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Leistungsgesellschaft im Rausch 5-7 Die Uni blutet 14-15 Pedro Lenz im Interview 16-17 Ab ins Sexkino 23 a ch l eckt mich d och... absage an den alltag magazin der studentInnenschaft der universität bern u nikum 162 april 2013

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unikum 162

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Leistungsgesellschaft im Rausch 5-7

Die Uni blutet 14-15

Pedro Lenz im Interview 16-17

Ab ins Sexkino 23

ach leckt mich doch...absage an den alltag

magazin der studentInnenschaft der universität bernunikum162

april 2013

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editorial inhalt

akzent unisphäre

titelbild: luca christen

Willst auch du für eine Ausgabe das Titelbild des unikums gestalten? Dann melde dich beim unikum-Layout ([email protected]).

13 Wahlbeteiligung sinkt auf 9 ProzentDie 40 Sitze des StudentInnenrats der Uni Bern (SR) wurden für die kommende Legislatur neu vergeben. Das Wahlresultat bringt für die StudentInnenschaft (SUB) einige Veränderungen mit sich.Nicht zuletzt steht die äusserst niedrige Wahlbeteiligung im Fokus, die sowohl die Freude der GewinnerInnen als auch die VerliererInnen überschattet.

14-15 «Wir sind innerlich am aus- bluten»Ein Aktionssemester der SUB soll verhindern, dass bei der Universität Bern immer weiter gespart wird.

19 Das letzte Mal vor der WahlAlle Infos zur letzten Sitzung des StudentInnenrats vor den Neuwahlenrubriken

5-7 Die erdrückte JugendDas neue «Tanz dich frei» steht vor der Tür und nun ist auch das Verkaufsverbot für Alkohol ab 22 Uhr vom Ständerat abgesegnet worden: Das Thema Nachtleben polarisiert auch ein Jahr nach der Diskussion um den Vorplatz der Reitschule unvermindert. Die Jugend scheint ausser Kontrolle geraten. Steht es wirklich so schlimm um die heutige Jugend?

10-11 Eine Welt ist nicht genugWie gelingt es Menschen, in eine andere Realität einzutauchen? Dieser Frage gehen ForscherInnen an der Uni Bern nach.

4 Umfrage Studieren im Elfenbeinturm?9 Apropos... Abschalten9 Die fünf ...Meisterwerke aus einer

anderen Welt12 Pinnwand16-17 Auf ein Wort Herr Lenz17 Serviceverzeichnis18 KulturpartnerInnen20 Reinziehn20 Zitat vom StudentInnenrat20 Impressum21 Carte Blanche22 Rätsel23 Entdecken «Sex sells» better. Ein kurzer Einblick

ins Berner Sexkino

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Liebe Leserinnen, liebe Leser Seit Jahresbeginn existiert in unserer Nachbargemeinde Kehrsatz nach 22 Uhr eine Ausgangssperre für Unter-16-Jäh-rige. Die als «Jugendschutz» getarnte Regelung soll das Problem von Lärm, Lit-tering, Vandalismus und übermässigem Alkoholkonsum lösen. Die Jugendlichen sind aber damit nicht einverstanden und organisierten Proteste. Nebst den «Tanz dich frei»-Demos zeigte sich damit ein-mal mehr, dass sich die Jugend den Aus-gang nicht verderben lassen will. Wieso aber bringt der Streit um Ausgang mehr Leute auf die Strasse als beispielsweise Sparmassnahmen in der Bildung? Der Ausgang ist wohl für viele eine notwen-dige Flucht vor dem Alltag und damit eben gerade ein Gegenpol zu Beruf und Bildung. Jedes Wochenende versammeln sich mehrere tausend Feiernde, darun-ter etliche Studierende, in der Stadt. Eine Parallelwelt wird kreiert, welche symptomatisch für diese Tatsache steht. Notwendig ist sie deshalb, weil wir nicht nur in einer Welt leben können. Frei nach dem Motto «Ach leckt mich doch...» ent-führen wir euch in der 162. unikum-Aus-gabe aus dem Alltag.

Wie genau diese Flucht in den Ausgang aussieht und was für ein Rolle Alkohol und Drogen dabei spielen, liest du auf Seite 5. Über die Parallelwelt im Sexkino schreibt Carlo Bischoff auf Seite 23. Und ein Interview mit Pedro Lenz findest du in unserer neuen Rubrik «Auf ein Wort» auf Seite 16.

Carlo Bischoffunikum-Koordinator

PS: Mit dieser Ausgabe verabschiedet sich Letizia Carigiet aus dem SUB-Vorstand. Sie war dem unikum immer eine gute Gefährtin. Herzlichen Dank! Weiterhin suchen wir Verstärkung für die Redak-tion, Infos dazu gibts auf Seite 12. Folgt uns auf Twitter unter https://twitter.com/SUB_unikum.

SF: 10 (-1) Jg: 8 (+0) TUX: 3 (-4) W7: 5 (+2) glp: 9 (+2) jf: 5 (+1)

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Beim Arbeiten muss ich mich reinknien und ein Produkt abliefern. Demgegenü-ber müsste ich in der Vorlesung gar nicht erst anwesend sein und kann erst noch im Hörsaal Energy-Drinks konsumieren. Aber die Abwechslung tut gut und ich fühle mich in beiden Welten sehr wohl.»

4 Luisa HafnerRechtswissenschaften, 21«Das Jurastudium ist sehr praktisch, die theoretischen Fächer und das Reflektie-ren stehen an zweiter Stelle. Ich habe also Praxis, doch wenn man nur noch zwischen der Uni und der Studi-WG hin und her pendelt, kann ich mir gut vor-stellen, dass man in einer recht eigenen Welt zu leben beginnt. Manche Studie-rende können sich gar nicht vorstellen, eine Lehre zu machen, 45 Jahre auf dem Beruf zu arbeiten und nicht 10 000 Franken zu verdienen, obwohl Lehrlinge genau so viel leisten wie wir. Wenn man sich mit verschiedensten Menschen unterhält, lernt man dazu. Sonst kann es passieren, dass man in eine andere Welt abdriftet und den Blick fürs Ganze verliert.»

5 Laura MäderGermanistik, 21«Viele Studierende geben sich an der Uni seriöser, als sie sonst im Leben sind. Man trifft immer wieder Leute, die eine oberschlaue Aussage machen müssen, mit möglichst vielen Fremdwörtern. Die Personen strengen sich richtig an, eine möglichst unverständliche Antwort zu geben, um den dürftigen Inhalt intelli-genter darzustellen. Akustisch klingt es gut, doch es sagt teilweise einfach nichts aus.»

6 Manuela Schmid Religious Studies, 26«Das Universitätsleben ist für mich ein grosser Kontrast zur Arbeitswelt. Ich habe schon genug Praxis erlebt und geniesse es jetzt, die Theorie dazu zu lernen, obwohl es gewisse Richtlinien gibt, welche man aus gewissen Gründen einhalten muss und so in Konflikte mit den Verantwortlichen kommt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass es zu wichtig scheint, wie ausgefeilt man sich ausdrückt. Für meinen Teil will ich mich mit meinem erlernten Wissen integrie-ren und nicht abgrenzen.»

«wir werden genötigt, im elfenbeinturm zu landen»

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umfrage

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bilder: matthias boss

Studierenden wird oft nachgesagt, sie würden sich durch ihre Spezia-lisierung von ihrer Umwelt ab-grenzen. Dadurch begäben sie sich in den Elfenbeinturm. Wir haben nachgefragt, in welchen Welten sich unsere Kommiliton- Innen bewegen.

matthias boss

1 Sarah AffentrangerSozialanthropologie, 22«Obwohl ich auch meine freien Nach-mittage habe, habe ich immer viel fürs Studium zu tun. Es wird uns immer wie-der vorgeworfen, dass wir ein Schoggile-ben haben, doch wenn man das Studium ernst nimmt, hat man eigentlich sehr viel um die Ohren. Teilweise leider nur stumpfes Auswendiglernen. Ich lerne manchmal Theorien, die lediglich unter Bedingungen gültig sind, die in der Praxis niemals existieren werden. Ich würde sagen, ich lebe insofern in zwei verschiedenen Welten, da ich mich wohl-er fühle, wenn ich nicht an der Uni bin. Ich komme hierhin, mache mein Ding und gehe wieder.»

2 Daniel Bregulla Psychologie, 24«Wir werden genötigt, im Elfenbeinturm zu landen und wir müssen uns dagegen wehren, indem wir den Stoff mit einer gewissen Skepsis betrachten. Das System ist darauf ausgelegt, dort zu landen und wir steigen mit jedem Semester die Trep-pe höher hinauf. Es kann schnell pas-sieren, dass man in eine Blase gerät. So streiten sich manche AkademikerInnen über Theorien und nicht mal die Studie-renden des eigenen Faches können die Diskussion nachvollziehen. Ich sehe den Nutzen teilweise wirklich nicht, abge-sehen davon dass sich gewisse Leute damit profilieren wollen. Irgendwann gehen einem vielleicht auch einfach die Themen aus. Trotzdem muss ich mich in gewissen Bereichen, im Hinblick auf mein späteres Berufsfeld, gegenüber anderen durch mein Wissen abgrenzen.»

3 Mathias Roth Psychologie, 24«Ich fühle mich manchmal wirklich wie in zwei verschiedenen Welten, wenn ich am Morgen ein wenig verloren im Vorlesungssaal sitze und am Abend in den Ausgang gehe. Wenn ich am Abend zurückschaue, kommt es mir teilweise so vor, als wäre die Vorlesung an einem an-deren Tag gewesen. Auch mit den ganz unterschiedlichen Zeiten habe ich Mühe.

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Exzesse, Gewalt, Drogen und Rausch. Wochen-ende für Wochendende flüchtet die Jugend von heute in die Parallelwelt des Nachtlebens. Ein Bild der Medien, das etwas unvollständig ist.

david streit und josua romano

Aarbergergasse, 12.15 Uhr, Samstagnacht. Die Stadt ist in der Hand der unbeugsamen Halbstarken. Mit selbstge-mischten Alkoholgetränken in PET-Flaschen trotzen sie der Kälte, stehen in der langen Schlange vor dem Pro-peller oder suchen sich unsicheren Schrittes ihren Weg durch die Nacht. Nach Hause führt sie dieser in den we-nigsten Fällen, die Party hat erst richtig begonnen. Die Stimmung ist ausgelassen, die Leute stark alkoholisiert, die Kleidung eher zu knapp und der Lärmpegel hoch. So auch auf dem Vorplatz der Reitschule, von dessen, seit einer gefühlten Ewigkeit totgeweihten, Piraten-Bar der Song «Kein Alkohol ist auch keine Lösung» herüberweht. Und wenn hier das Publikum auch etwas anders zusam-mengesetzt ist als in den Glanz- und Gloria-Klubs eini-ge Schritte nebenan, ist der Grund des Zusammentref-

fens doch in weiten Teilen derselbe: Man trinkt, raucht, balzt, und sucht sich für wenige Stunden seine eigene kleine Freiheit.

Jugend ohne Gott?Ein Bedürfnis, das in den Medien derzeit ziemlich er-giebig diskutiert wird. Der Grundton ist dabei zumeist negativ. Von stetig zunehmenden Abfallbergen, Mas-senschlägereien und Drogenkonsum in den Stadtzen-tren ist ebenso die Rede wie von den Massnahmenpa-keten, die ebendiese unterbinden sollen. Bern ist dabei kein Einzelfall. Sind es hier etwa das zu Tode diskutier-te Versammlungsverbot auf dem Reitschul-Vorplatz und die Diskussion um den Anlass «Tanz dich frei», welche die Debatte um das Nachleben beherrschen, versuchen zurzeit auch die Behörden anderer Gemeinden, die ihrer Ansicht nach ausser Kontrolle geratene Jugend zu zäh-men. Seien es die umgesetzten oder gescheiterten Aus-gangssperren für Jugendliche unter 16 Jahren oder das gesamtschweizerische, kürzlich vom Ständerat durch-gedrückte Verkaufsverbot für Alkohol ab 22 Uhr abends: Aus der öffentlichen Diskussion zeichnet sich ein un-rühmliches Bild ab. Junge, ausgehfreudige Menschen scheinen zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht wirklich

die erdrückte jugend

Im Fokus der Öffentlichkeit: Das Nachtleben und seine Exzesse. bild: roman brunner

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sozialisierbar, sondern gewaltbereit und erheblich alko-hol- und drogengefährdet zu sein und sich ohne jegliche Überzeugungen und Ideale Wochenende für Wochenen-de in den Rausch zu verabschieden.

Generation «brav»Wirft man allerdings einen Blick in die offiziellen Sta-tistiken des Bundesamtes für Gesundheit, erhält dieses Bild einen argen Riss. Anstelle des erwarteten Anstiegs im Rauschgiftsektor findet man eine stetige Tendenz zum gesunden Leben – aus der Drogenjugend wird plötz-lich die Generation «brav». So ist etwa der Alkoholkon-sum seit 1992 generell um über fünf Prozent gesunken. Waren es bei den Männern im Alter von 15-39 Jahren vor zwanzig Jahren beispielsweise noch über elf Prozent, die angaben, einmal am Tag Alkohol zu trinken, sank die-ser Wert auf nun mehr vier Prozent im Jahre 2007. Auch bei den Frauen, die sich laut Statistik generell mehr zu-rückhalten, sank der Wert drastisch. Waren es 1992 noch 4,4 Prozent, sank die Zahl in 15 Jahren auf bescheidene 1,7 Prozent. Dasselbe Bild bietet sich, wenn auch weni-ger extrem, beim Tabakkonsum, welcher im erwähnten Zeitrahmen bei beiden Geschlechtern durchschnittlich um zwei Prozentpunkte sank. Wie geht dies nun aber zu-sammen mit dem Bild der immer exzessiveren Jugend? Irren sich die Statistiken oder werden wir von den Medi-en falsch informiert?

Ausbruch aus der LeistungsgesellschaftFür Martin Lobsiger von der Stiftung Contact Netz in Bern, die sich mit Suchttherapie und Prävention befasst, kommen diese Zahlen nicht überraschend. Auch er stellt eine mengenmässige Abnahme des Alkoholkonsums fest – beobachtet aber gleichzeitig auch ein verändertes Trinkverhalten. «Wenn heute getrunken wird, dann massiv», so Lobsiger. Dies erkläre auch die Abnahme der Zahl Erwachsener, die mehrmals in der Woche Al-kohol konsumieren. «Früher war die Fiirabebier-Kultur verbreitet», sagt Lobsiger und verweist darauf, dass die-se im heutigen Umfeld der hochstrukturierten, von Ver-pflichtungen geprägten Leistungsgesellschaft für viele nicht mehr möglich sei. «Wenn sich ein Lehrling heute während der Woche zu viel erlaubt, wird er gespickt.» Das Resultat: Der Konsum von Rauschmitteln wird auf das Wochenende verlegt und entlädt sich dort konzen-triert. Das Wochenende wird somit zum Fluchtort vor dem strengen Diktat der Arbeitswoche, dient als Erleb-nisraum, in dem man über sich selbst bestimmen kann und der eigene Körper in seiner Funktions(un)fähigkeit zum Erlebnis wird.

Der Reiz des KicksAuch Michael Lutz von der Jugendarbeit Bern-Nord (TOJ), welche unter anderem das Jugendzentrum «newgraffit-ti» betreibt, beobachtet diese Veränderung. Etwa beim Cannabiskonsum, wo er zwar keinen Anstieg des Kon-sums, dafür viel stärkeres Material feststellt. Ironischer-weise gerade verstärkt durch den Versuch, Cannabis zu verbieten und den dadurch geförderten Indooranbau. Er verweist beim negativen Bild, das die Medien von der heutigen Ausgehkultur prägen, aber auch auf den Um-

stand, dass dieser Kick, an die Grenze zu gehen, schon seit jeher bestehe. Gerade auch hinsichtlich der vielbe-schriebenen Gewalt. «Gewalt zog schon immer an», sagt Lutz und streicht hervor, dass die tatsächlich erlebte Ge-waltbereitschaft heute viel geringer sei als beispiels-weise in den 90er-Jahren. «Die 90er waren heavy», so Michael Lutz. «Damals mussten wir Eingangskontrol-len durchführen, damit die Jungs vor dem Betreten des Klubs ihre Waffen abgaben.» Im Vergleich zu damals sei die «heutige» Jugend viel braver – denn anders sei ein geordnetes Funktionieren in unserer Gesellschaft mit ihrer Vielzahl an Codes und Verhaltensregeln schlicht nicht mehr möglich.

Die Kommerzialisierung des AusgehensZur Folge hat dies eine Gesellschaftskultur, der heute kaum mehr zu entfliehen ist. Oder anders ausgedrückt: Das Ausgehen ist heutzutage schon lange nicht mehr die eigentlich bezweckte Flucht vor dem Alltag. Schon längst hat sich die Kommerzialisierung in die letz-ten Rückzugszonen der Jugend vorgefressen. Sei es mit 16-Jährigen, die in den Wankdorfklub gelockt werden, oder Ü30-Parties, wo paarungswütigen Singles noch einmal die Illusion der Jugend vorgegaukelt wird: Für jede und jeden steht heute das passende Programm be-reit und dank hohen Eintritten, überteuerten Getränken und Gruppendruck ist es kaum möglich, zu wenig Geld auszugeben. Laut Michael Lutz mit ein Grund, weshalb viele Jugendliche sich auf der Strasse mit billigem Alko-hol aus dem Supermarkt betrinken würden – sie haben entweder zu wenig Freiräume oder können sich diese schlicht nicht leisten.

Leistung bis zum SchlussAngesichts der leistungsorientierten Gesellschaft über-rascht es nicht, dass bei der Minderheit der Partygänger-Innen, die neben Alkohol auch illegale Drogen konsu-mieren, leistungsfördernde Substanzen wie Kokain oder Amphetamine relativ hoch im Kurs sind. «Wir beobach-ten eine abnehmende Hemmung, stimulierende Sub-stanzen im Partysetting als Option einzusetzen», sagt et-wa Andrea Suter vom Contact-Nightlife-Angebot «Rave it safe», das an Parties mit einem Informationsstand di-rekt den Kontakt mit KonsumentInnen sucht und unter anderem mit einem mobilen Drug-Checking-Labor vor Ort Aufklärung betreibt. Generell sei es aber schwierig, an aussagekräftige Zahlen zu kommen, da illegaler Dro-genkonsum kaum freiwillig deklariert werde. Und doch: «Der Trend zeigt, dass die Nachfrage nach halluzino-genen Substanzen wie LSD oder Psylos sinkt, auf Kosten von Stimulanzien.» Also weg von halluzinogenen hin zu leistungsfördernden Drogen. Der Leistungsdruck scheint somit auch vor dem Nachtleben nicht mehr Halt zu ma-chen. Die wenigen Stunden, die als Alternative zum Ar-beitsalltag noch bestehen bleiben, werden mit jeder Se-kunde genutzt. Und falls der Körper dies nicht mitmacht, wird dann und wann ein wenig nachgeholfen.

Die Illusion der FreiheitDas Bild, das sich in der Folge ergibt, rückt unsere Gesell-schaft im Allgemeinen in ein eher unvorteilhaftes Licht.

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Zwar hat das exzessive Verhalten im Ausgang wohl tat-sächlich zugenommen – zu verstehen ist es aber bloss als Folge des ebenso exzessiven Leistungsdrucks, der sich in unserer Gesellschaft etabliert hat und der Selbstentfal-tung kaum mehr Raum gewährt. Dies führt dann zur auf das Wochenende beschränkten Entladung, die von den Medien so gierig aufgesaugt wird. Dass dieser Entwick-lung mit weiteren Verboten beizukommen sei, bezwei-feln sowohl Martin Lobsiger vom Contact-Netz wie auch Michael Lutz vom TOJ. «Verkaufsverbote für Alkohol sind bloss ein Ausdruck der Hilflosigkeit», meint etwa Mar-tin Lobsiger und fügt im Hinblick auf den Event «Tanz dich frei» an, dass sich die Jugend sowieso die Räume nehme, die sie wolle. Auch für Michael Lutz sind Anläs-se wie «Tanz dich frei» eine letzte Möglichkeit, aus dem durchreglementierten Alltag auszubrechen. «Wenn eine solch breit gefächerte Masse zusammen für etwas ein-steht und sich ihren Raum erkämpft, nützen auch noch so viele Reglemente und Gesetze nichts», sagt Lutz.

Der Tag danachAarbergergasse, Sonntag, 12.05 Uhr. Die Spuren der Nacht sind verschwunden. Die Strassen sind leergefegt, es gibt bloss noch einige letzte Glassplitter und ab und an den Geruch einer nächtlichen Hinterlassenschaft. Dazwi-schen müde Gesichter, die die Strasse bloss als Verbin-dungsweg von A nach B brauchen. Dass hier vor zwölf Stunden getrunken, gelärmt, gefeiert und gepöbelt wur-

de, scheint beim Anblick der leeren Strasse wie eine ver-wegene Illusion, ein absurdes Irrlicht. Einen Tag lang hat die Berner Altstadt ihre Ruhe. Wenige Stunden nur, und sie wird wieder Zentrum des pulsierenden Geschäftsle-bens sein. Und schliesslich, am Ende der Arbeitswoche wieder die Idee heraufbeschwören, dass dieser wenig-stens für eine Nacht, für einen Rausch zu entfliehen sei. Dass eine Freiheit möglich sei, in der man den Grad des Absturzes selbst bestimmen kann. In der man sich spürt, und sei es bloss für wenige Stunden.

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Die alltägliche Wirklichkeit wäre um einiges unerträglicher, gäbe es nicht geniale, schöpfe-rische Köpfe, die sie mit ihren Erfahrungen bereichern und uns in neue Welten eintauchen lassen. Auf die eine oder andere Art muss man dafür allerdings den Kopf in den Wolken gehabt haben. Fünf Paradebeispiele.

nicolas weber

1 The Beatles: Sgt. PepperAuf dem 1967 erschienenen Album der Beatles wimmelt es nur so von Dro-genanspielungen. Doch welche Drogen waren bei der eigentlichen Enstehung des Flowerpowersoundtracks involviert? Obwohl offensichtlich, dementierte John Lennon, dass LSD dabei eine Rolle gespielt habe und Paul McCartney gab zu Protokoll, dass er in dieser Zeit vor allem Koks geschnüffelt habe. Für letz-teres spricht zumindest das «We fuck you like superman», das manche beim Rückwärtsabspielen der Platte zu hören glauben.

2 Sartre: Der EkelJean-Paul Sartre, Begründer des Existen-zialismus, soll unter Zuhilfenahme von Nikotin, Alkohol und Amphetamin bis zu zehn Stunden täglich geschrieben haben. Sein Roman «Der Ekel» gilt als Grundstein seiner späteren Philosophie in epischer Form. Wer allerdings weiss, dass Sartre nach einem Meskalintrip einige Woche in der Geschlossenen verbracht hat, kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass in «Der Ekel» auch die eine oder andere schlechte Meskali-nerfahrung miteingeflossen ist.

3 Vincent Van GoghDer Maler, dessen Werke die höchsten Preise überhaupt erzielen, soll dem Absinth alles andere als ablehnend gegenübergestanden haben. Wie viel der «Grünen Fee» tatsächlich im Werk von

Vincent Van Gogh enthalten ist, ist eine Frage, die man getrost den Kunsthistori-kerInnen überlassen kann.

4 J.S. Bach: Matthäus PassionIst Religion Opium fürs Volk? Darü-ber kann man streiten. Sie war es auf jeden Fall in gewisser Weise für Johann Sebastian Bach. Denn Opium ist ja im Prinzip eine bewusstseinserweiternde Droge. Man kann sich selbst als Atheis-tIn problemlos vorstellen, wie sich Bach nach dem Verklingen der letzten Takte der «Matthäus Passion» zu Gott umdreht und herausfordernd meint: «So, und jetzt du.»

5 Goethes Werther«Die Leiden des jungen Werthers» von Goethe kann durchaus als Resultat eines «Bad Trip» gesehen werden. In seinem ersten grossen Wurf verarbeitete der junge Goethe seine eigenen, unglück-lichen Liebeserfahrungen. Dabei muss es ihn wirklich schwer erwischt haben. Ein Glück für die Literatur. Ohne den brodelnden Hormonhaushalt des Autors hätte der Literaturkanon wohl auf diesen frühgoethischen Beitrag verzichten müssen.

Abschalten

Mal «richtig abschalten können» ist offensichtlich eine Kunst. Am besten gleich so, dass man sich auch mal wieder «selbst spürt». Marathon laufen oder sowas. Sich selbst spüren könnte man zwar auch wunderbar, in dem man drei Liter abgelaufene Milch auf ex trinkt und abwartet, aber der Mensch macht es sich ja gerne kompliziert. Das Abschalten – egal, ob man sich jetzt dabei selbst spürt oder sich einfach in einen Zustand sedie-render Trägheit zwingt – ist darum eine Kunst, weil es den unerhörten Geruch des reinen Selbstzwecks abgeschüttelt hat. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des penetrant allgegenwärtigen Angli-zismus «Work-Life-Balance» geworden. Das ist so eine Art seelisches Trockenfi-cken, das einem die hinterhältigen Zivili-sationskrankheiten vom Hals halten soll, von denen die allzu Flexiblen und allzu Belastbaren unter uns ständig belauert werden. Substanziell für dieses wacklige Gleichgewicht ist vor allem besagtes Ab-schalten. Dieses wird häufig auch noch gleich mit dem Vorsatz «bewusst leben» kombiniert, was sich anscheinend nicht gegenseitig ausschliesst. Dazu kauft man dann Bücher mit Titeln wie «Meditieren in drei Minuten», spielt etwas Selbst-findung, ohne sich vorher versteckt zu haben, lässt Weine atmen und macht halt all das selbstbestimmte Zeug, das da immer in den Ratgebern steht. Aber die ganze Abschalterei erfüllt neben dem Work-Life-Gebalance auch noch einen anderen Zweck: Sie beschäftigt. Das ver-hindert, dass ein Tag womöglich einfach so ausfranst und man beim fahrlässigen Rumexistieren noch auf blöde Ideen kommt. Sich zum Beispiel auf einen Stuhl setzen und nachdenken oder noch schlimmer: Ein Apropos schreiben.

nicolas weber

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die fünf

die fünf meisterwerke aus einer anderen welt

apropos

illustration: muriel schwaerzler

apropos ...

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Man muss einen Ort nicht verlassen, um ihm zu entkommen. Was versetzt unseren Geist in die Lage, in eine andere Welt einzutauchen? Das wird an der Uni Bern erforscht.

damaris burri

Immer mehr High-Definition ist gefragt, höhere Bild-qualität, bessere Grafik in Games. Fantasiewelten wer-den immer realer und das Unmögliche möglich. Doch obwohl diese Technologien immer ausgefeilter werden, verstehen wir noch nicht wirklich, was eigentlich im Menschen drin geschieht.Dieses Phänomen wird an der Uni Bern unter dem Be-griff «Immersion» erforscht. David Weibel, Dozent an der Abteilung für Kognitive Psychologie, Wahrneh-mung und Methodenlehre, hofft, dazu eine Sonderaus-gabe beim «Swiss Journal of Psychology» herausgeben zu können. Er hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, viele verwandte (noch sehr schwammige) Konstrukte zu ver-einen. In seinem Seminar zum Thema helfen die Studie-renden mit, ein allgemeines Modell auszutüfteln.

Im Virtual Reality LabAn Forschung zu Presence und Immersion ist an der Uni Bern bereits einiges unternommen worden. «Presence» bezeichnet die Wahrnehmung, selbst in einer virtuellen Umgebung anwesend, eben präsent, zu sein. Hilfsassis- tent Antoine Urech ist gerade dabei, die Daten eines sol-chen Forschungsprojektes auszuwerten. Dafür mussten die Versuchspersonen im virtuellen Raum eine Brücke überqueren. Wird die Situation als echt erlebt und vom Gehirn als potentielle Gefahr gewertet, sollte sich eine

entsprechende körperliche Reaktion einstellen. Folglich müsste, wenn Immersion stattfindet, der gemessene Puls bei Menschen mit Höhenangst deutlich höher lie-gen.Die Einrichtung, welche diese Erfahrung möglich macht, ist das Virtual Reality Lab der Abteilung. An sich wirkt es nicht gerade spektakulär, aber das ändert schnell, hat man sich erst einmal diesen Helm mit Brille aufset-zen lassen. Auf deren Gläsern wird das Szenario gezeigt, in dem man sich befindet. Neben der Brille ist auch ein Sensor am Helm angebracht, so dass sich das Bild än-dert, wenn man den Kopf dreht oder in den Nacken legt. Vier Infrarotkameras berechnen die Position im virtu-ellen Raum. Die gezeigte Umgebung sieht immer noch sehr nach Computerwelt aus, als wäre man plötzlich sel-ber eine dieser Figuren aus dem Second Life geworden. Die Äpfel sind rote und grüne Bälle ohne Textur. Und trotzdem will man direkt danach greifen. Obwohl man sich jeder Zeit ins Bewusstsein rufen kann, dass man in Wirklichkeit festen Boden unter den Füssen hat, werden die Knie plötzlich weich, wenn man über eine virtuelle Holzplanke balanciert. So findet Immersion statt.

Nützt das was?David Weibel will aber nicht bei der medialen Vermitt-lung stehen bleiben. Braucht man wirklich einen Fern-seher oder eine Konsole, um aus dieser Welt in eine an-dere zu driften? Die meisten kennen es wahrscheinlich, in einer Vorlesung plötzlich aufzuschrecken und zu mer-ken, dass sie gar nicht mehr anwesend waren. Und was sie so gefangen genommen hat, waren einzig ihre eige-nen Gedanken und Träume. Auch Menschen, die sich in Meditation versenken, können dabei wie in einer ande-ren Welt sein. David Weibel sieht hier eine Ähnlichkeit zu dem, was beim Konsum von Medien geschieht. «Da

eine welt ist nicht genug

Das Virtual Reality Lab der Abteilung für kognitive Psychologie, Wahrnehmung und Methodenlehre. bild: carlo bischoff

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möchte ich eben eine Brücke schlagen.»Was genau ist der Nutzen dieser Forschung? «Eine gu-te Frage, die ich mir so schon lange nicht mehr stelle», lacht David Weibel und erklärt nach kurzem Überlegen: Das primäre Ziel sei es, diese Phänomene besser zu ver-stehen. Denn sie haben grosse Effekte zum Beispiel auf das Enjoyment, den Genuss von Medien. Daran ist na-türlich der Wirtschaftssektor sehr interessiert. «Game-produzenten reden schon eine Weile von Immersion. Ihnen ist offensichtlich klar, dass das etwas Gutes ist. Et-was, das das Erleben beim Gamen bestimmt.»

Lernen im FlowAuch die Leistung wird davon stark beeinflusst. Gerade beim Flow ist das gut bewiesen. «Flow» beschreibt den Zustand, völlig vertieft zu sein in das, was man tut, da-rin aufzugehen. Auch hier lässt man die normale Welt hinter sich und taucht dabei eben nicht in ein Medium ein, sondern in eine Tätigkeit. Flow setzt ein, wenn die eigenen Fertigkeiten der Herausforderung entsprechen. Charakteristisch sind die Absorbiertheit und der flüs-sige Ablauf.Bei einer Untersuchung an der Uni Bern wurde Psycho-logiestudis ein neues E-Learning-Tool zur Verfügung gestellt, um die Inhalte einer Vorlesung zu vertiefen. Unter anderem wurde dabei erhoben, ob die Studieren-den beim Lernen Flow erlebten und mit welchen ande-ren Variablen dieser in Bezug steht. Flow hatte einen starken Einfluss auf die Leistung innerhalb des Tools so-wie in der tatsächlichen Prüfung. Als wichtige Faktoren dafür, ob Flow stattfindet oder nicht, haben sich Motiva-tion und Benutzungsfreundlichkeit herausgestellt. Gera-de intrinsische Motivation ist eine der Hauptkomponen-ten für Flow. Und wenn man die Hälfte der Zeit damit verbringt, sich zu orientieren, dann kann man nicht ein-tauchen. Übertragen wir das auf unsere Lernsituation, heisst das: Motiviere dich! Finde Freude an einem The-ma. Und nutze Material, in das du eintauchen kannst. Verschaffe dir einen guten Überblick, suche oder gestal-te angenehmes Lernmaterial.

Virtuelle TherapieDer Nutzen solcher Forschung kann auch in andere Be-reiche übergehen. Das zeigt ein Projekt, das zusammen mit der Abteilung für klinische Psychologie und Psycho-therapie angepackt werden soll. Menschen, die noch mit sogenanntem «unfinished business» mit anderen Per-sonen zu kämpfen haben, könnten mit deren virtueller Repräsentation interagieren. Antoine Urech erklärt: «Wir möchten aus Fotos einen Avatar modulieren, der die-sen Personen möglichst ähnlich ist. Gerade, wenn diese vielleicht schon gestorben sind, könnten so neue the-rapeutische Möglichkeiten geschaffen werden.» In Psy-chotherapien wird oft mit Vorstellung gearbeitet und die virtuell unterstütze Art dieser Intervention könnte zu intensiveren Effekten verhelfen. Das Projekt stecke aber noch in den Kinderschuhen. «Wir müssen erst ein-mal sehen, ob dieser Avatar auch echt genug wirkt und wie das bei den Leuten ankommt», sagt Urech.

Schuld an Amokläufen?Weitere Gründe, warum es wichtig ist, Immersion und verwandte Prozesse zu untersuchen, stehen im Zusam-menhang mit Aggression und Sucht.Matthias Steinmann, ehemaliger Medienprofessor der Uni Bern, geht davon aus, dass beim Wirklichkeitstrans-fer die Wahrnehmung der Realität verwischt, bis man am Ende nicht mehr unterscheiden kann zwischen re-aler und virtueller (medialer) Welt. Diese Erklärung wur-de oft herbeigezogen, um aggressives Verhalten bei Ju-gendlichen oder gar Amokläufe zu erklären.David Weibel findet diese Annahme völlig übertrieben: «Die Anzahl an Gamern nimmt gerade in Amerika im-mer mehr zu. Wenn 80 Prozent der Bevölkerung spielen, ist es nur wahrscheinlich, dass auch Amokläufer dazu gehören.»Dennoch könnte eine gewisse Tendenz zum Realitäts-verlust eine Rolle spielen. In einer Masterarbeit wird deshalb die Zeit gemessen, die Versuchspersonen benö-tigen, um zu entscheiden, ob ein Stimulus (beispielswei-se ein Bild) real ist oder nicht. Wenn die Reaktionszeit bei denjenigen, die zuvor ein unrealistisches Computer-spiel gespielt haben, länger ist, wäre das ein Hinweis.

Die Flucht aus dem Alltag«Eskapismus ist ein altes Konstrukt aus den frühen 60ern», weiss David Weibel. «Vorher sah man Medien vorwiegend als Informationsquelle. Dann wurde die Möglichkeit entdeckt, durch Medien dem Alltag zu ent-fliehen. Das ist jetzt das Hauptmotiv zur Mediennut-zung überhaupt. Und funktioniert eben durch Immer-sion. Man könnte sagen, Immersion ist die geglückte Flucht.»Immersion löst an sich positive Gefühle aus. Man kann sich auch eine angenehme Welt aussuchen, um darin abzutauchen. Bewusst oder unbewusst nutzen wir also Medien, um die eigene Stimmung zu regulieren. Oder in David Weibels Worten: «Wer in seiner Umgebung unter-stimuliert wird, sucht sich Action im Film; wer übersti-muliert wird, sieht sich halt eine Landschaftsdoku an.»Auf der anderen Seite, wie bei allen positiv erlebten Zu-ständen, steht das grosse Suchtpotential. Immersion und insbesondere Flow werden als extrem positiv erlebt und auch immer wieder gesucht. Spannend ist, dass sich Flow bei Games besonders leicht herstellen lässt. Denn es geht um eine Passung von Fähigkeiten und Schwie-rigkeitsgraden. Diese lässt sich in einem Game einfach erreichen. Man steigt ein Level höher, bricht zu immer schwierigeren Quests auf.Es scheint, als wären Wirtschaft und Technik unserem Verständnis wieder einmal voraus. Erfindungen kom-men auf, werden vermarktet, verbreitet und verkauft. Obwohl die ForscherInnen immer noch dabei sind, he-rauszufinden, was es damit auf sich hat und welche Fol-gen damit verbunden sein könnten. Maschinen sind eben einfacher zu entschlüsseln als Menschen. Wenn al-so an der Uni Bern auf die dahinterliegenden grundle-genden Prozesse geschlossen werden könnte, wäre das ein eindrücklicher Schritt.

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AUAWIRLEBEN Ein Festival, auf das diese Stadt stolz sein kann – und das würdig besucht sein will: Am 24. April eröffnet das zeitgenössische Theatertreffen Bern AUAWIRLEBEN in der Dampfzentrale seine 31. Ausgabe. Das detaillierte Programm ist unter www.auawirleben.ch veröffentlicht.

Der Frühling kehrt zurück! Deshalb organisiert die SUB Kultur am 8. Mai ab 16 Uhr im Platanenhof der Unitobler ein Kubbturnier. Anmeldungen an: [email protected]

StellenausschreibungDas unikum sucht zur Ergänzungdes Redaktionsteams RedaktorInnen.Die Stellenausschreibung findest du unter http://subnew.unibe.ch/direkter-onlinezugriff. Bedingung ist die SUB-Mitgliedschaft. Die Arbeit wird entlöhnt. Arbeitsbeginn: August 2013. Bewerbungen inkl. Textproben bis Dienstag, 23. April 2013.

STUNK SKIOKDie wunderbare Ausstellung im Frauenraum der Reitschule Bern. Lass dich in einem gemütlichen Rahmen mit einem breiten Potpourri aus Performance, Wandkunst, Bastelei und Installation überraschen. 20. April, 17 - 23 Uhr, Performances ab 19 Uhr.

STEALING AFRICA Film & Diskussion mit ExpertInnen der Uni Bern. 8. Mai, 18.10 Uhr im Kino Kunstmuseum (5.- für Studis) [email protected]

Academy ShortsAm 15. Mai findet zum 7. Mal das Kurz-filmfestival Academy Shorts von Studie-renden für Studierende an der Universität Fribourg statt. Bewirb auch du dich mit ei-nem Beitrag und räume gross ab! Einsen-deschluss ist der 15. April. Weitere Infos findest du unter www.academy-shorts.ch und www.facebook.com/academyshorts.

Besuch des Dalai Lama Am 16. April wird der Dalai Lama mit einem Vortrag die Uni Bern beehren. Im Rahmen dessen wird es von Montag, 8. April bis Sonntag, 24. April diverse Veranstaltungen geben. Infos findest du auf: http://www.dalailama2013.unibe.ch

Bibliothekswelten Endlich Schluss mit der lästigen Bibliothekssuche! Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Unitobler organisieren die Biblio- theken im Unitobler-Gebäude zum Tag des Buches am 23. April spannende Veranstaltungen. Start- und Endpunkt ist die Basisbibliothek Unitobler, Länggassstrasse 49.

Mellow Mélange: Der gemütliche Filmabend im Kino in der Reitschule, jeden 2. Donnerstag. 11. April, 20.30 Uhr - Allt Flyter, Måns Herngren, Sw 200825. April, 20.30 Uhr - No Country For Old Men, Ethan & Joel Coen, USA 2007

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sr-wahlen

wahlbeteiligung sinkt auf 9 prozent

pinnwandSF: 10 (-1) Jg: 8 (+0) TUX: 3 (-4) W7: 5 (+2) glp: 9 (+2) jf: 5 (+1)

Die Sitze im Parlament der Studen-tInnenschaft der Uni Bern (SUB) wurden neu besetzt. Die Grünlibe-rale (glp) und die Wolke7 (w7) gelten als GewinnerInnen. Über-schattet werden die Resultate jedoch von der äusserst niedrigen Wahlbeteiligung.

carlo bischoff

Für die 40 neu zu vergebenen Sitze des StudentInnenrats der Uni Bern (SR) stellten sich sechs Listen mit insgesamt 95 Kandidierenden zur Verfügung. Dabei konnten alle 11 252 Mitglieder der SUB in einem Zeitraum von zweieinhalb Wochen elektronisch ihre Vertretung wählen. Zur Wahl schritten jedoch ledig-lich 1 010 Personen, was einen Wähle-rInnenanteil von lediglich neun Prozent ergibt. Damit sank die Beteiligung im Vergleich zu den Wahlen vor zwei Jahren um ganze acht Prozentpunkte. Dies ist insofern bedenklich, da bereits damals eine Abnahme der UrnengängerInnen verzeichnet wurde. Der Trend hält also an.

Die Freude ist getrübtZu den GewinnerInnen der diesjährigen Wahlen gehört die glp, die mit einem Total von neun Sitzen zwei weitere Sitze gutmachen konnte. Somit ist sie nun mit

einem Sitz Rückstand zur zweitgrössten Gruppierung im Rat geworden. Mau-rice Lindgren (glp), Kandidat mit den meisten Stimmen innerhalb der Partei, ist dementsprechend glücklich über das Resultat. Die Gründe für den Erfolg macht er folgendermassen aus: «Unsere konstruktive Politik im Rat trägt ihre Früchte. Dass viele der Vorstösse der an-deren Fraktionen zum Teil nicht wirklich erfolgsorientiert und eher illusorisch waren, trägt sicher auch einen Teil dazu bei.»Ebenfalls zwei Sitze gewinnen konnte die christlich ausgerichtete w7. Damit bleibt die Gruppierung auf dem glei-chen Kurs wie vor zwei Jahren, als sie ebenfalls einen Sitz gutmachen konnten. Speziell die ehemalige Rätin Lina Von Siebenthal (w7) freut sich über dieses Resultat: «Ich freue mich über diese grosse Überraschung. Endlich ist die w7 nicht mehr eine Mini-Partei und kann sich stärker im Rat einbringen.» Die w7-WählerInnen seien wohl im Vergleich zu den WählerInnen der anderen Gruppie-rungen nicht zu Hause geblieben, meint sie weiter. Insofern sei der w7 die tiefe Wahlbeteiligung zu gute gekommen, erfreut sei sie darüber jedoch nicht wirk-lich. Auch Lindgren sieht das so: «Unser Erfolg ist schön, aber die tiefe Wahlbetei-ligung ist echt enttäuschend.»

Verlierer sind optimistischVier Sitze verloren hat hingegen die Tuxpartei (tux), mit neu drei Sitzen.

Die neue Sitzverteilung (Listen von links): Sozialdemokratisches Forum, Junge Grüne, Tux-partei, Wolke 7 – die geistreiche Alternative, Grünliberale, Jungfreisinnige. grafik: zvg.

Dieser Verlust überrascht, da die tux vor zwei Jahren noch zu den GewinnerInnen zählte und mehrere Sitze holte. Sie bildet vor allem die Vertretung für die Studierenden der humanmedizinischen und der phil.-nat. sowie der phil.-hum. Fakultät. Deren Fraktion ist jedoch nicht nur unglücklich über das Wahlergebnis: «Die Junge Grüne und das Sozialdemo-kratische Forum auf der einen Seite, die Grünliberale, die Wolke 7 und die Jungfreisinnige auf der anderen bildeten mit ihren Listenverbindungen ganz deutlich zwei sich gegenüberstehende Blöcke. Mit dem jetzigen Verhältnis von 18 zu 19 werden wir als Zünglein an der Waage viele Entscheide prägen können.» Da die Partei frei von einer konkreten politischen Richtung agiert, könnte dies effektiv der Fall sein.Trotz Verlust eines Sitzes ist das Sozi-aldemokratische Forum (sf) weiterhin die grösste Vertretung im Rat und wird wie bis anhin stark politisieren können. Auch die Junge Grüne (jg) verzeichnet keine grosse Veränderung und konnte ihre Sitze halten. Die Jungfreisinnige (jf) konnte sich erstmals seit 2007, als sie noch zehn Sitze belegte, etwas aufrap-peln und ist nun neu mit fünf Sitzen (+1) im Rat vertreten. Wie sich das Ganze um-setzen wird, zeigt sich ab dem 11. April, wenn sich der SR zur ersten, konstituie-renden Sitzung trifft.

Weitere Infos unter https://subnew.unibe.ch/studentinnenrat

SF: 10 (-1) Jg: 8 (+0) TUX: 3 (-4) W7: 5 (+2) glp: 9 (+2) jf: 5 (+1)

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Manche GrossrätInnen würden bei der Uni Bern gerne noch den einen oder anderen Franken mehr einsparen. Für die Universität und die StudentInnenschaft jedoch ist das Fass schon übervoll. Letztere lässt nun Taten sprechen.

livia middendorp

Sparen muss die Uni Bern schon seit Jah-ren. Und auch immer mehr Studierende bilden. Viel Taschengeld erhält sie dafür von ihrem finanzschwachen Kanton nicht: Bei keiner anderen Volluniversität ist der Kantonsbeitrag pro StudentIn so niedrig wie bei der Universität Bern. Doch nachdem der Kanton der Uni dieses Jahr 3,5 Millionen Franken weni-ger als letztes Jahr zur Verfügung stellt, will die StudentInnenschaft der Univer-sität Bern (SUB) die Handbremse ziehen. Sie organisiert ein Aktionssemester, durch das sie Studierende besser über die finanzielle Lage der Uni informieren will. Zeitgleich soll mit den Aktionen Druck auf Regierungsrat und Grossrat ausgeübt werden. «Den PolitikerInnen muss endlich klar werden, dass es so nicht weitergehen kann», sagt SUB-Vor-standsmitglied Dominik Fitze.

Die Petition solls regelnFitze verweist darauf, dass die bisherigen Sparmassnahmen relativ gut vertuscht werden konnten: Hier die Anschaffung von Forschungsinfrastruktur ein wenig verzögern und da die Betreuungsver-hältnisse etwas verschlechtern, das falle nicht gleich auf. «Doch nun sind wir an einem Punkt angelangt, an dem dies nicht mehr funktioniert: Bei weiterem Sparen wird bald von Entlassungen und vom Schliessen von Studienfächern gesprochen», so das SUB-Vorstandsmit-glied. Und das will die StudentInnen-schaft auf gar keinen Fall. Im Rahmen des Aktionssemesters sind unter ande-rem Workshops geplant, in denen sich die Studis zu einzelnen Themen besser informieren können. So hat beispielswei-se Rechtsprofessor Markus Müller seine Mitarbeit bereits zugesichert. Müller ist Urheber des im Februar gestarteten «Zürcher Appells», der sich für eine

unabhängige Wissenschaft und kritisch gegen Drittmittel aus der Wirtschaft ausspricht. Weiter hat die SUB am 22. März eine Petition lanciert, die die künftige Finanzierung der Berner Hoch-schulen sicherstellen soll. Sie fordert darin mehr Mittel und mehr Verant-wortung von Seiten des Kantons. Die Petition soll Mitte Mai mit einer De-monstration und einem Picknick für alle Studierenden vor dem Rathaus einge-reicht werden.

Die innere BlutungMehr Geld für die Universität? Der Ver-waltungsdirektor der Uni Bern, Daniel Odermatt, zeigt sich in dieser Hinsicht weniger hoffnungsvoll: «Ich glaube, es wäre vermessen, in den nächsten drei bis fünf Jahren mehr Geld vom Kanton Bern zu erwarten. Dass man hingegen den Betrag, den wir heute bekommen, stabilisiert, diese Erwartung habe ich.» Klar ist auch für ihn: «Die rote Linie ist zu einem gewissen Grad schon über-schritten.» Im Laufe des letzten Jahres rechnete die Uni mit einem Verlust von 12 Millionen Franken auf Kosten der eigenen Reserven. Diesen Betrag konnte sie nun auf 1,5 Millionen Franken reduzieren. Dabei half, dass die Zahl der Studierenden stieg und die Uni dadurch mehr Geld vom Bund und den anderen Kantonen bekam, da diese Beträge pro Kopf erhoben werden. Zudem wurden gewisse Anschaffungen aufgeschoben. Auch das Jahr 2013 wird die Uni Bern noch ohne Personalentlassungen überle-ben. «Wie gesagt, wir sind halt innerlich am ausbluten», so Odermatt.

Stark im DrittmittelerwerbEinen ernsthaften Qualitätsverlust konn-te die Uni Bern bisher vor allem dadurch abwenden, dass sie sich überdurch-

schnittlich wacker im Erwerben von Drittmitteln schlägt. Diese haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt und machen heute rund einen Drittel des Universitätsbudgets aus. Daniel Oder-matt begründet das damit, dass der Kan-ton Bern von Anfang an wenig Geld für die Uni zur Verfügung gehabt hätte und Forschende so schon seit jeher auf die Suche nach Geld von ausserhalb hätten gehen müssen. Auch sei die Forschung der Uni Bern gut auf aktuelle Fragen der Gesellschaft und der Wirtschaft ausge-richtet; Kooperationen liessen sich daher schnell finden, so Odermatt. Diese Drittmittelfinanzierung findet bei manchen PolitikerInnen grossen An-klang, so etwa bei BDP-Grossrat Mathias Kohler: «Die Bedeutung von Drittmitteln wird in der Finanzierung von Hochschu-len künftig noch steigen. So kann auch die Wirtschaft direkt von der Universität profitieren.»

Freiheit der WissenschaftDoch an der Frage, ob die Wirtschaft durch solche Kooperationen Einfluss auf die Wissenschaft nehmen darf, scheiden sich die Geister. Einige sehen dadurch die Unabhängigkeit der Wissenschaft gefährdet. Die Freiheit von Lehre und Forschung sei von der Verfassung ge-schützt, erinnern die 27 Erstunterzeich-nenden, mehrheitlich ProfessorInnen, im «Zürcher Appell». Und fragen daraufhin: «Sind die heutigen Universitäten im Zeitalter von Kooperationen und Sponso-ring noch genügend unabhängig?»Über den Einfluss der Drittmittel auf die Forschung zu diskutieren und wachsam zu sein, sei zweifelsohne wichtig, sagt Daniel Odermatt. Jedoch: «Man muss das Ganze sehr differenziert betrachten. Der Grossteil der Drittmittel ist aus mei-ner Sicht unproblematisch.» Zu diesen

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«wir sind innerlich am ausbluten»

illustration: romy troxler

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unproblematischen Drittmitteln zählt er beispielsweise die Beiträge der EU, jene vom Nationalfonds oder aus der Wei-terbildung. Diejenigen Drittmittel, die seit längerem in einem etwas zwiespäl-tigen Licht stehen, seien jene aus der Privatwirtschaft. Doch auch hier sieht Odermatt grösstenteils kein Problem, da die meisten dieser Gelder aus der Privat-wirtschaft aus Kooperationen stammen würden. «Nicht nur die Wirtschaft, auch die Wissenschaft profitiert: Sie kommt dadurch zum Beispiel direkt an Daten, Know-how oder Infrastrukturen aus der Praxis», so Odermatt. Die gewonnenen Ergebnisse solcher Kooperationsprojekte können die Forschenden publizieren und damit einen Beitrag zur Wissenschaft liefern. Was übrig bleibt, sind direkte Forschungsaufträge von Firmen. Hiermit publiziert die Uni nicht und zieht so, aus-ser dem Geld und dem Praxisbezug für Studierende und Assistierende, keinen Nutzen daraus. An den insgesamt 217 Millionen Franken Drittmitteln haben diese aber mit vier bis fünf Millionen einen extrem kleinen Anteil.

Drittmittel sind nicht die LösungSo müsse auf Drittmittel laut Odermatt also keineswegs verzichtet werden. Nun solle dies aber nicht heissen, dass die Drittmittel die Grundfinanzierung durch den Kanton einfach ersetzen können, denn «viele Drittmittel, die wir bekom-men, sind für konkrete Forschungspro-jekte bestimmt. Das Geld ist nicht frei und kann beispielsweise nicht für die Lehre eingesetzt werden», sagt Oder-matt. Dazu komme, dass bei grossen Forschungsprojekten die Uni selbst auch Eigenleistungen erbringen müsse, da sie diese Aufträge ansonsten gar nicht erst bekommen würde. Allein dazu brauche die Universität genügend Geld vom Kan-ton, betont Odermatt.Ausserdem könnte die steigende Zahl der Studierenden, wie man in der Uni-versitätsleitung befürchtet, die Dritt-mittelfinanzierung in die Knie zwingen: «Je mehr Studierende die Universität betreuen muss, desto mehr müssen sich ProfessorInnen wie auch Assistierende der Lehre widmen», sagt Odermatt. Die Forschung werde so vernachlässigt und die Drittmittel drohten einzustürzen.

Teamwork zwischen UnisSpardruck auf der einen Seite, Ansprüche an eine hohe Qualität auf der anderen – Daniel Odermatt zeigt sich angesichts der finanziellen Lage des Kantons den-

noch verständnisvoll: «Wir haben hier zusammen mit dem Kanton ein grosses Problem.» Dass weiteres Sparen negative Auswirkungen auf die Wirtschaft hat, da sei er sich sicher. Eine Meinung, die nicht alle teilen. Grossrat Mathias Kohler ist überzeugt, dass bei der Uni Bern noch Sparpotenzial da sei. Sparen könne man, wie bei allen Unternehmen, sicherlich auch bei der Uni Bern in der Infrastruk-tur. «Vor allem müsste man aber über eine weitere Erhöhung der Studige-bühren und über die zu hohe Zahl der Studierenden allgemein diskutieren», so Kohler. Er drängt zudem auf eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Universi-täten; so könne man bestimmt in Studi-engängen wie den Islamwissenschaften oder der Orientalistik mit der Uni Basel zusammenarbeiten. Kohler schlägt hier ein ähnliches Arrangement vor, wie dies etwa die Uni Bern mit der Uni Freiburg für die Kommunikationswissenschaften hat. Diese kann man in Bern nur noch im Nebenfach belegen.

Die einzige Lösung?Solches Fächerabbauen geschieht jedoch nicht über Nacht. «Wir sagen schon seit mehreren Jahren: Man kann bei der Uni Bern sparen, aber man muss es langfri-stig machen», betont Odermatt. Einfach den Geldhahn stets etwas mehr zuzudre-hen, sei keine Lösung. Wenn man bei der Universität noch mehr sparen will, dann sieht Daniel Odermatt tatsächlich nur ei-nen Ausweg: Man müsse einen Studien-gang schliessen. Sogleich stelle sich aber die Frage, welcher das sein soll. «Wenn man wirklich sparen will, so müsste man die medizinische Fakultät schliessen», sagt Odermatt, «doch das wäre natürlich extrem dumm, wo wir doch Bern als medizinischen Standort stärken wollen.» PolitikerInnen neigen aber ohnehin dazu, die billigsten Studiengänge – wie etwa Sozialanthropologie – vorzuschla-gen. Laut Odermatt keine gute Idee: Wer Sozialanthropologie studieren wolle, der oder die mache das sowieso. Die Studie-renden gingen dann beispielsweise nach Zürich und der Kanton Bern zahle dem Kanton Zürich Geld dafür. Umgekehrt fehle der Uni Bern dann das Geld, das sie für ihre Sozialanthropologie-Studieren-den vom Bund und den anderen Kanto-nen bekommen würde. «Sparen können wir dadurch kaum», so Odermatt, «am Ende zahlten wir womöglich sogar noch drauf.»

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Kommentar vom SUB-Vorstand

Jetzt gehts ums Eingemachte

Eigentlich wollen wir studieren. Doch immer wieder kommt uns die Frage nach dem Geld dazwischen: Sei es die Studiengebührenerhöhung, ein abge-lehnter Stipendienentscheid oder es wird schlicht das Geld für unsere Bildung zusammengestrichen.Und genau das geschieht heute: Im Jahr 2000 war das Budget der Universität Bern im Durchschnitt der Schweizer Universitäten. Nun erhält sie wegen zahllosen Sparmassnahmen und leeren Versprechen massiv weniger Geld im Vergleich zu anderen Unis.Das ist inakzeptabel. Wären wir an der Uni Zürich, hätten wir in jedem Studi-engang einE oder zwei ProfessorInnen mehr. Denn pro StudentIn erhält diese 4000 Franken mehr als unsere Uni-versität. Das bedeutet: Bessere Betreu-ungsverhältnisse, grössere inhaltliche Auswahl, kurz: ein qualitativ besseres Studium. Die Qualität der Uni Bern hat bereits in den letzten Jahren unter dem von der Politik auferlegten Sparen stark gelitten. Und die Diskussion geht weiter: Im Rah-men der Angebots- und Struktur- überprüfung des Kantons Bern muss ein strukturelles Defizit von ungefähr einer halben Milliarde abgebaut werden. Dabei laufen auch unsere Hochschulen Gefahr, kaputtgespart zu werden.Denn jetzt bedeutet Sparen bei der Uni-versität: Abbau von Studienfächern, Insti-tuten oder Lehrpersonal. Bereits werden Stimmen laut, die weniger Studierende und höhere Studiengebühren fordern.Diese Diskussion läuft in die völlig falsche Richtung. Der Kanton Bern muss jetzt die Verantwortung für seine Hoch-schulen wahrnehmen und ihnen massiv mehr Mittel zusprechen. Genau das fordert unsere Petition vom Grossen Rat und dem Regierungsrat.Unterschreibe jetzt für deine Bildung unter http://subnew.unibe.ch/petition

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Das unikum hat den Mundart-schriftsteller Pedro Lenz zum Interview getroffen. Ein Ge-spräch über die Schriftstellerei und die Schweiz.

rika koch

Mittlerweile gehört Pedro Lenz zu den berühmtesten Schweizer Schriftstellern und ist praktisch jeden Abend unterwegs; liest aus seinem neusten Buch «Liebesge-schichten» oder tritt mit seinem neusten Musikprojekt «Hohe Stirnen» auf. Den-noch wirkt Pedro Lenz entspannt, reicht die Hand zur Begrüssung. «Pedro», sagt er. Dann nimmt er Platz (auch im Sitzen überragt er mit seinen zwei Metern Kör-pergrösse alle im Raum) und beginnt die Fragen des unikums zu beantworten.

Wie bist du zum Schreiben gekommen? Warst du schon als Kind ein Bücher-wurm?Lesen ist natürlich wichtig. Um Schrift-steller zu werden, muss man zuerst Leser sein. Bei mir kam das aber erst so mit 14 Jahren, auch wenn mich meine Eltern

immer wieder in die Bibliothek gedrängt haben. Die Begeisterung für Geschichten kam bei mir vom Kino. Als Kind waren wir oft bei meiner Grossmutter in Ma-drid. Da sie nicht wirklich wusste, was sie mit mir anfangen sollte, hat sie mich halt ins Kino geschleppt. Damals war Spanien noch unter der Herrschaft Fran-cos und es gab all diese wunderbaren Stummfilme.

Vom Maurer zum Student an der Uni Bern und zum Schriftsteller ...Bereits als ich als Maurer gearbeitet habe, habe ich immer geschrieben. Die Matur war eine Chnorzätä und das Studium war anfangs auch nicht besser – mit Mittelhochdeutsch und was weiss ich alles. Ich war damals dreissig, habe mein Studium selbst finanziert, daneben also noch gearbeitet und natürlich auch geschrieben, das war sehr belastend. Dann habe ich beschlossen, nur noch die Vorlesungen zu besuchen, die mir zusagen. Und dann habe ich den Schritt gewagt, alles auf die Karte des Schrift-stellers zu setzen und nur noch zu schrei-ben. Ich konnte publizieren, dann kamen Anfragen für Lesungen und Auftritte. Ich hatte Glück, alles ging auf.

Hast du von Anfang an auf Mundart geschrieben? Nein, ich kannte Mundartliteratur nur als historisch-nostalgische Heimatlitera-tur. Erst als ich in Glasgow lebte, wo viel auf schottisch geschrieben wird, ent-deckte ich das Potenzial der Mundartlite-ratur. Auf Mundart können Stimmungen und Dialoge viel besser eingefangen werden. Nur schon Schimpfwörter: Auf Hochdeutsch kommt mir nur «Scheisse» in den Sinn. Das Berndeutsch bietet da eine unerschöpfliche Palette.

Siehst du dich als politischen Autor?Ich bin vielleicht tatsächlich ein poli-tischer Autor, aber in erster Linie bin ich ein politisch denkender Mensch. Das war ich schon immer, schon mit 15 Jahren ging ich auf Demos, um gegen AKWs zu demonstrieren. Wenn ich schreibe, ver-stecke ich meine Meinung nicht und das fliesst natürlich in meine Geschichten ein. Aber wir leben nicht mehr in den 70er Jahren, wo Dichter wie Dürrenmatt «Die Schweiz als Gefängnis» verfassten oder Max Frischs Reden für Empörung sorgten. Heute hätte das nicht mehr diese Wirkung. Wenn heute ein Schrift-steller seine politischen Empfehlungen

Pedro Lenz. bild: daniel rihs

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auf ein wort

«das studium war eine chnorzätä»

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SUB-DienstleistungenAuskunft, Inserateaufgabe und Dienstleis- tungen für SUB-Mitglieder und Dienstleis- tungsabonnentInnen:StudentInnenschaft der Universität BernLerchenweg 32, 3012 BernTel. 031 631 54 11, Fax 031 631 35 50E-Mail [email protected]://subnew.unibe.chÖffnungszeiten SUBMo 14–17 Uhr, Di–Do 11–17 UhrWohnausschreibungenOnline-Plattform, Wohnungsmail und Inserateaufgabe: http://subnew.unibe.ch/wohnenE-Mail: [email protected] SUBOnline-Plattform, Stellenmail und Inserate aufgabe: http://subnew.unibe.ch/studijob-subTel. 031 631 35 76, Fax 031 631 35 50E-Mail: [email protected] der SUB (RHD)Kostenlose Beratung von Studierenden der Uni Bern in rechtlichen Fragen. Online An-meldung auf der SUB-HP unter „Beratung“. http://subnew.unibe.ch/rechtshilfedienst-SozialfondsDer Sozialfonds steht SUB-Mitgliedern und Mobilitätsstudierenden mit finanziellen Schwierigkeiten zur Seite.Weitere DienstleistungenFreier Eintritt, kopieren, Spiralbindegerät, ...: http://subnew.unibe.ch/freier-eintritt

SUB-GruppierungenListe der SUB-Gruppierungenhttp://subnew.unibe.ch/gruppierungen

BeratungsstellenBeratungsstelle der Berner HochschulenBeratung bei Studiengestaltung, Berufsein-stieg, Lern- und Arbeitsstörungen, Prü-fungsvorbereitung, persönlichen Anliegen und Beziehungskonflikten. Anmeldung im Sekretariat.Bibliothek und Dokumentation zu Studien-gängen, Tätigkeitsgebieten, Berufseinstieg, Weiterbildung, Lern- und Arbeitstechniken und vieles mehr. Ausleihe: Mo–Fr 8–12/13.30–17 Uhr (Fr bis 16.30 Uhr, Mi Vormittag geschlossen)Online Studienführer Uni Bernwww.studienführer.unibe.chErlachstrasse 17, 3012 BernTel. 031 631 45 51, Fax 031 631 87 16www.beratungsstelle.bernerhochschulen.ch

serviceverzeichnis

abgibt, läuft er schnell Gefahr, als intel-lektueller Besserwisser zu wirken. Und in dieser Rolle sehe ich mich nicht.

Könntest du dir vorstellen, selbst in die Politik einzusteigen?Als Jugendlicher habe ich manchmal ge-dacht, ich könnte mich doch engagieren und mich in den Gemeinderat wählen lassen. Aber nein, Politik überlasse ich Menschen, die dafür geschaffen sind. Menschen, die hinstehen, ihre Meinung sagen und auch gerne an Sitzungen ge-hen und in Kommissionen arbeiten. Ich bin da nicht so der Typ dafür.

Wird man als politischer Mundartschrift-steller nicht fast automatisch ein Patriot?Früher empfand ich Patriotismus als etwas arrogantes, als ein Gefühl, besser zu sein als andere Nationen. Doch das ist nur der Patriotismus der Rechten und der Patriotismus soll nicht den Rechten gehören. Wenn eine ganze Partei einem einzigen Millionär hörig ist, nur weil er sie finanziert, ist das nicht schweizerisch. Die Schweiz, das ist nicht der Rütli-schwur, das sind nicht die Banken. Die Schweiz, das ist beispielsweise auch eine lange humanitäre Tradition. Auf diese Werte kann man auch stolz sein, diese muss man fördern.

Wie hat sich dein Verhältnis zur Schweiz geändert?In unserem Dorf waren wir immer ein bisschen anders – ausländischer – gewe-sen. Damals hatte ich ein angestrengtes Verhältnis zur Schweiz und habe ver-sucht, meine spanischen Wurzeln mit Überanpassung zu kompensieren. Als Jugendlicher kam dann die Phase, wo ich die Schweiz als zu engstirnig empfun-den und gedacht habe, ich würde lieber irgendwoanders wohnen. Zu dieser Zeit habe ich wohl auch meine zweite Heimat Spanien idealisiert. Heute sehe ich das entspannter. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sind auch positive Werte.

Was fehlt dir in der Schweiz?Das Meer. Und die weiten Landschaften. Wenn ich durch Argentinien oder Süd-spanien reise, fühlt sich das an wie Frei-heit. In der Schweiz ist alles so eng, das schlägt halt auch auf die Mentalität der Menschen durch: dieser Kontrollwahn in der Schweiz, diese Intoleranz gegenüber Mitmenschen.

Ist die Schweiz ein gutes Umfeld, um zu schreiben? Braucht es für Literatur nicht Action, politische Unruhen oder zumin-dest ein grossstädtisches Umfeld?Nein, ich glaube nicht, dass es das braucht. Klar, in politisch aufgeladenen Zeiten tritt der Schriftsteller oft als An-kläger an, kann ein Regime anprangern und gegen etwas kämpfen. Das ist aber einfach eine andere Art Literatur. Für mich passieren die spannenden Din-ge in den kleinen alltäglichen Sachen. Gute Geschichten, die passieren dir und mir, dafür braucht es kein Berlin, kein London. Ich finde sehr viel Inspiration in Bern, Olten oder Langenthal.

Und dann kommt Pedro Lenz auf die Ein-bürgerungen zu sprechen, die an diesem Tag durch parlamentarischen Beschluss mit zusätzlichen Hürden erschwert wurde.

Migrationshintergrund, wenn ich dieses Wort nur schon höre. Schweizer ist Schweizer. Auch bei mir hacken sie auf meinem ausländischen Vornamen rum, wenn die sachlichen Argumente ausge-hen. Da will man Menschen ausschaf-fen, die schon ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht haben. Ausschaffen in ein Land, in dem sie vielleicht nie-manden mehr kennen, nicht einmal die Sprache sprechen. Nei aso würklech ...

Und dann winkt er ab. «Tschuldigung», da werde er «grad emotional». Er beruhigt sich wieder, streicht die Haare aus dem Gesicht, legt die wild gestikulierenden Hände auf den Tisch, lächelt wieder. Und auch wenn man mit Pedro Lenz noch stundenlang weiterdiskutieren könnte, muss man ihn gehen lassen – die nächste Lesung steht an.

Zur Person:

Pedro Lenz wurde 1965 in Langenthal als Sohn eines Schweizers und einer Spanierin geboren. Nach einer Mau-rerlehre studierte er einige Semester spanische und deutsche Literatur an der Uni Bern, bevor er sich 2001 ganz der Schriftstellerei widmete und mit seinem Roman „dr Goali bin ig“ schweizweite Bekanntheit erlangte. Nebst Romanen schreibt er Gedichte oder tritt an Poetry Slams auf. Bekannt wurde Pedro Lenz zudem durch seine Reden, die sich durch eine Mischung aus Poesie und Politik auszeichnen.

auf ein wort

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Ein Gedicht von 87 Wörtern auf einer Postkarte, 50 Minuten Musik, 1400 Taktwechsel und eine einzelne Sopranstimme. Das ist die Oper «Neither».

Helga Weber

Oder besser gesagt die Anti-Oper «Neit-her». Denn mit einer klassischen Oper hat diese nichts gemein. Das Konzert Theater Bern, Kulturpartner der SUB, wagt Ende April die schweizerische Erst-aufführung.

Wie «Neither» entstand1976: Der irische Dichter Samuel Be-ckett und der amerikanische Kompo-nist Morton Feldman treffen sich das erste Mal. «Mr. Feldman», sagte Samuel Beckett ziemlich erregt, «ich mag keine Opern.» - «Daraus mache ich Ihnen kei-nen Vorwurf», erwiderte der Komponist. «Ich mag es nicht, wenn meine Worte vertont werden», sagte Beckett. «Ich stimme Ihnen völlig zu», sagte Morton Feldman, «in der Tat verwende ich ganz selten Wörter.» Beckett sah ihn an: «Aber was wollen Sie dann?» - «Ich habe keine Vorstellung», antwortete Feldman und fügte hinzu, er suche nach etwas Quint-essenziellem.

Nach einer herkömmlichen Oper klingt das keineswegs. Es verwundert auch nicht, dass die beiden die Oper als künstlerische Form ablehnten. Auf einer Papierserviette schreibt der irische Dichter Samuel Beckett im Verlaufe des Gespräches schliesslich diese Worte: «Vor und zurück im Schatten, vom äusseren zum inneren Schatten. Vor und zurück.Zwischen unerreichbarem Selbst und unerreichbarem Nichtselbst.» Der Kern der 87 Wörter, die Beckett einige Tage später auf eine Postkarte schreibt und an den amerikanischen Komponisten Morton Feldman sendet.

Der Inhalt: Das VerborgeneDie Intention der beiden Künstler in «Neither» ist nicht das Sichtbare oder das Bekannte. Ein radikaler Gedanke trägt die Auseinandersetzung mit dem elementaren Gegenstand der Musik: Die Abkopplung von der realen Welt. Feldman verarbeitete die heillos in sich verkeilten Wortverschachtelungen zu einer sphärischen Komposition voller Asymmetrien und Unregelmässigkeiten. Geschaffen vom grossen Orchester und sirrendem Sopran in höchster Tonlage, sodass die Wörter bis zur Unkenntlich-keit in Klängen verschwimmen. Eine Handlung gibt es nicht, das Geschehen ist höchst diffus.

die anti-oper

Interview mit Fabio Dietsche, Dra-maturg für die Oper «Neither»

Helga Weber

Feldman und Beckett lehnten die klas-sische Oper ab. Kann man von einer Anti-Oper sprechen?Zunächst habe ich auch gestaunt, dass die beiden den Begriff «Oper» für dieses Werk wählten. Wenn man aber bedenkt, dass «opera» eigentlich bloss «Werk» bedeutet, muss man sich eher fragen, ob wir vielleicht ein zu starres Bild davon haben, was Oper sein kann? Eine Opern-aufführung des 17. Jahrhunderts würde uns heute wahrscheinlich auch als Anti-Oper erscheinen!

Es wird von der «radikalen Abkoppelung der realen Welt» gesprochen. Inwiefern?Hier ist genau der spannende Punkt! Wie

Das Konzert Theater Bern in der ReitschuleOperndirektor Xavier Zuber betritt Neu-land und wählt als Ort des Geschehens die Grosse Halle in der geschichtsträch-tigen Berner Reitschule. Die Aufführung einer ganzen Opernproduktion von Konzert Theater Bern in der Grossen Halle der Reitschule ist bisher einmalig. Mitte April wird die Oper «Neither» vom Konzert Theater Bern erstmals in der Schweiz aufgeführt. Freikarten sind über die SUB verfügbar. Das Konzert Theater Bern ist seit längerer Zeit ein treuer Kul-turpartner der SUB.

der Titel «Neither» (Weder) schon besagt, geht es in diesem Stück tatsächlich nicht um das Sichtbare oder das Bekannte. Vielmehr geht es um das Paradox, das Nicht-zu-Fassende sinnlich erfahrbar zu machen. Dies ist für jeden Regisseur eine spannende Herausforderung. In Worten ist der Zustand schwer zu beschreiben. Es benötigt den künstlerischen Prozess.

Gibt es etwas Spezielles zur Produktion oder der Inszenierung, das sie vorab verra-ten können?Speziell ist für alle Beteiligten und das Publikum bereits der Umstand, dass wir nicht im gewohnten Rahmen des Stadt-theaters arbeiten und in der Grossen Halle der Reitschule eine völlig andere räumliche Situation zur Verfügung haben. Matthias Rebstock und Sabine Hilscher werden sich in diesem Raum intensiv mit dem zentralen Beckettschen Gedanken des «to and fro» (hin und

her) auseinandersetzen. Diese beiden Pole, zwischen denen sich der Raum des «Neither» öffnen kann, sind für die Inszenierung sehr bedeutend.

Kann die Reitschule als «Ort des Anders-denkens», bezeichnet werden? Als der passende Ort für die von Feldmann und Beckett geforderte Ablehnung der bürger-lichen Kunstform?Die Reitschule ist seit den Besetzungen in den 1980er-Jahren ein Ort der An-dersdenkenden und scheidet auch heute noch die Geister. In diesem Sinne ist der Ort perfekt für diese unkonventionelle Oper geeignet. Wir freuen uns alle sehr, dort zu arbeiten und hoffen, durch die spannende Produktion der negativen Haltung entgegenzuwirken, welche gegenüber der Reitschule vielerorts besteht!Das ungekürzte Interview findet ihr unter https://subnew.unibe.ch/unikum.

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kulturpartnerInnen

«Neither»Oper von Morton Feldman (1926-1987)Text von Samuel Beckett (1906-1989)

Schweizerische ErstaufführungPremiere: 19. April 2013 in der Reitschule.Weitere Aufführungen: 23. & 27. April 2013.

Konzert Theater BernMusikalische Leitung: Stefan SchreiberRegie: Matthias RebstockAusstattung: Sabine HilscherDramaturgie: Xavier Zuber, Fabio DietscheSopran: Hélène FauchèreBerner Symphonieorchester

http://www.konzerttheaterbern.chtwitter.com/KonzertTheaterBern

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VorverkaufMusikhaus Krompholz, Bern und www.ticketino.com

Weitere Informationenwww.unichorbern.ch

Mittwoch 22. Mai 2013, 20 Uhr Freitag 24. Mai 2013, 20 Uhr Französische Kirche, BernRobert SchumannSpanisches Liederspiel (Ausschnitte)

Johannes BrahmsZigeunerlieder

Federico García LorcaCanciones españolas antiguas

Einojuhani RautavaaraSuite de Lorca

Mario Castelnuovo-TedescoRomancero Gitano

Leitung Matthias Heep

Ich

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unisphäre

Von der letzten Sitzung vor den Neuwahlen des StudentInnenrats berichtete das unikum direkt per Twitter. Was diskutiert wurde und wer neu dabei ist, erfahrt ihr, wie gewohnt, hier.

matthias boss

Am 7. März 2013 trat der StudentInnen-rat ein letztes Mal vor den Neuwahlen zusammen. Obwohl in den Köpfen der RätInnen vermutlich Sorgen um ihre Wiederwahl kursierten, mussten wich-tige Themen behandelt werden. So wur-de der Vorstandsantrag für eine finanzi-elle Unterstützung des Theaterfestivals «BeSTival» einstimmig angenommen. Das erste internationale StudentInnen-Theater-Festival in Bern zeigte über sechs Tage hinweg unter anderem ei-genproduzierte Stücke. Dies fördere den Austausch über die Grenzen hinweg, so die Festivalleitung. Ebenfalls einstimmig

angenommen wurde der Motionsantrag «Gültigkeitsdauer Legi». Die Verlänge-rung der Gültigkeitsdauer soll unnötige Kosten zu Lasten der StudentInnen minimieren. Auch mühsame Fahrten in den Semesterferien nach Bern, um die Legi zu validieren und weiterhin von den Vergünstigungen profitieren zu können, sollen so reduziert werden. Schliesslich brach erneut eine formale Diskussion über die Anträge «Vegi-Tag, veganes Menü und Deklaration Mensen» aus, über die wir in der letzten Ausgabe bereits berichteten. Der Versuch, dass bereits inhaltlich diskutierte und ange-nommene Projekt zu blockieren, wurde jedoch von der Mehrheit verhindert und ein Verlängerungsantrag wurde ange-nommen. Damit hat der Vorstand nun genügend Zeit, um sich für die Forde-rungen einzusetzen.Nach einer Befragungsrunde und dem ersten Wahlgang konnte Kathrin Beeler als neues Vorstandmitglied für das Res-sort Gleichstellung ihren Platz einneh-men. Die Geschichtsstudentin im dritten

Semester setzt sich zum Ziel, die Gleich-stellungsfrage zu einem präsenteren Thema zu machen.Seit mehr als zwei Monaten gibt es ein weiteres neues Gesicht im Vorstand. Fabiane Reber übernahm das Vorstands-amt im Ressort für universitäre und kantonale Hochschulpolitik. Ein stark do-minierendes Thema in ihrem Aufgaben-bereich stellt zurzeit die Finanzierung der Uni dar. Doch auch die anstehende Untersuchung der Universität durch ExpertInnen, sogenannte Quality Audits, beschäftigt sie. Die Qualitätssicherung der angebotenen Leistungen soll so gewährleistet werden. Die PrüferInnen entscheiden indirekt mit ihrem Quali-tätsurteil, ob die Uni vom Bund weiter-hin Finanzhilfe beanspruchen darf.Es war übrigens die erste Sitzung, die man über den neuen Twitter-Account des unikum-Teams direkt mitverfolgen konnte.

Folgt uns unter https://www.twitter.com/SUB_unikum.

das letzte mal vor der wahl

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Das unikum ist das Organ der Studen-tInnenschaft der Universität Bern (SUB) und erscheint sechsmal jährlich mit einer Auflage von 10 000 Stück.Redaktion: Carlo Bischoff (cb), Damaris Burri (db), Josua Romano ( jr), Livia Mid-dendorp (lm), David Streit (ds), Rika Koch (rk), Helga Weber (hw), Nicolas Weber (nw), Mattias Boss (mb)E-Mail: [email protected]: Paolo Riva, PAST ONE, Roman Brun-ner, Luca Christen, Daniel RihsLayout und Satz: Muriel Schwaerzler, Romy Troxler Lektorat: David EggerWerbung: Simon BühlerKontakt: [email protected]: unikum, Lerchenweg 32, 3000 Bern 9E-Mail: [email protected] www.unikum.unibe.chBelichtung und Druck: Haller & Jenzer, BurgdorfNächste Nummer: unikum 163Redaktionsschluss: 28.04.2013Inputs und Ideen für Artikel bis: 10.04.2013Inserate-Annahmeschluss: 10.04.2013Erscheinungsdatum: 15.05.2013Adressänderungen bitte wie folgt melden: Studierende: Universität Bern, Immatrikulationsdienste, Hochschulstr. 4, 3012 Bern. Angestellte: Universität Bern, Abteilung Personal, Hochschulstrasse 4, 3012 BernDoppelzustellungen können vermieden werden, wenn bei der Abteilung Personal und den Immatrikulationsdiensten die gleiche Adresse hinterlegt ist. Rücksendungen bitte an: unikum, Ler-chenweg 32, 3000 Bern 9Abonnemente: Das unikum kann für Fr. 30.–/Jahr abonniert werden. E-Mail an: [email protected]

Zitat vom StudentInnenrat7. März 2013

Julian Marbach (Junge Grüne): «Die Werbung muss allerdings so gemacht werden, dass die Kondome auch nach den Aktionen noch verteilt werden könnten.»

Der StudentInnenrat (SR) ist das Parlament der StudentInnenschaft der Uni Bern (SUB).

impressum

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2

buch 2 Die Innenseite der Schuld – Lebensgeschichte eines AlkoholikersPeter Holenstein, 2002

jr. Das Buch basiert auf einer realen Gegebenheit und beschreibt die ambi-valente Geschichte des Felix Heiden, der einerseits brillanter Schüler und Student, andererseits seit seinem 14. Lebensjahr alkoholabhängig gewesen war und mit 42 seinen kleinen Sohn erschoss. In Un-tersuchungshaft erzählte er Franz Hohler seine Lebensgeschichte. Dieser schildert den Lesenden dann auf eindrückliche Weise, wie Felix seine Suchtkrank-heit entwickelte und lange Zeit ohne Probleme damit lebte. Eine schwere Kindheit trifft auf eine Mischung aus Verharmlosung, gesellschaftlicher Akzeptanz und geschickten Verber-gungstaktiken. Die Geschichte ist mit Selbsttests gespickt, anhand derer man sein Gefährdungspotenzial aufgrund des eigenen Trinkverhaltens einschätzen kann. Das Buch ist psychologisch hochin-teressant und zeigt eindrücklich, wohin eine Alkoholabhängigkeit führen kann – und wie lange trotzdem alles gut geht.

cd

1 Black Rebel Motorcycle Club Specter At The Feast

Das neue Studiowerk des kalifornischen Trios knüpft bedingungslos an die Qualität des brillianten Vorgängers «Beat The Devils Tattoo» an. Trotz sehr schön warmen und homogen produ-zierten ruhigen Tracks wie «Some Kind Of Ghost», «Sometimes The Light» oder «Lullaby» hat die Band nun die Folk- und Countryanleihen des wunderbaren Albums «Howl» weitestgehend entsorgt. Vielmehr dominieren auf dem Album mit zwölf Tracks die düsteren und breit-wändigen Fuzzgitarren und Soundmau-ern, wie man es aus ihren ersten Werken kennt. Das Song-Highlight bildet neben der fantastischen Ballade «Retourning», der grandiose Opener «Fire Walker», wel-cher sich nach einem zweiminütigem Intro aufmacht, langsam und schwer-fällig in die dunkle Welt von «Specter At The Feast» einzutauchen. Erstmals steht damit zu Beginn einer B.R.M.C.-Scheibe kein potentieller Hit, sondern ein schwerer Brocken, dessen Wucht sich erst nach einiger Zeit offenbart. «Specter At The Feast» erfindet das Musikrad si-cher nicht neu, muss es aber auch nicht – die Band zelebriert hier nämlich das, was sie am besten kann: Rocken, und zwar mit richtig viel Herz!

Gewinne eine von drei CDs! Schicke eine E-Mail mit dem Betreff «Motorcycle Club» an: [email protected]. Einsendeschluss ist der 1. Mai 2013.

reinziehn

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carte blanche

Das Leben ist vergänglich und so auch die Erinnerung. Mit Graffiti habe ich eine Möglichkeit gefunden, meine Spuren auf dieser Welt zu hinterlassen.Ich nenne mich PAST ONE, komme aus der Region Thun und beschäftige mich seit sieben Jahren mit Street Art und Graffiti. Meine Vergangenheit und das bisher Er-lebte ist mir sehr wichtig, daher auch der Künstlername PAST ONE. Mit meinen Bildern möchte ich zeigen, dass Graffiti nicht zwingend etwas mit Vandalismus zu tun haben muss. Street Art kann sehr wohl als vielseitige und spannende Kunstform gesehen werden, die sich durch die Kombination von typografischen Elementen und durchdachte Bildkompositionen auszeichnet.

past one: state of the art crew

Was als Hobby begann, hat sich zu einer Leidenschaft entwickelt. Heute nutze ich jede freie Minute um zu zeichnen, Bilder zu realisieren oder Auftragsarbeiten auszuführen. Meine bisher grössten Aufträge waren ein grossflächiges Bild (2.7 x 3.6 m) für das Schweizerische Rote Kreuz und die Innenraumgestaltung der Biker-Bar des MC SNAKES in Brig.Wie bereits 2012 werde ich auch dieses Jahr am Thuner «Street Art Contest» teilnehmen und versuchen, die Zu-schauer mit meinen Werken zu begeistern.Mehr Infos zu diesem Anlass unter: www.propart.ch.Alle Werke von mir und den anderen Mitgliedern der SOA-Crew sind unter www.soacrew.ch zu finden.

Bist du kreativ und möchtest uns gerne zeigen, was du so drauf hast? Hast du eine Geschichte auf Lager, die wirklich alle hören sollten? Oder möchtest du einfach mal sagen, was Sache ist? Melde dich bei der unikum-Redaktion ([email protected]) für eine Carte Blan-che und krieg den Platz, den du verdienst.

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rätsel

finde die acht unterschiede

Schicke die Lösung stichwortartig oder als Scan bis am 1. Mai 2013 an [email protected]. Dir winkt einer von zwei Bugeno-Gutscheinen im Wert von je 40 Franken.

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Das Ciné 6 im Ryffligässchen kennen die meisten BernerInnen – aber nur von aussen. bild: carlo bischoff

«sex sells» betterMan kann nicht sagen, dass das Sexkino boomt, aber es läuft besser als der Rest der Kinoindus-trie. Ein kurzer Einblick ins Ciné 6 in Bern verrät uns, woran das liegen mag.

carlo bischoff

«Die Reitschule wirkt von aussen auch abschreckend für viele Leute», meint der Kassier des Ciné 6, als ich ihn darauf anspreche, dass das Sexkino im Ryffligäs-schen mitten in Bern für wahrscheinlich die meisten Leute abschreckend sei. Und mit dieser Bemerkung hat der Germanistikstudent wohl nicht ganz unrecht, wenn man bedenkt, was sich jemand für ein Bild von der Reit-schule machen könnte, der selbst noch nie dort war. Auch ich hatte ein falsches Bild vom Sexkino in meinem Kopf, das ich nach dem Schreiben dieses Artikels voll-ständig revidieren muss. Aber alles der Reihe nach.Der Eingang des Ciné 6 war die grosse Hürde, die es für diese Reportage zu überwinden galt. Dabei fühlte ich mich wie ein Soldat bei «Stargate», kurz bevor das Tor in die andere Welt geöffnet wird und man ohne zu wissen,

was einen erwartet, da durchmarschieren muss. Und so war es schliesslich auch, mit einem Schritt im Sexkino verflüchtigte sich die Aussenwelt, verschwanden die ko-mischen Blicke der Passanten. «Grelles Licht?!», war das erste, was ich sah. Erwartet hatte ich den Nachtschatten des Sexgewerbes, aber nichts da: Alles hell, alles sauber, kein Gestank und vor allem freundliche und offene Leu-te.Während dem Rundgang durch das Zwei-Saal-Kino mit zusätzlichen Einzelkabinen erzählt mir der Geschäfts-führer, dass hier früher ein Studiokino namens Apollo geführt wurde. Im Jahre 1988 habe man dann das Ciné 6 daraus gemacht und seit damals sei er hier beschäftigt. Ob man sich verändere, ob man vielleicht abgebrühter werde, wenn man für so eine lange Zeit in einem Porno-kino arbeite, frage ich ihn. «Ich habe eine Frau und eine 27-jährige Tochter. Ziemlich normal», meint er nüchtern, jedoch mit einem kleinen Schmunzeln im Gesicht. Wir sitzen im Foyer an einem Tisch, rauchen eine Zigarette. Ab und zu werden wir von Besuchern unterbrochen, die nicht wissen, wie der Kaffeeautomat funktioniert oder die ebenfalls eine Zigarette rauchen. Die Atmosphäre ist wider Erwarten entspannt – einige Besucher diskutieren über ihre Arbeit und andere, die sich kennen, grüssen sich nur – wie in jedem anderen Kinofoyer auch. «Wir haben genau die gleichen Probleme wie die restliche Ki-noindustrie, halten uns aber seit über 25 Jahren ziemlich gut», sagt mir der Geschäftsführer weiter auf die Frage, wie es denn mit den Besucherzahlen aussehe. Ein Kino-eintritt kostet gleich viel wie sonst auch: 15 Franken oder 13 mit Ermässigung. Ich hake beim Kassier nach, weil ich immer noch nicht verstehen kann, warum jemand ins Sexkino geht. Denn in den beiden Sälen laufen lediglich klassische Hetero-Pornos, Spezielles gäbe es nur in den Kabinen, lasse ich mir sagen. Übers Internet kriegt man schliesslich das gleiche Angebot auch zu Hause und der eigentliche Kick – Sex – ist im Kino verboten. «Das Ki-no ist vor allem ein Treffpunkt, wo sexuell Interessierte, Schwule, Paare und Prostituierte sich begegnen», meint er. Der Film an sich sei überhaupt nicht zentral. Ich wa-ge zu behaupten, es sei ein Auffangbecken für Minder-heiten, doch er widerspricht mir und sagt: «Das finde ich, ist zu stark etikettiert. Aber eine ähnliche Funktion hat das Sexkino natürlich schon und darum ist es gut, dass es dieses gibt.» Auch wenn das Ciné 6 vor allem für Männer jeden Tag von 10 bis 23 Uhr die Pforten öffnet, wird mir nun auch klar, dass es mehr als nur die Befrie-digung der puren Lust ist. Und darin liegt der Grund da-für, warum es dem Sexkino heute vielleicht sogar besser geht als dem «normalen» Kino; was früher als Treff-punkt für ein ganzes Dorf oder ein Quartier diente, ist heute fast nur noch ein Ort der stubenreinen Konsum-gesellschaft.

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