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Trans- und suprakondyläre Mehrfragmentfrakturen: Welche Osteosyntheseform und welche Nachbehandlung?

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Page 1: Trans- und suprakondyläre Mehrfragmentfrakturen: Welche Osteosyntheseform und welche Nachbehandlung?

Über 6% aller Frakturen betreffen dasEllengelenk [13], davon entfällt etwadie Hälfte auf den körperfernen Ab-schnitt des Humerus [7]. Schwerwie-gendere Frakturen im Sinn von Mehr-fragmentfrakturen des Kondylenmas-sivs liegen in weniger als 1% allerFrakturen vor [10].

Anatomisch und funktionell bestehtdas Ellbogengelenk aus 3 Komponen-ten, dem Humeroulnargelenk, dem Hu-meroradialgelenk sowie dem proxima-len Radioulnargelenk. Dies erklärt denhohen Prozentsatz funktionell schlech-ter Ergebnisse unter konservativer Be-handlung ellengelenknaher Frakturen[1]. Aber auch bei der operativen Be-handlung, insbesondere im Rahmenvon Komplexverletzungen mit ent-sprechendem Weichteilschaden, be-gleitenden Nervenschäden oder aberGefäßverletzungen, wird eine hoheKomplikationsrate angegeben [3, 8,20, 23]. Als späte Folgezustände resul-tieren Fehlstellungen, Pseudarthrose-bildungen sowie posttraumatische Ein-steifungen des Ellengelenks [2, 3, 5,15, 20, 23].

Diesbezüglich wird von vielen Au-toren von dem Verbleib eines signifi-kanten Streckdefizits berichtet.

Entsprechend resultieren die Verlet-zungen des Ellengelenks häufig in ei-ner rentenrelevanten Minderung der

Erwerbsfähigkeit, so daß schließlich15% aller zur Rente führenden Verlet-zungen das Ellbogengelenk bzw. denUnterarm betreffen [22, 23].

Es ist heute unbestritten, daß eineübungsstabile Osteosynthese mit exak-ter Gelenkflächenrekonstruktion undentsprechend frühzeitiger Übungsbe-handlung die Voraussetzung für einegute Gelenkfunktion darstellt [4, 6, 9,20].

Frakturklassifikation

Die Frakturen des distalen Humerusfinden sich im amerikanischenSchriftgut häufig nach Riseborough u.Radin [19] klassifiziert (Abb. 1). Die-se Einteilung bezieht sich nur auf dieeigentlichen Gelenkfrakturen. Sie un-terscheidet unverschobene Bruchfor-men (Typ I) von verschobenen For-men ohne Rotation (Typ II), dislozier-te Frakturen mit Rotationskomponen-te (Typ III) und intraartikuläre Mehr-fragmentfrakturen mit Rotation (TypIV).

In Anlehnung an die Fraktureintei-lung bei distalen Femurfrakturen stell-ten Müller et al. [17] 1977 eine Klassi-fikation der distalen Humerusfrakturenvor (Abb.2), an der sich mittlerweilenicht nur die europäischen, sondernauch die amerikanischen Autoren ori-entieren. Diese Klassifikation unter-scheidet die extraartikulären Frakturen(Typ A) von den intraartikulären uni-kondylären Frakturen (Typ B) und be-inhaltet als schwerste Frakturform diebikondylären Frakturen (Typ C).

Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S67–S73 © Springer-Verlag 2000

Trans- und suprakondyläre Mehrfragmentfrakturen: Welche Osteosyntheseform und welche Nachbehandlung?

H.-R. Kortmann1, H. J. Böhm1, C. M. Queitsch2

1 Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Duisburg-Buchholz2 Berufsgenossenschaftliches Unfallkrankenhaus Hamburg

Priv.-Doz. Dr. H.-R. Kortmann, Ärztlicher Direktor der Berufsgenossenschaftlichen Un-fallklinik Duisburg-Buchholz, GroßenbaumerAllee 250, D-47249 DuisburgTel.: 0203-76883101, Fax: 0203-7681357

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Zusammenfassung

Weniger als 1% aller Frakturenbetreffen als Mehrfragmentfrakturdie Humeruskondylen. Es handeltsich hierbei um Frakturformen,die hohe Ansprüche an die opera-tive Technik stellen. Im 1. Schrittist der Gelenkblock durch interneMinimalfixation zu rekonstruieren,Defekte müssen mit autogenerSpongiosa aufgefüllt werden. Derrekonstruierte Gelenkblock wirdanschließend auf das proximaleSchaftfragment reponiert. Zur Retention ist in der Regel die Anwendung einer bilateralen Plattenosteosynthese erforderlich. Die Nachbehandlung erfolgt beiübungsstabiler Osteosynthese früh-funktionell. Im Hinblick auf diepostoperativen Ergebnisse wird inder Literatur praktisch durchge-hend auf das Verbleiben eines si-gnifikanten Streckdefizits hinge-wiesen, welches sich jedoch funk-tionell weniger stark als eine Beu-geeinschränkung auswirkt. DieseFeststellung findet auch in die gut-achterliche Einschätzung Ein-gang. Die Begutachtung muß ne-ben einer Bewegungeinschrän-kung des Ellbogengelenks sowieeiner eingeschränkten Unterarm-drehbeweglichkeit weitere Fakto-ren berücksichtigen: Gelenkinsta-bilität, posttraumatische Arthrose,begleitende Gefäß- und Nerven-schäden sowie Narbenaufbrücheund -kontrakturen.

Schlüsselwörter

Kondyläre Humerusfraktur · Klas-sifikation · Plattenosteosynthese ·Spätrekonstruktion · Begutachtung

ELLBOGENVERLETZUNG

Page 2: Trans- und suprakondyläre Mehrfragmentfrakturen: Welche Osteosyntheseform und welche Nachbehandlung?

Unter Beibehaltung der Charakteri-stika dieser Einteilung erfuhr selbige1990 eine Erweiterung, ebenfalls

durch Müller et al. [18], wobei jedemeinzelnen Typ 3 weitere Unterformenzugeteilt wurden. Der Einfachheit hal-

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Trauma Berufskrankh (2000) 2 [Suppl 1] : S67–S73© Springer-Verlag 2000

Trans- and supracondylarcomminution of the distalhumerus – fixation techniques andpostoperative treatment

H.-R. Kortmann, H. J. Böhm, C. M. Queitsch

Abstract

Less than 1% of all fractures in-volve comminution of the humer-al condyles. These difficult frac-tures demand a sophisticated oper-ative technique. In the first step thearticular surface must be recon-structed by means of screws and/orKirschner wires. The articularblock is then reduced and fixed tothe proximal fragment by bilateralplating. In the case of bony defectsautogenous cancellous bone graft-ing is recommended. Early phys-iotherapy with active joint motionis essential. A review of the litera-ture with special reference to post-operative results shows that thereis residual restriction of extensionby an average of 20–30°. For limbfunction this is considered to beless important than the restrictionof flexion. Of course, in expert as-sessments prepared for insurancesand other official purposes thefunctional deficit is the crucial cri-terion. Besides this, additional fac-tors such as joint instability, post-traumatic arthritis, nerve palsy,vessel damage, cicatricial contrac-tion, and keloids must be taken in-to account.

Key words

Condylar humeral fracture · Clas-sification · Plate fixation · Delayedreconstruction · Expert assessment

Abb.1. Klassifikation nach Riseborough u. Radin [19] betreffend die bikondylären Humerusfrak-turen

I

III IV

II

A 1 2 3

B 1 2 3

C 1 2 3Abb.2. AO-Klassifikation nach Müller et al. [17] betreffend die distalen Humerusfrakturen

Page 3: Trans- und suprakondyläre Mehrfragmentfrakturen: Welche Osteosyntheseform und welche Nachbehandlung?

ber und zur besseren Übersicht wird inder folgenden Arbeit auf die ältere AO-Klassifikation von Müller et al. ausdem Jahr 1977 [17] Bezug genommen.

Unabhängig davon muß darauf hin-gewiesen werden, daß sich diese Klas-sifikation dahingehend nachteilig aus-wirkt, daß ausschließlich knöcherneVerletzungen beschrieben werden undligamentäre Verletzungen sowie be-gleitende Weichteilschäden, Nerven-verletzungen oder Gefäßläsionen keineBerücksichtigung finden. Dabei führenbegleitende Weichteilverletzungen mitZerreissungen von Muskulatur, Kapseloder Bandapparat häufig zu sekun-dären heterotopen Ossifikationen undentsprechend schlechten funktionellenErgebnissen.

Insofern müssen bei der späterenBeurteilung des funktionellen Ender-gebnisses Begleitverletzungen undprimärer Weichteilschaden mit einbe-zogen werden. Gustilo et al. [8] und in Erweiterung dessen Tscherne u. Oestern [24] haben hierzu geeigneteKlassifikationen vorgestellt.

Operationstechniken

Sowohl bei der Behandlung von supra-kondylären als auch von diakondy-lären Mehrfragmentfrakturen stellt diePlattenosteosynthese die einzige Sta-bilisierungsform dar, die sowohl eineexakte Gelenkrekonstruktion als aucheine ausreichende Stabilität zu vermit-teln vermag. Bei Komplexverletzun-gen mit Weichteilschaden bzw. bei of-fenen Frakturen kann sich der Einsatzausreichender interner Implantate ver-bieten. Dennoch sollte beim Pri-

märeingriff möglichst eine weitgehen-de Rekonstruktion des Gelenks erfol-gen, so daß sich in derartigen Fällendie Minimalosteosynthese in Verbin-dung mit einem gelenkübergreifendenFixateur externe anbietet.

Suprakondyläre Mehrfragmentfrakturen (A3)

Die isolierte suprakondyläre Mehr-fragmentfraktur stellt eher eine Raritätdar. Unter der Zielsetzung einer mög-lichst frühfunktionellen Nachbehand-lung ist die bilaterale Plattenosteosyn-these unter Verwendung von Rekon-struktionsplatten als die einzige geeig-nete Osteosyntheseform anzusehen,die früher häufig verwandte Y-förmigeKleinfragmentrekonstruktionsplattebietet u. E. keine ausreichende Stabi-lität. Unabhängig davon ist sie auchschwierig anzumodellieren. Noch un-geeigneter ist die alleinige dorsale Plat-tenosteosynthese, da keine ausreichen-de Fixation des distalen Hauptfrag-ments zu erzielen ist und ein Zusam-menbruch der Montage förmlich pro-voziert wird (Abb.3).

Als operativer Zugang bei der ex-traartikulären A3-Fraktur des distalenHumerus kann ein bilaterales Vorge-hen über das Septum intermuscularemediale bzw. laterale gewählt werden,wobei als Hautinzision sowohl ein ein-ziger dorsaler Zugang als auch eine bi-laterale Inzision möglich sind [13]. Al-lerdings muß darauf hingewiesen wer-den, daß insbesondere bei osteoporoti-schem Knochen das Plattenmaterialweit nach distal geführt werden muß,so daß die bessere Darstellung in je-

dem Fall auch hier über eine Olekra-nonosteotomie zu erzielen ist. Bei derPräparation sind in jedem Fall der N.ulnaris sowie in Abhängigkeit vom Zu-gang ggf. auch der N. cutaneus poste-rior darzustellen.

Intraartikuläre Mehrfragmentfrakturen des Humerus (C1–C3)

Die C1- bis C3-Frakturen stellen diehäufigste Form der distalen Humerus-fraktur dar. Oberstes Ziel der operati-ven Versorgung ist die Wiederherstel-lung der Gelenkkongruenz in Verbin-dung mit einer stabilen Osteosynthese,die eine frühzeitige Übungsbehand-lung erlaubt.

Die exakte Wiederherstellung derGelenkfläche verlangt insbesonderebei den Trümmerfrakturen (C3) einebreite, übersichtliche Exposition derhumeralen Gelenkfläche. Unseres Er-achtens ist diesbezüglich der Olekra-nonosteotomie der Vorzug zu geben.Die häufig angegebene zungenförmigeDurchtrennung des sehnigen Trizeps-sehnenanteils erlaubt keinen ausrei-chenden Überblick, da das Olekranon,welches sich partiell über die Trochlealegt, wesentliche Anteile des Gelenksverdeckt. Dem Vorschlag von Schau-wecker [21], einer keilförmigen V-Osteotomie mit vorherigem Anlegeneines axialen Bohrlochs zur exaktenReposition des osteotomierten Olekra-nons, sollte hierbei gegenüber dem ei-ner queren intraartikulären Olekranon-osteotomie der Vorzug gegeben wer-den (Abb.4).

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Abb.3a, b. Fehlgeschlagenedorsale Plattenosteosynthese ei-ner A3-Fraktur bei unzureichen-der distaler Fixation (a). Rekon-struktion durch bilaterale Platten-osteosynthese (b) mit danachglattem Heilverlauf

a b

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Osteosynthesetechnik, Wahl und Lage des Implantats

Der 1. Schritt der Osteosynthesetech-nik beinhaltet die Wiederherstellungder Gelenkfläche. In Abhängigkeit vonder Größe der Fragmente wird mittelsKirschner-Drähten, besser aber mitKleinfragmentschrauben, im Sinn vonZugschrauben nach primärer Reposi-tion das Gelenkmassiv wiederherge-stellt. Bei den C1- und C2-Frakturenkann regelhaft die Trochlea stufenlosrekonstruiert werden und mittels 1oder 2 Zugschrauben „wasserdicht“verschlossen werden. Problematischergestaltet sich die Rekonstruktion beiden C3-Frakturen. Hier ist insbesonde-re darauf zu achten, daß bei zentralenDefekten die die beiden Kondylen-massive miteinander verbindendeSchraube nicht etwa als Zugschraubeeingebracht wird, da ansonsten beideKondylenmassive zu dicht aneinandergenähert werden und entsprechend ei-ne Verschmälerung der Trochlea resul-tiert. Dies führt zu einer Inkongruenzdes Humeroulnargelenks mit Distan-zierung der Ulna vom Humerus undkann letztlich zu einer schmerzhaftenInstabilität des Gelenks führen, ande-rerseits zu einer frühzeitigen posttrau-matischen Arthrose [13]. Auf jedenFall sollten Defektzonen primär mitSpongiosa aufgefüllt werden.

Der 2. Schritt beinhaltet die Repo-sition des Gelenkblocks auf denSchaftanteil. Bei der Versorgung der Y-Fraktur (C1) können bei guter Kno-chenqualität, also insbesondere beijungen Patienten, eine unikondylärePlattenosteosynthese oder aber in Aus-nahmefällen auch die reine Schrauben-osteosynthese Anwendung finden

(Abb.5). Bei den C2- und C3-Fraktu-ren erfolgt nach Rekonstruktion desGelenkmassivs regelhaft die bilateralePlattenosteosynthese.

Die biomechanisch günstigste Lageder Implantate stellt die streng seitlichePositionierung dar (Abb. 6). Die bio-mechanisch ungünstigste Lage desOsteosynthesematerials beinhaltet diedorsale bilaterale Plattenosteosynthese(Abb.7). So zeigt bereits die intraope-rative Prüfung der Stabilität bei maxi-maler Extension, daß es bei einer der-artigen Positionierung der Platten zueinem beugeseitigen Gap kommt.

Nach Abschluß der Osteosynthesemuß die freie Beweglichkeit des Ell-bogengelenks unter dem Aspekt einesmöglicherweise behindernden Implan-tats oder aber verbliebener Fragment-bzw. Weichteilinterpositionen über-prüft werden. Weiterhin ist die intra-operative abschließende Röntgenun-tersuchung in 2 Ebenen unerläßlich.Erst danach erfolgt die Osteosyntheseder Olekranonosteotomie regelhaft imSinn einer Zuggurtungsosteosynthese,entweder unter Verwendung von Kirschner-Drähten in Verbindung mit einem Cerclagedraht oder mittelsSchraubenosteosynthese, auch hiermeist in Verbindung mit einer Cerclage.

Spätrekonstruktion bei Pseudarthrosen

Helfet u. Schmeling [10] beschriebenin einer Übersichtsarbeit die typischenKomplikationen nach operativer Ver-sorgung von supra- und diakondylärenHumerusfrakturen. Im Vordergrundstanden hierbei heterotope Ossifikatio-nen mit 4% (3–30%), Früh- sowieSpätinfektionen mit 4% (3–7%), Schä-

digungen des N. ulnaris mit 7%(7–15%) und Implantatversagen mit5% (5–15%). Die Ausbildung einerPseudarthrose stellte mit 2% eher eineRarität dar [1, 6, 11, 12, 14, 26, 28].Nach Weber u. Cech [27] finden sichungefähr 1/3 (37%) aller Humerus-pseudarthrosen im Bereich des distalenDrittels. Sehr selten handelt es sich da-bei um transkondyläre Falschgelenk-bildungen, vielmehr meist um supra-kondyläre. Dies entspricht den Berich-ten von Vrevc [25]. Eine Rarität stellenkombinierte supra- und diakondyläreFrakturen dar, die höchste Ansprüchean das operative Vorgehen stellen.

Kasuistik

Eine 28jährige Araberin erlitt als angeschnallteFahrerin eine C2-Fraktur des rechten Humerus.Noch am Unfalltag erfolgte im Heimatland diebilaterale Plattenosteosynthese über den trans-muskulären Zugang. Nach dem 1. postoperati-ven Tag erfolgte die Übungsbehandlung. Imweiteren Verlauf kam es zur Auslockerung desgesamten Metalls, so daß nach 2 Monaten, die-ses Mal über Olekranonosteotomie, die Entfer-nung des gesamten Materials sowie die Ver-schraubung der Kondylen und die unilaterale ul-nare Plattenosteosynthese erfolgten, woran sicheine 4wöchige Ruhigstellung im Gips anschloß.Im weiteren Verlauf im Rahmen der Physiothe-rapie kam es dann wiederum zur Auslockerungdes Materials und Entwicklung einer Pseud-arthrose. Bei der stationären Aufnahme 6 wei-tere Monate später zeigten die Röntgenauf-nahmen eine vollständige Lockerung des Osteo-synthesematerials sowie eine supra- und dia-kondyläre Pseudarthrose mit ausgedehnten De-fekten (Abb.8a). Anläßlich der Revision überneuerliche, diesmal V-förmige Olekranonosteo-tomie erfolgte die Entfernung des gesamtenOsteosynthesematerials. Zunächst wurde dasKondylenmassiv neuerlich gestellt, ein verblei-bender Defekt später durch Spongiosa aufge-füllt. Im Anschluß daran erfolgte die Anlage-rung zunächst der ulnaren Platte, die Defektewurden mit großen kortikospongiösen Blöckenaufgefüllt. Schließlich wurde die Rekonstrukti-on des radialen Kondylus vorgenommen, derebenfalls mit einem kortikospongiösen Blocksowie einer ausgedehnten Spongiosaplastik ver-sehen wurde, die operativen Schritte wurden in-traoperativ dokumentiert (Abb.8b).

Da intraoperativ ein Infekt nicht sicher aus-zuschließen war, erfolgte die lokale Antibiosedurch die Einlage von PMMA-Miniketten. DerEingriff war insofern erschwert, als daß sich in-traoperativ zeigte, daß die Wackelbewegungenim Bereich des Ellengelenks von 0/60/80° aus-schließlich im Pseudarthrosenbereich stattfan-den und das Ellengelenk selbst vollständig ein-gesteift war, so daß intraoperativ eine additivekomplexe Arthrolyse erforderlich wurde.

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Abb.4. Typische V-förmigeOsteotomie des Olekranons, dieeine genauere Repositionsmög-lichkeit sowie Rotationssicherheitbei der Fixation bietet

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Bei ungestörtem Heilverlauf erfolgte ab der2. postoperativen Woche aufgrund der vorhervorliegenden Verklebung des Gelenks die früh-zeitige Übungsbehandlung zunächst zwischen40 und 80°. Erstmalige Röntgenkontrollen nach

4 Wochen zeigten weiterhin ein ungelockert ein-liegendes Osteosynthesematerial (Abb.8c). Imweiteren Verlauf wurde die Patientin in Bahrainweiter physiotherapeutisch betreut, die Rönt-genaufnahmen wurden uns 4wöchentlich regel-

mäßig zugesandt. Bereits nach 10 Wochen(Abb.8d) konnte eine ungestörte Einheilung desautologen Knochenmaterials beobachtet wer-den. Eine abschließende Röntgenaufnahme 6 Monate nach dem Eingriff zeigte eine voll-ständige Wiederherstellung des Gelenks (Abb. 8 e). Die Bewegungsausmaße betrugennach Information des behandelnden Arzts inBahrain 0/20/100°, die Patientin ist schmerz-frei.

Postoperative Nachbehandlung

Unter der Voraussetzung, daß die ge-wählte Operationstechnik Übungssta-

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5a

7a

66aa

b

b

b

cc

Abb. 5 a, b. Minimalosteosynthese einer Y-Fraktur (C1) (a) durch alleinige Schraubenosteo-synthese (b) bei 20jähriger Patientin

Abb. 6 a–c. C2-Fraktur einer 24jährigen Patientin (a). Versorgungsstrategie: Olekranonosteoto-mie, Fixation des Gelenkblocks durch Kleinfragmentschraube, bilaterale Plattenosteosynthese,Readaption der Osteotomie mit Spongiosaschraube und Cerclage (b). Radiologisches Aushei-lungsergebnis nach 12 Monaten und bereits stattgehabter Materialentfernung (c) mit gutem funk-tionellen Ergebnis von 0/5/140°

Abb.7a, b. C3-Fraktur einer 64jährigen Patientin (a). Rekonstruktion des Kondylenblocks durchTitanminischrauben sowie bilaterale dorsale Plattenosteosynthese (b)

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bilität sichergestellt hat, ist die früh-funktionelle Therapie anzustreben.Nur durch diese Maßnahme läßt sichlangfristig ein gutes funktionelles Er-gebnis sichern.

Eine Gipsruhigstellung in der erstenpostoperativen Phase ist lediglich ausGründen der Weichteilprotektion sinn-voll. Unter krankengymnastischer An-leitung sollten jedoch bereits aus derGipsschiene heraus geführte Bewe-gungsübungen durchgeführt werden.Spätestens nach Ablauf der ersten post-operativen Woche sollte möglichst oh-ne Gipsruhigstellung nachbehandeltwerden. Über diesen Zeitraum hinausist lediglich die Anlage eines Gipsesfür die übungsfreien Nachtstundensinnvoll.

Festzuhalten bleibt, daß eine Gips-ruhigstellung nie in der Lage ist, eineOsteosynthese zu sichern. VerbleibenZweifel an der Übungsstabilität des gewählten Osteosyntheseverfahrens,

muß dieses entweder korrigiert werdenoder aber eine temporäre Transfixationdes Gelenks mit einem Fixateur exter-ne durchgeführt werden.

Ziele der Nachbehandlung in dieserersten Phase sind die Erhaltung bzw.Wiederherstellung der Ellbogenge-lenkbeweglichkeit und der Unterarm-drehfähigkeit. Übungen zur Muskel-kräftigung und zur Aufarbeitung deshäufig vorliegenden endgradigenStreckdefizits sind erst später beimVorliegen radiologisch eindeutigerStrukturierungszeichen möglich undsinnvoll.

Nach unserer Auffassung sind ei-genaktive Übungen unter physiothera-peutischer Kontrolle einer passivenBewegungsbehandlung in der Früh-phase vorzuziehen. Die passive Be-übung auf Motorschienen (CPM) hatin der Frühphase der postoperativenNachbehandlung nichts zu suchen.

In der späteren Behandlungsphasekönnen verbleibende Bewegungsein-schränkungen durch kontrollierte Deh-nungsübungen mit Krafteinsatz zu ei-ner Verbesserung des Bewegungsaus-maßes führen, in der Spätphase sollten

ggf. auch Quengelschienen Anwen-dung finden.

Begutachtung beim Folgeschaden

Die Begutachtung dient der Überprü-fung des Erhalts bzw. des Verlusts derFunktionalität der Extremität. Nebender objektiv nachvollziehbaren Be-weglichkeit eines Gelenks muß ent-sprechend überprüft werden, obgleichzeitig eine volle Belastbarkeitvorliegt. Diesbezüglich können Ein-schränkungen aufgrund der Instabilitäteines Gelenks, aber auch aufgrund ei-ner posttraumatischen Arthrose, bei-spielsweise bei Gelenkinkongruenz,vorliegen. Weiterhin müssen beglei-tende Nervenverletzungen Berück-sichtigung finden und die Beweglich-keit der angrenzenden Gelenke in dieGesamtbeurteilung einer Extremitäteinbezogen werden. Limitierende Fak-toren für den vollständigen Einsatz ei-ner Extremität können weiterhinWeichteilschäden in Form von instabi-len Narben oder aber auch Weichteil-kontrakturen darstellen.

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Abb. 8 a–e. Spätrekonstruktion anläßlich der 2. Reosteosynthese bei kombinierter supra- undtranskondylärer Pseudarthrose (s. Kasuistik)

a

ed

cb

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Bewegungseinschränkungen

Allgemein muß festgehalten werden,daß eine unterschiedliche Beurteilungder MdE in Abhängigkeit von der Hän-digkeit nicht mehr erfolgen sollte.

Bei der Beurteilung des Funktions-verlusts wird dem Verlust einer Streck-fähigkeit eine geringere Bedeutungbeigemessen als dem Verlust der Beu-gefähigkeit. Eine Einschränkung derBeweglichkeit des Ellengelenks auf0/30/90° wird mit einer MdE von min-destens 20 bis maximal 30% [16, 22]bewertet. Bei gleichbleibendem Streck-defizit von 30 ˚, aber gleichzeitiger Zu-nahme der Beugefähigkeit von 30°, al-so entsprechend einem Bewegungs-ausmaß von 0/30/120°, reduziert sichdie MdE bis auf 10% [22].

Ein wackelsteifes Gelenk ist einerVersteifung gleichzusetzen. Eine Ver-steifung des Ellengelenks in optimalerPosition von 90° bei freier Unterarm-wendung sollte hierbei mit 30–40%eingeschätzt werden. AbweichendeVersteifungen bis zu 30° in Richtungder Extension bzw. Flexion (50, 30bzw. 100°) werden mit 40% beurteilt,Versteifungen in O-Stellung bzw. 120°-Beugestellung mit 50%. Berück-sichtigung finden muß hierbei zusätz-lich der Funktionszustand der Unter-armwendung. Die alleinige Aufhebungder Unterarmwendung bei einem an-sonsten freien Ellengelenk kann hierbeibei ungünstiger Stellung in maximalerSupination bzw. Pronation bis zu einerMdE von 40% führen. Bei der günstig-sten Unterarmdrehversteifung in Neu-tralstellung beträgt die MdE 30%.

Instabilität und/oder Pseudarthrose

Instabil verbliebene Ellengelenke imSinn eines Schlottergelenks, die einerOrthese bedürfen, sowie instabilePseudarthrosen, die ebenfalls eineräußeren Schienung bedürfen, könnenin Ausnahmefällen zu einer Einschät-zung der MdE bis zu 50 v.H. führen.Klinisch imponieren in derartigen Fäl-len hochgradige Muskelminderungenals Ausdruck der Inaktivitätsatrophie.

Nerven- und Weichteilschädigungen

Der komplette Ausfall eines N. ulnaris,N. radialis bzw. N. medianus wird je-

weils mit 20–30% eingeschätzt, sofernder untere Anteil betroffen ist. Die Be-teiligung des oberen Anteils erhöht denProzentsatz beim N. medianus auf biszu 35% [16, 22]. Die im Rahmen derZusatzbegutachtungen festgelegtenMinderungen der Erwerbsfähigkeit aufneurologischem Fachgebiet sind in derRegel jedoch nicht voll addierbar, da beider chirurgischen Begutachtung der ent-sprechende Funktionsverlust bereits indie Beurteilung eingegangen sein sollte.Wesentlich erscheint uns der Hinweis,daß bei einem vorbestehenden Schadender kontralateralen Seite der eingetrete-ne Funktionsverlust höher zu bemessenist, da der vor dem Unfall bestehendeKrankheitszustand geeignet ist, die Fol-gen des Unfalls zu verstärken.

Wie bei der Beurteilung von Ober-und Unterschenkelstümpfen könnenchronisch rezidivierende Narbenauf-brüche zu einer Erhöhung der MdEvon bis zu 10 v.H. führen. Die Beur-teilung von Kontrakturen geht demge-genüber bereits bei der Beurteilung derFunktionalität ein.

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