Vereinbarungen, die darüber getroffen werden, was und wer zum System dazugehören

15

und nicht dazugehören soll. Der Kern der Identität eines sozialen Systems, seine

Sinngebung konstituiert sich also auch über die Mitgliedschaft.

Im Zusammenhang mit der Beschreibung von Familien unterscheidet man starre, klare

und diffuse Grenzen, je nachdem wie sich die Subsysteme in der Familie voneinander

abgrenzen und sich die Familie nach außen abgrenzt. In systemischer Therapie und

Beratung spielt Offenlegung, Definieren und Infrage stellen bisheriger Grenzziehungen

oft eine wichtige Rolle (vgl. Schlippe/Schweitzer 1999, S. 59 f.).

2.2 Familie als soziales System

In der systemtheoretischen Familienforschung wird Familie als ein soziales System

betrachtet, das in das übergreifende System der Gesellschaft eingebettet ist. Der

systemtheoretische Blick richtet sich dabei zum einen auf das Verhältnis des Systems

Familie zu seiner Umwelt und zum anderen auf die innere Komplexität der familiären

Subsysteme.

Systemtheoretisches Denken bezieht sich auf die ganze Familie, auf ihre Beziehungen

und damit auf die Art und Weise, wie kommuniziert wird, denn die Reproduktion von

Mustern, die Zugehörigkeit und Entwicklung, aber auch Irritationen und Störungen

ermöglichen können, erfolgt über Kommunikation (vgl. Miller, 2001, S. 83 in Erler

2003, S. 16). Damit geht es um das Erkennen und Verstehen von Mustern der

Kommunikation und nicht zuallererst um Personen und deren Symptome (vgl. Erler

2003, S. 16).

Nach der soziologischen Systemtheorie (Parsons 1972; Luhmann 1988a; 1991) wird die

Familie als ein auf sich zentriertes soziales System betrachtet, welches relativ autonom

in der Gestaltung seiner selbst ist. Dabei wird unter relativer Autonomie das „Handeln

nach eigenen Gesetzen“ trotz Abhängigkeiten verstanden. Wie sich eine Familie im

familialen Binnenverhältnis organisiert, geschieht nach eigenen, auf sich selbst

bezogenen Gesichtspunkten, wobei sie prinzipiell keine Rücksicht auf sinn- und

systemfremde Faktoren nehmen muss. Sie entscheidet selbst, welche Umweltaspekte für

ihre allgemeine Lebensorganisation von Bedeutung sind. (vgl. ebd., S. 17).

Die Familie als Beziehungs- und Kommunikationssystem zu sehen, bedeutet zu

verstehen, dass sie im „Sozialen“ bzw. in Kommunikation verankert ist.

16

Jedes Familienmitglied steht im kommunikativen Zusammenhang mit den anderen

Familienmitgliedern und seiner Umwelt. Für die Soziale Arbeit ist die Balance zur

Umwelt sowie die Balance zwischen dem Familiensystem und seinen Subsystemen in

ihrer Auswirkung auf die familiale Kohäsion und die kommunikativen Regeln, die

einzelne Familienmitglieder oder das ganze System in eine Problemlage bringen,

bedeutsam. Nur Beobachtungen auf dieser Grundlage können zu sinnvollen

Möglichkeiten von Intervention im Sinne einer Veränderung führen, denn

Auffälligkeiten und Symptome haben einen Sinn innerhalb des jeweiligen familialen

Systems (vgl. Erler 2003, S. 18).

Mit der Systemtheorie ist die Betrachtung der Familie aus drei zentralen theoretischen

Blickrichtungen möglich: in phänomenaler, kausaler und aktionaler Hinsicht. D. h.,

1. dass mit der Systemtheorie Begriffe zur Verfügung stehen, die das Phänomen

Familie beschreiben (Konstruktion von Realität).

2. dass mit den Begriffen Kausalvorstellungen konstruierbar und erklärbar sind und

mit ihnen familiäre Prozesse verstanden werden können (konstruierte

Kausalitäten). Dabei rücken Prozesse des Beschreibens und Erklärens das

Handeln und seine Folgen in den Blick.

3. dass systemtheoretische Beschreibungen bestimmte Handlungsofferten eher

nahe legen und andere eher ausschließen. Betrachtungen auf dieser aktionalen

Ebene erfordern zunächst die Benennung von Begriffen (phänomenale Ebene)

und die Untersuchung hinsichtlich ihrer Erklärungskraft (kausale Ebene) (vgl.

Kleve 2007, S. 118).

Ausgehend von den systemtheoretischen Begriffen „Autopoiesis“, „Funktionssystem“

und „systemische Wechselverhältnisse“ kann die Beschreibung, Erklärung und

Untersuchung von Handlungsoptionen in der sozialen Arbeit mit Familien erfolgen.

AUTOPOIESIS ist ein systemtheoretischer Zentralbegriff, der die Ausdifferenzierung,

Selbsterhaltung und Dynamik von biologischen, psychischen und sozialen Systemen

beschreibt. Das Wort Autopoiese kommt aus dem Griechischen und heißt übersetzt

„Selbst-Erzeugung“. Lebende Systeme erzeugen, erhalten und regulieren sich selbst. Sie

können nicht fremddeterminiert werden, d. h. jemand kann nicht einseitig darüber

verfügen bzw. bestimmen, was der andere zu tun, zu denken oder zu fühlen hat (vgl.

Schlippe/Schweitzer 1999, S. 69).

17

Luhmann unterscheidet drei Klassen autopoietischer Systeme, die zwar unabhängig

voneinander operieren, sich jedoch gegenseitig voraussetzen und vielfältig miteinander

verknüpft sind: Biologische, psychische und soziale Systeme (vgl. Luhmann 1988a, in

Schlippe/Schweitzer 1999, S. 71). Sie differieren in ihren Operationen zur Umwelt. Die

Grenzziehung geschieht z. B. bei biologischen Systemen durch körperlich-organische

Prozesse, bei psychischen Systemen durch mentale, kognitive Prozesse wie dem

Denken und bei sozialen Systemen durch Kommunikation. Dabei sind diese

Operationen jeweils in die Umwelt anderer Systeme eingebettet, wodurch die

notwendige Komplexität geschaffen wird, die es Systemen ermöglicht, auf

unterschiedlichen Ebenen zu emergieren, sich auszudifferenzieren. Diese Einbettung ist

weiterhin Voraussetzung, dass eine permanente Produktion eines Irritationspotenzials

stattfindet, das wiederum Systeme zu einer selbst bestimmten Strukturbildung und

Strukturentwicklung anregt (vgl. Kleve 2007, S. 118 f.).

Individualität entsteht erst in der Differenz zum „Du“ und Sozialität erst durch

Kommunikation, die zwischen Individuen erfolgt. Denn im Kontext des gegenseitigen

Sichwahrnehmens kann man bekanntlich nicht nicht kommunizieren (vgl. Watzlawick

et al. 1969 in Kleve 2007, S. 119). Psychische Individualität ist ohne Sozialität nicht

möglich. Das eine bedingt das andere und zwischen den Systemen bestehen

wechselseitige Abhängigkeiten.

Für die Familie heißt das, dass sie als soziales Kommunikationssystem beschreibbar ist,

welches sich durch die psychischen und biologischen Operationen seiner Mitglieder

ausdifferenziert und abgrenzt. Dabei gehören die psychischen und biologischen

Prozesse nicht zum Teil des sozialen Systems der Familie, sondern stellen notwendige

Umweltbedingungen für die familiäre Systembildung dar. Man spricht hier von der

strukturellen Kopplung. Die familiäre Systembildung geschieht durch Kommunikation.

Das führt zu einer eigenen Strukturbildung durch das Entstehen von Mustern,

Verhaltensregeln, Erwartungen hinsichtlich der Erwartungen der anderen und durch

Rollendifferenzierungen und –zuschreibungen (vgl. Kleve 2007, S. 119 f.).

Welches Verständnis ergibt sich aus diesen theoretischen Erkenntnissen bezogen auf

Familien? Wird Familie als autopoietisches System verstanden, wird klar, dass es nicht

von außen instruierbar (determinierbar) ist. Das erklärt, warum Veränderungs-

bemühungen von außen – noch dazu wenn sie auf konzeptionellen Vorgaben basieren –

so wenig Erfolg haben. Wie die Familie innerhalb ihrer strukturellen Möglichkeiten auf

Veränderungen ihrer körperlichen und psychischen Umwelt kommunikativ reagiert, ist

18

nicht vorhersagbar. Diese Kommunikation kann bestenfalls angeregt, aber nicht

bestimmt werden. Mögliche Veränderungen in der Kommunikation lassen wiederum

unterschiedliche Beobachtungsebenen zu, werden von den Beobachtern unterschiedlich

fokussiert und interpretiert. Diese Beobachtungen sind also abhängig von den

jeweiligen Beobachterpositionen und -konstruktionen.

Aus diesen systemischen Betrachtungsweisen heraus, ergeben sich entsprechende

sozialarbeiterische Handlungsofferten, um konstruktiv mit Familien interagieren zu

können.

FUNKTIONSSYSTEM ist ein systemtheoretischer Begriff, mit dem die Funktion der

Familie in der Gesellschaft beschrieben werden kann. Familie erfüllt eine Funktion, die

in keinem anderen Teilsystem erfüllt werden kann. Sie vollzieht als Einzige die

Funktion der Komplettinklusion von Personen in die Kommunikation (vgl. Fuchs 1999

in Kleve 2007, S. 121). In den Funktionssystemen Wirtschaft, Politik, Recht, Bildung,

Wissenschaft etc. wird immer nur teilweise inkludiert. Diese gesellschaftlichen

Funktionssysteme beziehen sich stets nur auf den Ausschnitt von Personen, welcher

ihren Relevanzen entspricht, alles andere der Personen ist exkludiert. Ganz anders im

Funktionssystem Familie: Dort ist generell nichts aus der Kommunikation

ausgeschlossen. Die Menschen sind hier mit allen ihren sozialen Bezügen relevant (vgl.

Kleve 2007, S. 121 f.). In den Familien wird alles kommunizierbar, eingeschlossen ihre

Präsenz in den unterschiedlichen Funktionssystemen der Gesellschaft. Es gibt nichts,

was nicht kommuniziert werden könnte. Alles, was die Menschen tangiert, kann in die

familiäre Kommunikation eingebracht werden.

Mit dem Begriff Funktionssystem Familie können Kausalvorstellungen erklärt und

familiäre Prozesse verstanden werden. Z. B. ist mit dieser Funktion der

Komplettinklusion die hohe Bindungskraft in Familien erklärbar. Diese starken und

lebenslänglichen Bindungen in der Familie erklären ihre sozialisatorische Kraft und

ihren hohen Grad der strukturellen Kopplung. Das findet sich derartig in keinem

anderen System unserer modernen Gesellschaft.

Nach dem familiensystemischen Modell der „unsichtbaren Bindungen“ (Boszormenyi-

Nagy/Spark, 1973) sind wir über Generationen hinweg mit unseren Familien verwoben.

Auch wenn sich eine Person der jüngeren Generation gegen ihre Eltern auflehnt, wird

mit ihren Abgrenzungs- und Loslösungstendenzen die gefühlsmäßige Verbindung zu

den Eltern bekräftigt (vgl. Kleve 2007, S. 122).

19

Aus dieser Beschreibung und Erklärung der Familie als besonderes Sozialsystem lassen

sich spezifische Handlungsoptionen generieren, die auch sozialarbeiterische

Handlungsofferten in der Arbeit mit Gastfamilien und GastbewohnerInnen betreffen.

Systemische Wechselverhältnisse ist ein Begriffspaar aus der Systemtheorie, welches

beschreibt, in welcher Art und Weise die Familie als soziales System mit der sozialen

Umwelt im Austausch steht. Familien existieren nicht losgelöst von ihrer Umwelt, nicht

losgelöst von anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen. Die Familienmitglieder

haben dort bestimmte Rollen inne und sind mit einem jeweils gewissen Teil ihrer

Person in die Systeme integriert. Diese Systeme wiederum stellen mit ihren modernen

Anforderungen (z. B. Flexibilität und Mobilität) Familien oftmals vor hohe Belastungs-

oder Zerreißproben. Aus den gegensätzlichen Erwartungsstrukturen wie Mobilität vs.

räumliche Gebundenheit, Flexibilität vs. Stabilität, freie Individualität vs. gebundene

Sozialität, Ungebundenheit vs. Präsenz entstehen viele der heutigen familiären

Problemlagen. Doch mit dem Begriff „systemische Wechselverhältnisse“ können nicht

nur o. g. Phänomene beschrieben sondern auch auf dieser Grundlage erklärt werden.

Die gesellschaftliche Umwelt hat Auswirkungen auf die Sozialstruktur der Familie. Sie

bringt einen enormen Wandlungsprozess mit sich, der sich in einer Pluralisierung der

Lebensformen äußert und trägt eher zur Brüchigkeit als zur Stützung moderner Familien

bei. Daraus ergeben sich entsprechende Schlussfolgerungen für die Soziale Arbeit mit

Familien, denn auch diese kann dazu führen, durch ihre Inklusionsangebote die

familiäre Situation weiter zu schwächen. Problematische Wechselwirkungen ergeben

sich vor allem dann, wenn Hilfen angeboten werden, die an der Autopoiesis und der

besonderen Funktion der Familien vorbei gehen. Die Erklärung problematischer

Wechselwirkungen zwischen der Sozialen Arbeit und Familien führt somit eine Selbst-

und keine Fremd- oder Kontextattribution9 ins Feld (vgl. Kleve 2007, S. 124).

Mit diesem Blickfeld wird nicht Familien die Ursache der Schwierigkeiten beim

Empfang von Hilfen zugeschrieben. Wo aber Veränderungen ansetzen können, das sind

die eigenen Haltungen, die Interaktions- und Rollenangebote der in der Sozialen Arbeit

Tätigen. Damit wird bereits auf die aktionale Ebene verwiesen.

9 Der Begriff Attribution bezeichnet sowohl die Zuschreibung von Ursache und Wirkung von Handlungen und

Vorgängen, als auch die daraus resultierenden Konsequenzen für das Erleben und Verhalten von Menschen. Hier

handelt es sich um eine Kausalattribution, die den Vorgang der Ursachenzuschreibung des eigenen oder fremden

Verhaltens beschreibt.

20

3. Die Akteure in der Psychiatrischen Familienpflege

3.1 Die Gastfamilien

In der Psychiatrischen Familienpflege sind unter Gastfamilien in der Regel

Fremdfamilien10

zu verstehen, die sich gegenüber einem Anbieter bzw.

Leistungserbringer des BWF bereit erklärt haben, eine(n) GastbewohnerIn in ihr

Lebensumfeld aufzunehmen und zu integrieren. Der soziologische Begriff von Familie

(lat. familia „Hausgemeinschaft“), der eine durch Partnerschaft, Heirat oder

Abstammung begründete Lebensgemeinschaft darstellt und im westlichen Kulturkreis

meist aus Eltern bzw. Erziehungsberechtigten und Kindern besteht (wobei auch weitere

im Haushalt wohnende Verwandte inbegriffen sein können), hat im BWF nicht diese

enge Bedeutung. Als Gastfamilien können sich u. a. auch Wohngemeinschaften,

Einzelpersonen11

, Geschwisterpaare, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften etc.

bewerben und fungieren. Es gibt in Bezug auf die Pluralität und Vielschichtigkeit der

neuen Familien-, Wohn- und Lebensformen12

in der heutigen Gesellschaft für das BWF

diesbezüglich keine Einschränkungen. Allerdings haben diese unterschiedlichen

Formen Auswirkungen auf das Familienpflegeverhältnis, welches sich immer unter dem

Aspekt der Besonderheit der jeweiligen Familien- und Wohnform gestaltet.

Nicht uninteressant für eine systemische Betrachtungsweise ist auch die Art und Weise,

wie Gastfamilien zum BWF gekommen sind. Neben der direkten Akquise über

Printmedien, Internet und Öffentlichkeitsarbeit durch das BWF-Team spielt die Mund-

zu-Mund-Propaganda von Gastfamilien zu anderen interessierten Menschen wie z. B.

Freunden, Bekannten, Verwandten, Nachbarn etc. eine Rolle. Hier wird möglicherweise

bereits über eine direkte Erfahrungsweitergabe bzw. darüber, dass die Gastfamilie als

soziales Umfeld schon illustrativ erlebt wurde, ein Grundstein für eigene Einstellungen

und Verhaltensweisen in Bezug auf die Aufnahme eines Gastes gelegt. Das Erleben

möglicher Interaktionen und der Abgleich mit eigenen Vorstellungen, Umgangsweisen

10

Es gibt die Ausnahme, dass auch Familienangehörige Gastfamilie sein können, allerdings nicht Verwandtschaft

ersten Grades. 11

Auch wenn Einzelpersonen im herkömmlichen Sinne nicht als Familie zählen, sind sie im Begriff „Gastfamilie“

mit eingeschlossen. 12

z.B. Adoptivfamilie, Ein-Eltern-Familie, Fortsetzungsfamilie, Großfamilie, Kernfamilie, Kleinfamilie,

interkulturelle Familie, Kommune, Lebensabschnittspartnerschaften, Living-apart-together,

Mehrgenerationenfamilie, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Patchwork-Familie, Pflegefamilie, SOS-Kinderdorf-

Familie, Stieffamilie, Wohngemeinschaft, Zweitfamilie, Zwei-Kern-Familien (vgl. Petzold 2007)

21

und Mustern stellt unter Umständen schon einen anderen Zugang zur Aufnahme eines

Gastbewohners und das Interagieren mit ihm dar.

Gastfamilien haben den Status einer Laienhilfe. Das spezifische Milieu einer Familie,

der Schutzraum, den sie für ihre Mitglieder darstellt, ihr emotionales Klima, ihre

Alltagsroutinen, das Zugehörigkeitsgefühl und der ganzheitliche Einbezug des

Einzelnen, der anders als in den übrigen Systemen mit nicht nur ganz bestimmten

Ausschnitten der Persönlichkeit relevant ist, können ein therapeutisches Setting

repräsentieren. Hier tritt der Mensch als Individuum in seiner Ganzheitlichkeit in

Erscheinung und nicht als Dividuum. Die GastbewohnerInnen werden dabei nicht in

erster Linie als PatientInnen, als psychisch Kranke wahrgenommen, sie wechseln nicht

in eine Institution mit entsprechenden formalisierten Regeln. Nach Aufnahme einer

psychisch kranken Person in das Familiensystem bleiben die wesentlichen

Bestimmungsmerkmale einer Familie weiterhin erhalten und wirksam. Der Gast erlebt

als Mitglied des Familiensystems seine Zugehörigkeit zu diesem, ist in seiner Ganzheit

in die Beziehungsdynamik der Familie involviert und handelt nicht wie in spezifischen

Sozialbeziehungen als Rollenträger per se (z. B. als psychiatrischer Patient), womit er

prinzipiell austauschbar ist (vgl. Konrad/Schmidt-Michel 1993, S. 144). Dass er in der

Familie eine bestimmte Position und Funktion einnehmen kann, steht dem nicht

entgegen. Die diffusen Sozialbeziehungen, die der Struktur nach in Familien existieren,

konstituieren die Existenz eines ganzheitlichen Interesses am Gegenüber, mit all seinen

Eigenheiten und Liebenswürdigkeiten. Kein Thema wird grundsätzlich von der

Kommunikation und Interaktion ausgespart oder ist unzulässig. In diffusen

Sozialbeziehungen werden von Fall zu Fall die Aufgaben und Herausforderungen, die

zu bewältigen sind und wie sie zu bewältigen sind, von den Interaktionspartnern

ausgehandelt.

Allerdings sind die diffusen Sozialbeziehungen nicht voll anwendbar auf das

Zusammenleben zwischen Gastfamilie und GastbewohnerIn, da sie in einigen Aspekten

dem nicht entsprechen. So widerspricht beispielsweise das jederzeitige

Kündigungsrecht der Vertragspartner (Gastfamilie, GastbewohnerIn) den strukturell

unkündbaren und zeitlich nur bedingt limitierbaren diffusen Sozialbeziehungen (vgl.

ebd., S. 146).

Die Gastfamilien bieten mit ihrem Sozialraumbezug und ihrer Gemeindeeingliederung

den GastbewohnerInnen die Integration in das soziale und gesellschaftliche Umfeld.

22

Sie ermöglichen eine weitestgehende Normalität für die aufgenommenen Personen,

indem sie einen Alltagsrhythmus und Lebensmuster praktizieren sowie alltägliche

Lebensbedingungen schaffen, welche den gewohnten Verhältnissen und

Lebensumständen der Gemeinschaft und Kultur in der sie leben, entsprechen (vgl. Nirje

1994, S. 14 in Röh 2009, S. 70). Dieses Normalisierungsprinzip schließt die Trennung

von Arbeit, Freizeit und Wohnen, einen normalen Tages- und Jahresrhythmus (mit

Schlafen, Aufstehen, Mahlzeiten, Wechsel von Arbeit und Freizeit, Ferien, Familien-

und Jahresfesten, Besuchen etc.), angemessene Kontakte zwischen den Geschlechtern

und die Respektierung von Bedürfnissen (Berücksichtigung von Wünschen,

Entscheidungen und Willensäußerungen) ein (vgl. Röh 2009, S. 69 f.).

Während selbst kleine Außenwohngruppen eines Wohnheimes vom Umfeld als

Behinderteneinrichtung wahrgenommen werden, erscheint die Vermittlung eines

Gastbewohners in die Familienpflege eher als Erweiterung einer im Wohnumfeld

ansässigen Familie um ein neues Mitglied. In der Selbst- wie Fremdwahrnehmung des

Behinderten wirkt dies entstigmatisierend und gemeindeintegrierend. Das neue Mitglied

kann oft in die bestehenden Freundschafts-, Nachbarschaftschafts- und Verwandten-

kontakte der Familie sowie in ihre Vereins-, Gemeinde- und sozialräumlichen

Aktivitäten bzw. Treffs einbezogen werden.

Die Stabilität der Betreuungsbeziehung und die Einzigartigkeit der „Betreuungskultur“

– jede Familie hat eine spürbar andere Wohnatmosphäre, ihren eigenen Tagesablauf,

eigene Umgangsformen und Erwartungen an ihre Mitglieder – beinhalten zwar eine

Begrenzung, denn es kann nicht einfach „ein freies Bett belegt“ werden, stellen aber vor

allem eine ganz besondere Chance dar (vgl. Becker 2005, S. 3).

Ähnlich wie bei betreuenden Angehörigen sind Gastfamilien in einer Lebensgemein-

schaft mit dem Kranken, jedoch ohne deren Situation einer vorbelasteten Beziehung.

Die Lebensqualität des aufgenommenen Menschen hängt dabei von der Qualität der

zwischenmenschlichen Beziehungen ab und von der Rolle, die sie oder er nach eigener

Einschätzung in der Gemeinschaft resp. Gastfamilie bei vorausgesetzter Absicherung

der Grundbedürfnisse Nahrung, Kleidung, Obdach einnimmt (vgl. Becker 2005, S. 3).

23

3.2 Die GastbewohnerInnen

Entsprechend dem Leitfaden des KSV Sachsen (Stand 25.01.2010) zur „Umsetzung des

Betreuten Wohnens in Gastfamilien“ kommen für diese Wohn- und Lebensform

erwachsene behinderte Menschen in Frage, die den Wunsch haben, in einer Familie

leben zu wollen und bei denen durch die Unterbringung in einer Gastfamilie eine

Heimunterbringung vermieden oder ein Heimplatz frei werden könnte.

Dabei gibt es folgende Fallkonstellationen (vgl. KSV Sachsen 2010, S. 5):

• Der Leistungsberechtigte lebt bisher in einer Pflegefamilie der Jugendhilfe,

deren Kostenträgerschaft endet. Ein ambulant betreutes Wohnen kommt auf

Grund der behinderungsbedingten Defizite nicht in Betracht.

• Der Leistungsberechtigte nimmt ambulant betreutes Wohnen in Anspruch, diese

Betreuungsform reicht jedoch mittlerweile nicht mehr aus, da ein höherer

Betreuungsbedarf vorhanden ist.

• Der Leistungsberechtigte wohnt noch zu Hause bei seiner Familie, diese ist aber

mittlerweile mit seiner Betreuung überfordert und ein ambulant betreutes

Wohnen würde ihn ebenfalls überfordern.

• Der Leistungsberechtigte lebt in einem Wohnheim, hat den Wunsch in eine

Gastfamilie zu wechseln und die Ausschlusskriterien für die Aufnahme in eine

Gastfamilie treffen nicht zu.

Zu den generellen Ausschlusskriterien gehören eine akute Suizidgefahr, Eigen- und

Fremdgefährdungstendenzen, Verhaltensauffälligkeiten in einem nicht zumutbaren

Rahmen sowie eine akute Suchtmittelproblematik (vgl. ebd.).

Einzelfallentscheidungen entsprechen dabei einer nicht dogmatisierten

Herangehensweise.

Bei der Einwilligung in diese Wohn- und Lebensform ist die natürliche Einsichts- und

Urteilsfähigkeit des behinderten Menschen ausreichend, unabhängig von einer ggf.

zusätzlich erforderlichen Einwilligung des gesetzlichen Betreuers. Dabei sind die

Bestimmungen des Wunsch- und Wahlrechts nach § 9 SGB XII zu beachten (vgl. ebd.,

S. 6).

Das Spektrum der GastbewohnerInnen ist genau so groß wie das der Gastfamilien. Als

GastbewohnerInnen bewerben sich erwachsene behinderte Menschen jeden Alters und

24

Geschlechts, aus allen sozialen Schichten der Gesellschaft kommend, mit

differenzierten Bildungsabschlüssen, mit einer Vielfalt an biografischen Hintergründen,

aus vollkommen unterschiedlichen Herkunftsfamilien, aus verschiedenen

Wohnsituationen und mit unterschiedlichen Krankheitsbildern.

Bemerkenswert ist, dass das BWF-Team in Chemnitz bisher keine Anfragen von

psychisch kranken Menschen mit ausländischem bzw. Migrationshintergrund hatte. Das

kann u. a. daran liegen, dass in Sachsen und speziell Chemnitz13

der Anteil dieser

Menschen sehr niedrig liegt.

Nachfolgend einige Beispiele für die unterschiedlichen Lebensgeschichten und

Pluralität der GastbewohnerInnen:

Herr M. ist ein junger Mann von 25 Jahren, der ab seinem 12. Lebensjahr in einem

Kinderheim gewohnt hat. Mit Volljährigkeit zog er in eine eigene Wohnung und wurde

dort ambulant betreut. Nach Krisen und einem Aufenthalt in der Psychiatrie kam er in

eine Sozialtherapeutische Wohnstätte in Sachsen und von dort in das BWF. Er hat alle

Kontakte zu seiner Familie abgebrochen. Herr M. besuchte eine Förderschule und

befindet sich derzeitig in einem berufsvorbereitenden Jahr.

Frau S. ist eine 40-jährige Frau, die über die Klinik in das BWF kam. In ihrer

Wohnung, wo sie auch ambulant betreut wurde, hatte es Frau S. immer nur kurze Zeit

ausgehalten, dann folgte bald wieder der nächste Klinikaufenthalt. Ihre chronische

Schizophrenie brachte sie dauernd wieder in einen klinischen Drehtüreffekt. Der

Stationsarzt sah nur noch den Ausweg einer Heimunterbringung. Frau S. hat einen

Abschluss als Fachverkäuferin und ist Mutter von 2 Kindern im Alter von 16 und 18

Jahren, die seit Kindheit bei einer Pflegefamilie in den Altbundesländern leben. Der

Vater der Kinder ist Afrikaner, mit ihm war sie mehrere Jahre verheiratet und sie lebten

kurzzeitig in Afrika. Frau S. hat Kontakt zu ihrer Mutter, der sich auf Besuche

beschränkt.

Herr T. ist 41 Jahre alt und kam über ein Wohnheim in das BWF. Für ihn war es

wichtig, in seiner Heimat, dem Erzgebirge zu bleiben. Er verlebte dort eine behütete

Kindheit und war das einzige Kind seiner Eltern. In sehr kurzer Zeit starben beide, als er

zwanzig Jahre alt war. Zusammen mit seiner Freundin und deren mitgebrachtem Kind

sowie einem später gemeinsamen Kind lebten sie in seinem elterlichen Haus.

13

Anteil der ausländischen Bevölkerung in Chemnitz (2008): ca. 2,8 %. Bei Einbezug der Menschen mit

Migrationshintergrund, insbesondere Deutsche aus der GUS und Eingebürgerte, liegt der Gesamtanteil der

Migranten/Migrantinnen in Chemnitz bei ca. 6,5 % (Stadt Chemnitz 2008, Anlage 1, S. 1).

25

Herr T. hat einen landwirtschaftlichen Beruf erlernt. Mit einer zunehmenden

psychischen Erkrankung kommt es zur Trennung der Familie und zum völligen

Kontaktabbruch. Das Haus von Herrn T. wird, während er im Wohnheim lebt,

zwangsversteigert. Er verliert für seine Gefühle das letzte, was ihm geblieben ist und

was stark mit den Erinnerungen an die Eltern verbunden war.

Herr D. ist 49 Jahre alt und wohnt seit 21 Jahren in Sozialtherapeutischen Wohnstätten.

Vorher war er in einem Heim für geistig behinderte Menschen untergebracht. In der

Kindheit lebte er für einige Jahre in einem Kinderheim. Die Mutter hatte die Familie

schon frühzeitig verlassen und der Vater starb, als Herr D. 17 Jahre alt war. Mit dem

Tod des Vaters brach die Stiefmutter den Kontakt zu ihm völlig ab. Herr D. hat keinen

Berufsabschluss und ist berentet. Als er vom Betreuten Wohnen in Gastfamilien hörte,

stellte er diesbezüglich eine Anfrage und bewarb sich als potenzieller Gastbewohner.

Herr D. befindet sich derzeit in der Vermittlungs- und Kontaktanbahnungsphase zu

einer Gastfamilie.

Die Wege der GastbewohnerInnen zum BWF führen oftmals über Dritte. Ein direkter

Kontakt des BWF-Teams zu HeimbewohnerInnen und potenziellen AnwärterInnen ist

nur schwer möglich. Die Bekanntmachung des Angebotes und das Herantreten an die

einzelnen Personen laufen meistens über die Heimleitung und MitarbeiterInnen von

Institutionen, über die Information von gesetzlichen BetreuerInnen, SozialarbeiterInnen

und ÄrztInnen in Kliniken sowie medizinischen Einrichtungen, über Verbände von

Angehörigen etc.

3.3 Das Familienpflegeteam

Das Betreute Wohnen in Gastfamilien (traditioneller Begriff: Familienpflege) ist eine

Kombination von ambulanter professioneller Begleitung sowie Unterbringung in dafür

bezahlten Gastfamilien mit Laienstatus. Das professionelle Betreuungsteam hat sowohl

eine unterstützende, begleitende und beratende Funktion als auch eine kontrollierende,

ohne das die Integration der Gastperson in die Familie gefährdet wäre.

Die Gastfamilien und GastbewohnerInnen werden vom Familienpflegeteam nach dem

Prinzip der Bezugsbetreuung mit einem Co-Betreuer im Hintergrund und den fachlichen

26

Kriterien des Case Management14

dauerhaft betreut. Diese „Tandem-Betreuung“ bietet

neben der Betreuungskontinuität für die KlientInnen auch eine kollegiale Supervision

der BezugsbetreuerInnen durch die Co-BetreuerInnen.

Das BWF-Team ist nicht nur für eine möglichst passgenaue Vermittlung von

GastbewohnerInnen in Gastfamilien zuständig, sondern vermittelt auch im

Zusammenleben von beiden. Es ist jederzeit Ansprechpartner für beide Seiten und hat

als externer Begleiter selbst supervisorische Aufgaben innerhalb des Familiensystems.

Ihm obliegt das frühzeitige Ansprechen von Problemen und bei Bedarf das

Herbeiführen und die Kontrolle verbindlicher Absprachen. Neben der Förderung der

Vorteile des BWF hat das Team eine beständige Werbung und Öffentlichkeitsarbeit zu

leisten. Weitere Aufgaben umfassen die Begleitung in der meist mehrmonatigen

Vermittlungs- und Kennenlernphase, eine regelmäßige und qualifizierte Beratung der

Gastfamilien in Form von Hausbesuchen und Telefonkontakten, Hilfe und

Unterstützung des Bewohners oder der Bewohnerin bei der Integration in die Familie

und deren Umfeld, Förderung der Ressourcen des neuen Familienmitgliedes und

Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung im Sinne von Selbstbefähigung und

Recovery, Mitarbeit bei der Erstellung eines individuellen Hilfeplanes und dessen

Fortschreibung, Vernetzungs- und Zusammenarbeit mit am Hilfeprozess Beteiligten,

Krisenintervention, Unterstützung und Organisation von anderweitigen

Unterbringungsmöglichkeiten bei Urlaub oder Krankheit der Gastfamilie bzw. bei

Beendigung des Familienpflegeverhältnisses, verwaltungstechnische Arbeiten

einschließlich der Klärung der Kostenübernahme z. B. durch den Sozialhilfeträger,

Dokumentation und Qualitätssicherung.

Wesentliche Leistungen der fachlichen Begleitung liegen darin, den Gastfamilien

Wertschätzung und Anerkennung zu vermitteln sowie Überforderung, Krisen und

Versorgungsmängel zu vermeiden und Burn-Out-Entwicklungen vorzubeugen. Von

großer Bedeutung ist auch die Beziehung zu den GastbewohnerInnen. Durch

regelmäßige Hausbesuche kann die rehabilitative Entwicklung der BewohnerInnen

gefördert, die Versorgungsqualität gesichert und können auch Perspektiven außerhalb

der Familie betrachtet werden (vgl. DGSP-Fachausschuss BWF 2005, S. 3).

14

Case Management ist ein kooperativer Prozess, in dem Versorgungsangebote und Dienstleistungen erhoben,

geplant, implementiert, koordiniert, überwacht und evaluiert werden, um so den individuellen Versorgungsbedarf

eines Klienten mittels Kommunikation und verfügbarer Ressourcen abzudecken (Klug 2004, S. 3).

27

3.4 Der Kostenträger

Laut Sächsischem Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuches (SächsAGSGB) vom

06. Juni 2002 (SächsGVBl. S. 168) § 13 Abs. 1 ist der überörtliche Träger der

Sozialhilfe nach § 3 Abs. 3 SGB XII der Kommunale Sozialverband Sachsen.

Er ist nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 SächsAGSGB sachlich zuständig für alle Leistungen für

die in § 53 Abs. 1 SGB XII genannten Personen, die das 18. Lebensjahr, aber noch nicht

das 65. Lebensjahr vollendet haben, wenn und solange nach der Besonderheit des

Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung oder des Leidens,

Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

Das Betreute Wohnen in Gastfamilien stellt eine Eingliederungshilfe für behinderte

Menschen dar. Rechtsgrundlagen für dieses Angebot sind die §§ 27 ff., 41 ff. sowie 53

ff. SGB XII.

Nach § 75 Abs. 3 SGB XII i. V. mit dem Rahmenvertrag gemäß § 79 Abs. 1 SGB XII

für den Freistaat Sachsen vom 29.06.2006 schließt der KSV Sachsen mit geeigneten

Trägern eine Vereinbarung zur Betreuung von Gastfamilien ab. Diese Vereinbarung

beinhaltet die Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsmodalitäten. Unter den Punkt

Leistungsvereinbarung fallen die Art der Leistung, das Einzugsgebiet, die Zielgruppe

und die Personalrelationen für die Ausführung der Betreuungsleistungen.

Die Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung besitzt Gültigkeit für einen

bestimmten Zeitraum und kann danach neu verhandelt werden.

Der Verfahrensweg für das BWF sieht vor, dass ein anspruchsberechtigter Interessent

(bzw. sein gesetzlicher Vertreter) formlos einen Antrag auf Leistungen für das Betreute

Wohnen in Gastfamilien beim überörtlichen Sozialhilfeträger stellt. Zur Prüfung der

Heimbetreuungsbedürftigkeit gibt der KSV Sachsen ein amtsärztliches Gutachten in

Auftrag und prüft die sozialhilferechtlichen Voraussetzungen. Bei positiver

Entscheidung besucht der Medizinisch-Pädagogische Dienst des KSV Sachsen die

entsprechende Gastfamilie und den/die Gastbewohner/in und führt eine Begutachtung

vor Ort durch. In diesem Zusammenhang wird unter Mitarbeit des begleitenden

Fachdienstes ein Gesamtplan nach § 58 SGB XII erstellt.

28

4. Systemische Betrachtung der Betreuung der

Familienpflegeverhältnisse

4.1 Die Dyaden im Betreuten Wohnen in Gastfamilien

Das Betreute Wohnen in Gastfamilien für psychisch kranke Menschen weist durch seine

Akteure Besonderheiten im Vergleich zur Arbeit mit Pflegefamilien aus dem

Pflegekinderwesen oder zur aufsuchenden Familienarbeit (beispielsweise zur

Sozialpädagogischen Familienhilfe – SPFH) auf. Die GastbewohnerInnen sind

erwachsene Menschen, die mitunter schon eine eigene Familie gegründet hatten, jedoch

auf Grund verschiedener Lebensumstände mit dieser nicht mehr zusammenleben.

Andere konnten entwicklungspsychologisch gesehen durch eine Nichtbewältigung von

anstehenden Entwicklungsstufen (Erikson) keine tragfesten Partnerschaften aufbauen

und blieben in einer krisenhaften Identitätsdiffusion.

Der biografische Lebensweg vieler GastbewohnerInnen ist oftmals gepflastert mit einer

Vielfalt an problematischen Erfahrungen aus Kindheit und Erwachsenenalter, mit

krisenhaften und traumatischen Erlebnissen und mit bereits stark verfestigten Denk- und

Verhaltensmustern.

Alle GastbewohnerInnen haben durchweg Psychiatrieerfahrung, d. h. sie kamen über

kürzere oder längere Zeit mit psychiatrischen Einrichtungen (Kliniken, Tageskliniken,

Tagesstätten, Sozialtherapeutischen Wohnstätten, Rehabilitationseinrichtungen etc.) in

Kontakt.

Das Kennenlernen von Gastfamilie und GastbewohnerIn findet in Bezug auf die Dyade

(Zweierbeziehungssystem mit besonders emotionaler und intensiver Beziehung) in einer

relativ kurzen Zeit statt. Die mehrmonatigen Anbahnungs- und Bedenkphasen

beinhalten immer nur vergleichsweise kurze Sequenzen des Probewohnens und des

gegenseitigen Abtastens auf Passung. Der Hauptteil der Beziehungsarbeit findet nicht

vor der Entscheidung für das jeweilige Familienpflegeverhältnis statt, sondern danach.

Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist, dass es sich um die Aufnahme eines psychisch

kranken Menschen handelt und dass im Vergleich zum Pflegekinderwesen keine Kinder

als Pflegepersonen aufgenommen werden. Demzufolge steht ein pädagogisch-

erzieherischer Anspruch nicht im Vordergrund. Das heißt aber nicht, dass in

Gastfamilien sozialisatorische Nachreifungsprozesse nicht stattfinden können.

29

Betrachtet man die Beziehungsdynamik des schizophrenen Menschen vor allem unter

dem Aspekt der misslungenen Ablösung von der Herkunftsfamilie, in der bereits

mannigfaltige Sozialisationsdefizite impliziert sind, so kann die sozialisatorische

Dynamik einer Familie in diesem neuen System solche Prozesse anregen und

unterstützen. Die Aushandlung alltäglicher Konflikte zwischen Gastfamilie und

GastbewohnerIn stellt z. B. ein entscheidendes Lernfeld für den/die BewohnerIn dar

und wird damit zum therapeutischen Wirkfaktor (vgl. Konrad/Schmidt-Michel 1993,

S. 145).

Je nach Familienkonstellation existieren in Gastfamilien mehrere dyadische

Sozialbeziehungen. Eine ist die Beziehung zwischen Hauptbezugsperson und

GastbewohnerIn, eine andere die zwischen GastbewohnerIn und dem zweiten

Familienmitglied, eine weitere die zwischen den Ehe-oder Lebenspartnern der

Gastfamilie selbst und wenn Kinder oder noch andere Familienangehörige mit im

Haushalt leben, dann bilden sich diesbezüglich weitere Dyaden aus, in denen die

Beziehungspartner einen ungeteilten Anspruch aufeinander haben.

Gastfamilien bieten den GastbewohnerInnen eine Normalisierung der Lebensführung.

Diese Normalisierung wird dadurch begünstigt, dass das Betreute Wohnen in

Gastfamilien eine Laienhilfe darstellt und keine professionelle psychiatrische

Vorbildung in den Familien vorhanden ist. Die Gastfamilien nutzen ihre eigenen

Problemlösungs- und Copingstrategien und können mit ihrer psychiatrisch nicht

vorgeformten Alltagskompetenz adäquat auf die BewohnerInnen eingehen. Meist

besitzen oder entwickeln Gastfamilien ungewöhnliche Fähigkeiten und Ressourcen im

Umgang mit der aufgenommenen Person, dass mitunter sogar skurrile familiäre Milieus

unerwartete Entwicklungen in Gang setzen können und für die/den Betreffenden eine

schützende Lebensnische schaffen.

Fallepisode:

Solch eine ungewöhnliche Beziehung besteht z. B. zwischen Herrn A. und dem

Gastbewohner Herrn P. Herr A. wohnt in einer Kleinstadt und seit einigen Jahren allein

in seinem Haus, was sich in einer Häuserzeile an einer Hauptstraße des Ortes befindet.

Er war vor seiner Pensionierung Lehrer und mehrfach verheiratet. Sein Lebensstil ist

geprägt von einer legeren Haushalts- und Lebensführung, von einem großen und z. T.

jugendlichen Bekanntenkreis und häufigen Unternehmungen. Herr A. nahm vor einigen

30

Jahren einen 18-jährigen Jungen als Gastbewohner auf, der aus einem Heim kam. Beide

haben ein vertrauensvolles Verhältnis zueinander entwickelt und Herr P. fühlt sich sehr

wohl in seinem neuen Zuhause. Auf unkonventionelle Art konnte er sozialisatorische

Nachreifungsprozesse vollziehen.

Wird ein/e GastbewohnerIn in eine Gastfamilie aufgenommen, kommt es zunächst zu

einer Disbalance im System. Das Familiensystem gerät aus dem Gleichgewicht, eine

neue Person mit einem eigenen biografischen Erfahrungshorizont kommt hinzu und

wirkt verstörend. Das System kommt in Bewegung und es setzt ein Prozess der

Neuorientierung, Neuordnung und Positionssuche aller Mitglieder der Familie – auch

des neuen Mitgliedes – ein, um wieder in ein Gleichgewicht zu kommen und Stabilität

zu erlangen. Diese Fähigkeit, sich selbst zu erhalten, wandeln und erneuern zu können,

entspricht der Autopoiesis von Systemen. Die Familie muss sich in ihrer Identität neu

definieren. Das Hinzukommen eines neuen Mitgliedes bringt Veränderung aller

Mitglieder des Systems mit sich, es kommt zu Interdependenzen und weiterer

Subsystembildung in der Familie. Hier zeigt sich bereits, ob Familien die nötige

Stabilität, Konsistenz und Veränderungsfähigkeit besitzen und ein tragendes Fundament

für die Aufnahme des Gastbewohners oder der Gastbewohnerin bilden.

Fallepisode:

Herr G. und Frau M. hatten nach kurzer Zeit die Erfahrung gemacht, dass ihr

Familiensystem diesen Veränderungen nicht standhält und das System aufzuspalten

drohte. Der potenzielle Gastbewohner hatte einige Probetage bei der Familie verbracht

und da eine Obdachlosigkeit bei ihm bevorstand, drängte die Zeit der Entscheidung.

Herr G. und Frau M. leben seit 11 Jahren in Lebensgemeinschaft und hatten vor 3

Jahren ein recht einsam stehendes größeres Haus in landschaftlich schöner Umgebung

gekauft, was sie allmählich ausbauten. Herr G. ist 21 Jahre älter als Frau M., arbeitslos

und hat seine Wurzeln in den Altbundesländern. Er ist eine stattliche Erscheinung, im

Haushalt und handwerklich sehr aktiv und war nach Einschätzung des BWF-Teams der

Initiator der Familie für das Betreute Wohnen in Gastfamilien. Seine 40-jährige

Lebensgefährtin führt einen kleinen Handel in einer Großstadt und kümmerte sich sehr

um den zukünftigen neuen Bewohner. Sie nahm ihn mit in ihr Geschäft, versuchte ihn

zu beschäftigen und sie entdeckten zusammen gleiche Hobbies. Der potenzielle

Gastbewohner, ein 25-jähriger junger Mann, entwickelte in der Kürze der Zeit

31

unterschiedliche Beziehungen zu beiden. Zwischen den Lebenspartnern kam es zu

Auseinandersetzungen und Frau M. teilte dem Betreuungsteam von einem Tag auf den

anderen mit, dass aus der schon zugesagten Familienpflege nichts wird, da die

Beziehung mit ihrem Lebensgefährten auseinander zu brechen drohe. Da ein

Abschlussgespräch mit der Familie nicht möglich war, blieb von Seiten des BWF-

Teams die Hypothese im Raum, dass Herr G. im neuen Familiensystem seine bisherige

Position gefährdet sah, im Gastbewohner einen Konkurrenten erblickte und der

ursprünglich von ihm gedachte Part der Betreuung des Gastbewohners in der Familie

fast ausschließlich von seiner Lebensgefährtin übernommen wurde.

Der Selbstschutz und die Autopoiesis der Familie veranlasste sie, noch rechtzeitig vor

dem vertraglichen Eintritt in die Familienpflege das Verhältnis zu beenden.

Bei einem erfolgreichen Zustandekommen eines Familienpflegeverhältnisses liegt die

hauptsächliche Arbeit, die Beziehungs- und Kommunikationsgestaltung zwischen

GastbewohnerIn und Gastfamilie, im alltäglichen Zusammenleben. Das erfordert von

beiden Seiten ein hohes Maß an Akzeptanz, Toleranz, Empathie, Kreativität und die

Bereitschaft, sich aufeinander einzulassen sowie besonders von Seiten der Gastfamilie

Geduld. Zunächst muss jeder in dem neuen System in einer zufriedenstellenden Weise

seinen Platz, seine Rolle und seine Aufgaben finden. Tagesstrukturen und Abläufe sind

neu zu organisieren, Nähe und Distanz zum neuen Familienmitglied auszubalancieren,

Grenzen zu setzen, Arrangements zu treffen und immer wieder Aushandlungsprozesse

zu führen. Diese Prozesse sind mit einer starken Dynamik und Sensibilität verbunden

und benötigen von Beginn an eine professionelle Begleitung und Unterstützung. Doch

den Hauptanteil leisten die Familien, die als Funktionssysteme die Einzigen sind, die

die Komplettinklusion von Personen in die Kommunikation erfüllen können (s. Pkt. 2.2,

S. 18). Diese Komplettinklusion, die eine Herkunftsfamilie funktional besitzt, differiert

allerdings in Bezug auf das neu entstandene Familiensystem, welches einen psychisch

kranken Menschen bei sich aufgenommen hat, dahingehend, dass das Hinzukommen

einer völlig fremden Erwachsenenbiografie auch Blindstellen beinhaltet, die der

Kommunikation in der Familie nicht zugänglich sind. Die neue „Wahlverwandtschaft“

erreicht auch nie den hohen Grad der Intimität einer Ursprungsfamilie mit ihren

familiären Traditionen, Generationsgeschichten, Familiengeheimnissen,

Loyalitätsbanden und ihren lebenslänglichen Bindungen (s. auch Pkt. 2.2, Modell der

unsichtbaren Bindungen).

32

Veränderungen durch Hinzukommen eines neuen Mitgliedes in die Familie bewirken

Veränderungen bei jedem Einzelnen und im gesamten System. Veränderungsprozesse

benötigen Zeit und Geduld, den Zugriff auf Ressourcen, interne und externe

Unterstützungsangebote, Autonomiegewährung und Flexibilität. Nicht immer halten

Gastfamilien bzw. Bewohner dem Druck der Anpassung und Auseinandersetzung mit

jeweils vorhandenen familienbiografischen Normen, Wertvorstellungen, Regeln,

Verhaltensweisen und Mustern stand.

Fallepisode:

So scheiterte die Zusammenführung von einer jungen psychisch kranken Frau mit einer

„Patchwork“-Gastfamilie nach nur einmonatiger Verweildauer in der Familienpflege.

Frau K. ist 27 Jahre alt und hat eine dissoziale Persönlichkeitsstörung sowie eine

Polytoxikomanie. Sie wohnte drei Jahre in einer Sozialtherapeutischen Wohnstätte, wo

sie in keine Wohngruppe integriert werden konnte. Oftmals geriet Frau K. mit anderen

HeimbewohnerInnen, aber auch mit dem Personal in Konflikt u. a. durch barsches,

einforderndes und schwer zu bremsendes Verhalten, geringe Frustrationstoleranz,

Ablehnung der Übernahme kleiner Tätigkeiten und Verantwortung und kaum

vorhandene Compliance. So musste sie in einem separierten Bereich des Hauses

untergebracht werden und es ergaben sich nach mehrjährigem Aufenthalt in der

Wohnstätte keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten für sie. Auf eigenen Wunsch

wollte sie in eine Gastfamilie wechseln. Nach Beendigung der Probezeit und Einzug bei

einer 32-jährigen jungen Frau mit Kleinkind, die mit ihrem Lebensgefährten in einem

neugebauten Einfamilienhaus auf dem Lande lebt, änderte sich ihr anfänglich

angepasstes Verhalten. Die Gastfamilie war mit dem Verhalten der Bewohnerin

überfordert, es kam zu ständigen Auseinandersetzungen und Streitereien bis zu einem

Crash, der das Familienpflegeverhältnis trotz Krisenintervention sofort beendete. Frau

K. fühlte sich bei der Gastfamilie nicht genügend beachtet, in ihrer Autonomie

eingeschränkt und beanstandete, dass dem zweijährigen Kind mehr Aufmerksamkeit

geschenkt wurde als ihr. Die Gastmutter Frau E. befand sich selbst in einer schwierigen

familiären Situation. Der Kindesvater forderte das Sorgerecht für seinen Sohn, den er

14-tägig an den Wochenenden bei sich hatte, es gab des weiteren Streitigkeiten um das

kreditfinanzierte Haus und der neue Lebensgefährte hatte seinen Sohn aus

vorhergehender Beziehung öfters zu Besuch in der neuen Familie, was auch immer

wieder zu Auseinandersetzungen mit der Mutter des Kindes führte. Die Gastmutter ging

33

ab späten Vormittag halbtags arbeiten und war auch durch die Arbeitsstelle und die

Unterbringung des Sohnes tagsüber bei ihrer Mutter auf einem Bauernhof außerhalb des

eigenen Wohnortes in einem Tagesablauf eingebunden, der Kraft und volle

Organisation forderte.

Diese Patchwork-Familie hatte mehrere Baustellen zu bearbeiten und musste sich an

verschiedenen Fronten neu definieren, was zu einer außerordentlichen Belastung für alle

Systemmitglieder führte. Auch die stark verminderten Beziehungs- und

Adaptionsfähigkeiten der Gastbewohnerin, die sich immer wieder in alltäglich

aufbauenden Stressoren und kaum vorhandenen Copingstrategien äußerten, belasteten

das Familiensystem nicht nur nach innen, sondern auch in den Wechselverhältnissen zu

seiner Umwelt. Trotzdem bildete diese kurze Episode der Familienpflege für alle

Beteiligten ein neues Lern- und Erfahrungsfeld, was nicht zu einem generellen Abbruch

der Bereitschaft für diese Wohn- und Lebensform führte. Die Gastfamilie erklärte sich

bereit, nach einem gewissen zeitlichen Abstand und Be- bzw. Verarbeitung der

Ereignisse und Erfahrungen für einen neuen Gast wieder offen zu sein und auch die

Gastbewohnerin äußerte den Wunsch, wieder in einer Gastfamilie leben zu wollen.

Besonders an diesem Beispiel wird deutlich, wie hoch auch die Anforderungen an das

Begleitteam, dessen Verantwortung und Fähigkeit resp. Professionalität für eine gute

Passung von Gastfamilie und GastbewohnerIn, für eine mediatorische und

supervisorische Unterstützung beim Zusammenleben beider sind und welche

entscheidende Rolle neben der Gastfamilie der Fachdienst beim Integrationsprozess des

psychisch kranken Menschen in das Familiensystem spielt.

Die methodische Herangehensweise des Fachdienstes bei der Bearbeitung dieser

Aufgabe muss dabei mehrperspektivisch, mehrdimensional, ressourcenorientiert,

alltagsorientiert und umfeldbezogen, multiniveaunal und multimodal sowie partizipativ

und vernetzend erfolgen. Das erfordert vom BWF-Team eine beständige Reflexion des

eigenen Handelns und der Rahmenbedingungen, eine reflexive Verwendung von

wissenschaftlichem Wissen, von beruflichem (Erfahrungs-)Wissen und von aktuellem

Alltagswissen (vgl. Heiner 2004, S. 42 ff.). Diese Voraussetzungen gelten sowohl für

die Auswahl und Zusammenführung von Gastfamilie und GastbewohnerIn, als auch für

die Begleitung und Unterstützung im alltäglichen Zusammenleben.

Dyaden bilden sich jedoch nicht nur innerhalb des neuen Familiensystems, sondern

auch zwischen dem/der BetreuerIn vom Familienpflegeteam und dem/der

34

GastbewohnerIn, zwischen dem/der FamilienbetreuerIn und der Gastfamilie, wobei sich

auch hier wieder dyadische Beziehungen zur Hauptbezugsperson im Familiensystem

und zu den jeweils anderen Familienmitgliedern ergeben können. Die Besonderheit bei

den erwähnten Dyaden besteht darin, dass die Familie im Gegensatz zum/zur

GastbewohnerIn keine Klientin darstellt. Das bedeutet auch für das Team eine

beachtliche Herausforderung im Umgang mit unterschiedlichsten Menschen auf

verschiedenen Grundlagen.

Entscheidend in der dyadischen Beziehung ist der Platz, den der/die GastbewohnerIn in

der neuen Familie besetzt. Wie konnte er/sie sich platzieren, was hat er/sie zugewiesen

bekommen, wo konnte er/sie eine Nische finden. Wird er/sie mehr als MitbewohnerIn,

Familienmitglied, UntermieterIn oder Gast gesehen bzw. hat er/sie eine ‚Leerstelle‘ im

Familiengefüge auszufüllen, ist beispielsweise Kind-Ersatz, hat die indirekte Rolle der

Aufarbeitung biografischer Brüche der Gastfamilie wie Konfliktregulierung in der

Partnerschaft zu übernehmen oder wird hier sogar eine Arbeitnehmer- oder

Arbeitgeberrolle angesetzt. Das können unbewusste Zuschreibungen oder

Platzeinnahmen sein, die zu einer hohen Beziehungsdynamik führen. Diese

Konstellationen haben eine erhebliche Bedeutung im Umgang der Beteiligten

miteinander und dürfen vom Begleitteam nicht außer Acht gelassen werden, denn sie

können zukünftiges Konfliktpotenzial enthalten.

Fallepisode:

Bei einem Besuch des MPD vom KSV Sachsen im Rahmen der Hilfeplanerstellung

wurde die Gastfamilie W. gefragt, wie sie die Gastbewohnerin Frau S., eine 40-jährige

Frau mit einer chronischen Schizophrenie, denn sieht und welchen Platz sie bei ihnen

hat. Fam. W. antwortete, dass Frau S. für sie wie ein eigenes Kind ist. Fam. W. hat zwei

erwachsene Kinder, die ihr Leben eigenständig bestens meistern und den Erwartungen

der Eltern entsprechen. Beide wohnen nicht mehr in dem kleinen Gebirgsort, wo das

elterliche Wohnhaus steht. Die Gastbewohnerin ist in die Gastfamilie sehr gut integriert

und erstmals seit Jahren über einen längeren Zeitraum ohne stationären Aufenthalt in

der Psychiatrie. Frau S. hatte früher selbst eine eigene Familie gegründet, wohnte für

etliche Zeit mit ihrem Mann im Ausland und hat aus dieser Verbindung zwei

mittlerweile fast erwachsene Kinder, die von klein auf in einer Pflegefamilie in den

Altbundesländern leben. Frau S. hat schriftlichen Kontakt zu ihnen. Früher hat sie selbst

gut einen Haushalt führen können und vielfältige Lebenserfahrungen gemacht.

35

Frau S. fühlt sich in der Gastfamilie wohl und konnte die Aussage der Familie bezüglich

ihres Status‘ akzeptieren. Bei einem kleinen Streit, der darum ging, wie Frau S.

Bettwäsche wäscht, äußerte die Gastmutter, Frau S. würde keine Lehre annehmen. Frau

S. fühlte sich bevormundet, in der Anerkennung ihrer hauswirtschaftlichen Fähigkeiten

und in ihrer Rolle als Frau verletzt. In dieser kleinen Episode kam der Kind-Status von

Frau S. zum Ausdruck und das Betreuungsteam hatte hier in einer systemischen Sicht

das Augenmerk auf diese Prozesse zu lenken.

4.2 Die Triaden im Betreuten Wohnen in Gastfamilien

Nach systemischer Sicht versteht man unter einer Triade das Beziehungssystem

zwischen drei Personen. Triaden stellen eine Betrachtungsweise, ein Modell zur

Beschreibung von dynamischen Vorgängen in Beziehungen, Familien und Gruppen dar,

wobei die Varianten hoch komplex sein können. Murray Bowen sieht

Dreiecksbeziehungen als „basalen Baustein jedes emotionalen Systems, sei dies in einer

Familie oder irgend einer anderen Gruppe“ (Bowen 1976, S. 75 f., zit. n. Simon/

Clement/Stierlin 1999, S. 329).

Die wichtigste Triade im BWF bildet das Beziehungsdreieck Gastfamilie –

GastbewohnerIn – Familienbetreuungsteam. Diese Triade weist die Besonderheit auf,

dass der/die GastbewohnerIn zwar als KlientIn darin auftaucht, nicht aber die

Gastfamilie.

Das Team hat in seiner Anwaltsfunktion nicht nur das Doppelmandat zu vertreten,

nämlich Anwalt des/der KlientIn zu sein und zugleich Anwalt der eigenen Institution

und damit verbunden des gesellschaftlichen Auftraggebers, sondern hat darüber hinaus

auch noch eine Anwaltsfunktion für die Familie. Hier stellt die Positionierung innerhalb

dieser Beziehungstriade eine besondere Herausforderung für das Familienpflegeteam

dar. Die Gefahren liegen vor allem in Loyalitätskonflikten auf Seiten der Teams.

Kommt es z. B. zu einem ständigen Konkurrenzverhalten zwischen Gastfamilie und

Familienpflegeteam in Bezug auf den/die GastbewohnerIn oder bilden sich

Koalitionen15

zwischen den Beteiligten gegen einen Dritten in der Triade, ist nicht nur

die Betreuung des Familienpflegeverhältnisses gefährdet, sondern auch das

15

Eine Koalition stellt ein Bündnis mit einem oder mehreren anderen Personen dar und ist – im Gegensatz zur

Allianz – gegen andere gerichtet (vgl. Mücke 2003, S. 79).

36

Familienpflegeverhältnis selbst. Hier stellt sich die Frage, welche Sicht das

professionelle Team auf die Wechselbeziehungen hat, welche Deutungen der

Situationen und Kooperationsmuster dem zugrunde liegen und welche Interaktionen

daraus abgeleitet werden.

Bei einer systemischen Betrachtung der Betreuung der Familienpflegeverhältnisse

haben die von Michael Biene (Biene 2004, S. 15) genannten Standards als

Voraussetzung für eine konstruktive Familienarbeit in modifizierter Form auch

Gültigkeit in der psychiatrischen Familienpflege. Diese erfordern von den professionell

Tätigen eine intensive Arbeit an der eigenen Haltung, um konstruktive Kooperations-

muster zu etablieren.

Erstens handelt es sich um eine verständnisorientierte Grundhaltung (vgl. Kleve 2007,

S. 129), sowohl gegenüber den GastbewohnerInnen, als auch gegenüber den

Gastfamilien. Dabei geht es zunächst darum, die aktuelle Situation der Familie bzw. der

GastbewohnerIn nachzuvollziehen und anzuerkennen. Der Aufbau einer

Vertrauensbasis setzt ein grundlegendes Wohlgesonnensein gegenüber den

Systemmitgliedern voraus. Eine systemische Betrachtungsweise sieht die Familie als

ein auf sich zentriertes soziales System, was im familialen Binnenverhältnis nach

eigenen Gesetzen handelt und sich auf eigene Sinngebung und Glaubenssysteme stützt.

Die Anerkennung, dass Familien Funktionen erfüllen, die von und in keinem anderen

Teilsystem erfüllt werden können, schließt ein, dass Familienpflegeteams nie die Arbeit

von Gastfamilien ersetzen und dass sie keine Sozialisationsfunktion übernehmen

können. So lässt sich beispielsweise die Sorgearbeit der Familienmitglieder nicht an

eine „Vertretung“ delegieren. Die Verbindlichkeit von familiären, individuellen

Beziehungsstrukturen und die Konstanz der Bezugsperson ermöglichen im BWF eine

entwicklungsfördernde Beziehungsdynamik, die aber auch Problemwahrnehmung und

Veränderungsbereitschaft im System voraussetzt. Das kann vom Team nicht von

vornherein als gegeben angenommen, kann systemisch gesehen aber angeregt werden.

Zweitens geht es um die Wahrung von Allparteilichkeit (vgl. Kleve 2007, S. 129).

Bezogen auf das Betreute Wohnen in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke

Menschen heißt dies für das Familienpflegeteam, sich nicht mit der Familie bzw. einem

Mitglied der Familie (inkl. GastbewohnerIn) gegen andere (innerhalb bzw. außerhalb

des Familiensystems) zu verbinden, sondern das Erleben der Familienmitglieder

nachzuvollziehen. Das setzt eine bestimmte Neutralität von Seiten des Betreuerteams,

37

aber auch eine spezifische Distanz zu den eigenen Realitätskonstruktionen (Hypothesen,

Ideen, Glaubenssätzen) voraus. Nur so kann die Wirklichkeitskonstruktion der

Systemmitglieder ernst genommen und wertgeschätzt werden (vgl. Mücke 2003, S. 63).

Dabei heißt Neutralität nicht kühle Distanziertheit oder keine eigene Meinung zu

haben, sondern diese nicht in doktrinärer Form einzubringen und sehr wohl eine warme,

empathische Beziehung als Grundlage für eine Kooperation aufzubauen (vgl.

Schlippe/Schweitzer 1999, S. 119). Das Kreieren eines Zustands von Neugier, der zur

Erforschung und Erfindung alternativer Sichtweisen und Bewegungen führt, die

wiederum Neugier hervor bringen, begründet eine neue Beschreibung von Neutralität

(vgl. Cecchin zit. nach Andersen 1991, S. 64 in Mücke 2003, S. 63). Neutralität ist in

der Grundform kaum praktizierbar, „da man nicht nicht bewerten kann“ (Mücke 2003,

S. 65, Herv. d. Autors). Die Allparteilichkeit des Betreuungsteams in der

Psychiatrischen Familienpflege äußert sich nicht automatisch darin, dass der/die

BetreuerIn im zeitlich ausgewogenem Maße mit den einzelnen Familienmitgliedern

spricht und sich nicht überwiegend nur einer Person zuwendet, sondern darin, dass sich

die Beteiligten in ihrer spezifischen Seins- und Erlebensweise anerkannt fühlen.

Allparteilichkeit und Neutralität sind allerdings nie vollständig realisierbar, sondern es

gibt nur Annäherungen an den Idealzustand. Das Betreuungsteam muss deswegen

immer wieder die Wirkungen seiner Verhaltensweisen und Interaktionen erfragen und

aus den Informationen der Gastfamilie/der GastbewohnerIn Orientierungen für ein

weiteres Vorgehen ableiten, um möglichst ein Gleichgewicht wieder herzustellen.

Die oben dargelegte Neutralität oder auch Neugier bezieht sich jedoch nicht nur auf

Personen und ihre Beziehungen, sie bezieht sich gleichwohl auch auf Probleme bzw.

Symptome und auf Ideen (Lösungsideen, Werthaltungen, Meinungen) (vgl.

Schlippe/Schweitzer 1999, S. 120).

Fallepisode:

Im Betreuten Wohnen in Gastfamilien ist die Triade KlientIn - Gastfamilie –

MitarbeiterIn BWF zunächst die bedeutsamste Triade, in der eine gute Kooperation

aufgebaut werden muss. Fam. B. hat seit vier Monaten einen jungen Mann

aufgenommen, der mit Eintritt in das BWF eine berufsvorbereitende Maßnahme

begonnen hat. Die Familie selbst hat acht Kinder, wovon das jüngste Kind noch zu

Hause lebt und von einer geistigen Behinderung infolge einer genetischen Erkrankung

betroffen ist. Alle anderen Kinder haben studiert bzw. befinden sich teilweise noch im

38

Studium und haben von zu Hause aus viel Wärme, handwerkliche Erfahrungen,

Erziehung zur Sparsamkeit und zu sinngebender Freizeitbetätigung mitbekommen. Die

Familie ist religiös stark gebunden, hat einen engen Zusammenhalt und unterstützt sich

gegenseitig. In der Familie wird viel musiziert und gelesen, während Freizeit-

beschäftigungen wie Fernsehen, Computerspiele sowie Internetsurfen als

Zeitverschwendung und realitätsfremde Welten angesehen werden. Die Familie hat ein

sehr traditionelles Lebenskonzept, was sich auch auf Partnerschaft und Ehe bezieht.

Der Gastvater war bis zu seiner EU-Rente in einem kirchlichen Amt tätig, wo er vor

allem für Jugendliche und Hilfsbedürftige zuständig war.

In diese Gastfamilie wurde nun o. g. junger Mann aus einem völlig anderen Milieu

vermittelt, mit einer konträren Biografie, die geprägt ist von jahrelangem Aufenthalt im

Kinderheim, einer kombinierten Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen im

Jugendalter sowie Posttraumatischer Belastungsstörung und Anpassungsstörung.

Er lehnt selbst jegliche Kontakte zu seiner Herkunftsfamilie ab.

In seiner Gastfamilie erlebt er nun erstmals einen engeren Bezugsrahmen, ein

Aufgenommensein, Sicherheit, Rhythmus im Tagesablauf, Familienregeln und

individuelle Hilfsangebote. Speziell der Gastvater hat einen hohen Ehrgeiz, hohe

Erwartungen bezüglich der Betreuung, stellt Ziele, die aus seiner Motivation für die

Aufnahme eines jungen Menschen resultieren und gerät oftmals mit seinen Methoden,

Ansichten und Haltungen in Konflikt mit dem Gastbewohner. Dieser sieht keinen

Bezug zu seinen eigenen Lebensereignissen, Lebenserfahrungen, Lebenseinstellungen

und bisherigen Bewältigungsmustern. Er zeigt wenig Hilfe im Haus, lehnt das

Unterstützungsangebot seitens der Familie für den schulischen Lernstoff ab und ist in

seiner freien Zeit ausschließlich mit Computer und Fernsehen beschäftigt. Außerdem

hat er häufig wechselnde Beziehungen mit dem anderen Geschlecht.

Der Gastvater äußert immer wieder, dass sein Ziel darin besteht, jungen Menschen auf

die Beine zu helfen, damit sie ihr Leben eigenständig bewältigen können und dass sie

den Willen haben müssen, gesund zu werden. Der Auftrag des BWF-Betreuungsteams

lautet, Gastfamilie und Gastbewohner in ihrem Zusammenleben zu begleiten und zu

unterstützen sowie eine konstruktive Kooperation unter allen Beteiligten aufzubauen

und Krisen vorzubeugen. Besonders hier kommt das Erfordernis einer systemischen und

supervisorischen Sicht des Betreuungsverhältnisses zum Ausdruck. Die Prozesse des

Beschreibens und Erklärens lassen Kausalkonstruktionen zu, die ein erweitertes

Verständnis der Familienprozesse und dementsprechende Handlungsofferten

39

ermöglichen. Das bisherige System der Gastfamilie beruhte auf einer tiefen Religiosität,

traditionellen Normen und Wertvorstellungen und dem Entwurf von familialen

Biografien mit akademischer Ausbildung für die eigenen Kinder. Plötzlich kommt mit

der Geburt des letzten Kindes und seiner geistigen Behinderung eine neue

Lebensthematik auf, die die bisherigen Erfahrungen und Erwartungen der Familie in

Frage stellen. Das kranke Kind kann diesen Erwartungen nicht entsprechen, es wird

immer Hilfe benötigen, die bisherige Normalität ist nicht mehr gegeben und ein

Loslassen von beiden Seiten so ohne weiteres nicht möglich. Das Aufgeben des

Anspruchs des Gastvaters, dass der Gastbewohner den Willen zum Gesundwerden

haben muss, kann dann erfolgen, wenn die Familie auf das achte Kind schaut und die

damit verbundene Trauer bewältigt. Die Vermischung der Vorstellungen von idealem

Kind mit Heimkind bringt den jungen Mann in eine Position, als neuntes Kind zu

funktionieren. Die Irritation mit dem achten Kind wird in dem Gastbewohner neu

aktualisiert. Er ist sozusagen als Erwachsener der „Analphabet“, einer ohne

Reifezustand, der Platz in diesem System ist für ihn eine regressive Position. Sein

Andocken vor allem an die Gastmutter, seine Suche nach dem Mütterlichen, die für ihn

emotional weitere Entfernung des Gastvaters zeigen diese Dynamik. Das Familien-

betreuungsteam muss diese Dynamik aufgreifen, in einfühlsamer Weise die Familie

auch auf ihr eigenes behindertes Kind schauen lassen und innerhalb des Paarsystems die

Bewältigung des achten Kindes anregen. Das BWF-Team kann dieser Familie den

Spiegel geben, um ihre Ziele gegenüber dem Gastbewohner anzupassen, um den

Gastbewohner zu ermächtigen, sein Leben autonom und selbst zu gestalten. Die

Gastfamilie besitzt durchaus die Ressourcen, dem Gastbewohner eine sozialisatorische

Nachreifung zu ermöglichen, sich in Schleifen zu entwickeln und eine reale Chance zu

bekommen. Dies beinhaltet auch die Möglichkeit des Erlebens einer Nähe-Distanz-

Regulierung.

Empowerment16

ist möglich, wenn der Gastbewohner als ‚Experte in eigener Sache‘

(vgl. Geislinger 1998, Miles-Paul 1992 in Röh 2009, S. 174) gesehen wird, wenn er

Möglichkeiten erhält, Erfahrung der eigenen Stärke machen zu können.

16

Empowerment zielt auf die (Wieder-)Herstellung von Selbstbestimmung über die Umstände des eigenen Alltags

(vgl. Röh 2009, S. 174).

In der psychosozialen Praxis ist es das Handlungsziel, Menschen „das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches

Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen Möglichkeitsräume aufzuschließen, in denen sie sich die

Erfahrung der eigenen Stärke aneignen und Muster solidarischer Vernetzung erproben können“ (Herriger 1997, S. 31,

zit. n. Röh 2009, S. 174).

40

Er schafft seine Realität selbst, im Austausch mit seiner Umwelt. Es liegt bei ihm,

welche Erfahrungen er sich erschafft und nur die Freiheit dazu ist die Basis der eigenen

wirklichen Erfahrung.

Die in der Triade agierenden Beteiligten können Empowermentprozesse anregen,

fördern und unterstützen. Dass dabei Handlungsziele aus der Betroffenensicht anders

aussehen als aus der Sicht der Gastfamilie, an den eigenen Bedürfnissen und

Fähigkeiten ausgerichtet sind und zu einer Autonomie und Selbstgestaltung des eigenen

Lebens führen, stellt für die Systemmitglieder im Zusammenleben eine große

Herausforderung dar. Für das BWF-Betreuungsteam heißt es zu vermitteln, dass

zunächst die unterschiedlichen Lebenskonzepte der Systemmitglieder akzeptiert

werden, dass dies von dem jeweils anderen auch die Toleranz und Kraft des Aushaltens

erfordert. Die Gastfamilie kann dem Gastbewohner nicht ihr Lebenskonzept

überstülpen, sie kann nicht ihre Realität für ihn erschaffen. Sie kann aber als

Funktionssystem und mit dem Gastbewohner als Systemmitglied ihm eine Nische

geben, in der er seine Lebensoptionen auswählen, eigenverantwortete Entscheidungen

für sich treffen, sich belastenden Lebensproblemen aktiv stellen und Erfahrungen in

Selbst-, Sozial und Umweltbeziehungen in diesem Setting sammeln kann. Andererseits

bewirkt die Autopoiesis der Gastfamilie als traditionelles, tief verwurzeltes

Familiensystem auch den Erhalt und Schutz ihres eigenen Wertesystems. Um

konstruktiv mit dem Familiensystem interagieren zu können, sind diese Autopoiesis und

die damit verbundenen Dynamiken zunächst erst einmal anzuerkennen (vgl. Kleve

2007, S. 121). Das BWF-Betreuungsteam kann aber systemisch betrachtet

Veränderungsprozesse durch bestimmte Methoden anregen (Gesprächsführung,

Hypothesenbildung, Verstörung und Irritationen, systemische Fragen – darunter

zirkuläre, Reframing, Problem- und Lösungsszenarien, Handlungsvorschläge etc.).

Schon die kommunikative Konfrontation mit der Systembeobachtung durch die BWF-

Betreuungsperson kann auf die Beteiligten irritierend wirken und Veränderungsprozesse

im Denk- und Verhaltensmuster konstruktiv in Gang setzen (ebd., S. 121). Im System

der Gastfamilie B. und ihrem Gastbewohner bedeutet das, zunächst Prozesse anzuregen,

die das herkömmliche Bild von einem psychisch kranken Menschen relativieren, die

diesen Gesundungsanspruch und den Erwartungsdruck an den Gastbewohner umlenken

in ein Verständnis und Akzeptanz seiner Lebenssituation und die ihm Unterstützung

bringen, seine Lebensbiografie nach seinen eigenen Möglichkeiten und Bedürfnissen zu

gestalten. In systemischer Wechselbeziehung lernt auch der Gastbewohner innerhalb

41

und außerhalb der Gastfamilie sein Sozialverhalten zu steuern und hat den Rückhalt und

die Sicherheit der Familie, vor allem auch bezüglich der Wechselverhältnisse mit seiner

Umwelt (Ausbildungsstätte, Behörden, Netzwerk etc.). Dieses Üb- und Erprobungsfeld

im Schutzraum der Familie kann ihm neue Handlungs- und Wahloptionen für eigene

Identifikationen eröffnen. Für ihn heißt das in erster Linie, seine Ausbildung erfolgreich

zu beenden und ein selbständiges Leben zu führen.

Für alle Beteiligten ist die triadische Beziehung und Konstellation immer auch eine

Herausforderung in Richtung sozialer und kommunikativer Kompetenz. Für das BWF-

Betreuungsteam ist es vor allem auch wichtig, die Entstehung triadischer

Verwicklungen frühzeitig zu erkennen und zu intervenieren. Da triadischen

Verwicklungen meistens ungelöste Konflikte zwischen zwei beteiligten Personen

und/oder Subsystemen zu Grunde liegen, gilt es vom Helfersystem aus frühzeitig mit

dem Konfliktmanagement als wichtigste Intervention zu beginnen. Doch auch

professionelle Helfer sind nicht immer gefeit, selbst Teil einer triadischen Verwicklung

zu werden. Hier kann es hilfreich sein, sich kollegiale Beratung z. B. durch den Co-

Betreuer oder Supervision zu holen.

Um eine konstruktive systemische Wechselbeziehung zwischen dem professionellen

Helfersystem und dem Familiensystem im BWF aufzubauen, sind modifiziert auch die

weiteren Standards nach Michael Biene (vgl. Kleve 2007, S. 129 f.) wie Beachtung von

Nein-Reaktionen der Systemmitglieder (beispielsweise bei der Unterbreitung eines

Unterstützungsangebotes) hilfreich. Die Verantwortung für diese Abwehr ist zuerst

durch das BWF-Team mit der Frage zu suchen, was den Widerstand des anderen

bewirkt haben könnte. Auch Gastfamilien können die Hilfe des BWF-Teams bei der

Klärung von Problemen mit dem/der GastbewohnerIn ablehnen, wenn sie sich

beispielsweise in ihren Kompetenzen übergangen, nicht anerkannt, bevormundet und

besserwisserisch behandelt fühlen. Das erfordert immer auch eine Reflexion und eigene

Haltungsarbeit beim professionellen Team. Ein weiterer Gesichtspunkt besteht darin,

klare, kurze und transparente Erklärungen der eigenen Rolle in Bezug auf die Familie

und den/die GastbewohnerIn abzugeben und dabei den Fokus auf die genannten

Probleme der Systemmitglieder zu richten. Eine Kooperation entsteht dort, wo der Wille

zu Veränderungen an der Stelle angesprochen werden kann, wo auch die dazu nötige

Energie vorhanden ist (vgl. ebd.).

42

4.3 Systemische Metaprinzipien und Grundannahmen – bezogen auf Betreutes

Wohnen in Gastfamilien

Die folgenden Metaprinzipien und Grundannahmen zum Systemerhalt und zur

konstruktiven Systementwicklung (vgl. Varga von Kibéd/Sparrer 2005, S. 181 ff. in

Kleve 2007, S. 143) können abgewandelt und angepasst auf das Betreute Wohnen in

Gastfamilien dazu dienen, dass eine gelingende Kooperation zwischen sozialen

Systemen wie Gastfamilie – GastbewohnerIn – Familienpflegeteam stattfinden kann.

Das erste Metaprinzip lautet: Das Gegebene anerkennen! Hier zeigt sich die

Anerkennung dessen, was ist und was sich in der Wahrnehmung als real erweist. Das

bedeutet Vorurteile, vorgefertigte Meinungen und Interpretationen abzulegen,

weitestgehend bewertungsfrei die Erscheinungen zu betrachten und ihnen nicht schon

einen vermeintlich unverrückbaren Stempel aufzudrücken. Vor allem das

Familienpflegeteam sollte immer wieder offen sein, das Verhalten des Gastbewohners

oder der Gastbewohnerin neu zu hinterfragen und anzuschauen und nicht anhand von im

Vorfeld eingeholtem Wissen über ihn/sie in festgefahrene Meinungen zu verfallen.

Das zweite Metaprinzip betrifft die Beachtung der nachfolgenden vier Grundannahmen

in ihrer aufgeführten Reihenfolge.

Die erste Grundannahme beinhaltet das Prinzip der Zugehörigkeitsregelung bzw. der

Systemmitgliedschaft: Jedes Systemmitglied hat das gleiche Recht auf Zugehörigkeit.

Die im System enthaltenen Mitgliedschaften sind auch bei unterschiedlichem Ursprung

und Herkunft gleichrangig zu behandeln und haben alle das gleiche Recht, einbezogen

zu werden. Das schließt auch ein, dass sie anerkannt und geachtet werden. Probleme

und Symptomatiken im System könnten anzeigen, dass Systemmitglieder

ausgeschlossen oder abgewertet werden. Dies zu hinterfragen und auch hier das

Gegebene anzuerkennen, muss auf dieser Stufe zunächst reflektiert werden.

Mitgliedschaften in Systemen, die nicht durch die Geburt geregelt sind und sich damit

nicht von selbst verstehen, bedürfen der Vereinbarung klarer Regeln und der

Transparenz, wo Inklusion (Mitgliedschaft im System) beginnt und wo Exklusion

(Austritt bzw. Ausschluss aus dem System) anfängt (vgl. Kleve 2007, S.146 f.).

GastbewohnerInnen, die in die „zweite Familie“ integriert werden, haben also das

gleiche Recht auf Anerkennung, Gehör, Einbezogensein, Teilhabe am Leben der

43

Familie wie die anderen Familienmitglieder. Das Familienbetreuungsteam, welches die

Beteiligten im Zusammenleben unterstützt, kann auch nur konstruktiv arbeiten, wenn es

von den anderen Systemmitgliedern anerkannt, einbezogen und in das System

eingelassen wird. Dabei muss das Team dem System so ähnlich sein, dass es die

Grenzwächter des Systems einlassen, aber wiederum so unähnlich, dass es im System

Veränderungsprozesse anschieben bzw. anregen kann. Der Gefahr, dass es, je länger es

dem System zugehört, ihm immer ähnlicher wird und dadurch seine

Veränderungstendenz verliert, kann durch Co-Betreuung, Supervision, permanente

Reflexion oder auch bewussten Wechsel der professionellen Betreuungsperson

entgegengewirkt werden. Entscheidend ist, dass die Gastfamilie, der/die

GastbewohnerIn und das Familienpflegeteam als Kooperationspartner das Gefühl

gewinnen, dass sie füreinander wichtig sind. Dazu gehört, dass bei allen wichtigen

Entscheidungen, die sie betreffen, im Vorfeld Partizipationsprozesse aller Beteiligten

stattgefunden haben und dass eine gelingende Kooperation nur erfolgen kann, wenn

sich alle auf gleicher Augenhöhe begegnen. Der vollständige und gleichrangige

Einbezug der System- und Kooperationspartner stellt damit eine wichtige erste

Grundannahme dar. Ihre Beachtung vermeidet bezogen auf Prozesse, die für sie von

Bedeutung sind, das Übergangenwerden und den Ausschluss von Mitgliedern.

Die zweite Grundannahme umfasst das Systemwachstum, also das Hinzukommen von

Systemmitgliedern. Hierbei ist die direkte zeitliche Reihenfolge der Mitgliedschaften zu

beachten. Diese Regel greift vor allem bezüglich der Mitgliedschaften von

GastbewohnerInnen in Gastfamilien und dem Hinzukommen von professionellen

Betreuungskräften in dieses Beziehungssystem. In dieser Betrachtung wird außen

vorgelassen, dass auch der Kostenträger, die Herkunftsfamilie des Gastes, evtl. die

Werkstatt für behinderte Menschen u. a. Netzwerkpartner ebenfalls eine

Systembeziehung und ein Systemwachstum verkörpern können. Ein System kann vor

allem dann konstruktiv weiter wachsen, wenn die später zum System hinzu

gekommenen Mitglieder beachten, dass das System bereits aus Mitgliedern besteht, die

vor ihnen da waren. Hier darf es nicht zu einer Verdrängung der bisherigen Mitglieder

aus ihren Positionen kommen, das würde sofort zu Konflikten und Gegenreaktionen

führen. Auch die im System bisher vollzogenen Muster und Regeln können nicht

einfach durch hinzugekommene neue Mitglieder ignoriert oder verworfen werden, denn

sie haben bislang die Autopoiesis des Systems bewirkt. Diese Tatsachen sind ebenfalls

44

von den GastbewohnerInnen und dem Familienpflegeteam zunächst anzuerkennen und

es gilt gemeinsam auszuhandeln, welche Leistungen und Voraussetzungen die neuen

Mitglieder einbringen bzw. mitbringen müssen. Transparenz und Auftragsklärung sind

dabei hilfreiche Stützen. Die Rechte und Positionen der Familienmitglieder, die sich

über jahrelanges Zusammenleben, Aufwachsen und Blutsverwandtschaft herausgebildet

haben, können nicht von neuen Systemmitgliedern eingefordert werden. Hier muss sich

zeitlich, emotional und rollenmäßig ein neues Beziehungssystem herausbilden, was die

zeitliche Reihenfolge der anderen im System berücksichtigt, würdigt und akzeptiert

(vgl. ebd., S. 147 f.).

Die dritte Grundannahme beinhaltet die Beachtung der indirekten zeitlichen

Reihenfolge der Mitgliedschaftspräferenz bei Systemfortpflanzung, d. h. bei

Herausbildung neuer Systeme aus dem „alten“. Für ein neues System besteht nur eine

Chance, sich als System zu stabilisieren, wenn es durch das ältere System, aus dem es

hervorgegangen ist, genügend räumliche und zeitliche Freiräume zur Entwicklung

bekommt. Soll eine gelingende Kooperation z. B. zwischen Gastfamilie –

GastbewohnerIn – Familienpflegeteam – Kostenträger gestaltet werden, muss dem neu

entstandenen System, was sozusagen als Kooperationssystem zwischen den Partnern

entsteht, ausreichend Entfaltungsraum und -zeit zuerkannt werden. Bei auftretenden

Konflikten im Kooperationssystem zwischen den Partnern kann gefragt werden, ob die

Herkunftssysteme dem Kooperationssystem genügend zeitliche und räumliche

Ressourcen zur Etablierung und Verfestigung seiner Mitgliedschaften und Bindungen

sowie zu seiner Entfaltung eingeräumt haben. Für ein gelingendes Familienpflege-

verhältnis müssen alle Beteiligten in den neu entstandenen Kooperationsprozess

investieren, müssen die Grenzen, Raum- und Zeitansprüche des neueren Systems (der

Kooperationsbeziehung) durch das ältere anerkannt werden (vgl. ebd., S. 148 f.).

Die vierte Grundannahme zielt auf die Individuation, auf die Beachtung der Leistungen

und Fähigkeiten der Systemmitglieder. Damit ist die Wertschätzung und Förderung der

individuellen Leistungen und Fähigkeiten der Systemmitglieder gemeint, damit sich

Systeme konstruktiv entwickeln und stabilisieren können. Die Würdigung der je nach

Fähigkeiten eingebrachten Leistungen von Systemmitgliedern kann auch die Motivation

der anderen Systemmitglieder steigern, sich ihren Möglichkeiten entsprechend in den

Prozess mit einzubringen.

45

Die Hierarchie dieser vier Grundannahmen ist unbedingt zu beachten, da sie „für die

Herstellung einer heilsamen Ordnung (…) in der Reihenfolge 1.-4. (gelten)“ (Varga von

Kibéd/Sparrer 2005, S. 181, zit. n. Kleve 2007, S. 146).

Das dritte Metaprinzip hat den Ausgleich von Geben und Nehmen (als Austausch,

Rückgabe oder Weitergabe) zwischen den Systemmitgliedern zum Inhalt, was einen

maßgeblichen Einflussfaktor hinsichtlich der gegenseitigen Bindungen darstellt.

Soziale Beziehungen sind immer Beziehungen der Gegenseitigkeit oder

Wechselwirkung. Wird innerhalb einer sozialen Beziehung, eines sozialen Systems

etwas gegeben, erwirbt der Gebende eine Art Anspruchsberechtigung, auch etwas

zurück zu bekommen. Eine Form ist beispielsweise der Austausch, also die Gabe und

Rückgabe. Kommt es zu einem vollständigen Ausgleich, ist die soziale Beziehung

damit beendet. Wird jedoch permanent eine Differenz zwischen Gabe und Rückgabe

aufrecht erhalten bzw. erneut hergestellt, wird also gegeben und so zurück gegeben,

dass Anspruchsberechtigungen erneut entstehen, erfolgt niemals ein vollständiger

Ausgleich. Durch diese Differenz leben und entwickeln sich soziale Beziehungen,

dadurch kommt es zur Beziehungsentwicklung bzw. -dynamik innerhalb sozialer

Systeme (vgl. Kleve 2007, S. 150 f.). Innerhalb der Beziehungen zwischen den

Akteuren des Betreuten Wohnens in Gastfamilien spielen auch immer wieder

angemessene Formen des Wechsels von Geben, Nehmen und Zurückgeben eine Rolle

für eine gelingende Zusammenarbeit und für ein gelingendes Familienpflegeverhältnis.

Diese Metaprinzipien und Grundannahmen sind nicht starr aufzufassen, sondern können

kurativ und als Reflexionsgrundlage in der Betreuung der Familienpflegeverhältnisse

benutzt werden.

46

5 Fazit

Die vorliegende Bachelorarbeit beschäftigte sich mit der systemischen Betrachtung der

Betreuung der Familienpflegeverhältnisse innerhalb der ambulanten Wohnform

„Betreutes Wohnen in Gastfamilien für chronisch psychisch kranke Menschen“. Diese

Wohn- und Lebensform weist Besonderheiten auf, die in einer systemischen

Betrachtung der Betreuung berücksichtigt werden müssen. Durch eine systemische

Sicht auf die psychiatrische Familienpflege eröffnet sich ein erweitertes Verständnis für

sinnhafte sozialarbeiterische Handlungsweisen.

Wie solch eine Betrachtungs- und Arbeitsweise zu einem gelingenden

Familienpflegeverhältnis beitragen kann, wurde in dieser Arbeit anhand systemischer

Standards, Grundprinzipien systemtheoretischer Beschreibungen und Annahmen,

Metaprinzipien und Grundannahmen, die auf dieses spezielle Arbeitsfeld angewandt

wurden, dargelegt.

Das erforderte zunächst eine Zugrundelegung theoretischer Systemansätze und

systemtheoretischer Reflexionen, die dann auf die Arbeit und Kooperation mit den

GastbewohnerInnen und Gastfamilien empirisch und methodisch bezogen wurden.

Damit sollten Anregungen, erweiterte und multiperspektivische Sichten für die

familienbezogene Arbeit im BWF gegeben werden. Die Notwendigkeit des Aufbaus

solch einer Wohn- und Lebensform für erwachsene behinderte Menschen, die noch

nicht in allen Bundesländern etabliert ist, widerspiegelt sich in den vielfältig gemachten

Ausführungen. Das Anliegen der Arbeit bestand vor allem darin, das Projekt im

Freistaat Sachsen weiter voran zu bringen und dem eigenen sowie anderen Teams

Anregungen für die Familienpflege, Beziehungsarbeit und -gestaltung zu geben.

Eine konstruktive Arbeit mit Gastfamilien und GastbewohnerInnen kann nur erfolgen,

wenn die Autonomie der Verhaltensweisen der jeweiligen Systemmitglieder ernst

genommen wird, ein wertschätzender, empathischer und kongruenter Umgang mit ihnen

erfolgt. Von professioneller Seite verlangt das zugleich ein Abrücken von

professioneller Besserwisserei, von vermeintlich überlegenen Positionen, von

Bevormundung und Verhaltensanweisungen an die Hilfe- und Unterstützungs-

empfänger.

47

Familiensysteme können nicht fremddeterminiert werden. Bestenfalls kann ihr

Kommunikations- und Beziehungssystem von der Umwelt durch systemische

Interventionsmethoden angeregt werden, was zu möglicher Veränderung der

Kommunikation im System führen kann.

Die Familie als besonderes Sozialsystem mit hoher Bindungs- und sozialisatorischer

Kraft erfüllt auch im Zusammenleben mit dem/der GastbewohnerIn Funktionen, die von

keinem professionellen System kompensiert, die aber unterstützt und gestärkt werden

können. Sowohl GastbewohnerInnen als auch Gastfamilien sind als ExpertenInnen in

eigener Sache zu betrachten. Das Zusammenspiel beider kann von den Fachkräften über

eine supervisorische Begleitung der Familienpflegeverhältnisse betreut werden. Eine

veränderungsinitiierende Wirkung erfolgt dabei nur über die familiäre Kommunikation.

Das professionelle Team kann beiden Seiten nicht vorschreiben, wie das

Zusammenleben am besten stattzufinden hat, es kann aber beide Seiten unterstützen

herauszufinden, wie dies gut gelingen kann.

Die Rolle der BWF-MitarbeiterInnen erfährt in dieser Arbeit eine Bedeutung, die auf

die systemische Sicht ausgerichtet ist. Für das Zustandekommen eines

Kooperationsmusters ist vor allem die Arbeit an der eigenen Haltung von Wichtigkeit.

Glaubwürdige Interaktionen ergeben sich nur aus einer genauen Betrachtung der

Beziehungsdynamiken, aus einem systemisch erweiterten Blick auf die Familienpflege,

aus gemeinsamen Zielbestimmungen und aus der paritätischen Einbeziehung aller am

Prozess beteiligten PartnerInnen. Die Familienpflegeteams haben dabei vorrangig eine

Coaching-Funktion als die Funktion von Experten.

Diese Arbeit stellt eine Orientierungsmöglichkeit für Handlungen und Sichtweisen im

Auftragsbündnis von Familienpflegeteam – GastbewohnerIn – Gastfamilie dar. Sie soll

gleichzeitig mehr Sicherheit im Umgang mit den komplexen Betreuungsverhältnissen in

der psychiatrischen Familienpflege geben und systemtheoretisches Denken für die

Beobachtung der eigenen Handlungen und Gedanken anregen.

Ein fortführender Wissens- und Erfahrungsaustausch in Hinsicht auf systemische

Arbeitsbeziehungen, der auch die Kostenträger als komplexe Systeme inkludiert, unter

Beachtung sich verändernder politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer

Bedingungen, kann für das „Betreute Wohnen in Gastfamilien für chronisch psychisch

kranke Menschen“ Wege aufweisen, die diesen Prozess weiter erfolgreich gestalten und

ausbauen. Dies soll auf obiger Grundlage in den nächsten Arbeitsschritten erfolgen.

48

A N L A G E N

49

Anlage 1

Statistisches Bundesamt, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, 2008

Schaubild 1, S. 5

50

Anlage 2

Statistisches Bundesamt, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, 2008

Tabelle 3, S. 14

51

Anlage 3

Statistisches Bundesamt, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, 2008

Tabellenanhang, Tabelle L 3

52

Anlage 4

Statistisches Bundesamt, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, 2008

Schaubild 8, S. 17

53

Anlage 5

Auszug aus der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Zwischen Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz abgestimmte

Übersetzung

Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Artikel 19

Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft

Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller

Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen

in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um

Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle

Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern,

indem sie unter anderem gewährleisten, dass

a) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren

Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht

verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben;

b) Menschen mit Behinderungen Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen

Unterstützungsdiensten zu Hause und in Einrichtungen sowie zu sonstigen

gemeindenahen Unterstützungsdiensten haben, einschließlich der persönlichen

Assistenz, die zur Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung

in die Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der

Gemeinschaft notwendig ist;

c) gemeindenahe Dienstleistungen und Einrichtungen für die Allgemeinheit Menschen

mit Behinderungen auf der Grundlage der Gleichberechtigung zur Verfügung stehen

und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): UN-Konvention über die Rechte

von Menschen mit Behinderungen

http://www.bmas.de/portal/2888/property=pdf/uebereinkommen__ueber__die__rechte_

_behinderter__menschen.pdf

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Erklärung

Ich erkläre, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter Verwendung der

angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt habe.

Chemnitz, den 12.01.2011