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ÜBERSICHT KAMPO 224 Kuchta K. Traditionelle Japanische Medizin – Kampo, Teil 4 Zeitschrift für Phytotherapie 2014; 35: 224– 227 Japan unterscheidet sich bezüglich der Ein- bindung seiner traditionellen Medizin in das öffentliche Gesundheitssystem grund- sätzlich von seinen ostasiatischen Nach- barn: Sowohl in den chinesischen als auch in den koreanischen Staaten stehen das je- weilige traditionelle Medizinsystem und die westliche Schulmedizin als getrennte Einrichtungen nebeneinander. Die jeweili- gen Therapeuten studieren von Anfang an in getrennten Studiengängen, und traditio- nelle Mediziner haben eigene Abschlüsse und Titel wie z.B. „trad. Dr.“. Im Gegensatz dazu gibt es in Japan nur ein Gesundheits- system, in dem man nur dann eine Ausbil- dung zum traditionellen Kampo-Arzt ab- schließen kann, wenn man das schulmedi- zinische Studium zuvor abgeschlossen hat. An manchen Universitäten sind heute auch Kampo-Grundkurse bereits ins westliche Medizinstudium integriert. Die Zulassung als Arzt beruht in Japan aller- dings einzig auf dem Abschluss des im 19. Jh. größtenteils aus Deutschland übernom- menen westlichen Medizinstudiums. Jeder nach diesen Bedingungen zugelassene Arzt kann jedes Medikament verschreiben und bedarf für die Verschreibung von Kampo- Mitteln keinerlei Zusatzqualifikation. Die Verschreibung von Kampo erfolgt somit zu- meist durch den jeweiligen Hausarzt. Kampo ist heute Bestandteil der Schulmedizin Zum gegenwärtigen Aufschwung der Kam- po-Medizin in Japan hat zum einen beige- tragen, dass die moderne klinische Kampo Medizin zum überwiegenden Teil auf dem Kohoha-Kampo (s. Teil 2) mit seinem ein- gängigen Bestimmungsschlüssel beruht, zum anderen jedoch nicht mehr der „rei- nen Lehre“ dieser Schule folgt. Seit der Wiederaufnahme von Kampo in die natio- nale Krankenkasse vor beinahe 50 Jahren haben Gesundheitsministerium und Kran- kenkasse eine große Menge an klinischem Datenmaterial gesammelt, das ausreicht, um einem Kampo-Medikament oder Sho eine Reihe westlicher Diagnosen recht si- cher zuzuordnen (siehe z.B. die Indikati- onsangaben in Teil 3), dies in krassem Ge- gensatz zur traditionellen Ablehnung von Krankheitsnamen im „reinen“ Kohoha- Kampo. Diese Entwicklung erlaubt es auch rein westlich ausgebildeten Ärzten ohne zusätzliche Kampo- oder spezifische Koho- ha-Ausbildung, diese Rezepturen zu ver- schreiben. Heute werden Kampo-Präpara- te von mehr als 3/4 der japanischen Ärzte- schaft regelmäßig verordnet. Unter Gynä- kologen liegt dieser Anteil sogar bei über 90 %. Daher wird Kampo heute in Japan ge- meinhin nicht als Komplementär- oder Al- ternativmedizin aufgefasst, sondern als in- Kenny Kuchta Traditionelle Japanische Medizin – Kampo Teil 4: Kampo-Medizin heute* ZUSAMMENFASSUNG Mit dem Namen Kampo wird heute die Gesamtheit der traditionellen Phytotherapie Japans bezeichnet. Dieser Begriff, der wörtlich „chinesische Methode“ bedeutet, wurde im 19. Jh. geprägt, um die traditionelle einheimische Medizin von der einströ- menden westlichen Medizin zu unterscheiden. Das größte Problem für Kampo ergibt sich gegenwärtig jedoch aus der Konkurrenz zur TCM. Hatte Japan noch bis in die 80er-Jahre seinen Bedarf an Arzneidrogen weitgehend aus eigenem Anbau gedeckt, stieg der Marktanteil aus China importierter Rohdrogen in den vergangenen 20 Jah- ren auf ca. 80 %. Neben dem Problem der ungeklärten Identität der chinesischen Provenienzen mit den zuvor über Jahrhunderte in Japan etablierten Kultivaren, hat sich die Kampo-Medizin durch diese Entwicklung gegenüber der TCM politisch er- pressbar gemacht, da letztere nun den Zugang zu den benötigten Drogen kontrol- liert. Dies äußert sich bereits in Versuchen der chinesischen Regierung, bei der WHO die traditionellen Medizinsysteme Japans und Koreas als Teilgebiete der TCM regis- trieren zu lassen. Inzwischen sind Projekte angelaufen, um dem einheimischen Arz- neipflanzenanbau zu stärken und die Identität der japanischen Kampo-Medizin auch künftig zu wahren. Im Gegensatz dazu stellt die Konkurrenz mit der westlichen Schulmedizin heute für die Kampo-Medizin keine Schwierigkeit mehr da. Im Gegen- teil hat die Tatsache, dass im Kampo philosophische Überlegungen gegenüber der tradierten klinischen Empirie deutlich zurückstehen, die Entwicklung einer lebhaften Kooperation mit modernen Therapieformen im Rahmen einer „integrativen Medi- zin“ außerordentlich beflügelt. Kampo, Ekisu, Schulmedizin, integrative Medizin, TCM Schlüsselwörter * Teil 3 (Medikamente und Arzneipflanzen der Kampo-Medizin) ist in Heft 4/2014 erschienen. Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

TraditionelleJapanischeMedizin– Kampo€¦ · cus Abb.2: AbfülleneinesKampo-Arzneimittelsin Granulatform(„Ekisu“). ©A nd yC ru mp /Scienc eP ho to Library/A ge ntur Fo cus

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Page 1: TraditionelleJapanischeMedizin– Kampo€¦ · cus Abb.2: AbfülleneinesKampo-Arzneimittelsin Granulatform(„Ekisu“). ©A nd yC ru mp /Scienc eP ho to Library/A ge ntur Fo cus

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KAMPO

224 Kuchta K. Traditionelle Japanische Medizin – Kampo, Teil 4 Zeitschrift für Phytotherapie 2014; 35: 224–227

Japan unterscheidet sich bezüglich der Ein-bindung seiner traditionellen Medizin indas öffentliche Gesundheitssystem grund-sätzlich von seinen ostasiatischen Nach-barn: Sowohl in den chinesischen als auchin den koreanischen Staaten stehen das je-weilige traditionelle Medizinsystem unddie westliche Schulmedizin als getrennteEinrichtungen nebeneinander. Die jeweili-gen Therapeuten studieren von Anfang anin getrennten Studiengängen, und traditio-nelle Mediziner haben eigene Abschlüsseund Titel wie z.B. „trad. Dr.“. Im Gegensatzdazu gibt es in Japan nur ein Gesundheits-

system, in dem man nur dann eine Ausbil-dung zum traditionellen Kampo-Arzt ab-schließen kann, wenn man das schulmedi-zinische Studium zuvor abgeschlossen hat.Anmanchen Universitäten sind heute auchKampo-Grundkurse bereits ins westlicheMedizinstudium integriert.

Die Zulassung als Arzt beruht in Japan aller-dings einzig auf dem Abschluss des im 19.Jh. größtenteils aus Deutschland übernom-menen westlichen Medizinstudiums. Jedernach diesen Bedingungen zugelassene Arztkann jedes Medikament verschreiben und

bedarf für die Verschreibung von Kampo-Mitteln keinerlei Zusatzqualifikation. DieVerschreibung von Kampo erfolgt somit zu-meist durch den jeweiligen Hausarzt.

Kampo ist heute Bestandteil derSchulmedizin

Zum gegenwärtigen Aufschwung der Kam-po-Medizin in Japan hat zum einen beige-tragen, dass die moderne klinische KampoMedizin zum überwiegenden Teil auf demKohoha-Kampo (s. Teil 2) mit seinem ein-gängigen Bestimmungsschlüssel beruht,zum anderen jedoch nicht mehr der „rei-nen Lehre“ dieser Schule folgt. Seit derWiederaufnahme von Kampo in die natio-nale Krankenkasse vor beinahe 50 Jahrenhaben Gesundheitsministerium und Kran-kenkasse eine große Menge an klinischemDatenmaterial gesammelt, das ausreicht,um einem Kampo-Medikament oder Shoeine Reihe westlicher Diagnosen recht si-cher zuzuordnen (siehe z.B. die Indikati-onsangaben in Teil 3), dies in krassem Ge-gensatz zur traditionellen Ablehnung vonKrankheitsnamen im „reinen“ Kohoha-Kampo. Diese Entwicklung erlaubt es auchrein westlich ausgebildeten Ärzten ohnezusätzliche Kampo- oder spezifische Koho-ha-Ausbildung, diese Rezepturen zu ver-schreiben. Heute werden Kampo-Präpara-te von mehr als 3/4 der japanischen Ärzte-schaft regelmäßig verordnet. Unter Gynä-kologen liegt dieser Anteil sogar bei über90%. Daher wird Kampo heute in Japan ge-meinhin nicht als Komplementär- oder Al-ternativmedizin aufgefasst, sondern als in-

Kenny Kuchta

Traditionelle Japanische Medizin –KampoTeil 4: Kampo-Medizin heute*

ZUSAMMENFASSUNGMit dem Namen Kampo wird heute die Gesamtheit der traditionellen PhytotherapieJapans bezeichnet. Dieser Begriff, der wörtlich „chinesische Methode“ bedeutet,wurde im 19. Jh. geprägt, um die traditionelle einheimische Medizin von der einströ-menden westlichen Medizin zu unterscheiden. Das größte Problem für Kampo ergibtsich gegenwärtig jedoch aus der Konkurrenz zur TCM. Hatte Japan noch bis in die80er-Jahre seinen Bedarf an Arzneidrogen weitgehend aus eigenem Anbau gedeckt,stieg der Marktanteil aus China importierter Rohdrogen in den vergangenen 20 Jah-ren auf ca. 80%. Neben dem Problem der ungeklärten Identität der chinesischenProvenienzen mit den zuvor über Jahrhunderte in Japan etablierten Kultivaren, hatsich die Kampo-Medizin durch diese Entwicklung gegenüber der TCM politisch er-pressbar gemacht, da letztere nun den Zugang zu den benötigten Drogen kontrol-liert. Dies äußert sich bereits in Versuchen der chinesischen Regierung, bei der WHOdie traditionellen Medizinsysteme Japans und Koreas als Teilgebiete der TCM regis-trieren zu lassen. Inzwischen sind Projekte angelaufen, um dem einheimischen Arz-neipflanzenanbau zu stärken und die Identität der japanischen Kampo-Medizin auchkünftig zu wahren. Im Gegensatz dazu stellt die Konkurrenz mit der westlichenSchulmedizin heute für die Kampo-Medizin keine Schwierigkeit mehr da. Im Gegen-teil hat die Tatsache, dass im Kampo philosophische Überlegungen gegenüber dertradierten klinischen Empirie deutlich zurückstehen, die Entwicklung einer lebhaftenKooperation mit modernen Therapieformen im Rahmen einer „integrativen Medi-zin“ außerordentlich beflügelt.

Kampo, Ekisu, Schulmedizin, integrative Medizin, TCM

Schlüsselwörter* Teil 3 (Medikamente und Arzneipflanzen derKampo-Medizin) ist in Heft 4/2014 erschienen.

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tegraler Bestandteil der Schulmedizin,wenn auch teilweise nur,weil die Patientenhier oft „Schulmedizin“ als „alles was dieKasse zahlt“ definieren.

Diese Entwicklungwird zwar auch von vie-len traditionellen Vertretern der Kampo-Medizin sehr begrüßt, doch wird immerwieder angeführt, dass die eigentlicheStärke zumindest des Kohoha-Kampo inder Identität von Sho und zu verschreiben-dem Medikament besteht und sich nurdurch die Diagnose des korrekten Sho unddie Therapie mit dem zu diesem Sho iden-tischen Medikament das volle Potenzialdes Kohoha-Kampo nutzen lässt (1).

Wissenschaftliche Forschung

Sowohl nachwestlicher Indikation als auchnach traditioneller Sho-Diagnose wurde inden vergangenen Jahrzehnten eine beein-druckende Menge klinischer Daten zusam-mengetragen, die von einer noch größerenMenge an pharmakologischen und phyto-chemischen Forschungsarbeiten unter-stützt wird. Allein schon aufgrund der gro-ßen Zahl verschiedener Kampo-Rezeptu-ren kann hier auf einzelne Forschungser-gebnisse nicht eingegangen werden.Stattdessen sei darauf verwiesen, dass bei-spielsweise für die Rezepturen Shosaikoto(2) und Juzentaihoto (4) komplette Büchererschienen sind, die sich jeweils aus-schließlichmit phytochemischen, pharma-

kologischen und klinischen Nachweisenfür die Wirksamkeit jeweils eines dieserMedikamente befassen.

„Ekisu“-Granulat –eine moderne Innovation

Eineweitere bedeutende Neuerung, die diemoderne Kampo-Medizin sowohl von derTCM als auch von der eigenen Vergangen-heit noch bis in die 70er-Jahre trennt, istdie neue Applikationsform von Kampo-Re-zepturen als sprühgetrocknetes Granulat(„Ekisu“). Dazu wird das Dekokt in klassi-scher Weise hergestellt, dann unter Vaku-um stark eingeengt und mit Reisstärkeoder Laktose versetzt, was die anschlie-ßende Sprühgranulierung vereinfacht. Dasresultierende Pulver wird dann in kleinenAluminiumtüten unter Luft- und Lichtab-schluss eingeschweißt, wobei die betref-fende Menge bereits auf eine 1/3 Tagesdo-sis für die klassische 3 tägliche Einnahmeabgemessen ist. Die Ekisu-Präparation warursprünglich dazu gedacht, dass der Pa-tient den Inhalt eines der Beutel in einemGlas Wasser löst und trinkt, doch es hatsich eingebürgert, das Granulat in denMund auf die Zunge zu schütten und dannmit einem Glas Wasser herunterzuspülen.Durch diese Präparation hat sich der zeitli-che Aufwand für den Patienten von we-nigstens 30 min für das Abkochen des De-kokts auf wenige Sekunden für das Öffneneines Tütchens verringert, was die Compli-

ance enorm gefördert hat. Ekisu-Präparategibt es heute für praktisch alle ca. 150 Kas-sen-Kampo-Medikamente, und in derüberwiegenden Mehrheit der Fälle ist esnicht mehr das traditionelle Dekokt, son-dern dieses Granulat, welches vom Arztverschrieben wird.

Kritisch muss angemerkt werden, dass dieEkisu-Präparate, die von den großen Kam-po-Firmen industriell nach den einheitli-chen, vom Ministerium genehmigten klas-sischen Rezepturen gefertigt werden, zwarinnerhalb der Produktion einer Firma hochreproduzierbar sind, jedoch weniger, wennman identische Rezepturen aus der Her-stellung verschiedener Firmen miteinan-der vergleicht. Besonders die Flüchtigkeitvon Ätherisch-Öl-Komponenten in derProduktion ist hier teilweise noch ein Pro-blem, das sich bei der Rezeptierung einesDekokts durch einen erfahrenen Apothekernicht stellt (1) (Abb. 1, 2).

Alle verschreibungsfähigen Kampo-Präpa-rate beruhen auf Rezepturen, die spätes-tens zur Mitte des 19. Jh. fest etabliert wa-ren. Eine Patentierbarkeit ist damit ausge-schlossen, sodass häufig verschiedene An-bieter identische Rezepturen im Angebothaben und damit umdie Patienten konkur-rieren. Wie bei europäischen Phytophar-maka-Herstellern erfolgt eine ausgiebigeQualitätskontrolle für jeden Herstellungs-schritt von den Rohdrogen bis zum fertigenArzneimittel. Auch wenn sich die Details

Abb.1: Herstellung eines individuellen Kampo-Rezepturarzneimittels in der Apotheke. Das Foto entstand imUniversitätsklinikum der Kitasato Universität, Tokyo.

©AndyCrum

p/SciencePhotoLibrary/AgenturFocus

Abb.2: Abfüllen eines Kampo-Arzneimittels inGranulatform („Ekisu“).

©AndyCrum

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Page 3: TraditionelleJapanischeMedizin– Kampo€¦ · cus Abb.2: AbfülleneinesKampo-Arzneimittelsin Granulatform(„Ekisu“). ©A nd yC ru mp /Scienc eP ho to Library/A ge ntur Fo cus

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der vorgeschriebenen Tests von denen derPh.Eur. unterscheiden mögen, sind die an-gewandten Techniken, wie z.B. HPLC, aufdem gleichen technischen Stand der „GoodManufacturing Practice“ wie in der EU.

Probleme und Chancen

Die größte Schwierigkeit für die Kampo-Medizin stellt heute der Zugang zu ihrenRohdrogen dar. Vom Beginn der Edo-Zeitbis in die 80er-Jahre wurde – von wenigenAusnahmen, nämlich Drogen, die von Por-tugiesen und Niederländern nach Japan ge-bracht worden waren, abgesehen – fast dergesamte pflanzliche Arzneischatz der Kam-po-Medizin in Japan angebaut, wobei teil-weise unter persönlichem Engagement derfeudalen Herrscher zahlreiche neue Sortengezüchtet wurden, die sowohl an das Klimader Inseln als auch an die Bedürfnisse dereinheimischen Ärzte angepasst waren. ImGegenzug wurden die ursprünglich ausChina importierten Rezepte modifiziertund neue Rezepturen entwickelt, wobeistets die heimischen Sorten als Ausgangs-material dienten. Mit dem Fall des EisernenVorhangs war jedoch ab den 90er-Jahrenerstmals seit 400 Jahren der Import chine-sischer landwirtschaftlicher Erzeugnissenach Japan im großen Stil möglich, wo die-se, durch das stark unterschiedliche Lohn-niveau bedingt, einen enormen Preisvorteilhatten. In den vergangenen 20 Jahren stiegder Marktanteil der aus China importiertenRohdrogen als Ausgangsmaterial für Kam-po-Fertigarzneimittel in Japan von nahezu0 auf über 80%. Dabei handelt es sich jedochnicht um Kampo-Rohdrogen, die nun inChina angepflanztwerden, sondern eswer-den die Sorten derselben Pflanzenart, dieeigentlich für den Gebrauch in der TCM be-stimmt waren, nun für Kampo-Arzneimit-tel verwendet, für die bisher die japani-schen Kultivare dieser Arten verwendetwurden. Die pharmazeutische Identitätvieler heute verschriebener Kampo-Arznei-mittel mit den bis in die 80er-Jahre unver-ändert tradierten Rezepturen kann daherzumindest teilweise als zweifelhaft gelten.

Als weitaus größeres, geopolitisches Pro-blem ergab sich aus dieser Entwicklung,dass sich Kampo gegenüber der TCM er-pressbar machte, da die chinesische Regie-

rung den Zugang zu den benötigten Drogenkontrolliert und bereits Versuche unter-nommen hat, bei der WHO die traditionel-len Medizinsyteme sowohl Japans als auchKoreas als Teilgebiete der TCM einzuverlei-ben. Ein Versuch, der aufgrund der Tatsa-che, dass besonders das Kohoha-Kampoauf einer bewussten, erkenntnistheoreti-schenAblehnung des philosophischenHin-tergrundes der TCM gründet, nicht einergewissen Ironie entbehrt.

Zu diesem Problem mögen auch Nachklän-ge aus der Zeit der „Verwestlichung vonoben“ im späten 19. und frühen 20. Jh. im ja-panischen Bewusstsein beigetragen haben,sodass man teils auch heute noch Selbstbe-wusstsein fast ausschließlich aus dem Stolzauf die eigene moderne Hochtechnologieund nicht aus kulturellen Errungenschaftenoder der Tradition schöpft. Dies mag erklä-ren, warum zwar das japanische Gesund-heitsministerium Kampo seit fast 50 Jahrenals wirksame Therapie anerkennt, trotzdemaber noch nie versucht wurde, den Exportder eigenen Produkte auf diesem Gebietauch nur im geringsten zu fördern; diesganz im Gegensatz zur Situation in China.Weiterhin mag die Tatsache, dass das ersteder beiden Schriftzeichen im Wort Kampo( ) „China“ bedeutet, dazu beigetragenhaben, weiten Teilen der japanischen Bevöl-kerung außerhalb der medizinischen Fach-kreise fälschlicherweise zu suggerieren, eshandele sich hier um TCM und nicht umeine konzeptionell eigenständige, japani-sche Tradition. Auch die fortgesetzte Benen-nung des Goseiha-Kampo als „TCM“ durchKohoha-Therapeuten mag an dieser Situa-tion nicht ganz unschuldig sein.

Inzwischen sind jedoch Regierungsprojek-te angelaufen, um dem einheimischen Arz-neipflanzenanbau wieder auf die Beine zuhelfen und die Identität der japanischenKampo-Medizin auch künftig zu wahren.Auch das inzwischen deutlich wachsendeinternationale Interesse an Kampo solltedie Situation in den kommenden Jahrenverbessern.

Kampo als „integrative Medizin“

Im Gegensatz zur TCM oder auch zum Ay-urveda hat die Kampo-Medizin im Westen

bisher nur äußerst geringe Resonanz ge-funden. Dies ist besonders bedauerlich, dagerade Kampo dafür prädestiniert ist, sichin das europäische Gesundheitssystembesser als irgendeine andere ethnomedizi-nische Tradition einzufügen. Kampo-Ärztehaben seit 400 Jahren europäische medizi-nische Traditionen rezipiert und im Falledes Secchuha-Kampo auch in die eigeneTradition integriert. Seit 150 Jahren stehtKampo im eigenen Land in Konkurrenz zurwestlichen Schulmedizin und hat sich indieser Situation so gut bewährt, dass es vorbeinahe 50 Jahren in die öffentliche Kas-senleistung aufgenommen wurde und alsselbstverständlicher Bestandteil ins west-lich geprägte Gesundheitssystem inte-griert ist.

Seit ca. 125 Jahrenwird in Japan Kampo nurnoch von Ärzten praktiziert, die zumindestein konventionelles Medizinstudium er-folgreich abgeschlossen haben. Eine Mehr-heit der Ärzte, die heute Kampo-Medika-mente verschreiben, ist sogar rein westlichausgebildet und besitzt nicht die Zusatz-qualifikation, eine Kampo-Diagnose zustellen. Sie richten sich dabei nach den Zu-ordnungen konventioneller Diagnosen zuden verschreibungsfähigen Kampo-Präpa-raten in den Katalogen der Krankenkasse.

Im Gegensatz zu TCM und Ayurveda – odersogar zur zutiefst europäischen Homöopa-thie – kann Kampo also praktiziert werden,ohne dass der Therapeut erst umständlichein damit verbundenes philosophischesSystem erlernen muss. Ein rein konventio-nell ausgebildeter japanischer Arzt, derKampo-Medikamente aus guter ärztlicherErfahrung verschreibt, unterscheidet sichin dieser Hinsicht wenig von seinem deut-schen Kollegen.

Andererseits bietet die Kampo-Medizindurchaus einen lebendigen philosophi-schen Hintergrund – mit Goseiha und Ko-hoha sogar 2 recht verschiedene philoso-phische Grundhaltungen – dessen Aneig-nung sich in jedem Fall positiv auf denTherapieerfolg auswirken wird. Die Koho-ha-Kampo-Diagnose nach Yoshimasu Todomit der Identität von Sho-Diagnose undpassendem Medikament scheint hier be-sonders geeignet zu sein. Auch dieses Sys-tem hat in den vergangenen Jahren deutli-

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che Vereinfachungen erfahren, indem z.B.von Prof. Dr. Terasawa Katsutoshi (3, 5) einPunktesystem ausgearbeitet wurde, dassden Antworten im Kohoha-Patientenge-spräch und einfachen Untersuchungen, dieauch ein westlich ausgebildeter Medizinerproblemlos durchführen kann, numerischeWerte zuweist, die dann durch den Bestim-mungsschlüssel führen. Dies sollte auchungeübten europäischen Ärzten zumin-dest einen ersten Zugang zur Sho-Diagnoseeröffnen.

Die Ekisu-Präparate (s.o.) sollten nicht nurfür westliche Ärzte, sondern insbesondereauch für den Patienten den Zugang zurKampo-Therapie deutlich vereinfachen.Dies ganz im Gegensatz zur TCM, wo häu-fig kranke Europäer mit der ungewohnten,mehrstufigen Abkochung von TCM-Dekok-ten überfordert sind. Leider sind die regu-latorischen Rahmenbedingungen für einengenerellen Import von Ekisu-Präparatennach Europa noch nicht vollständig geklärt.Ein grundsätzliches Problem sollte jedochnicht bestehen, da von den ca. 150 ver-schreibungsfähigen Kampo-Präparatenweniger als 10 Rezepturen, welche die Dro-ge Aconitum-carmichaelii-Wurzel (Abb. 3)enthalten, in Deutschland der Verschrei-bungspflicht unterliegen.

Einweiterer Vorteil von Kampo für den Ein-satz in Europa ist die besonders imKohoha-Kampo ausgeprägte Doktrin der „flexiblen

Therapie“, aus welcher gemeinsam mit derDoktrin des Körpers als „Black-Box“ dieproblemlose parallele Verwendbarkeit vonKohoha-Kampo-Drogen mit schulmedizi-nischen Medikamenten abgeleitet wird.Nimmt ein Patient, der nach Kohoha-Lehremit einem bestimmten Sho diagnostiziertist, ein schulmedizinisches Medikamentein, so geht dieses als Input in die „Black-Box“ Körper ein. Als Output des westlichenMedikaments ergibt sich, genau wie beiKampo-Drogen, eine Änderung des Krank-heitszustandes, also ein verändertes Sho.Laut der Doktrin des Körpers als „Black-Box“ sind jedoch alle Prozesse, die im Kör-per den Krankheitszustand hervorgerufenhaben, irrelevant. Das einzige was zählt, istdas Sho, das der Patient im Augenblick derUntersuchung zeigt. Dieses wird mit demidentischen Medikament aus dem Bestim-mungsschlüssel behandelt. Die Tatsache,dass das Sho ein ganz anderes wäre, wennder Patient nicht parallel westlicheMedizineinnähme, ist also nicht von Belang. Nur inAusnahmefällen ist die gleichzeitige Ein-nahmemit bestimmten anderenWirkstoff-klassen aufgrund von möglichen Wechsel-wirkungen kontraindiziert, was jedoch inden Packungsbeilagen angegeben ist.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Koho-ha-Kampo also sehr angenehm von derklassischen Homöopathie, in der eine Be-handlung aufgrund eines durch die gleich-zeitige Anwendung schulmedizinischerArzneimittel „verfälschten“ Arzneimittel-bildes zumeist als unwirksam abgelehntwird. Andererseitswürde sich auch einDia-log zwischen Kampo-Medizin, klassischereuropäischer Naturheilkunde und Homöo-pathie sehr anbieten. So gibt es einige un-übersehbare Berührungspunkte zwischender Philosophie von Yoshimasu Todo(1702–1773) und der seines jüngeren deut-schen Zeitgenossen Samuel Hahnemann(1755–1843), wie z.B. Bekämpfung vonGiftmit Gift als Anregung zur Selbstheilung; dasMedikament als Diagnose; Ablehnung vonKrankheitsnamen; intensives Patientenge-sprächmit persönlichen Fragen zur Diagno-se; Erstreaktion bzw. Erstverschlimmerungals Zeichen der richtigen Medikamenten-wahl; und zu guter Letzt zeugen auch dieIdeen von dem „einen Gift“ und dem „Mias-ma“ als Ursache von Krankheit von einergedanklichenNähe. Ganz im Sinne der klas-

sischen Phytotherapie handelt es sich je-doch bei Kampo-Präparaten um hochkon-zentrierte Auszüge einer traditionellenArz-neipflanzenmischung.

Somit bietet sich mit der traditionellen ja-panischen Kampo-Medizin durch ihreweltanschauliche Offenheit und im eige-nen Land unter Beweis gestellte freie Kom-binierbarkeit mit der Methoden der kon-ventionellen Medizin für den interessier-ten Arzt die Möglichkeit, echte „integrativeMedizin“ zu praktizieren, was wohl nur beiden wenigsten traditionellen Heilmetho-den in ähnlichem Maß der Fall sein dürfte.

Ass.-Prof. Dr. Kenny KuchtaComplementary and Alternative MedicineSanyo Gakuen UniversityNaka-ku, Hirai 1-14-1703-8501 OkayamaJapan

[email protected]

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt,dass keine diese Publikation betreffendenInteressenkonflikte vorliegen.

Onlinehttp://dx.doi.org/10.1055/s-0034-1371746

■ LITERATUR

1 Eberhard U. Leitfaden Kampo-Medizin:Japanische Phytotherapie. München:Elsevier, Urban & Fischer; 2003

2 Ogihara Y, Aburada M, ed. Sho-Saiko-To:Scientific Evaluation and Clinical Applicati-ons. Boca Raton: CRC Press; 2003

3 Terasawa K. Kampo – Praxis der traditionel-len fernöstlichen Phytotherapie anhand vonklinischen Fallbeispielen. Heidelberg: Haug;1994

4 Yamada H, Saiki I, ed. Juzen-taiho-to:Scientific Evaluation and Clinical Applicati-ons. Boca Raton: CRC Press; 2005

5 Yasui H. Distinctive features of Kampomedicine – Theory, clinical style, research,application in the modern medicinal system.The Journal of Kampo, Acupuncture and In-tegrative Medicine 2005; 1(Special edition):10–13

Neben den oben angegebenen schriftlichenQuellen beruht der vorliegende Artikel zu nichtunwesentlichen Teilen auf den persönlichenErfahrungen des Autors in Japan.

The English summary is accessible online atwww.thieme-connect.de/products

Abb.3: Aconitum carmichaelii – die giftige Wurzel-droge des Chinsesichen Eisenhuts ist, in äußerstgeringer, unbedenklicher Dosierung, Bestandteileiniger weniger Kampo-Präparate.

©H.Zell

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