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3 Toleranzlehre In allen Bereichen des täglichen Lebens werden wir ständig bewusst oder unbewusst mit To- leranzen konfrontiert. So liegt im Stromnetz eine Nennspannung von 220 V an, welche aber real nicht exakt 220 V ist sondern in einem vorgegebenen Grenzbereich schwankt. Mit dem PKW müssen wir zur Abgasuntersuchung um zu kontrollieren ob unser Fahrzeug die festge- legten Abgasgrenzwerte erfüllt. In beiden Fällen würde bei Überschreiten der Toleranzwerte eine Konsequenz erfahrbar werden. Durch Überspannungen würden elektrische Geräte zer- stört und zu hohe Abgaswerte führen zum Verlust der Betriebserlaubnis, da die Umwelt über das erlaubte Maß belastet wird. Beide Zustände wirken sich nachteilig auf unser Leben aus, weshalb wir wünschen, dass sie nicht auftreten. Hieraus könnte die Forderung resultieren die Stromspannung mit exakt 220V bereitzustellen oder die Abgaswerte auf exakte Größen einzu- stellen. Wir hätten keine Schäden zu befürchten und müssten nicht kostenpflichtig zur Abgas- untersuchung – also hätten maximalen Nutzen als Verbraucher. Zwei Aspekte stehen diesen Forderungen entgegen. Es dürfte nur sehr schwierig machbar sein Stromspannung und Ab- gaswerte mit exakten Größen zu erzeugen, da Umwelteinflüsse und äußere Bedingungen so- wie die Genauigkeit der erzeugenden Anlagen und Eingangsgrößen nicht genau definiert wer- den können. Des weiteren würde eine entsprechende Genauigkeit die Kosten der Herstellung und Bereitstellung stark steigen lassen. Die Kosten eines Produktes und die Genauigkeit, also die festgelegten Toleranzen, stehen in direktem Zusammenhang. In der Technik werden die geometrischen Toleranzen und die Toleranzen physikalischer, chemischer und anderer Eigenschaften unterschieden. Der Maschinenbau ist hierbei sehr stark von den geometrischen Toleranzen abhängig, weshalb man wenn man von Toleranzen spricht eben diese geometrischen Toleranzen meint. Einteilung Toleranzen Einheitswelle Einheitsbohrung Passungssyteme Allgemeintoleranzen Maßtoleranzen Kreisform Zylinderform ... Formtoleranzen Symmetrie Parallelität ... Lagetoleranzen Form- & Lagetoleranzen Formabweichung Welligkeit Rauheit Gitterstruktur Oberflächenrauheit Toleranzen Bild 1: Einteilung der Toleranzen

Toleranzlehre - fst-intranet.de · nach ISO 2768-2 wählen, da diese Toleranzwerte mit den herkömmlichen Fertigungsverfah-ren ohne Probleme zu realisieren sind

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3 Toleranzlehre In allen Bereichen des täglichen Lebens werden wir ständig bewusst oder unbewusst mit To-leranzen konfrontiert. So liegt im Stromnetz eine Nennspannung von 220 V an, welche aber real nicht exakt 220 V ist sondern in einem vorgegebenen Grenzbereich schwankt. Mit dem PKW müssen wir zur Abgasuntersuchung um zu kontrollieren ob unser Fahrzeug die festge-legten Abgasgrenzwerte erfüllt. In beiden Fällen würde bei Überschreiten der Toleranzwerte eine Konsequenz erfahrbar werden. Durch Überspannungen würden elektrische Geräte zer-stört und zu hohe Abgaswerte führen zum Verlust der Betriebserlaubnis, da die Umwelt über das erlaubte Maß belastet wird. Beide Zustände wirken sich nachteilig auf unser Leben aus, weshalb wir wünschen, dass sie nicht auftreten. Hieraus könnte die Forderung resultieren die Stromspannung mit exakt 220V bereitzustellen oder die Abgaswerte auf exakte Größen einzu-stellen. Wir hätten keine Schäden zu befürchten und müssten nicht kostenpflichtig zur Abgas-untersuchung – also hätten maximalen Nutzen als Verbraucher. Zwei Aspekte stehen diesen Forderungen entgegen. Es dürfte nur sehr schwierig machbar sein Stromspannung und Ab-gaswerte mit exakten Größen zu erzeugen, da Umwelteinflüsse und äußere Bedingungen so-wie die Genauigkeit der erzeugenden Anlagen und Eingangsgrößen nicht genau definiert wer-den können. Des weiteren würde eine entsprechende Genauigkeit die Kosten der Herstellung und Bereitstellung stark steigen lassen. Die Kosten eines Produktes und die Genauigkeit, also die festgelegten Toleranzen, stehen in direktem Zusammenhang. In der Technik werden die geometrischen Toleranzen und die Toleranzen physikalischer, chemischer und anderer Eigenschaften unterschieden. Der Maschinenbau ist hierbei sehr stark von den geometrischen Toleranzen abhängig, weshalb man wenn man von Toleranzen spricht eben diese geometrischen Toleranzen meint.

Einteilung Toleranzen

Einheitswelle

Einheitsbohrung

Passungssyteme

Allgemeintoleranzen

Maßtoleranzen

Kreisform

Zylinderform

...

Formtoleranzen

Symmetrie

Parallelität

...

Lagetoleranzen

Form- & Lagetoleranzen

Formabweichung

Welligkeit

Rauheit

Gitterstruktur

Oberflächenrauheit

Toleranzen

Bild 1: Einteilung der Toleranzen

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3.1 Maßtoleranzen Alle für die Fertigung eines Werkstückes gegebenen Maße einer technischen Zeichnung wer-den nach der Fertigung Abweichungen aufweisen. Diese Abweichungen sind abhängig von der Fertigung selber, also den verwendeten Maschinen und Anlagen nebst der eingesetzten Werkzeuge. Weitere Einflussgrößen (vorhandene Spannungen, elastische Eigenschaften, etc.) sind vom Material des Werkstücks bedingt. Eine weitere Gruppe sind äußere Einflüsse wie zum Beispiel die Temperaturdifferenz zwischen Bearbeitung und späterem Einsatzbereich. Da somit keine exakte Definition der Maße möglich ist werden Sie mit Toleranzangaben verse-hen, also einem entsprechenden Bereich in welchem die auftretenden Abweichungen zugelas-sen sind. Die festgelegten Grenzmaße des Toleranzbereiches sind abhängig vom späteren Ein-satz des Werkstückes und gewährleisten selbigen. Je genauer bzw. je enger die Toleranzen gesetzt sind, um so aufwendiger wird die Fertigung und somit steigen die Kosten. Deshalb sollte bei der Festlegung der Toleranzen der Grundsatz gelten: „So genau wie nötig - nicht so genau wie möglich!“. Höhere Genauigkeiten als die geforderten werden den Kunden freuen, aber er wird nur die geforderte Genauigkeit bezahlen. Für die Angabe von Toleranzen besteht grundsätzlich Formfreiheit. Da aber die Übersicht-lichkeit der technischen Dokumente durch allzu freie Auswahl und Angabeformen verloren geht, sind in entsprechenden DIN- und ISO-Normen die Toleranzauswahl und die Form der Toleranzangabe geregelt. Grundsätzlich gibt es folgende drei Möglichkeiten der Auswahl von maßlichen Toleranzen:

• freie Wahl mit Angabe der Toleranzwerte am Nennwert des Maßes • Verwendung von allgemeinen Toleranzen nach DIN ISO 2768 • Verwendung des ISO-Systems für Grenzmaße und Passungen nach DIN ISO 286

Allgemeintoleranzen nach DIN ISO 2768-1 Die in der DIN ISO 2768-1 angegebenen Toleranzwerte gelten ausschließlich für Neukon-struktionen von Bauteilen. Allgemeintoleranzen nach DIN 7168 hingegen sind für nicht Neu-konstruktionen zu verwenden. Es ist weiterhin zu beachten, dass diese Normen für die spa-nende und umformende Fertigung gelten. Für Schweißkonstruktionen (DIN 8570) und Stahl-guss (DIN1683) sowie Gusseisen (DIN 1686) gelten jeweils andere Toleranzwerte. Die Viel-zahl der gültigen Normen resultiert aus den Möglichkeiten der Fertigung und beachtet die Fertigungsverfahren hinsichtlich ihrer Genauigkeit. Die Verwendung der Allgemeintoleranzen folgt jedoch immer einem allgemeinen Schema. Einem bestimmten Nennmaßbereich sind feste Toleranzwerte zugeordnet. Diese Toleranzwer-te sind symmetrisch ausgelegt, so dass nach oben und unten jeweils gleiche Abmaße vorhan-den sind. Um unterschiedliche Stufungen der Genauigkeit zu ermöglichen gibt es verschiede-ne Toleranzklassen und Genauigkeitsgrade welche je nach Fertigungsverfahren und Einsatz-bereich ausgewählt werden können. Die Kombination der Nennmaßbereiche und Genauig-keitsstufen erfolgt in Tabellen, welche in jedwedem Tabellenbuch des Maschinenbaus abge-druckt sind. Nachfolgend ist eine Tabelle der Allgemeintoleranzen als Auszug dargestellt. Die Angabe der jeweiligen Toleranzwerte erfolgt nicht am Nennmaß sondern in allgemeiner Form im Schriftfeld der technischen Zeichnung. Hierfür ist ein Feld Abmaße vorgesehen, in welchem die gültige Norm eingetragen wird. Steht hier beispielsweise ISO 2768-m bedeutet dieses: alle nicht näher gekennzeichneten Nennmaße der technischen Zeichnung werden nach DIN ISO 2768 Toleranzklasse m toleriert. Somit müssen nur die Nennmaße gesondert ge-kennzeichnet werden, welche höhere Genauigkeiten bzw. engere Toleranzgrenzen benötigen. Die Auswahl der Toleranzklasse sollte so erfolgen, dass mit dem verwendeten Fertigungsver-fahren die Toleranzwerte auch ohne Probleme erreicht werden können.

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ISO-System für Grenzabmaße & Passungen Werden zwei Teile zusammengebaut entstehen sogenannte Passungen. Damit aber ein Zu-sammenbau möglich ist muss eine Welle auch in die dafür vorgesehene Bohrung „passen“. Die verschiedensten Möglichkeiten des Zusammenbaus ergaben drei wesentliche Arten von Passungen:

• Spielpassung (eine Bewegung der Bauteile gegeneinander ist immer möglich) • Übermaßpassung (eine Bewegung der Bauteile gegeneinander ist nicht möglich) • Übergangspassung (es kann sowohl Spiel- als auch Übermaßpassung entstehen)

Welche der möglichen Passungsarten gewählt wird ist von der Funktion und dem Einsatzge-biet abhängig. Wesentlich hierbei ist jedoch, dass die symmetrische Toleranzangabe aus den Allgemeintoleranzen nicht verwendbar ist. Die Nennmaße der Bauteile einer Passung sind gleich, weshalb bei Anwendung von ISO 2768 immer eine Übergangspassung entstehen wür-de, bei der keine Aussage zu treffen wäre ob Spiel oder Übermaß vorliegt. Die Toleranzwerte ISO 2768 sind außerdem zu groß. Ergebnis sind Grenzabmaße nach dem System Einheitswel-le oder Einheitsbohrung welche aus den Passungsarten entstanden sind. Die Ermittlung der Grenzabmaße aus Tabellen bzw. durch Berechnung über Grundabmaße und IT-Qualitäten müsste grundlegend bekannt sein, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird. Auch hierzu sind in jedwedem Tabellenbuch die Grundlagen dargestellt und die wesentlichen Ta-bellenwerte aufgeführt. Die Angabe der Toleranzwerte erfolgt direkt am Nennmaß durch Angabe einer Buchsta-ben/Zahlenkombination, aus welcher die Grenzabmaße abgeleitet werden können. Die Aus-wahl der Toleranzwerte richtet sich hierbei nach entsprechenden Richtlinien, wonach be-stimmte Kombinationen zu bevorzugen sind. Ursache hierfür ist das Vorhandensein von ent-sprechenden Prüfmitteln. Jede Toleranzangabe bedarf für jeden Nennwert eines entsprechen-den Prüfmittels (Grenzlehrdorn oder Grenzrachenlehre), welches nur für dieses eine Nennmaß verwendbar ist. Die Verwendung von Messgeräten ist aufgrund der Genauigkeiten und Tole-ranzwerte im 1/1000-Bereich zu aufwendig. Grundsätzlich gilt auch hier freie Wahl der Tole-ranzwerte.

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Freie Auswahl der Toleranzwerte Eine freie Auswahl von Toleranzwerten setzt voraus, dass man die späteren Einsatzbedingun-gen des Bauteils kennt, oder dass keine besonderen Anforderungen entstehen. Die freie Aus-wahl von Toleranzwerten erfolgt meistens dann, wenn durch Toleranzwerte nach ISO 2768 nicht gewollte Zwangszustände entstehen. Es handelt sich eigentlich nicht um eine „freie“ Auswahl sondern um zwingende Veränderungen um die Funktion zu gewährleisten. Die hier-für notwendigen Toleranzuntersuchungen werden in einem späteren Abschnitt behandelt. Die Eintragung der Toleranzwerte erfolgt durch Angabe von oberem und unterem Abmaß direkt am zu tolerierenden Nennmaß in der technischen Zeichnung. 3.2 Form- & Lagetoleranzen Toleranzen der Form & Lage ergänzen die maßlichen Toleranzen wesentlich. Die Einhaltung der maßlichen Toleranz beinhaltet noch lange nicht, dass ein Werkstück exakt ist. Maße und Formen stehen nicht zwingend in einem direkten Zusammenhang, so dass die maßliche Prü-fung das Werkstück als „Gut“ einordnet aber die Überprüfung der Form das Ergebnis „Aus-schuss“ liefern kann. Toleranzen der Form & Lage spielen hauptsächlich dann eine Rolle, wenn verschiedene Bauteile in einer Baugruppe gemeinsam eine bestimmte Funktion erfüllen müssen, also ihre Form und die Lage zueinander über die Funktionssicherheit entscheiden. Für die Auswahl der Form- & Lagetoleranzen sind ebenfalls verschiedene Möglichkeiten vor-handen:

• freie Auswahl und Eintragung an dem zu tolerierenden Element • Verwendung von Allgemeintoleranzen nach DIN ISO 2768

Allgemeintoleranzen nach DIN ISO 2768-2 In Analogie der ISO 2768-1 sind hier in gleicher Weise Nennmaßbereiche und Genauigkeits-grade bzw. Toleranzklassen festgelegt. Die Angabe erfolgt ebenfalls im Schriftfeld durch An-gabe der Toleranzklasse. So bedeutet ISO 2768-mK: Längenmaße werden nach ISO 2768-1 Toleranzklasse m und Form & Lage nach ISO 2768-2 Toleranzklasse K toleriert.

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Freie Auswahl Besonders für die Toleranzen der Form- & Lage besteht die „freie“ Auswahl in der Analyse der Einsatzbedingungen und der späteren Funktion, aus welchen sich die notwendigen Tole-ranzwerte ableiten. Sind keine besonderen Anforderungen gestellt wird man die Toleranzen nach ISO 2768-2 wählen, da diese Toleranzwerte mit den herkömmlichen Fertigungsverfah-ren ohne Probleme zu realisieren sind. Die möglichen Toleranzen der Form & Lage sind in der DIN ISO 1101 wiederum in den Tabellenbüchern dargestellt. Die ISO 1101 enthält eben-falls die geltenden Vorschriften zur Eintragung der Toleranzen an die tolerierten Elemente. Die Vielzahl der vorhandenen Form- & Lagetoleranzen zeigt, dass die ausführliche Betrach-tung ein eigenständiges Kapitel darstellt. Hierfür ist eine Vielzahl von Fachliteratur vorhan-den, welche den Bereich Toleranzen der Form & Lage abdeckt. Die Beachtung in einigen Übungsbeispielen soll zum Verständnis beitragen 3.3 Oberflächenrauheit Die Oberflächenrauheit ist ein Teil der sogenannten Gestaltabweichungen (siehe Bild). Die Rauheit spielt deshalb eine entscheidende Rolle, weil sie durch die einzelnen Fer-tigungsverfahren bzw. die Bearbeitungsschritte beeinflusst werden kann. Alle größeren Ab-weichungen (Welligkeit) müssen ausgeschlossen werden und alle feineren Abweichungen (Gitteraufbau, teilweise Gefügeveränderungen) sind nicht beeinflussbar oder nicht relevant.

Der Einfluss der Rauheit einer Oberfläche macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn die maßlichen Genauigkeiten im 1/1000-Bereich liegen. Für eine Übermaßpassung sind Oberflä-chenrauheiten entscheidend, da sie das Übermaß vermindern. Somit muss bei der Dimensio-nierung die Oberflächenrauheit bekannt sein und als Forderung für die Fertigung natürlich minimal gehalten werden. Die Ermittlung von Rauheitswerten und die verschiedenen Bezeichnungen am Profil sind aus Tabellenbüchern zu entnehmen. Die DIN 4766 gibt einen Überblick welche Rauheitswerte mit den üblichen Fertigungsverfahren zu erreichen sind. Hiernach erfolgt auch die Auswahl der Fertigungsverfahren. Die Angabe der Oberflächenrauheiten in der technischen Zeichnung ist durch die DIN ISO 1302 geregelt. Hier wird festgelegt, wann welche Symbole zu verwenden sind und wie die Kennwerte an diesen Symbolen eingetragen werden. Man hat sich darauf verständigt haupt-sächlich Rz-Werte für die Kennzeichnung zu verwenden. Die gemittelte Rautiefe Ra ist zwar genauer aber mit einfachen Prüfmethoden nicht zu kontrollieren. RZ-Werte können hingegen relativ schnell und mit einfachen Prüfmitteln (Tastschnittgerät) ermittelt und überprüft wer-den. Die Ungenauigkeit gegenüber den Ra-Werten wird hierbei in Kauf genommen. Eine Um-rechnung zwischen Rz- und Ra-Werten ist möglich (vergl. Hoischen). Damit nicht jede Ober-

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fläche mit Rauheitswerten gekennzeichnet werden muss ist wieder eine vereinfachte Angabe im Schriftfeld (Fertigungszeichnung) oder als Allgemeinangabe auf der Zeichnung (Zusam-menbau- bzw. Funktionszeichnungen) möglich. Die Konsequenz ist analog den Maßangaben, alle nicht näher gekennzeichneten Flächen werden mit der Allgemeinangabe gefertigt. 3.4 Toleranzuntersuchungen Die Notwendigkeit jedes Nennmaß mit einer Toleranz zu versehen, damit eine rationelle, effi-ziente Fertigung möglich wird, führt zu zusätzlichen Aspekten der Konstruktion. Die Tolerie-rung einzelner Maße an Werkstücken bzw. Bauteilen ist nur dann korrekt, wenn auch alle Toleranzen während der Fertigung eingehalten werden können. Es muss eine eindeutige Be-maßung und Tolerierung erfolgen. Ein weiterer Grad an Komplexität entsteht, wenn tolerierte Einzelteile zu einer Baugruppe zusammengesetzt werden. Die Funktion der Baugruppe muss ohne Einschränkung erfüllt sein und darf durch Toleranzen nicht beeinflusst werden. Die Ge-währleistung einer 100%-igen Austauschbarkeit von Bauteilen ist die wesentliche Vorausset-zung für eine effiziente und produktive Herstellung. Ist die Forderung der Austauschbarkeit nicht erfüllt, wäre jedes Bauteil in Einzelfertigung und mit der entsprechenden Anpassung an das vorhandene Bauteil herzustellen. Automatisierte Serien- und Massenfertigung wäre nicht möglich, die Wettbewerbsfähigkeit würde aufgrund der entstehenden Kosten nicht mehr ge-geben sein. 3.4.1 Toleranzuntersuchung an Einzelteilen Zur grundlegenden Klärung der Begriffe und Herleitung der Gesetzmäßigkeiten soll anhand eines Einzelteils eine Toleranzuntersuchung durchgeführt werden. Nachfolgend ist ein einfa-ches Bauteil dargestellt, an welchem die Bemaßung in drei verschiedenen Varianten durchge-führt ist.

In allen drei Varianten ist beachtet worden, dass keine Doppelbemaßung also Überbestim-mung des Bauteiles (Bolzen) auftritt. Auf den ersten Blick scheint die Herstellung des Bautei-les mit allen drei Maßvarianten kein Problem zu sein. Um zu überprüfen, ob mit den vorhan-denen Maßen und verschiedenen Varianten eine Herstellung des Bauteils im Sinne des Aus-tauschbaus möglich ist, also gleiche Toleranzwerte vorhanden sind, soll eine Toleranzunter-suchung durchgeführt werden. Toleranzuntersuchung: Überprüfung der Grenzfälle die sich bei der zahlenmäßigen Un-

tersuchung einer geschlossenen Kette von tolerierten Maßen er-geben

50 50

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Grundlegend für die Toleranzuntersuchung ist also die Erzeugung einer geschlossenen Maß-kette aus den vorhandenen Maßen. Es finden nur die Maße Verwendung, welche auch in ei-nem direkten Zusammenhang stehen. Im dargestellten Beispiel sind es die axialen Längenma-ße. Die beiden Durchmesser des Bolzens haben keinen direkten Zusammenhang, sie können unabhängig voneinander gefertigt werden. Maßkette: Abfolge bzw. Aneinanderreihung von abhängigen Maßen geschlossene Maßkette: umlaufende Abfolge bzw. Aneinanderreichung von abhängigen

Maßen deren Summe unter Beachtung der eingetragenen Rich-tung gleich Null ist

Um für die dargestellten Bemaßungen eine geschlossenen Maßkette erzeugen zu können, muss in jeder Variante ein zusätzliches Glied in die Maßkette eingefügt werden. Dieses die Maßkette schließende Glied wird Schlussglied genannt. Das Schlussglied wird in Klammern geschrieben in die Maßkette eingesetzt, um es kenntlich zu machen. In technischen Zeichnun-gen würde das Eintragen des Schlussgliedes zu Überbestimmung führen, was durch Klam-mern ebenfalls vermieden wird (Beachte: Maße in Klammern werden wie nicht geschrieben Maße behandelt). Nachfolgend sind in den Bemaßungsvarianten die Schlussglieder eingetra-gen.

Die Vervollständigung der Maßkette durch die Schlussmaße ergibt drei identische Maßketten. Es könnte daraus die Schlussfolgerung entstehen, dass die Angabe der Maße frei wählbar ist. Diese Schlussfolgerung wird wiederlegt, wenn man zu den Nennmaßen die zugehörigen Tole-ranzangaben betrachtet. In der nachfolgenden Tabelle werden die Schlussmaße unter Beach-tung der Toleranzen (Annahme: ISO 2768 m) berechnet. Die Berechnung erfolgt für die Grenzfälle unter dem Gesichtspunkt des ungünstigsten Falles der Toleranzwerte. Für die Be-rechnung wird die geschlossenen Maßkette verwendet.

50 50 50( )

01

=∑∞

=nnN

70-1050100:gilt Maßkettefür

0...211

++=

=+++=∑∞

=n

nn NNNN

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Grundlage der geschlossenen Toleranzkette ist eine Abfolge von abhängigen Maßen oder an-ders ausgedrückt ein umlaufender Maßlinienzug was nichts anderes bedeutet, als dass man zum Startpunkt der Maßkette zurück kehren muss, wodurch diese geschlossen wird. Die zu-sätzliche Beachtung der Toleranzwerte macht aus der geschlossenen Maßkette eine geschlos-sene tolerierte Maßkette. geschlossene tolerierte Maßkette: Abfolge bzw. Aneinanderreichung abhängiger Maße zu

einem geschlossenen Maßlinienzug unter Beachtung der Richtung (Vorzeichen) und der richtungsabhängigen To-leranzwerte

Var.: I Var.: II Var.: III min max min max min max + 0,2 10 - 0,2 10,2 9,8 9,8 10,2 10,2 9,8

+ 0,3 50 - 0,3 50,3 49,7 49,7 50,3 49,3 50,7

+ 0,2 10 - 0,2 9,2 10,8 9,8 10,2 10,2 9,8

+ 0,3 - 70 - 0,3 - 69,7 - 70,3 - 69,3 - 70,7 - 69,7 - 70,3

Aus der Tabelle ist zu erkennen, dass je nach Bemaßungsvariante die Toleranzen der Schlussmaße nicht den Toleranzwerten der Norm DIN ISO 2768 m entsprechen. Die schein-bar identische Bemaßung ist also bei Betrachtung der Toleranzwerte nicht identisch. Wenn je nach Art der Bemaßung unterschiedliche Grenzmaße entstehen ist es notwendig eine Bema-ßungsvariante als Grundlegende festzulegen. Die dargestellten Bemaßungen unterscheiden sich in funktionsgerecht und fertigungsgerecht. Variante I & II sind funktionsgerecht bemaßt, da der Konstrukteur die für ihn wichtigen Funk-tionsmaße eingetragen hat. Diese werden für die Funktion benötigt und müssen in den geforderten Toleranzen hergestellt werden. Variante III ist fertigungsgerecht bemaßt, dass heißt die Maße sind so eingetragen wie sie gefertigt und geprüft werden. Der Austauschbau von Bauteilen kann aber nur realisiert werden, wenn man eine Bemaßungsart als Grundlage festlegt. Auch bei funktionsgerechter Bemaßung muss eine Herstellung im Sinne der Austauschbarkeit möglich sein, also eine Umwandlung von funktionsgerecht in fertigungsgerechte Bemaßung unter Beachtung der festgelegten Toleranzen der funktions-gerechten Bemaßung erfolgen. Die Problematik liegt in der Umwandlung der funktionsgerechten Bemaßung in die ferti-gungsgerechte. Aus der Tabelle ist zu erkennen, dass die gefundenen Schlussmaße nicht mit I den Toleranzen der Norm ISO 2768 m übereinstimmen. Im Beispiel der Variante I sind für

3,00,3

0,20,2-

0,30,3-

0,20,2-

211

70-1050100:gilt Maßkettefür

0...

−+

+++

=

++=

=+++=∑ nn

n NNNN

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den Konstrukteur die Maße 10, 50, 70 relevant, weshalb er diese mit den notwendigen Tole-ranzen versieht. Die Herstellung wird jedoch nach der Variante III erfolgen, in welcher die Maße 10,10,70 bedeutend sind. Die Prüfung der Maße richtet sich nach der Herstellung und kontrolliert die Maße 10, 10 ,70. Sind diese Maße im vorgegebenen Toleranzbereich wird das Teil als „gut“ eingestuft. Für die spätere Verwendung werden aber die Maße geprüft, welche der Konstrukteur festgelegt hat. Aus der Tabelle ist zu erkennen, dass für diesen Fall die Tole-ranzen des Maßes 50 nicht eingehalten sind, das Bauteil also „Ausschuss“ ist. Damit genau dieser Fehler nicht auftritt, müssen die Toleranzen bei der Umwandlung von funktionsgerech-ter in fertigungsgerechte Bemaßung beachtet und umgerechnet werden.

Für die Toleranzuntersuchung ist die fertigungsgerechte Bemaßung die Grundlage! In der aufgestellten tolerierten Maßkette wird ersichtlich, dass die Beachtung der Richtung (Vorzeichen) zu Änderungen der Toleranzwerte (Zuordnung zum Nennmaß) führen. Grund-lage hierfür ist die Toleranzkette. Toleranzkette: Abfolge bzw. Aneinanderreihung der Toleranzwerte, durch die Schluss-

toleranz wird die Toleranzkette geschlossen Da die Nennmaße, wenn bekannt oder als Schlussglied aus der geschlossenen Maßkette ermit-telt, keine Auswirkungen haben – ihre Summe ist immer Null, sondern nur die Toleranzwerte zu Veränderungen führen, kann man die Nennmaße aus der Untersuchung herauslösen. Hier-durch entsteht die Toleranzkette. Die Schlusstoleranz TS selber ist aber nicht zwangsläufig die Toleranz des Schlussgliedes, weshalb in Toleranzuntersuchungen beide Ketten (tolerierte Maßkette & Toleranzkette) verwendet werden. Die Schlusstoleranz einer Toleranzkette ent-spricht der Toleranz des summentoleranzaufnehmenden Maßes (Bezeichnung Tsta). Dieses Maß fängt alle vorhandenen Toleranzen der Kettenglieder einer tolerierten Maßkette auf. Un-ter Zugrundelegung der fertigungsgerechten Bemaßung ist es das nichtgeschriebene Maß. Im Ergebnis der erläuterten Abhängigkeiten und Bedingungen lassen sich zwei Hauptsätze der Toleranzuntersuchung formulieren, deren Anwendung zu exakten Ergebnissen und Aus-sagen hinsichtlich der Herstellbarkeit unter dem Gesichtspunkt der Austauschbarkeit führen. Hauptsatz I: Die Summentoleranz einer Toleranzkette ist gleich der Summe der Toleranzen

der einzelnen Kettenglieder.

Hauptsatz II: Zur Ermittlung des Größtmaßes einer tolerierten Maßkette werden positive

Kettenglieder mit dem Größtmaß (Nennmaß+ oberes Abmaß) und negative Kettenglieder mit dem Kleinstmaß (Nennmaß + unteres Abmaß) eingesetzt. Zur Ermittlung des Kleinstmaßes einer tolerierten Maßkette wird umgekehrt vorge-gangen!

Hinweis: Die mathematische Formulierung der Toleranzkette sieht das summentoleranz-

aufnehmende Maß als Bestimmungsgröße vor – in der fertigungsgerechten Bemaßung ist es stets das nichtgeschriebene Maß!

∑∞

=

=1n

nsta TT

nKG

gK

GK NNNN ++−+= ...0 321

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Die Anwendung der Hauptsätze der Toleranzlehre ist also nur unter der Bedingung der ferti-gungsgerechten Bemaßung zulässig, weshalb alle Bemaßungen dahingehend untersucht und im notwendigen Fall zu einer fertigungsgerechten Bemaßung umgewandelt werden müssen. Der Hauptsatz II dient dann nach der angegebenen Regel zur Aufstellung der Gleichung und zur Ermittlung der gesuchten Größe. Mit dem Hauptsatz I wird die Berechnung auf ihre Rich-tigkeit überprüft. Nur wenn der Hauptsatz I erfüllt ist, sind die Gleichungen richtig aufgestellt und angewendet. Für Toleranzuntersuchungen lässt sich somit ein allgemein gültiger Algo-rithmus erzeugen, dessen Anwendung auf alle Einsatzfälle möglich ist. Da die Aufstellung der Gleichungen nach dem Hauptsatz II zu Minimal- und Maximalwerten einer tolerierten Maßkette führt spricht man auch von der Minimum- / Maximummethode. Algorithmus der Toleranzuntersuchung

Erzeugung einer tolerierten Maßkette Aufstellung der Nullgleichung mit Hilfe des Hauptsatz II Erzeugung der Bestimmungsgleichung durch Umstellung nach dem summentoleranz-

aufnehmenden Maß (Regeln des Hauptsatz II beachten) Umstellung nach der gesuchten Größe (Regeln des Hauptsatz II nicht mehr beachten) Berechnung der gesuchten Größe Festlegung der Toleranzwerte Anwendung des Hauptsatz I zur Überprüfung

Dieser Algorithmus soll nachfolgend auf die Variante I (funktionsgerecht bemaßt) und auf die Variante III (fertigungsgerecht bemaßt) angewendet werden. In der Gegenüberstellung der Bemaßungsvarianten und der zugehörigen Toleranzuntersuchung soll die Bedeutung und An-wendung der Hauptsätze verdeutlicht werden. Für beide Varianten muss eine tolerierte Maßkette erzeugt werden, wobei durch die unter-schiedliche Bemaßung jeweils ein anderes Maß als Schlussmaß der Toleranzkette entsteht. Das Schlussmaß wird mit S bezeichnet und stellt die gesuchte Größe dar, mit welcher die Maßkette geschlossen wird und eine Beweisführung mit dem Hauptsatz I ermöglicht wird.

Die Aufstellung der Nullgleichung unter Beachtung der Richtung ergibt folgende Gleichun-gen. Es ist hierbei vollkommen unwichtig an welcher Stelle der tolerierten Maßkette mit der Gleichungserstellung begonnen wird. Um die Zuordnung der Vorzeichen und die damit ver-bundene Anwendung des Hauptsatz II zu erleichtern, ist es sinnvoll die Richtungen in der Maßkette festzulegen und einzutragen.

KG

GK

GK

GK S 7050100 −++=

KG

GK

GK

GK S 7010100 −++=

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KG

KG

GK

GKS 101070 −−=

8,97,492,107,69

5010702,10

3,508,93,70501070

501070

=−−=−−=

=

−−=

−−=

−−=

G

G

KGKG

K

K

GKGK

GK

KG

GK

KG

SSSSSS

S

3,492,102,107,69

1010707,50

8,98,93,70101070

101070

=−−=−−=

=

−−=

−−=

−−=

K

K

GGKK

G

G

KKGG

KG

KG

GK

GK

SSSSSS

S

Die Erzeugung der Bestimmungsgleichung basiert auf der Grundlage fertigungsgerechter Bemaßung und dem darin enthaltenen summentoleranzaufnehmendem Maß. Dieses summen-toleranzaufnehmende Maß muss für jede erzeugte tolerierte Maßkette durch Analyse der Be-maßung gefunden und benannt werden. Die Kenntnisse der Fertigungsverfahren sind hierbei wesentliche Grundlage. Im vorliegenden Fall würde die Fertigung in folgender Reihenfolge erfolgen:

- Ablängen des Rohling - Plandrehen des Rohling (rechts) - Anarbeitung des Absatz 10 mm - Umspannung - Herstellung der Gesamtlänge durch Plandrehen (links) - Anarbeitung des zweiten Absatz 10 mm

Aus dieser Fertigungsreihenfolge ergibt sich das Maß 50 (Var.: I) und das Schlussmaß S (Var.: II) jeweils als summentoleranzaufnehmendes Maß. Besteht hinsichtlich der Ferti-gungsmöglichkeiten keine eindeutige Aussage, muss die Reihenfolge der Arbeitschritte exakt definiert werden, da somit das summentoleranzaufnehmende Maß definiert wird. Es ist sinn-voll die Analyse hinsichtlich des summentoleranzaufnehmenden Maßes während der Erstel-lung der tolerierten Maßkette durchzuführen und das summentoleranzaufnehmende Maß kenntlich zu machen.

Nach der Erzeugung der Bestimmungsgleichung sind die Kettenglieder und zugehörige Ab-maße eindeutig zugeordnet. Die Umstellung nach der gesuchten Größe, soweit noch notwen-dig, erfolgt demzufolge ohne Beachtung des Hauptsatz II. Würde man bei Vorzeichenwechsel wiederum die Zuordnung der Abmaße verändern wird die Bestimmungsgleichung wieder außer Kraft gesetzt – die Ergebnisse werden falsch!

Nach Errechnung der gesuchten Größe wird eine Festlegung für das Nennmaß und die Tole-ranzangabe getroffen. Da grundsätzlich Formfreiheit in der Toleranzangabe besteht sind hier verschiedenste Varianten möglich. In der Regel werden die Nennmaße als ganzzahlige Werte angegeben und die Abmaße zugeordnet. Eine zweite weitverbreitete Methode ist die Angabe der Toleranzwerte in Fertigungsrichtung. Hierbei wird das Nennmaß als das Maß festgelegt, welches während der Fertigung als erstes erreicht wird und die Toleranzangabe in der Bear-beitungsrichtung angegeben. Die Festlegung für Nennmaß und Abmaße ist in den beiden hier verwendeten Bemaßungsva-rianten nur für die Variante III (fertigungsgerecht bemaßt) möglich. Die Berechnung des Schlussmaßes für die Variante I (funktionsgerechte bemaßt) ergibt, dass das Kleinstmaß der tolerierten Maßkette größer ist wie das Größtmaß.

KG

KG

GK

GK S−−= 107050

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1,107,491,109,69

5010709,9

3,509,91,70501070

501070

=−−=−−=

=

−−=

−−=

−−=

G

G

KGKG

K

K

GKGK

GK

KG

GK

KG

SSSSSS

S

Zur Überprüfung der Berechnung wird für beide Varianten der Hauptsatz I aufgestellt und auf mathematische Richtigkeit geprüft. Die nach der Fertigungsreihenfolge festgelegte ferti-gungsgerechte Bemaßung bildet wiederum die Grundlage.

Betrachtet man den Hauptsatz I für die Variante I (funktionsgerecht bemaßt) fällt auf, dass eine mathematische Richtigkeit dieser Gleichung nie eintreten kann, da die Werte für die To-leranzen nicht negativ werden können. Das Problem liegt darin, dass ein Kettenglied (Maß 70) bereits die Toleranz des gesamten summentoleranztaufnehmenden Maßes enthält. Somit bleibt für die beiden übrigen Maße kein Toleranzwert übrig. Ursache hierfür ist, dass das summentoleranzaufnehmende Maß sich nicht aus der Fertigung ergibt (siehe Variante III) sondern durch die Funktion vorgegeben ist. Die Lösung des Problems besteht darin, alle vor-handenen Toleranzen so zu verändern, dass die Forderungen eingehalten und der Hauptsatz I erfüllt werden kann. Veränderung bedeutet, die Werte für die Toleranzen zu verkleinern, wo-mit die Genauigkeit der Bauteile und die Ansprüche an die Fertigung steigen, gleichzeitig werden aber die Forderungen aus der technischen Zeichnung eingehalten, da man sich im vorgegebenen Toleranzbereich bewegt. Damit die Variante I der Forderung nach 100%-igem Austauschbau gerecht wird, werden die Toleranzen der Maße 70 & 10 unter Beachtung des Hauptsatz I verkleinert.

Im Ergebnis der Festlegung neuer Abmaße für die vorhandenen Glieder der tolerierten Maß-kette ist eine Lösung der Gleichungen möglich. Die mathematische Richtigkeit des Hauptsatz I beweist, dass mit den neu gefundenen Werten die Forderung nach 100%-igem Austauschbau erfüllt werden kann. Die Festlegung von Nennmaß und Abmaßen ergibt:

...4,06,06,0

...6,04,0

6,0:

107050

70

10

50

1

++=++=

===

==

= ∑∞

=

S

S

sta

nnsta

TTTTTTT

TTmit

TT

1,01,0

1,01,0

10

70:

+−

+−

Festlegung

6,06,02,02,02,06,0

2,02,02,0

6,0:

107050

70

10

50

1

=++=++=

===

==

= ∑∞

=

S

S

sta

nnsta

TTTTTTT

TTmit

TT

mmS 1,01,010+

−=

Variante I:

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Die Untersuchung der Variante III ist ohne Neudefinierung der Toleranzen möglich.

Der Vergleich der Bemaßungsvarianten macht die Bedeutung von fertigungsgerechter und funktionsgerechter Bemaßung deutlich. In der funktionsgerechten Bemaßung festgelegte To-leranzen müssen während der Fertigung eingehalten werden. Sollte also das in der Fertigung entstehende summentoleranzaufnehmende Maß aufgrund der Funktion mit einer Toleranzfor-derung versehen sein, muss diese Toleranz auf alle anderen Kettenglieder verteilt werden, nur dann kann man einen 100%-igen Austauschbau realisieren. Aus der Toleranzuntersuchung wird erkennbar, dass die Forderung der Zeichenlehre nach Bezugsbemaßung (weitestgehend fertigungsgerecht) eine berechtigte Forderung darstellt. Kettenbemaßung erfordert immer eine Toleranzuntersuchung, welche mitunter sehr aufwendig sein kann. Da der Konstrukteur aber vordergründig die Funktion betrachtet sind nachfolgende Toleranzuntersuchungen unabding-bar. Diese Betrachtungsweise führt dazu, dass die Arbeitsvorbereitung häufig mit dem Prob-lem der Toleranzen konfrontiert ist. Nicht selten müssen nachfolgend exakte Absprachen hin-sichtlich der Toleranzforderungen und ihrer Realisierungen erfolgen. Es wird weiterhin er-sichtlich, dass eine Grundkenntnis der Fertigungsverfahren hilft, Fehler in der Tolerierung von Bauteilen und Baumaßen zu vermeiden. Hinweis: Ist der Hauptsatz I mathematisch richtig dann sind die Berechungen korrekt ausgeführt. Sollte die mathematische Richtigkeit des Hauptsatz I nicht erfüllt sein ist die Berechnung fehlerhaft. Eine Überprüfung der Gleichungen hinsichtlich der Beachtung der Vorzeichen und der ent-sprechenden Zuordnung der Abmaße führt häufig zur Lösung des Problems. Ein weiterer häu-fig auftretender Fehler ist die falsche Benennung des summentoleranzaufnehmenden Maßes, wodurch die Gleichungen fehlerhaft werden. 3.4.2 Toleranzuntersuchung an Baugruppen Die Toleranzuntersuchung an Baugruppen basiert ebenfalls auf der Anwendung der Mini-mum-/Maximummethode mit der Anwendung der Hauptsätze der Toleranzlehre. Der aufge-führte Algorithmus kann auch hier angewendet werden. Für Baugruppen steht die Funktions-sicherheit im Vordergrund wogegen die Herstellung der Bauelemente nicht Gegenstand der Analyse ist. Am nachfolgenden Beispiel der festen Lagerung eines Wellenendes durch ein Radialrillenkugellager soll eine Toleranzuntersuchung durchgeführt werden, um die Funkti-onssicherheit nachzuweisen. In der dargestellten Anordnung besteht die wesentliche Funktion in der Lagesicherung des Lagers, dass heißt die Klemmung des Rillenkugellagers zwischen Deckel und Gehäuse. Das Lager selbst ist mittels eines Pressverbindung (i.d.R. bei Punktlasten) auf der Welle aufge-bracht und durch den Sicherungsring gegen axiale Verschiebung gesichert. Somit kann das Lager seine Funktion, die Aufnahme von radialen und axialen Kräften erfüllen.

4,14,14,04,06,04,1

6,04,0

4,1:

101070

70

10

1

=++=++=

==

==

= ∑∞

=

TTTTTT

TTmit

TT

sta

Ssta

nnsta

mmSFestlegung

7,07,050

:+−=

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Wenn die Anordnung hinsichtlich ihrer Funktionssicherheit geprüft werden soll, müssen die Abhängigkeiten zwischen den Maßen der Bauelemente und der Funktion herausgearbeitet werden. Eine sichere Verklemmung des Lagers zwischen Deckel und Gehäuse ist nur dann gegeben, wenn zwischen Deckel und Gehäuse immer ein Spalt, der sogenannte Anzug, vor-handen ist. Dieser Anzug ist abhängig vom Zentrierrand des Deckels, welcher gegen das La-ger drückt. Durch die Fertigung und hieraus resultierende Toleranzen wird die Breite des Zentrierrandes in einem bestimmten Bereich schwanken, wodurch der Anzug zwischen De-ckel und Gehäuse beeinflusst wird. Zur besseren Veranschaulichung sind im folgenden Bild die Längenmaße in die Darstellung eingezeichnet. Hinweis: Da in Gesamtzeichnungen keine Bemaßung erfolgt, müssen die abhängigen Maße für die tole-rierte Maßkette aus den vorhandenen Einzelteilzeichnungen erkannt werden. Um die Aufstel-lung der tolerierten Maßkette zu erleichtern ist es sinnvoll die Kettenglieder in der Darstellung der Baugruppe einzuzeichnen.

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Durch Anwendung des Lösungsalgorithmus kann nun die Funktionssicherheit der Lagerstelle überprüft werden. Es muss nachgewiesen werden, dass der vorhandenen Anzug größer Null ist. Der Maschinenbau geht von einem Mindestanzug 0,1 mm für eine sichere Klemmverbin-dung aus. Da in der tolerierten Maßkette das summentoleranzaufnehmende Maß kenntlich gemacht werden soll, ist eine entsprechende Analyse notwendig. Während für Bauelemente oder Einzelteile stets das nichtgeschriebene Maß der fertigungsgerechten Zeichnung als das summentoleranzaufnehmende Maß definiert ist, ist in Baugruppen zu überprüfen welches Maß sich aus den vorhandenen Bauteilabmessungen ergibt. Alle eingetragenen Maße sind bei der Montage vorhanden und nicht mehr veränderlich. Aus den einzelnen Maßen ergibt sich ein Gesamtmaß oder in dem gezeigten Fall ein Anzug als abhängiges Maß von den Toleran-zen der Bauteilmaße. Somit ist der Anzug, als eigentlich nicht vorhandenes Maß, da Spalt oder Luft also nicht hergestellt, das summentoleranzaufnehmende Maß. Hinweis: Ist für die Funktion einer Baugruppe ein Anzug notwendig, so ist dieser stets das summentole-ranzaufnehmende Maß! Anwendung des Lösungsalgorithmus - Erzeugung der tolerierten Maßkette

- Aufstellung der Nullgleichung

- Erstellung der Bestimmungsgleichung

- Berechnung der gesuchten Werte

KG

KG

GK

GK

GK A−−++= 511523140

KG

GK

GK

GK

GKA 51152314 −++=

5,1

7,17,50152,232,14

51152314

==−=

=

−++=

−++=

staKG

A

G

G

KGGGG

TAAT

AA

A

2,03,519,148,228,13

51152314

=−++=−++=

K

K

GKKKK

AAA

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- Überprüfung mit Hauptsatz I

Als Ergebnis der durchgeführten Toleranzuntersuchung lässt sich die Aussage treffen, dass die dargestellte Anordnung in den vorgegeben Toleranzen funktionssicher ist, da der entste-hende Anzug zu jeder Zeit größer Null wird. Eine weitere Anwendung der Toleranzuntersuchung ist die Ermittlung von notwendigen Bau-größen inklusive der Toleranzen in Abhängigkeit von der geforderten Funktionssicherheit. Auf das vorhandene Beispiel der Lagerung angewendet bedeutet das, die Breite des Zentrier-randes wird in Abhängigkeit von einem festzulegenden Mindestanzug bestimmt.

Die veränderte Darstellung zeigt, dass im Moment zwei unbekannte Größen in der tolerierten Maßkette vorhanden sind, wodurch die Lösung der Gleichung unmöglich wird. Durch Festle-gung des Mindestanzug AK = 1 mm ist eine unbekannte Größe teilweise bestimmt, wodurch eine Lösung möglich wird. Die Festlegung des Mindestanzuges basiert auf der Forderung Anzug größer Null und Überlegungen hinsichtlich der Fertigungsgenauigkeit. Im Grund des Absatzes würde durch die Werkzeugschneide ein Radius entstehen, welcher den Mindestan-zug negativ beeinflusst. Durch einen Freistich könnte das Problem gelöst werden, wodurch der Fertigungsaufwand erhöht würde, oder man beachtet das der entstehende Radius die Funktion nicht negativ beeinflusst. Weiter Einflussgrößen können Gradbildung, Verunreinigungen durch Späne etc. sein. Man sollte natürlich davon ausgehen, dass diese Einflüsse nicht vorhanden sind, eine Beachtung schadet trotzdem nicht und erhöht die Funktionssicherheit der Baugruppe.

5,15,16,01,04,04,05,1

51152314

1

=+++=+++=

= ∑∞

=

TTTTT

TT

sta

nnsta

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Anwendung des Lösungsalgorithmus - Erzeugung der tolerierten Maßkette

- Aufstellen der Nullgleichung

- Erstellung der Bestimmungsgleichung

- Errechnung der gesuchten Werte

- Festlegung des Nennmaßes und der Toleranz

Da das Größtmaß nicht errechnet werden kann (AG nicht bekannt) wird eine Festlegung getroffen. Für Festlegungen sind die Abhängigkeiten zu beachten SG beeinflusst AG wo-durch die Funktionssicherheit nicht gestört wird. Die Angabe der Toleranz erfolgt in Fer-tigungsrichtung.

- Überprüfung mit Hauptsatz I

KG

KG

GK

GK

GK AS −−++= 5115230

KG

GK

GK

GK

GK SA 511523 −++=

6,149,148,223,510,1

152351152351

=−−+=−−+=−−+=

K

K

KKGKK

GK

GK

kG

GK

GK

SS

ASAS

2,06,14 +=S

3,1

3,27,50152,238,14

511523

==−=

=

−++=

−++=

staKG

A

G

G

KGGGG

TAAT

AA

SA

3,13,16,01,04,02,03,1

511523

1

=+++=+++=

= ∑∞

=

TTTTT

TT

Ssta

nnsta

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3.4.3 Zusammenfassung Die Toleranzuntersuchung ist in allen Bereichen der Konstruktion ein wichtiges Instrument zur Festlegung von Nennmaßen und Toleranzen. In der Praxis befassen sich ganze Bereiche der Qualitätssicherung mit dem Gebiet der Toleranzen, um sicher zu stellen dass die ausge-führten Konstruktionen auch ohne Störungen funktionieren. Die hier durchgeführten Tole-ranzuntersuchungen dienen der Veranschaulichung. Die Problematik wird noch wesentlich vielschichtiger wenn zusätzlich die Toleranzen der Form & Lage in die Untersuchungen mit einbezogen werden. Gerade hier liegen oftmals die Ursachen für das Versagen der Funktion von Baugruppen da Überschneidungen auftreten bzw. Bauräume nicht ausreichend dimensio-niert sind. Toleranzen haben natürlich nicht nur Bedeutung für die Funktion, sondern auch für die Ferti-gung. Sind technische Zeichnungen oder Skizzen mit funktionsgerechter Bemaßung ausge-führt, dürfen durch Umwandlung in fertigungsgerechte Bemaßung keine Veränderungen an den geforderten Toleranzen entstehen, denn nur so ist ein 100%-iger Austauschbau garantiert.