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1124 9. Ueber die ElastWtatszahlem eirhiyer Btoffe mit niedrigem Schmelxpumkt; vom Clemems Schaefer. Der Quercontractionscoefficient oder die Elasticitatszahl (p) hat bekanntlich in der Theorie der Elasticifat eine grosse Rolle gespielt. Durch die neueren experimentellen Untersuchungen ist es ausser Frage gestellt, dass die Theorien von Navier, Poisson, Lam6 und Clapeyron, die fur p den Wert ‘I4 forderten, nicht haltbar sind. Es darf ferner als sicher be- trachtet werden, dass p von der Temperatur abhangt in cler Weise, dass die Elasticitatszahl mit steigender Temperatur ihrem oberen Grenzwerte ‘I2 sich nahert. Dagegen sind die Neinungen noch dariiber geteilt, bei welcher Temperatur dieser Wert ‘Is erreicht werde. Stokes und Bock sind wohl die ersten, die die Ver- mutung ausgesprochen haben, dass dies hei der Schmelz- temperatur der Fall sei. Spater bin ich selbstl), unabhangig von ihnen , durch versuchsweise Extrapolation der Gleichung 1-at 1 + Pt = (1 + Po)-’ wo a und @ die Temperaturcoefficienten des Elasticifats- bez. Torsionsmoduls bedeuten, zu dem namlichen Schluss gefiilirt worden. Zu entscheiden ist diese Frage wohl nur experimentell. Wenn man sich indessen auf die St.offe beschrankt, deren Elasticitatsconstanten mit den gewohnlichen Mitteln gemessen zu werden pflegen, so ergeben sich grosse Schwierigkeiten, wenn man in Temperaturgebiete gelangt, die dem Schmelz- punkt naheliegen. Andererseits haben die Korper mit niedrigem Schmelzpunkt, wie Selen und die Blei-Zinn-Cadmiumlegirungen, 1) C1. Schaefer, Ann. d. Phys. 5. p. 226. 1901.

Ueber die Elasticitätszahlen einiger Stoffe mit niedrigem Schmelzpunkt

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Page 1: Ueber die Elasticitätszahlen einiger Stoffe mit niedrigem Schmelzpunkt

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9. Ueber d i e ElastWtatszahlem eirhiyer Btoffe mit niedr igem Schmelxpumkt;

vom Clemems S c h a e f e r .

Der Quercontractionscoefficient oder die Elasticitatszahl (p) hat bekanntlich in der Theorie der Elasticifat eine grosse Rolle gespielt. Durch die neueren experimentellen Untersuchungen ist es ausser Frage gestellt, dass die Theorien von Nav ie r , Po i s son , L a m 6 und Clapeyron , die fur p den Wert ‘I4 forderten, nicht haltbar sind. Es darf ferner als sicher be- trachtet werden, dass p von der Temperatur abhangt in cler Weise, dass die Elasticitatszahl mit steigender Temperatur ihrem oberen Grenzwerte ‘I2 sich nahert. Dagegen sind die Neinungen noch dariiber geteilt, bei welcher Temperatur dieser Wert ‘Is erreicht werde.

S tokes und Bock sind wohl die ersten, die die Ver- mutung ausgesprochen haben, dass dies hei der Schmelz- temperatur der Fall sei. Spater bin ich selbstl), unabhangig von ihnen , durch versuchsweise Extrapolation der Gleichung

1 - a t 1 + Pt = (1 + Po)-’

wo a und @ die Temperaturcoefficienten des Elasticifats- bez. Torsionsmoduls bedeuten, zu dem namlichen Schluss gefiilirt worden.

Zu entscheiden ist diese Frage wohl nur experimentell. Wenn man sich indessen auf die St.offe beschrankt, deren Elasticitatsconstanten mit den gewohnlichen Mitteln gemessen zu werden pflegen, so ergeben sich grosse Schwierigkeiten, wenn man in Temperaturgebiete gelangt, die dem Schmelz- punkt naheliegen. Andererseits haben die Korper mit niedrigem Schmelzpunkt, wie Selen und die Blei-Zinn-Cadmiumlegirungen,

1) C1. Schaefer, Ann. d. Phys. 5. p. 226. 1901.

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Elasticilatszahlen einzger Stoffe mit niedriyem Schmelzpunkt. 1 125

so unangenehme elastische Eigenschaften, vor allem eine so niedrige ElasticitSitsgrenze , dass die gewohnlichen Methoden versagen , ganz abgesehen von der Schwierigkeit , aus diesem Material brauchbare Drahte zu erhalten.

Es ist indessen moglich, an die Untersuchung dieser Stoffe heranzutreten, wenn man sich einer Methode bedient, die im Princip von Corn u l) angegeben und vor kurzem von S t r aub el a) durchgearbeitet worden ist.

Legt man einen Stab, dessen Lange gegen seinen Quer- schnitt , insbesondere gegen seine Dicke betrachtlich ist , auf zwei gleichweit von der Mitte und den Enden entfernte Schneiden, und biegt ihn durch Anhangung von Gewichten an seine beiden freien Enden, so tritt infolge der Biegung eine sattelartige Kriimmung der Oberflache ein: ein der Langs- richtung der gebogenen Platte paralleler Schnitt ist ein Kreis- bogen, und mar ein convexer; ein zur Langsrichtung senh- rechter ein concuver. Das Verhaltnis der beiden Kriimmungs- radien ist der gesuchte Quercontractionscoefficient.

Statt die Kriimmungsradien selbst zu messen, giebt es ein einfacheres Verfahren. Stellt man der antiklastischen Flache eine ebene Glasplatte so gegeniiber, dass sie parallel der Tangentialebene an den Mittelpunkt der Flache ist, und beleuchtet man mit parallelem, senkrecht einfallenden , mono- chromatischen Licht, so sind die entstebenden Interferenzcurven parallel und senkreoht der Biegungsebene Hyperbeln mit gemein- samen Asymptotenrichtungen. Der Winkel zwischen den letzteren ist nun charakt,eristisch fiir die Elasticitatszahl. Bezeichnet man denjenigen der beiden Winkel, welcher die Normale zur Biegungs- ebene enthalt, mit 2 sp, so ist t@cp = y.

Wie schon erwahnt, ist die Methode erst durch S t r a u b e l fiir genauere Messungen brauchbar geworden; ich kann be- ziiglich aller Einzelheiten der Methode sowohl wie der Apparate auf seine schon citirte Abhandlung verweisen, die ich in allen Punkten nur bestatigen kann.

Ich habe nun nach dieser Methode Messungen von p aus- gefiihrt fur Selen, Wood’sche und Lip ow itz’sche Legirung.

1) A. Cornu , Compt. rend. 69. p. 333. 1869. 2) R. Straubel , Wied. Ann. 68. p. 370. 1899.

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1126 Cl. Schaefer.

Platten, die allen Anforderungen genugen, erhalt man, indem man das flussige Material zwischen zwei Spiegelglas- platten giesst und langsam erkalten lasst. Die genannten Legirungen haben dabei allerdings den Nachteil, dass schon nach 5 Min. eine Oxydation der Oberflache eintritt; dann bleibt nichts anderes iibrig, als die Platte neu zu giessen, und eine neue Messuugsreihe zu beginnen. Bei R o se’schem und d’Arce t’- schem Metal1 ist der erwahnte Uebelstand so stark, dass die Messung vereitelt wurde.’)

Bevor ich nun zur Mitteilung der Resultate ubergehe, muss ich noch einer Fehlerquelle Erwahnung thun, die ich nirgendwo erwahnt gefunden habe. Als ich bei meinen ersten Messungen an einer Selenplatte die Durchbiegung ver- grosserte, um zu sehen, inwieweit der Anforderung der Theorie genugt wiirde, dass p unabhangig von der Grosse der Durch- biegung sei, und nachher mit dem Druck auf Null zuriickging, fand ich Werte von p, die geradezu unmoglich sind, namlich grosser als ‘I2, bis zum Werte von 0,7 hinauf. Dies beruhte darauf, dass die Platte infolge Ueberschreitung der Elasticitats- grenze eine permanente B i e p n g bekommen hatte, die die beiden Kriimmungen nicht yleichmassiy beeinflusste. Das Verhaltnis der Eriimmungsradien kann unter diesen Umstanden natiirlich alle miiglichen Werte annehmen; aber es ware natiirlich ver- fehlt, diese Zahlen als Werte von p anzusprechen; letzteres ist j a in diesem Falle gar nicht mehr durch das Verhaltnis der Kriimmungsradien definirt. Man muss sich also nach jeder Messung davon uberzeugen , dass die Elasticitatsgrenze nicht uberschritten worden ist ; ein einfaches optisches Kenn- zeichen dafiir ist das Verschwinden der Hyperbeln beim Zuriick- gehen auf den Druck Null. Dass Hrn. S t r a u b e l dieser Um- stand nicht aufgefallen ist, erklart sich daraus, dass die Elasticitatsgrenze der meisten Glassorten erheblich hoher ist, als die der hier in Frage kommenden Materialien, und daher bei den angewandten Biegungen eine Ueberschreitung der Grenze kaum vorkommt; wenigstens habe ich sie bei Glas nie beob- achten konnen.

1) Die genannten Legirungen in genauer Zusammensezung ver- danke ich der Liebenswiirdigkeit von Hrn. Prof. G r u n m a c h , der die- selben bei seinen Messungen der Oberfltichenspsnnung untersucht hat.

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Elasticitatszahlen einiger Stoffe mit niedngem Schmelzpunkt.

Die erhaltenen Resultate sind nun folgende :

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delen . . . . . . ,u = 0,447 (Schmelzpunkt: 125') Wood'schc? Legirung . ,u = 0,489 [ ,, 65 O )

Lipowitz'sche Legirung ,u = 0,452 ( ,, 75 0 )

Die mitgeteilten Werte beziehen sich auf Zimmertemperatur. Ausserdem habe ich bei Selen noch eine Versuchsreihe bei verschiedenen Temperaturen gemacht , in der Weise, dass ich die Platte noch warm untersuchte (ca. 80 O C.)? und dann wahrend des Erkaltens in Abstiinden von 10 zu 10 Min. Messungeii machte. Dabei erhielt ich folgende Zahlen:

Temperatur 80OC. (circa) ' p = 0,490 Zeit t = 0 Min. ' p = 0,480 2 = 10 ,, , y = 0,480 t = 20 ,)

11 = 0,448 t = 30 ,, Temperatur 2O0 C. p = 0,445 t = 40 ,, Diese Zahlen erscheinen geeignet. die Auffassung zu stiitzen,

Ch a r l o t t en bu rg , Physik. Institut d. Techn. Hochschule. dass fur den Schmelzpunkt p = 1/2 wird.

(Eingegangen 18. September 1902.)