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Ueber Complication yon Sehnervenentziindung mit Gehirnkrankheiten. Von Prof. A. v. Gr~ife. Zu den lehrreichsten Ergebnissen, welche die Unter- suchung mit dem Augenspiegel geliefert hat, gehSrt die h~iufige Coincidenz yon Leiden des Sehnerven mit extraoeularen Krankheitsursachen. Es ist ungef'~ihr drei Jahre her e als ein Patient in meine Behandlung kam, welcher yon versehiedenen Hirnsymptomen, als linkseitiger hemipleetischer Sehw~ehe und Parese im Be- reich des Faeialis, periodiseh wiederkehrenden epileptoiden Anffillen, Erl;3schen des Ged~ehtnisses, iiberhaupt Stumpf- heit der Geistesfunetionen und ausserdem yon einer progressiven Erblindung befallen war. Mein erster Gedanke b.ei der ~iusseren Besiehtigung des Patienten war, dass aueh die Amaurose ihren Grund in L~ihmung des Sehnerven haben mZJehte und demnaeh keine ma- terielle Ver~inderung im Auge oder lediglieh die Zeichen seeund~irer Atrophie des Sehnerven an tier Papille her- vortreten wiirden. Dieser Vermuthung entgegengesetzt, land ich bei der Augenspiegeluntersuchung die Papille sehr bedeutend und zwar unregelm~issig gesehwellt, sie erhob sieh auf der einen Seite steil um auf der gegen- iiberliegenden allm~ilig in alas zukiimmliehe Niveau zuriiekzugehen. Die sonst durehseheinende Substanz

Ueber Complication von Sehnervenentzündung mit Gehirnkrankheiten

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Ueber Complication yon Sehnervenentziindung mit Gehirnkrankheiten.

Von

Prof. A. v. Gr~ife.

Zu den lehrreichsten Ergebnissen, welche die Unter- suchung mit dem Augenspiegel geliefert hat, gehSrt die h~iufige Coincidenz yon Leiden des Sehnerven mit extraoeularen Krankheitsursachen. Es ist ungef'~ihr drei Jahre her e als ein Patient in meine Behandlung kam, welcher yon versehiedenen Hirnsymptomen, als linkseitiger hemipleetischer Sehw~ehe und Parese im Be- reich des Faeialis, periodiseh wiederkehrenden epileptoiden Anffillen, Erl;3schen des Ged~ehtnisses, iiberhaupt Stumpf- heit der Geistesfunetionen und ausserdem yon einer progressiven Erblindung befallen war. Mein erster Gedanke b.ei der ~iusseren Besiehtigung des Patienten war, dass aueh die Amaurose ihren Grund in L~ihmung des Sehnerven haben mZJehte und demnaeh keine ma- terielle Ver~inderung im Auge oder lediglieh die Zeichen seeund~irer Atrophie des Sehnerven an tier Papille her- vortreten wiirden. Dieser Vermuthung entgegengesetzt, land ich bei der Augenspiegeluntersuchung die Papille sehr bedeutend und zwar unregelm~issig gesehwellt, sie erhob sieh auf der einen Seite steil um auf der gegen- iiberliegenden allm~ilig in alas zukiimmliehe Niveau zuriiekzugehen. Die sonst durehseheinende Substanz

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erschien grau getriibt mit einer ungewShnlich s tarken

Beimischung yon Roth, desgleichen die anliegende Netz- haut, wodurch die Chorioidalgr/inze des Sehnerven viillig verwischt war. Die Triibung war im Allgemeinen diffus, im aufrechten Bilde zeigte sic racist ein streifi- ges, der Verbreitung der Sehnervenfasern folgendes Aussehen. Die Netzhautvenen waren verbreitert, ausserordentlieh stark geschliingelt, streckenweise sehr dunkel und traten in der triiben Substanz sehr ungleiehmlissig hervor, die Arterien waren verh~iltnissm~issig d(inn. Die Netzhauttriibung nahm yon der Sehnerveugr/inze eontinuMich ab und umfasste im Ganzen eine Zone yon etwas mehr als 2'" Breite, also in(:lusive der Papille einen Kreis yon circa 5'" im Durehmesser. Unzwei/~lhaft war bier eine ltyper/i- mie und Sehwellung des Sehnerven vorhanden, welehe bei der imensiven TrSbung der Substanz wohl als entziindlich gelten musste. *) Dieser intraoeulare Befund, weleher auf beiden Augen fast congruent war, konnte die beinah complete Erblindung wohl erkl~iren, war abet jedenfalls mit einem Gehirn- leiden eomplieirt, dessert Diagnose bei Erw~igung aller Details, (tie ieh hier unangefiihrt lasse, lange zwi- sehen reehtseitige, r Encephalitis und tumor eerebri sehwankte, allm'31ig abet mehr nach letzter Rieht:mg entsehieden ward. l)a die ~ibrigen Gehirnsymptome viel eher vorhanden gewesen, als die Erblindung, so musste aueh die entziindliehe Ansehwellung des Seh-

*) Der Unterschied dieses Krankheitsbildes gegen eine prin itive retinitis der cinch oder anderen Form lag besonders in der Concen- tration sowohl der Sehwellung als der Triibung auf die PaplUe selbst. Die Abnahme der Veriinderungen mit der centrifugalen Yerflachung der Faserlage, das streifige Aussehen, das Fehlen aller weissen Punkte, ~ie sic als Ausdrack yon Kiirnchenkugel-Aggregatca bei Erkrankung der mittleren Netzhautlagen vorzukommen pflegen, musste in der Ansieht be~t~rken, dass eben die Faserlagc die ]?ortleitung de~ Prozcsses yon dora 8ehnerven nach der Netzhaut bedinge.

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nerven als conseeutiv betrachtet werde% welcher Zu- sammenhang abet zwischen beiden Uebeln bestehen mochte, blieb dahingestelh. PAtient starb nach halb- i~ihriger Beobachtung in einem epileptoiden Anfall. Die Section wies eine sehr ausgedehnte sareomatilse Ge- schwulst in der rechten Hemisphaere hath. Die Unter- suchung der Augen wurde leider nicht gestattet. Der eine Sehnerv hatte iibrigens in den letzten Monaten sein Aussehen wcsentlich ver~indert, es war die Schwelhmg iast vollst~indig zurfickgegangen, die Papille hatte mehr ein weissliches Ansehen gewonnen; nur die noch immer bestehende Scbl~ingelung der Venen und die grauweiss- liche Triibung der an die Papille gdlnzenden Netzhaut- pattie unterschied .ietzt den Befund gegen den gew(ihn- lichen Befund ether Cerebral-Amaurose mit Atrophie des Sehnerven.

Noch in demselben Jahre kam aufs Neue ein Mann, in den dreissiger Jahren, zu mir, bet welch era eine fihnliche Complication yon entzlindlicher Schwel- lung des Sebnerven mit Amblyopia amaurotica und den mannigfachsten Gehirnsymptomen stattfand. Diese letz- teren erlaubten, soweit racine Competenz reicht, noch bis zuletzt eine Entscheidung der Diagnose zwischen link- seitiger Encephalitis und tumor eerebri nicht. Die Ent- artung der PapiIle war ganz dieselbe wie dort, der Sehnerv noeh rSthlicher, in der angr~inzenden Netzhaut einige Ecehymosen. Bemerkenswerth schien mir, dass bet der Riickbildung der Sehwellung die Funktionsst~irun- gen mebr und mehr eine hemiopische Form. entspreeheml der L~ihmung des linken Truncus optieus annahmen. Die Distinctionsffibigkeit nabm etwas zu, blieb aber immer- hin fiusserst besehr~inkt (Schriftprobe No. 18). Der Sehnerv ging sp~iter beinahe in des normale Niveau zuriick, war opak-weiss , die Venen blieben abet zum Theil gescbl~ingelt, die Netzhaut n~cbst dem

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Svhnerv nur mfissig weisslieh getHibt. Anderthalb Jahr sp~iter erlag der ausserhalb wohnende Patient seinem Gehirnleiden und war der Arzt so freundlicb, mir fiber die Obduction einen kurzen Bericht einzusenden. Auch hier war ein, wie es seheint, massenhaftcs Sarcom in der linken Hemisph~ire vorhanden. - - Endlich wurden im Jahre 1858 und 1859 noch zwei analoge Patientea in meiner Klinik beobachtet. Bei beiden sprachen die deutlichsten Gehirnssymptome flit ein centrales Leiden: In dem einen f'ortw/ihrendes Brausen im Kopf, h~ufige Schwindelanfiille mit der Neigung nach einer Seite herfiberzufallen, wiederkehrende . epileptoide Anfiille, denen iedes Mal ein sehr langes Stadium soporosum folgte, Sehw~iel,e des linken Arms und durchfahrende Sehmerzen in demselben, Trfigheit der Spraehe, Ge- d~ehtnissschw~iche, Apathie, Somnolenz; bei dem andern heftige Kopfschmerzen, ab und zu vollst~indige Benom- menheit, Alienation des Geruchs und des Geschmacks, Schwerh0rigkeit, Taubheit des Gefi]hls auf der linken H~ilfie des Gesichts, slfiiter linkseitige Hemiplegie, eben- falls epileptoide Anfiiile, jedoc}, in sehr grossen Inter- vallen, Gcd/i,'htnissschw/ich,. ~, sonst keine auft'~lligen StSrungen der psychisch,,u Funktionen. Die Pupillen waren in beiden F/illen stark erweitert, die amaurotische Affection hatte sich erst entwickelt, nachdem die meisten anderen Gehirnsymptome bereits successiv sich heraus- gebildet batten. I)er Sehm'rv war in der friiher ange- gebenen Weise und zwar inamer doppelseitig afficirt, wieder durch den hohen Grad seiner Schwellung und im ersten Falle durch ,tie stark rothe Verfiirbung auff~llig, sonst ganz die n~imlichen Charaktere, wie bei den friiheren Patienten, namentlich in dem ersten Falle ziemlich ansehnliehe Netzhauteechymosen nahe der PapiIle, welche sp~iter verschwanden. Dieser Pa- tient starb circa ein Jahr nach der ersten Beobachtung. Der zweite unterlag bereits nach wenigen Monaten.

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Die Diagnose wurde ' in beiden wegen der ailo m~iligen Entwicklung der Symptome, der epilep- toiden Anf~ille, des Fehlens aller f~ir Er~eephalitis resp. encephalitis apoplectica argumentirenden urs~eh- lichen Verh~Ituisse und endlieh wegen der Sehnerven- affeklion selbst, die sieh zweimal bei tumoren der Hirn- hemisph~iren vorgefunden~ nach letzterer Richtung ent- schieden und beidemal dureh Pi:ofessor V i r e h o w be- st~itigt. Es handelte sieh aus Neue um Sarcome, beide Mal in der reehten Hemisphere.*) Die Augen d~s letzteren Patienten, bei welehem das Sehnerveri- leiden schon seine H~Jtle fiberschritten, und die geschwelhe Papille sieh zu entf~rben begonnen hatte, wurden, nach Erh~irtung in ehromsaurem Kali, yon Dr. S c h w e i g g e l . untersueht, welcher mir dariiber folgende Notiz i ibergat,:

,,Die Augen haben sieh, da sic bereits erSffnet und einer Untersuehung unterworfen worden waren, nicht besonders conservirt, doeh liessen sich folgende Punkte festhalten.

Die Papille war betr';ichtlieh geschwellt, etwas mehr als 1 Mm. fiber das Niveau der Choroidea prominirend. 2,)

*) Ich babe Krankengesehichte und Scetionsbefunde hier nur kurz angedeutet, zum Theil weil meine Notizen fiber zwei yon den vier F~illen unvollst~indig sind, zum Theil weft ieh dureh diese vorl~iufige Notiz lediglieh die Aufmerksamkeit dot Praktiker auf den Gegenetand hinlenken und eine genauere Kasuistik in Yerbindung mit einigen /ihn- lichen Bctraehtungen iiber Complication yon Augen- und Gehirnkrank- heitcn bei eiuer andern Gelegenheit verSffentliehen werde.

,2) Urn an Sehnitten, die in derl~ichtung der Sehnervenaxe dureh die Papille gelegt sind, die ~She derselben mikrometrisch zu bestim- men, muss man sieher dariiber sein, dass der Schnitt durch die Mitre der Papille geht und wirklich in dcr l~ichtung der Sehnerven, nicht schief zu derselben verl~iuft, da man auf sehiefen Sehnitten zu grosse Maasse erhalten wiirde. Beide Bedingungen kann man als erFtillt ansehen, wenn hinl/inglieh diinnc Sehnittc in ihrcr ganzen L~iuge die Centralgef/isse enthalten. Die Erhebung der normalen Papille iiber das Niveau der Choroidea pflegt unter diesen Bedingungen (an erh~ir- leten Augen) etwas mehr ale 0,5 Mm. zu betragen.

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Unmittelbar neben der Papille ist aueh die Retina verdickt (bis auf 1 Mm.). Es findet sich bier hyper- trophische Entwieklung des Bindegewebsgeriistes in der Nerventhserschicht; durch Zerzupfung lassen sieh daraus sehr lange ver~istelte kernhaltige Faserzellen lind verdickte Nervenfasern isoliren. Letztere zeigen auf gr~isseren Streeken ihres Vcrlaufes einen die Norm um das 4--6faehe iibertreffenden Durchmesser (0,012 his 0,016 Mm.).

In einiger Entfernung yon der Papille beginnt eine andere eigenthfimliche Ver~inderung der Nervenfaser- sehicht. Die Zwischenr~iume der (st/irker als gewiihn- lieh lichtbrechenden) Enden der Radi~irfasern sind an- gefiillt mit (durchschnittlich 0,004 Mm. grossen) rund- lichen, v~311ig homogenen Gebilden, an denen man weder einen Kern noch eine Membran erkennen kann und welche manehmal noeh einen kurzen abgerissenen Fort- satz zeigen.

An Schnitten, die yon der Papille aus in der Rich- tung der Nervenfasern verlaufen, erkennt man, dass diese Ver~inderungen erst in einiger Entfernung yon der Papille und immer an der Limitans beginnen, so dass sie anf~nglich zwischen den noch vorhandenen Nervenfasern und der Limitans liegen, w~hrend sic weiterhin die ganze l)i('ke der Nervenfaserschicht ein- nehmen. Wahrscheinlich entstehen diese K;3rperehen aus einer Degeneration der Nervenfaserschicht.

Von den Ganglienzellen finden sich nut noch sp~ir- liche Reste.

Die Geffisse sind besonders in der N~ihe der Pa- pille mit einer sehr entwiekelten zellenreiehen Adven- titialsehicht versehen. Zerstreut in der Retina (beson- ders im vorderen Absehnitt) finden sich reichliche Hae- morrhagien."

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In dem anderen der letzterw~ihnten F~ille, welcher noch mehr im progressiven Stadium war, fand Prof. V i r c h o w im Wesentlichen eine Wucherung der binde- gewebigen Elemente besonders gegen die Peripherie des Nerven hin. In beiden F~illen waren die Ver~in- derungen auf die Papille und angr~inzende Netzhaut beschr~inkt, der Strang des Sehnerven jenseits des Auges hot keine namhafte Anomalieen.

Nach diesen Befunden diirfte die erw~ihnte Er- krankung in einer Entzlindung der Sehnerven und der anliegenden Netzhautpartie (besonders tier innern Schichten) zu suchen sein, welche eine Hypertrophie des inter.stitiellen Bindegewebes und Degeneration reap. Zerfall der nerv(isen Elemente zurfickl/isst. Ob- wohl nicht die mindesten Elemente aufgefunden wurden, welche eine directe Beziehung zu der intrakraniellen Geschwulstbildung vcrriethen, so schien mir doch die 4 Mal beobachtete Coincidenz zwischen ebea dieser Sehnerv'en-Entziindung und sarcomatiisen Gehirn-Tu- moren einen Grund abzugeben nach einem gemein- schaftlichen Bande zwischen beiden zu suchen. Ich kam aus sp~iter zu erwiihnenden Griinden zu der An- sicht, dass der Zusammenhang wohl lediglich ein mittel- barer sei und in der Druckwirkung beruhe, welche derlei Geschwulstbildungen auf den Sinus cavernosus ausiiben. Nothwendig muss ein solcher Druck zun~ichst zu einer Blutstauung in den retinalen Venen ffihren~ die sich dutch Verbreiterung und Schl~ingelung derselben ausspricht; auch Tumefaction der Papille durch ser~se Durchtr~inkung, welche allm~ilig eine Hypertrophie des Bindegewebes einleitet, liesse sich gut an solche mecha- nische Hyper/imie knSpfen. Etwas mehr Schwierigkeit bietet die Gegenwart wirklich entziindlicher Ph~ino- mene, allein, wenn auch diese nicht in direkter Weise yon der mechanischen Hyper~imie depcndiren mag~ so

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wlirde doeh eine indirekte Herleitung gewiss zul~ssig sein. Nieht nut, dass ein mit mechaniseher Hyper~imie behafietes Organ den gew~ihnlichen Reizursgtchen we. niger Widerstand leistet, sondern es kiinnten aus der Volumsvermehrung selbst und den Blutextravasaten iirtliche Reizursachen hervorgehen. Insonderheit diirfte eine Schwellung des Opticus innerhalb des unnachgiebi- gen Scleralringes sehr wohl zu einer Irritationsursache werden, ja es l~isst sich, wenn einmal diese Schwellung einen gewinsen Grad erreicht hat, sogar an eine Art yon incarceration der Papille denken; auch die An- knfipfung der entziindlichen Reizung an Blutextrava- sate schliesst sich analogen Vorg~ingen im Gehirn un- gezwungen an. Solche Blutextravasate wurden beinahe in alien F~illen nachgewiesen, kllnnen ausserdem, beson- ders in geringerem Umfange, wegen ihrer Lage hinter den getriibten inneren Netzhautlagen recht wohl der ophthalmoskopischen Untersuchung entgehen.

War diese Anknfipfung des Krankheitszustandes an mechanische Hyperiimie richtig, so musste sich der- selbe wenigstens in eiuer fihnlichen Weise ausser den Gehirn-Tumoren auch bei andern Dt'uckursachen an der Basis cranii und in der Orbita wiederfinden. Die Erfahrung hat diese Annahme in der That best/itigt. Freilich muss ich zugeben, dass so exquisite Anschwel- lungen der Papille wie in .ienen vier F&illen sich seit- dem in meiner Praxis nur noch 3 Mal wiedergefunden haben und zwar in einem Falle, in dem ebenfalls ein Gehirn-Tumor bei der Section gefunden worden (ich habe den Fall wegen der sehr fragmentarischen Beob- achtung dcr iibrigen Krankheitssymptome oben uner- w/ihnt gelassen), uud in 2 andern, in denen die Symptomenreihe entsehieden i~ir Gehirntumoren argu-

�9 mentirte ohne dass es bisher zum anatomischen Nach- weis kam, dagegen babe ich einen geringeren Grad

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yon Hervortreibung, sonst mit allen als charakteristisch hervorgehobenen Verfinderungen, beobachtet:

1. In mehreren F~illen yon orbitalen Tumoren. Hier war die D~innheit der Netzhautarteriea yon Anfang an sehr ausgepr~gt, was sich eben aus der Oertlichkeit der Druckursache erkl~irt.

2. In einem Fall, wo nach einem abnorm verlau- fenden Erysipel Exophthalmie dutch Entzlindung des Fettzellgewebes der Orbita und Erblindung eintrat.

3. In leichtem Grade, in einem Fall yon Entziin- dung der Tenon'schen Kapsel. Hier ging Sehnerven- .und Netzhautleiden vollst~ndig zur Norm zur[ick, w~ih- rend es in alien iibrigen zur partiellen oder totalen Atrophie f'dhrte. Wahrscheinlich handelte e s sich nut um mechanische Hyperfimie mit seriiser Durchtr&inkung.

4. Bei zwei Patienten, bei denen es zwar nicht zur Obduetion kam, bei denen abet die Symptomen- reihe mit gr(isster Wahrscheinlichkeit f'dr eine Exsuda- tion an der Basis cranii sprach. Endlich

5. In mehreren Fiillen yon subacut aufgetretenen GehirnstSrungen, welche aller Wahrscheinlichkeit nach aus Encephalitis resp. Encephalomeningitis basirten.

Immerhin kann ich bis jetzt den erw~ihnten Habitus des Sehnerven nicht als unbrauchbar f'dr die Diagnose yon Gehirntumoren betrachten, sofern er in seiner hll- heren Entwicklung besonders mit solehen zusammenfiel. Aber nothwendig muss die Schlussfolgerung eine sehr vorsichtige, mit Benutzung aUer iibrigen Kennzeiehen Hand in Hand gehende sein. Eine welter gefiihrte Beobachtung, besonders eine Anh~iufung yon Sectionen, wiirde wahrscheinlich nachweisen, dass auch die hlich- sten Grade des Uebels ausser Gehirntumoren bei an- deren Krankheiten vorkommen, bei denen der intra- kranielle Druek erheblich steigt. Well eben Letzteres besonders bei Tumoren vorkommt, mag eine gewisse,

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tiir die Diagnose nicht unwichtige Beziehung bestehen. Ich hebe diese Ansiehten bier eigens hervor, weil zwei Vortr~ige, die ich bereits vor l~ngerer Zeit fiber den- selben Gegenstand gehalten habe und deren Protocolle nur in abgekfirzter Form zur VerSffentliehung ge- kommen siad (Gazette hebdomadaire 1859 und Ber]iner medicinische Centralzeitung 1860) zu dem Missversl~ind- niss gefiihrt haben, als wenn ich eine vollkommen patho- gnomische Beziehung dieser Sehnerven-Erkrankung zu Gehirntumoren behaupten wolle.

Gewiss ist die Combination yon Netzhautleiden mit Gehirnleiden fiberhaupt fiir die Lehre der Nervenkrank- heiten, in Sonderheit fiir die neuerdings ventilirte Neu- ritisfrage yon grosser Wiehtigkeit. Den in der vor- ophthalmoseopiseben Zeit autgestelhen SchIussfolge- rungen wird dadureh zum grossen Theil der Boden entzogen. Trat mit einem Gehirnleiden, welches versehiedene L~ihmungen gesetzt, aueh Erblindung auf, so wurde diese frSher in einer sehr naffMiehen Weise auf' ParMyse des Sehnerven bezogen. Wurden nun vollends aus solehen F~illen Riicksehliisse auf (tie Kreuzung der Sehnerven gemaeht, so resuhir- ten hieraus aueh physiologische Irrthiimer. So sind beispielsweise in der Literatur mehrere F~.lle beige- bracht, in denen ein einsei|iges Gehirn]eiden vollkom- mene Erblindung des gegenfiberliegenden Auges her- vorgerufen; meinen Erfahrungen naeh ereignet sieh dies nie dureh Paralyse des S~,hnerven. Eine einseitige Krankheit in der HemispMire, sei es Apoplexie, Enee- pha]itis oder Tumor, maeht, wenn sie iiberhaupt auf die Sehnervencentren wirk(, immer nut hemiopische StSrungen auf dam einen resp. auf beiden Augen, nie- ma]s aber eiue vollst~indige E~blindung auf demselben oder dem entgegengesetzten Auge. Finder Letztere statt, so ist entweder das Gehirnleiden nicht mono]a-

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teral, sondern es sind multiple Herde vorhanden, oder es exisfiren gteichzeitig Ver~inderungen an der Basis cranii, welche direkt auf die St~imme der Optici wirken, oder es ist eine Complication mit einem peripherischen Sehnerven- und Netzhautleiden vorhanden. Dass ich diese Grunds~itze auf die alte Lehre der Semidecus- sation basire, habe ich bereits mehrfach hervorgehoben. Deren Einfluss auf die Prognose gewisser Gehirnamau- rosen ist ein erheblicher. Bei einem Apoplecticus, der hemiopische Gesichtsfeldbeschr~nkung nach dem Insult zuriickbehalten hat, ist totale Erblindung niemals zu flirchten, so lange die Charaktere einer einseitigen Er- krankung, selbst mit secundilrer Encephalitis, vorhan- don sind.

Es giebt iibrigens ausser der geschilderten Form yon Neuro-retinitis, welche sich dutch eine erhebliche Schwellung, Riithnng und Triibung der Papille markirt und meines Erachtens yon mechanischer H.y'per~imie ausgeht, noch eine andere Form, welche sich zu ence- phalitischen und encephalomeningitischen Proeessen hin- zugesellt und vielleicht als eine absteigende Neuritis verhiilt. Die Papille schwillt hier anch an und trllbt sich, Ersteres jedoch in weir geringerem Grade ohne steile Erhebung an irgend einer Seite, die Farbe ist mehr grau, allenfalls rSthlich-grau, abet niemals so intensiv hyper~imisch als deft, ferner geht der Process, der sich auch allmiiliger, als dort entwickelt, in weir grSsseren Abstand yon der Papille und auf alle Schichten der Netzhant tiber, in welcher letzterer sich meist weisse Plaques und zahlreiche Apoplexien finden. Anatomisehe Untersuchungen miissen entscheiden, ob in der That, wie ich prlisumire, bier tier Strang des Sehnerven continuirlich erkrankt ist und eine direkte Fortleitung der ver~inde- rungen vielleicht bis in den centralen Herd besteht, oder ob es sich ohne solehe Continuifilt lediglich um

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ein Hinzutreten analoger Processe in den Nerven und der Netzhaut handelt. Als Beispiel fiir diese Formen, die nicht selten zu sein scheinen~ citire ich folgenden Fall:

Ein Mfidchen yon circa 20 Jahren wurde mir voll- st.~ndig erblindet vorgestellt; sie war einige Monate zu- vor ohne bekannte Gelegenheitsursache yon heftigen Kopfschmerzea in der Stirn- und Seh]Megegend be- ihllen worden, zu denen sich alsbald Benommenheit, Er- brechen, Delirien, krampfhafie Zuf'dlle an den beiden obe- ten Extremit~iten hinzugesellt. Mehrere Tage hindurch war Patientin in einem fast bewusstlosen Zustande gewesen. Alsdann warer~ die Krankheitserscheinungen allm'~lig zuriiekgegangen, jedoeh hare Patientin, als sie wieder Rechenschaft geben konnte, Alles doppelt gesehen, auch stellten sich noch zuweilen Kopfschmerzen ein. Das Sehverm(igen nahm innerhalb 14 Tagen rasch ab, am Ende dieser Frist war vollst~indige Erblindtmg ein- geweten. Bet der Uatersuehung zeigte sich: beider- seitige Abducens-L~ihmung (aim Ursaehe der friiheren Diplopia), unvollkommene An~sthesie im Bereieh des linken Trigeminus, Parese einzelner linkseitiger Oeulo- motorius-Aeste und absolute beidorseitige Amaurose, bet stark erweiterter und starter Pupille. Was war yon vorn herein natfirlicher, aIs bier die Erblindung eben- tails auf Paralyse des Opticus zu basiren; offer~bar war ein meningitischer Process vorhamlen gewesen, d~,r sehr wohl die silmmtlichen IAihmungserscheimmgen erkl~ren konnte. Dennoch verhielt die Sache sich an- ders. Der Augenspiegel zeigte eine beiderseitige Ent- ziindung des Sehnerven und der Netzhaut, ersteren rSthlieh-grau getriibt, abet nur leicht geschwe]lt, Venen breit, geschllingelt, Arterien schmal, die Netz- hauttriibung nachbarlich dem Sehnerven ziemlich diffus, nut an einzelnen Stellen bet starker VergrSsseruag

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leicht streifig~ dieselbe dehnt sich welt in das Bereich der Netzhaut aus. Zahlreiche kleine Apoplexien, selbst noch 4,5"' yon der Papille entfernt, ausserdem weisse Stippchen, Punktgruppen und Plaques, ~ihnlich denen, wie sic bei morbus Brightii vorknmmen. Die Gegend der ma- cula lutea auf der einen Seite in der bekannten stern- fSrmig gesprenkelten Weise entartet. Mit einem Wort es handelte sich hier um eine Neuritis und Retin.itis, welche sich mit dora meningitisehen oder encephalo- meningitischen Processe combinirt hatte. Ob diese, oder gleichzeitige Paralyse des Opticus die Erblindung bedingt, ist fi'eilich eine andere Frage. D a s Krank- heitsbild unterschied sich, wie bereits oben generell be- merkt, yon dem friiher Beschriebenen: 1. durch die geringere Schwellung der Papille, 2. durch die gerin- gere RSthung derselben, 3. dutch die. Ausdehnung der Ver~inderungen fiber den dem Sehnerven benaehbarten Bezirk, 4. durch das Participiren der mittleren, vielleieht hinteren Netzhautlagen. Diese spricht sich (abgesehen yon tier Verbreitung tier Triibung jenseits desjenigen Bereichs, in welchem die Faserschicht m~iehtig ist) dutch des Auftreten kleiner weisser Pfinktchen und Punkt- gruppen und dutch Erkrankung der faserfreien Gegend an macula lutea aus.

Ein ganz /ihnlicher Fall ist noch jetzt in meiner Behandlung. Ein Herr aus Polen, einige zwanzig Jahre air, war unter dumpfen, zuweilen sich ans stei- gernden, vorwaltend linkseitigen Kopfschmerzen in Be- nommenheit, Stumpfheit der Geistesfunctinnen, Tr&igheit der Spraehe und endlich halb blSdsinnigen Zustand verfallen. Allm~ilig hatten sieh Andeutungen yon recht- seitiger Facialis-Parese, rechtseitige hemiplectische Schw~iche und beiderseitige Amaurose eingefunden. Die Diagnose wurde auf linkseitige Encephalitis resp. Encephalomalaeie gestellt mit diffuser Verbreitung, Be-

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theiligung der Hirnrinde (miiglicherweise auch multiplen Herden). Die Augenspiegcluntersuchung zeigt, eine iihnliche Neuroretinitis, wie bei iener Patientin, nut fehlen his jetzt alle weissen Fleeken resp. plaques und die zugeh;3rigon Veriinderungen um die fovea centralis. W~ire bier das pe~'ipherische Leiden nicht nachweisbar gewesen, so h~itte ich jedenfalls, um die doppelseitige vollst~indige Amaurose zu erkl~iren, multiple Erweichungs- herde, in specie auch reehtseitige, angenommen, vor- ausgesetzt, dass nicht andere L~ihmungen yon Gehirn- nerven besonders der Oculomotorii auf die Complica- tion mit einem Leiden an der Basis cranii (meningitis chronica) geFdhrt h3itten.