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73 Ueber Tetrazotsauren, Oxy- nnd Dioxytetra- zotsauren ; von W. Lossen. (Mittlieilung aus dcm chemischen Iiistitut der Univeraitlit Konigsberg.) (Eingelaufeii :itn 25. ,Januar 1891.) .. -. Verarilassutig zu den iin Kachstehenden beschriebenen Untersuchungen gab die von mir in Cemeinschaft mit F. M i e I' a u bereits veroffentlichte *) Beobactitung , dafs bei Einwirkung von Sauren tluf salpetrigsaures Benzenylamidin *+) eine Verbindung C7H6K,02 entsteht , welche die Zusammen- setzutig eines 1)initrosobenzenylarriidins und den Charakter einer Siiure hat. Die wesentlichsten Ergebnisse der von einigen meiner Schiiler forlgesetzlen Untersuchung sind die folgenden : /NH NHs enthalten, geben entsprechend zusainriiengesetzte Sauren. ])a- gegen gelang es bis jetzt nicht, solclie aus Amidinen zu erhalten , in welchen Wasserstoff der Atotngruppe -C<ii, durch Alkyle substituirt ist. 2) Die erhaltenen Siiuren, deren Zusammensetzung durch die allgenieine Formel x.CN,OBH ausgedriickt werden kann, verlieren bei Behandlung mit Natriumatnalgam entweder ein oder zwei Atorne Sauerstoff, so dafs zwei neue Klassen voib Sluren, x.CN4OII und x.CN4H entstehen. i) Andere Amidine, welclre die Atomgruppe -C< a) Ber. d. deiitsch. chcrn. Ges. 81, 1250. **) Eine gewisso Anzahl yon Amidinen Iiildet besundige Nitrite, Ueber das beziigliche Verhalten werde andcre dagegen nicht. ich in einer hesonderen Mittlieilung berichteu.

Ueber Tetrazotsäuren, Oxy- und Dioxytetrazotsäuren

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Ueber Tetrazotsauren, Oxy- nnd Dioxytetra- zotsauren ;

von W. Lossen. (Mittlieilung aus dcm chemischen Iiistitut der Univeraitlit Konigsberg.)

(Eingelaufeii :itn 25. ,Januar 1891.) .. -.

Verarilassutig zu den iin Kachstehenden beschriebenen Untersuchungen gab die von mir in Cemeinschaft mit F. M i e I' a u bereits veroffentlichte *) Beobactitung , dafs bei Einwirkung von Sauren tluf salpetrigsaures Benzenylamidin *+) eine Verbindung C7H6K,02 entsteht , welche die Zusammen- setzutig eines 1)initrosobenzenylarriidins und den Charakter einer Siiure hat.

Die wesentlichsten Ergebnisse der von einigen meiner Schiiler forlgesetzlen Untersuchung sind die folgenden :

/NH NHs

enthalten, geben entsprechend zusainriiengesetzte Sauren. ])a- gegen gelang es bis jetzt nicht, solclie aus Amidinen zu

erhalten , in welchen Wasserstoff der Atotngruppe - C < i i , durch Alkyle substituirt ist.

2) Die erhaltenen Siiuren, deren Zusammensetzung durch die allgenieine Formel x.CN,OBH ausgedriickt werden kann, verlieren bei Behandlung mit Natriumatnalgam entweder ein oder zwei Atorne Sauerstoff, so dafs zwei neue Klassen voib Sluren, x.CN4OII und x.CN4H entstehen.

i) Andere Amidine, welclre die Atomgruppe -C<

a) Ber. d. deiitsch. chcrn. Ges. 81, 1250. **) Eine gewisso Anzahl yon Amidinen Iiildet besundige Nitrite,

Ueber das beziigliche Verhalten werde andcre dagegen nicht. ich in einer hesonderen Mittlieilung berichteu.

74 L o s s e n, Tetrawtsauren,

Von diesen Verbindungen sind die letzteren die rnerk- wiirdigsten. Die aus dem Benzenylamidin erhaltene hat die Formel C6fI&N4H, oder empirisch C,H,N4. Der K6rper ist eine starke einbasische Saure. Da seine Umsetzungen] dafur sprechen, dafs er das unverinderte Radical Benzenyl enthalt, nenne ich ihn Benzenyltetrazotsuure ; der Name dcutet an, dafs die Slure nehen Benzenyl vier Atom Stickstoff und den alien Sauren gemeinschafllicben Wasserstoff enthllt. - Die Verbindung C7H6N40 will ich Benzenylo~~tatruwtsa~re, die Verbindung C,H6N40Y B~zenylldoxytetrazotsaure nennen. - Tetrazotsauren , Oxytetrazotsauren und Dioxytetrazotsiuren sind die Klassennarnen der neuen Verbindungen ; dcr Name der einzelnen ist bestimmt durch das Arnidin, welches zu ihrer Gewinnung dient.

3) Die Dioxytelrazotsauren zerfallen sehr leicht , sobald sic aus ihren Salzen frei gernacht werden; ihre Darstellung im freien Zustand ist noch nicht gelungen. Ihro Salze sind in LGsung vie1 bestandiger ; die trockenen Metallsalze sind aber gefahrliche, iufscrst explosive Kiirper.

4) Von Oxytetrazotsiuren ist bis jetzt nur die Benzenyl- oxytelrazotsiiure dargestellt worden. Die noch nicht besonders eingehende Untersuchung derselhen ergiebt, dafs sie in Bezug auf ihru Bestindigkeit in der Mitte steht zwischen der sehr unbestindigen Berizenyldioxytetrazotsiiure und der sehr be- stiindigen Henzenyltetrazots~ure. Wasserfrei zersetzt sie sich leicht, in Verbindung rnit 1 Mol. Krystallwasser ist sie bestindig.

5 ) Die sauerstofffreien Tetrazotsauren sind recht bestandigc Kbrper ; die Benzenyltetrazotsaure wird nur in hoher Tempe- ratur durch concentrirte Salzsiure und Kalilauge zersetzt. Sie ist nicht unzersetzt fluchtig, aber wcder die Saure noch ihre Salze theilen dic gefahrlichen Eigenschaften der dioxy- tetrazotsauren Salze.

0x9- und Dioxytetrazotsaurm. 75

6) Die Ha o u 1 t 'sche Molekulargewichtsbestimmung ergieht fur die Benzenyltetrazotsaare und -oxytetrazotsaure die ein- fachen Porineln C&NI und C7H6N40.

7) Die Structur der neuen Verbindungen ist nur bis zu gewissem Grade ermittelt. Einige Anhaltspunkte zur Beur- theilung derselben ergeben sich aus dem Nachstehenden.

a ) Die leicht zersetzbare Bepzenyldioxytetrazotsiuure giebt bei ihrer Zersetzung Benzonitril, woraus man schliefsen kann' dafs sie das den1 Benzenylamidin und Benzonitril gemeinschaft- liche Radical C6H& enthalt.

Sie entsteht aus dem Amidin, welches sowohl NH als NH1 enthllt durch salpetrige Slure. Man kann ihre Entstehung erklaren aus der bekannten Wirkung der salpetrigen Siiure auf NH und NH, enthaltende Verbindungen. Die NH-Gruppe wird, wie iiberhaupt bei der Nitrosaminbildung in N-KO ver- wandelt ; die NHp-Gruppe wird diazotirt und bleibt als Diazo- verbindung wenigstens in den Sdzen bestandig. Nach dieser Auffassung kommt der hypothetischen freien Benzenyldioxy- tetrazotsaure die Formel zu :

Wie bereits bemerkt wurde, ist es trotz verschiedener Versuche bis jetzt nicht gelungen, aus einem Amidin, welches in dern Rest HI\T=C-KHII eine Substitution von Wasserstoff durch Alkyl erlitten hat, eine Dioxytetrazotslure zu erhalten. Das steht im Einklang mit der Formel :

welche verlangt, dafs in dem Amidin alle drei Wasserstoff- atome durch NO und NOH ersetzbar sind.

Das Verhalten der Dioxytetrazotsiuren , soweit dasselbe bis jetzt bekannt ist, stimmt ebenfalls mit der angenommenen Formel iiberein. Ihre Verbindungen geben, wie andere Nitro- sarnine , die L i e b e r m a n n 'sche Reaction ; ihre bletallsalze

76 Lo s s e n , Tetrazotsaureti,

sind explosiv wie andere Diazoverbindungen. Bei der Zer- setzung der S i u r e entsteheii Benzonitril, Stickstoff und Stick- oxyd. Betrachtet man letzteres als Zcrsetzungsproduct von zunachst gebildeter salpetriger Saure, so kann man die Zer- setzung als der Gleichung :

C,Ii,C(:f:-oH 1 C,II,CN + N, + HXO,,

entsprechend auffassen. Als Nitrosaiiiin giebt die S i u r e sal- yetrige Siure, als Diazovcrbindung freien Stickstoff bei ilrrer Zersetzung; tler ubrig hleibende Rest kann kaum etwas anderes geben uls Benzamid oder Benzonitril.

b) Die Benzenyltetrazots~ure halte ich ebenfalls fur eine Benzenylverbindung. Dafiir sprictil zunictist ihre Rildung durch Einwirkung von Natriumamalgam auf verdunrite kalte Liisungen der Benzenyldioxytetrazotsiure. 1st die letztere eine Benzenylverbindung , so ist es nicht wahrscheinlicti, dafs bei ihrer I\etluction sich ein Stichstoffatoni zwischen das Radical C6H5 und das niit deniselben verbundene Kohlenstoffatoni schiebe.

Wird die Benzenyltetrazotsaure niit concentrirter Salzshure erhitzt, so spaltet sie sich unter Bildung von Anilin, Kohleii- dioxyd, Stickstoff und Ainnioniak :

Dabei wird das Hadical Benzenyl gespalten; seiii Yhenyl tritt als Anilin , das iuit dem I’henyl verbundene Kohlenstoffatorn als Kohlendioxyd aus. Einc ahnliche Zersetzung ist auch bei anderen Berizenylverbindungen, bei Hydroxamsauren und deren Derivaten beobachtet , iii einfachster Form beispiclsweise bei der Benzhydroxamsiure *) :

CaH6C<:Fx : C8H6.KH, + COs.

CVHBNI + 2H90 = CBHSNHI $- COP + N, + NHj.

Es erscheint nicht unrniiglich, daTs aus der Benzenyltetra-

*) Diese Annaleu 176, 320.

Or$- und Diox~~tetrazotsauren. 77

zotsaure vorubergehend Bcnzhydroxamsaure gebildet wird diirch eine Zersetzung, welche annahernd durch die Gleichung :

C,,HwC@(Ns1I) + 2H,O = C,H,.C<:ZH + N, + NH,

aosgedriickt wird. Die Bildung von Anilin aus der Benzenyltetrazotsaure

kann freilich auch auf weniger einfachem Wege zu Stande kommen. Wenn es auch nicht gerade wahrscheinlich ist, dafs bei der Bildung der Siure die Phenylgruppe eine Aenderung erleidet, so habe ich doch die MBglichkeit in's Auge gefafst, dafs eines der Stickstoffatome des Restes N4H in den Benzol- kerii eingreift unter Bildung einer Verbindung, welche 811-

niihernd der Formel :

entspricht ; bei deren Zersetzung kiinnte primer Amidoben- zoCsaure, secundiir Anilin und Kohlendioxyd entstehen.

Gegen eine solche Annahme spricht das Verhallen der Paraloluyltetrazolsiure. Wird diese durch concentrirte Salz- swre zcrsetzt, so entsteht l'aratoluidin; in. a . W. dtls Amid erselzl dasselbe Wasserstoffatom des Benzolkerns, welches im Amidin durch CN9Ho, im Nitril durch CN vertreten war. W i r e das Toluidin aus einer Amidotoluylsaure entstanden, so mufste sich Ortho- oder Metatoluidin bilden.

Sach dem Vorstehenden erscheint die Structur der Ben- zenyltetrazotslure so weit aufgeklart, dafs man sie als Ver- bindung von C6H5.C: mit einer Gruppe N4H betrachten kann. Durch weitere Untersuchungen bleibt zu entscheiden, wie die Bestandlheile dieser Gruppe unter eiiiander, und wie sie mit tiem Benzenyl verbunden sind.

Ein Versuch, der Losung dieser Frage durch Unter- siichung des Aethylesters dcr Saure riiiller zu kommen, war ohiie Erfolg. Ich hiclt es fur wahrscheinlich, dafs derselbe

78 Id o s s e n, Tetratotsauren,

bei Zersetzung rnit concentrirter Salzsaure neben Kohlendioxyd und Stickstoff entweder Anilin und Aethylarnin oder Aethyl- anilin und Animoniak geben werde. Als Zersetzungsproduclc wurden dagegen beobachtet : Benzodsaure, Amnioniak, Stiek- stoff, wenig Kohlendioxyd, wahrscheinlich auch Anilin, Aethyl- amin und Chlorathyl. Die Zerselzung des Esters verlauft also weit weniger einfdch als diejenige der Siiure, zum Theil zer- fiillt er derart, dafs der Kohlenstoffgehall des Radicals Benzenyl ungetheilt in der gebildeten BenzoQaure wiedcrgefunden wird, zurn andcrn Theil unter Abspaltung des Phenyls von dein Kohlenstoffatoin der Seitenkette.

Auch eine solche Zersetzung ist nicht ohne Analogie. Aehnlich zerfillt das beiizhydroxamsaure Aethyl nach zwei verschiedenen Richtungen hin, theils in Benzarnid und Aldehyd nach der Gleichung

C 11 dNoCSH6 \OH = C6€I,.C0.SHI + CJI,O,

theils in I’henylcyanat und Alkohol nach der Gleichung

(’,Hs.C/(;;C*~16 = CB€I,.K=CO 4- C,ILO *).

Einstweilen bleiben demnach nur Verrnuthungea uber die Structur des liestes N,H in der Benzenyltetrazotsaure iibrig. Von diesen mBgen hier zwei verschiedene hervorgehoben werden.

Die Benzenyltetrrzotsaure ist rnetamer mit einer von Rladin **) dargcstellten Base C1H6N4, welche B I a d i n Piienyl- tetrazol nennt. E r leitet ihre Formel

N il

/N \N.c,H,-- K

CH

von eincr Multersubstanz, dem Tetrrzol :

*) G i i r k e , diuse Aniideri 806, 291.

*+) Ilcr. d. deutscli. diem. Ges. 18, 2911 uiid la, 2504.

Oxy- und Dioxytetrazotsaiuren. 79

ab. Tetrazol yon der Formel

Die Benzenyltetrazotsaure kiinrite ebcnfalls eiri phenylirtes

sein *). Die Bildung eines solclieri Kiirpers aus der Benzenyl- dioxytetrazotsiiure konnte sicli nach folgenden Gleichungen vollziehen :

Die Zusammcnsetzung der Benzcnyltetrazotsaure steht aber auch derjenigen des Benzoylazoimids riah , welches C u r t i u s * * ) vor Kurzern besclirieben hat. Er legt dem- selben die Formel

bei ; die Beiizenyltetrazots~ure kbiinte die dieser Sauerstoff - verbindung entsprechende hidverbindung

KH 11 B

CJI,.C-X ’ 11 \zI;

w i n . Die Bildurig einer solclicii wart: cinfacti zu erklareti, wenii man der Dioxytetrilzotsiiure die Formel

*) Diesor Auffassung folgend hat C 1 e m c n s Lo a s e II in miner im folgenden zu erwiihnenden Dissert;rtioii die 88ure unter dern Namen I’hmyltetruzofsiiure beschriebeli. Ich zielie es vor, diesen durch I3erizeuyltetr:izl)tsaure zu ersetzen, weil diirch letzteren Name11 iii

Hezirg auf die Strrictur niclits weiteres xusgedriickt wirtl, xls die Annahine von Benzenyl in der Siiure.

*.*) Her. d. deutsch. chelu. t ies. Z 8 , 3U?4.

80 L o s Y en, Tetrazotsaurm, Ozy- 1 4 . Diozytetmzotsuuren.

NH

beilegte, welche mir freilich weniger wahrscheinlich vorkomml, aber doch nicht ganz ausgeschlossen scheint. Wie das Renzoyl- azoimid unter dem Einflufs von Kalilauge in Benzocsiure und Stickstoffwasserstonsaure zerfiillt, so konnten aus einer Ver- hindung

NH

Benzamid und Stickstoffwasserstoffslure entstehen.

Es ist uns bis jetzt nicht gelungen, i u s der Beneeiiyl- letrazotsaure Stickstoffwasserstoffsaure zu erhalten; die Siure wird freilich durch Baseii und Siiuren erst bei Temperaturen zersetzt, bei welchen die Stickstolfwasserstoffsaure schwerlich rnehr bestiindig sein wird.

Die Benzenyltetrazotsiure ist eine starke Siure, welclie Carbonate zersetzt uiid dio starksten Basen iieutralisirt. Diese stark saureii Eigenschaften habc ich, sobald dieselben beob- achtet wareri, deiu Uiiistande zugeschrieben, dafs das niclit ini Phenyl befiridlicht: Wasserstoffatoni in engstcr Verbindung mit deii vier Stickstoffatuirien im Iiadical N4H enlhalten ist. lo dieser Auffassung bin icli bestarkt worden durch Cu r t i u s' gliinzende thtdeckung der Stickstoffwasserstoffsaure.

c) Ain wenigsten zu sagen ist einstweilen uber die Structur der noch wenig untersuchten Bcnzenyloxytetrazot- saure; ich beschranke micli auf die Bemerkung, dafs dieselbe die L i e b e r rn tl n n 'sche Reaction nicht giebt , also keine Nitrosoverbindung isl. -