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634 A. Oberbeck. 111. Ueber d4e Reihwny in fre4e.n Flihsigkeits- oberjldchen; won A. Oberbeck. 1. I n seinen schonen Untersuchungen iiber die Fliissig- keiten, welche dem Einfluss der Schwere entzogen sind, er- ortert Plateau l) die Frage, warum sich nur einige wenige Flussigkeiten zur Herstellung dunner Lamellen eignen, die meisten dagegen zu diesem Zweck ganzlich ungeeignet sind. Nach seiner Ansicht spielen dabei zwei Eigenschaften der Flussigkeiten eine wesentliche Rolle : ihre Oberflachenspan- nung und ihre Oberflachenzahigkeit. Die Untersuchung dieser zweiten Eigenschaft ist der Zweck dieser Abhandlung. Als Zahigkeit einer Fliissigkeit bezeichnet man be- kanntlich ihre Abweichung von dem Zustande vollkommener Fluiditat, und gibt sich dieselhe dnrch einen Reibungs- widerstand zu erkennen, welchen verschieden schnell sich bewegende, benachbarte Fliissigkeitstheile auf einander aus- iiben. Bus Versuchen , welche spater ausfiihrlicher mitge- theilt werden sollen, folgerte P l a t e a u , dass dieser Reibungs- widerstand verschieden gross ist, je nachdem sich die Fliissigkeitstheile im Innern oder in nachster Nahe der freien -0berflache der Flussigkeit bewegen, sodass man eine innere Zahigkeit und eine Oberflachenzahigkeit zu unter- scheiden hat. Da die hydrodynamischen Differentialgleichun- gen mit Beriicksichtigung der Reibung bis jetzt in bester Uebereinstimmung mit allen bekannten Thatsachen stehen, in denselben aber die Reibung durch eine einzige fur jede Fliissigkeit charakteristische Constante - den Reibungs- coefficienten - ihren Ausdruck findet, so wiirde man die von Plateau entdeckte Erscheinung auch in der folgenden Form ausdriicken konnen : Der Reibungscoefficient ist zwar im Innern einer Fliissig- keit constant, in sehr kleiner Entfernung von der freien Oberflache ist derselbe nber eine Function der Entfernung von derselben. 1) Plateau, Mbmoircs de 1’Acad. de Bolgiqne. 37. p. 1-102. 1868; Pogg. Ann. 141. p. 44-5s. 1870.

Ueber die Reibung in freien Flüssigkeitsoberflächen

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634 A. Oberbeck.

111. Ueber d4e Reihwny in fre4e.n Flihsigkeits- oberjldchen; won A. O b e r b e c k .

1. I n seinen schonen Untersuchungen iiber die Fliissig- keiten, welche dem Einfluss der Schwere entzogen sind, er- ortert P l a t e a u l) die Frage, warum sich nur einige wenige Flussigkeiten zur Herstellung dunner Lamellen eignen, die meisten dagegen zu diesem Zweck ganzlich ungeeignet sind. Nach seiner Ansicht spielen dabei zwei Eigenschaften der Flussigkeiten eine wesentliche Rolle : ihre Oberflachenspan- nung und ihre Oberflachenzahigkeit. Die Untersuchung dieser zweiten Eigenschaft ist der Zweck dieser Abhandlung.

Als Zahigkeit einer Fliissigkeit bezeichnet man be- kanntlich ihre Abweichung von dem Zustande vollkommener Fluiditat, und gibt sich dieselhe dnrch einen Reibungs- widerstand zu erkennen, welchen verschieden schnell sich bewegende, benachbarte Fliissigkeitstheile auf einander aus- iiben. Bus Versuchen , welche spater ausfiihrlicher mitge- theilt werden sollen, folgerte P l a t e a u , dass dieser Reibungs- widerstand verschieden gross ist, je nachdem sich die Fliissigkeitstheile im Innern oder in nachster Nahe der freien -0berflache der Flussigkeit bewegen, sodass man eine innere Zahigkeit und eine Oberflachenzahigkeit zu unter- scheiden hat. Da die hydrodynamischen Differentialgleichun- gen mit Beriicksichtigung der Reibung bis jetzt in bester Uebereinstimmung mit allen bekannten Thatsachen stehen, in denselben aber die Reibung durch eine einzige fur jede Fliissigkeit charakteristische Constante - den Reibungs- coefficienten - ihren Ausdruck findet, so wiirde man die von P l a t e a u entdeckte Erscheinung auch in der folgenden Form ausdriicken konnen :

Der Reibungscoefficient ist zwar im Innern einer Fliissig- keit constant, in sehr kleiner Entfernung von der freien Oberflache ist derselbe nber eine Function der Entfernung von derselben.

1) P l a t e a u , Mbmoircs de 1’Acad. de Bolgiqne. 37. p. 1-102. 1868; Pogg. Ann. 141. p. 44-5s. 1870.

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Alle iiber freie Fliissigkeitsoberflachen angestellten Versuche lehren , dass die Fliissigkeitstheile in densel- ben sich in wesentlich anderen Zustanden befinden, als im Innern. Es ware daher wohl denkbar, dass auch ihre gegenseitige Reibung eine andere ist. H a t man (Poisson) es doch fiir nothwendig gehalten, anzunehmen, dass die Dichtigkeit in grosser Nhhe der freien Oberflache sich schnell andert. Obgleich hierfiir bisher weder ein experi- menteller Beweis. beigebracht worden ist, noch auch in theoretischer Beziehung diese Annahme als eine nothwendige bezeichnet zu werden braucht, so wiirde doch dieselbe a19 selbstversttindliche Folgerung eine Veranderung des Reibungs- coefficienten in sich schliessen.

Die Reibung zweier verschiedener Fliissigkeiten gegen einander ist wesentlich verschieden yon der Reibung im Innern einer Flussigkeit. l) Man wurde auch hierbei eine ahnliche Anschauung sich bilden konnen, dass namlich der Reibungscoefficient im Innern der ersten Fliissigkeit einen constanten Werth hat, bei grosser Anniiherung an die Grenzflache sich schnell andert und jenseits derselben wie- der denjenigen Werth annimmt, der ihm fur die zweite Fliissigkeit zukommt,.

Diese Betrachtungen lehren, dass die Oberflachenzahig- keit mit unseren bisherigen Vorstellungen von der Natur der Fliissigkeiten durchsus nicht unvereinbar ist. Ob die- selbe wirklich vorhanden ist, ob es also wirklich gerecht- fertigt ist , einen anderen Werth des Reibungscoefficienten an der Oberflache als im Innern anzunehmen, dariiber kann natiirlich nur durch das Experiment entschieden werden.

2. Die Plateau’schen Fundamentalversuche uber die Oberflachenzahigkeit bestanden in der Beobachtung der Zeit, welche eine Magnetnadel braucht, um aus einer Ab- lenkung von 90° in den magnetischen Meridian zuruckzu- fallen. J e nachdem die Magnetnadel in der freien Ober- flache oder im Innern einer Fliissigkeit sich bewegte, waren hierzu verschiedene Zeiten nothig. War die Zeit im ersten

1) Vgl. 0. E. Meyer, Pogg. Ann. 113. p. 68, 411. 1661.

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Fall grosser, als im zweiten, so schloss P l a t e a u auf eine grossere, bei entgegengesetztem Verhalten auf eine kleinere Oberflachenzahigkeit. So sind nach P l a t e a u Fliissigkeiten, bei denen die Reibung an der freien Oberflache grosser ist als im Innern: Wasser , wasserige Salzlosungen , Glycerin, besonders aber Losungen von Albumin und Saponin in Wasser. Umgekehrt ist bei Alkohol, Terpentinol, Aether, Bchwefelkohlenstoff die innere Zahigkeit grosser , als die aussere. Endlich liess sich aus einem Gemisch von Wasser und Alkohol eine Flussigkeit herstellen, bei welcher die beiden beobachteten Zeiten einander gleich sind. P l a t e a u hat noch in etwas anderer Weise versucht, fur den Unterschied der Reibung im Innern und an der Oherfliache Zahlenwerthe zu ermitteln. Er beobachtete die Winkel, urn welche die in den Meridian zuruckfttllende Nadel sich uber die ur- sprungliche Gleichgewichtslsge hinaus bewegte. Unter der Annahme, dass der Flussigkeitswiderstand dem Quadrate der Geschwindigkeit proportional ist, lassen sich hieraus Zahlenwerthe fur die Zahigkeitsunterschiede in verschiedenen Fallen berechnen. Indess gibt P l a t e a u I) selbst zu, dass dieselben keinen Anspruch auf Genauigkeit mttchen konnen.

Nach der Veroffentlichung dieser Versuche ist die Oberflachenzahigkeit von L u v i n i z, und M a r a n g o n i %) unter- sucht worden, und ist letzterer zu dem Resultat gekommen, dass eine Unterscheidung zwischen innerer und Oberflachen- zahigkeit nicht gerechtfertigt sei. Vielmehr glaubt derselbe, dass die von P l a t e a u beobachteten Vorgange, besonders die griissere Verzogerung der Bewegung der Magn$nadel an der Oberflache einiger Fliissigkeiten theils durch Capillar- wirkungen infolge der Qestaltsreranderung der freien Ober- flache, theils durch Verunreinigung derselben durch fremde Substanzen bewirkt worden sind. Insbesondere nimmt er an, dass letztere eine diinne elastische Schicht an der Ober-

1) P l a t e a u , MEm. de l'Acad. de Belg. 37. p. 76. 1868. 2) Luvini, Phil. Mag. (4) 40. p. 190-197. 1870. 3) M a r s n g o n i , Nuovo Cimento (2) 5-6. 11.239-273. 1872; (3) 8.

1). 50-68, p. 97-115, p. 193-212. 1879.

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fliiche bilden und bei Bewegung eines Kiirpers in der Ober- flache derselben eine Ar t von elastischer Wirkung entgegen- setzen. In seinen Entgegnungen l) halt P l a t e a u seine ur- sprungliche Ansicht aufrecht. Anstatt mich auf eine Kritik der gegeniiberstehenden Meinungen einzulnssen , schien es mir wichtiger, die fraglichen Erscheinungen von neuem nach einer veranderten Methode zu untersuchen. Diese Methode sollte die folgenden Bedingungen erfullen:

a) Die Wirkungen der Reibung sollen sich trennen lassen von Capillarwirkungen an der freien Oberflache oder von einer (nach M a r n n g o n i ) etwa vorhandenen Oberflachen- elas ti citat .

b) Die Reibungswiderstande sollen durch Zahlenwerthe ausgedriickt werden, welche wirklich als Mnass fur dieselben anzusehen sind.

c) Diese Zahlenwerthe sollen vergleichbar sein, sowohl bei derselben Fliissigkeit im Innern und an der Oberflache, als auch bei verschiedenen Fliissigkeiten unter gleichen Umstiinden.

Dass hierbei nicht die gewohnlichen Methoden zur Be- stimmung der Reibungscoefficienten angewandt werden konnten, ist leicht einzusehen. Bei der Stromung von Fliissigkeiten durch Capillarriihren kommt die freie Ober- fliiche gar nicht in Betracht. Aber auch die drehende Bchwingung einer Scheibe ist keineswegs zur Untersuchung der hier in Ffage kommenden Erscheinungen geeignet. Lasst man dieselbe in verschiedenen Entfernungen von der freien Oberflache schwingen, so hat schon 0. E. M e y e r a) beobachtet, dass die Reibungswiderstande bei Annaherung an dieselbe abnehmen. Dies ist auch nach der von 0. E. Me y er 3) entwickelten Theorie dieser Schwingungen gar nicht anders zu erwarten. Nach derselben hangt der bei weitem grijsste Theil der Wirkung auf die Scheibe von den-

I! Pla t eau , Bull. de 1'Acad. de Belg. (2) 34. p. 401-419; (2) 48.

2) 0. E. Meyer, Pogg. Ann. 113. p.415. 1861. p. 106-128. 1880.

3) I. C. p. 62-67.

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jenigen Fliissigkeitstheilchen ab, welche sich vertical iiber oder unter der Scheibe befinden, nicht aber von denjenigen, welche mit ihr in derselben Horizontalebene liegen. 1st die uber der Scheibe liegende Fliissigkeitsschicht sehr diinn, so folgt sie den Schwingungen der Scheibe ohne Riicksicht auf den etwaigen Werth des Reibungscoiifficienten.

Die Plateau’sche Methode endlich ist wohl geeignet, qualitativ die fragliche Erscheinung nachzuweisen; sie ge- stattet aber nicht eu entscheiden, ob die grossere Zeit, welche der Magnet an der Oberflache zur Riickkehr in seine Gleichgewichtslage braucht, von einer vergrosserten Reibung oder von anderen entgegenwirkenden Kraften herriihrt.

3. Ich habe daher nach einer langeren Reihe von Vor- versuchen die folgende Methode benutzt, welche im ganzen den oben gestellt,en Anforderungen geniigt. An zaei feinen, gut ausgegliihten Platindrahten hangt bifilar ein Messing- kreuz, welches einen kleinen Spiegel tragt zur Beobachtung der Schwingungen mit Scala und Fernrohr. Die beiden horizontalen Arme desselben sind mit Schrsubengewinden versehen, auf welchen geeignete Gewichte verschoben werden konnen, sodass die Schwingungsdauer beliebig verandert wer- den kann.

An dem nech unten gehenden Theil konnen geeignete Korper befestigt werden, welche dazu bestimmt sind, inner- halb der Fliissigkeit Schwingungen auszufiihren (vgl. Taf. V Fig. 5). Ich habe dazu hauptsachlich schmale und diinne Platten oder Cylinder von Messing benutzt. Der ganze Apparat hangt an einem geeigneten Gestell und konnte mit Hulfe einer Mikrometerschraube beliebig gehoben und ge- senkt werden, ohne dabei um die Verticalaxe gedreht zu werden. An der Schraube konnte man noch eine Hebung von 0,Ol mm ablesen. Endlich war an dem Apparat eine kleine Magnetnadel befestigt, rnit deren Hulfe man die be- schriebene Vorrichtung ohne Erschutterung in drehende Schwingungen versetzen konnte. Man kann dann die Schwingungsdauer und die Abnahme der Schwingungen in bekannter Weise mit grosser Gennuigkeit bestimmen. Die Versuche wurden in cler Weise angestellt, dass die Platte

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sich zunachst ganz in der Fliissigkeit befand, und ihr oberer Rand eine bestimmte Entfernung von der freien Oberflache hatte; ferner wurde dieselbe so weit gehoben, dass ihr oberer Rand in der freien Oberflache lag oder dieselbe um eine bestimmte Strecke uberragte.

In beiden Fallen setzt die Fliissigkeit der Platte einen gewissen Widerstand mentgegen, der eine Abnahme der Ampli- tuden bewirkt. 1st die Reibung der Flussigkeitstheile in der freien Oberfllche grasser als im Innern, so wird auch dieser Widerstand grosser sein. Urn denselben aber in der gunstigsten Form zu beobachten, musste dem zur Aufnahme der Fliissigkeit bestimmten Gefass eine moglichst geeignete Form gegeben werden. Dasselbe war rechteckig und hatte eine Lange von 150 mm und eine Breite von 30 mm. Die langen Seitenwande bestanden aus Glasplatten. Ausserdem war noch die Vorrichtung getroffen, dass zwei andere Glas- platten, den ersten parallel, in das Gefass eingesetzt wer- den konnten, sodass sich Beobachtungen bei verschiedenen Abstanden der Seitenplatten anstellen liessen. Diese An- ordnung stellte sich aus folgenden Griinden als nothwendig heraus. Dreht sich der Messingstreifen um eine verticale Axe im Innern einer seitlich unbegrenzten Fliissigkeit, so setzt derselbe zunachst und unmittelbar diejenige Fliissig- keitsmenge in schwingende Bewegung, welche einen Cylinder fiillt, dessen Durchmesser und Hohe durch Lange und Hiihe des Streifens bestimmt sind. Es versteht sich von selbst, dass infolge der Reibung auch noch die angrenzende Fliissig- keit an der Bewegung Theil nimmt, indess jedenfalls mit schnell abnehmender Starke. Liegt der obere Rand des Streifens in der freien Oberflache, so wiirde gewissermassen eine bewegte Scheibe von der bezeichneten Grosse heraus- genommen , welche hauptsachlich, wenn auch nicht aus- schliesslich, in Bewegung gesetzt wird. Reibung in der Oberflache wiirde hauptsachlich in den Randern dieser Scheibe vorkommen, wo bewegte und nahezu ruhende Schichten aneinander grenzen. Es ware daher zu befurchten, dass hierbei die etwa vorhandene Oberflachenzahigkeit nur einen geringen Einfluss ausubt. Anders verhalt es sich,

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wenn die Flussigkeit durch zwei enge Platten eingeschlossen ist, an welchen dieselbe haftet. Es muss dabei die Wirkung der Reibung , besonders aber diejenige einer erhbhten Rei- bung an der Oberflache hervortreten. Schon P l a t e a u hat bei seinen oben angefiihrten Versuchen in ahnlicher Weise die Wirkung der Reibung verstarkt. F u r die Richtigkeit der ganzen Betrachtungsweise merde ich spater eine Reihe von Versuchen mittheilen.

4. Die Bewegung der Flussigkeit unter dem Einfluss der schwingenden Platte ist jedenfalls eine ziemlich compli- cirte, und scheint es mir fur den Augenblick unmoglich, dieselbe aus den allgerneinen hydrodynamischen Gleichungen zu berechnen. Auch ihre Riickwirkung auf das schwingende System geschieht wohl nicht nach einem Gesetze , welches sich in einfacher Weise durch einen mathematischen Aus- druck wiedergeben liesse. Ich bin daher auch weit davon entfernt, die Abnahme der Schwingungen ohne weiteres als Maass des Reibungscoefficienten anzusehen. Werden aber zwei Versuche angestellt, welche sich nur dadurch unter- scheiden, dass bei dem einen die eintauchenden Platten mit ihren oberen Randern die freie Oberfliiche schneiden, bei dem anderen um einen Bruchtheil eines Millimeters tiefer liegen, so konnen die Bewegnngswiderstande nur dann ver- schieden sein , wenn die Oberflachenschichten einen beson- deren Einfluss ansuben.

Da ich mich bei allen Versuchen auf Schwingungen von kleiner Amplitude beschrankte, so lag die Vermuthung nahe, dass die Fliissigkeit hauptsachlich einen der Winkel- geschwindigkeit cles ippara ts proportionalen Widerstand be- mirken wurde, sodass fur die Schwingung des Systems auch beim Eintanchen der Platte die einfache Bleichung gelten konnte :

__ d’cp + 2 a - d v + b . y = 0. d t 2 d t

Diese Annahme ist leicht zu priifen. Es folgt aus der- selben, dass Schwingungsd auer und Decrement von der Grosse der Amplitude unabhangig sind. Dies ist nicht genau richtig; nur die Schwingungsdauer ist constant; dagegen nehmen die

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Decremente langsam mit der Grosse der Amplituden ab. Ich habe das genauere Gesetz dieser Abnahme nicht weiter verfolgt ; zur Entscheidung der gestellten Fragen genugt die Kenntniss des Mittelwerthes der Decremente vollstandig, und habe ich mich bemiiht, die Versuche so einzurichten, dass die Decremente gleichen mittleren Amplituden entsprechen.

Ueberragt der Rand der Platte die freie Oberflache, so tritt noch ein storender Umstand ein. Die Oberflache zwischen Platte und Glaswand ist merklich gekrummt und im allgemeinen etwas uber das Niveau gehoben. Wiihrend der Schwingungen ist diese Erhebung nicht mehr auf beiden Seiten dieselbe. Infolge desseh treten anziehende, bisweilen auch abstossende Kriifte auf, welche die Schwingungsdauer vergrSssern, resp. verkleinern. Aber auch hier ist bei kleinen Amplituden die Schwingungsdauer von der Grijsse derselben unabhangig, sodass man die hinzutretenden Krafte als pro- portional dem Winkel cp anzusehen hat. Die Veranderung der Schwingungsdauer ist ein vorziigliches Mittel, die er- wtihnten Krafte genau zu messen. Ich habe nach dieser Richtung eine Reihe von Versuchen angestellt , welche ich in einer besonderen Abhandlung mitzutheilen gedenke. Ware endlich in der Oberflache eine diinne Schicht vorhanden, welche - nach M a r a n g o n i ' s Annahme - elastisch ist, so miisste eine Verschiebung oder Biegung derselben jeden- falls auch eine Widerstandskraft hervorbringen, welche in erster Annaherung dem Ablenkungswinkel proportional ist.

Es geht aus diesen Betrachtungen hervor, dass bei der Verschiebung der Platte aus dem Innern der Fliissigkeit an die Oberfliche in der Gleichung (2) sowohl a als auch b sich verkndern. Da aber stets Schwingungsdauer und De- crement beobachtet wurden , so kann man beide Verande- rungen gesondert finden. Setzt man in:

so ist:

Ann. d. Pbys. u. Chem. N. F. XI. 41

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Insbesondere ist also das angentiherte Maass der Reibung die Griisse n oder das Verhaltniss des Decrements zur Schwingungsdauer.

Der Apparat erleidet naturlich auch durch die Luft einen Widerstand; derselbe ist mehrfach besonders beobachtet worden, fand sich aber stets sehr klein gegen den Bewegungs- widerstand der Fliissigkeit. Da es sich hier nicht um ab- solute, sondern nur um relative Messungen handelt, so habe ich es nicht fur nothig gehalten, denselben besonders zu berucksichtigen.

5. Ich theile zunachst diejenigen Versuche mit , welche die Prufung der angewandtexi Methode betreffen. Es kam, wie oben bemerkt, darauf an, festzustellen, in wie weit die Schwingungsdauer und das logarithmische Decrement von der Grosse der Amplitude abhtingig sind. Die folgende Tabelle I enthiilt die Resultate dreier Versuchsreihen. Nachdem der beschriebene Apparat in Schwingungen ver- setzt war und bereits eine Reihe von Schwingungen aus- gefuhrt hatte, wurden die Ausschlage nach beiden Seiten notirt und daraus die Anfangsamplitude festgestellt. Nach Verlauf von 4 Schwingungen ergab sich in derselben Weise die Endamplitude. Beide Zahlen sind in der ersten Ver- ticalreihe angegeben. Aus denselben wurde das Decrement h berechnet. Gleichzeitig war die Dauer der 4 Schwin- gungen festgestellt und das Mittel genommen, welches unter T wiedergegeben ist. Benutzt wurde hierbei das oben be- schriebene rechteckige Gefass , in welchem die beweglichen Glasplatten in einer Entfernung von 15 mm einander gegen- uberstanden. Dasselbe war mit destillirtem Wasser gefiillt, in welches eine rechteckige Messingplatte von 100 mm Lange, 5 mm Hbhe und 0,5 mm Dicke eintauchte. Bei der Reihe A befand sich dieselbe ganz im Innern der Flussigkeit; bei B durchschnitt der obere Rand gerade die freie Oberfllche, wtihrend er bei C dieselbe um 0,5 mm uberragte. Die Schwingungsdauer T ist in Secunden gegeben. Die Grosse h ist die Differenz der gewohnlichen Logarithmen.

Wie man sieht, ist die Schwingungsdauer, deren Be- stimmung als Mittel aus nur 4 Schwingungen nicht sehr

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A. Oberbeck.

T a b e l l e I.

424-378 11,50 0,01247 337-303 11,65 0,01155 280-252 11,45 0,01144 227-205 11,50 0,01132 185-167 11,50 0,01086 ~-

Mittel: 11,52

643

420-321 353-271 244-190

M i & m 7 2

___ Amplit. r T I I I Amplit. 1 T 1 I -~

Amplit. 1 T I 1.

Mittel: 12,45

gennu war, in jeder einzelnen Reihe constant, d. h. von der Grosse der Amplitude unabhangig. Sie wachst, wenn man die Reihen A, B, C vergleicht, mit dem Hervortreten des oberen Randes aus der freien Ober5ache. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass dies der Wirkung von Anziehungs- krtiften infolge der Eriimmung der Oberflache zuzuschreiben ist. Die Decremente nehmen langsam ab, wenn die Ampli- tuden kleiner werden. Diese Abnahme ist bei allen Reihen eine ziemlich gleichmilssige. Ich habe deshalb darauf ver- zichtet, das genauere ' Gesetz derselben zu erforschen und mich damit begniigt , bei allen weiter mitzutheilenden Ver- suchen &en Mittelwerth des logarithmischen Decrements aus je 10 Schwingungen zu nehmen, bei welchen Anfangs- und Endamplitude in dem Interval1 von 400 bis 100 Scalen- theilen lagen. Die grosse Verschiedenheit der absoluten Werthe des Decrements zwischen Reihe A einerseits, Reihe B und C andererseits, ist dem Ein5usse der freien Ober- flache zuzuschreiben.

Es ist oben auf die Nothwendigkeit hingewiesen wor- den, die zu untersuchende Flussigkeit in ein Gefass mit engen, parallelen Wanden einzuschliessen. Den Beweis hier- fur geben die in der Tabelle II mitzutbeilenden Versuche. Auch hierbei wurde mit destillirtem Wasser experimentirt und dieselbe Messingplatte verwandt wie zuvor. Unter h ist hier, wie bei allen folgenden Tabellen die Entfernung des obern Plattenrandes von der freien Flussigkeitsober- 3ache zu verstehen. Liegt der Rand unter derselben, also im Innern der Fliissigkeit, so ist das positive Zeichen an- gewandt, ragt er iiber dieselbe hinaus, das negative.

41 *

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Die Entfernung der verstellbaren Glasplatten ist durch die Grosse e angezeigt; e = 00, bedeutet ein Gefass von solchen Dimensionen, dass ein Einfluss der Seitenwande nicht denkbar war. Die Schwingungsdauer T ist auch hier angegeben, um den Einfluss der anziehenden Krafte zu zeigen. Als Maass der Reibungswiderstande dient endlich die Gr6sse T , welche stets mit 1 000 000 multiplicirt wurde, urn die Decimalstellen zu vermeiden.

T a b e l l e 11.

1

c = 30 riim

h 1 ;Im)- T 1.

mm + 5 11,’LY 1172 11,22 1085 +0,5 11,28 1245 11,58 lllR

0 11,31 1246 11,56 1632 -0,5 ll,’L2 1222 11,36 1754

e = 20 mm e = 15 mni

T 1s I T 1 ; 11,OO 1143 11,42 1188 11,OO 1277 11,44 1567 11,24 2355 11,82 2649 11,M 2451 12,68 2784

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Nachdem in dem Gefiss, bei welchem ein Einfluss der Wande nicht bemerkbar ist, nochmals der Bewegungswider- stand einer reinen Vasseroberflache bestimmt worden war (h = 0), wurde dieselbe mit einer diinnen, durch Umriihren moglichst gleichmassig verbreiteten Oelschicht bedeckt und abermals der Widerstand untersucht. Schliesslich wurde das- selbe Experiment wiederholt; nuf die reine Wasseroberflache aber in ahnlicher W eise eine diinne Terpentinolschicht ge- bracht. Es ergaben sich die wenig voneinander abweichen- den Werthe:

Reine Wasseroberflache . . . . 1248 dieselbe mit Oel . . . . . . , 1301 dieselbe mit Terpentinol , , . . 1119.

Bei Benutzung der engen Platten (e = 15) geniigte da- gegen schon eine kaum sichtbare Oelschicht, um den Be- wegungswiderstand so gross zu machen, dass das bewegliche System ohne Schwingungen in seine Gleichgewichtslage zu- riickging. Es stellt sich demnach die Benutzung eines seit- lich eng begrenzten Gefasses bei der angewandten Schwin- gungsmethode als durchaus nothwendig heraus.

6. Nach Erledigung dieser Vorfragen gehe ich zur Vergleichung des inneren und Oberflachenwiderstandes bei verschiedenen Fliissigkeiten uber. Die meisten Versuche wurden bei der giinstigsten Plattenentfernung von 15 mm mit der mehrfach erwahnten Messingplatte von 100 mm Lange ausgefuhrt. Doch habe ich nicht unterlassen, einige Versuche auch bei der grossern Entfernung von 20 mm an- zustellen; sowie auch statt der Platte einen diinnen Messing- cylinder von derselben Lange und etwa 5 mm Durchmesser zu benutzen.

Die folgenden Tabellen 111, IV, V, welche nach den friiheren Erklarungen wohl verstandlich sind, geben nur die Werthe von T , als Maass des Widerstandes. Fur die letzte Tabelle mag noch bemerkt werden, dass die Bezeichnung .f eine vorangegangene Filtration bedeutet, sowie die bei den Fliissigkeiten stehenden Zahlen die specifischen Gewichte reprasentiren.

I

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Flussigkeit

Destillirtes Wasser. . . Dest. Wasser, filtrirt . . Alkohol. . . . . . . . . .

A. Oberbech.

h=lOmm h=5mm Ih=0,5mm/ h=Omm 1 h=-o,5illlll

- 1106 1310 2045 2026

1143 - I ;;;; I ;;;; 1 2451 1016 1081 1021

__ -

Flussigkei t I K = j r n r n Ih=O,5mm[ h=Omm

Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . . 1,512

h=-0,5mm

1293

Flussigkeit 1h=lOinm I h=5mm

Destillirtes Wasser . . . - 1188 Destillirtes Wasser f. . 11 15 11-45 KaNO,iuWasserf1,1223 1091 1103 Na, SO,inWasserf1,169 1499 - K,CO,inWasserf 1,367 2175 - CaC1, inWasserf1,348 3171 I --

CuC1, in Alkoholf0,87S 1566 -

. . . . . . . . Alkohol 1 . 1185 - Alkohol 2 . . . . . . . . . - 1225

Ca C1, in Alkohol f 0,995 6028 -

Ychwefelkohlenstoff . . . 870 1114

Wasser;Alkoholf0;9274 I 1736 I - I 2216 1 1988 I 1848

Aus dem Vergleich der drei letzten Tabellen ist er- sichtlich , dass die Bewegungswiderstande trotz der etwas abweichenden Versuchsbedingungen im ganzen denselben Verlauf zeigen. Ich will mich dershalb damit begnugen, alle weiteren Folgerungen an die Zahlenwerthe der letzten Ta- belle anzuknupfen. Zur schnellern Uebersicht der Rei- bungswidersthde habe ich dieselben durch Zeichnungen in Taf. V Fig. 6 und 7 dargestellt. Fiir Wasser und Alkohol

h=0,5mm1 h=Omm ih=-O,.imm

1567 2649 2784 1483 2545 2637 1444 2529 2428 2310 4013 4068 3692 5947 - 5292 8155 -

1312 - 1463 1453 1256 1145 2120 1938 -

7336 6942 6373 2001 1176 1362

Terpentintil. . . . . . . . I 2073 1 2276 1 271 1 2368 2229

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A. Oberbeck. 647

sind dabei die Mittel aus den wenig voneinander abweichen- den Versuchsreihen benutzt worden.

Aus den Zahlenwerthen der letzten Tabellen, sowie aus diesen Zeichnungen ergeben sich die folgenden Resultate.

a. Bei allen untersuchten Flussigkeiten steigt der Be- wegungswiderstand nicht unerheblich , wenn die Platte der freien Oberflache sich niihert.

b. Bei einer weitern Hebung, welche zu einem Eintritt des oberen Plattenrandes in die freie Oberflache fuhrt, tritt ein charakteristischer Unterschied zwischen den verschiedenen Fliissigkeiten hervor, und zwar finden sich, ganz wie P l a t e a u angibt,

I. Flussigkeiten, welche eine bedeutende Steigerung des Widerstandes zeigen: Wasser und wasserige Salzlosungen.

11. Flussigkeiten, bei welchen eine Abnahme des Wider- standes vorkommt: Alkohol, alkoholische Losungen, Schwefel- kohlenstoff, Terpentinol. '

111. Mischungen von Wasser und Alkohol, welche sich je nach dem Verhaltniss der Bestandtheile der einen oder anderen Gruppe anschliessen.

c. Vergleicht man die Widerstande der Fliissigkeiten in grosseren Tiefen, so hat Schwefelkohlenstoff den kleinsten Widerstand. Es folgen Wasser nnd Alkohol mit nahe glei- chen Widerstanden, endlich Terpentinol mit erheblich grosse- rem. Der Zusatz von Salzen bewirkt in den meisten Fallen eine bedeutende Vergrosserung des Widerstandes. Ebenso ist als bemerkenswerth hervorzuheben , dass Gemische von Wasser - Alkohol einen grossern Widerstand zeigen, als die einzelnen Bestandtheile fur sich.

Ein Theil dieser Resultate lasst sich einfach erklaren. Dass zunachst die Widerstande bei allen Elussigkeiten mit Annaherung an die Obeflache wachsen, kann nicht iiber- raschen. Denn die von der Platte in Bewegung gesetzten Flussigkeitstheilchen weichen nicht allein in horizontaler Richtung, sondern auch nach unten und oben aus. Bei grosser' Nahe der freien Oberflache ist ein Ausweichen in der letzten Richtung unmoglich oder wenigstens erschwert, denn die Flussigkeitstheile mussten in diesem Falle die

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obere, horizontale Grenzebene iiberschreiten, und es wiirden dabei sowohl die Schwere als auch die Capillarkrafte ihrer Bewegung entgegenwirken. Ausserdem ist es moglich, dass, infolge der an der freien Oberflache stattfindenden Verdun- stung die Temperatur derselben 'etwas unter der mittlern Temperatur der Flussigkeit liegt , sodass bei der schnellen Veranderung der Reibung mit der Temperatur dieselbe dort etwas grosser ist als in tieferen Schichten. Besonders ist hierdurch wohl das auffallende Verhalten des Schwefelkohlen- stoffs zu erklken, dessen Widerstand in grosserer Tiefe vie1 kleiner ist, als bei Alkohol und Wasser, wahrend 'er diese in grosser Nahe der Oberflache (h = + 0,5) erheblich uber- trifft. Trotz getroffener Vorsichtsmaassregeln war die Ver- dunstung bei dem Schwefelkohlenstoff so bedeutend, dass die Temperatur desselben um einige Grad unter diejenige der Umgebung wahrend der Versuche gesunken war. Jedenfalls ist bei diesen und ahnlichen Versuchen das Verhalten der freien Oberflache stets zu beriicksichtigen, also zu beachten, dass dieselbe einer dicht unter ihr stattfindenden Bewegung unter Umstanden einen gesteigerten Widerstand entgegensetzt.

7. Um nun auf den Hauptzweck der Untersuchung, das Verhalten der freien Oberflachen zu kommen, so geht aus den mitgetheilten Versuchen unzweideutig hervor, dass beim Wasser der Widerstand sich plotzlich ganz erheblich stei- gert, sobald der obere Plattenrand in die freie Oberflache tritt. Infolge der ganzen Versuchsanordnung scheint es mir nicht zweifelhaft , dass dies durch eine gesteigerte Reibung in der Oberflachenschicht bewirkt wird. Dem destillirten Wasser sehr ahnlich verhalten sich die untersuchten wasse- rigen Salzlosungen. Die Zunahme des Widerstandes beim Uebergang aus der letzten Lage der Platte in der Fliissig- keit bis zum Eintritt in die Oberflache betragt:

bei destillirtem Wasser . . , . 60,9 Proc. bei der Losung von KNO, . . . 75,l ,,

,? 11 9 ,, Na,SO, . . 73,7 ,. I

9 7 3, 1' ,, K,CO, . . 61,O ,, 9 9 71 1 ,, CaC1, . . . 54,l ,,

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Diese Zahlen sind im ganzen von derselben Grossen- ordnung. Man konnte natiirlich auch den Widerstand in der freien Oberflache mit demjenigen in grosserer Tiefe ver- gleichen. Die Unterschiede sind dann noch erheblich grosser. An der Richtigkeit der Thatsache unter den Versuchs- bedingungen ist hiernach wohl nicht zu zweifeln. Freilich ist damit die Frage noch nicht entschieden, ob es sich hierbei um eine Eigenthumlichkeit der homogenen, von jeder frem- den Beimengung freien Fliissigkeiten handelt, oder ob Sub- stanzen mitwirken, welche aus der Atmosphare oder von den Seitenwanden her in die freie Oberflache gelangt sind. Da Wasser und Salzlosungen im ganzen wenig verschiedene und verhaltnissmassig grosse Capillarconstanten hesitzen I),

so ist die Moglichkeit einer Ausbreitung von Substanzen rnit geringerer Spannung gegeben. .

Die Untersuchung freier Wasseroberflachen, welche nicht allein wahrend der Versuche, sondern auch vorher vor jeder Berthrung mit Luft bewahrt worden sind, diirfte ausser- ordentlich schwierig sein ; jedenfalls fehlten mir die dazu nothigen Einrichtungen.

Die von mir gebrauchten Vorsichtsmaassregeln: Filtriren des zum Kochen erhitzten Wassers in eine Flasche rnit engem Hals, Bedeckung des Glasgefasses wahrend des Ex- perimentes mit angefeuchte tem Filtrirpapier, hatten fast gar keinen Einfluss auf die erhaltenen Zahlenwerthe. Auch Wasscrleitungswasser unterschied sich nicht wesentlich von destillirtem Wasser. Ich versuchte noch ein anderes Mittel, um die Einwirkung der Beruhrung der Luft, resp. der in derselben suspendirten Theilchen festzustellen. 1st dieselbe der Hauptgrund fiir das eigenthumliche Verhalten des Was- sers, so muss sich die Einwirkung rnit der Zeit, welche seit der Bildung der freien 0 berflache vergangen ist , steigern. Ich habe daruber die folgenden Versuche angestellt. Nach Einfullung der Fliissigkeit in das Gefass wurde moglichst schnell der Zustand der freien Oberflache untersucht. Nach Verlauf einer langern Zeit wurde die Untersuchung wieder-

1) Quincke, Pogg. Ann. 160. p. 337-375, 560-588. 1877.

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Rechteckige Platte : Rechteckige Platte;

w a d e 20 nim wande 15 rn in

l h 20' 2045 l l h 7 ' 2649

Eiitferiiung der Seiten- Entfernung der Heiteii-

holt. Endlich wurde versucht, durch mechanische Mittel: Umriihren mit einem reinen, kurz zuvor stark ausgegliihten Platinblech fremde Korper von der Oberflache zu entfernen. Einige dieser Versuche sind in der folgenden Tabelle VI zusammengestellt. Die angegebenen Zahlen sind wie friiher

I die Quotienten H. Die Messingplatte, 'sowie der Messing- cylinder waren so eingestellt, dass sie mit ihrem obern Rande gerade die freie Oberflache beriihrten.

T a b e l l e VI. Cylinder; Entfernmig

der Seiteiiwande 15 mm

911 30' I 3388 ~~ -

2h 45' 2132 N. Uinriihren 1909

Die beiden ersten Reihen zeigen in

211 j' 2744 Nach 24 St. co Umgeruhrt 2339

Umgertihrt 3374 I lob 45' 1 3360

dem Interval1 einer Stunde eine kleine Zunahme des Widerstandes; bei der letzten Reihe bleibt derselbe constant. Nach Zeit von 24 Stunden ist der Widerstand so gross geworden, dass er nach der benutzten Methode nicht mehr bestimmt werden konnte. Nach dem Umruhren sinkt derselbe indess auch in diesem Fall auf einen Werth zuriick, welcher nur wenig kleiner ist, als der anfangliche. Wenn also auch nicht bestritten werden kann, dasi eine langer andauernde Beriih- rung mit Luft den Widerstand steigert, so kann doch eben- sowenig bezweifelt werden, dass ein besonderer Oberflachen- widerstand schon unmittelbar nach Bildung der freien Ober- flache vorhanden ist. Wir miissen daher schliessen, entweder, dass der freien Wasseroberflache ein recht bedeutender Oberfliichenwiderstand zukommt, oder dass eine reine Wasser- oberflache in Beriihrung mit Luft iiberhaupt nicht existirt. Dann hatte man in der benutzten Beobachtungsmethode we- nigstens ein sehr feines Mittel, um den Oberflachenzustand des Wassers zu beurtheilen.

Wahrend bei dem Wasser I d den wasserigen Salz- liisungen die Zunahme des Widerstandes an der Oberflache

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eine recht betrachtliche ist, ist die Abnahme desselben bei den iibrigen Flussigkeiten verhaltnissmassig klein. Dieselbe betragt bei:

Alkohol . . . . . . . . . 11,9 Proc. Alkohol. Losung von CuC1, . 8,6 ,,

Terpentinol . . , . . . . 12,6 ,, Schwefelkohlenstoff . . . . 26,3 ,,

9 , ,, CaC1, . 5,4 ,,

F u r die letzte Flussigkeit findet, wie schon fruher aus- gefiihrt, infolge der starken Verdunstung ein abnormes Ver- halten st.att, sodass eine verhaltnissmassig grosse Abnahme nicht auffallen kann. Bei den ubrigen Flussigkeiten ist ubrigens der Widerstand an der Oberflkhe (Beruhrung der- selben durch den obern Plattenrand) immer noch grosser, als bei der Bewegung der Platte in grosserer Entfernung von der freien Oberflache. Ich glaube daher nicht, dass man aus diesen Versuchen berechtigt ist, auf eine Abnahme des Reibungscoefficienten an der Oberflache zu schliessen.

Bei den Losungen von Wasser in Alkohol ergibt sich: bei dem spec. Gewicht: von 0,9708, Zunahme 9,s Proc.

99 7, 7, 7, ,, 0,9274, Abnahme 10,3 ,, Es geht daraus hervor, dass schon ein geringer Zusatz

von Alkohol zum Wasser die Eigenthumlichkeit desselben erheblich vermindert , wahrend bei einem weitern Zusatz das Gemisch sich nahezu verhalt wie reiner Alkohol. Es scheint mir dies im ngchsten Zusammenhang zu stehen mit der schnellen Verkleinerung, welche die Cohaision des Was- sers durch Zusatz von Alkohol erfahrt. F u r dieselbe gibt Q u i n ck e l) die folgenden Werthe :

u 0,9973 0,9852 0,9110 0,7904 a 8,000 5,657 2,947 2,354;

wo 6 die specifischen Gewichte, tc die Cohasionsconstanten bedeuten.

Urn eine Uebersicht zu gewinnen, wovon hauptsachlich die WiderstSinde gegen die Plattenbewegung im Innern der

1) Qnincke, Pogg. Ann. 160. p. 368. 1877.

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Fliissigkeit abhangen , habe ich die Reibungscoefficienten einiger der benutzten Fliissigkeiten mit Hiilfe einer schwin- genden Messingscheibe nach den von 0. E. M e y e r l) ge- gebenen Formeln und Regeln bestimmt. Dieselben sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt , wobei ich mich darauf beschrankt habe, ihre relativen Werthe zu Wasser zu geben. Die Temperatur betrug 21° C.; nur bei dem Schwefelkohlenstoff war dieselbe infolge der schwer zu ver- meidenden Verdunstung niedriger. Da die absoluten Werthe von 11 fiir destillirtes Wasser bekannt sind:

nach 0. E. Meyer2 ) nach G r o t r i a n 3, 21,50°:0,01250 21,58°:0,01236,

so kann man aus der folgenden Tabelle die Reibungscoeffi- cienten der ubrigen Fliissigkeiten leicht berechnen.

T a b e l l e VII.

21,6O :0,01190

- Schwefelkohlenstoff . Terpentinol. . . . . . Alkoliol . . . . . . . .

, , . . . . . . . . ]. . . . . . . . . 77 . . ' ' . _ ' .

Wasser . . . . . . . .

Q

1,293 0,850 0,7937 0,8720 0,9023

1 0,9737

' I . Q 0,1262 2,030 1,055 2,232 2]720 l,i21

1

7

0,3297 2,333 1,329 2,617 3,014 1,767

I

i T

0,782 1,859 1,063

-

- - - 1

Ein Vergleich der Werthe 11.p mit den Verhalkssen der Widerstiinde (4) zeigt, wie zu erwarten war, keine voll- standige Uebereinstimmung. Vielmehr ist bei den Wider- standen noch das specifische Gewicht der Fliissigkeit von Einfluss. Das eigenthiimliche Verhalten der Mischungen Alkohol - Wasser, welche ein Maximum von rj besitzen, ist iibrigens schon von P o i s e u i l l e 4, beobachtet worden.

H a l l e a. d. S., d. 1. August 1880. -

1) M e y e r , Pogg. Ann. 113. 18G1. 2) M e y e r , Pogg. Ann. 113. p. 399. 1861. 3) G r o t r i a n , Pogg. Ann. 160. p. 242. 1877. 4) P o i s e u i l l e , Pogg. Ann. 58. p. 437. 1843.

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