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ARCHIV DER PHARMACIE, ^I . 24. Rand, 1. Heft. -. -,u, -2 A. 0 r igirialmi t t h eil uri g en, Ueber den Wurmsamen und die quantitative Bestimrnung des Santonins. Der Pharmaceutischen Section an der Versammlung Dcutsclicr Nntmforschw und Aerzte in Strassburg am 18. September 1886 vorgetragen von F. A. FJuckiger. Nachdem das Santonin im Jahre 1830 in bekannter Weisc: ails der Apotheke hervorgegangen war, nahm E. Nerck in Darm- sBdt im Jahre 1833 die Darstellung desselben in die Hand iind fiihrte diese in immer grasserem Masstabe ails, iiachdem sich das Santonin in Darmstadt als Anthelminthicum bewahrt hatte. Die Einfiihrung desselben in die wissenschaftliche Medicin ist aber haupt- sachlich das Verdienst eines Mannes, der seinen Namen ruhmvoll auf einem ganz anderen Gebiete verewigt hat. J u 1 i u s R o b e r t M a y e r aus Heilbronn war es, welcher im Juli 1838 zur Erlangnng der Doctorwurde der Universitat Tiibingen die Dissertation ,,Ueber das Santonin" (46 Seiten, 8 O, Heilbronn 1838) vorlegte, in welcher er 2 Dutzend Ealle der Anwendung des neuen Wurmmittels bespracli und dadurch die Aufmerksamkeit der Aerzte in weitesten Kreisen aiif classelbe lenkte. Erst nach Jahrzehnten begannen auch andere Fabriken sich an der Lieferung des mehr und mehr begehrten Santonins zii betheiligen, was bisweilen mit Schwierigkeiten verbunden war. So z. R. wurde der beziigliche Versuch voii dem doch sonst so findigen H. Tromms- do r ff in Erfurt nach einigen unbefriedigenden Erfahrungen alsbald aufgegeben.2 Aber sptiter verlegten sich die Firinen G e h e & Co. in Dresden, C. k ' . Biihringer & Siihnc in Mannheim, Joh. Dietlr. Bieber in Hamburg ebenfalls aQf die Darstellung des Santonins und 1) Fluckiger, Pharmakognosie 782. 2) gef. Mittheilung des Herrn J o 11. D i u d r, B i e b e r. Amh. d. Phwm XXIV. Bds. 1. Haft. 1

Ueber den Wurmsamen und die quantitative Bestimmung des Santonins

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Page 1: Ueber den Wurmsamen und die quantitative Bestimmung des Santonins

ARCHIV DER PHARMACIE, ^I .

24. Rand, 1. Heft. -. -,u, -2

A. 0 r igirialmi t t h eil uri g en,

Ueber den Wurmsamen und die quantitative Bestimrnung des Santonins.

Der Pharmaceutischen Section an der Versammlung Dcutsclicr Nntmforschw und Aerzte in Strassburg am 18. September 1886 vorgetragen

von F. A. F J u c k i g e r .

Nachdem das Santonin im Jahre 1830 in bekannter Weisc: ails der Apotheke hervorgegangen war, nahm E. N e r c k in Darm- sBdt im Jahre 1833 die Darstellung desselben in die Hand iind fiihrte diese in immer grasserem Masstabe ails, iiachdem sich das Santonin in Darmstadt als Anthelminthicum bewahrt hatte. Die Einfiihrung desselben in die wissenschaftliche Medicin ist aber haupt- sachlich das Verdienst eines Mannes, der seinen Namen ruhmvoll auf einem ganz anderen Gebiete verewigt hat. J u 1 i u s R o b e r t M a y e r aus Heilbronn war es, welcher im Juli 1838 zur Erlangnng der Doctorwurde der Universitat Tiibingen die Dissertation ,,Ueber das Santonin" (46 Seiten, 8 O, Heilbronn 1838) vorlegte, in welcher er 2 Dutzend Ealle der Anwendung des neuen Wurmmittels bespracli und dadurch die Aufmerksamkeit der Aerzte in weitesten Kreisen aiif classelbe lenkte.

Erst nach Jahrzehnten begannen auch andere Fabriken sich an der Lieferung des mehr und mehr begehrten Santonins zii betheiligen, was bisweilen mit Schwierigkeiten verbunden war. So z. R. wurde der beziigliche Versuch voii dem doch sonst so findigen H. Tromms- do r ff in Erfurt nach einigen unbefriedigenden Erfahrungen alsbald aufgegeben.2 Aber sptiter verlegten sich die Firinen G e h e & Co. in Dresden, C. k'. Biihringer & Siihnc in Mannheim, Joh. Dietlr. Bieber in Hamburg ebenfalls aQf die Darstellung des Santonins und

1) Fluckiger, Pharmakognosie 782. 2) gef. Mittheilung des Herrn J o 11. D i u d r, B i e b e r.

Amh. d. Phwm XXIV. Bds. 1. Haft. 1

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2 F. A. Fliickiger, Wurmsamen u. d. quantitative Bestimmung d. Santonins.

schliesslich gesellten sich derselben noch bei T. and H. S m i t h in Edin- burgh, C h a r l e s P f i t z e r in New-York und endlich H. Mauer & Go. in Orenburg.

Neben dem Hause Merck brachte es zuerst dasHaus Gehe & Co. (1876), hierauf die Firma Joh. Diedr. Bieber in Hamburg, fertig, eben so gut Santonin herzustellen.

Die Artemisia, welche das Santonin enthdlt, scheint in sehr grosser Verbreitung in den ungeheuren Steppengebieten einheimisch zu sein, welche man nur sehr ungefahr durch den 40. und 50. Breiten- grad und den 80. und 65. Meridian Gstlich von Greenwich umgrenzen mag. Wenn man aber, wie es wohl gerechtfertigt ist, in der be- treffenden Artemisia eine Form der LinnB'schen A r t e m i s i a mar i t ima zu erblicken geneigt ist, so ist fur diese auch noch ein sehr grosser Theil des westlichen, asiatisch - europaischen Floren- gebietes mit herbeizuziehen. Den Systematikern und Pflanzen- geographen muss es iiberlassen bleiben, zu entscheiden, ob sie schliesslich die Wurmsamenpflanze als eine besondere Art, A r t e - misia Cina, A. Contra , A. S t e c h m a n n i a n a oder A. pauc i f lora festhalten wollen. Sicher ist, dass die santoningebende Pflanze in ganz ungeheurer Menge im Gebiete des A r y s wachst, welcher sich in ungefihr 68" 20' 6stl. Lange in der Ssyr-Darja, den Jaxartes der Alten, ergiesst. Nur wenig siidlich von der Miindung liegen die Ruinen der Stadt Otrar, welche nach den italienischen Handels- buchern des XIV. Jahrhiinderts a an einer der grossen innerasiatischen Handelsstrassen lag , auf welcher die bliihenden italienischen Handels- republiken den merkwurdigen Verkehr mit dem fernsten Oaten betrieben. Damals mag also wahrscheinlich der Wurmsamen schon aus dieser Gegend von den Venezianern, Florentinern und Genuesen geholt worden sein und zwar bildete er bereits einen so bedeutenden Posten, class er z. B. nicht nur Wurmsamen, Semi da vermi 4, oder Wurmsiimlein , Semente da vermi 5, sondern schlechtweg Samlein,

1) vergl. Fliickiger, 1. c. 777. 2) Fluckiger, 1. c. 1012 (Pegolotti). - Fluckiger u. Tschirch,

Grundlagen der Pharmacognosie 1885. 25. 3) vergl. Heyd, Geschichte des Levantehandels im Mittelaiter I1 (1879)

232. 239. 4) C e cc he t t i , La medicina in Venezia nel 1300. Archivio Veneto XXV

(1883) 375. 5) ebenda XXVI, ad ann. 1316.

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F. A. Fluckiger, Wurmsainen 11. d. quantitative Bostiininuiig d. Santonins. 3

Seincnzina, Senientina hiess, woraiis die Benennung Semen Cinae iin medicinisch - pharmaceutisclien Lateiii entstand.

Es ist demnach nicht melir die offene, unbegrenzte Steppe, u ~ l c l i e so ganz vorziigsweise iind zwar, wio es sclieint, mit Aus- schhiss andcrer Aitemisia - Artcn von der Wurmsanienpflanze bewohnt wird. Die Steppe Ustlich vom Ssyr-Darja nahert sich ostwarts all- mzhlich dcm Gebirgsrande des Ksra Tail: Ala Tau, Talas Tau und wie die Ketten alle heissen, welclie in nicht allzu weitem Abstande den Ocbirgswinkel bilden, in dcsscii Offnmig, an einem Nebenflusse des Arys, dio 1865 von den Russell croberte Stadt Tschimkent (Chemkend) in 59[/, O ijstl. Lange und 42 O nijrdl. Breite mit ihren iingefahr 6000 Einwohnern licgt ; ihr Namc - , Torfstadt bedcutend, spricht schon fur veranderte klimatische Vcrhiiltnisse.

In so ungeheurer tfppigkeit wachst die genannte Artemisia in der Gegend von Tschimkent , dass bisher, haoptshhlich aus diesem Rezirke , alljahrlich 1 Million bis 1 600 000 Kilogr. der abgestreiften Blilthenkiipfchen, Flores Cinae , nach Westcn ausgcfulirt wurden , urn auf Santonin verarbeitet zu werden Gegen diese ausgedehnten Lander Turkestans , welclie nun beinahe vollstiindig von Russland unterworfen sind, strebt schoii liingst d:ts centralrussifiche Eisenbahn- notz und hat sich denselbcn bereits his auf die verhaltnismiissig geringe Entfernung von ungefiihr 10 Breitcngraden genahert. An ihrer Endstation, in der bedeutenden Handelsstadt 0 r e n b u r g (48 OO@ Einwohner), unter 55 O iistl. LBngc, einc Santonin-Fabrik anziilegen , ist. ein einleuchtender Gedanke. Denn zur Bcfiirderung der Droge stehen blos Kamele ziir Verfiigung ; jedes Thier vermag niir iingefiihr 300 kg zii bewlltigen und die 3000 Werst (= 3200 Kilo- meter) Entfcrnung his Orenburg in 75 bis 90 Tagen zurficklegen.

Es war daher ein wohl gerechtfertigter Plan, nicht ferner 98 Procent nnniitzes Rolimatcrial nacli Europa zii schleppen, um 2 Procent Santonin zu gewinnen , sondern die Pabrikation dieses Stoffes nach Asien oder doch an die letzte Eisenbahnstation zu ver- logen. Infolge der von J o 11. D i e cl r. B i e b e r ausgegangenen An- regiing wnrde 1883 von 11. M a u e r & Co. in Orenburg in der That. einc Santoninfabrik angelegt. Krirz nnchher , Ende 1884 aber ging die nissisclie Firma Iwanof f & Ssawinkof f in Taschkent nocli

1) Fli ickiger, Docunientc z ~ i r Gescliichtc der Pharinacie, Halle 187G, 16. uud Pharmakoguosio 781.

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4 F. A. Fliickiger, Wurmsatnen u. d. quantitative Bestiinmung d. Santonins.

einen Schritt weiter, inclem sie, berathen von Herrn Joh. Diedr. I3 i e b e r , die Einrichtung einer Santoninfabrik in Tschimkent selbst unternahm. Diese wurde dem bewahrten Muster der eben genannten Fabbrik in Hamburg nachgebildet, indem man die Maschinen von den Gebri idern B urgdorf in Altona ausfiihren liess. Herr Ingenieur L. W. Knapp besorgte 1884 die Aufstellung derselben in Tschimkent nnd leitet nunmehr, mit der Fabrikation des Santonins nach cler Methode der Hamburger Fabrilr vollkommen vertraut , den Betrieb.

Die Droge erreicht in der zweiten Hiilfte Juli und im August ihre Reife, d. 11. den hijchsten Santoningehalt, wie beliannt unmittel- bar vor dem Aufbliihen. Die Kirgisen sammeln dieselbe und liefern sie, bis zu 10000 kg tiiglich, meist im September, an die Pabrik ab. Hier wircl die Ware aid grossen Bijden aufgespeichert und nach und nach, gewiihnlich 5000 bis 7500 kg irn Tage, verarbeitet. Die vielen russischen Feiertnge driicken die dnrchschnittliche Zahl der Arbeitstage im Monat auf 20 herab Die schwierige Beschaffung des Brennmaterials wurde vorerst grcsstentheils dadwch uberwunden, dass man zii diesem Zwecke den gesamten Abfall der Wursamen- pflsnzc herheizieht. Auch sol1 demnachst die Salzsaure , deren man sicli zubr Abscheidung des Santonins beclient, an Ort und Stelle dar- gestellt werden, wie es bereits in Betreff des Weingeistes der Fall 1st So wird clenn diese Fabrik im Stande sein, zunachst ungefahr GOO 000 kg Rohmaterial im Jahre zu bewatigen und mindestens 1 2 000 kg Santonin zu liefern; 9000 kg des letzteren haben schon Ilamburg erreicht; nach einem mir von Herrn Bieber giitigst zuge- stellten reichlichen Muster zu nrtheilen , in viillig tadelloser Beschaffen- heit. Das Haus schiitzt den jahrlichen Giesamtbedarf der Welt an Snntonin auf 20000 bis 30000 kg und wird sehr bald in der Lage sein , denselben vollstandig decken zu k6nnen.

Der gegenwgrtige Preis des Santonins aus Tschimkent, 18 Mark ilss Kilogramm, in Hamburg genommen , wird es den europaischen Fabriken unmijglicli machen , ihre Arbeit fortzusetzen ; niir der- ,jenigen in New -York kann dimes nocli gelingen , so lange sie durch den unsinnigen Schutmoll von 6 Dollars auf dein Kilogramm ge- borgen bleibt.

Wie ich im Archiv der Pharmacie, Band 222 (1884) Seite 612 anfiilirte, hatte ich durch die Giite des Herrn K n a p p schijne Exemplare tler Wunnsamcnpflanze a m Tschimkent erhalten iind sie iihereinstimmend gefunden mit dcr diirch P e t z h o 1 d t aus Turkestaii

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F. A. E’liickiger, Wurmsarticn ti. d. quantitative Bestimmung d. Santonius. *L

mitgebrachten und von W i l lk om m unter dem Naiiien A r t e 111 i s i a Gina BERG bescbriebenen Pflanze, welche mir 1872 von Wil lkomm mitgetheilt worden war. Auch von der Web e r ’ schen Art em is i a paucif lora unterscheidet sich die Pflanze aus Tschimkent nicht. Zn dem gleichen Schlusse , dass namlich die beiden zuletzt genannten Pflanzen eine und dieselbe Species darstellen, kam neuerdings auch Marii! in einer, wie es scheint, recht sorgfaltigen Arbeit,a welche inir aber nur aus der Besprechung Collin’s im Journal de Phar- macie et de Chimie XI (1885) 55 bekannt ist.

Ar temis ia paucif lora WEBER ist abgebildet in B e n t l e y and T r i m e n , Medicinal Plants I11 (Lieferung 13, 1876) Tafel 1 5 7 ; die Pflanze aus Tschimkent in Kiihle r’s Medizinalpflanzen, Gera-Unterm- haus 1885, Lieferung 12 und 13. Beide Abbildungen lassen zu wiinschen iibrig.

Im Sommer 1884 hatte Herr Knapp wieder die grosse Freund- liclikeit, fur mich in der Nahe von Tschimkent etwas ansehnlichere Mengen der Wurmsamenpflanzc in verschiedenen Moriaten besorgen und mir in folgenden Proben zukommen zu lassen:

1) Im Monat M a i gesammelt, mit kaum schon sichtbaren Bliithen- linospen ; die Stengel reichlich mit den viillig kahlen Blattchen besetzt.

2) Pflanzen des Monats J u n i , als gute Sorte bezeichnet ; hier sind die Stengel schon weniger bebliittert.

3) Durch heisse Winde beschadigte Pflanzen des J 11 11 i von ziem- licli gleichem Aussehen wie Nr. 3.

4) A n f a n g s J u 1 i gesammeltc Exemplare. 5) Desgleichen von Ende Juli. 6) Als erntereif bezeichnete Ware cles Monat,s A u g u s t , mit

7) Die im S e p t e m b e r gesammelte Probe besteht aus veibliihten Wiirzel bis 6 Decimeter hoch.

Kiipfchen an der Spitze kahler Stengel. Die Zeitangaben beziehen sich auf den russischen Kalendor. Herr Cand. Pharm. Joseph Ehl inger unternahm auf mciiieri

Wuiisch die Bestimmung des Santonins in diesen Proben der Wurm-

1) Botanische Zeitung 1872. 130. 2) Der Pariser Ecole de Pharmacie 1854. vorgelegte These. -- Die

Thesen der Pariser Schule gelangen nicht in den Buchhandel, sind also nur dem engen Kreise der franxosischen Hauptstadt zuganglich und fur die ubrigc Welt so gut wie verloren, sofern nicht, wie im vorliegenden Falle? doch cin Bericht dariiber in die dffentliclikcit geIangt !

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6 F. A. Fliiokiger, Wurmsamon u. d. quantitative Bestimmung d. Santonins.

samenpflanze, zu welchem Zwecke aber nicht etwa die Blutheii- kijpfchen abgelijst werden konnten , sondern es wurden zur Unter- suchung die ganzen, mehr oder weniger beblatterten Triebe der Pflanze genommen, jedoch die blattlosen, holxigen unteren Theilc des Stengels beseitigt. Es war also von vornherein nicht zu erwar- ten, dass der Satoningehalt sich so hoch herausstellen wiirde wie in den Bluthenkcpfchen, den Flores Cinae des Handels , von welchen ja Blatter, Stiele und Stengel ausgeschlossen sind. Aus der besten Ware gewinnt die Fabrik in Tschimkent bis 2l/, Proc. Santonin.

Herr E h l i n g e r ging zunachst darauf aus, eine gute Methode zur Bestimmung des Santonins mit Hulfe der gewijhnlichen Ware eineuiiben, indem er sich an das Verfahren anlehnte, dessen sich die Fabriken zur Darstellung desselben bedienen. Man kocht dort die Droge rnit verdiinntem Weingeist unter Zusatz von Kalkmilch, wodurch santoninsaures Calcium und Calciumsalee von Harzsauren in das Filtrat gelangen. Die letzteren Sauren fallen auf vorsichtigen Zusatz von Salzsaure heraus und werden abgeschtjpft, worauf erst das Santonin durch ferneren Zusatz von Saure frei gemacht wird. Concentrirt man die Flussigkeit , so krystallisirt , wie man angibt! das Santonin nach einigen Tagen heraus.

Dieses Verfahren erwies sich zu dem gedachten Zwecke ungeeignet. Das Harz scheidet sich, nach Herrn E h l i n g e r ' s Beobachtung, schr schlecht ab und das Santonin war nicht zur Krystallisation zu bringen.

D r a g e n d o r f f empfiehlt in seiner ,,Qualitativen und quanti- tativen Analyse von Pflanzen und Pflanzentheilen" (1882) S. 148, statt der Kalkmilch Natronlauge anzuwenden, um das Santonin aus- xuziehen. Aber die Abliochung des Wurmsamens rnit der Lauge gibt eine triibe , dunkelbraune Fliissigkeit , welchc jedem Filtrirver- suche spottet. Bei Anwendung der Saugpumpe mit 60 ern &neck- silberdruck versagte das Filtrum den Dienst , bevor auch niir ein Viertel der Fliissigkeit durchgelaufen war. Dieser Antheil wurde eingedampft und nach dem Erkalten mit Salzsaure neutralisirt. Das triibe Gemisch sollte nun nach D r age ndorff wieder filtrirt werden, was sich aber als unausfuhrbar herausstellte. Derselbe riith auch, das auf eben erwahnte Art freigemachte Santonin rnit Chloroform auseuschutteln ! was Herrn E h li n g e r ebensowenig gelang. Er erhielt ein dickflussiges Gemenge , aus welchem sich das Chloroform selbst nach vielen Stunden, auch in der Wkme und nach weiterem Zusatze von Cliloroform oder Alcohol nicht abschied.

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1”. A. Fluokiger, Wurnisarncn u. d. quantitative Bcstimmung d. Santonins. 7

Es sclieint demnach, dass die Lauge aus dem Wurmsameii eine Menge harzartiger Stoffe aufnimmt, welche sich aus der Liisung nicht entfernen lassen und welche das Santonin zuriickhalten.

Da man durch Kalkmilch weniger stark gefgrbte Auszuge erhalt, so wendete sich Herr E h l i n g e r doch wieder dieser zu, schied aber die sauren Harze a m der von Alcohol nahezu befreiten Fliissigkeit vermittelst Kohlensaure ab ; der gelbgriine , ziemlich reichliche Nie- derschlag setzt sich gut ab und man erhalt ein Hares Filtrat A. Nachdem dieses stark eingedainpft worden war, wurde es mit einem miiglichst geringen Ueberschusse von Salzsaure versetzt. Aber auch jetzt schied sich, selbst nach einigen Tagen, kein Santonin ab und ebensowenig gelang es , dasselbe vermittelst Chloroform auszuschiit- teln. Dasselbe musste wohl schon durch die Xohlensaure in Frei- heit gesetzt, aber in Ldsung behalten worden sein. Deshalb wurde ein anderes Ma1 die Flussigkeit A. ohne Salzsaure auf ein kleines Volum eingedampft , worauf sich nach einigen Stunden, neben einer amorphen Substanz , weisse Krystallflitter zeigten. Wurden diese letzteren in Weingeist anfgeliist und Stiickchen festen Aetznatrons mit der Aufliisung iibergossen, so trat die fur das Santonin bezeich- nende Rothfirbung sehr schdn ein.

Auf dieses recht befriedigende Ergebnis gestiitzt , legte sich Herr E h l i n g e r folgendes Verfahren zurecht. Man kocht 5 Theile iles Rohmaterials mit 1 Th. geldschten Katkes und einer reichlichen Menge verdiinnten Weingeistes von 0,935 sp. Gew. 2 Stunden lang, giesst die Fliissigkeit nach dem Erkalten ab , wiederholt diese Behand- lung noch wenigstens zweimal und destillirt den Alcohol von den gesamten Ausziigen ab. Die zuriickbleibende Fliissigkeit skttigt man in der Kalte mit Kohlensaure , filtrirt nach einigen Stunden von dem Niederschlage ab und dampft das Filtrat zur Trockne ein. Den Ruckstand reibt man rnit Thierkohle und Weingeist von 0,935 spec. Clew. an und spiilt den Brei in einen Eolben, um denselben mit einer angemessenen Menge Weingeist zu digeriren. Nach dem Auf- kochen bringt man den Kolbeninhalt auf ein Filtrum, wascht clieses rnit heissem Weingeist aus und verjagt den Alcohol aus der durcli- gelaufenen Fliissigkeit , in welcher nach einigen Stunden Krystalle des Santonins anschiessen.

Die Brauchbarkeit dieser Methode wurde an den aus einer hiesigen Drogenhandlung bezogenen Flores Cinae erprobt. Herr P e t e r s e n aus Kopenhagen erhielt aus lufttrockener Ware 1,SP pC.,

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Herr Gerock 1,88 und ein drittes Ma1 1,92 pC. Santonin. Seither wird diese Santoninbestimmung regelm assig in meinem Laboratorium als Uebungsbeispiel ausgefiihrt und hat sich bewahrt.' Einer in angegebener Art ausgezogenen Probe van 20 g Wnrmsamen setzte Herr G e r o c k 0,30 g Santonin zii und behandelte die Droge nun- mehr in gleicher Weise; das wieder gewonnene Sontonin wog 0,%9 g.

Nach diesen Erfahrungen unternahni Herr E h l i n g e r die qum- titative Bestimmung des Santonins in den von Herrn Knapp gesand- ten Proben und gelangte nach der obigen, zum Theil von Herrn E h l i n g e r selbt ausgebildeten Methode zu nachstehenden Zahlen :

F. A . Fliitdigor , Wurnisarncn u. d. quantitative Bcstimmurig d. Santonins.

- __

NO.

- __

1 2 3 3b 4 5 6 7

Bezeichnung des RohmatoriaIs

-- -- - _ _ ~.

Mai . . . . . . . Juni, vom Wind beschzdigt Juni, gitte Sorte . . . Wurzel dieser Sorte . . Anfang Juli . . . . . Ende Juli . . . . . August . . . . . . September . . . . .

Gewicht dos

ufttrockenen lohrnaterials ._ ~ - _ ._-~ ~ - _ _- -

175 g 300 - 170 - 300 - 360 - 130 - 200 - 100 -

Gcwicht des erhalt. Santonins, bei l o O D

getrocknot

0,265

0,800 kein Sant.

3,622 1,710 2,282

kein Sant.

~- _ ~ _ -~ - - -

1,189

--- ____

Prooente

- ~ _ -_ ~-

0,151 0,396 0,470

1,006 1,315 1,141

-

-

Wahrencl die von No. 1 gelieferten Aiisztige nur w n i g und zwar grtinlich gefirbt w:uen, gaben die folgenden Nummern mit zunehmender Entwickelung der Bluthenktipfchen mehr und mehr leb- haft und rein gelb geF6rbte Filtrate. Dass zur Fabrication die Pflanzen der Monate Juli und August (des riissischen Kslenders) genommen werden , erscheint nach den obigen Befunden vollliommen gerecht- fertigt.

Es ergibt sich auch hierans, dass das Santonin nur in den oberirdischen Theilen , nicht in der derb holzigen , saftlosen Wurzel ontsteht. Dasselbe ist wie No. 1 zeigt, nicht auf die Bluthen- liijpfchen beschrgnkt , sondern tritt auch in den kleinen Blattchen

1) Neuerdings crhielt Hen Paul Schmidt durch funfmaliges A n s - kochen dor glciclicn Ware 2,224 pC. Santonin,

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P. A. l'luckiger, ~Viiimsaiiien 11. d. qiiantitaf Ivc Hcstim~~lung d. Santoninh. 9

anf , womit die Stengel dcr Friihjahrspflanze sehr reichlich besetzt nind. Die lrleinen grundstiindigen, unfruchtbaren B1atterbiische1, \vclche die Pflanze ncben den bliihbaren Axen treibt, standen iins nicht zii Gebote ; es muss spiiterer Untersuchung vorbehalten bleiben, zu prufen, ob die ersteren auch Santonin enthalten.

Bcim Herannahen der Bluthezeit fallen die StengelblLttcheri ab ; - sic hatten wohl die Aufgabe, den Bliithenanlagen sclion Santonin zii liefern? Dieses erreicht sein Maximum im Juli und August iind verschwindet sofort aus der verbliihten Pflanze , welche immer rioch die DeckblafAchen, aber nieht mehr die Bluthen selbst tragt. - Es ware wiinschenswerth, auch den Gehalt der Pflanze an atheri- schem Oele in ihren verschiedenen Altersstufen zu vergleichen, wozu heilich erheblich mchr Material erforderlich ware. Vermutlich folgt die Zunahme und Abnahme des Oeles auch einigermassen dem Auf- trcten und Vcrschwinden des Santonins.

Die Frage nach der Bedeutung des Santonins liegt nahe. Kaum wird es den Zweck haben, Insecten anzulocken, vie1 eher dfirfte es wohl im Gegentheile dazu dicnen, dcrgleichen wiihrend der Rluthezeit fern zu halten. Einer solchen Vorstellung gegenuber blcibt jedenfalls aber doch die Frage offen, ob ein solehes Schutz- mittel neben dem reichlicher vorhandenen und sicherlich auch in einigc Entfernung wirksamen atherischen Oele erforderlich sei.

Bemerkenswerth ist auch , dass die Umgebung der Oeldrusen bei den Artemisia -Arten aus der Abtheilung Absinthjum sich einer reichen Bekleidung aus jenen eigentiimlichen wagerechten Haaren erfreut, welche z. B. dcr gemcine Wermut , Artemisia Absinthium, ziir Schau tr2Cgt.2 Es schcint, class diese Haargebilde wohl allen Arten der genannten Abtheilung zukommt; ich finde sie e. B. bei den kleinen Artemisien der Gletscherrcgion in den Alpen und Jos. Mij l l e r hat sic bei Gelegenheit dcr sibirischen Artemisia frigida W i 11 d e n o w , welche als ,, Sierra Salvia " mch in den siidlichen Rocky Mountains bekannt ist , beschricbcn und abgebildet. Der Abtheilung Seriphidium , zu welcher die Wurmsamenpflanze gehtirt, fehlen solche liegende Haare; die Knauelchen, welche hier und da

~

1) Dass No. 5 in obiger Tabelle reichhaltiger ersoheint, ist wohl ohne

2) Vergl. F l i i c k i g e r , Pharmakognosie 648. 3) Pharmaceutische Centralhalle 1883.

Belang.

Separatabdruck: Americanimho Drogen, 1). 5.

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an dieser letzteren vorkommen , bestehen aus viel liingeren , einfachen und weich bandartig in einander gewirrten Haaren; sonst ist die Pflanze ganz kahl.

Wahrscheinlich ist das Santonin auf die Abtheilung Seriphidium, wenn nicht gar nur auf Artemisia maritima beschrankt, sofern man diese Art im weitesten Sinne auffasst. Dann muss ihr auch bei- gezZihlt werden jene Wil ldenow'sche A r t e m i s i a g a l l i c a , welche in Siidfrankreich , Corsica, Oberitalien und in den Abruzzen ein- hcimisch ist. H e c k e l und S c h l a g d e n h a u f f e n haben darin San- tonin (und eine damit isomere Verbindung) nachgewiesen ; viel- leicht darf man diese Thatsache zu Gunsten der botanischen Zusam- mengeharigkeit der asiatischen ,, Artemisia Cina " und der abend- landischen A. maritima deuten.

Man sieht also, wie merkwiirdig richtig der Instinct der alten gallischen, am C a e s a r bekannten S a n t o n e s oder S a n t o n i , zwi- schen der Gironde und der untern Charente, an der franziisischen Westkiiste, war. Wie Dioscor ides und P l i n i u s berichten, benutz- ten sie die bei ihnen wachsende Artemisia (maritima s. gallica) als Wurmmittel , so gut wie Blinliches aus Kleinasien iiberliefert ist. Auch in Turkestan wird der Gebrauch des Wurmsamens vermutlich uralt sein. Kaum wird man annehmen diirfen, dass die Kunde dieses Wnrmmittels sich ails einer der genannten Gegenden nach der anderen verbreitet habe. Es ware von Interesse, noch andere Formen der A. maritima , iiberliaupt andere Artemisien , in dieser Hinsicht zu untersnchen. Herr Gerock hat auf meinen Wunsch einige Kilogramme der bliihenden Spitzen von A. vulgaris aus der hiesigen Umgegend verarbeitet , aber kein Santonin darans erhalten.

Ebenso hat Herr B i e h l y in mcinem Laboratorium , ,Semen C i n a e b a r b s r i c u m " (Artemisia ramosa Smith?) frei von Santonin befunden.

F. A. Fliicliiger, Wurnisamen U. d. quantitativc Bestimmung d. Satitonins.

1) A r d o i n o , Floro des Alpos-Maritinies. Menton, 1879, p. 210: Anti- bes , Cannes , B l'ile Sainte - Marguerite.

2) A r c a n g e l i , Flora italiana, Torino 1882, 366: nei colli di Solferino, nel Ravennate, nell' Abruzzo ed in Corsica. - A r t e m i s i a m a r i t i m a nach A r c a u g o l i in Italien nur an den toscanisohen Kiisten.

3) So wie auch ein Alkaloi'd; ein solohes war in dom kauflichen Wurm- samen, der in meinem Laboratorium untersucht wurde, vermittelst der gewohn- lichen Reagentien nicht zu erkcnnen.

4) F l u c k i g e r , 1. c. 780.

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E. Reichardt, Chemisohe Uutorsnchung d. Minoralwassers zu Langcnsalza. 11

Die vorstehenden Zeilen lassen erkennen, wie sehr ich bei der Aiisarbeitung derselben den Herren soh. Diedr . Bieber und L. W. K n a p p zu Danke verpflichtet war ; es ist mir eine angenehme Pflicht, diesem hiermit Ausclruck zu geben.

Chemische Untersuchung des Mineralwassers (Schwefelwasser) zu Langensalza.

Von Dr. E. Reichardt in Jena.

Die Schwefelquelle zu Langensalza ist schon seit Anfang die- ses Jahrhnnderts bekannt, wo dieselbe znfkllig bei Uferbauten gefun- den wurde. Die weitere Untersuchung des Ursprunges fiihrte jedoch mehr entfernt und h6her gelegen zu der cigentlichen Quelle, wie sie damals schon gefasst wurde ; die Fassung wurde neuerdings noch verbessert , so dass die jetzige Badedirection eine neue , mBglichst vollstandige chemische Untersnchung fiir geboten hielt, deren Ergeb- nisse im Nachstehenden folgen.

Langensalza liegt in der NBhe von Gotha an der Eisenbahn Gotha -1,einefelde und in der den Thiiringer Wald umgebenden For- mation des Muschelkalkes und des Keupers , in welchen namentlich auch Gyps und Kohlen in grasseren und kleineren Lagern vorkom- men. Unmittelbar bei Langensalza fand Credner das Vorkommen von Gyps und Lettenkohle, welche haufig auch grassere Mengen von Kiesen mit sich fiihrt, so dass man den Ursprung der Schwe- felquelle wohl nur auf diese Schichten zuriickfiihren kann.

Langensalza wird von dem Salzabach durchflossen , welcher sodann in die Unstrut fliesst , in deren Nahe , jedoch ausserhalb des Ueberschwemmungsgebietes , die Schwefelquelle auf einer Wiese mit Mauerung gefasst ist , welche einen eichenen Bottich' enthalt , unten durchliichert , und durch diese unteren Oeffnungen dringt das Quell- wasser lebhaft und reichlich empor.

Die Ftilhing des Wassers, namentlich auch zur Bestimmung dcr Kohlensaure mit einer bestimmten Menge Chlorbaryum und Aetz- ammoniak versehen, iibernahm freundlichst Herr Apotheker Tromms- dorff in Langensalza, welcher die Flaschen gut versiegelt und ver- packt nach Jena sendete, ebenso unternahm derselbe die wieder- holten Bestimmungen der Warme von Quelle , Fluss und Luft, urn