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Transkriptionen Nr-10 Sonderausgabe

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    Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg Medien und kulturelleKommunikation SFB/FK 427 Nr. 10 Sonderausgabe Dez. 2008

    Rckblick

  • INHALT

    Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg Medien und kulturelle Kommunikation SFB/FK 427Transkriptionen Nr. 10, Sondernummer: RckblickKonzeption und Redaktion: Gabriele Schabacher, Marcus Krause

    IMPRESSUM

    Jrgen Fohrmann: Der Unterschied der Medien \ 2Ludwig Jger: Transkriptivitt \ 8Friedrich Balke/Leander Scholz: Das Medium als Form \ 13Irmela Schneider: Listen der Evidenz \19Friedrich Balke: Medien und Verfahren der Sichtbarmachung \ 24Ludwig Jger: Evidenzverfahren \ 27Michael Cuntz: Der Undank der Schlange. Agency und Gemeinschaft \ 31Wolfgang Beilenhoff: BilderPolitiken \ 37Ludwig Jger: Bezugnahmepraktiken \ 43Lutz Ellrich: Latenz und Medialitt \ 48Ulrike Bergermann: Das Planetarische \ 52

    KONZEPTE

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    ... 1Ludwig JgerEDITORIAL

    58

    SCHWERPUNKTE

    Brigitte Weingart: Making Things Mean \ 58Hedwig Pompe: Keine bloe Alliteration: Pathos und Politik \ 61Matthias Krings: Bin Laden vs. Bush in Nigeria \ 63Cornelia Epping-Jger/Torsten Hahn/Erhard Schttpelz: Freund Feind & Verrat \ 67Nicolas Pethes: Vom Einzelfall zur Menschheit \ 69Claudia Liebrand/Gereon Blaseio: Produktionspraktiken des Populren \ 74Isabell Otto: Massenmedien wirken. Zur Aporie einer Evidenzlist \ 77Lutz Ellrich: Die (Un)Berechenbarkeit des Schlimmsten \ 81Markus Stauff: Die Medien des Normalismus \ 85Christina Bartz: Auergewhnliche Geschichten normaler Mediennutzung \ 89Harun Maye: Die imaginre Gemeinschaft \ 93Arno Meteling: The Parallax View \ 97Gabriele Schabacher: Experimentalraum TV-Serie \ 101

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    106

    Positionen eines Forschungskollegs \ 106Die Projektbereiche des Forschungskollegs, 2002-2004 \ 109Die Projektbereiche des Forschungskollegs, 2005-2008 \ 112Medialitt und Sprachzeichen (Teilprojekt A1) \ 116Mittelalter und Frhe Neuzeit als Kultur der Sichtbarkeit? VolkssprachigeBilderzyklen in Handschrift und Druck (Teilprojekt A2) \ 119Von der Intermedialitt zur Inframedialitt (Teilprojekt A8) \ 123Gesichterpolitiken in Film und Fernsehen (Teilprojekt B6) \ 127Koloniale Reprsentation auf Bildpostkarten in Deutschland (Teilprojekt B8) \ 130Medialisierungen des Schattens (Teilprojekt C4) \ 133Sondierungen der Mediennutzung (Teilprojekt C5) \ 136Die Disziplinierung des Bildes (Teilprojekt C9) \ 139Knstlerische Interaktivitt in hybriden Netzwerken (Teilprojekt C10) \ 141

    PROFILE

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    Sondernummer: Rckblick

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    Mit der zehnten und letzten Ausgabe der Tran-skriptionen, die das Kulturwissenschaftliche For-schungskolleg Medien und kulturelle Kom-munikation SFB/FK 427 als Online-Version vor-legt, mchte das Kolleg zum Abschluss seinerLaufzeit seine zehnjhrige Forschungsarbeit aufdem Feld der Medienkulturforschung im Ver-bund der Universitten Aachen, Bonn und Klndokumentieren. In einem Rckblick werden kon-zeptuelle Beitrge aus den Projekten des Kollegs,wie sie in den vorangegangenen Ausgaben derTranskriptionen prsentiert wurden, in einer Son-dernummer versammelt. Ziel einer solchen Bn-delung ist es, die vom Kolleg entwickelte Pers-pektive einer kulturwissenschaftlich orientiertenMedientheorie einer breiteren ffentlichkeit re-smierend und in konzentrierter Form zu pr-sentieren. Vorgestellt werden sollen noch einmal(1) die Begriffsstrategie und das Feld der theore-tisch entwickelten operativen Begriffe, (2) dasProgramm einer Engfhrung unterschiedlicher me-thodologischer Paradigmen aus den Bereichen derKultur- und Naturwissenschaften sowie schlie-lich (3) die medienkomparativ und medienhisto-risch verfahrende Querschnittserschlieung vonForschungsthemen und die hiermit verknpftetransdisziplinre Theoriebildung.In der Rubrik Konzepte sind die forschungspro-grammatischen Beitrge zusammengestellt, dievon den zentralen Fragen operativer Grundbe-griffe wie der Transkriptivitt ber Verfahrender Sichtbarmachung und Evidenzerzeugung biszu Bilderpolitiken, dem Problem der Latenz unddem Konzept des Planetarischen reichen.Die Rubrik Schwerpunkte geht auf die jeweiligenthematischen Fokussierungen der vorherigenTranskriptionen-Ausgaben zurck (etwa Gewalt

    in Nummer 1 oder Das politisch Imaginre inNummer 8), die im Kontext von Vortragsreihendes Kollegs (wie die Resonanzen) oder Konferen-zen entstanden. Anders als bei frheren Heft-Schwerpunkten sind in dieser Sondernummer nurBeitrge von Kollegmitgliedern reprsentiert.Die Rubrik Profile schlielich konturiert das For-schungsprogramm des Kollegs, seine drei Pro-jektbereiche sowohl fr die zweite Frderphase2002-2004 wie auch fr die dritte 2005-2008 undprsentiert in berblicksartikeln exemplarischdie Arbeit der einzelnen Teilprojekte.Auch und gerade mit dieser Sonderausgabe derTranskriptionen, mit der wir uns von unseren Le-sern verabschieden, verbinden wir die Erwartung,dass die kulturwissenschaftliche Medientheoriein den einschlgigen Zentren der entsprechen-den Verbund- und Einzelforschung den ihr ge-bhrenden Rang im Diskursfeld der Sozial- undKulturwissenschaften behalten und ausbauenwird. Unseren Beitrag hierzu haben wir versucht,noch einmal mit dieser Transkriptionen-Abschluss-ausgabe sichtbar zu machen. Der gleichen Motiva-tion entspringen die Publikationen des noch indiesem Jahr als Band 25 der Mediologie-Reiheerscheinenden Handbuches Signaturen der Medien.Ein Handbuch der kulturwissenschaftlichen Medien-theorie sowie einer englischsprachigen Sammel-publikation zentraler Arbeiten des Kollegs mitdem Titel Media, Culture and Mediality. Bei allenLeserinnen und Lesern, die uns mit Ihrem Inter-esse im Laufe der Jahre kritisch und zustimmendbegleitet haben, mchten wir uns an dieser Stel-le ganz herzlich bedanken.

    Ludwig Jger

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

    Der Unterschied der MedienvonJrgen Fohrmann

    Der Blick auf Technik, auf Medien und vonihnen ausgehend auf Medialitt riskiert in sei-nen Folgerungen jenes zwingende Argument,das Theorien mit berdeterminierendem Cha-rakter stets eigen war:

    Die Auswirkungen der Technik zeigen sichnicht in Meinungen und Vorstellungen, son-dern sie verlagern das Schwergewicht in un-serer Sinnesorganisation oder die Gesetz-migkeiten unserer Wahrnehmung stndigund widerstandslos.1

    Diese Auswirkungen der Technik, wenn sie dennfr die gesellschaftliche Kommunikation vonRelevanz sein sollen, formieren Medien und ge-stalten durch sie die Vernderung des Mastabs,Tempos oder Schemas (ebd., S. 14) menschli-chen Zusammenlebens.

    Marshall McLuhan, von dem die Stze stammen,formuliert jenen Anspruch, mit dem Medientheo-rie nach ihm stets beginnt: Es reiche nicht aus,gesellschaftliche Kommunikationen auf ihreFormen hin zu untersuchen, sie nach Textsorten,Gattungen oder hnlichem einzuteilen; es ge-nge schon gar nicht, nur Inhalte in den Blick zunehmen. Denn der Inhalt eines Mediums istmit dem saftigen Stck Fleisch vergleichbar, dasder Einbrecher mit sich fhrt, um die Aufmerk-samkeit des Wachhundes abzulenken. (Ebd., S.24 f.) Man muss Formen wie Inhalte als die Her-vorbringungen jeweils spezifischer Medien (deseinen und nicht des anderen) begreifen. Die jewei-lige Form trgt die Spuren der sie konstituieren-den Medialitt unhintergehbar. Mit anderenWorten: Das Medium ist der Unterschied, dasden Unterschied macht um mit einer berhmtgewordenen Formel Gregory Batesons zu spie-len. Oder gar: Das Medium ist der Ausgang derForm aus ihrer selbstverschuldeten Unmndig-keit. Kant zum Grue.

    Dieser Befund ist wohl nur schwer zu widerle-gen, und da er gerade jetzt, unter dem Sieges-zug digitaler Techniken, zu so allgemeiner Ak-zeptanz geronnen ist, dass er die Hitliste wissen-schaftlicher Alt- wie Neuvorhaben ganz unstrit-tig anfhrt, stellt sich die Notwendigkeit um sostrker, den Implikationen dieses Befundes ge-nauer nachzugehen. Im Mittelpunkt steht daherim folgenden, der Zauberformel Medialitt(und ihrem Versprechen) etwas nher zu kom-men.

    Dass Medialitt vorgngig, damit unhintergeh-bar und universell am Werk ist, ist so richtigwie unbeobachtbar. Sie tritt damit in die Reihejener Kategorien, die als Einheitsformeln die-

    nen und in dieser Funktion dazu tendieren,differenzlos und damit unbestimmbar zu wer-den. Geist ist einer der Begriffe, der lange einehnliche Rolle zu spielen hatte: Hinter den For-men verbirgt sich ein sie hervorbringenderGeist der Epoche, des Skulums, der Welt-geschichte usw., der als Beweger wirkt, selbstaber vollstndig immateriell und nur in mysti-scher berwltigung sprbar ist.

    Die Rede von Medialitt allerdings wendetdiese Rolle in ihren argumentativen Zusammen-hngen spiegelbildlich: Hinter den Formenentbirgt sich fr sie ein materieller Trger, des-sen So-Sein die Formen und den Inhalt der Aus-sagen prge. Die Beobachtung dieser Entber-gung changiert dabei zwischen Sicht- und Un-sichtbarkeit, Hr- und Nichthrbarkeit, zwi-schen Spur und blindem Fleck.

    Medien so knnen wir das kulturelle Sche-ma im Umgang mit Medien charakterisieren bleiben der blinde Fleck im Mediengebrauch so Sybille Krmer in Medien Computer Realitt.2Denn die Prgekraft eines Mediums, so nocheinmal die Autorin, entfaltet sich in der Dimen-sion einer Bedeutsamkeit jenseits der Struktu-ren einer konventionalisierten Semantik. Undes ist die Materialitt des Mediums, welche dieGrundlage abgibt fr diesen berschu an Sinn[...]. (Ebd., S. 78 f.) Die Stimme etwa, dies ist ihrerstes Beispiel, verhlt sich also zur Rede, wieeine unbeabsichtigte Spur sich zum absichtsvollgebrauchten Zeichen verhlt. (Ebd., S. 79) Dieseinrumend lsst sich folgern: Das Medium istnicht einfach die Botschaft; vielmehr bewahrtsich an der Botschaft die Spur des Mediums.(Ebd., S. 81) Das Rauschen oder Flimmern einesKanals wre in diesem Sinne jene mediale Spur,von der sich der distinkte Ausdruck einer Mit-teilung abhbe.

    Um dieses Changieren zwischen Sicht- und Un-sichtbarkeit allein als Funktion (und Fiktion) un-seres Diskurses zu markieren, sollte besser voneiner Spurfunktion gesprochen werden, die imRahmen der Unterscheidung materieller Tr-ger Botschaft/Sinn die Seite des leeren, aberverursachenden Prinzips bernimmt, das dervollen Bezeichnung, der bestimmten Form ge-genbersteht. An sich ist diese Spur das Undif-ferenzierte schlechthin, und wenn sie beobach-tet werden soll, dann ist dies ebenfalls nur alsForm und damit in einer Unterscheidung mglich.Das Rauschen auf dem Sender ist dann auch eineForm, aber eine solche, die den Hrer sofort aufdie Medialitt des Mediums verweist und das

    KKKKKONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTE

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    Sondernummer: Rckblick

    .............Medium als Medium einem komparativen Beob-achtungsversuch unterzieht.

    Im folgenden soll daher die These vertreten wer-den, dass die Funktion oder die Leistung, die jespezifischen Eigenschaften von Medien nur imMedienvergleich zu rekonstruieren sind und dassdiesen Vergleich eine mediale Reflexion vonAnfang an begleitet.

    Wenn etwa Plato in der Geschichte von Theuthund Thamus im Phaidros die grundstzlichen Ar-gumente fr und wider die Einfhrung derSchrift diskutiert, und zwar im Bezug auf dievon ihm positiv sanktionierte Leistung einespersonalen Gedchtnisses im Kontext vonMndlichkeit, so beobachtet er die Leistung ei-nes Mediums als Medium im Vergleich mit ei-nem anderen Medium; nur in der Differenz vonSchrift und Mndlichkeit erfhrt man so etwasber die Schrift im Bezug auf ein Drittes, einenVergleichsparameter. Nimmt man hinzu, dasssich die Reflexion ebenfalls in einem Medium voll-zieht, so kann man sehen, dass es sich bei Me-dienbestimmungen immer um eine fnfstelligeRelation handelt: Ein Medium (a) lsst sich be-stimmen im Bezug auf ein Medium (b), wobeiman eine gemeinsame Bezugsgre (c) bentigt.Der Vergleich findet ebenfalls in einem Medi-um (d) statt, das intrikaterweise in der Regelmit einem der verglichenen Medien identischist. Und der Vergleich vollzieht sich in einerForm (einem Text, einem Bild o. ) (e). Platobeobachtet so in der Schrift (d/a), die sich alsmndliches Gesprch (b) gibt (Medienfiktion) undals Dialog ein Textgenre erfllt (e), ber das Me-dium Schrift (a) die memorialen Leistungen (c) mnd-licher Rede (b). Schematisch lsst sich dies so no-tieren:

    Alles mithin, was sich ber ein Medium sagenlsst, ergibt sich erst aus einem Medienvergleichim Rahmen einer solchen fnfstelligen Relationund nicht aus einer Medienontologie. Die ent-sprechenden Medienzuschreibungen und Medi-endefinitionen sind folglich Produkte kompara-tiver Analysen und der sie steuernden Interes-siertheit. An diese Voraussetzung schlieen sichdrei Beobachtungen an.

    Beobachtung 1: Das, was als ein Medium angese-hen wird, ist zu zerlegen und auf ein anderesMedium zurckzufhren (Rekursivitt). MitMartin Seel kann man sagen: Es gibt keine letz-ten Elemente, aus denen die Elemente aller an-deren Medien und ihrer mglicher Formen ge-bildet wren.3

    Seels Weigerung, ein Letztinventar zur Bestim-mung von Medien anzunehmen, zielt im wesent-lichen auf die These, dass die Beziehung zwi-

    schen materiellem Trger und Nutzung diesesmateriellen Trgers zur Erzeugung von Formals eine relationale zu denken ist. Nimmt manetwa die Stimmwerkzeuge als materielle Tr-ger, so wre die Artikulation die Technologie,die unsere physiologische Ausstattung zur Laut-erzeugung nutzt, um Formen zu produzieren.Ist der Vorgang der Lauterzeugung das Medi-um oder ist es die durch sie hervorgebrachteSprache? Und weiter gefragt: Ist Schrift ein eigen-stndiges Medium oder nur die Notation, diegraphische Formgebung der mndlichen Rede?Wenn Schrift aber ein Medium sui generis seinsollte, wie verhlt sich der Druck zum MediumSchrift? Ist Druck ein eigenstndiges Mediumoder nur die Normalisierung der Schrift? Undwas geschieht, wenn die Stimme technisch ge-speichert, vervielfltigt und wiedergegebenoder wenn die Schrift umcodiert wird? Handeltes sich um Reichweitenausdehnung derselbenMedien oder sind neue Medien entstanden?

    Diese Fragen lassen sich nicht abstrakt beantwor-ten; denn nur im Bezug auf spezifische (nichtme-diale) Vergleichsparameter lsst sich behaup-ten, dass ein in der Geschichte spter auftauchen-des Medium eine Weiterentwicklung, Erfllung,Transformation eines vorangegangenen Medi-ums darstellt oder dass es sich um ein neues Me-dium handelt. Man bewertet dann die neuen Me-dien als Rekombinationen, Steigerungen usw.schon bestehender Medien, aber so, dass auf dieeine oder andere Weise ein qualitativer Sprung,der einer neuen Technologie entstammt, deut-lich wird. Solche Feststellungen sind durchausinteressegeprgt, denn sie nutzen die Medienzu-schreibung fr den Gang der jeweiligen Argu-mentation als Verursachungsprinzip fr Kon-textinterpretationen (dazu spter). Stimmt mandem zu, so msste man allerdings die Relativi-tt einer zweiten Unterscheidung, der Differenzzwischen Medium und Form, ebenfalls konze-dieren.

    Beobachtung 2: Auch die Unterscheidung von Me-dium und Form ist nicht absolut, sondern rela-tional zu denken. Was Medium, was Formist, kommt mithin auf die Perspektive an, vonder bzw. aus der ich blicke, d.h. was ich als me-diale Ausgangsbedingung und d.h. alsKonstitutionszusammenhang bewerte. Die Spra-che kann das Medium der Form Schrift seinoder aber die Schrift das Medium der Form desDrucks und auch umgekehrt: Der Druck ist dasMedium, in dem die Schrift als Form zumAusdruck gebracht wird, die Schrift das Medi-um, in dem die Sprache Form gewinnt usw. DerVollzug der jeweiligen Differenz von Mediumund Form ist eine beobachterabhngige,relationale Wahl, bei der die beiden Seiten derUnterscheidung sich jeweils substituieren kn-nen..

    Beobachtung 3: Die berlegung zur Substituier-barkeit von Medium und Form berhrt auch dieDifferenz zwischen Hard- und Software, bei der

    Medium des Vergleichs (d)(oft zugleich a oder b)

    Form des Vergleichs (e)zu bestimmendes Medium (a)Vergleichsmedium (b)Bezugsgre (c)

    DER UNTERSCHIEDDER MEDIEN

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

    stets zu diskutieren ist, was denn Hard-, was Soft-und was Wetware ist (um den Menschen, diesesfeuchte Wesen, mit in das Spiel zu bringen) zumal wenn man in Rechnung stellt, dass eigent-lich alles eine selbstgesteuerte Modulation derHardware sein soll:

    Neue Computergenerationen zu konstruierenheit [...] nicht mehr, die einzelnen Hardware-komponenten mechanisch oder elektrisch zu-sammenzusetzen; das wrde alle verfgba-ren Ingenieurmannsjahre bei weitem berstei-gen. Konstruieren heit vielmehr, jene soge-nannten Schaltungsbibliotheken unter Pro-grammsteuerung aufzurufen, zu verknpfenund auf ein Optimum hin durchzutesten. InExtremierung dessen, was seit Gutenberg [...]technische Zeichnung heit, fllt der Hard-wareentwurf mit seiner eigenen Simulationzusammen, weil die anschlieende Realisie-rung der hardware selbst berlassen werdenkann.4

    Setzt man die bisherigen Darlegungen voraus,so lsst sich behaupten, dass abstrakte Verm-gensanalysen, die die technisch-ontologische De-finition dessen, was ein Medium ist und was aussolcher Ontologie fr Konsequenzen zu ziehensind, zwar wenig Sinn machen, zugleich aberauch das groe Versprechen darstellen, das Me-dientheorien mit weitreichenden Interpretatio-nen gern zu geben versuchen. Dies ist etwa ander bis heute von der Laokoon-Diskussion des18. Jahrhunderts infizierten Definition eines Bil-des zu sehen (Simultaneitt) im Unterschied zurSchrift (Sukzessivitt), und dies auch noch in ela-borierten Fortentwicklungen.

    Oder man denke an die Thesen, die Ong undHavelock fr orale Gesellschaften entwickelt ha-ben. Weil alles Wissen hier durch personale Tr-ger, etwa durch Rhapsoden, weitergegeben wor-den sei, habe sich eine medienspezifische Formdes Wissens herausgebildet. Dem Gedchtnis derRhapsoden sei es nmlich vorbehalten gewesen,von den Dingen zu sagen, und die Art des Vor-trags habe durch die Arbeitsweise eines perso-nalen Gedchtnisses seine Ausformung gefun-den. Es musste immer wieder repetitive Teile,partielle Wiederholungen geben, um das Ge-dchtnis fr einen Augenblick zu entlasten unddamit freie Kapazitt fr die Formulierung vonNeuem zu finden. Dem htte ein spezifischerTextaufbau entsprochen (eine berschaubareSyntax, die Bevorzugung von Parallelismenu.a.). Behauptet wird also eine strikte Bindungvom Medium Mndlichkeit und von textuellerForm im Vergleich zu einem Dritten, einem be-stimmten Memorialverfahren, das eine oraleKultur prgte. Mit der Einfhrung der Schriftsei alles anders geworden. Eine solche Theorieoperiert also mit starken Annahmen; und dasssie ihre Hypothesen im Gang der Argumentati-on wirklich erweisen knne, bildet ihr eigent-liches Versprechen.

    Dies mgen medienwissenschaftlich gesehen frhe Beispiele sein, der Argumenttypus ist

    aber noch kurrent. So wird zur Zeit das Laushypertexti gesungen, das intoniert, der Hyper-text sei in seiner paradigmatischen Verweis-struktur der Linearitt der an Schrift gebunde-nen Lesebewegung deutlich berlegen, wobeials Gradmesser dieser berlegenheit ein eherunterkomplex behandelter Begriff von Komple-xitt fungiert, der Transformation einseitig alsZugewinn definiert (vgl. Bolters Writing Spaceund Landows Hypertext).

    In diesem Sinne wird Hypertext als Form einerberschreitung gefasst. Dazu zunchst der nochnchterne Befund Knud Bhles,

    da Hypertexten in einem Punkt gelingenkann, was dem Buch verwehrt bleibt. Wh-rend die Texttechnologie des Buches letztlich trotz aller Verweise, Register, etc. keinMittel finden kann, von der Bedeutung herzusammenhngende Stellen tatschlich zuverknpfen, bieten Hypertexte ein operativesVerfahren. [...]: auf der Benutzeroberflcheim Text plazierte operative Verweise [...].5

    Es geht mithin um die Weiterarbeit an einemunendlich komplex gedachten Konzept von Tex-tur (z.B. in Flussers Lob der Oberflchlichkeit), frdas Prtexte der unterschiedlichsten Art gefun-den werden:

    Der Essay als diskursive, literarische undwissenschaftliche Form hat viele hnlichkei-ten mit den Prinzipien des Hypertexts: Ar-beit mit Fragmenten, Revolte gegen geschlos-sene Systeme, Konstruktion von Begrifflich-keiten als work in progress, kulturkritischeSubjektivitt, Kristallisierung der einzelnenElemente durch Bewegung [...].6

    Oder der Hypertext ist eine Fortsetzung von Ver-fahren, die Autoren wie Sterne im Tristram Shan-dy schon versuchten usw.

    Hypertext wird seinerseits gesteigert durch dasWorld Wide Web, das selbst als ein riesiger Hy-pertext anzusehen sei und damit wiederum bis-herige Formen von Intertextualitt berbiete.

    Auch wenn solche Vermgensanalysen von Ein-zelmedien oft durchaus vergleichend ausgerich-tet sind, bleiben sie doch auf einen abstraktenKomparativ bezogen (das eine Medium kann et-was grundstzlich besser als ein anderes). Aufdem hier wahrgenommenen Abstraktionsgradlassen sich die Argumente aber auch immergenau invertieren bzw. lsst sich die Schwchedes einen Verknpfungsmodus als die Strke desanderen ausgeben. Die ikonische Differenz, dienach Boehm u.a. ein Bild macht, erlaube eineandere Einlsslichkeit als die palimpsestischeOberflche einer windows-screen, das Lesenvon Druckerzeugnissen habe andere, situations-spezifische Vorteile, und die vermeintliche line-are Verkettungsregel des Syntagmas wird ja inmenschlichen Verarbeitungsprozessen stetsdurch Substitutionen paradigmatischer Art un-terbrochen (um an Saussure und Jakobson zuerinnern), die reichhaltiger sind als Hypertexte,

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    Sondernummer: Rckblick

    .............weil sie verschieben und nicht wiederholen. Diesynsthetischen Wahrnehmungen mndlicherKommunikation entfalten vielleicht eine gerin-gere Komplexitt der Argumente, stellen dafraber eine Vielzahl von Zusatzinformationen be-reit, die fr die Positionierung lebender Subjek-te in sozialen Zusammenhngen von entschei-dender Bedeutung sind usw. Mit anderen Wor-ten: Ohne Rahmung bleiben die Vergleichspara-meter unbrauchbar. Diese Rahmung orientiertsich stets an Prozessen gesellschaftlicher, kultu-reller Evolution.

    Die Hegemonie im Feld kulturwissenschaftlicherArgumentationen erlangt Medienanalyse dann,wenn es nachzuweisen gelingt, dass Prozesse ge-sellschaftlichen Wandels mageblich durch Me-dienentwicklung beeinflusst sind. Medien kanndann eine berdeterminierende Kraft zugespro-chen, ja sie knnen zur Perspektivierung sozia-ler Evolution im Rahmen von Verlaufstheoriengenutzt werden. Ausgangspunkt solcher berle-gungen bildet hufig ein Medienevolutionssche-ma, in dem sich Medien als Leitmedien erst eta-blieren, dann ablsen und in diesen Prozessendie anderen Medien und mit ihnen die gesell-schaftlichen Verhltnisse strukturell infizieren.Noch einmal Marshal McLuhan: Wir sind inunserer neuen elektrischen Welt befangen, wieder Eingeborene in unserer alphabetischen undmechanisierten Welt verstrickt ist.7 Man muss,um zu verstehen, welcher Anspruch mit der Re-konstruktion von Medienevolution verbundenwird, sich konsequent diesem McLuhanschenBild vom Eingeborenen zuwenden. Wer bestim-men kann, wer und wer nicht der Eingeboreneist, markiert den Medienvorteil. Es gibt dahereinen Krieg der Medien, der sich selbst alsKriegsgeschichte schreiben lsst. Ihre Hypothe-se: Wenn sich ein epochales Leitmedium findenlsst (etwa heute der Computer), dann indiziertdas t im Worte Leit zugleich ein d bei denanderen Medien: Leidmedien. Es geht mithin umeinen Verdrngungskampf, dessen einzelne Mo-dellierungen nun etwas genauer entfaltet wer-den sollen; sie mnden in fnf Varianten vonMediengeschichte:

    1. Variante: Evolutionrer Ansatz. Mediengeschich-te ist Medienevolution und als solche medialeDifferenzierung und Mediendifferenzierung.Mediale Differenzierung soll heien, dass sichim Laufe technischer/menschlicher Geschichteein zunehmendes Arsenal von Medien ausdiffe-renziert hat, die entweder zunchst dem mensch-lichen Krper entstammen oder die Mglichkei-ten des menschlichen Krpers technisch delegie-ren, veruerlichen, (nach McLuhan) eine ArtProthese bilden, mittels derer die (medialen)Wnsche, Bedrfnisse verstrkt und differenziertwerden knnen. Dies fhrt zu einem Steige-rungsimperativ, der dann die Einzelmedien be-rhrt und sie zwingt, sich intern so zu differen-zieren, dass Aufgaben zu vollbringen sind, dieein neues Medium schon vollbracht hat. SolcheMediendifferenzierung fhrt zu einer Gewinn/

    Verlust-Bilanz, je nach Blickwinkel, aber immerals Effekt von medialer Differenzierung auf derBasis evolutionrer Annahmen, die sich die Ideeeines Leitmediums zunutze machen. Es affiziertnicht nur die Qualitt, sondern auch die Quanti-tt der anderen Medien, etwa nach dem Modell:Bei eintretendem Computerfrhling wirft derBuchmarktherbst noch einmal besonders vieleFrchte ab, um zu berleben usw.

    2. Variante: Geschichtsphilosophischer Ansatz. Die-se Variante wendet die Leitmediumsvorstellungin eine Geschichtsphilosophie Hegelscher Pro-venienz. Sie geht davon aus, dass jedes Mediumseine besondere Zeit hat in gesamtgesellschaft-lich definierten Rahmungen, deren Impetus dannber die Aktualitt eines spezifischen Mediumsentscheidet (vgl. Zielinski: Audiovisionen). Textedieses Typs bewegen sich ganz im Feld ge-schichtsphilosophischer Konstruktion und sindbeherrscht von Verfall und Prognose, von wirdnicht mehr und von wird. Die Variante dientmithin der Neuauflage bekannter historiogra-phischer Modelle. berhaupt ist hervorzuheben,dass die sog. Evolution der Medien selten evolu-tionstheoretisch beschrieben wird; die Regel bil-det erstaunlicherweise die Wiederaufnahme vonKonzepten der Geschichtsschreibung, die eherdem 19. als dem 20. Jahrhundert angehren. Die-se Einschtzung trifft mit Einschrnkungen auchdie

    3. Variante: Politischer Ansatz. Mit der fortschrei-tenden Entwicklung technischer Medien ist einSteigerungsimperativ verbunden, der im Kriegzu sich selbst kommt. Nahezu die gesamte mo-derne Medientechnologie ist ursprnglichKriegstechnologie so die These, und es ist indiesem Sinne durchaus ein guter Witz, zu zitie-ren: Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wort-sinn Missbrauch von Heeresgert.8

    Medienwissenschaftliche Forschungen dieserAusrichtung haben fr die Telegraphie, denRundfunk, Verstrkerrhren, Radar, Fernsehenund Computer und anderes mehr auf die engeVerbindung von militrtechnischer Forschungund der Entwicklung von Medientechnologien,die dann Heterogenitt der Zwecke fr nicht-militrische Interessen genutzt werden, verwie-sen (wobei aber stets geltend gemacht wird, dassanhand der militrischen Entwicklungen aucheine Transformation des Zivilen stattfindet, diedie Gesellschaft grundlegend verndert habe).

    Bei dieser Kriegstechnologie geht es um das zumErnst verkehrte Prinzip der Olympischen Spie-le: altius citius fortius. Es soll ein Reichweiten-vorteil, ein Geschwindigkeitsvorteil, ein Ge-waltvorteil erzielt werden, der sich in die ber-legenheit ber den Gegner ummnzen lsst unddann kriegsentscheidend wird. Der Medienge-brauch wird in ein Konzept des Politischen alsder Markierung und Erledigung des Gegners,Feindes, einbezogen, als dessen Kronzeuge nichtzu Unrecht Carl Schmitt von Vertretern dieserTheorie angerufen wird. Die mit Medienevolu-

    DER UNTERSCHIEDDER MEDIEN

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

    tion verbundene Strukturgeschichte wird tenta-tiv in Ereignisgeschichte rckberfhrt, um alsneue, berraschende Waffe in der Konstellationvon Freund und Feind sichtbar zu werden. Es istdann nur eine Weiterentwicklung dieses Mo-dells, wenn es in das Match Silicon Valley ge-gen den Rest der Welt bersetzt wird. Und versu-chen nicht auch andere Ableger des Apparate-denkens, die stets neue Wissenschaftsentdeckun-gen als omnipotente Kaninchen aus dem Hutdes Zauberers ziehen, die brigen Kulturwissen-schaftler blitzkriegartig zu erledigen? Woraufals Film folgt: Das Schweigen der jungen Mn-ner.

    4. Variante: Typologischer Ansatz. Um ihn zuidentifizieren, kann man nahezu beliebig Bei-trge der neueren Mediendiskussion aufschla-gen, insbesondere solche, die den Abschied vonder Gutenberg-Galaxis feiern, das Ende der Buch-kultur freudig begren; oder aber solche, dieden Hypertext und das Web als endliche Befrei-ung von der Kette linearer Anordnung, die unsdie Schrift in der Regel bietet, willkommen hei-en und dies zugleich als Realisierung post-strukturalistischer Thesen ber Prsenz undDifferance zu denken versuchen. Etwa in derFormulierung Jay D. Bolters:

    In gewisser Hinsicht ist das Web die Erfl-lung des Versprechens des Hypertextes. Einisolierter, fr sich stehender Hypertext ist einSelbstwiderspruch, weil ein Hypertext immerber sich hinausgreifen mchte und Verbin-dungen mit anderen Texten herstellen will.Das implizite Telos ist ein einziger, alles um-fassender Hypertext [...].9

    Diese Erfllung sei eine Befreiung des Lesers,dem nun eine ganz neue Souvernitt ber denText zukme, wobei am Ende ein der Neuen Zeitangemessenes Konzept von Persnlichkeit undSozialitt entstehe.

    hnliche Thesen finden sich auch im POP, in derBeschreibung einer DJ-Culture, deren Scrat-ching- und Sampling-Verfahren zur emanzipa-tiven Tat werden, die die Signifikanten endlichtanzen lsst, wobei sich manchmal wie etwabei Ulf Poschardt merkwrdige Symbiosen mitganz berkommenen Konzepten ergeben: DerDJ ist der Wissenschaft bisher bis auf wenigekleine Ausnahmen unbekannt geblieben. DJssind unstrukturierte, von der Episteme weitge-hend unberhrte Natur.10 Und um Wieder-einschreibung, homeage, geht es auch bei ei-ner Theoretikerin der Rap-Musik wie TriciaRose: For the most part, sampling, not unlikeversioning practices in Caribean Music, is aboutpaying homeage, an invocation of another'svoice to help you to say what you want to say.11

    Allen diesen Anstzen ist ein adventistischesMoment eigen, das ganz typologisch zu verste-hen ist: Das, was erwartet wurde, sehnlichst er-wartet wurde, erfllt sich nun. Theorien solcherArt hat Hartmut Winkler daher zurecht auf ihreWunschkonomie befragt und dann im Hinblick

    auf den Computer betont: Das neue Mediumscheint eine veritable Wunschmaschine zusein.12 Diese Wunschkonomie erreicht ihr Zielin der

    5. Variante: dem finalen Sieg der Maschinen. Vor-aussetzung ist die Inthronisierung des Compu-ters und mit ihm der Welt des Digitalen. Basisdieser Theorien ist die Unterscheidung analog digital, die dann mit der Differenz Reprsen-tation Simulation bzw. Verfahren der (Re-)kombination verbunden wird. Wenn die Male-rei etwa kopierend ttig sein soll (um eine altePosition zu zitieren), dabei allerdings ihre Ver-fahren unsichtbar macht, um ihr wie die Wirk-lichkeit zu die Wirklichkeit zu machen, sobricht der Computer, dieser These zufolge, mitdem Reprsentationsverhltnis. Er simuliert dieRealitt, indem er ihre visuelle Erzeugung alsEffekt von immer schnelleren 0/1 Rechenope-rationen ausweist. Ihre Kombinatorik fhrt insehr unterschiedliche Visualisierungsmglich-keiten eines durch Strom/Nicht-Strom erzeug-ten Punktaufbaus, der fr sich in Anspruchnimmt, eben Simulation und nicht Reprsenta-tion zu sein.

    Eine Referenz dieses Modells ist die Taylorisie-rung der Produktion, die auch als operativesGrundverfahren des Computers gesehen wer-den kann. Denn die Mechanisierung kommt zu-stande, indem man einen beliebigen Prozess zer-legt und die zerlegten Teile in einer Reihe anord-net.13 Fr Friedrich Kittler wird daher folge-richtig die DIN institutionalisiert, wobei es wie-der alles andere als Zufall gewesen sei, dader Deutsche Normenausschu DNA mit seinerDeutschen Industrienorm DIN im Ersten Welt-krieg entstand.14 Es geht um Zerlegen, Neu-kombinieren nach Standards und um ein Verfah-ren, das nicht gezwungen ist, sinnhaft zu selegie-ren. Dies wird schon beim Phonographen be-grt: Exakter knnte Medientechnik gar nichtvorgehen. Mit dem Phonographen verfgt dieWissenschaft erstmals ber einen Apparat, derGerusche ohne Ansehung sogenannter Bedeu-tungen speichern kann. Schriftliche Protokollewaren immer unbeabsichtigte Selektionen aufSinn hin.15

    Gesteigert wird dies alles durch den Computer.Seine Simulation hat, und dies ist der entschei-dende Punkt, zugleich eine medienreferentielleNote, scheint er doch nicht allein die Wirklich-keit zu reprsentieren, sondern er behauptet, dieFormen der Wirklichkeit, die von anderen Me-dien hervorgebracht werden, wiederum zu simu-lieren. Der Computer ist damit zugleich die Si-mulation aller anderen Medien der bisherigenGeschichte, er ist das Medium des Mediums, dasalle anderen technischen Medien so die Behaup-tung in sich einschliet. Hier ist, wenn nichteine geschichtsphilosophische, so doch zumin-dest mediengeschichtliche Pointe impliziert.Wenn der Computer also alle Medien aus sichheraus evozieren kann, ist er das Supermedium,das im Modus des Digitalen die Geschichte des

    KKKKKONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTE

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    Sondernummer: Rckblick

    .............Analogen beendet und die Mediengeschichte zurEntbergung jenes Kalkulatorischen werden lsst,dem der Mensch, will er nicht als Analphabetdastehen, nur mit einem Computeralphabetis-mus begegnen kann. Aber auch diese technwird so Norbert Bolz in Die Wirtschaft des Un-sichtbaren die berforderung des Menschennicht wirklich kompensieren.

    Verschwnde der Mensch, so kme die Informa-tion in der Maschine endlich zu sich selbst.

    Die Variantenaufzhlung mediengeschichtli-cher Verlaufsannahmen kann so zeigen, dass dieCodierung des Medienbegriffs, vor allem sei-ne Rahmung durch geschichtstheoretische oderber die Geschichte hinausweisende Kontexte,Unterschiede erzeugt, die hchste Aufmerksam-keit verdienen. Kaum etwas ist politischer alsdie Politik medialer frames, und Medienwis-senschaft htte sich auch gerade solcher frame-analysis zuzuwenden.

    Mediendefinitionen, Medienbegriffe sind mithininteressegeleitet und bestimmt durch den syste-mischen Kontext, fr den und in dem sie eineFunktion bernehmen. Stimmt diese These, sohtte man weder eine kontextunabhngige Theo-rie von Einzelmedien zu entwickeln noch eineallgemeine Medientheorie (analog: Semiotikoder allgemeiner Kommunikationstheorie), diemehr wre als eine je punktuell einsetzende,dann aber immer wieder in eine Materialanalyseeinmndende Beobachtung hherer Ordnung(also der Beobachtung, wie bislang beobachtetworden ist).

    Medienkomparation in einem auf das Mediumselbst bezogenen Sinne ergbe sich dann erstals Selbstbeobachtungsmglichkeit von Medien-theorien und Medienwissenschaft. Dann kom-men auch die Verfahren in den Blick, die als Tran-skriptionen von Metaphern und als Transfer vonKonzepten, die medienwissenschaftliche Prozes-se prgen. Diese Ebene wechselt aber stndigmit jenen Untersuchungen, die den medien-bezogenen Blick fr die Analyse eines spezifi-schen Rahmens nutzen. Denn der Unterschied,den ein Medium macht, lsst sich nur in derDifferenzanalyse von Medien rekonstruieren,die nicht leer luft, indem sie auf sehr abstrakteWeise das So-Sein von Medien zu bestimmenversucht, mit anderen Worten das technischeDispositiv von Medien zu einer Ontologie macht,die wie ein Algorithmus zur Erklrung kultu-reller Phnomene funktioniert. Denn wenn derAlgorithmus von der Wiederholung einerMglichkeit16 ausgeht, so reagieren sinn-verarbeitende Systeme stets mit dem Vollzugder Selektion von Mitteilung und Information,um nur an basale berlegungen Niklas Luh-manns zu erinnern. Diese Selektion ist aber ge-rade nicht als reines Wiederholungsgeschehendenkbar, sondern nur als Iteration und d.h. alsgleichzeitiger Vollzug von Referenz und Dif-ferenz. Eine Medienontologie hingegen verab-schiedet sich von sozialen Systemen und stellt

    die apparative Verarbeitung ins Zentrum. Frkulturwissenschaftliche Hinsichten ist dies nichtreichhaltig genug, denn wenn man immer schonwei, welche Effekte ein Medium hat, dann wirdjede historische Analyse zur reinen Applikati-on; und ist die Erscheinungs- und Erfolgsge-schichte dieses Mediums einmal erzhlt, so be-steht jede weitere Forschung im wesentlichenin redundanten Verdopplungen.

    Der Unterschied, den ein Medium macht, wirddaher fr soziale Systeme nur produktiv in ei-nem kulturwissenschaftlichen Ansatz; er ist einUnterschied fr etwas, und dieses Etwas iststets vindiziert durch historische, kulturelleRahmungen, die forschungsgeschichtlich eben-falls in einer Kette von Abweichungen rekonst-ruiert worden sind. Dass es kulturelle Rahmungensind, ist begrndet in der Unhintergehbarkeitvon Form, die es nicht zulsst, einen reinen In-halt oder ein reines Medium zu destillieren,die als form- und zeitlose Substrate, als einelangue untersucht werden knnten.

    1 Marshall McLuhan: Die magischen Kanle, Dsseldorf/Wien 1970, S. 25.

    2 Sybille Krmer: Das Medium als Spur und als Apparat,in: dies. (Hg.): Medien Computer Realitt. Wirklichkeits-vorstellungen und Neue Medien, Frankfurt/M. 1998, S.74.

    3 Martin Seel: Medien der Realitt und Realitt der Me-dien, in: Krmer: Medien Computer Realitt (Anm. 2), S.244-268 (hier: S. 247).

    4 Friedrich Kittler: Hardware, das unbekannte Wesen, in:Krmer: Medien Computer Realitt (Anm. 2), S. 119-132(hier: S. 124).

    5 Knud Bhle: Inkunablenzeit. Theoreme, Paratexte,Hypertexte. Eine Nachlese, in: Martin Warnke/ Wolf-gang Coy/Georg Christoph Tholen (Hg.): HyperKult,Basel 1997, S. 119-150 (hier: S. 123).

    6 Heiko Idensen: Hypertext Frhliche Wissenschaft?, in:Warnke/Coy/Tholen: HyperKult (Anm. 5), S. 151-190(hier: S. 161).

    7 McLuhan: Die magischen Kanle (Anm. 1), S. 23.8 Friedrich Kittler: Grammophon Film Typewriter, Berlin

    1986, S. 149.9 Jay D. Bolter: Das Internet in der Geschichte der

    Technologien des Schreibens, in: Stefan Mnkler/Alexander Roesler (Hg.): Mythos Internet, Frankfurt/M.1997, S. 37-55 (hier: S. 42 f.).

    10 Ulf Poschardt: DJ-Culture, Frankfurt/M. o.J., S. 17.11 Tricia Rose: Black Noise. Rap Music and Black Culture

    in Contemporary America, Hannover 1994, S. 117.12 Hartmut Winkler: Docuverse. Zur Medientheorie der

    Computer, Regensburg 1997, S. 11.13 McLuhan: Magische Kanle (Anm. 1), S. 18.14 Friedrich Kittler: Gleichschaltungen. ber Normen und

    Standards der elektronischen Kommunikation, in:Manfred Faler/Wulf Halbach (Hg.): Geschichte derMedien, Mnchen 1998, S. 255-267 (hier: S. 259).

    15 Kittler: Grammophon Film Typewriter (Anm. 8), S. 133.16 Ebd., S. 118.

    DER UNTERSCHIEDDER MEDIEN

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

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    1. Reprsentation und Symbolizitt

    Richard Rorty hat in seiner umfassenden Kritikphilosophischer Positionen, die sich an der Me-tapher vom Spiegel der Natur orientieren, ber-zeugend deutlich gemacht, dass es sich bei derForderung nach einem transzendentalen Stand-punkt auerhalb unserer gegenwrtigen Dar-stellungssysteme, von dem aus wir die Relationzwischen diesen Darstellungen und ihrem Ge-genstand untersuchen knn[t]en, [...] um eineunerfllbare Forderung handelt.1 Wir verfgenber keinen exzentrischen archimedischen Punkt,der es uns erlaubte, die Adquatheit unserer Be-zugnahmen auf die Welt unabhngig von medi-alen Darstellungssystemen zu beurteilen, seiendiese nun wissenschaftliche Theorien, oder seienes um einen Begriff Cassirers zu verwenden symbolische Formen2 anderer etwa sthetischeroder mythologischer Provenienz. Gleichwohlscheint es gerade die epistemologische Hoffnungauf die Mglichkeit einer medialitts-transzen-denten Adquatheits-Beurteilung des Verhltnis-ses von Reprsentant und Reprsentat zu sein,die die Authentizitts-Fiktionen nicht unwesent-licher Teile kulturkritischer Medientheorien ide-ologisch speist. Seine lang andauernde theoreti-sche Resistenz verdankt das Postulat, medial un-vermittelte authentische Reprsentation der Er-kenntniswelt und von hier aus auch die Ein-schtzung der Darstellungs-Angemessenheit vonMediensystemen sei mglich, der anhaltendenWirkungsmchtigkeit des Cartesianismus, derauch gegenwrtig noch wesentliche Teil derkognitivistischen Philosophie sowie der Zeichen-und Medientheorie beherrscht.3 Eine Grund-annahme dieses Cartesianismus besteht in derberzeugung, dass allen medialen Darstellungs-systemen eine prmediale Sprache des Denkenszugrunde liege, die als wahrheitswertfhigesSystem die normative Rolle des letztgltigen An-gemessenheitshorizontes fr mediale symboli-sche Darstellungssysteme zu bernehmen in derLage sei. Diese Sprache des Denkens soll ihreFunktion dadurch zu bernehmen vermgen,dass sie symbolische Strukturen bereitstellt, dieals prmediale, d.h. mentale Entitten in derForm der Reprsentation auf die Objektwelt ge-richtet sind. Reprsentation wird dabei, ganz imSinne der scholastischen Formel aliquid stat proaliquo so verstanden, dass die reprsentierendeWelt der (prmedialen) symbolischen Struktu-ren zu der reprsentierten Welt der Objekte durcheine Abbildungsrelation in Beziehung gesetzt

    wird: Die mentalen Reprsentanten treten zu denontischen Reprsentaten, d.h. zu den Sachverhal-ten und Eigenschaften der Bezugswelt in ein Ver-hltnis der semantischen Korrespondenz, derenRichtigkeit oder Falschheit festgestellt werdenkann. Der kognitivistische Begriff der Reprsen-tation beruht also auf einer Korrespondenz-theorie der Wahrheit, durch die zwischen Repr-sentant und Reprsentat eine Relation medial un-vermittelter, wahrheitswertfhiger Abbildunggestiftet wird, so dass von diesem Typus gleich-sam authentischer Reprsentation postuliertwerden darf, er liege allen anderen Formen me-dialer Abbildung voraus und eigne sich insofernals gleichsam externe Beurteilungsperspektivefr die Angemessenheit symbolisch-medialerDarstellungen.In der Tat unterstellt der Kognitivismus nicht nureine prmediale Identitt von Gegenstnden,Sachverhalten und Eigenschaften der Erkenntnis-welt, sondern zugleich auch ein gleichsam in-trinsisches Vermgen der mentalen Symbole, aufdiese Gegenstnde, Sachverhalte und Eigenschaf-ten zu referieren und sie wahrheitswertfhig zureprsentieren. Nun ist aber eine strukturierteGegenstandswelt dem Erkenntnissubjekt ebensowenig unabhngig von der in der Subjekt-Sub-jekt-Relation situierten Interaktivitt extern-me-dialer Symbolsysteme gegeben, wie das Verm-gen, vermittels mentaler Entitten auf eine sol-che Gegenstandswelt Bezug zu nehmen. Insofernkann es auch einen gleichsam exzentrischenStandpunkt der Beurteilung des Verhltnisses vonDarstellungen und ihrem Gegenstand jenseits derSymbolizitt externer Zeichensysteme nicht ge-ben. Fr die Geltungsansprche der Beurteilungs-diskurse, in denen die Frage der Angemessenheitvon Darstellungsmitteln hinsichtlich der Dar-stellungsgegenstnde in Frage steht, gibt es keinInstitut der Brgschaft, das nicht seinerseits imUniversum extern-medialer Symbolsysteme an-gesiedelt wre.4

    Wenn heute die kulturkritisch zugespitzte Diag-nose verbreitet ist, es gebe eine Krise der Repr-sentation und mit dieser zugleich eine Krisedes reprsentierenden Ichs, und wenn diese Kri-se in der Unerreichbarkeit medial unvermittel-ter mentaler Weltreprsentation durch ein er-kenntnisautonomes Subjekt gesehen wird, dannist diese Krise entweder so alt wie die Kulturge-schichte des Menschen oder wohl doch eherberhaupt keine Krise, sondern Kennzeichen dermedialen Anthropologie des Menschen.5 Der fr

    Transkriptivitt

    Zur medialen Logik der kulturellen SemantikvonLudwig Jger

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    Sondernummer: Rckblick

    .............das rezente Subjekt beklagte Zustand anthropo-logischer, zwischen Realitt und Virtualitt os-zillierender Ungewissheit wre dann gar keinpostmoderner Schrumpfstatus des Humanen,sondern wie wir sptestens seit Herder wissenknnten die generische Verfassung desunbezirkten Menschen.6 Noch nie im Verlaufder humanen Kulturgeschichte haben nmlichdie Semantiken der Symbolsysteme ihre Beglau-bigung von prmedialen Korrespondenz-Krite-rien der Relation zwischen mentalen Symbolenund einer darstellungsunabhngigen Welt her-zuleiten vermocht obgleich gerade diese Fikti-on in Mythen, Philosophien und Erkenntnis-theorien besondere Hege gefunden hat. Natr-lich haben sich im Zuge der kulturellen Entwick-lung und insbesondere der Mediengeschichte ber den Graphismus des Palolithikums, dieSchrift, den Buchdruck bis zu den elektronisch-digitalen Medien die Struktur, Reichweite undKomplexitt von Symbolsystemen ebenso wieihre Vernetzungsdichte gewandelt. Dieser Wand-lungsprozess vollzog sich aber im Rahmen einesseinerseits bestndigen anthropologisch-media-len Schemas, das die Ausbildung des Ichs undseines Weltbezugs seit jeher an mediale Aktivi-tt im Raum symbolischer Ordnungen bindet.Bereits die dreiigtausend Jahre alten Zeugnissepalolithischer Kunst belegen wie der Palon-tologe Leroi-Gourhan gezeigt hat ein in Gra-vur, Malerei und Bildhauerei sich ausdrcken-des symbolisches Darstellungsverhalten des fr-hen Menschen, das keineswegs auf eine primiti-ve Reprsentation der Welt, sondern auf die hochabstrakte Komposition mythologischer, in mnd-liche Sprechhandlungskontexte eingebetteterSymbolordnungen zielte.7 Schon hier wird Se-mantik nicht primr durch die Referenz auf einesymboltranszendente Welt, sondern durch dieintermedialen Kopplungen verschiedener Sym-bolsysteme generiert. Ich glaube deshalb, dasses nicht das Prinzip der alle Differenzen und da-mit auch jede Semantik auslschenden fraktalenSelbsthnlichkeit ist, das die telematische Kom-munikation bestimmt, sondern ein ganz anderesPrinzip, das so alt ist wie das anthropologischeProgramm des medialen Menschen, ein Prinzip,dessen Freilegung gleichwohl fr das Verstehenrezenter Medien-Kommunikation bedeutsamsein knnte. Ich mchte dieses Prinzip Transkrip-tivitt nennen und einige seiner strukturellen Ei-genschaften etwas nher skizzieren.

    2. Transkripivitt und kulturelle Semantik

    Wenn sich die semantische Ratifizierung vonSymbolsystemen wie wir gesehen haben nichtauf dem Wege ihrer jeweiligen referentiellenAbgleichung mit einer medientranszendentenRealwelt vollziehen lsst, weil wie Rorty be-merkt die Natur keine Weise ihrer Darstel-lung bevorzugt8, wenn also, um noch einmalmit Rorty zu reden, fr diesen Abgleich keinStandpunkt auerhalb unserer gegenwrtigenDarstellungssysteme9 zur Verfgung steht, liegt

    es auf der Hand, dass diese Beglaubigung vonSinn ihren Ort nur innerhalb des Horizontes die-ser Darstellungs- bzw. Symbolsysteme habenkann. Die Medien-Immanenz der Generierung undLesbarmachung von Sinn ist dabei weder ein In-diz dafr, dass es wie Dietmar Kamper frchtet aus dem auenlosen Innen des virtuellen Uni-versums, dieser riesige[n] Blase von Zeichen,Symbolen und Sprachen, kein Entrinnen gibt,noch ist sie ein Indiz fr den auch von Kamperbeklagten Identittszerfall10 des telematischenMenschen. Vielmehr lassen sich, soweit wir auchin die Mediengeschichte des Homo sapiens zu-rckblicken, immer nur symbolsystem-imma-nente Verfahren der semantischen Ratifizierungausmachen, von denen zwei wie mir scheint besondere Aufmerksamkeit verdienen:e r s t e n s in Bezug auf die Semantik natrlicherSprachen ein intramediales Verfahren, das dieeigentmliche Doppelstruktur11 der natrli-chen Sprachen, nmlich ihre Eigenschaft nutzt,mit Sprache ber Sprache zu kommunizieren, d.h.den Verwendungssinn von uerungen durchParaphrase, Erluterung und Explikation zu thema-tisieren und zu erschlieen sowie z w e i t e n sein intermediales Verfahren, dass mindestens einzweites mediales Kommunikationssystem zurKommentierung, Erluterung, Explikation undbersetzung (der Semantik) eines ersten Systemsheranzieht. Beide Verfahren dienen in unter-schiedlichen Hinsichten dem Lesbarmachen desjeweils thematisierten symbolischen Systemsbzw. der in ihm in Frage stehenden Ausschnitte.Lesbarmachen meint dabei einen Typus von Be-deutungs-Erschlieung, der wie sich noch zei-gen wird in einem bestimmten Sinne auch dieKonstitution der erschlossenen Bedeutung mit ein-beschliet.Ich mchte die beiden skizzierten Verfahrentranskriptive Verfahren bzw. Transkriptionen nen-nen. Die symbolischen Mittel, die das jeweilstranskribierende System fr eine Transkriptionverwendet, nenne ich Transkripte und die durchdas Verfahren lesbar gemachten, d.h. transkri-bierten Ausschnitte des zugrundeliegenden sym-bolischen Systems Skripte, whrend das zu-grundeliegende symbolische System selbst (inseinem nicht transkribierten Status), das fokus-siert und in ein Skript verwandelt wird, alsQuelltext bzw. Prskript bezeichnet werden soll.Die Applikation dieser Terme aus dem Wortfeldder Skripturalitt auch auf nonliterale Symbol-systeme ist dabei ausdrcklich intendiert. Skript-Status erhalten Symbolsysteme oder Ausschnit-te von diesen nur dadurch, dass sie transkribiertwerden, also aus Prskripten in semantisch aufneue Weise erschlossene Skripte verwandeltwerden. Tatschlich stellt also jede Transkripti-on die Konstitution eines Skripts dar, wiewohl dasVerfahren zunchst auf ein schon vor seinertranskriptiven Behandlung existierendes symbo-lisches System trifft.Es offenbart sich hier also eine eigentmlicheBeziehungslogik von Prskript, Skript und Tran-

    TRANSKRIPTIVITT

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

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    skript: Obgleich das Prskript der Transkriptionvorausgeht, ist es als Skript doch erst das Ergeb-nis der Transkription. Insofern darf man wieich an einigen Beispielen erlutern will nichtdavon ausgehen, dass zwischen Prskript/Skriptund Transkript ein einfaches Verhltnis der Ab-bildung besteht:

    (1) So stellt etwa die narrative Darstellung einesgeschichtlichen Ereignisses als Transkript der inden Quellen dokumentierten, aber erst durch dieTranskription narrativ selegierten und verbun-denen Sachverhalte keine Abbildung dieser Sach-verhalte dar, sondern konstituiert sie erst als his-torisches Ereignis: Manfred Riedels im Anschlussan Droysen formulierter Satz, dass sich die Ge-schichte erst im transzendentalen Rahmen desWissens von ihr konstituiert12, expliziert deshalbnichts anderes, als die transkriptive Logik der Ge-schichtsschreibung: Erst aus der Perspektive derdarstellenden Transkription der Quellen-Sach-verhalte erhalten diese einen Skript-Status unddamit eine Semantik. Sie werden durch ihre nar-rative Transkription konstituiert und in einerbestimmten Hinsicht lesbar gemacht. Die Quel-len mgen unabhngig von der Transkriptionals Prskripte durchaus auch in anderen Hin-sichten lesbar sein, aber sie erhalten eine spezifi-sche und neue Semantik und eine symbolischeOrdnung, die ihnen Skript-Status verleiht erstdurch die Transkription.

    (2) Eine ganz anders geartete, aber ebenfallstranskriptive Relation finden wir in dem Ver-hltnis von Schrift und verschrifteter Sprache vor.So vertritt etwa der Skriptizismus die These, dass,wie Ldtke in einem berhmten Aufsatz postu-lierte, Phoneme als psychische Realitt imsprachlichen Wissen der Sprecher erst das his-torische Ergebnis der in den semitischen Spra-chen aufgekommenen Alphabetschrift darstell-ten, dass also erst die Schrift als Transkriptionnonliteraler Sprachen in diesen Sprachen pho-nologische Strukturen konstituiert habe.13 Auchwenn man die starke skriptizistische Positionnicht vertritt, kann doch kein Zweifel daran be-stehen, dass in gewisser Hinsicht erst Schrift-systeme als Transkriptionen die durch sie tran-skribierten (mndlichen) Sprachen als non-flui-de, diskontinuierliche Gegenstnde, eben alsSkripte, konstituieren: Da es z.B. fr Sprachen wieDeutsch, Englisch, Franzsisch, Italienisch etc.keine nicht willkrliche diskontinuierliche L-sung fr das Problem des Sprache-Dialekt-Kon-tinuums gibt, eines Kontinuums, das den pr-skripturalen Status nicht verschrifteter Sprachencharakterisiert, ist offensichtlich, dass erst dieskripturale Transkription die Sprachen als dis-krete Einheiten, als Skripte, konstituiert, ganzabgesehen davon, dass mit diesem Skript-Statusdie Entstehung zustzlicher Register sowie eineFunktionsausdifferenzierung der Sprache mittiefreichenden Auswirkungen auf die Kognitionder literalisierten Sprecher verknpft war.14Zugleich wird Sprache durch Schrift in einememphatischen Sinne erst lesbar, d.h. unabhngig

    von ihrer raum-zeitlich situationalen Performanzsemantisch zugnglich.(3) Betrachten wir ein drittes Beispiel tran-skriptiver Beziehung: das Verhltnis von implizi-tem Regelwissen z.B. bezglich des Gebrauchseines Wortes und der Formulierung der Ge-brauchsregel (durch einen Lexikographen), durchdie das implizite Wissen expliziert wird. Auchhier verdeckt der Begriff der Explikation, dass essich bei der Formulierung eines impliziten (stil-len) Wissens nicht lediglich um die Veruer-lichung eines mentalen Sachverhaltes, sondernum einen transkriptiven Vorgang handelt. Dasdem Gebrauchenknnen eines Wortes durch ei-nen Sprecher zugrundeliegende Wissen ist ge-wissermaen das Prskript, das durch die tran-skriptive Regelformulierung als Skript konstitu-iert wird. Die Transkription expliziert ein implizi-tes Knnen (Prskript) und verleiht ihm erst aufdiesem Wege Skript-Status. Obgleich nmlich einSprecher mit Wittgenstein zu reden durchausder Regel fr den Gebrauch des Wortes folgenkann, vermag er sie noch lange und in der Re-gel berhaupt nicht zu formulieren. Er befindetsich gleichsam in der Lage eines Menschen, der so noch einmal Wittgenstein sich genau in ei-ner Stadt auskennt, d.h. von jedem Ort der Stadtzu jedem anderen mit Sicherheit den krzestenWeg fnde, und dennoch ganz auerstande w-re, einen Plan der Stadt zu zeichnen.15 Die Regel-formulierung verhlt sich also zum implizitenRegelwissen wie die Karte zur Ortskundigkeit.Erst die kartographische Transkription verleihtdem Sichauskennen, dem Prskript, einen neuenStatus als Skript: Dem kundigen Stadtbewohnererscheint nun durch die Karte seine Kundigkeitebenso in einem neuen Licht, wie dem Nutzereines einsprachigen Wrterbuches sein implizi-tes semantisches Wissen: Das Knnen ist jetzt alsRegel zugnglich und (z.B. in einem einsprachi-gen Wrterbuch) lesbar geworden. Die lexikogra-phische Transkription macht das Bedeutungs-wissen das Prskript in einer Weise bersicht-lich und konstituiert es als Skript, die in demjeweils situational angemessenen bloen Regel-Folgen-Knnen nicht enthalten war.Transkriptionen stellen also, wie diese Beispieleillustrieren sollten, keine Abbilder von Skriptendar, weil sie diese in einer bestimmten Hinsichterst erzeugen. Weder das historische Ereignis, nochdie Einzelsprachen, noch das explizite Regelwissengehen ihrer Transkription voraus, obgleich sienatrlich als Prskripte bereits unabhngig vonder Transkription, aber in einem gewissen Sinneunlesbar existiert haben. Genauer gesagt warensie in dem semantischen Horizont, der durch dieTranskription erst erffnet wurde, zuvor nichtlesbar, obgleich sie in anderen (inaktuellen, ob-solet gewordenen, vergessenen etc.) Hinsichtendurchaus Lesbarkeitspotential enthalten habenmgen.Zugleich ist aber folgender Umstand zu beach-ten: Transkriptionen sind zwar skript-konstitutiv,d.h. sie transformieren Prskripte in Skripte, ver-

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    Sondernummer: Rckblick

    ............. TRANSKRIPTIVITT

    setzen diese jedoch durch die Transformation ineinen gegenber den Transkripten autonomen Sta-tus: Das Skript erhlt durch seine transkriptiveErzeugung gleichsam Interventionsrechte gegendie mgliche Unangemessenheit der Transkrip-tion. Wenn etwa eine historische Darstellung (dasTranskript) Quellentatbestnde (das Prskript) alshistorisches Ereignis konstituiert und einer be-stimmten Anzahl von Archivalien etc. auf dieseWeise Skript-Status verleiht, erhalten diese imHinblick auf die Angemessenheit der Transkrip-tion ein Interventionsrecht: Die Prskripte (Quel-len) lassen sich nun im Hinblick auf die An-gemessenheit der Lektre, die die historischeNarration als Transkription bereitstellt, beurtei-len. Die Transkription konstituiert also in gewis-sem Sinne nicht nur das Skript, sondern sie ff-net ber den bestimmten Weg, den sie durch dasNetzwerk der Prskripte nimmt, zugleich auchandere Navigations-Optionen, andere Lektren,deren Unangemessenheit sie im gleichen Maepostuliert als sie die eigene Lektre Legitima-tionsrisiken aussetzt. Die in der Transkriptionenthaltene Behauptung einer bestimmten Lekt-re nutzt einen diskursiven Modus, in dem zu-gleich notwendigerweise auch die Mglichkeitdes Zweifels, der Korrektur und der Bestreitungimplementiert ist. Man knnte auch sagen, in-dem die Transkription ein Skript konstituiert,ffnet sie zugleich das Feld der nicht markiertenPrskripte fr alternative Lektren, und ffnetso den Raum fr konkurrierende Transkriptio-nen, Postskripte, die ihrerseits als Skript-Behaup-tungen das iterativ-endlose Spiel der Lektrenin Gang halten. Transkripte sind also nicht nurkeine Abbildungen von Skripten, sondern diesesind ihrerseits auch nicht einfach Derivationen desTranskriptionsverfahrens. Die Transkriptionkonstituiert ein Skript und macht es lesbar, ver-setzt dieses jedoch zugleich in einen Status, ausdem sich Angemessenheitskriterien fr den Lektre-vorschlag ableiten lassen, den das Transkriptunterbreitet.

    Diese Tatsache ist bei intermedialen Transkriptio-nen von noch entscheidenderer Bedeutung. Dennwenn man davon ausgeht und diese Positionmchte ich hier vertreten dass Sprache in allenEntwicklungsformen von Mediengesellschaftendie letzte Transkriptionsinstanz darstellt, stelltsich die Frage, kraft welcher Semantik nicht-sprachliche, etwa bildliche Skripte ihr Inter-ventionsrecht gegen sprachliche Transkriptionengeltend machen knnen. Arthur C. Danto hat die-ses Problem in seiner Analyse des Verhltnissesvon Abbildung und Beschreibung eindringlicherrtert. Er setzt sich u.a. mit einer Theseauseinander, die Charles Lamb 1818 im Hinblickauf die Kupferstiche von Hogarth formulierte:Hogarths graphische Darstellungen sind tat-schlich Bcher; sie haben die vielfltige, frucht-bare ausdrucksstarke Bedeutung von Wrtern.Andere Bilder betrachten wir seine lesen wir.16In Lambs Diktum lsst sich unschwer die ber-zeugung erkennen, dass es so etwas wie einesprachanaloge Bildersprache geben msse und

    entsprechend, wie Elliot Sober formulierte, ei-nen Begriff der pikturalen Kompetenz [...], derdem gebruchlicheren Begriff einer sprachlichenKompetenz streng analog ist.17 Danto stellt nundie Frage, ob man tatschlich alles, was HogarthsBilder uns erzhlen, allein durch die Ausbungeiner rein pikturalen Kompetenz herausfindenknnte oder allgemeiner: Kann eine Semantikdes Bildes allen unseren Anforderungen an dieDarstellung Genge tun, ohne eine wie auchimmer geartete Einschrnkung des Darstellba-ren?18 Er kommt zwar zu dem Ergebnis, dass eszweifelhaft sei, ob eine bildliche Sprache dieMglichkeiten der Darstellung einer diskursivenSprache erreichen knne, ohne deren Hilfe in An-spruch zu nehmen, macht aber zugleich deutlich,dass es gerade die Verwendung der diskursivenSprache als Transkriptionsmedium ist, die dasBild als Bild in einen interventionsfhigen Skript-Status versetzt deshalb nmlich, weil die dis-kursive Beschreibungssprache im Hinblick auf dieBildlektre, die sie vorschlgt, hinsichtlich ihrerAngemessenheit befragbar ist.19 Es zeigt sich also,dass auch in diesen Fllen der intermedialen Tran-skription die durch das sprachliche Transkript er-schlossene bildliche Semantik trotz ihres nicht-dis-kursiven Status keineswegs als wenigerinterventionsunfhig angesehen werden braucht,als dies bei diskursiven Skript-Semantiken derFall ist.Als Ergebnis unserer bisherigen berlegungenlsst sich folgendes festhalten:(1) Transkribieren lsst sich als ein Prozess derKonstitution von Skripten aus Prskripten be-schreiben. Die Pointe dieses Prozesses bestehtdabei darin, dass die Transkription in dem offe-nen Netzwerk von in einer gewissen Hinsichtunlesbaren Prskripten einen oder mehrere Aus-schnitte fokussiert, ihnen eine semantische Ord-nung gibt und sie so als Skript in den Statusder Lesbarkeit versetzt.(2) Weiterhin hat sich gezeigt, dass das Verhlt-nis zwischen Transkript und Skript nicht das ei-ner Abbildung ist, weil die Transkription dasSkript in gewissem Sinne erst generiert. Lesbar-keit war in der semantischen Hinsicht, die dieTranskription erffnet, zuvor keine Eigenschaftder durch das Transkribieren fokussiertenPrskripte und insofern existierten diese auchnoch nicht als (lesbare) Skripte.(3) Zugleich ist aber deutlich geworden, dass diekonstitutive Abhngigkeit des Skriptes von sei-nem Transkript nicht als schlichte Derivation ver-standen werden darf: Vielmehr wird das Skriptinsofern zu einer autonomen Bewertungsinstanz frdie Angemessenheit der Transkription, als eszugleich den Raum fr Postskripte ffnet, in de-nen die Angemessenheit der durch die Transkrip-tion behaupteten Lektre in Frage gestellt wer-den kann.Transkription stellt also, wie die bisherigen Bei-spiele deutlich gemacht haben, ein grundlegen-des Verfahren des Lesbarmachens kulturellerSemantik dar, wobei die intramediale reflexive

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

    KKKKKONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTE

    Doppelheit der Sprache bzw. die intermedialeDualitt der ins Spiel gebrachten symbolischenSysteme oder Teilsysteme von entscheidenderBedeutung ist.Es kann wenig Zweifel daran bestehen, dass dietranskriptive Koppelung von medialen Symbol-systemen in der historischen Herausbildung vonMediengesellschaften bis zu ihrem heutigen Sta-tus eine auerordentliche Rolle gespielt hat undsie auch gegenwrtig noch spielen drfte. Auchdas kognitive Niveau telematischer Gesellschaf-ten wird sich unter anderem daran bemessen, inwelchem Mae sich transkriptive Intelligenz als dasVermgen auszuprgen vermag, durch das Ins-Spiel-bringen unterschiedlicher symbolischerMedien, Strategien zur semantischen Erschlie-ung von Weltausschnitten zu generieren.Transkriptivitt scheint also ein organisatori-sches Grundprinzip des kulturellen Gedchtnis-ses insbesondere literalisierter Gesellschaften zusein, die zur Speicherung, Tradierung und Fort-schreibung kulturellen Wissens auf das intra-mediale und intermediale Zusammenspiel ver-schiedener Symbolsystemen zurckgreifen.Transkriptivitt bestimmt die mediale Logik derkulturellen Semantik.

    1 Vgl. Richard Rorty: Der Spiegel der Natur. Eine Kritikder Philosophie, Frankfurt 1987, S. 321.

    2 Vgl. hierzu Ernst Cassirer: Wesen und Wirkung desSymbolbegriffs, Darmstadt 1965; Ernst Cassirer: Philo-sophie der symbolischen Formen, Darmstadt 1964.

    3 Vgl. hierzu auch Ludwig Jger: Die Sprachvergessenheitder Medientheorie. Ein Pldoyer fr das Medium Spra-che, in: Werner Kallmeyer (Hg.): Sprache und neue Me-dien, Jahrbuch 1999 des Instituts fr Deutsche Sprache,Berlin/New York 2000, S. 9-30.

    4 Vgl. hierzu etwa Robert B. Brandon: ArticulatingReasons. An Introduction to Inferentialism, Cambridge,MA/London 2000, S. 183.

    5 Vgl. hierzu etwa Wolfgang Mller-Funk: Ouvertren zueiner Philosophie der Medialitt des Menschen, in: ders./Hans Ulrich Reck (Hg.): Inszenierte Imagination. Beitr-ge zu einer historischen Anthropologie des Menschen,Wien/New York 1996, S. 63-86, sowie Ludwig Jger:Sprache als Medium. ber die Sprache als audio-visu-elles Dispositiv des Medialen, in: Horst Wenzel/WilfriedSeipel/Gotthart Wunberg (Hg.): Audiovisualitt vor undnach Gutenberg. Zur Kulturgeschichte der medialenUmbrche, Wien 2001, S. 19-42.

    6 Vgl. Johann Gottfried Herder: Smmtliche Werke, hg. v.Bernhard Suphan, Bd. 5: Abhandlung ber den Ursprungder Sprache, Berlin 1891, S. 22 ff.

    7 Vgl. Andr Leroi-Gourhan: Hand und Wort. Die Evolu-tion von Technik, Sprache und Kunst, Frankfurt 1988, S.446 ff.

    8 Vgl. Rorty: Spiegel der Natur (Anm. 1), S. 328.9 Ebd., S. 321.10 Vgl. Dietmar Kamper: Ohne Spiegel, ohne Bilder, in:

    Manfred Faler (Hg.): Ohne Spiegel leben. Sichtbarkeitenund posthumane Menschenbilder, Mnchen 2000, S.295-299 (hier: S. 297 f.).

    11 Vgl. Jrgen Habermas: Vorbereitende Bemerkungen zueiner Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: ders./Niklas Luhmann: Theorie der Gesellschaft oder Sozial-technologie Was leistet die Systemforschung, Frank-furt 1975, S. 101-141 (hier S. 104).

    12 Vgl. Manfred Riedel: Positivismuskritik und Historis-mus. ber den Ursprung des Gegensatzes von Erklrenund Verstehen im 19. Jahrhundert, in: Jrgen Blhdorn/Joachim Ritter (Hg.): Positivismus im 19. Jahrhundert,Frankfurt 1971, S. 91-104 (hier S. 89); ebenso Hans PeterDreitzel: Theorielose Geschichte und geschichtslose So-ziologie. ber das gegenwrtige Verhltnis von Sozio-logie und Geschichtswissenschaft, Kln 1972, S. 47.

    13 Vgl. Helmut Ldtke: Die Alphabetschrift und das Pro-blem der Lautsegmentierung, in: Phonetik 20 (1969), S.147-176.

    14 Vgl. dazu grundlegend Christian Stetter: Schrift undSprache, Frankfurt 1997 sowie Sybille Krmer: Spracheund Schrift oder: Ist Schrift verschriftete Sprache?, in:Zeitschrift fr Sprachwissenschaft 5/2 (1996), S. 92-112.

    15 Vgl. Ludwig Wittgenstein: Zettel, Werkausgabe Bd. 8,Frankfurt 1984, S. 295.

    16 Vgl. Arthur C. Danto: Abbildung und Beschreibung, in:Gottfried Boehm (Hg.): Was ist ein Bild?, Mnchen 1995,S. 125-147 (hier: S. 125).

    17 Vgl. Elliot Sober: Mental representations, in: Synthese33 (1976), S. 101-148 (hier zitiert nach Danto: Abbil-dung und Beschreibung (Anm. 16), S. 138).

    18 Vgl. ebd., S. 127.19 Ebd.

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    Sondernummer: Rckblick

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    I.

    In der philosophischen Tradition von Descartesbis Luhmann lsst sich ein Denken des Medialenbeobachten, das die spezifische Eigenschaft des-sen, was berhaupt ein Medium sein kann, gera-de darin sieht, dass seine tendenzielle Eigen-schaftslosigkeit es zu einem hervorragenden Tr-ger von Einschreibungen macht.1 Das Medialeerscheint dabei als eine passive Unterlage, dienur im Gegensatz zu einem Ding oder einerForm selbst thematisch werden kann. Die Auf-merksamkeit dieses Denkens richtet sich deshalbauf die Differenz von Ding und Medium odervon Form und Medium als Differenz zwischeneiner beschreibbaren Gestalt und einer sich imHintergrund dieser Gestalt zeigenden Gestaltlo-sigkeit. Whrend eine Form oder ein Ding festumrissene Grenzen besitzt, ist das Mediale dem-nach durch einen Zustand der Latenz und derPotentialitt gekennzeichnet. Zugleich aberscheint der hyletischen Passivitt des so verstan-denen Medialen immer schon ein Begehren in-nezuwohnen, aufgrund dessen sich das Mediumstets auf dem Weg zu seiner Beseelung durchdie aktive Form befindet.2 Nach Luhmann ist dasMedium jenseits seiner Bereitstellung von losegekoppelten Elementen fr die Formbildungnicht nur unsichtbar, unbeobachtbar und uninfor-miert, sondern sich selbst gegenber auch nichtgengsam.3

    Zwar erscheint im Unterschied zum Formbegriffder Tradition die aus den bereitgestellten undaktualisierten Elementen gebildete Form auf derFolie des Mediums nun als das Flchtige und Un-eigentliche und umgekehrt das Medium als dasEigentliche, das im Gegensatz zur Form nicht ver-geht.4 Aber die konstitutive Rolle, die dem Me-dialen damit zugedacht ist, wird diesem im glei-chen Moment wieder entzogen, insofern die Po-tentialitt oder nach Dirk Baecker die maxi-mal erreichbaren Verknpfungen des Mediumsnur als Bereitstellung fr die Formbildung in denBlick kommt.5 Das Medium erscheint in dieserHinsicht nur in dem Mae als ein Bereich derUnbestimmtheit, in dem dieser Bereich als nochbestimmbar erscheint. Die Aufmerksamkeit die-ser Konzeption des Medialen konzentriert sichdeshalb wiederum im Anschluss an die philoso-phische Tradition auf eine Bestimmungsleistungim Horizont eines Unbestimmten, ohne danachzu fragen, ob der Schwellenbereich des Media-len nicht selbst schon eine Leistung beschreibt,die sich keineswegs im bergang zur Bestimmt-heit erschpft.Wenn Fritz Heider in seinem inzwischen klassi-schen Text Ding und Medium sagt, dass Medium-

    vorgnge nur Wichtigkeit haben, wenn siean etwas Wichtiges gekettet sind, und an-sonsten fr sich selbst meist Nichts sind,6zeigt das vielleicht am deutlichsten, inwieferndie Frage nach dem Medialen lediglich im Hori-zont einer Reduktionsleistung auftaucht.7 Inner-halb der Systemtheorie beerbt die Aufmerksam-keit fr das Mediale als bergang zur Form-bildung deshalb ein Versprechen, das schon dieTheorie symbolischer Generalisierung kenn-zeichnete, nmlich, eine Vielheit operativ ver-fgbar zu machen und damit einer Einheit zuzu-ordnen (organized complexity), ohne dabei dieKomplexitt zu vernichten, die sich durch diegleichzeitige Einschrnkung des Mglichen unddie Sichtbarmachung anderer Mglichkeitenreproduzieren soll.8 Die Potentialitt des Media-len bleibt deswegen stets ein Ausschluss ande-rer Mglichkeiten, der nur auf der Folie der ak-tuellen Formbildung als Einschluss des Aus-schlusses sichtbar wird.9 Jede aktuelle Formbil-dung soll gewissermaen verlustfrei die Potentiali-tt des Medialen als Horizont der Bereitstellungselbst mitreproduzieren. Bei allen Unterschiedenzum Formbegriff der Tradition zeigt sich in die-ser Konzeption des Medialen das Erbe eines phi-losophischen Weltbegriffs von Kant bis Husserl,bei dem die Einschrnkung eine transzendentaleBedingung auf der Seite der Formbildung dar-stellt. Was berhaupt ein Medium sein kann, wirddeswegen nach wie vor allein von der Formseiteher gedacht, was zur Folge hat, dass die traditio-nellen Zuschreibungen von passiv und aktiv un-angetastet bleiben. Dass das Medium sich nichtabnutzt und zugleich jenseits seiner Informie-rung durch die Form zum Nichts tendiert, istdaher nur die andere Seite dieses einschrnken-den Weltbegriffs und macht deutlich, dass beider so getroffenen Unterscheidung von Mediumund Form die Formseite zwar die Medienseiteinformiert, die Formseite vom Medium selbstaber unbehelligt bleibt.Entgegen und zugleich mit dieser Tradition knn-te man die Fragerichtung aber auch umkehrenund nach der Leistung der medialen Latenz fra-gen, ohne sie in einer Finalitt der Formbildungoder der Informierung aufgehen zu lassen. Es wredann zu fragen, welche Art von Grenze bzw. Ent-grenzung oder Rahmung bzw. Entrahmung mitdem Medialen gegeben ist im Unterschied zurfesten Grenze oder Rahmung des Dings und derForm, bei denen die Entscheidung zwischen et-was und nichts immer getroffen werden kn-nen muss. Erscheint der systematische Ort desMediums in der oben genannten Tradition stetsals ein Ort des bergangs, also als eine Schwel-lensituation zwischen zwei festen Zustnden, so

    Das Medium als FormvonFriedrich Balke und Leander Scholz

    DAS MEDIUM ALS FORM

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

    msste man die Aufmerksamkeit auf die Ermg-lichung der festen Grenzen durch die Schaffunglatenter (scheinbar zum Nichts tendierender)Durchgangsorte lenken, die selbst nicht hinterder Formbildung verschwinden, sondern umge-kehrt die Formbildung ebenso wieder zum Ver-schwinden bringen knnen.Gilles Deleuze hat im Rahmen seiner Theorie desKinos davon gesprochen, dass die Groaufnah-me etwa des Gesichts aus diesem ein reines Roh-material des Affekts mache, seine hyle.10 Dem-nach besteht die Leistung des Medialen nicht nurin einer Bereitstellung von lose gekoppelten Ele-menten sondern darin, dass die filmische Rah-mung es erlaubt, beliebige Stellen im Raum inintensive Orte zu verwandeln. Diese Weise desmedialen Zugriffs, die sich von der Adressierungeines Dings, einer Form oder auch einer Personprinzipiell unterscheidet und die sich nicht alsUndifferenziertheit oder Entdifferenzierung ver-stehen lsst, scheint durch einen bestimmten Ent-zug von Bestimmungen gekennzeichnet zu sein,damit die Elemente eines Mediums berhaupterst als Elemente aufscheinen und somit zu Form-bildungen dienen knnen. Die Auffassung vonMedien als eine Menge von Elementen, die alsMenge erst durch die Formbildung konstituiertwird, legt es nahe, die Frage nach der vorgngi-gen Homogenitt dieser Elemente oder nach demProzess der Elementarisierung zu stellen.11 Wh-rend die systemtheoretische Unterscheidung vonMedium und Form dasjenige, was ein Mediumsein kann, aus der Form erklrt, hiee das, dieUnterscheidung aus der entgegengesetzten Per-spektive ernst zu nehmen und zu fragen, inwie-fern die Unbestimmtheit des Medialen als Unbe-stimmtheit bestimmend wird. Im Unterschied zurAdressierung und Individuierung von Dingenund Personen msste der mediale Zugriff als eineArt Schleuse beschrieben werden, die sich alsGrenze oder Rahmung von der festen Grenze ei-nes Dings dadurch unterscheidet, dass damit Zo-nen der Unbestimmtheit geschaffen werden.12Der historisch-systematische Einsatzort des Me-dialen bestnde dann in einer Zugriffsweise derDissoziation und Defiguration und wrde kei-neswegs die gesamte Bandbreite von Alternati-ven als Alternativen bereithalten, die als ausge-schlossene Mglichkeiten stets eingeschlossenwerden knnen, sondern die Elemente erst alsElemente der Unterscheidung von Einschluss undAusschluss konstituieren.

    II.

    Sybille Krmer hat die beiden Pole, zwischen de-nen sich ihrer Meinung nach die gegenwrtigemedientheoretische Reflexion entfaltet, mit derFrage markiert: bertragen oder erzeugen Me-dien Sinn?13 Der Antwortvorschlag der Autorinverwandelt die in der Frage enthaltene Alterna-tive in eine Konjunktion: Medien erzeugen Sinn,indem sie ihn bertragen, der bertragungsvor-gang lsst das bertragene nicht unverndert,insofern er an ihm eine spezifische Arbeit der

    Verkrperung, der Formgebung oder auch derPhnomenalisierung vornimmt. Medien arbei-ten nicht nur an den Phnomen, sie sorgen dafr,dass das, was sonst vielleicht unterhalb der Wahr-nehmungs- oder Aufmerksamkeitsschwelle ver-harren wrde, zu einem bestimmten Phnomenwird und damit zu einem Ereignis, das sozialund kulturell zhlt. Mit Husserl zu sprechen,der in den phnomenologischen Spielarten dergegenwrtigen Medientheorie zwar oft nicht aus-drcklich genannt, aber omniprsent ist, erkl-ren Medien die merkwrdige Beobachtung, dassein und derselbe Bestand an hyletischen Datendie gemeinsame Unterlage von zwei bereinan-dergelagerten [und sich u. U. wechselseitig aus-schlieenden, Vf.] Auffassungen sein kann.14Medien stellen sich aus der Perspektive einersolchen phnomenologischen oder auch kultur-anthropologisch informierten Medientheorie alsdie Instanzen oder Agenturen dessen dar, wasHusserl unter dem Problemtitel der Modalisie-rung der Erfahrung verhandelt hat. Medien,kann man dann formulieren, stellen historischkonfigurierte Potenziale fr kulturelle Praktikender Verkrperung bereit15 (wobei diese Verkr-perung sich nherhin in die beiden Hauptregisterder Inszenierung und der Transkribierung auf-teilen lsst). Das Wahrgenommene ist ja der ph-nomenologischen Generalthese zufolge immernur abschattungsmig gegeben, es zeigt sichstets unter einem bestimmten Aspekt, der sichaufdrngt, der aber zugleich ein Hinweis daraufist, dass anderes, was fr das in Erscheinungtretendes Gegenstandes unabdingbar ist, unterhalb derSchwelle der aktuellen Wahrnehmung verbleibt.Deshalb kann man formulieren: Medien wir-ken in Latenz.16

    Beim Philosophieren auch und gerade ber Me-dien kommt es also nicht nur darauf an, welcheFragen gestellt werden, sondern wo die Antwor-ten darauf gesucht werden. Uns scheinen die bis-lang vorliegenden Thesen ber die Rolle medien-theoretischer Erwgungen beim Philosophierennicht wesentlich ber jene Problemstellung Hus-serls hinauszugehen, die in jedem aktuellenWahrnehmungsakt zwar einen prsenten Er-scheinungskern identifiziert, an dem sich aberein System von Verweisen anlagert, das dieWahrnehmung strukturiert, aber nicht in dersel-ben Weise gegeben ist, wie der Erscheinungs-kern. Husserl leitet daraus eine kleine phnome-nologische Pdagogik oder Didaktik ab, dielngst zum Ethos der Medienforscher gewordenist, insofern Medien vielleicht als jenes Systemvon Verweisen definiert werden knnten, das,wiewohl nicht im Zentrum der Wahrnehmungstehend, allem Gegebenen erst sein eigentlichesVolumen oder eben: seinen Krper verleiht. DasWahrgenommene, so Husserl, rufe uns in diesenVerweisen gewissermaen zu:

    Es gibt hier noch Weiteres zu sehen, dreh michdoch nach allen Seiten, durchlaufe mich dabeimit dem Blick, tritt nher heran, ffne mich[der Imperativ der technikphilosophischenVariante der Medienforschung, Vf.], zerteile

    DAS MEDIUM ALS FORMKKKKKONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTEONZEPTE

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    Sondernummer: Rckblick

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    mich. Immer von neuem vollziehe Umblickund allseitige Wendung. So wirst Du michkennenlernen nach allem, was ich bin.17

    Der Impuls Husserls, wie diese kleine Didaktikder Medienforschung zeigt, zielt bekanntlich aufdie Wiederbelebung der groen philosophischentheoria-Tradition, die durch den Objektivismusder neuzeitlichen Wissenschaften unterbrochenworden war. Groe Teile der Medienforschungsind im Grunde von dieser Figur einer umfassen-deren Wahrnehmung beeindruckt, insofern esihnen gerade darum geht, die unsichtbarenVoraussetzungen von Zeichengebrauch und In-terpretation thematisch und das heit dann jawohl: sichtbar werden zu lassen. Dieses Interes-se an der Offenlegung der stummen, pr-signifi-kativen Prozeduren der Signifikation18 ver-knpft sich zudem mit einer bestimmten Formder Ethik/sthetik, die sich in dem Satz zusam-menfassen lsst: Die menschliche Form desSchpferischen liegt im Perspektivenwechsel.19Selbst wenn man hier gerne zustimmt, bleibtdoch die Frage, ob eine solche Bereitschaft zumPerspektivenwechsel ein kennzeichnendes Merk-mal der Medienforschung ist oder nicht eher einesozial und kulturell prmierte und darum un-spezifisch verbreitete Einstellung in modernenGesellschaften berhaupt.

    III.

    Wie dem auch sei, Medientheorie und Medien-forschung, die sich im Umkreis der Phnomeno-logie bewegen, verstehen sich weithin als Beob-achter von Latenzen oder blinden Flecken.Wechselseitig ruft man sich gewissermaen zu:Ich sehe was, was du nicht siehst. Aber diesesStreben nach einer mglichst vollstndigen Er-kenntnis des eigenen Gegenstandes (curiositas) isteine zu unspezifische, wissenschaftlich lngst nor-malisierte kognitive Disposition, als dass manin ihm den Auslser fr eine neue Disziplin odereine neue Forschungsrichtung auf dem Feld derGeisteswissenschaften festmachen drfte. Ange-sichts der Vielzahl von Definitionsvorschlgenfr den Medienbegriff hat man in letzter Zeit ver-strkt auf die Mglichkeiten der Unterscheidungvon Medium und Form gesetzt, wobei, philoso-phiehistorisch in der Regel unbemerkt blieb, dassdiese Unterscheidung einen Groteil ihrer Plau-sibilitt daraus bezieht, dass sie auf die Differenzvon Potentialitt (Medium) und Aktualitt (Form)abgebildet wird. So insbesondere bei Niklas Luh-mann, der den Begriff des Mediums interessanter-weise von allen Konnotationen des alten Mate-riebegriffs ferngehalten wissen will, um ihn alseinen Raum schier unbegrenzter Mglichkeitenzu begreifen. Ein solche Platzierung des Medien-begriffs ist aus unserer Sicht schon deshalb kontra-intuitiv, weil mit ihm gerade nicht eine Mglich-keits-, sondern eine, wie wir mit Michel Foucaultsagen wrden, Existenzfunktion gedacht werdensollte, die dafr sorgt, dass aus einer offenenMehrheit mglicher Verbindungen nur bestimm-te Strukturmuster ausgewhlt und realisiert

    werden. Luhmann bezeichnet daher auch merk-wrdigerweise den Sinn selbst als das allge-meinste Medium20, womit er allen Auffassun-gen entgegentritt, die das Mediale auf die nicht-sinnhaften Bedingungen der Entstehung von Sinnbeziehen. Der Sinnbegriff aber verdankt sich wie-derum einer systematischen Anleihe bei dem ge-rade skizzierten phnomenologischen Wahrneh-mungskonzept, insofern Sinn nmlich stets un-ter zwei Aspekten vorkommt: als aktualisierterSinn (Form) und als unendlicher Verweisungs-berschu (Medium). Dank der Unterscheidungvon Medium und Form wissen wir, dass es im-mer noch etwas anderes gibt21. Dieses verallge-meinerte Kontingenzbewutsein scheint uns un-zureichend, um einen analytisch brauchbarenMedienbegriff fundieren zu knnen. Dass sichan allem, was sich darbietet, auch anderes zeigt,sofern man nur bereit ist, die Perspektive zu wech-seln, ist ein Allgemeinplatz, der die Bedingungender konkreten Sinnselektion und die sie bewerkstel-ligenden Selektoren vollstndig ausblendet bzw.sie in die Instanz eines auswhlenden Subjektsoder Systems verlegt. So sehr Luhmann seine Ar-gumentation auch fr den Medienbegriff ffnet,dieser zieht doch sein Interesse nur in dem Maeauf sich, wie er dazu anregt, sich andere Mglich-keiten zu berlegen, also Formen versuchsweisezu variieren22. Formen, die medienbewut auf-treten, gewinnen gewissermaen mehr Spiel-raum, sich immer wieder aufs neue rasch wech-selnden Umweltbedingungen anzupassen: Sosind Formen immer strker, also durchsetzungs-fhiger als das Medium selbst. Das Medium setztihnen keinen Widerstand entgegen23.Vielleicht ist es aber eher geboten, um MichelFoucault zu zitieren, angesichts jener Untertei-lungen und Gruppierungen unruhig zu werden,die uns vertraut geworden sind24, statt weiterhinauf die Durchsetzungsfhigkeit von Formen zuvertrauen und in der Sphre des Medialen nun-mehr einen nach Belieben ausschpfbaren Va-riationspool erkennen zu wollen. In der Kunstder Gesellschaft, das die ausfhrlichsten berle-gungen Luhmanns zur Unterscheidung von Medi-um und Form enthlt, verwundert die Verbissen-heit, mit der hier an all jenen vllig fertigge-stellten Synthesen und Gruppierungen kunst-und literaturgeschichtlicher Provenienz (Auto-ren, Gattungen, Knstlerschulen, Epochen) aberauch an den scheinbar solideren Einheiten vonBuch und Werk, festgehalten wird. Die Medien-analyse ist von derartigen Formanalysen dadurchunterschieden, dass sie die gegebene Form nichtauf einen (schpferischen) Ursprung bezieht, aberauch nicht aus einem der Evolution zuzuschrei-benden blinden Selektionsprozess hervorgehenlsst, sondern auf die Bedingungen ihres Erschei-nens und ihrer Reproduktionskraft bezieht. DieMedienanalyse kommt nicht ohne ein Konzeptvon Materialitt aus, das sicher von jenem meta-physischen Begriff der trgen Materie zu unter-scheiden ist, von dem Luhmann seinen eigenenMedienbegriff sorgfltig absetzt allerdings umden Preis einer zweifelhaften Spiritualisierung des

    DAS MEDIUM ALS FORM

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    Transkriptionen Nr. 10 Dezember 2008

    DAS MEDIUM ALS FORM

    Medienbegriffs (Wie der Geist kann das Mediumbei Luhmann nur an seinen Produkten oder eben:Formen und nicht als solches beobachtet wer-den). Medien, darin wei sich die heutige Medien-philosophie mit Luhmann einig, sollen vor al-lem keine Dinge sein. Sind sie deshalb aberschon reine Mglichkeiten?Der Luhmannsche Medienpossibilismus reagiertseinerseits auf eine mediengeschichtlich be-schreibbare Krise der klassischen Dingontologie,die er durch eine Medienkonomie zu berwindensucht. Bei aller Kritik an Heider, dem Luhmannseine Unterscheidung verdankt, ist er sich mitdem Gestalttheoretiker doch in der Einschtzungeinig: Mediumvorgnge sind unwichtig. Und wieHeider glaubt auch Luhmann: Nur insofern Me-diumvorgnge an etwas Wichtiges gekettet sind,haben sie Wichtigkeit, fr sich selbst sind siemeist Nichts.25 Bei Heider wie bei Luhmanntrifft man auf dieselbe Geste: Die philosophischeTradition wird um ihrer ontologischen Fixierungauf das Ding kritisiert und es wird dieser Traditi-on die Wirksamkeit des in natrlicher Einstel-lung unzugnglichen Medialen entgegenge-halten; im selben Atemzug wird die Medialisie-rung der Wirklichkeit jedoch als ein eklatantessoziokulturelles Krisensymptom interpretiert, demman nur mit der Restabilisierung oder Rezen-trierung jener Prozesse begegnen kann, die dieeinstmals stabilen symbolischen Formen und Re-prsentationsweisen aufzulsen drohen. Dass oh-ne mediale Plastizitt keine Formbildung mg-lich ist, ist die konstruktive Seite der berlegun-gen, die Heider in seinem medientheoretischenInauguraltext anstellt; aber der Text wird auchvon einer Sorge heimgesucht, dass die Medien,die die Formbildung allererst ermglichen, siezugleich auch behindern bzw. sie als Pseudo-formen durchschaubar machen und damit ihrerLegitimitt oder ihre Akzeptabilitt berauben.

    IV.

    Worum es bei diesem Medialisierungseffekt geht,sei an einem Beispiel erlutert. Wir entnehmenes dem Feld der Knste, genauer der Literatur, inderen Kontext Luhmann ja auch erstmals die Un-terscheidung von Medium und Form eingefhrthat. Das Beispiel betrifft Goethe. Es war ErnstRobert Curtius, zweifellos noch kein praktizie-render Medienanalytiker, der Goethes Werk ineinem kurzen Text von 1951 nicht lnger in dieblichen literaturgeschichtlichen Genealogieneinrckte, um dann das historisch nicht Erklr-und Ableitbare seinem Genie gutzuschreiben.Stattdessen machte er dieses Werk als Resultatder Aktenfhrung seines Autors erkennbar.Das Wort Werk und die Einheit, die es bezeich-net, sind wahrscheinlich genauso problematischwie die Individualitt des Autors.26 Das hat nichtCurtius, sondern Foucault geschrieben, aber Cur-tius fhrt in seinem Text genau jenes Verschwin-den des Autors vor Augen und zwar dadurch,dass er die Produktionsregeln von dichterischerEinmaligkeit offenlegt. Das Verschwinden des

    Autors ist nmlich in Wahrheit sein Szenen-wechsel: Der Autor befindet sich immer dort, woer nicht gesehen werden mchte. Wie jeder guterMedienanalytiker verfhrt der Philologe nichtspekulativ, sondern im Sinne des geflgeltenWortes vom frhlichen Positivismus einfachdeskriptiv, nmlich Goethe zitierend, der aus denmedialen Bedingungen seines Schreibens undschlielich sogar seiner Existenz etwa in Brie-fen berhaupt keinen Hehl gemacht hat.Goethe, macht Curtius klar, lebte dichterisch imwesentlichen aus Scken, worin er alle Entwrfe und nicht nur Entwrfe aufbewahrte. Im Ja-nuar 1798 schreibt er diesbezglich an Schiller:

    Ich hatte nmlich von Anfang Acten gefhrtund dadurch sowohl meine Irrtmer als mei-ne richtigen Schritte, besonders aber alle Ver-suche, Erfahrungen und Einflle conserviert;nun habe ich diese Volumina auseinanderge-trennt, Papierscke machen lassen, diese nacheinem gewissen Schema rubriciert und alleshineingesteckt.

    Nachdem Curtius das komplizierte System derGoetheschen Aktenfhrung erlutert hat, schlieter mit dem Satz: Akten ber alles zu fhren das war Goethen seit dem Ende des Jahrhundertszum Bedrfnis geworden.27 Vor der Faszinati-on in diesem Fall: an einem Klassiker steht,nicht nur im etymologischen Wrterbuch, dieFaszikel, also das Aktenbndel.28 Der Stoff, andem Goethe hing und aus dem er seine Meister-werke verfasste, entstammte seinen penibel ge-fhrten Akten. Goethe, schreibt Curtius daher,verwaltete lngst nicht mehr nur Amtsgeschf-te. Er verwaltete seine eigne Existenz.29 Quodnon est in actis non est in mundo. Akten sind, umeine Formulierung Cornelia Vismanns abzuwan-deln, das, was historisch und systematisch be-trachtet, vor dem Text steht, auch und gerade,wenn