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(Aus der Nervenabteilung des Kr~nkenhauses der B~rmherzigen BrOder in Graz.) Uber eine typisehe Symptomgruppierung bei Erkrankung des Plexus lumbosaeralis. Von Prof. Dr. H. Zingerle. Ebenso wie an den Armen, sind an den Beinen die Erkran- kungen der Nervenst~mme und ihrer Verzweigungen zu trennen yon denen der Nervengeflechte und Nervenwurzeln, bei welchen die Gruppierung der Symptome eine andere ist. Die meist auf toxischer. infekti~ser oder tr~umatiseher Grundlage entstehenden mono- oder polyneuritischen Prozesse treten nach Gi e r 1 i c h hinter der H~tufig- keit der Wurzelerkrankungen an den Beinen erheblieh zurfick, welche sich sekund~r im Gefolge der mannigfachen Sch~digungen des Beckens und seiner Organe oder primer, ohne solche ent- wickeln. In den Lehrbfichern wird im allgemeinen hervorgehoben~ da~ im Bereiche des Lumbosacralgefleehtes eigenartige Symptomgrup- pierungen, wie an den Armen nieht vorkommen und lassen sich t~ts~chlich der Erb schen oder Klumpke schen Plexuserkrankung entspreehende Bilder wegen des Fehlens yon sekund~ren Ple- xusst~mmen~ wie an den Armen nicht n~ehweisen. Es kommen ~ber verh~tltnism~l~ig h~ufig bestimmte Syndrome vor, die sieh bei ge- nauer Untersuchung hinter einer ~nseheinend einfachen Isehias oder einer ~nderen Nervenaffektion, wie einer Cruralneur~lgie bzw. Neu- ritis verbergen und durch genaue Untersuehung aufdecken l~ssen. Richter man d~r~uf das Augenmerk, kann man die Behauptung einer l~eihe yon Autoren best~tigen~ d~l~ die reine Form einer Ischias vie[ seltener ist, als gew~hnlieh angenommen wird. So be- schrieb sehon Bernhardt die Verbindung der Ischias mit einer Cruralneuralgie und h~ufigen Schw~chezust~nden mit Muskel~b-

Über eine typische Symptomgruppierung bei Erkrankung des Plexus lumbosacralis

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Page 1: Über eine typische Symptomgruppierung bei Erkrankung des Plexus lumbosacralis

(Aus der Nervenabteilung des Kr~nkenhauses der B~rmherzigen BrOder in Graz.)

Uber eine typisehe Symptomgruppierung bei Erkrankung des Plexus lumbosaeralis.

Von

Prof. Dr. H. Zingerle.

Ebenso wie an den Armen, sind an den Beinen die Erkran- kungen der Nervenst~mme und ihrer Verzweigungen zu trennen yon denen der Nervengeflechte und Nervenwurzeln, bei welchen die Gruppierung der Symptome eine andere ist. Die meist auf toxischer. infekti~ser oder tr~umatiseher Grundlage entstehenden mono- oder polyneuritischen Prozesse treten nach Gi e r 1 i c h hinter der H~tufig- keit der Wurzelerkrankungen an den Beinen erheblieh zurfick, welche sich sekund~r im Gefolge der mannigfachen Sch~digungen des Beckens und seiner Organe oder primer, ohne solche ent- wickeln.

In den Lehrbfichern wird im allgemeinen hervorgehoben~ da~ im Bereiche des Lumbosacralgefleehtes eigenartige Symptomgrup- pierungen, wie an den Armen nieht vorkommen und lassen sich t~ts~chlich der E r b schen oder K l u m p k e schen Plexuserkrankung entspreehende Bilder wegen des Fehlens yon sekund~ren Ple- xusst~mmen~ wie an den Armen nicht n~ehweisen. Es kommen ~ber verh~tltnism~l~ig h~ufig bestimmte Syndrome vor, die sieh bei ge- nauer Untersuchung hinter einer ~nseheinend einfachen Isehias oder einer ~nderen Nervenaffektion, wie einer Cruralneur~lgie bzw. Neu- ritis verbergen und durch genaue Untersuehung aufdecken l~ssen. Richter man d~r~uf das Augenmerk, kann man die Behauptung einer l~eihe yon Autoren best~tigen~ d~l~ die reine Form einer Ischias vie[ seltener ist, als gew~hnlieh angenommen wird. So be- schrieb sehon B e r n h a r d t die Verbindung der Ischias mit einer Cruralneuralgie und h~ufigen Schw~chezust~nden mit Muskel~b-

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magerung, die such schon Val le ix bekannt war. Andr6 -Thomas , D e j e r i n e , F r e u n d u.a. stellen andererseits die Seltenheit der reinen Form der Cruralneuralgie lest, die in der Mehrzahl der F~lle mit anderen Symptomen des Plexus lumbosaeralis, z.B. mit Ischias verbunden sei~ so daf~ man yon einer lumbosacralen Wurzelneuritis sprechen k0nne.

Es ist das besondere Verdienst Gier l ichs , da$ er f~ir dss lumbo- sacrale Wurzelgebiet zwei Syndrome mit typiseher Symptomatik abgegrenzt und beschrieben hat. Er sonderte aus dem Sammel- begriff Ischias eine Wurzelerkrankung mit einem regelmaftigen Drueksehmerzpunkte seitlich yore Dornfortsatze des 5. Lendenwir- bels, sensiblen Reiz- und Ausfallssymptomen im Bereiche des Unter- schenkels und Fuges, motorischen St0rungen im Peronaeusgebiete mit Abmagerung der Wade, Abschw~chung der Achillessehnen- und FuSsohlenreflexe sowie der elektrischen Erregbsrkeit, die einer Erkrankung der L 5--L 1 entspricht, wobei such atypisehe Symptome durch Ubergreifen auf S 2--S 4 auftreten konnen. Ein zweites, ebenfails h~ufiges Syndrom steUte er lest bei Er- krankung des Lumbalgeflechtes im Bereiche der L 2--L 3, das sich dutch einen typischen Sehmerzpunkt seitlich yore Dornfort- satze des 3. Lendenwirbels, motorische Storungen im Bereiche des M. il.eopsoas, Quadriceps und der Adduktoren, durch Abschw/~ehung des Patellarreflexes und des Adduktorenreflexes, sowie durch sen- sible geiz- und Ausfallserscheinungen an der Vorder- und Innen- seite des Oberschenkels und zum Tell such des Unterschenkels /~uSert. Aueh dieses Syndrom kann dureh U'bergreifen des Pro- zesses auf die benachbarten L 1 und L 4 eine atypisehe Verst/~rkung erfahren.

Unsere nachfolgenden Beobachtungen zeigen, dab im Bereiche der lumbosacralen Wurzeln und Geflechte noch eine dritte Form mi t regelm/~Biger S y m p t o m a t i k vorkommt, die im Gegen- satze zu den beiden Gierl ichschen Formen lumbale und sacrale Wurzelsymptome vereinigt und sieh dadurch such seharf yon der reinen Cruralneuritis und Ischias abhebt.

1. B e o b a c h t u n g .

B. Anton, geboren 1878, TaglShner. Gelegenheitstrinker, keine Lues und uuch sonst gesund. Zweim~l kriegsgefangen. Anfang t~ebru~r 1932 nach an- strengender Wasserarbeit qu~lende Schmerzanfglle, besonders w~hrend der Bert- ruhe und beim Stehen, die zuerst an der linken Hfifte und im GesaBe begannen

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und in der 2. Woche gegen die Vorderseite des Oberschenkels und fangs des Schienbeins ausstrahlten, yon K/iltegefiihlen am Ful3e und ,,Totsein" iiber dem Schienbeine begleitet waren. Verst~rkung der Schmerzen beim Bficken und Stuhlpressen; trotz Behandlung Verschlechterung, so dab sehliel~lich das Gehen unmSglich wurde. Eine leiehte Milderung der Schmerzen erfolgte durch Knie- und I-Ififtbeugung. Das Bein wurde nach einem Schmerzanfalle in der 2. Woche plStzlich schw/tcher und knickte beim Gehen und Stehen ein. Die Schmerzen wurden so stark, dab der Patient nachts laut schrie und gehalten werden mullte. ])as rechte Bein und der fibrige KSrper waren stets beschwerdefrei. Der k S r p e r l i e h e B e f u n d ergab auch keine Ver/inderungen. Der Ham ist normal, Blut-Wa und M.T.R. negativ. Die Wirbels/tule ist frei beweglieh und aueh rSntgenologisch ohne Befund. Die ]3auchhaut- und Glutaealreflexe sind beiderseits gleich, die Ges/il3muskulatur gleich kr/iftig und voluminSs, keine Blasen- und Mastdarmbeschwerden, 1Rectum und Prostata frei.

Der linke Cremasterreflex ist schw/~cher als der rechte. Der linke Crural- punkt in der Leiste ist stark druckschmerzhaft. Die Kraft der Hiiftbeuger ist bei Widerstandsbewegungen links bedeutend schw/~cher als rechts, der linke Kniesehnenreflex feh]t. Die Achillessehnen- und Ful~sohlenreflexe sind in der- selben St/~rke wie rechts aus]Ssbar. Ab- und Adduktion und Rotation des linken Beines in der I-Iiifte erfolgt mit unverminderter Kraft. Die Kniestreckung und Beugung ist stark geschw/icht, aber mOglieh. Umfang der Mitte des linken Oberschenkels links 45 cm, rechts 47 cm, grSl3ter Wadenumfang links 34 cm, reehts 35 cm. Trotz dieser Abmagerung der Wadenmuskulatur ist bei grober Widerstandsprfifung eine Schw/~che der Fu l l und Zehenbewegung nicht naeh- weisbar. Die direkte und indirekte faradische und galvanische Erregbarkeit ist deutlich herabgesetzt, die Zuckungen sind etwas tritger als rechts. Eine Umkehr der Zuekungsformel besteht nicht. N. cruralis links 7 M. A. rechts 5. N. pero- naeus links 4, rechts 3. M. ciuadriceps links 9, rechts 5. M. gastrocne- mius links 61/2, rechts 51/2. Die Erregbarkeit der Glutaei ist beiderselts gleich. Kein Dehnungssehmerz. Gang mit dem linken Beine hinkend, im Knie leieht schleudernd. Stehen mit dem linken Beine allein erschwert und unsieher. An der Innen- und Vorderseite des Obersehenke]s zeigt sich eine Herabsetzung des EmpfindungsvermSgens, Spitz und stumpf werden ungenau unterschieden. Das gleiche zeigt sich aueh an der Vorderseite des Unterschenkels 1/ings des Schien- beines bis nahe zum Sprunggelenke, jederseits yon der Sehienbeinkante etwa zwei Querfinger seitlich reiehend; in diesem Bereiehe ist auch die Schmerzemp- findlichkeit herabgesetzt, auf die I-Iaut geschriebene Ziffern werden nicht erkannt. Die groben Gelenkbewegungen werden am ganzen Beine riehtig wahr- genommen. An der Hinterseite des 0bersehenkels und am Ges/~13 ist das Emp- findungsvermOgen ungestSrt; ebenso fehlt ein Ischiadicusschmerzpunkt. Da- gegen erzeugt Driicken des Ansatzes der Ges~tl3muskeln an das I)armbein Sehmerz. Passive Streckung der Hiifte in Bauchlage macht Schmerz an der Vorderseite des Oberschenkels.

2. B e o b a e h t u n g .

K. Josef, geboren 1898, Polizei-R.-Inspektor. Vor dem Kriege gesund. 1915 und 1917 Strumaoperation. 1919 OonorrhSe. In] Juli 1929 nach H/imorrhoiden-

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behandlung mit kdhlen Sitzbadern Auftreten yon Kreuzschmerzen, welche in das linke Knie ausstrahlten, besonders stark in der Ruhe und bei Nacht waren, bei Bewegungen nachliegen. Besserung erst im Juli 1930 nacb einer Kur in einem Schwefelthermalbade. Nach Aufnahme des Dienstes wieder Verschlech- terung, die trotz mehrfacher Behandlung bis zur SpitMaufnahme im Januar 1932 andauerte. Der Kranke ]eider an Schmerzen in der linken Bauchgegend, tier Leiste und an der Streckseite des Oberschenkels, die besonders heftig bei Bla- hungen im Darme und nach dem Essen sind. Sic sind oft yon unertr~glicher Stgrke, so wie ein Zahnschmerz und k6nnen nur durch Narcotica gelindert wer- den. Eine Erleichterung bringt ebenso wie im ersten Falle die Beugung im Knie und Hfifte. Das linke Bein ist schw~eher. Andauernde Verstopfung, zeitweiser Blasendrang. Aueh bei diesem Kranken bestanden Krankheitssymptome nut im linken Beine. Blut-Wa und ~.T.R. negativ, keine Ver~nderung der Wirbe]- ss Untersuchung des 1Kastdarms und der Blase ergibt nichts Krankhaftes, Ham normal. Druek in die linke Bauchh~lfte ist schmerzhaft. Bauchhaut- und Cremasterenreflexe beiderseits gleich. Der linke Glutaealreflex ist schw~eher, als der rechte, der Ansatz des Ges~Bmuskels an das Darmbein druckschmerzhaft. Starker Schmerzpunkt des linken N. cruralis in der Leiste, die Kraft der Hfift- beuger bei Widerstandsbewegung herabgesetzt, w~hrend die fibrigen Hfiftbewe- gungen ungeschwgcht sind. Verminderte Kraft des M. quadriceps. Umfang der Mitre des linken Oberschenkels 47 cm, reehts 491/e cm; suprapatellarer Umfang links 33 era, rechts 34 era, grSgter Wadenumfang links 33 cm, rechts 35 cm. Die Kniesehnen- und Aehillessehnenreflexe und Fugsohlenreflexe beiderseits gMch. Die Kniebeugung ist links gesehwi~cht. Eine deutliche Uberempfindlich- keit gegen Nadelstiche in der linken Leiste, w~hrend andere Empfindungsstd- rungen fehlen. Die direkte und indirekte elektrische Erregbarkeit ist herab- gesetzt, ohne Umkehr der Zuckungsformel. Quadrieeps links 4, M.A. rechts 3, Biceps links 5, reehts 4. Gastroenemius links 9, rechts 6.

In der ersten Zeit der Spitalsbehandlung klagte der Patient fiber t/~gliche Schmerzanfalle. Im Laufe der Behandlung trat dann eine wesentliehe Besserung ein, die aber naeh der Entlassung nieht andauerte, sondern bald wieder dem alten Zustande Platz machte. Die Sehmerzen traten in alter Heftigkeit uber dem Kreuzbeine, dem linken Itiiftgelenke und dem linken Knie auf. Es bestand auch ein Ziehen im linken Scrotum. Im Juni war der Iinke Kniesehnenreflex schwacher, als der reehte, an der Hfifte zeigte sich auch eine Schwache der Adduktoren. An der Augenseite des linken Obersehenkels das Geffihl yon Tot- sein. Umfang der Mitre des Obersehenkels nur mehr 46 era, der gr6Bte Waden- umfang 321/e em. Kein Isehiadicusdruckpunkt und kein Dehnungssehmerz. Bei- derseits herabgesetzte Cremasterenreflexe. Spontane Sehmerzen beim Gehen an der Knieseheibe, die in Verbindung mit den Anfallen sehr quMenden Charakter haben. Harnentleerung und Potenz ungest6rt.

3. B e o b a c h t u n g .

Sch. Ursula, geboren 1888, Kinderfr~ulein. Abgesehen yon Magengeschwuren im Jahre 1918 stets gesund. Im M~rz 1932 im Anschluss an eine starke Durch- n~ssung bei einer Rodelpartie eigenartig bohrende und stechende Schmerzen

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fiber dem linken Schienbeine, denen am n/~chsten Tag ein Geffihl yon Totsein yon der Knieseheibe his zum Kn0chel fo]gte. Die Schmerzen verbreiteten sich auch auf die Innenseite des Oberschenkels, waren in der Ruhe und besonders des Naehts so stark, dM3 sie auf der linken Seite nieht liegen und nicht sehlafen konnte. Sie besserten sich bei Beugung des Knies. ]:)as Bein wurde schw/~cher und ermfidbarer, kniekte beim Gehen im Knie ein. Keiue Kreuzschmerzen und keine Yergnderung oder Klopfempfindlichkeit der Wirbelsgule. ~Bauchhaut- reflexe auslSsbar. Starker Druckpunkt des N. cruralis an der Leiste, Schw/~che des ]inken Hfiftbeuger und der Adduktoren. Rotation und Abduktion geschieht beiderseits gleieh kr/~ftig. Der linke Kniesehnenreflex ist stark abgeschw/icht. Achilles- und Ful3sohlenreflex normal. Mitre des linken Oberschenkels 50 cm, reehts 52 cm. GrSl3ter Wadenumfang links 33 era, rechts 341/2 cm. Kraft der Xniestrecker herabgesetzt, ebenso die der Kniebeuger. tterabgesetztes Empfin- dungsvermSgen ffir Mle Qualit/iten der tIaut lgngs des Schienbeines, oberha]b des inneren KnSche]s auf die Innenseite des 0berschenkels fibergehend. Die Bewegungsempfindungen sind nicht gest6rt. Gute Kraft der Sprunggelenks- nnd Ful~muskeln. Keine GangstSrung. Herabsetzung der faradisehen und galvani- schen Erregbarkcit im Bereiehe des N. femoralis, am Quadriceps und geringer an der Wadenmuskulatur mit trgger Zuckung, ohne Umkehr der Zuckungs- forme].

4. B e o b a c h t u n g .

Sch. Johann, geboren 1902, Kraftwagenlenker. Bis 1919 gesund. DatuMs nach Fall yon einem Turnger/ite starke Schmerzen im rechten Ges~$, die be- sonders w~hrend der Nacht qu~lend waren, in die Wade ausstrahlten und yon einer Schw/~che des Beines begleitet waren. Zeitweise Hodensehmerzen, sowie Empfindlichkeit des Beines gegen K/~lte. Diese Beschwerden besserten sich trotz Behandlung nicht und versti~rkten sich sogar in den ]etzten Jahrcn, ohne St6- rungen der Blase und des Mastdarms. Im November 1931 ]iel3en sich nur St6- rungen am rechten Beine naehweisen. Blut-Wa und M.T.R. negativ. Harn frei yon Zueker und Eiwei/L Leichte Schwellung der Leistendrfisen. Wirbels/~ule rSntgenologisch ohne Veranderung und nicht klopfempfindlich. Leichte Skoliose der mittleren Brustwirbels~nle. Aus der vergr51~erten Prostata liiBt sich ein eitriges Sekret ausdrficken, das auf Grund der mikroskopischen Untersuchnng hSchstwahrseheinlich gonorrhoischen Ursl0runges ist. Deutliche Bauehhaut- und Cremasterenreflexe. Rechts Isehiadicusdruckpunkt und ein leichter, in seiner St/~rke wechselnder Dehnungsschmerz. Drueksehmerzpunkt des rechten N. cru- rMis in der Leiste. Kniesehnen- und Achillesreflexe beiderseits gleich, plantare Ful3sohlenreflexe. Schw~che des rechten M. quadriceps bei Widerstandsbewe- gungen. Mitre des ]inken Oberschenkels 54 cm, rechts 51 era. GrSSter Waden- umfang links 35 era, rechts 34 cm. Die Kraft der Kniebeugcr gleich. Keine EmpfindungsstSrungen. Hinkender Gang mit dem rechten Beine, Druckemp- findlichkeit der reehten Wade. Der reehte Oberschenkel ffihlt sich kiihler an als der linke. An der Innenseite des rechten Fersenbeines eine bohnengrol~e schwielige Hautverdickung, an der sich zeitweise Blasen bilden. Eine Besserung der Besehwerden trat nach Behandlung der Prostata und einer Vaecineurin- kur ein.

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5. B e o b a e h t u n g .

B. K., 52 Jahre, Magazineur. Kein Trinker und keine Lues. W~hrend des Krieges magenleidend. Vor 8 Jahren eine Nervenentzfindung im reehten Arme. Arbeitet in einem Magazine mit kaltem Steinboden, litt sehr unter der Kalte und erkrankte im Herbst 1931 mit Schw~ehegefiihlen ira rechten Bein, Sehmer- zen am Schienbein und an der Autenseite des Untersehenkels, ziehendem Ge- f[ihl in den Muskeln und dureh einige Zeit an Gefiihllosigkeit des Vorderful~es. Konnte wegen Schmerzen auf der reehten Seite sehlecht Iiegen. Der Kranke ist mager, zeigt verdickte GefaBe. Dumpfe tterztSne, Puls 115. Die ]inke Pu- pille ist l~ngsoval, die rechte rund, Liehtreaktion deutlieh, ttirnnerven und Arme sonst frei. Die Wirbels~ule ohne Ver~tnderung. Bauehhautreflexe deutlich, Cre- masterenreflexe sind beiderseits herabgesetzt; kein Druekpunkt des N. eruralis. Die Kraft der Hfiftbeuger und Kniestreeker ist reehts herabgesetzt, der reehte Kniesehnenreflex sehw~eher als der linke. Die reehten Kniebeuger sind weniger kr~tftig als die linken. Die Sprunggelenkmuskeln sind beiderseits gleieh. Keine deutliehen EmpfindungsstSrungen, kein Dehnungsschmerz. Der Puls der Art. poplitea ist reehts etwas sehw~cher als links. Beide Fii~e fiih]en sieh kalt an. Blut-Wa und M.T.R. negativ.

6. B e o b a c h t u n g .

J. J o h a n n , geboren 1873, Kesselw~rter aus Steiermark. In der Jugend stets gesund, nieht infiziert, kein Trinker, drei gesunde Kinder. 1924 erstmalige rheumatisehe Erkrankung des linken Beines m[t Sehmerzen im Obersehenkel und Knie durch 14 Tage. Seither manchmal vor~ibergehende Sehmerzen. iNeuer- liche Erkrankung im August dieses Jahres mit plStzlich auftretenden sehr starken Schmerzen in der linken Hfifte, die an die Vorderseite des Obersehenkels, das Knie und das Sehienbein ausstrahlten. Sie waren besonders heftig im Liegen, so da$er dutch 14 Tage nicht sehlafen konnte, besserten sieh beim Herumgehen. Zuletzt waren sie am qu~lendsten oberhalb des Knies, so da$er glaubte, dort eine Eiterung zu bekommen. Dazu kam noeh eine Sehw~che des 0bersehenkels mit Einknicken des Knies beim Gehen. Keine Stsrung der ]~lase und des Mast- darms. Zeitweise Sehmerzen im linken Arme. K6rperabmagerung seit Januar. Der o b j e k t iv e Befund ergab bei dem etwas abgemagerten Manne keine Krank- heitssymptome am Kopf, den Armen und am ~umpfe. Blut-Wa negativ. Die Wirbels~ule zeigt rOntgenologiseh ira Lendenbereiche einige Zacken, ]eiehte arthritisehe Ver~nderungen bestehen im Bereiehe der linken Hfiftpfanne. Die langen Lendenmuskeln sind etwas druekempfindlich. Die Beekenorgane sind nicht erkrankt. Die Bauehhaut- und Cremasterenreflexe sind beiderseits gleieh. Drueksehmerzpunkt des ]inken N. eruralis in der Leiste, Sehmerzen daselbst beim Beugen des Obersehenkels gegen Widerstand. Deutlicher linksseitiger Cru- ralisschmerz ausstrahlend auf die Vorderseite des Oberschenke]s in Bauehlage und bei passiver Hiiftstreekung. Die linken ttfiftbeuger sind schw~cher als die reehten; der Umfang der Mitte des Obersehenkels is~ ]inks um 11/2 cm, der linke Wadenumfang um 1 cm geringer als rechts. Der linke Kniesehnenreilex iehlt. Die Adduktorenreflexe sind beiderseits gleich, die Ab- und Adduktionsbewe- gungen in der Hlifte gesehehen beiderseits mit gleicher St~rke. Die Kniestreeker

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sind links geschwacht, ebenso die Kniebeuger. Die Bewegungen ira Sprung- gelenk geschehen links und rechts mit guter Kraft. Der linke Achitlessehnen- reflex ist deutlich, abet schwgcher als der rechte. Es besteht ein linker Ischiadi- eusdruckpunkt, leichter Dehnungsschmerz; beim Stehen wird der KSrper etwas nach vorne und links geneigt; beim Gehen hinkt der Kranke mit dem linken Beine; dies nimmt beim Versuche zu l~ufen zu und knickt d~s Knic dabei leicht ein. Die elektrische Untersuehung ergibt eine Iterabsetzung der faradischen und galvanischen Erregbarkeit des N. eruralis, der ~I. qn~driccps, Biceps und der Adduktoren mit etwas tr~gerer Zuckung ohne Umkehr der Zuckungsformel. Objektiv sind EmpfindungsstSrungen nicht feststellbar. Feine Bertihrungen, 8chmerz- und Temper~turreize werden am ganzen linken Beine gut empfunden, Spitz und stumpf deutlich unterschieden.

Die Erkrankung betrif~t in allen seehs Fgllen in der t tauptsache ein Bein. Viermal das linke, zweimal das reehte und lgl~t - - ab- gesehen yon ehronisch rheumatischen Vergnderungen im sechsten Falle - - die fibrigen KSrperteile frei. /)as klinische Bild zeigt in den Grundztigen ein e i n h e i t l i c h e s G e p r g g e , eine Zusammen- setzung aus Bewegungsst~rungen und vorwiegend sensiblen t%eiz- symptomen im Gebiete bestimmter Innervationsgebiete der lum- bosacralen Wurzeln, das in den einzelnen Fgllen nur neben- sgchliche Abweichungen durch die versehiedene Stgrke der Symptome und eventuell dutch das t3bergreifen auf benachbarte Wurzelgebiete zeigt, wie dies aueh G i e r l i c h in seinen F~llen be- obaehtet hat.

In allen Fgllen ist kennzeiehnend der a k u t e n e u r a l g i f o r m e B e g i nn , mit lanzinierenden Schmerzanf~tllen, die in der Htifte be- ginnen, yon da wie bei den Cruralisneuralgien an die V o r d e r - u n d I n n e n f l g e h e des 0 b e r s e h e n k e l s , sowie unterhalb des K n i e s l~tngs des o b e r e n S e h i e n b e i n a n t e i l e s und an die I n n e n - f l ~ e h e des U n t e r s c h e n k e l s ausstrahlen. Nieht regelmgl3ig vet- breiten sieh die Sehmerzen aueh fiber das Gesgl? auf das Kreuz, oder tiber die Leiste in die t toden. Im Gegensatze zu den G i e r - l i ehsehen Formen und den gew6hnliehen Isehiasformen, sind die Sehmerzen in der Ruhe und Naehts am stgrksten, mildern sieh bei Bewegungen. Typiseh ist ferner e i n C r u r a l i s d r u e k s e h m e r z - p u n k t in der Leiste, der beim Husten, Pressen, beim 10assiven Streeken des Htiffgelenkes als C r u r a l i s d e h n u n g s s e h m e r z (Cru- raliszugph~tnomen, F r e u n d ) , der nur ausnahmsweise nieht naeh- weisbar ist, zum Ausdrueke kommt und die kennzeiehnende B e u g e h a l t u n g d e r t t f i f t e b e i m S t e h e n u n d G e h e n mit Entspannung des N. cruralis ausl6st. Eine Skoliose der Wirbel-

Deutsche Zeitsehrift f. Nervenheilkunde. Bd. 129. 10

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138 It. Zingerte:

sgule wie bei Isehi~s, ebenso wie Drueksehlnerzpunkte seitlieh von der Lendenwirbelsgule, wie sie die G ie r l i chsehen Formen zeigten, fehlen. Sensible Reiz- und Ausfallserseheinungen im Ischiadicus- gebiete gehOren nicht zum typisehen Krankheitsbilde ; objektiv fest- stellbare EmpfindungsstOrungen k0nnen fehlen, oder t reten gegen die t~eizerseheinungen in den Hintergrund. Im Ansetllusse an die Sehmerzanfglle kommen Itypergsthesien, Pargsthesien und maneh- real I-Ierabsetzung des Empfindnngsverm6gens im Bereiehe der Sehmerzzonen an der Vorderinnenflgehe des Obersehenkels und am Sehienbeine vet. Storungen, wie sie der Itinfte Fall im Peronaeus- gebiete zeigte, sind etwas durehaus vereinzeltes. Die m o t o r i s e he n S y m p t o m e besehrgnken sieh auf eine S e h w g e h e , niem~ls voll- stgndige Lghmung der I t i i l t b e u g e r , der K n i e b e u g e r und K n i e - s t r e e k e r . Ausnahmsweise - - i n zwei Fgllen - - sind aueh die Ad- duktoren gesehwgeht oder sind die Kniebeuger nieht beteiligt. Die gesehwgehten Muskeln nnd die Waden, deren Kraft nieht naeh- weisbar vermindert ist, zeigen niemals eine vollstgndige Atrophie, aber eine d e u t l i e h e A b m a g e r u n g , die nieht dutch Inaktivitgt hervorgerufen sein kann; sie steht in enger Beziehung zur Ver- teilung der Ausfalls- nnd Reizsymptome nnd geht einher mit e i n e r s e h w a e h e n F o r m de r E n t a r t u n g s r e a k t i o n . Die Ful3muskeln bleiben stets frei, ebenso wie St/Srungen der Blasen-, Mastdarm- und Genitalfnnktionen nieht zum Bilde der Erkrankung geh~Sren. - -

Der Bewegungsst6rung entspreehen in der Regel ein F e h l e n o d e r A b s e h w g e h u n g des P a t e l l a r s e h n e n r e f l e x e s , der nur in einem Falle normal ist, wghrend der Aehillesselmenreflex in alien Fgllen bis auf den seehsten Fall unvergndert ist. Ebenso kommen 8t6rungen der Cremasteren-, Addnktoren-, Glutaeal- und Fugsoh- lenreflexe nnr vereinzelt vet.

Das Leiden hat den Charakte'r einer W u r z e l e r k r a n k u n g dutch das rasehe Einsetzen der Symptome, das starke Hervor- t reten der neuralgiformen Sehmerzen, Zurtiektreten der sensiblen Ausfallserseheinnngen gegentiber den Sehmerzen, dutch die Aus- breitung der Symptome in bestimmten Wurzel~reMen, ohne dem Innervationsgebiete eines peripheren Nervenstranges zn folgen und ohne Neigung sieh auf weitere Gebiete auszubreiten, was aueh W e r t h e i m - 8 a 1 a m o n s o n, ebenso wie die Einseitigkeit der Krank- heitslokalisation als Kennzeiehen der Plexnserkrankungen hervor-

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hebt. Die G r u n d s y m p t o m e sind verh~ltnism~Big einfaehe und umgrenzte.

1. I m B e r e i e h e d e r L u m b a l w u r z e l n sind betroffen der Ileopsoas und Quadrieeps, der Kniesehnenreflex in Verbindung mit Cruralissehmerzpunkt und begrenzten sensiblen Reiz- und Ausfall- symptomen am Ober- und Untersehenkel, also Gebiete, welche alle zum Haupts tamme des Plexus lumb. gehoren, aus welchem der N. eruralis hervorgeht.

2. Die Sehw&che der Kniebeuger und die Abmagerung der Wa- den sind auf Wurzelanteile des zweiten Haupts tammes des Plexus lumbosacralis zu beziehen, aus welehem der N. ischiadieus hervor- geht. Der M. ileopsoas geh0rt zu den Wurzelgebieten D 1 2 ~ L 5, der Quadriceps zu L 2- -L 4, das Schmerzareal zu L 4, der N. biceps und gastroenemius zu L 4--S 2. Alle sonstigen Saeralwurzeln, der Plexus eoceygeus und pudendus kommen also nieht in Betracht. Aueh die eigentliehen Innervationsgebiete der ersten zwei Lenden- wurzeln fallen fiir das typische Krankheitsbild fort, so dab die Sch~digung innerhalb des Wurzelgebietes L 3--S 2 gelegen sein muB. Diese ganze Strecke kann aber nicht betroffen sein, weil nie- mals Symptome bestanden, welche den vollst~ndigen Ausfall eines ganzen Wurzelgebietes erschliel3en lassen. Es kam in keinem Falle zu vollst&ndiger L&hmung eines Muskels oder zu sehwerer Ent- artungsreaktion, nnd fehlten stets totale und sehwerere Empfin- dungsausf&lle. Diese Tatsaehe zeigt, dab nur ein Tell der Wurzeln der betroffenen Innervationsgebiete geseh~digt, sein kann, wS~hrend andere Wurzelverbindungen erhalten sein mtissen, i m B e r e i c h e L 3--S 2 k a n n n u r e ine E r k r a n k u n g d e r L ~- -L 5 die t e i l - w e i s e n Aus f / t l l e u n s e r e r K r a n k h e i t s f ~ l l e h e r v o r r u f e n , denn in ihnen verlaufen Fasern zu allen gesch~tdigten Gebieten, den Arealen der Empfindungsst0rungen und Schmerzen, und zu allen betroifenen Muskeln vorn Ileopsoas bis zum Gastroenemius. ~i0glieherweise ist aueh die Glutaealmuskulatur beteiligt, deren teil- weise Seh~digung ohne st~rkere Atrophic jedoch sehwer festzu- stellen ist. Da die Quadricepsmuskulatur stets am st~trksten be- troffen ist, und aueh der Kniesehnenreflex in der Regel sehr gelitten hat, kann noch die Erkrankung der L 3 in Betracht kommen.

Es haben sehon A n d r g - T h o m a s n. P h i l i p e a u darauf bin- gewiesen, dab der N. eruralis, obturatorius und ischiadieus gemein-

10"

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140 H. Zingerle:

same Ursprungswurzeln in L 4 haben und dab be] den von ihnen

besehriebenen Misehformen yon E rk rankung des Plexus lumbo- sacralis eine anf~ngliehe L~sion dieser Wurzel anzunehmen ]st.

Das yon uns beobaehte te Krankhei tsbi ld ]st demnaeh auf eine

E r k r a n k u n g de s T r a e t u s l u m b o s a e r a l i s u n t e r w a h r -

s e h e i n l i e h e r M i t b e t e i l i g u n g v o n L 3 z u r t i e k z u f i i h r e n , es

unterscheidet sieh yon der lumbalen F o r m G i e r l i e h s dureh das

Ubergreifen auf das Isehiadieusgebiet, yon der saerMen F o r m Gie r- l i e h s vor allem dureh dds Fehlen yon St6rungen im Peronaeus-

gebiete und am I~uge, dureh die Verbindung mit Lumbalwurzel -

symptomen , dutch den Crura lsehmerzpunkt an der Stelle des

Sehmerzpunktes seitlieh yon der Lendenwirbels/~ule und dureh das

Hervor t r e t en der Sehmerzen in der Ruhe.

A l l e d r e i t ; o r m e n s i n d a b g r e n z b a r ' e T y p e n l u m b o -

s a e r a l e r , v e r s e h i e d e n l o k a l i s i e r t e r W u r z e l - u n d P l e x u s -

e r k r a n k u n g . Atypisehe Fo rmen k o m m e n dureh Ubergreifen auf

benaehbar te Wurze ln vor, ohne dab das Grundbild dadureh ver-

wiseht wird. So zeigt besonders der sechste Fall eine Miterkran-

kung tieferer Isehiadieuswurzeln, die sonst zum Bilde der saerMen

F o r m G i e r l i e h s geh6rt. I n ausgepr/~gten ~:/~]len k o m m t es zu einer

Verbindung beider Formen, wie es der folgende Fall zeigt.

7. Beobachtung.

R.E., Hilfsarbeiter, geboren 1899. Im Jahre 1917 Kontusion der Hiifte durch Anfahren mit einem Sehlitten gegen einsn Baum, mit starken Schmerzen und 14thgiger Unfahigkeit zu gehen. Allm/~hliche Abmagerung und Sehwacher- werden des Beines, das sich nieht mehr besserte. Erst im Jahre ]925 wurde rdntgenologisch eine alte Beckenfraktur im reehten Schambeine festgeste]lt. Da- mals bestanden Veriinderungen der Sehnenreflexe an den beiden Beinen, aber rechts starker als links. Die Schws und Abmagerung haben sich bis heute nicht gebessert.

Der objekt ive Befund ergibt lebhafte Bauch- und Cremasterenreflexe, Abschw~chung der Kniesehnenreflexe, Abmagerung des reehten Oberschenkels um 10 cm, der reehten Wade um 3 cm gegen links, Abmagerung des rechten Gesgges, fehlen beider Aehillessehnenreflexe. ]~echts }tohlful? mit Krallenstel- lung dot Zehen, schiechte Zehenbewegung und Dors~lflexion dos Fuges. Im tibrigen ist die Kraft des g~nzen rechten Beines vermindert, ohne d~g aber eine Lahmung besteht. Alle Bewegungen, besonders in den Hflft- nnd Kniegelenken sind in gutem Ausm~ge mSglieh.

Dynamometer: tI~iftbeuger links 165, rechts 100, Glutaei links 101, rechts 45, Kniebeuger links 10O, rechts kein deutlicher Ausschlag. Abduktoren ]inks 60, rechts 45. Nut die Kniestrecker sincl trotz der so starken Abmagerung nieht

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Typisehe Symptomgruppierung bei Erkrankung des Plexus lumbosacralis. 141

geschw~cht. Keine Empfindungsstorung. Starke Herabsetzung der galvanisehen und faradisehen Erregbarkeit der Muskeln des rechten Beines, ohne Umkehr der Zuckungsformel. Gang mit dem reehten Beine hinkend mit leichtem Traber- gang.

Das t raumat i sche Krankhei tsbi ld , das zuerst beiderseitig war,

en tha l t in gleichf6rmiger St~rke die S y m p t o m e unserer und der

sakralen F o r m G i e r l i c h s , ohne daii die eine der anderen unter-

geordnet erscheint. Beide Fo rmen sind hier zu einem einheitlichen

Krankhei tsbi lde vereint, das seine Grund]age in einer Sch~digung

L 3 - - L 4 § L 5 - - 8 1 haben muG. An dem Falle ist besonders deut-

lich und yon Interesse, wie begrenzte, auch noch so schwere Wurzel-

sch~tdigungen keine vollst~tndigen L a h m u n g e n und g~nzlichen Mus-

kelschwund erzeugen, wie dies bei Verletzungen der peripheren Net-

vens t~mme der Fail ist, weil eben noch andere Wurzel innervat ionen

erhal ten bleiben. Fiir den Ausgleich der Empf indungss t0 rungen

scheint dieser Ums tand besonders giinstig zu sein. I n unserem l~alle

waren solche i iberhaupt nicht mehr nachweisbar.

Neben den a t yioi s c he n F o r me n durch Mitergriffenwerden be-

nachbar te r Wurzelgebiete, haben G i e r l i e h , B r e g m a n , F r e u n d

u. a. noch solche unterschieden, bei welchen im Krankhei t s -

bilde die motor ischen St~rungen mehr weniger zuri icktreten, und

d ie s e n s i b l e n I~e iz - u n d A u s f a l l s e r s e h e i n u n g e n i i b e r -

r a g e n .

Dasselbe kann sieh auch bei unserer F o r m zeigen.

8. Beobachtung.

P. W., geboren 1876, I-Iochsehullehrer aus 8teiermark. Keine Lues und kein Trinket. Alter Herzfehler. 1930 lgngerdauernde Enteritis. Sehon im September 1929 brennende Schmerzen in der linken Hi~ffe, die in den Obersehenkel aus- strahlten und bald abklangen. Seit 30 Jahren multiple kleine Hautfibrome. Im Dezember 1930 nach Verktihlung Schmerzen in der rechten Hlifte, aussfrahlend in die rechte Leiste und gegen das reehte Knie, die sieh beim Gehen milderten. Keine Besserung trotz Isohiasbehandlung. Sparer Ausstrahlen der Sehmerzen bis in den FuB. Im Mai 1931 bestand ein starker Cruralissehmerzpunkt in der Leiste, Herabsetzung des rechfen Cremaster- und Kniesehnenreflexes, eine Schwache der Hiiftbeuger und Kniestrecker, wozu sioh im Juli noeh Kreuzbein- und Lendensehmerzen gesellten. Vorhbergehend stellten sich aueh Schmerzen in der linken I-Iiffte und Knie ein; die Sehmerzen waren am stgrksten beim Stehen und in der l~acht, erschwerten aber aueh das Gehen. Besserung durch Beugestellung des Beines im Knie und ttiifte. Zeitweise auch Kaltegeiilhle im linken Beine und voriibergehende Schmerzgeftihle auch im ~iicken und in den Armen. Niemals Blasen- und Mastdarmst6rungen. Trotz vielfaeher Behandlung

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142 H. Zingerle:

keine wesentliche Besserung, konnte nur hinkend und in gebeugter Stel]ung gehen und ranBte viel sitzen.

KOrperlicher Befund: Keine Ver~nderung an den Hirnnerven und Arraen. Bauchhaut- und Creraasterenreflexe beiderseits gleich. Cruralisdruck- punkt in der reehten Leiste und Cruralisdehnungssehraerz in der Banehlage, die dadurch ersehwert ist. Die anf~,ngliche Abschw~ehung der Kniesehnen- reflexe glich sich bald wieder aus. Achilles- und l%f3sohlenreflexe beiderseits gleich. IKeben des reehten Beines gegen Widerstand rechts etwas schw~eher, als links. Eine Muskelabraagerung besteht nicht. Klopferapfindliehkeit der Lenden- wirbe]sgule, Druckschraerz am oberen Dgrmbeinrande und leiehter Druckpunkt des rechten Ischiadicus. Keine deutliehe Erapfindungsst6rung an der Hant. Gang raft dera rechten Beine hinkend, raft nach vorne nnd reehts geneigtera OberkSrper. Das ]inke Bein ist ohne jeden pathologisehen Befnnd. Der RSntgen- belund zeigte, daft der 12. ]~rustwirbelkSrper etwa 5 rain niedriger ist, als der rechte, ohne auff~tUige Herabsetzung des Xalkgehgltes nnd ohne sonstige Ande- rung der Form und Struktur, Die Bandseheibe zwisehen dera 11. und 12. Wirbel ist verschra~lert. Dieser Beiund blieb bisher vollkoraraen gleich und nnver- andert. An den iibrigen Wirbeln, besonders ira Bereiche der oberen Brustwirbel- s~ule exostosenartige Zuspitzungen der vorderen Wirbelr~nder. Keine Vergnde- rung ira Beeken. Prostata ohne pgthologisehen Befund. l~orraMes Blutbild. BhJ~- und Liquor-Wa negativ. Der Liquor zeigt ]eichte Verraehrung der Glo- buline (zarte Ringbildung bei Nonne-Apelt) und Goldsolkurve 34554321. Sonst keine Ver~nderung. In der Lunge Zeiehen einer fibr6sen Peribronehitis.

Der Verlauf des Leidens war ein auffallig hartn~ckiger. Eine wirkliche Besse- rung trat erst naeh raehrmonatiger Behandlung und Liegeknr in der Sonnen- heilst~itte Stolzenalpe im Verlaufe des Soraraers 1932 ein.

D~s Krankhei tsbi ld entspr icht im wesentl ichen unserer F o r m

mit geringer a typischer Betefligung yon Isehiadicusschmerzsym-

p tomen. Die motor ischen Erscheinungen fehlen aber nach Abklin-

g e n d e r kurzdauernden AbsehwKehung des rechten Kniesehnellre-

flexes vo]lkommen, und wird der ganze Verl~uf durch dus Uber-

wiegen der schweren Wurzelschmerzen gekennzeichnet , wie er yon

W e r t h e i m - S a l g m o n s o n fiir Plexusneuri t iden ~]s eharakter i -

stiseh angegeben wird. Bemerkenswer t ist der rein neurit isch-neur-

algische Charakter ohne objekt iv nachweisbare Sensibilit~tsst0- rungen, wie man dies aueh bei vielen F o r m e n yon Wurzelischias

beobachten kann, die ebenfalls h~ufig so har tn~ckig verlaufen, wie dieser Fall. Die anf~ngliche Vermutung, daf~ es sieh um eine fort-

sehreitende Erk rankung des 12. Brustwirbels handele, ha t sich nicht best~ttigt und liegt bei diesem wohl eine dauernde Verbildung

vet . Der iibrige Wirbelbefund zeigte chronisch rheumatisehe Ver- ~nderungen, welehe die mi tun te r auf t re tenden Rficken- und Arm-

schmerzen vollauf erkl~ren.

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Typisehe Symptomgruppierung bei Erkrankung des Plexus lumbosaeralis. 143

Ur s ~ c h li c h kommt in unseren Beobachtungen nur im siebenten Falle eine Vergnderung des Beekens dutch Traum~ in Betraeht. In den iibrigen F/~llen sind yon der Wirbels~ule, dem Beeken und den Beckeneingeweiden fortgeleitete Erkrankungsprozesse, Stoff- weehselleiden und Lues auszusehlieBen und kann naeh dem im ganzen gutartigen Verlaufe und Charakter des Leidens nur ein e n t - z i i n d l i e h e r Prozel3 vorliegen, ffir welehen in den meisten F~llen Verkfihlungen und Durehn~ssungen, in einem Falle wohl aber der ehronisehe gonorrhoisehe ProzeB verantwortlieh zu maehen sind. Es liegen aueh keine Anhaltspunkte vor, dab es sieh in unseren F~llen um irradiierende Neuralgien im Gebie~e des Isehiadieus und Cruralis im Sinne yon L a p i n s k i oder um statisehe Neuralgien (SAM) handelt, abgesehen davon, dal3 ausl6sende Organerkran- kungen fehlen und aueh das typisehe Krankheitsbild fiber den Rah- men einer einfaehen Neuralgie hinausgeht.

G i e r l i c h hat dureh die besondere ungesehiitzte Lage der 2. und 3. Lendenwurzel in ihrem Verlaufe zum 13eeken die Erklgrung ihrer leichten Sehgdignng gesueht. Welehe tieferen Momente fiir die be- sondere Lokalisation der Seh~digung bei unserer Form in Frage kommen, ist ebenso unklar, wie warum eine bestimmte Seite er- krankt, oder eine Verkfihlung das eine Mal eine Erkrankung des Isehiadieusstammes, das andere Mal eine Wurzel- und Plexusseh~di- gung ausl6st, tIier mtissen individuelle Momente zugrunde liegen, welehe im einzelnen Falle sehwer aufzudeeken sind.

Differentialdiagnos~iseh kann die Unterseheidung yon einer Stammneuritis besonders des N. isehiadicus Sehwierigkeiten be- reiten, wenn die Reflexst6rung und die Sehw~ehe und Abmagerung der Cruralismuskeln nicht besonders ausgesproehen ist. Die riehtige Diagnose ist aber nieht zu verfehlen, wenn man in die Untersuehung die lumbalen Wurzelgebiete einbezieht, besonders den Cruralis- sehmerzpunkt in der Leiste mit dem Streeksehmerz, die Ausstrah- lung der Sehmerzen an der Vorder- und Innenseite des Obersehen- kels und am Knie beaehtet und auf motorisehe St6rungen des Ileo- psoas und Quadrieeps fahndet. Es ist abet aueh an die M~)glieh- keit einer Erkranknng im Bereiehe der Cauda equina selbst zu denken, die ~hnliehe Symptombilder hervorrufen kann, wie ein FM1 yon Cone u. S a u c i e r lehrt, bei dem ein Tumor der Cauda equina eine einseitige CruralneurMgie mi~ Sehw~iehe des Quadrieeps, Fehlen des Kniesehnenreflexes und Thermohypgsthesie im Wurzelbereiehe

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144 H. Zingerle:

D 12--L 3 neben Sehmerzen in der Leistengegend maehte. Die Unterseheidung ether intramenigealen Radieulitis yon einer sol- then in extramenigealem Absehnitte ist nach Andr6 T h o m a s u. P h i l i p e a u dutch die Untersuehung des Liquor erleiehtert, der bet Sitz der L~sion innerhalb der Meningen Eiweigvermehrung und Lymphoeytose zeigt, w/s bet extramenigealer Erkrankung die Zellvermehrung fehlt. Sie halten aueh das Fehlen yon Druek- und Elongationssehmerz ftir die erstere Form eharakteristiseh. Be rn - h a r d t hat sehon darauf hingewiesen, dab es in einzelnen F/~llen auch sehwer zu entscheiden sein b n n e , ob eine atrophisehe Li~h- mung im Cruralgebiete eine peripher-neuritisehe Grundlage habe, oder Teilerseheinung einer subakut auftretenden Poliomyelitis set. ~Tir konnten an zwei F/~llen abgelaufener Poliomyelitis mit nieht vollkommener L/~hmung die Ahnlichkeit des Symptombfldes be- st/~tigen, das sieh dureh Sehw~ehe der Ittiftbeuger, Sehw/~ehe und Atrophie im Quadrieeps mit Verlust des Kniesehnem~eflexes, Sehw~- ehe der Kniebeuger, Abmagerung der Wade mit ganz geringer Sehw/~ehe der Muskeln derselben, bet freier Bewegliehkeit des FuBes ~ugerte. Nut fehlte aueh der Aehillessehnenreflex. Die Sehwierig- keit der Unterseheidung war in einem FMle noeh dadurch erh6ht, dab derselbe in der ersten Zeit aueh an starken Schmerzen an der Vorderseite des Obersehenkels gelitten hatte. Die genaue Ana- mnese ergab, dab es sich um eine meningeale Form der Poliomyelitis gehandelt hatte, und lieB sieh sowohl aus den anfs Fieber- symptomen, den Sehmerzen im Kopfe nnd l~tieken und den Er- seheinungen allgemeiner Hyper~sthesie, als aueh an leiehten Sehw/~ehezust~nden und I~eflexver/~nderungen am anderen Beine, die aueh der andere Fall zeigte, die riehtige Diagnose stellen.

Z u s a m m e n f a s s u n g .

Sieben F~lle yon Erkrankung des lumbosaeralen Wurzelgebietes zeigen ein tibereinstimmendes Symptombild, das auf die Seh/~digung des Truneus lumbosaeralis und wahrseheinlieh aueh der 3. Lumbal- wurzel zu beziehen ist. Das Bild ist zwisehen die beiden yon Gier- l ieh besehriebenen Formen, die lumbMe mit Erkrankung yon L 2--L 3, und die sakrale mit Lokalis~tion der Seh~digung in L 5--S 1 einzureihen, welehe ebenfalls eine bestimmte klinisehe Symptomatik zeigen.

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T y p i s e h e S y m p t o m g r u p p i e r u n g bei E r k r a n k u n g des P l e x u s lumbosaerMis . 145

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