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TOP500-Studie HÖHEN KRANK Warum der Schweizer Wirtschaft langsam die Luft ausgehen wird

TOP500-Studie HÖHEN KRANK · 2019-02-11 · DISRUPTION AUCH Der bedeutendste Treiber der Veränderung ist freilich die Digitalisierung. In den vergangenen zehn Jahren ist in der

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TOP500-Studie

HÖHENKRANKWarum der Schweizer Wirtschaft langsam die Luft ausgehen wird

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EIN WORT ZUR DIGITALISIERUNG VON THOMAS D. MEYER, SENIOR COUNTRY MANAGING DIRECTOR ACCENTURE SWITZERLAND

Etwas mehr als ein Jahrzehnt liegt der Ausbruch der Finanz­krise nun bereits hinter uns. Der Schweizer Wirtschaft hat sie eine tiefe Rezession und einen starken Franken beschert. Und dem Land wieder einmal den Beweis erbracht, dass unsere Volkswirtschaft sich an widrige Umstände anpassen kann wie kaum eine zweite. Die hiesigen Unternehmen haben Kosten gesenkt, die Effizienz gesteigert und sind heute fitter als vor der grossen Krise. Was an Speck noch vor handen war, ist weg. Nun laufen die Geschäfte wieder recht ordentlich. Zeit für Zufriedenheit?

Ich denke nicht. Und ich meine das durchaus auch selbst­kritisch. Unternehmen, die Politik und auch wir Berater haben es noch nicht wirklich geschafft, die in den modernen Informationstechnologien schlummernden Möglichkeiten in nachhaltiges Wachstum zu übersetzen. Kein Beweis existiert bislang, dass Unternehmen, die hohe Investitionen in die Digitalisierung getätigt haben, signifikant höheres Umsatzwachstum generieren als solche, die darauf ver­zichtet haben. Das zeigt: Mit Kosten­ und Effizienz führer­schaft allein lassen sich nun notwendige neue Wachs tums­impulse nicht erzeugen. Bisher wurde im Rahmen der Digitalisierung vor allem in die Effizienz und Qualitäts­steigerung der bestehenden Geschäftsmodelle investiert, weniger in Wachstum und kaum in neue, digital gesteuerte Ertragsquellen.

Gründe für diese Malaise, die langfristig zu Wachstums­schwäche führt, gibt es einige. Wachstum fand für Schweizer Unternehmen in den vergangenen Jahren, wenn überhaupt, primär im Ausland statt. Gleichzeitig nahmen Direkt inves­titionen eher im In­ als im Ausland zu. Was bedeutet, dass einheimische Firmen den starken Franken nicht zu wachs­tumsfördernden Akquisitionen jenseits der Grenze genutzt

haben. Vielleicht, weil der Mut fehlte? Oder, weil Schweizer Unternehmen bei aller Exportstärke mental eben doch stark in ihrer Herkunft verwurzelt sind?

Wie auch immer. Als Quintessenz all dieser Entwicklungen steht der Befund, dass aus der Digitalisierung erzielbare Wachstumschancen bei unseren Unternehmern, Managern und Verwaltungsräten noch nicht wirklich angekommen sind. Neue Informationstechnologien erlauben es Firmen, in einem noch nie gekannten Masse Kundendaten zu sammeln – vorausgesetzt, sie kommen überhaupt in Kontakt mit dem Endverbraucher.

Hier beginnt das Problem: Unsere Nahrungsmittel indus trie verkauft ihre Produkte an Grossverteiler, die Ver sicherungs­branche an Intermediäre, die Pharmaindustrie an Apotheken oder Spitäler und zahl reiche Unternehmen der Swissmem­ Branchen produzieren Komponenten oder Halbfabrikate, die in grösseren, oftmals im Ausland her gestellten End­produkten ihren Absatz finden. In diesem Sinne ist die Schweizer Wirtschaft zu einem guten Teil eine Zuliefer­industrie. Der Endkunde, seine Bedürfnisse und Wünsche sind für diese Unternehmen weitgehend Terra incognita. Das ist kein ausschliesslich schweizerisches Phänomen, doch wird es verstärkt durch den relativ kleinen Heimmarkt und den starken Fokus auf ihn. Ein amerika nisches Unter­nehmen mit seinem ungleich voluminöseren Heimmarkt verfügt in dieser Hinsicht über eine exponentiell grössere digitale Spielwiese. Denn eins scheint mir un bestritten: Wer seinen Endkunden identifizieren kann, diesen kennt, verfügt über einen entscheidenden Wettbewerbs vorteil. Der Schlüssel dafür liegt im digitalen Erwerb von Kundendaten.

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In der digitalen Welt ist der Kunde immer lokal. Daten kennen keine Grenzen – Grenzen setzen höchstens Regu­latoren. Wer seine Kunden auch ausserhalb des Heim­marktes, in Asien oder Südamerika eindeutig identifizieren kann, ist der Gewinner von morgen. Hier liegt eine der grossen Herausforderungen für unser Führungspersonal. Das bedingt, dass Führungskräfte ihren seit der Krise auf Kosteneffizienz gerichteten Fokus wieder öffnen wie ein Weitwinkelobjektiv beim Fotoapparat, womit auch die Möglichkeiten des digitalen Wachstums ins Zentrum des Blickfeldes rücken.

Auch dieser notwendige «Change of Mindset» ist digital getrieben und umfasst weit mehr als Big­Data­Projekte zur Verwertung von Kundendaten in (Gross­)Firmen. Im Unter­nehmen des 21. Jahrhunderts müssen Organisation, Arbeits­plätze und auch die Firmen kultur so ausgestaltet sein, dass talentierte Digital Natives angesprochen werden, die andernfalls in Start­ups ihren Wunsch nach beruflicher Selbstbestimmung und Sinn gebung auszuleben suchen.

Unter volkswirtschaftlicher Optik bedeutet dies oftmals eine Verschwendung von Talent: Nur ein Bruchteil von Start­ups erreicht die Adoleszenz, der grosse Rest stirbt den stillen Tod des Erfolglosen. Deshalb müssen etablierte Unter­nehmen ihre Organi sationen mit dem Start­up­Spirit bestäuben. Nicht, indem sie weit weg von der Zentrale ein digitales Lab gründen und etwas Spielgeld dorthin trans­ferieren. Der digitale Wandel muss im Firmenkern beherzt angegangen werden. Von dort erfasst dieser auch das Personal bis in die Kapillaren des Unternehmens.

Der digitale Wandel revolutioniert die Gestaltung von Arbeit, produziert neue Arbeitsinhalte und wird damit auch zur bildungspolitischen Aufgabe der gesamten Volks wirt­schaft. Die Schweiz mit ihrem dualen Bildungssystem ist für diese neuen Anforderungen im Grunde gut gerüstet. Unser Lehr lings wesen bildet junge Menschen nach den Bedürfnissen der Wirtschaft aus – und kann damit schneller als anderswo auf neue Erfordernisse von Arbeit reagieren. Mit etwas Phantasie liesse sich das etablierte Lehrlings­wesen in der digitalen Gegenwart weiter in den beruflichen Lebens zyklus von Arbeitnehmern verschiedenster Stufen und Ausbil dungen hineinwachsen. Bereits seit Jahren im Berufs leben Stehende könnten sich berufsbegleitend fehlende digitale Kenntnisse aneignen – gewissermassen als Silber rücken­Lehrlinge. Lebenslanges Lernen als Lebens aufgabe – so gesehen ist jeder von uns ein Leben lang Lehrling.

Das sind Themen der Schweizer Top500­Ausgabe von Accenture rund um drei Thesen:

1. FALSCHE SICHERHEIT NACH DER FINANZKRISE

2. IN DER DIGITALEN WELT GILT: KENNE DEINEN KUNDEN

3. DIGITALE WACHSTUMSFORMEL: DIE INNOVATIONSWENDE

HÖHENKRANK – WARUM DER SCHWEIZER WIRTSCHAFT LANGSAM DIE LUFT AUSGEHEN WIRD 3

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THESE 1

FALSCHE SICHERHEIT NACH DER FINANZKRISE

Zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise stellen sich Fragen: Wo steht die Schweizer Wirtschaft heute? Welche neuen Risiken zeichnen sich für einheimische Unternehmen ab? Inwieweit sind die Weichen für zukünftiges Umsatz­wachstum und höhere Profitabilität richtig gestellt? Ant­worten soll die hier vorliegende Schweizer Top500­Studie von Accenture liefern, welche hauptsächlich auf den ver­fügbaren Unternehmensdaten 2017 basiert.

Unbestritten ist, dass die Schweizer Wirtschaft die Finanz­krise besser bewältigt hat als vergleichbare Volkswirt­

schaften und diese auch in Zukunft stark positioniert bleibt. Pro gnosen gehen von einem jährlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von knapp über 1,7 Prozent bis ins Jahr 2023 aus, einem höheren also, als in den USA oder Europa zu erwarten ist.1 Diesem moderat positiven Ausblick stehen die gewaltigen Veränderungen des vergangenen Jahrzehnts gegenüber, die nicht aus schliesslich den Folgen der Finanzkrise geschuldet sind. Gross sind auch die Auswirkungen neuer digitaler Techno logien, die inzwischen Wirtschaft und Gesellschaft durchdringen.

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SCHRUMPFENDE ARBEITSPRODUK TIVITÄT

Der inländische Finanzsektor ist im vergangenen Jahrzehnt um knapp 3,5 Prozent geschrumpft und trägt heute noch rund 7 Prozent zur nationalen Wirtschaftsleistung bei. Andere Branchen wie Pharma, IT oder Anbieter von Gesund­heitsdienstleistungen haben ihren Anteil am BIP dagegen erhöht. Insgesamt zeigt die Schweizer Wirtschaft heute ein differenzierteres, breiter ausgefächertes Bild als noch vor der grossen Krise. Anfang 2015 gab die Schweize rische Nationalbank (SNB) die zuvor eisern verteidigte Kurs­unter grenze von 1,20 Franken pro Euro auf, was auf grund ver teuerter Exporte Wachstum und Profitabilität der Unter ­nehmen empfindlich dämpfte und das BIP um 2 Prozent­punkte zurückfallen liess. Heute lauern die Gefahren für die Schweizer Exportwirtschaft in den politischen Spannungen zwischen den USA und China auf den Welt­handel wie insbesondere auch in den aufgeblähten Devisen­

reserven der Notenbank – einem neuerlichen Aufwer­tungsdruck des Frankens könnte die SNB nicht mehr wirksam begegnen. Den Folgen wäre die Schweizer Exportwirtschaft weitgehend schutzlos ausgeliefert.

Weitere Risiken öffnen sich im Arbeitsmarkt. Nicht nur herrscht insbesondere in den Bereichen Gesundheits­ und Sozialwesen oder den Informationstechnologien akuter Fachkräftemangel, sondern es zeigt sich auch, dass neben einer rekordhohen Zahl an offenen Stellen Unter­nehmen zunehmend Mühe bekunden, Personal mit adäquater Aus bildung und Qualifikation zu finden.2 Dieser Trend wird sich verschärfen, je stärker die Digitalisierung Arbeitsinhalte und ­prozesse verändern und Mitarbei­tenden ganz neue Expertisen abverlangen wird.

Grafik 1: Vakante Stellen und Probleme beim Recruiting

Quelle: Accenture Research­Analyse von Daten des Bundesamts für Statistik

IT und Kommunikation 90,5% 5,4

8,4

14,0

2,2

5,2

9,4

4,9

9,4

14,7

Gesundheits­ undSozialwesenFertigungBildungFinanz­ undVersicherungswesen

ImmobilienwirtschaftBauwirtschaftHandel/Reparatur inder Automobilindustrie

Andere

62,2%

53,5%

53,1%

50,8%

46,5%

15,4%

12,4%

34,1%

Prozentualer Anstieg: 2008 vs. 2018 Vakanzen in Q2/2018(in Tausend Stellen)

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Beunruhigend auch, dass die Arbeitsproduktivität in der Schweiz seit Anfang 2000 und verstärkt seit 2008 absolut und im Verhältnis zu Frankreich, Deutschland oder den USA drastisch sinkt.3 Die niedrige Arbeitslosenquote im Land tangiert diese Entwicklung negativ. Soll das BIP­Wachstum in den kommenden Jahren gehalten werden, gilt es, die Produktivität deutlich zu steigern. Der langwierige, noch

keineswegs abgeschlossene politische Prozess um eine Reform der Unternehmenssteuern führt zu Unsicherheiten für Investitionsvorhaben von Firmen in der Schweiz, was die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts schmälert und den Druck auf Firmen erhöht, Funktionen und Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern.4

SOLL DAS BIP WEITERHIN WACHSEN, MUSS DIE ARBEITSPRODUKTIVITÄT DEUTLICH STEIGEN

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Grafik 2: Entwicklung der ArbeitsproduktivitätDurchschnittliche Arbeitsproduktivität in der Schweiz nach Jahren* (in %)

2,0

1,5

1,0

0,5

0,02000 2005 2010 20202015

­0,5

* Jährliches Wachstum im 5­Jahres­Durchschnitt nach realem BIP pro MitarbeitendemQuellen: Accenture Research­Analyse der OECD, OECD Economic Outlook No. 103

Durchschnittliche Arbeitsproduktivität im Verhältnis zu Frankreich, Deutschland und den USA nach Jahren* (in %)

Frankreich

1,15

2000–2008 2008–2017 2017–2019E

Deutschland Schweiz USA

1,25

2,08

0,97

0,490,27

1,02

0,42

0,75

0,31

0,680,76

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DIGITALISIERUNG IST GLOBAL – DISRUPTION AUCH

Der bedeutendste Treiber der Veränderung ist freilich die Digitalisierung. In den vergangenen zehn Jahren ist in der Schweiz eine vitale Start­up­Szene entstanden, die Talente aus den konventionellen Industrien sowie Gelder von Investoren anzuziehen vermag. Im Jahr 2017 haben Start­ups, oftmals aus den Bereichen Biotech und Informations­technologien, insgesamt knapp 940 Millionen Franken an Venture­Capital eingesammelt – eine Verdoppelung innert dreier Jahre. Allein im Fintech­Sektor waren es 76 Millionen und weitere 200 Millionen Franken an Initial Coin Offerings (ICOs) aus Crowdfundings.5 Was hier entstanden ist, fordert traditionelle Unternehmen natürlich noch nicht wirklich heraus, aber reicht aus, auch dort den Druck auf die Inno­vationsfähigkeit althergebrachter Organisationen zu erhöhen. Das relativ stabile ökonomische Umfeld verleitet jedoch zahlreiche einheimische Wirtschaftsführer zur

An nahme, sie seien von einer durch kreative, neue und junge Konkurrenz ausgelösten Disruption weniger betroffen als die Kollegen in anderen Ländern. Es ist eine irrige Vor­stellung. In einer vernetzten Welt verbreitet sich jede Inno­vation sofort über den gesamten Globus. Der auf der Analyse von 221 Unternehmen aus verschiedensten Branchen von Accenture entwickelte Disruptability Index stützt den grundsätzlichen Befund, dass Schweizer Firmen im gleichen Masse von disruptiver Innovation betroffen sind wie Unternehmen anderswo auf der Welt. Mehr noch: Die Accenture­Studie zeigt auf, dass mehr als ein Drittel dieser einheimischen Firmen äusserst anfällig sind für zukünftige disruptive Marktveränderungen und über zwei Fünftel sehen sich damit bereits konfrontiert. Der Einfluss gegenwärtiger und zukünftiger Disruption auf die Schweizer Wirtschaft bewegt sich damit im globalen Rahmen.

Grafik 3: Disruptability Index, 2017

AK

TUEL

LER

DIS

RU

PTIO

NSG

RA

D

ANFÄLLIGKEIT FÜRKÜNFTIGE DISRUPTIONEN

0

01

1

ENDSTADIUM

Quelle: Accenture

SICHERHEIT

38% DERUNTERNEHMEN

5% DERUNTERNEHMEN

28% DERUNTERNEHMEN

29% DERUNTERNEHMEN

EnergieRohstoffe

Reisebranche

Life­SciencesKonsumgüter und

Services

Einzelhandel

Versorgungswirtschaft

Median: 0.47

Median: 0.56

Gesundheitswesen

BankenwesenKommunikation

VersicherungenChemie

Industrieanlagen undMaschinen

Infrastruktur undTransportdienstleistungen

Medien undUnterhaltung

NERVOSITÄT

IRRITATIONSoftware und

Plattformen

Hightech

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Quellen: Accenture Research Global Disruptability Index und Swiss Disruptability Index

Grafik 4: Disruptability Index, Schweiz vs. Rest der Welt, 2017

Energie

Versorgungswirtschaft

Bankenwesen

Gesundheitswesen

Rohstoffe

Medien und Unterhaltung

Kommunikation

VersicherungenInfrastruktur und

TransportdienstleistungenLife­Sciences

Reisebranche

Konsumgüter und Services

Einzelhandel

Chemie

Industrieanlagen und Maschinen

Hightech

Software und Plattformen

AKTUELLER STAND ANFÄLLIGKEIT

0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0 0,0 0,2 0,4 0,6 0,8 1,0

Schweiz Welt Grösste Lücken

In disruptiven Zeiten durchlaufen Unternehmen vier Phasen, welche im Disruptability Index abgebildet werden:

1. PHASE: Sicherheit. Firmen erwirtschaften stabile Gewinne, sind effizient, innovativ und anpassungsfähig. Sie wiegen sich jedoch in falscher Sicherheit, denn diese Phase ist endlich und geht schnell vorüber. Gemäss unserer Studie befinden sich über ein Viertel der Schweizer Unter nehmen in diesem Stadium.

2. PHASE: Nervosität. Junge Firmen mit disruptiver Kraft haben die eigene Branche noch nicht penetriert, aber die Bruchlinien zwischen tradierten und neuen Geschäftsmodellen sind nicht mehr zu übersehen. Ganze Industrien sind nun anfällig für die Disruption. 29 Prozent der Schweizer Unternehmen befinden sich in diesem Stadium.

3. PHASE: Irritation. Die Bruchlinien sind breiter und tiefer geworden. Das bedeutet: Die Disruption ist nicht mehr Zukunft, sondern Gegenwart. Vitale Disruptoren greifen nach den Gewinnen der traditionellen Unternehmen und bestimmen damit deren Schicksal mit. 5 Prozent der Schweizer Unternehmen be­finden sich in diesem Stadium.

4. PHASE: Endstadium. In grosser Zahl fordern innovativere und effi­zientere Start­ups traditionelle Geschäftsmodelle heraus und zwingen Firmen, sich neu zu erfinden: ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Disruption an Fahrt aufge nommen hat. 38 Prozent der Schweizer Firmen befinden sich in diesem Stadium.

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AUF DAS TAGESGESCHÄFT FOKUSSIERT

Der Disruptionsprozess läuft nach einem vorhersehbaren Muster ab und deshalb lässt sich diese zwangsläufige Ent wicklung durchaus antizipieren und bei richtiger Vor ­be reitung auch bewältigen. Dafür muss jedoch auch ein Be wuss t sein dafür geschaffen werden, dass Disruption in jeder Branche real ist und für jedes Unternehmen eine potenziell existenzbedrohende Gefahr darstellt. Viele Unter nehmer, Manager und Verwaltungsräte sehen die Disruption zwar durchaus als reale Möglichkeit, aber

weniger die Notwendigkeit, sich konkret darauf vorzu­bereiten – sei es, weil die Bedrohung noch als zu vage und zu fern von der eigenen Berufsrealität empfunden wird oder die Beurteilung der Auswirkungen nicht zu quanti­fizieren ist. So bleibt das Führungspersonal in den Firmen auf die unmittelbaren Prioritäten des Tagesgeschäfts fokussiert, während sich auch in ihrer Branche die Disrup­tion langsam, aber sicher auf Phase 4, das End stadium, zubewegt.

DIE DISRUPTION BETRIFFT JEDE BRANCHE UND SIE IST EINE POTENZIELL EXISTENZBEDROHENDE GEFAHR

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Accenture hat auch 2018 die Top500 des Landes nach Umsatz­ und Profitabilitätswachstum für die Zeit periode 2013–2017 analysiert – auf der Grundlage von Daten von insgesamt 845 Unternehmen. Daraus wurden wiederum die sogenannten Growth Champions herausgefiltert. Sie weisen sowohl gegenüber der Gesamtgruppe als auch in ihrem direkten Wettbewerbsumfeld ein überdurchschnit t­liches Umsatz­ und Margenwachstum aus. Die Analyse zeigt folgendes Bild:

Die Gesamtleistung der Schweizer Top500 hat sich im Jahre 2017 mit einem mittleren Umsatzwachstum von 4,2 Prozent für Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors positiv entwickelt und lag damit um 1 Prozent höher als noch ein

Jahr zuvor. Allerdings: Die Growth Champions haben in überdurchschnittlichem Masse zu diesem Resultat beige­tragen. Ihr Umsatzwachstum lag dreimal, der Rein gewinn zweimal höher als bei dem Rest der Firmen. Etwas weniger ausgeprägt finden sich diese Relationen auch bei den Unternehmen der Finanzindustrie. Bei näherer Betrach tung fällt allerdings auf, dass selbst bei den Growth Champions der Top500 das Wachstum der Profitmarge nicht mit jenem der Erlöse Schritt gehalten hat. Mehr noch: Gegenüber den Jahren zuvor stagnierte das Profitwachstum oder ging gar zurück. Letzteres war bei jedem zweiten Growth Champion der Fall – insbesondere bei Exponenten der Finanz­ und Maschinenindustrie schrumpften die Margen gegenüber 2014. Ausgenommen von dieser Ent wicklung sind Unter­nehmen der Pharma­ und Chemie branche oder im Bereich Dienstleistungen. Diese ver zeich nen noch immer ein stabiles Umsatzwachstum und robuste Profitmargen.

THESE 2

IN DER DIGITALEN WELT GILT: KENNE DEINEN KUNDEN

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PROFIT-WACHSTUM(Mittelwert CAGR 2013–2017,in %)

PeersGrowth Champions

Che

mie

Bauw

esen

Kons

umgü

ter

Hig

htec

h

Mas

chin

enba

u

IT u

ndKo

mm

unik

atio

n

Logi

stik

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Tran

spor

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Unt

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Serv

ices

Vers

orgu

ngs­

wirt

scha

ft

Bank

enw

esen

Vers

iche

rung

en

4,16,1

3,5

6,5

12,3

5,2 5,2

0,7 0,5

15,0

­0,8 ­1,1 ­0,6­2,5 ­1,9

4,5

12,2

8,6

1,63,6

1,5 2,0

7,3

3,7

7,3

2,8

9,47,4

ASSET-WACHSTUM(Mittelwert CAGR 2013–2017,in %)

GWP-WACHSTUM(MittelwertCAGR 2013–2017,in %)

Grafik 6: Hauptergebnisse der Top500 nach Branche, CAGR 2013–2017

Quelle: Accenture Analyse und Daten Handelszeitung Top500

Grafik 5: Umsatzwachstum der Top500

Ausserhalb desFinanzsektors Bankenwesen Versicherungen

Ausserhalb desFinanzsektors Bankenwesen Versicherungen

UMSATZWACHSTUM*(Mittelwert 2016–2017, in %)

GEWINNWACHSTUM(Mittelwert 2016–2017, in %)

PeersGrowth Champions

9,1

14,5

6,7 6,7

2,4

-2,4

8,2

3,2 3,24,2

0,92,4

* Umsätze für Unternehmen ausserhalb des Finanzsektors, Assets für Banken und Versicherungsbeiträge (GWP) für Versicherungen

Quelle: Accenture Analyse und Daten Handelszeitung Top500

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Grafik 7: Entwicklung der Profitmarge

AUSSERHALB DES FINANZSEKTORSREINGEWINN / UMSÄTZE(2014 = 100, Mittelwerte)

2014 2015 2016 2017

110

100

90

80

70

602014 2015 2016 2017 2014 2015 2016 2017

110

100

90

80

70

60

110

100

90

80

70

60

Peers

BANKENWESEN

REINGEWINN / ASSETS(2014 = 100, Mittelwerte)

VERSICHERUNGEN

REINGEWINN / GWP(2014 = 100, Mittelwerte)

Growth Champions 2018

Quelle: Accenture Analyse und Daten Handelszeitung Top500

LEBENSKRAFT WIRD SCHWÄCHERÜber alles gesehen bestätigt sich der Eindruck, dass zahl reiche Growth Champions eine über einen längeren Zeitraum andauernde Kompression bei ihren Profitmargen nicht als Gefahr für zukünftiges Wachstum interpretieren. Ein eher rückwärtsgewandter Blick und ein Gefühl der Stabilität im gegenwärtigen Geschäftsumfeld vernebeln oftmals das Bewusstsein für die wesentliche Erkenntnis: Ein über Jahre andauerndes träges Profitwachstum zieht eine grössere Verletzlichkeit im Wettbewerb mit der Kon­

Wo aber sind die Unternehmen – Growth Champions oder nicht –, die neben neu entdeckter Kosteneffizienz ihre Geschäftsmodelle zur Stärkung der Profitmarge neu auf­setzen, um damit im neuen, digitalen Umfeld nachhaltig bestehen und wachsen zu können? Der von Accenture eigens dafür entwickelte «Digital Maturity Index» (DMI)

kurrenz nach sich. Und dies bedeutet nichts anderes, als dass die Lebenskraft im Kerngeschäft dieser Unter nehmen schwächer wird. Wir sehen zahlreiche Unternehmen, die nun durch Kostenmassnahmen ihre Profitmarge zu stabi­lisieren versuchen. Im vergangenen Jahr kündigte etwa Novartis die Streichung von 2.200 Jobs an, ähnlich wie Nestlé (minus 580 Jobs), Postfinance (minus 500), Migros (minus 290) oder LafargeHolcim (minus 200).

liefert dazu einige Erkenntnisse. Hinter diesem Index steckt eine komplexe mehrdimensionale Studie, die Aufschluss gibt über den digitalen Reifegrad in Unternehmen und die Resultate am Schluss auf eine einfache Skala herunterbricht von 1 (DMI sehr schwach) bis 4 (DMI sehr hoch).

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FEHLENDE DIGITALE STRATEGIEN

Dabei zeigt sich, dass in allen untersuchten Unternehmen nur wenig Initiativen zu sehen sind, die dem Ziele dienen, umfassend in neue digitale Geschäftsmodelle ein zutreten. Dabei sind kaum Unterschiede ersichtlich zwischen Growth Champions und anderen Unternehmen in deren Branchen­umfeld. Erstere sind zwar etwas stärker in der Planung von digitalen Strategien, aber schon in der Um setzung der­selben tendieren die Unterschiede gegen null. Beim digitalen Umsatzanteil ist das Bild noch aufschluss reicher: Keiner der Growth Champions erreicht beim DMI ein Level von über 3, was einem hohen digitalen Reifegrad ent­sprechen würde. Im Verhältnis zu ihren direkten Wettbe­werbern ist es sogar so, dass überproportional viele Growth Champions nur einen schwachen digitalen Reifegrad von unter 2 aufweisen.

All dies führt zu zwei Erkenntnissen. Erstens: Ein Growth Champion im höchsten digitalen Reifegrad existiert hier­zulande nicht. Das legt den Schluss nahe, dass digitale Investitionen bislang in erster Linie zur Effizienzsteigerung oder zum Schutz des Kerngeschäfts eingesetzt worden sind und nicht zur Expansion in neues digitales Business zur Erschliessung neuer Wachstumsquellen. Deshalb sehen wir auch keine Korrelation zwischen Umsatzwachstum und dem DMI. Zweitens: Nur wenige Growth Champions haben

beherzt Strategien aufgesetzt, um diesen Status durch digitale Innovation zu erhalten und zukünftig noch zu stärken.

Dass in der Schweiz kein Unternehmen existiert, welches den höchsten digitalen Reifegrad erreicht, legt einen drama tischen Befund offen: In den Kern der Möglichkeiten der Digitalisierung sind sie noch nicht vorgestossen. In einem Masse wie noch nie zuvor erlauben es digitale Techno logien heute, den Endkunden zu erreichen, um seine Wünsche und Vorlieben zu erkennen. Dieser Puls am Konsumenten ermöglicht es, Produkte laufend weiter­zuentwickeln und den After­Sales­Service zu verfeinern. Unternehmen, die solche «transformationale Produkte» auf den Markt werfen können, wie sie Bestsellerautor Matthias Schrader in seinem gleichnamigen Buch6 be­schreibt, verfügen über den höchstmöglichen digitalen Reifegrad. Aus dieser Position schöpfen sie auch die Kraft, in bestehende Wertschöp fungsketten traditioneller Unternehmen einzudringen und zunehmend deren Gewinne abzuschöpfen.

KEIN SCHWEIZER UNTERNEHMEN HAT DEN HÖCHSTEN DIGITALEN REIFEGRAD ERREICHT

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Dennoch gibt es einige Unternehmen in der Schweiz, die grosse Anstrengungen unternehmen, ihren Status als schnell wachsende und profitable Firma auch im digitalen Umfeld zu erhalten, indem sie ihr Kerngeschäft stärken und dank Digitalisierung und Innovation in neue Geschäfts­felder vorstossen. Die Basler Med­Tech­Firma Straumann etwa, ein Growth Champion, der mit einem DMI von 2,75 einen hohen digitalen Reifegrad und zweistellige Wachs­tums raten aufweist. Die Firma expandierte erfolgreich in Richtung Biomaterialien und digitale Ausrüstungen, Bereiche mit hohem Wachstum und hoher Wertschöpfung. Die noch geringe digitale Durchdringung in der Zahnheil­kunde machte sich Straumann zunutze, indem die Firma über Partnerschaften und Übernahmen in exakt diese Bereiche vordrang und nicht zuletzt dadurch ihre Profit­marge seit 2013 um 10 auf 25 Prozent steigern konnte.

Ein zweites Beispiel ist das in der Sanitärtechnik tätige Unternehmen Geberit, Growth Champion und versehen mit einem hohen DMI von 2,97. Die Firma hat längst begon­nen, ihr B2C­Geschäft zu forcieren und die Kommu nikation zu Kunden und Partnern digital aufzustellen. Das Geschäft ist inno vationsgetrieben, z. B. dadurch, dass der kon ven­tionellen Sanitärtechnik in modernem Design immer neue Funktionen wie etwa Dusch­WCs angefügt werden. Dies ermöglicht auch in saturierten Märkten ein (Margen­)Wachs­tum und die Substitution von konventioneller Sanitärtechnik durch Hightech­Produkte mit wesentlich höherer Wert­schöpfung.

THESE 3

DIGITALE WACHSTUMSFORMEL: DIE INNOVATIONSWENDE

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BALANCE ZWISCHEN BESTANDSGESCHÄFT UND INNOVATION

FIRMA WIRD ZUR DIGITALEN PLATTFORM

Straumann und Geberit sind ermutigende Beispiele, aber eher Ausnahmen unter den Top500 der Schweiz. Beide Unternehmen zeigen auch exemplarisch auf, wie sich Digi­talisierung und Innovationen zu dem Neuen vermählen lassen, das sich digitale Innovation nennen könnte, die von den Unternehmen einiges abverlangt. Die Organisation muss neu aufgesetzt werden ebenso wie der Prozess für Investi tionen und der Zugang zu den Human Resources. Der Weg zu diesem Ziel führt gewöhnlich über drei Inves­ti tions bereiche.

BEREICH 1: Transformation des Kerngeschäfts. Dabei geht es darum Wettbewerbsfähigkeit und Kostenstrukturen zu verbessern, um im Herzen des Unternehmens Kräfte und Flexibilität für Innovation freizusetzen. Nicht kleine Schritte sind von­nöten, sondern grosse, sichtbare Projekte der Transfor­mation, die in der Firma neue Kräfte mobilisieren. Zunächst müssen sämtliche Aktivitäten der Firma einer Grundanalyse unter zogen werden, um für die Transfor mation notwendige Kompetenzen sowie Kosten zu identifizieren und Risiken sowie Hindernisse abschätzen zu können. Alles muss von der Basis Null, «Zero Based», gewissermassen ohne Vor­geschichte und auf der grünen Wiese gedacht und auf­gesetzt sein:

Von Alt zu Neu – es ist ein anspruchsvoller Prozess. Es geht darum, das Gleichgewicht zu halten zum klassischen Geschäft, während ein neues Geschäftsmodell Gestalt annimmt, die Balance zu finden zwischen altem und neuem Business, auch hinsichtlich der Investitionen in beide, um sicherzustellen, dass das herkömmliche Geschäftsmodell

Kosten, Organisation, Front­Office­Aktivitäten, Wert­schöpf ungskette. Eine saubere organisatorische Auf stellung gruppiert Talente, Ressourcen und unterschiedliche Fähi g ­keiten so, dass über Neugeschäft Werte und profitables Wachstum geschaffen werden.

BEREICH 2: Neues Wachstum im Kerngeschäft. Mit digitalen Instru­menten wie digitalem Marketing oder interaktiven Web­Applikationen gilt es, näher an den Kunden zu gelangen, um dadurch das Wachstum im Kerngeschäft zu beflügeln.

BEREICH 3: Skalierung von neuen Geschäftsmodellen. Dies ist wohl der schwierigste Schritt zur Vermählung von altem und neuem Business. Interne Inkubatoren und Innovations­Hubs steuern in dieser Phase den Prozess des Übergangs einer Innovation in die traditionelle Firmenstruktur. In einem kollaborativen Akt mit dem etablierten Business wird die innovative Erfindung, ein Produkt oder eine Dienstleistung, nun behutsam in eine Massenproduktion überführt oder aber in einen globalen Prozess integriert, wenn es sich um eine operationelle Innovation handelt. Ohne Pannen verläuft dies meist nur in Firmen, die über eine etablierte und einge­spielte Innovationsarchitektur verfügen, die beim Transfer den Reifegrad der Innovation berücksichtigt.

gesund bleibt, während das neue zur Stärke heranwächst. Immer geht es dabei auch darum, die Allokation von Kapital und das Management von Investitionen über den Geld fluss vom Kerngeschäft zur Innovation über die Zeit zu opti­mieren. Schematisch liesse sich dies folgen der massen darstellen:

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Die hier dargestellte erfolgreiche Schöpfung von Inno­vation innerhalb etablierter Unternehmen zeigt, wie ein altes Geschäftsmodell durch eine intelligente Bewegung inner halb der Firma in ein neues übersetzt werden kann. Damit dieser Drehmoment Erfolg haben kann, bedingt dies einige Voraus setzungen innerhalb der Organisation. Im Grunde muss sich jede Firma auch als digitale Plattform verstehen. Digi tales Verständnis und flexible interne Strukturen können auf den unsteten, oftmals nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum verlaufenden Innovations­prozess adäquat reagieren. Veraltete und starre Techno­logien und IT­Systeme können das genauso wenig wie in Silos denkende Menschen. Digitales Verständnis lässt sich innerhalb einer Firma organisch aufbauen oder auch akquisitorisch erwerben. So kaufte etwa die Baloise Group eine Onlineplattform für Umzüge namens Movu. Mit dem zugekauften digitalen Know­how kann die Versicherung

nun ihr traditionelles Geschäft digital verbreitern und den Kunden neue Services anbieten. Der Ansatz einer digitalen Plattform bedingt auch eine Neu erfindung von Business­Modellen und ­Prozessen, eine neue und direkte Ansprache von Kunden und damit auch Veränderungen in den Orga­nisationsstrukturen, die in eine «Digital first»­Strategie eingebettet sein müssen. Dabei ist es empfehlenswert, mit externen Partnern, Kunden, Lieferanten, Universitäten und Start­ups zusammenzuarbeiten. Aus diesem Grund möchte der Food­Technologiekonzern Bühler an seinem Hauptsitz in Uzwil/SG einen Campus für Inno vation bauen, in welchem er diese Stakeholder zusammen führen will. Die digitale ist eine kollaborative Welt und Innovation ist das Resultat von partnerschaftlicher Zusam men arbeit. Inno­vation ist zudem ein kontinuierlicher, nie endender Prozess, weniger technologischer Art als vielmehr die Folge einer grundsätzlichen Haltung.

Grafik 8: Das Prinzip der Innovationswende

NEUGESCHÄFTSKALIEREN

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ZEIT

NEUESGESCHÄFT

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Quelle: Accenture

A KERNGESCHÄFT WEITERENTWICKELNdurch Verlagern eines Teils der Investitionen, um so schrittweise das Wachstum im Kerngeschäft anzukurbeln.

B KERNGESCHÄFT TRANSFORMIERENdurch den Aufbau konkurrenzfähiger Kostenstrukturen, mitdenen Flexibilität, Gewinne und Investitionskapazität steigen.

C NEUGESCHÄFT SKALIERENdurch die Identifikation und Skalierung neuer, branchen­relevanter Bereiche, die neben dem Kerngeschäft wachsen.

D INNOVATIONSWENDE DURCHFÜHRENmit einem genauen Blick auf Geschwindigkeit und Balance.Kern­ und Neugeschäft müssen in der Regel für einebeträchtliche Zeit nebeneinander bestehen.

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DIGITALISIERUNG BEFLÜGELT WACHSTUM

Dass die neuen digitalen Technologien direkten Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft haben, zeigt der «Global Competitiveness Report 2018»7 des «World Economic Forum» (WEF). Der Report 2018, der die Auswir kungen digitaler Technologien auf die Wettbe­werbsfähigkeit eines Landes erstmals berücksichtigt, zeigt die Schweiz noch auf Platz 4 der wettbewerbsstärksten Länder der Welt. Dies, nachdem unser Land während neun Jahren die Rangliste angeführt hatte. Lange Zeit hatte die Schweiz von den zahlreichen hiesigen, global tätigen Unter­nehmen profitiert. Globale Trends wurden früher erkannt als anderswo und Veränderungen früher antizipiert: sicherlich ein Wettbewerbsvorteil für die heimische Wirt­schaft. Heute zeigen die WEF­Daten, dass die Distanz der Schweiz zu den wettbewerbsstärksten Nationen USA und Singapur grösser wird; und dass die nachrückenden wie Japan, China oder auch die nordischen Länder kompetitiver werden.

Über alles gesehen verstärkt dies den Eindruck, dass Schweizer Unternehmen aus ihren digitalen Investitionen keinen optimalen Profit erwirtschaften. Möglicherweise, weil das Bewusstsein für die Dringlichkeit einer kohärenten Vision fehlt, die Business­Strategie mit Innovationsprozessen auf eine gemeinsame Linie zu bringen. So bleibt das Gesamt ­ Layout disparat: Die Transformation des Kernge schäfts stockt, während gleichzeitig versucht wird, neue Geschäfts­ideen zu implementieren. Deshalb verpassen es die Unter­nehmen, ihre Digitalisierungsprojekte über die gesamte Organisation zu skalieren, wodurch auch viele Innovations­projekte nur eine limitierte Wirkung entfalten. Oftmals werden neue Technologien in Silos entwickelt oder nur in Teilen der Organisation implementiert. Unter nehmen müssen mehr tun, als lediglich ihr Geschäft in ein digitales Umfeld zu verpflanzen. Sie müssen ihr gesamtes operatives Modell komplett neu erfinden, ebenso Produk tions prozesse und Wertschöpfungsketten, um mit dem Digitalen eine höhere Wertschöpfung zu erreichen.

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Quelle: www.digital.swiss

Grafik 9: Digital.swiss Scorecard

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durch den Aufbau konkurrenzfähiger Kostenstrukturen, mitdenen Flexibilität, Gewinne und Investitionskapazität steigen.

DIGITALE NEUERFINDUNG DER INDUSTRIE

Dass beim Einsatz digitaler Technologien in der Schweiz Nachholbedarf besteht, untermauern auch andere Studien. Digital.swiss etwa, eine gemeinsame Plattform von ICT Switzerland, dem Dachverband der Schweizer ICT­Wirtschaft, und des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, listet

den Stand der Digitalisierung nach Themenfeldern auf und identifiziert ein unterdurchschnittliches Niveau etwa bei der Gesundheit (24 Prozent), der Sicherheit (27 Prozent) oder bei der Industrie 4.0 (29 Prozent).

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Der Begriff Industrie 4.0 steht für die vierte industrielle Revo­lution: Durch die Vernetzung von Menschen, Maschinen, Systemen und Anlagen entstehen dynamische, echtzeit­optimierte und sich selbst organisierende, unternehmens­übergreifende Produktions­ und Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach unterschiedlichen Kriterien wie Kosten, Verfüg­barkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen. Gerade beim Thema Industrie 4.0 steigt zwar das Bewusstsein für

deren Bedeutung, aber nur 14 Prozent der Schweizer Unter­nehmen haben entsprechende Projekte angeschoben. Die Accenture­ Studie «TechVision 2018» zeigt zudem auf, dass Schweizer Unternehmen in künstliche Intelligenz, Virtual Reality, Internet of Things (IoT) oder selbstfahrende Auto­mobile stärker investieren als Unternehmen im Ausland, aber bei Robotics, Blockchain oder 3­D­Druck hinterherhinken.

Anteil der Befragten, deren Unternehmen 2019 plant,in neue Technologien zu investieren

UNTERNEHMEN ANDERER LÄNDER INVESTIERENMEHR ALS SCHWEIZER UNTERNEHMEN

SCHWEIZER UNTERNEHMEN INVESTIERENMEHR ALS UNTERNEHMEN ANDERER LÄNDER

Grafik 10: Investitionen in Technologie

Anzahl der Schweizer Unternehmen = 113 Anzahl der Unternehmen anderer Länder = 3.977 mit Hauptsitz in Australien, China, Deutschland,Frankreich, Grossbritannien, Irland, Italien, Kanada, Österreich, Portugal, Singapur, Spanien, USAQuelle: Accenture Research auf Basis von Accenture TechVision­Daten von 2018

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IoT/Smart Sensors

Drohnen/UAVs

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Autonome Fahrzeuge

Künstliche Intelligenz

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Blockchain

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Nun folgt das, was wir Industrie X.O nennen. Darunter ver­stehen wir die digitale Neudefinition der Industrie. Unter­nehmen nutzen ausgefeilte digitale Technologien zur Trans formation ihres Kerngeschäfts und unter Einbezug von Mitarbeitenden, Kunden und Geschäftsmodellen. Integrierte, intelligente Systeme, Prozesse und Sensoren ermöglichen höhere Effizienz in Produktion oder Forschung und Entwicklung. Beziehungen zu Mitarbeitenden und Kunden werden in personalisierter Form neu aufgesetzt und immersiv aufgeladen durch Augmented und Virtual Reality. Neue smarte Produkte öffnen neue Erlösquellen.

Am Ende steht in den Unternehmen eine datenzentrierte, smarte und agile Organisation. Der Weg dorthin bedingt tief greifende Veränderungen in Produktdesign, Produktion und Post­Sales­Support. Beim Design steht nicht mehr nur die Hardware im Zentrum. Funktionalitäten sind software­basiert und prägen damit Innenleben und Design herzu­stellender Produkte. Designprozesse und Markt eintritt verkürzen sich drastisch und beziehen digitale Tools wie Crowdsourcing und Virtual/Augmented Reality mit ein. Durch Automation in den Herstellungsprozessen nimmt die Standardisierung in der Produktion ab und die Indivi­dualisierung und Personalisierung zu. Neue Techno logien wie künstliche Intelligenz und smarte, digital gesteuerte Geräte erhöhen die Produktivität und Effizienz von Mit­arbeitenden.

Der schwedisch­schweizerische Techno logiekonzern ABB etwa hat den Roboter Yumi ent wickelt, der Mensch und Maschine Schulter an Schulter effizient zusammenarbeiten lässt. Auch in der Post­Sales­Phase hält die Digi talisierung breitflächig Einzug. Kunden wollen hyperper sonalisierte Produkte, die sich in Echtzeit ihren Wünschen und Gewohn­heiten anpassen lassen. Dort ist durch künstliche Intelligenz gesteuerte Software einge baut, die pausenlos Kunden­ und Gerätedaten generiert. Diese versetzen den Hersteller in die Lage, Kundenwünsche zu erkennen, das Produkt pausenlos zu verbessern und auch für Unterhalt und Repa­raturen besorgt zu sein. Dies geschieht bereits im grossen industriellen Stil. So hat etwa ABB eine innovative Plattform geschaffen, die auf dem Internet of Things (IoT) basiert und Motoren, Maschinen und Roboter über eine Cloud zusammen führt. IoT­Sensoren übermitteln laufend Daten, die der ABB­Kunde auf einem smarten Bildschirm abrufen kann.8 Dies ermöglicht ihm ein stetes Monitoring seiner ABB­Produktionsstrassen, was Effizienz und Langlebigkeit erhöht und Kosten reduziert.

KUNDEN WOLLEN HYPERPERSONALISIERTE PRODUKTE, DIE SICH IN ECHTZEIT IHREN WÜNSCHEN UND GEWOHNHEITEN ANPASSEN LASSEN

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STRATEGIEN GEGEN CYBERATTACKEN

Solch tief greifende Veränderungen geschehen selbst­verständlich über einen längeren Zeitraum und nicht über Nacht. Dennoch erscheint die Entwicklung von Schweizer Unternehmen gegenüber herausragenden internationalen Beispielen als verspätet. Digitalen Nachholbedarf gibt es aber auch im gesellschaftspolitischen Bereich. So ist etwa eine digitale Identität das Einfallstor für digitale Dienst­leistungen als Rückgrat für eine wirklich digitale Nation.

Es ist zu hoffen, dass das Gesetz zur elektronischen Identität (E­ID) in der Schweiz bald verabschiedet wird. Die nach längerer Leidenszeit nun aus der Taufe gehobene Swiss­ID ist vielversprechend – getragen wird sie von den führenden Unternehmen der Finanzindustrie und den bundesnahen Betrieben. Die Umsetzung sollte nun im Dienste der Kunden erfolgen und möglichst auch auf allen Stufen der Ver­waltungen akzeptiert sein. Und: Sie sollte eine nationale Lösung darstellen. Der in der Schweiz stark verankerte Föderalismus wirkt hier einmal brem send und behindernd. Aus diesem Grund sind kanto nale Einzelinitiativen wie derzeit in Zug oder Schaffhausen wenig förderlich. Zu dem besteht in der Schweizer Bevöl kerung eine gewisse Skepsis, die es zu überwinden gilt: Nur 37 Prozent be grüssen derzeit die Möglichkeiten einer E­ID.9

Stärker in den Fokus gelangt auch das Thema Sicherheit. Digital gesteuerte Geschäfte und eine vertiefte digitale

Ver netzung mit Lieferanten, Partnern und Kunden erhöhen Cyberrisiken. Wo intelligente Technologien, smarte Auto­mation durch IoT, Cloud, künstliche Intelligenz oder Roboter im Einsatz sind und sensible Daten ausgetauscht werden, öffnet sich der Raum für Cyberattacken. Das Bewusstsein für diese neuen Gefahren ist in den Unternehmen zwar durchaus vorhanden. Nach einer Accenture­Studie zum Thema Sicherheit10 sieht jedoch nur jede dritte Firma gleich zeitig auch die Notwendigkeit, dagegen eine zeit­gemässe Cybersecurity­Strategie aufzusetzen. Zu einem ähnlichen Resultat kommt auch die einschlägige Plattform digital.swiss. In 38 Prozent der untersuchten Unternehmen ist das Topmanagement aktiv in die Entwicklung einer Sicher heitsstrategie eingebunden, 35 Prozent haben innert zwölf Monaten Massnahmen getroffen, Bedrohungen und Schwach stellen in der Informationssicherheit zu identi­fizieren, und 47 Prozent haben bereits fortgeschrittene Sicherheitsmassnahmen platziert. Wirklich getestet werden die eigenen Abwehrfähigkeiten des Sicherheitsdispositivs jedoch lediglich von 16 Prozent der befragten Unternehmen. Der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen ist folglich nicht klar, ob sie die Fähigkeit besitzen, Cybervorfälle wirklich zu meistern, geschweige denn Cyberattacken abzuwehren. Es besteht also dringend die Notwendigkeit, dass das Topmanagement in Informationssicherheit investiert und Cyber­Sicherheitsmassnahmen in sämtliche Geschäftsprozesse implementiert.

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90 PROZENT DER ARBEITSZEIT WERDEN KÜNFTIG DURCH DIGITALE TECHNOLOGIE GEPRÄGT SEIN

TECHNOLOGIE PRÄGT ARBEITSUMFELD

Handlungsbedarf besteht auch bei den Qualifikationen zukünftiger Belegschaften. Eine Analyse von Accenture zeigt, dass bald durchschnittlich 90 Prozent der Arbeitszeit der Mitarbeitenden durch digitale Technologie geprägt sein werden – durch neue Arbeitsprozesse, die durch Auto­mation, Augmented Reality oder andere neue Technologien getrieben sind. Investitionen der Unternehmen in diese neuen Techno logien werden auch Rolle, Fähigkeiten und notwendige Fertigkeiten von ganzen Belegschaften neu definieren. Geht der Aufbau solch neuer Fähigkeiten nicht synchron mit technologischem Wandel und Fortschritt, besteht die Gefahr, dass das Wachstum des globalen BIP über die nächsten zehn Jahre um über einen Prozentpunkt geringer ausfällt.11

Schweizer Unternehmen werden von dieser Entwicklung betroffen sein – schon heute herrscht Fachkräftemangel im Land und Arbeitnehmer müssen aus dem Ausland

importiert werden. Politik und Wirtschaft müssen alles daransetzen, dass dieses Missverhältnis nicht grösser wird. In einem technologieaffinen Umfeld werden Eigen­schaften wie Kreativität, emotionale und soziale Intelligenz, komplexes Denkvermögen oder die Fähigkeit zur Wahr­nehmung senso rischer Eindrücke bedeutsamer, während administrative Fertigkeiten weniger zum Tragen kommen. Nun geht es um die Frage, wie Belegschaften die neuen Fähigkeiten erlernen können und wie Unternehmen Mitar­beitende während ihres Berufslebens an diese Heraus­forderungen heranführen können. Die Unterstützung der Transformation hin zu den in der digitalen Welt gefragten Fähigkeiten innerhalb der Unter nehmen wird deren Produk­tivität und auch die Profite durch zusätzliches Wachstum positiv beeinflussen. Gefordert sind freilich nicht nur die Privatwirtschaft, sondern auch die staatlichen Bildungs­institutionen und damit auch die Politik.

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EXPERIMENTELLES LERNEN

Die traditionell in der Schweiz verankerte berufliche Grund ­bildung12 stellt den Rahmen staatlich anerkannter Aus­ und Weiterbildung zur Verfügung, die auch beim Erwerb digitaler Fähigkeiten oder beim experimentellen Lernen von ganz neuen Arbeitsformen Anwendung finden kann. Selbstständiges und erfahrungsgeleitetes Erlernen von digitalen Anforderungen im Arbeitsprozess kann dabei Berufseinsteigern genauso zu Verfügung gestellt werden wie gestandenen Berufsleuten, die in neue digitale Fähig­keiten hineinwachsen müssen. Bei solchen On­the­Job­Trainings können wiederum digitale Technologien zur Anwendung kommen. Etwa Virtual­Reality­Programme, die jüngere und ältere Lernende mit dem experimentieren lassen, was sie eben an digitalen Fähigkeiten zu lernen haben.

Dies führt mitunter auch zu ganz neuen Erfahrungen und Erkenntnissen wie, dass jeder Mitarbeitende als Individuum heute über eine grössere Fülle von Fähigkeiten verfügen muss: technologische und auch sogenannte Soft­Faktoren. Ein Marketingprofi etwa benötigt nicht mehr nur Kreativität, sondern eben auch technologisches Know­how, um daten­getriebene Kundeninformationen richtig interpretieren zu können. Andere Tätigkeiten im Unter nehmen werden durch die Digitalisierung redundant – ins besondere solche, die durch Automatisierung maschinen getrieben werden. Das Unternehmen sollte diese gefähr deten Teile der Beleg­schaft frühzeitig identifizieren und diese durch erfahrungs ­geleitetes Erlernen von digitalen Fähigkeiten neuen Aufgaben im Unternehmen zuführen. Auf diesem Weg ist eine über Jahre aufgebaute Berufs erfahrung für das Unter­nehmen nicht verloren und bleibt wertvoll.

HEUTE MÜSSEN MITARBEITENDE ÜBER EINE GRÖSSERE FÜLLE VON FÄHIGKEITEN VERFÜGEN

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5G-NETZ ALS WACHSTUMSTREIBER

Im Bereich Infrastruktur ist die Einführung des super­schnellen 5G­Handynetzes der grösste, unmittelbar bevorstehende Meilenstein. Mit 5G ist es möglich, ein Gigabyte an Daten pro Sekunde zu übermitteln, was einem Kinofilm in HD­Qualität entspricht. Heute schon tragen mobile Technologien nach Zahlen aus dem Jahr 2017 rund 4,5 Prozent oder 3,6 Billionen Dollar zum globalen BIP bei. Ökonomen gehen davon aus, dass der Einfluss des 5G­Netzes auf neue Produkte und Dienst­leistungen bis ins Jahr 2035 rund zwölf Billionen Dollar betragen wird.13

Für die Schweiz bedeutet dies: Jede Verzögerung der 5G­Technologie kann die Volkswirtschaft Wirtschafts­wachs tum kosten. Politiker, Regulatoren und Telekommu­nikationsanbieter stehen in der Pflicht sicherzustellen, dass dies nicht geschieht.

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WAS ZU TUN IST – EINE KLEINE CHECKLISTE

1. Kunden digital ansprechen

Die heutigen Technologien ermöglichen es, den Endkunden über alle Kanäle einheitlich und individuell zu identifizieren und anzusprechen. Die Folge sind personalisierte neue transformationale Produkte, Post­Sales­Services und eine wesentlich intensivere Kundenbindung. Für die Unter­nehmen resultieren daraus höhere Umsätze und Margen. Der Autor Matthias Schrader beschreibt in seinem Bestseller «Transformationale Produkte», wie es Google, Apple oder Facebook gelingt, mit digitalen und nutzerfreundlichen Produkten in Branchen wie die Finanzindustrie, den Handel oder die Telekommunikation einzudringen.

3. Mitarbeitende digital ausbilden

Das traditionelle Schweizer duale Bildungssystem erlaubt es, von der Wirtschaft eingeforderte Fähigkeiten ohne grosse Zeitverzögerung in das Lehrlingswesen einzu­bauen und damit der Industrie rasch zur Verfügung zu stellen. Dieser Zugang sollte nun nicht nur Berufsein­steigern zugutekommen, sondern auch gestandenen Berufsleuten, die sich neben dem Beruf digitale Fähig­keiten aneignen und verbessern.

2. Organisation digital aufstellen

Neue Wachstumsquellen werden möglich, wenn das Kern­geschäft eines Unternehmens digitalisiert werden kann. Dazu muss die Organisation der Firma selber zu einer digi­talen Plattform mutieren mit einer nach innen und aussen offenen Architektur. Im Innern lassen sich so Innovationen ins Kerngeschäft integrieren und gegen aussen wird die Firma Teil von Ökosystemen, welche im permanenten Aus­tausch stehen mit Universitäten, Start­ups, der Politik und vor allem mit anderen Firmen.

4. Politik digital einbinden

Die Politik muss ihren Bildungsauftrag in der Grund­ und Weiterbildung den neuen digitalen Anforderungen anpassen und auch dafür besorgt sein, dass digitale Infrastrukturen und Rahmenbedingungen wie elektronische Zertifikate oder das 5G­Handynetz rasch landesweit verfügbar sind. Im Bereich E­Government hat die Schweiz im internationalen Vergleich zusätzlich grossen Handlungs­ und Nachholbedarf.

In einem Kurzabriss lassen sich vier Handlungsfelder ableiten, deren Hauptthesen gerade in Zeiten der Digitalisierung einprägsam und kurz sein müssen. Gleichzeitig bilden sie die Kurzformel für digitale Innovation.

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QUELLENANGABEN

1 Internationaler Währungsfonds (IMF), Data Mapper: www.imf.org/external/datamapper/NGDP_ RPCH@WEO/OEMDC/ADVEC/WEOWORLD/ CHE?year=2023

2 Fachkräftemangel Index Adecco Group; Stellenmarkt­ Monitor Schweiz, Universität Zürich, 2018 www.stellenmarktmonitor.uzh.ch/de/indices/

fachkraeftemangel.html3 OECD Economic Surveys: Switzerland, 2017

www.oecd-ilibrary.org/economics/oecd-economic-surveys-switzerland-2017/boosting-productivity-in-switzerland_eco_surveys-che-2017-5-en

4 Umfrage der Steuerexperten RSM Switzerland SA unter internationalen Unternehmen in der Schweiz, 2018 www.rsm.global/switzerland/insights/tax-insights/swiss-corporate-tax-reform-risks-driving-away-future-investment-international

5 Swiss Venture Capital Report, 2018 www.startupticker.ch/uploads/File/Attachments/ VC%20Report%202018_WEB_v.pdf

6 Schrader, Matthias: «Transformationale Produkte: Der Code von digitalen Produkten, die unseren Alltag erobern und die Wirtschaft revolutionieren», Edition NFO, 2017

7 World Economic Forum, The Global Competitiveness Report 2018: www.weforum.org/reports/the-global-competitveness-report-2018

8 Accenture, Making Machine Speak Volume, case study: www.accenture.com/us-en/success-making-machinery-speak-volumes

9 Digital.Swiss, Digital Identity: www.digital.swiss/en/topics/digital-identity10 Accenture­Studie: «Building Pervasive Cyber Resilience

now. Securing the Future Enterprise Today – 2018» www.accenture.com/us-en/insights/security/securing-future-enterprise-today

11 Accenture­Studie: «It’s Learning. Just not as we know it. How to accelerate skills acquisition in the age of intelligent technologies» www.accenture.com/t20180920T094705Z__w__/ us-en/_acnmedia/Thought-Leadership-Assets/PDF/Accenture-Education-and-Technology-Skills- Research.pdf#zoom=50

12 Accenture­Studie: «Jobs now. Vocational Education and training Swiss­style 2018» www.accenture.com/us-en/insight-swiss-style-training13 NewTmobile, Sparking the 5G Economy and Asserting American Leadership: www.newtmobile.com/sparking-the-5g-economy

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