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226 Vierte Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Nerveniirzte. darin liegen, class jene auf psychologisehe Weise beeinflussbar sind, withrend solche Versuche echten Psychosen gegenllber durchaus versagen. Sehhss der Sitzung 121/2 Uhr. 4. Sitzung. Am 7. Oktober, nachmittags 2 Uhr. Vorsitzender: Herr Oppenheim. Vortri~ge. 14. Herr Artur Schiiller-Wien: ~ber operative ])urehtren- hung der Wurzeln und Str~tnge des Riiekenmarks. Schiiller referiert fiber 8 F~lle, an welchen die Hinterwurzel- durchschneidung wegen spastischer L~hmungen oder wegen tabischer Krisen yore Prim. Moszkowicz (Rudolfinerhaus in Wien) ausgefiihrt wurde. Die im unmittelbaren Anschluss an die Operation erkennbaren g]Knzenden Resultate erweisen die Riehtigkeit der theoretischen Be- griindung des FSrsterschen Verfahrens. ]ndes sind die Erfolge nicht stets yon Dauer. Diese Tatsache, ebenso wie der Umstand, dass die FSrstersehe Operation nur in jenen FKllen anwendbar ist, wo der Krankheitsprozess nicht allzu ausgedehnte KSrperbezirke betroffen hat, veranlassten S chiiller, nach Erg~nzungs-, bezw. ,Ersatzoperationen" zu suchen; er g]aubt fiir diesen Zweck dis Durchschneidung yon StrKngen des Riickenmarks (Chordotomie) als einen im Tierexperiment re]arty ungef~hrlichen Eingriff vorsehlagen zu diirfen. Als Indikationen ftir diese Operation kommen einerseits ausgebreitete tabische Krisen, anderer- seits spastische Prozesse in Betraeht. Im ersteren Falle w~re die Durchschneidung der dis Schmerzfasern leitenden Anteile der Seiten- strKnge, im 2. Fall die der ttinterstr~nge, eventue]l zusammen mit den Kleinhirnseitenstr~ingen, vorzunehmen. Gegebenenfalls k~imen aueh Kombinationen der Hinterwurzeldurchschneidung mit der Strangdureh- schneidung in Betracht. (Eine ausflihrliche Mitteilung findet sich in ,,Wiener med. Wochenschrift" 1910, Nr. 39.) Diskussion (gleichzeitig zum Vortrag FOrster S. 146). Herr Siegm. Auerbach-Frankfurt a. M.: Ich babe gestern schon privatim Herrn FSrster mitgeteilt -- ieh halte es aber far angezeigt, es auch hier zu sagen, -- dass mir bezw. dem Chirurgen Herrn Gross- mann in Frankfurt a. M. ein Kind mit schwerer Littlescher Krankheit trotz aller Vorsicht bet der Operation 12 Stunden nach dem ersten Ein- griff, also nach Er(iffnung der Wirbelsi~ule unter den Zeichen der Herz- lahmung zugrunde gegangen ist. A priori ist es ja erklarlich~ dass die

Über operative Durchtrennung der Wurzeln und Stränge des Rückenmarks

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226 Vierte Jahresversammlung der Gesellschaft Deutscher Nerveniirzte.

darin liegen, class jene auf psychologisehe Weise beeinflussbar sind, withrend solche Versuche echten Psychosen gegenllber durchaus versagen.

Sehhss der Sitzung 121/2 Uhr.

4. S i t zung .

Am 7. Oktober, nachmittags 2 Uhr.

V o r s i t z e n d e r : Herr Oppenhe im.

Vortri~ge.

14. Herr A r t u r Schi i l le r -Wien: ~ b e r operat ive ] )ureh t ren- hung der W urze ln und Str~tnge des R i i ekenmarks .

Sch i i l l e r referiert fiber 8 F~lle, an welchen die Hinterwurzel- durchschneidung wegen spastischer L~hmungen oder wegen tabischer Krisen yore Prim. Moszkowicz (Rudolfinerhaus in Wien) ausgefiihrt wurde. Die im unmittelbaren Anschluss an die Operation erkennbaren g]Knzenden Resultate erweisen die Riehtigkeit der theoretischen Be- griindung des FSrs terschen Verfahrens. ]ndes sind die Erfolge nicht stets yon Dauer. Diese Tatsache, ebenso wie der Umstand, dass d i e FSrs te r sehe Operation nur in jenen FKllen anwendbar ist, wo der Krankheitsprozess nicht allzu ausgedehnte KSrperbezirke betroffen hat, veranlassten S chii l ler , nach Erg~nzungs-, bezw. ,Ersatzoperationen" zu suchen; er g]aubt fiir diesen Zweck dis Durchschneidung yon StrKngen des Riickenmarks (Chordotomie) als einen im Tierexperiment re]arty ungef~hrlichen Eingriff vorsehlagen zu diirfen. Als Indikationen ftir diese Operation kommen einerseits ausgebreitete tabische Krisen, anderer- seits spastische Prozesse in Betraeht. Im ersteren Falle w~re die Durchschneidung der dis Schmerzfasern leitenden Anteile der Seiten- strKnge, im 2. Fall die der ttinterstr~nge, eventue]l zusammen mit den Kleinhirnseitenstr~ingen, vorzunehmen. Gegebenenfalls k~imen aueh Kombinationen der Hinterwurzeldurchschneidung mit der Strangdureh- schneidung in Betracht. (Eine ausflihrliche Mitteilung findet sich in ,,Wiener med. Wochenschrift"

1910, Nr. 39.)

D i skuss ion (gleichzeitig zum Vortrag FOrster S. 146).

Herr Siegm. Auerbach-Frankfur t a. M.: Ich babe gestern schon privatim Herrn FSrs t e r mitgeteilt -- ieh halte es aber far angezeigt, es auch hier zu sagen, - - dass mir bezw. dem Chirurgen Herrn Gross- mann in Frankfurt a. M. ein Kind mit schwerer Lit t lescher Krankheit trotz aller Vorsicht bet der Operation 12 Stunden nach dem ers ten Ein- griff, also nach Er(iffnung der Wirbelsi~ule unter den Zeichen der Herz- lahmung zugrunde gegangen ist. A priori ist es ja erklarlich~ dass die

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Mehrzahl der Individuen, far welche die F0rs tersche Operation in Frage kommt, kein sehr kri~ftiges Herz haben; reich wundert es nur, dass ilber ahnliche Katastrophen bisher nichts berichtet wurde. Ich m0chte deshalb vorschlagen, die Operation unter Lokalanasthesie, vielleicht mit Zuhilfe- nahme yon Seopoimorphin, auszufiihren, natilrlich bis zur eigentlichen Wurzelresektion, die ohne allgemeine ~arkose nicht vorgenommen werden kann. Hierbei mfisste man eine Athernarkose, vielleicht aueh den ~_ther- rauseh einleiten, tJbrigens brauche ieh wohl nicht zu versichern, dass auch ich den yon F. inaugurierten Fortschritt der operativen bTeurologie lebhaft begrilsse, und dass mich das geschilderte Erlebnis nicht abhalten wird, den Eingriff gegebenen Falles immer wieder vornehmen zu lassen.

Herr bTonne: ST. hat in einem Fall yon L i t t l e bei einem 6jiihrigen Kind mit sehr gutem Erfolg operieren lassen; in 3 Fallen yon gastrischen Krisen bei Tabes war einmal ein sofortiges Aufh(iren der schweren Krisen zu verzeichnen; in dem 2. Fall trat nach der durch Blutung sieh sehr schwierig gestaltenden Operation der Tod dureh Shock einige Stunden nach der Operation ein; in dem 3. Fall, in dem aueh die 10. Dorsalwurzel entfernt war, trat eine bleibende Paraplegia inferior auf.

Herr Rothmann: Die Beziehungen der Affektionen der Pyramiden- bahnen zu den Spasmen und die Beeinflussung der letzteren durch Herab- setzung der sensiblen Erregungen haben reich seit meinen Pyramiden- arbeiten' stets interessiert. Ich habe daher vor einigen Jahren, als Gold- s c h e ider zuerst naehwies, dass intradurale Cocaininjektionen bei spastisehen Lahmungen auf Stunden die volle Beweglichkeit wiederherstellen k(innen, mich an 2 geeigneten Fallen yon der Richtigkeit dieser Tatsache fiberzeugt. Doch sind damit keine Dauererfolge zu erzielen. F 0 r s t e r hat dureh seine geniale Idee bier praktisehen Erfolgen Bahn gebrochen. Da bei diesen Operationen mehrere Todesfalle vorgekommen sind, so ist yon grSsster Wichtigkeit, das Zentralnervensystem genau zu untersuehen, um die Aus- dehnung der Pyramidenaffektion festzustellen und damit aueh ffir den ~[enschen sicherea Aufschluss fiber die funktionelle Leistungsfiihigkeit der zentripyramidalen Bahnen zu gewinnen. Was den Vorsehlag des Herrn Schli l ler betrifft, so ist die Durchschneidung einzelner Rtlckenmarks- strange technisch leicht ausftihrbar, wie ieh naeh meinen zahlreichen Ex- perimenten an Affen mit Sicherheit sagen kann: Bei streng lokalisierten endospinalen Tumoren kann man daher das Rtlckenmark zweifellos angreifen. Als Ersatz der Fsrsterscben Operation scheint mir aber die Durchtrennung zentripetaler Bahnen im Rtiekenmark nicht empfehlenswert, einmal weil die Leitung filr den ganzen tieferen Rtiekenmarksteil betroffen wird, dann aber, weil die Herabsetzung der Spasmen nur eine ungenfigende sein diirfte. Noch entschiedener muss ieh den Vorschlag ablehnen, bei Crises gastriques die Vorderseitenstrange zu durchschneiden~ also die Schmerzempfindung und den Temperatursinn ftir die ganze untere K0rperhalfte dauernd aufzuheben~ zumal die Krisen oft naeh jahrelangem Bestehen yon selbst verschwinden. bTur fiir die FMle yon unertraglichen Schmerzen in einem Bein, wie sie bei Careinom der Wirbel- and der Beckenknoehen vorkommen, rate ich den Chirurgen dringend, einen Versueh mit Durchschneidung des gekreuzten Vorderseitenstrangs im unteren Brustmark zu machen. Hier wird man den unglticklichen, oft jahrelang yon unertraglichen Schmerzen gequalten Menschen wirklich nfitzen k0nnen.

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Herr S. E r b e n (Wien): Wir alle wussten, dass es sich bei der spastischen K0ntraktur um einen Reflex handelt. Jeder kennt seit H i t z i g die Abhangigkeit des Spasmns yon iiusseren Reizen; offene Wunden, KMte, faradische Pinselung, aktive Bewegungsanstrengnngen, Zwicken in den Ge- darmen usw. regen ihn an oder steigern ihn. F( i rs ters Entdeckung war es, dass er die verwirrende Zahl der mSglichen Eintrittspforten fiir die genanntea wirksamen Reize in scharfer Analyse gesichtet, nur die ira Be- reich des sieh verkiirzenden Muskels ansetzenden Reize als das Wesent- liche erkannt und alle iibrigen in verschiedener HShe des Rlickenmarks eintretenden Reizleitungsbahnen als sekundar betrachtet hat. Durum schwachte er nut die vom Muskel aufsteigenden sensiblen Bahnen - - an der einzig mSglichen Stelle. Infolge dieser Auswahl bleiben die vielen Reizm(iglichkeiten bestehen, so kann der Abwehrbengereflex nach der Ope- ration geradeso ansgelSst werden wie vorher; F S r s t e r fand ihn nach der Operation gedampft, ich sah ihn sogar nnverandert. Aber dieser Beuge- reflex hat nach der Operation keinen Einfluss mehr auf den Spasmus, weil der far die spastischen Phanomene (sowohl Dauerspasmus als das Ein- schnappen bei passiven Bewegungen) unbedingt nStige Reflexbogen jetzt unterbrochen ist. Aus demselben Grunde schadet dem Erfolge der Operation nicht mehr eine Annaherung der Ansatzpunkte der betreffenden Muskeln.

F( i rs ter halt das Vorhandensein des Abwehrbeugereflexes als eine Hauptindikation far die Operation. Ich mSchte das dahin modifizieren, dass der Beugereflex nur bei g l e i chze i t i ge r hochgradiger K n i e b e u g e r - kontraktur die Indikation gibt. Denn ich sah lebhaften Abwehrbeugereflex ohne Kontrakturen. Hatte man in solchen Fallen samt l iche W u r z e l n far die Muskeln am Bein durchschnitten, der lastige Reflex ware nicht unterdriickt worden, weil noch nicht alle Eintrittspfbrten damit getroffen sein wiirden, blur wenn jede Beriihrung der Fnsssoh le mit den Boden den Beugereflex ausl(isen und das Stehen dadurch zur Unm0glickeit wtirde, kSnnte man durch die Radicotomie der 1. Sacralis diesen yon der Planta ausgehenden Reflex dampfen, indes derselbe dann yon jeder anderen Haut- stelle noch ausliisbar bliebe.

l~ach der Operation bleibt noch immer die Lahmung zurilck und nur der Spasmus ist beseitigt, das gibt Einschrankungen fiir die Operation. Wenn die Spannung der Kniebenger oder Abduktoren das Stehen erschwert, so kann die Radicotomie dem Quadriceps das:Hindernis fiir seine Tatigkeit nehmen. Wo jedoch d i e K o n t r a k t u r d e s Q u a d r i e e p s d i e H a n p t s a c h e bildet, wird die Beseitigung dieses Spasmus beim Restieren seiner Schwache die Gehfahigkeit nicht bessern. Das erfuhr auch F 0 r s t e r bei jenem Fall, wo unversehens die 4. Lumbalis wahrend der Operation gequetscht worden war. Es ist besser, die 4. Lnmba l i s nicht anznrQhren. Sie ist die Hauptwurzel fiir den Qnadriceps nnd enthalt zugleich den anfsteigenden Bogen jenes yon mir beschriebenen statischen Reflexes, welcher tonische Anspannung des Quadriceps im Moment besorgt, wo die K(irperschwere hinter die Kniegelenksachse gerat. Wenn der Reflex fehlt - - er ist vom Kniereflex zu unterscheiden -- , ist das Knie beim Stehen haltlos und Er- lernung eigentamlicher Rumpfhaltung kann dann notdiirftig die Stehfunk- tion ermSglichen.

Die Missachtung dieser Erfahrungen ist vielleicht die Ursache manchen gemeldeten Misserfolges des F 5 r s t er schen Verfahrens.

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Herr Hanel hat in einem Falle schwerster gastrischer Krisen die Wurzeldurehschneidung ausfiihren lassen wollen. Die Operation wurde nach der Laminektomie vor der Er5ffnung der Dura unterbrochen; tiberraschenderweise blieben yore nachsten Tage an die Krisen aus und kamen bis zu dem mehrere Monate spi~ter erfolgten Tode nicht wieder. Diese Erfahrung fordert dazu auf, die Operation grundsatzlich zweizeitig auszuf~lhren und so den Pat. den immerhin nicht ungefahrlichen Eingriff am Riickenmark zu ersparen. Vielleicht wirkt manchmal die Druckent- lastung allein sehon gilnstig.

Herr v. F r a n k l - H o e h w a r t weist darauf hin, dass F r a n q u 6 bei einem Tabiker mit gastrischen Krisen statt der Wurzelresektion die Resektion der Intercostales machte. F.-H. beriehtet, dass Herr Dozent D. C la i rmont an der Klinik v. E i s e l sbe rg s bei einem derartigen Falle aus der Praxis d e s Referenten doppelseitig den 7., 8, 9. Intercostalis resezierte. u geht es dem Patienten gut; doch ist der Fall ange- sichts der kurzen Zeit, die seit der Operation verstriehen (10 Tage), filr ein Urteil t~ber den Wert derselben noch unverwertbar.

Herr Sanger teilt einen Fall yon Tabes mit jahrelang bestehenden gastrischen Krisen mit, bei dem yon Herrn Dr. Sudek im Allgem. Krankenhaus St. Georg 3 Wurzelpaar~ reseziert worden waren. Der Erfolg war in Beziehung auf die Beseitigung der in letzter Zeit sehr ge- hauften und qualvollen Krisen sehr zufriedenstellend, Leider entwickelte sich aber eine Cystitis und Cystopyelitis, welcher der Patient erlegen ist.

Herr Foers ter -Bres lau (Schlusswort) : Ich habe bereits in meinem Vortrag darauf hingewiesen, dass man yon derWurzelresektion nicht mehr verlangen soll, als wie sie aueh wirklich zu leisten imstande ist. So habe ich erstens betont, dass dieselbe nur die echten spastischen Kontrakturen beheben kann, dass sie dagegen die auf einer bindegewebigen Schrumpfung der ~uskeln und Sehnen beruhenden Verkiirzungen, die selbst in der tiefsten !~arkose nicht weichen, nicht beseitigen kann und class far diese erganzende plastische Operationen an den Sehnen anzuschliessen sind. Ferner aber ist zu berilcksichtigen, dass die Wurzelresektion nur solchen Symptomen gegenliber angebracht ist, die zum spastischen Symptomenkomplex sensu stricto geh(iren, die also wirklich aus einem UbermaB des sensiblen Zu- stromes bei fehlender cortikaler Inhibition erwachsen. Dagegen kann dieselbe bei denjenigen Bewegungsst(irungen, die auf einer primaren pathologischen Reizung subcortikaler~ zum Rilckenmark absteigender Bahnen beruhen, wie das bei den choreatischen Spontanbewegungen und wohl auch bei der Athetose der Fall ist, keinen dauernden Einfluss ausfiben. Aller- dings kann in den Fallen, wo echte spastische Erscheinungen mit Chorea oder Athetose kombiniert sind, der spastische Anteil der Bewegungsst(i- rung dureh die Wurzelresektion beseitigt und damit unter Umstanden auch ein wesentlicher l~utzen gestiftet werden, aber man darf yon vorn- herein in diesem Falle nicht mit einer Beseitigung der motorischen Reiz- erscheinungen rechnen. Recht charakteristiseh ist in dieser Beziehung ein yon Kli t tner operiertes Kind, das eine Kombination yon spastischer Parese tier Beine mit ausgesproehener Chorea darbot. Hier wurde durch die Wurzelresektion der spastische Symptomenkomplex ganz gehoben, die Chorea aber bestand nach wie vor fort, ja die einzelnen Bewegungen waren

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jetzt nach Beseitigung der spastischen Muskelkontrakturen noch ausfah- render wie frtiher. Ich glaube also, dass man in solchen Fallen sich yon der Operation keinen grossen ~utzen versprechen kann. Anders dlirfte es aber in den Fallen liegen~ wo Athetose und spastische Lhhmung gepaart sind, denn hier kann dureh die Beseitigung der Spasmen trotz dem Fort- bestehen der athetotischen Spontanbewegungen doch eine Brauchbarkeit der Glieder erzielt werden~ wie das u. a. der yon K f i t t n e r operierte Fall spastischer Armli~hmung deutlich zeigt.

Was die yon Herrn R o t h m a n n aufgeworfene Frage anlangt~ wie sieh in den Fallen, in denen sich die willkfirliche Beweglichkeit so sehr ge- bessert hat, die Fyramidenbahn anatomiseh verhalten mOge, so kann ich auf Grund yon Autopsiea hierfiber keine Antwort erteilen, da in den yon mir beobaehteten , tC)tlich ausgegangenen Fallen der Tod immer so rasch erfolgte, dass ein einigermassen brauchbares Urteil iiber den Erfolg der Operation in Bezug auf die Besserung der willktirliehen Beweglichkeit nicht mOglich war. ]ch mOchte aber in diesem Zusammenhang auf einen Fall yon Hemiplegie hinweisen, der zwar nicht durelL eine Resektion hinterer Wurzeln, aber durch jahrelang fortgesetzte Ubungstherapie all- mahlich den Gebrauch seines vorher schwer gelahmten rechten Armes und Beines wiedererlangt hat, derart, dass er sein Gesch~tft - - er war Milch- and E i e rh i~nd le r - vollkommen ausfiben konnte. Bei ihm zeigte sieh nach seinem Tode, dass die eine Pyramide in der 0blongata so gut wie vollkommen degeneriert war. Ieh erklfire mir die ausgezeichnete Resti- tution der willktirlichen Beweglichkeit in diesem Falle mit dem Erhalten- sein der ungokreutzten Pyramidenvorderstrang- und homolateralen Pyra- midenseitenstrangbahn.

Was die yon Herrn E r b e n angef~hrten Pankte anlangt, so muss mica derselbe missverstanden haben. Flir mich war nicht so sehr die Besei- tigung des Abwehrbeugereflexes der unteren Extremitaten der Anlass~ die Operation vorzusehlagen~ als vielmehr die Beseitigung der spastisehen Muskelkontrakturen selbst, bTattirlich war die Beseitigung des Abwehr- beugereflexes, als aus derselben Quelle entspringend~ ebenso zu erwarten und zu wi~nschen. Die Schonung der 4. Lendenwurzel, auf die Herr E r b e n aufmerksam gemacht hat, halte auch ieh in den meisten Fallen ftir r e c h t wesen t l i c h , da zweifellos :lurch sie in erster Linie der yon Herrn E r b e n angefikhrte statische Fixationsreflex des Kniegelenks ver- mittelt wird. &ber unter Umsti~nden wird man doeh da, we die Kontraktur des Quadriceps eine ganz untiberwindliehe ist~ die 4. Lendenwurzel rese- zieren dlirfen; der Patellarreflex sowohl wie der angeftihrte statisehe Kniegelenkreflex sind dann allerdings auf einige Zeit verloren gegangen, doch stellen sie sieh im Laufe der Zeit immer wieder her, wie ich alas wiederholt genau beobachten konnte: L.~ genilgt zweifellos unter Umsti~nden auch zur Vermittelung der genannten Reflexvorgange.

Was nun sehliesslich die yon Herrn S chti l le r gemaehten Vorsehlhge~ die Wurzelresektion durch Chordotomie zu ersetzen, anlangt, so kann ieh mir persOnlich nicht reeht denken, dass bei schweren spastischen Kontrak- turen der Beine odor Arme die Durehsehneidung der Hinterstrange odor der cerebello-spinalen und spino-cerebellaren Bahn einen wesentlichen Einfluss auf die Kontrakturen ausQben kann~ treffen wir doch bei spinalen Querschnittsaffektionen~ bei denen die Hinterstrfinge und aueh die ge-

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nannteu Kleinhirnbahnen neben den Pyramidenbahnen mit ergriffen sind, unter Umstanden auf spastische Muskelkontrakturen allerh6ehsten Grades, Sofern nur der lumbosakrale Reflexmechanismus in allen seinen Gliedern intakt.ist. Er allein gentigt also zweifellos, um bei fehlender cortikaler Inhibition die starksten Kontrakturen zu unterhalten; ob dabei die cere- bellaren und langen Hinterstrangbahnen mit zerst(irt oder intakt sind, ist belanglos. Damit ist natiirlich nieht behauptet, dass das Cerebellum und die langen Hinterstrangbahnen, als zum Cerebrum aufsteigende zentripetale Leitung, nicht an dem Zustandekommen des normalen Muskeltonus einen Anteil haben.

Nun ist endlich in der Diskussion auch die Frage der Resektion hinterer Dorsalwurzeln bei gastrisehen Krisen bertihrt worden. Ich bin auf diese Frage absiehtlieh nieht eingegangen, well ich sie noeh keines- wegs filr gel6st halte. Zunachst habe ieh bereits in meiner ersten Mit- teilung sehon darauf aufmerksam gemaeht, dass m6glieherweise aueh der Nervus vagus sensible Magenfasern fiihre, und dass yon deren Reizung unter Umstanden aueh gastrische Krisen entstehen kannen. Ferner aber diirfen wir, glaube ich, nicht den Ausgangspunkt des Symptomenkomplexes, den wir als gastrische Krise bezeichnen, ausschliesslich in den sensiblen Sympathicusfasern des Magens, welche die 7.--9. hintere Dorsalwurzel passieren, suchen, sondern offenbar k6nnen hierfiir auch Sympathicusfasern der oberhalb und unterhalb gelegenen hinteren Dorsalwurzeln in Betraeht kommen, mit anderen Worten, das hintere Wurzelgebiet, das fiir die Krisen in Anspruch zu nehmen ist, seheint ein reeht ausgedehntes zu sein, und im einzelnen Fall ist es wahrseheinlich sehr schwer festzustellen, welche Wurzeln besonders und wie viel zu resezieren sind, Vielleieht kommen wir hier mit der Feststellung der hyperasthetischen Zonen a u f der Haut noch am weitesten. Sodann sind sicher in manehen Fallen neben den gew0hnlichen Erscheinungen der Krise: Schmerz, Erbreeben, Hypersekretion, auch noch d i r ek te mo to r i s che R e i z e r s c h e i n u n g e n in Form yon dauerndem Pyloruskrampf oder Cardiospasmus vorhanden, die nach Beseitigung der hinteren Wurzeln fortbestehen und weiterhin zu Zerrung am Peritoneum, damit zu Sehmerz und Erbrechen filhren k6nnen. Hier kommen meines Erachtens noch Resektionen motorischer Wurzeln in Frage. Die hier in der Diskussion erwahnten Paraplegien, die nach der Resektion yon hinteren Dorsalwurzeln beobachtet sind, hangen, glaube ich, teilweise yon unsanfter Behandlung des Riiekenmarks, teilweise abet von der stets zu vermeidenden Durchtrennung gr6sserer Arteriae radieulares ab. Sieher handelt es sich hierbei immer um Fehler auf technisehem Gebiete. Von den vorgeschlagenen Modifikationen erscheint mir das yon F r a n k e angegebene Verfahren sowie die Methode yon Guleke besonderer Be- achtung wert.

15. Herr H e r m a n n S e h l e s i n g e r - W i e n : Zur Klinik des inter- mitt ierenden Hinkens.

Vortragender hat in Wien weir fiber 100 F~lle (aueh viele im Krankenhaus) beobachtet. Uber 57 genauer untersuchte wird Berieht~