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Zeitschrift für Instrumentalpädagogik und musikalisches Lernen & musizieren üben 20441 Februar März 2018 www.uebenundmusizieren.de 1/2018 9,50 Praxis Bruder Jakob in C. Exemplarische Modelle zur Improvisation im Gruppen- unterricht mit Anfängern Perspektiven Digitales Instrumentarium. Die Musikapp als zukünftiges Instrument in der Musikschule 18 1 Bericht Vorzeichenwechsel? Fragen zur musik- pädagogischen (Neu-)Orientierung Normierung im Unterricht? ) Betriebsklima in der Musikschule ) Barockakademie in Dortmund GRATIS

UM 06-09 Innen - helge-harding.com · BEWERTUNGSSYSTEM EINFÜHREN Einen guten Eindruck davon, wie solche Kri-terienkataloge aussehen können, geben die Stufenprüfungssysteme des

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Zeitschrift für Instrumentalpädagogik und musikalisches Lernen&

musizierenüben20441

Februar März2018

www.uebenundmusizieren.de

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PraxisBruder Jakob in C.Exemplarische Modelle zurImprovisation im Gruppen-unterricht mit Anfängern

PerspektivenDigitales Instrumentarium.Die Musikapp alszukünftiges Instrumentin der Musikschule

181

BerichtVorzeichenwechsel?Fragen zur musik-pädagogischen(Neu-)Orientierung

Normierungim Unterricht?

) Betriebsklima

in der Musikschu

le

) Barockakadem

ie in Dortmund

GRATIS

2 Inhalt

Thema

6 Künstlerische ExzellenzElementare Notwendigkeit oder elitärer Fetisch?Helge Harding und Wendelin Bitzan

12 Mehrdimensional beleuchtetCurriculares Wissen oder didaktisches Denken? Ein VergleichWolfgang Lessing

18 Erleben statt überprüfenZur Frage der Bewertung in Musik und UnterrichtSara Hubrich

außerdem…

22 Positive SignaleNeue Beiträge zu Qualitätsmanagementund Lehrentwicklung an Musikhochschulen

Praxis

24 Schwingender Klang-KörperMit der Methode Eutonie Gerda Alexander zu freiem KlangHelene Roitinger

28 Bruder Jakob in CZwei exemplarische Modelle zur Improvisationim Gruppenunterricht mit AnfängernJennifer Heilig

Wie selbstverständlich gehört es dochzur künstlerischen Entwicklung, sich zuvergleichen und daraus Motivation undOrientierung für die weitere Entfaltung

eigener Fähigkeiten zu beziehen.Allzu oft wird eine Überschätzung derVergleichbarkeit hingegen dem un -

gehemmten Genuss einer Aufführungauf Seiten der Zuhörenden wie der

Aktiven zum Verhängnis.

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Sobald sich der Körper in einer leich-ten, durchlässigen und damit freienAufrichtung befindet, klingt es!Wir stehen unserem Körper nichtim Weg, sondern erlauben ihm,seiner Aufgabe nachzukommen.

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4 Magazin

47 Neuerscheinungen

48 Bücher

52 Noten

62 Impressum

Inhalt 3üben & musizieren 1 18

Die nächstenThemenschwerpunkte

Heft 2/18 SongsHeft 3/18 FamilieHeft 4/18 MusikschulleiterHeft 5/18 Identität(en)Heft 6/18 PubertätHeft 1/19 Freiheit

Perspektiven

40 Digitales InstrumentariumDie Musikapp als zukünftiges Instrument in der MusikschuleMatthias Krebs

Didaktik

44 Hohe AnforderungenEin Einblick in die russische KlavierpädagogikJenny Schwericke

Quelle

32 „Leicht, gehaucht. Die Sonate hat ein Geheimnis“.Armin Mueller-Stahl über die wunderbare Erkenntnis, wie wichtig es ist,das Geheimnis der Musik zu bewahren (Ulrich Mahlert)

Bericht

34 Nur ein Vorzeichenwechsel? Auf der Suche nach musikpädagogischen (Neu-)Orientierungenim Spannungsfeld aktueller gesellschaftlicher Veränderungen (Rüdiger Behschnitt)

36 Fiddler on the Roof. Rachid Hamis Film „La Mélodie – Der Klang von Paris“ deutet an,was Musik bewegen kann – nicht mehr, aber auch nicht weniger (Rüdiger Behschnitt)

38 (R)evolution (in) der Musik. Ein szenisches Konzert der Streicherakademie Hannoverdiskutierte anregend über die Musik der Zweiten Wiener Schule (Ulrich Roscher)

&musizierenüben

Könn(t)en Musikapps als vollwertigeMusikinstrumente in einer neuen Fachgruppe „Digitale Musikinstru mente“an Musikschulen ihren Platz habenoder stellen sie eher eine Bedrohungfür das ernsthafte Musi zieren dar?

4036 Kad Merad, bekannt durch seine Rolleals schlitzohriger Postange stellter in„Willkommen bei den Sch’tis“, zeigt inRachid Hamis neuem Film „La Mélodie –der Klang von Paris“ eine ganz andereFacette seiner Schauspielkunst.

© Finn Dorian

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Der Chef ist nichtimmer schuldMusikschulleitungund Betriebsklima

KlimafragenCheckliste: Wetterbeobach-tung in Musikschulen

Eigene Aufnahmezum Play-along„Ableton Live“ im Instru-mentalunterricht (Teil 2)

Ganz unverstaubtMusikschule Dortmundgründet Barockakademie

6 Thema

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Dieser Artikel lenkt den Blick nach innen, auf das Selbstverständnis der Orga -nisationen und Verbände des Musiklebens und das, worüber sie sich definieren: künstlerische Exzel lenz. Ist dieser Anspruch angesichts des tiefgreifendengesellschaft lichen Wandels unverändert aufrechtzu erhalten? Ist die klassischeMusik branche überhaupt professionell genug aufgestellt, um den massivenHerausforderungen dieses Wandels und dem damit verbundenen Reformstaueffektiv begegnen zu können? Der vorliegende Artikel möchte Ideen und Impulsefür eine offene, lebhafte und möglichst konstruktive Debatte vorstellen.

Bei Gesprächen mit Menschen, die nicht mit„klassischer Musik“ sozialisiert sind, prallenschnell Welten aufeinander. Je weiter die Po-sitionen und individuellen Lebensentwürfeauseinander liegen, desto herausforderndersind die Debatten. Die sehr speziellen Anlie-gen und Bedürfnisse von MusikerInnen wer-den häufig als elitär wahrgenommen oderdargestellt. Vielfach werden künstlerischeAnsprüche relativiert oder sogar entwertetmit dem Verweis auf die „normale“ Bevölke-rung, die ganz andere Bedürfnisse habe, alssich mit der „elitären“ klassischen Musikkul-tur zu beschäftigen. Ein ums andere Mal wirddeutlich, dass diese Musik schon lange nichtmehr in der Mitte der Gesellschaft steht.Daraus resultiert ein zunehmender Legitima-tionsdruck, der in die Frage mündet: Warumist das, was wir tun, überhaupt gesellschaft-lich relevant? Um diese entscheidende Fragebeantworten zu können, müssen wir uns zurBedeutung künstlerischer Exzellenz positio-nieren. Gelingt es uns einerseits, deren zent -rale Rolle für unser Tun plausibel zu machen?Und können wir andererseits dort, wo essinnvoll erscheint, diesen Anspruch großzü-gig relativieren? Anknüpfend an diese Fragenmöchte dieser Artikel Impulse geben, wie dieMusikausbildung und die Arbeitsbedingun-gen von MusikpädagogInnen zeitgemäßergestaltet und vitalisiert werden könnten.*

KRITERIENENTWICKELNOhne klare Orientierung an einem künstle -rischen Ideal ist musikalische und musikpä-dagogische Tätigkeit kaum vorstellbar. Einemöglichst differenzierte musikalische Vor-stellung ist die Grundlage für eine stilistischangemessene, intellektuell und emotionalansprechende Interpretation eines musika -lischen Werks. Dies gilt selbstverständlich

genauso für das Schaffen neuer Komposi -tionen. Eine möglichst umfassende Beherr-schung der handwerklichen Mittel, also derMusizier- oder Kompositionstechnik, ist da-bei Mittel zum Zweck – ohne diese kann sichselbst die hervorragendste Begabung nichtvollständig entfalten.

[ Mit „Objektivierbarkeit“ist also ausdrücklich keine Normierung im Sinne einerStandar disierung musika -lischer Leistungen gemeint,sondern ein lebendiger unddynamischer Katalog nach-vollziehbarer Kriterien.]

Die Orientierung an künstlerischer Exzellenzist in diesen Bereichen selbstverständlich,ohne dass verbindlich fixiert wäre, was ei-gentlich künstlerisch erstrebenswert ist, wel-che Vorbilder nachahmenswert sind und wel-che Aspekte einer musikalischen Leistungwie und warum bewertet werden sollten. Al-lenfalls gelten Vorgaben innerhalb bestimm-ter Institutionen oder Veranstaltungen, etwabei Wettbewerben oder Probespielen. Aberselbst dort sind Bewertungskriterien für mu-sikalische Leistungen in der Regel nichtschriftlich fixiert, sondern bilden eher eineArt stillschweigende Übereinkunft, die imHintergrund wirkt.Ein bewusster Umgang mit solchen Kriterien,der eine Vergleichbarkeit zwischen regionalunterschiedlichen Leit linien oder „Schulen“möglich machen würde, ist nicht gegeben.Beispielsweise werden bei „Jugend musi-ziert“ oder bei Zugangs- und Abschlussprü-fungen an Musikhochschulen Punkte oderNoten größtenteils intuitiv und ohne objek -tivierbare Bewertungsmaß stäbe vergeben.

Dabei bleibt der untere Bereich der Skalapraktisch immer unausgenutzt, was die Aus-sagekraft positiver Beurteilungen mindes-tens einschränkt, eigentlich aber entwertet.Eine bewusst wohlwollende Haltung, die ansich wünschenswert ist, produziert so prak-tisch das Gegenteil des Gewollten.Selbstverständlich ist die Beurteilung vonKunst letztlich immer subjektiv. Das, was oftals „Geheimnis“ oder „Zauber“ beschriebenwird und eine Aufführung selbst unter Wett-bewerbsbedingungen zu einem besonderenErlebnis werden lassen kann, obwohl diehand werkliche Ausführung oder der stilis -tische Ansatz womöglich diskussionswürdigwären, macht ihren besonderen Reiz aus. Ge-rade weil ein zentraler Aspekt von Musikaus-übung also nicht mit Worten zu greifen ist,erscheint es sinnvoll, möglichst viele Bewer-tungskriterien zu objektivieren – zumindestdiejenigen, über die ein Konsens erzielt wer-den kann. Konkrete Bezugspunkte zu formu-lieren würde uns helfen, Bewertungsmaß -stäbe für musikalische Leistungen zu entwi-ckeln, die intern und extern kommunizierbarwären. Vergleichbare Situationen würden soauch tatsächlich vergleichbar gemacht.Darüber hinaus könnte es uns mit solch ei-nem Werkzeug gelingen, größere Transparenzherzustellen – auch gegenüber Menschen,die sich für Musik interessieren, ohne bisheraktiv mit ihr in Berührung gekommen zu sein,oder die anderen gesellschaftlichen oderethnischen Umfeldern entstammen. Mit „Ob-jektivierbarkeit“ ist also ausdrücklich keineNormierung im Sinne einer Standar disierungmusikalischer Leistungen gemeint, sondernein lebendiger und dynamischer Katalognachvollziehbarer Kriterien, der als Grundlagefür die individuelle Wahrnehmung und Beur-teilung des Gehörten dienen kann. Dass einsolches System in Deutschland bisher nichtexistiert, empfinden wir als Mangel.

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KünstlerischeExzellenzElementare Notwendigkeitoder elitärer Fetisch?Helge Harding und Wendelin Bitzan

BEWERTUNGSSYSTEM EINFÜHRENEinen guten Eindruck davon, wie solche Kri-terienkataloge aussehen können, geben dieStufenprüfungssysteme des englischen As-sociated Board of the Royal Schools of Music(ABRSM) und des Trinity College London. DieRichtlinien, anhand derer bewertet wird, sindfür alle Beteiligen jederzeit einsehbar, wer-den in regelmäßigen Abständen evaluiert,aktualisiert und fortlaufend weiterentwickelt.Die Kosten für die dafür notwendige profes-sionelle Infrastruktur werden unter anderemüber Prüfungsentgelte gedeckt. Auch in an-deren europäischen Nachbarländern werdeninstitutionalisierte Bewertungssysteme fürMusik vollkommen selbstverständlich und mitgroßem Erfolg genutzt. Ein prominentes his-torisches Beispiel ist die Lehrmethodik derMusikinstitutionen der Sowjetunion (die „rus -sische Schule“), die auf dem französischenConservatoire-System aufbaute und in den1920er Jahren auf effektive und künstlerischdifferenzierte Weise kanonisiert wurde. DiesesSystem war wiederum Vorbild für die Musik -schulen und Musikhochschulen der DDR.Obwohl die zunehmend instrumentalisierteDDR-Kulturpolitik vor allem auf Spitzenförde-rung abzielte, bildete eine solide Breitenför-derung den Maßstab und die Basis, auf dereine Begabtenauslese überhaupt realisierbarwar. Die staatlichen Planungen schlossenFragen zur beruflichen Zukunft der ausüben-den Musiker genauso ein wie die Versorgungbreiter Schichten der Bevölkerung mit klas -sischer Musik. Für den Nachwuchs standenfrühzeitig vergleichsweise gut bezahlte Stel-len zur Verfügung und Konzerte oder Kon-zertreihen wie „Die Stunde der Musik“ botenauch im ländlichen Raum attraktive Konditio-nen nicht nur für die Ausübenden, sondernauch für die Hörer, da der Eintritt kosten-günstig oder sogar kostenlos war.So fragwürdig ein solcher Zentralismus ausheutiger Sicht auch erscheinen mag und soablehnend wir dem Prinzip „Kaderschmiede“gegenüberstehen: Es ist zu bedauern, dassweder die eindeutige Exzellenzorientierungnoch die breite Anbindung an die Bevölke-rung nach der deutschen Wiedervereinigungerhalten worden ist. Anstatt die Vorteile desSystems der DDR mit denen der westdeut-schen Musikausbildung zu kombinieren, wur - de ersteres gnadenlos abgewickelt. Damit wur -de die Chance vertan, die hohen fachlichenStandards eines weitgehend staatlich organi-sierten Ausbildungssystems in eine freiheit -

liche demokratische Ordnung zu über neh men.Umso wichtiger erscheint es heute, diese undandere Traditionen aufzu arbeiten, um auf de-ren Grundlage ein neues Prüfungs- und Be-wertungssystem zu entwickeln, das den mas -siv veränderten gesellschaftlichen Rahmen-bedingungen für die Musikausübung am An-fang des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt.Durch eine bessere berufsständische Organi-sation könnten derartige und andere Fragengebündelt werden. So würde nicht nur mu-sikpädagogische Arbeit inhaltlich und me-thodisch gestärkt, sondern auch die Positionder klassischen Musik im Allgemeinen. Bei-spielsweise wäre der Stellenwert regelmäßi-gen und effektiven Übens nachvollziehbarerund bedürfte keiner weiteren Rechtfertigung.Falsche, aber sehr populäre Dichotomien wieSpaß und Leistung oder Breite und Elite lie-ßen sich differenzieren, wenn nicht gar auf -lösen. Wir würden uns selbst Richtlinienschaffen, die deutlich machen, welch ein Pri-vileg es ist, eine fundierte Musikausbildungzu erhalten, und was musikalisch ausgebil-dete Menschen mit ihren Qualifikationen fürdie Gesellschaft leisten können. Für Schüle-rinnen und Schüler wäre deutlicher ersicht-lich, welche Anforderungen und welche Mög-lichkeiten das Erlernen eines Instrumentsbietet und ab welchem Leistungsstand eineMusikerkarriere realistisch in Betracht gezo-gen werden kann. Es könnten zwischen ver-schiedenen Bundesländern und Städten ver-gleichbare Standards für Lehrinhalte entwi-ckelt werden; Curricula und Prüfungen könn-ten inhaltlich einerseits an den individuellenZielen der Lernenden, andererseits an denAnforderungen der jeweiligen Berufspraxisausgerichtet werden. Auch bei Wettbewer-ben und bei Prüfungen an Hochschulen wür-de auf diese Weise zugleich höhere Transpa-renz und Flexibilität ermöglicht.

PÄDAGOGIKAUFWERTENSo sinnvoll eine Exzellenzorientierung in dengenannten Bereichen ist, so notwendig ist ei-ne Relativierung dieser Maßstäbe an andererStelle. Wenn es etwa um den Musikunter-richt an allgemeinbildenden Schulen geht,stellt sich die Frage, inwiefern die Orientie-rung an künstlerischen Spitzenleistungen fürangehende SchulmusikerInnen noch zeit -gemäß ist. Die Erfahrung zeigt, dass die„Künstler in der Schule“ häufig schon wäh-rend des Studiums frustriert sind, weil ihnenschlicht die Zeit zum Üben fehlt. Die Schul-

laufbahn verlangt in weit höherem Maße alsdas Unterrichten an Musikschulen und Mu-sikhochschulen eine Auseinandersetzungmit der außermusikalischen Lebenswelt derSchülerinnen und Schüler; Vermittlerqualitä-ten und die Nutzung von Transfereffekten derBeschäftigung mit Musik spielen die ent-scheidende Rolle. Echte Begeisterung für einbreites Spektrum an kunstmusikalischenund populären Stilistiken, die gleichberech-tigt koexistieren, erscheint hier wichtiger, alsWerke aus dem klassischen Standardreper-toire auf hohem Niveau darbieten zu kön-nen – so eindrucksvoll es auch ist, wenn diesdennoch stattfindet.

[ Eine rein künstlerische Ausbildung sollte nur nochals hochspezialisiertes Masterstudium fürAusnahme be gabungen angeboten werden.]

Auch angehende Instrumental- und Gesangs-pädagogInnen werden oft an den Maßstäbenkünstlerischer Exzellenz gemessen – in derRegel mit deutlich weniger Nachsicht, als sieSchulmusikerInnen noch zugestanden wird.Dabei müssen auch sie sich eigentlich nichtnach den Standards einer Elitenausbildungrichten, wie sie in den Hochschulen prakti-ziert wird. Dort ist im Übrigen eine bedenk -liche Entwicklung zu beobachten: Die Anfor-derungen im künstlerischen Bachelor- oderMasterstudium orientieren sich zunehmendan Konkurrenzsituationen bei Probespielenoder Wettbewerben und damit an einer Über-betonung von einseitig auf diese Situationenbezogenem technisch-handwerklichen Per-fektionismus. Das eigenständige Erarbeitenund Darstellen von individuell durchdachtenInterpretationen, also die Entwicklung zu ei-nem autonomen Künstlertum, bleibt eher imHintergrund, wenn sie überhaupt geduldetwird. Auch in diesem Bereich wären transpa-rente Kriterien hilfreich, über die man spre-chen kann und die in zwischen Lehrendenund Studierenden vereinbarte Zielsetzungeneinfließen können.Das Berufsbild des Instrumentalpädagogenbenötigt kommunikationsstarke Persönlich-keiten mit hoher musikalischer Kompetenz,die die Lehrkräfte in die Lage versetzt, sichindividuell auf Bedürfnisse der Lernendeneinzustellen. Dies schließt auch die motivie-rende Anleitung von Schülergruppen ver-

8 Thema

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schiedener Größen ein. Methodische undfachdidaktische Qualifikationen sind dabeiunabdingbar; sie sollten sich mit dem Stre-ben nach spieltechnischer bzw. rein künstle-risch definierter Exzellenz die Waage halten.Dass InstrumentalpädagogInnen die unter-richteten Stücke instruktiv und suggestivvorspielen können sollten, versteht sich vonselbst – aber eine fähige Lehrperson mussnicht im internationalen Wettbewerb auf derBühne bestehen können. Dieser oft verdeck-te Anspruch führt bei Schülern, Eltern, Kolle-genschaft und in der Öffentlichkeit zu fal-schen Einschätzungen („der hat es als Künst-ler eben nicht geschafft“) und Erwartungs-haltungen („die Aufnahme von XY gefällt miraber besser, als wenn mein Lehrer mir dasvorspielt“). Um solche Vorurteile abzubauen,wäre eine offensive Betonung der Stärkenund Schlüsselqualifikationen von Instrumen-talpädagogInnen, verbunden mit realisti-schen Aufstiegsperspektiven und einer at-traktiveren Entlohnung, sehr hilfreich.Es bedarf also sowohl einer Exzellenzorien-tierung als auch deren Relativierung. OhneBreite keine Spitze: Wir brauchen einerseitseine enttabuisierte Vorbildfunktion von Spit-zenleistungen, andererseits deren plausibleMäßigung an geeigneter Stelle. Ohne dieseFlexibilität verkommt künstlerische Exzellenzzu einer Art Fetisch, der einem offenen Dis-kurs eher im Wege steht.

HOCHSCHULAUSBILDUNGMODERNISIERENDie obigen Überlegungen, so sie umgesetztwürden, hätten natürlich auch Konsequenzenfür die inhaltliche Ausgestaltung von Musik-studiengängen und letztlich auf das Studien-platzangebot. Das übermäßig auf das Haupt-fach fokussierte Streben nach Perfektion,das an den meisten Musikhochschulen nochimmer unter dem Etikett „Künstlerische Aus-bildung“ angeboten wird, sollte stark redu-ziert werden zu Gunsten von mehr Studien-plätzen für InstrumentalpädagogInnen undinsbesondere für SchulmusikerInnen. Wennwir den gesellschaftlich wie berufsständischrelevanten Bedarf an Lehrkräften für Musik-schulen und allgemeinbildende Schulennicht bald decken und weiterhin vernachläs-sigen, wird musikalische Bildung weiter ero-dieren. Wir sollten uns mehr als bisher an dergesellschaftlichen Realität orientieren undunsere Absolventen in die Lage versetzen, ihren Lebensunterhalt auf eine würdige undauskömmliche Weise bestreiten zu können.

Dies ist in erster Linie die Aufgabe unsererInstitutionen und ihrer Leitungen – vor allemdeshalb, weil wir hohen Wert auf Selbstver-waltung legen –, und damit erst nachrangigdiejenige der Politik.Eine rein künstlerische Ausbildung sollte nurnoch als hochspezialisiertes Masterstudiumfür Ausnahmebegabungen angeboten wer-den, denen entsprechend realistische Chan-cen auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt wer-den. Dabei sollten sich diese Hauptfachstu-diengänge an der Freiberuflichkeit als Stan-dardsituation orientieren. Das bedeutet,dass die Anforderungen des Arbeitsmarktsviel stärker mit den individuellen Wünschenund Zielen der Studierenden in Einklang ge-bracht werden müssten, als es derzeit prakti-ziert wird. Bereits in Zugangsprüfungen soll-te neben der künstlerischen Begabung auchein realistisches Bewusstsein für Berufsbil-der und deren Perspektiven erkennbar sein.Wo dies nicht der Fall ist, sollten die entspre-chenden Sachverhalte mit Nachdruck vermit-telt werden, um einer späteren Desillusionie-rung vorzubeugen. Außerdem sollte bereitsin der Begabtenförderung die psychischeund physische Belastbarkeit der Studieren-den eingeschätzt und dauerhaft gestärktwerden, um den komplexen, mit dem Leis-tungssport vergleichbaren Anforderungendes Musikerberufs dauerhaft gerecht werdenzu können.

[ Es sollte auf allen Ebeneneine faire, übersichtlicheund unbürokratische Beurteilung von Lehrkräftenstattfinden.]

Für die an die Begabtenförderung anschlie-ßende Studienvorbereitung wären zusätzli-che, den jeweiligen Personen individuell an-gepasste Maßnahmen vorstellbar, die bereitsvor einem Musikstudium den Horizont erwei-tern und mögliche Zukunftsperspektiven ab-stecken. Neben den bereits bestehenden Ko-operationen könnten weitere Projekte ini -tiiert werden, die einen intensivierten Aus-tausch zum Ziel haben: etwa Musikschul-Praktika bzw. Hospitationen im Rahmen desSchulmusikunterrichts oder Gastkonzertevon Instrumentalklassen oder studienvorbe-reitenden Abteilungen in Schulen.Weiterhin sollte das im Studium behandelteMusikrepertoire verbreitert werden und überden Kanon der „Standardwerke“ hinaus auch

die Bereiche der Alten und Neuen Musik voll-kommen selbstverständlich einschließen.Genauso wie die verbindlichen pädagogi-schen und fachdidaktischen Inhalte solltenaußerdem Fähigkeiten und Handlungstechni-ken vermittelt werden, die für eine Freiberuf-lichkeit unentbehrlich sind: Marktübersicht(auch bezogen auf die Nachbardisziplinender Musik), Steuerrecht, Urheberrecht, So -zialversicherungen, PR und Marketing, Ein-blicke in das Booking-, Agentur- und Veran-staltergeschäft etc. Mit diesem Rüstzeug wä-ren AbsolventInnen wesentlich besser aufden sich stetig wandelnden Arbeitsmarktvorbereitet, als es derzeit überwiegend derFall ist. Von Hochschul- und Studiengangs -leitungen sollte ein Bewusstsein für dieseZusammenhänge erwartet werden können;dies schließt eine dynamische Personalfüh-rung ein, die innovative Ideen – auch von stu-dentischer Seite – und die Entwicklung vonAngeboten für ein zeitgemäßes und markt-orientiertes Angebot von Bildungsdienstleis-tungen fördert.

EVALUATIONERMÖGLICHENFolgt man diesem Gedankengang weiter, soist festzustellen, dass dem deutschen Musik-ausbildungssystem ein zuverlässiges und institutionalisiertes Qualitätsmanagementfehlt. Die bisher praktizierten Evaluierungs-systeme haben nach unserem Eindruck nichtzu den seit Langem überfälligen Reformenbeigetragen; einen Grund hierfür sehen wirin den unklaren Zielsetzungen und den nichthinreichend auf die Anforderungen unsererBranche zugeschnittenen Beurteilungskrite-rien. Auch in diesem Bereich wäre also eintransparentes System hilfreich. Es sollte aufallen Ebenen eine faire, übersichtliche undunbürokratische Beurteilung von Lehrkräftenstattfinden, die beispielsweise mit Hilfe vonunabhängigen Unterrichtshospitationen und(Online-)Umfragen unter SchülerInnen undStudierenden möglich wäre.Die Ergebnisse eines solchen moderatenEva luationssystems sollten in leistungsab-hängige Vergütungen einfließen und ultima-tiv auch arbeitsrechtliche Konsequenzen zurFolge haben können. Weiterbildungen, etwadie Teilnahme an Lehrgängen oder der Erwerbvon Zusatzqualifikationen, sollten finanziellund logistisch gefördert werden – und wie inanderen Berufen sollte eine erhöhte Qualifi-kation ein zentrales Argument für eine bes-sere Bezahlung sein. Durch Supervision kann

9 Thema

darüber hinaus ein strukturierter und leben-diger fachlicher Austausch ermöglicht wer-den, der dabei hilft, objektivierbare Quali-tätsstandards für die Lehre zu entwickeln.Solche Standards können dann als gemein-same Orientierung dienen – jenseits von sub-jektiven Kriterien, die natürlich weiterhin einewichtige Rolle spielen und den Fachdiskursmitprägen. Bei alledem ist eine positiv defi-nierte Anreizstruktur besonders wichtig, wäh -rend mögliche Sanktionen nur als letztes Mit -tel zur Steuerung eingesetzt werden sollten.

[Über ein exzellenz- und ergebnisorientiertes Qualitäts -mana gementsystem wärenEntlohnungen grundsätzlichbesser legitimierbar.]

Durch solche oder ähnliche Maßnahmen wür -de die Attraktivität und Professionalität vonMusikberufen deutlich gesteigert und dieLeistungsmotivation eines Kollegiums odereines Fachbereichs aktiviert. Über ein exzel-lenz- und ergebnisorientiertes Qualitätsmana -gementsystem wären Entlohnungen grund-sätzlich besser legitimierbar, denn durchnachvollziehbar gute Bewertungsergebnisselassen sich auch politische und administrati-ve Führungen überzeugen. Eine solche Trans-parenz wäre auch für Menschen attraktiv, dienicht im oben erwähnten Sinne „klassisch-musikalisch“ sozialisiert sind und die sich soin eine öffentliche Debatte über die Qualitätvon Musikausbildung einbringen könnten.

KOOPERATION INTENSIVIERENViele der genannten Reformen sind natürlichnicht kurz- oder mittelfristig realisierbar, son-dern erfordern eine langfristige Umstruktu-rierung. Wir sind jedoch davon überzeugt,dass es nötig ist, bereits jetzt mit einem Um-denken zu beginnen. Nur wenn wir die Prinzi-pien und die inhaltliche Ausrichtung unsererMusikausbildung auf den Prüfstand stellenund gemeinsam zu fundierten und mehr-heitsfähigen Positionen gelangen, könnenwir damit rechnen, der Erosion des künstle -rischen und musikalischen Lebens Einhaltgebieten und eine neue Basis für gesundesWachstum schaffen zu können.Damit Veränderungen politisch umgesetztwerden können, sind die bestehenden Orga-nisationen und Institutionen zur Kooperation

aufgerufen. Auf administrativer Ebene benö-tigen wir dringend eine Vereinfachung undDynamisierung der zum Teil extrem bürokra-tischen Strukturen, in denen unsere Institu-tionen gefangen sind. Beispielsweise solltenöffentlich geförderte und private Musikschu-len inhalts- und ergebnisorientiert zusam-menarbeiten, nicht nur, um die gesellschaft-liche Nachfrage besser bedienen zu können,sondern auch, um voneinander zu lernen undin Abstimmung miteinander zukunftsfähigeStrategien zu entwickeln – in Bezug auf Fra-gen der Qualität der Ausbildung genauso wiebei der Diskussion von Vergütungshöhen oderder Aufgabenverteilung.Eine besondere Anforderung wird zukünftigdarin bestehen, „bildungsferne Bevölkerungs -schichten“ zu erreichen. Was muss dafür ge-tan werden, welches Personal mit welchenQualifikationen wird benötigt und wie kön-nen derartige Aufgaben für diejenigen, diedamit betraut werden, attraktiv gestaltetwerden? Und schließlich: Wie erreichen sol-che Bildungsangebote auch tatsächlich die-jenigen Menschen, an die sie sich richten,und wie überprüfen wir dies?

[ Eine starke berufsständischeVertretung, etwa in Gestalteiner Kammer für Musik,könnte auch die oben thematisierten inhaltlichenFragen koordinieren.]

Diese und andere Fragen können wir beant-worten, wenn es uns gelingt, unsere Kräftezu bündeln und uns in der geschilderten Wei-se neu zu ordnen. Eine starke berufsständi-sche Vertretung, etwa in Gestalt einer Kam-mer für Musik, könnte auch die oben thema-tisierten inhaltlichen Fragen koordinieren.Erst wenn wir unsere Leistungen verständlichund differenziert darstellen, werden wirdeutlich machen können, worin ihr allgemei-ner Nutzen besteht und auf welche WeiseMenschen aller Bevölkerungsschichten vonihnen profitieren können. So können wirauch der eingangs thematisierten elitärenWahrnehmung begegnen. Wenn wir glaub-haft vermitteln können, dass musikalischeAusbildung gerade deshalb ein Allgemeingutund damit ein grundsätzliches Bildungszieldarstellt, weil sie tatsächlich jeder Person of-fen steht, unabhängig von (Vor-)Bildung oderfinanziellen Verhältnissen, hätten wir viel ge-wonnen. Eine breite Akzeptanz aus der Mitte

der Gesellschaft würde uns die politische Un-terstützung sichern, die wir uns wünschen.Erst dann können wir hoffen, deutlich ver-besserte Rahmenbedingungen durchzuset-zen, die sowohl unseren Qualifikationen alsauch deren gesellschaftlicher Relevanz ent-sprechen.

* Dieser Artikel stellt das künstlerisch-pädagogischePendant zu unserem Beitrag „Raus aus der Opferrolle“dar (Helge Harding/Wendelin Bitzan: „Raus aus der Opferrolle! Ein Appell an Musikerinnen und Musikerfür berufsständisches Engagement“, in: musikschule ))DIREKT 6/2016, S. 2-4). Dort standen berufsständischeAspekte im Vordergrund. Es wurde außerdem erörtert,wie MusikerInnen und MusikpädagogInnen sich besservernetzen können, um ihre berufliche Realität aktivermitzugestalten und auch im politischen Raum selbstbe-wusst, aber zugleich sachlich und verständlich für ihreAnliegen werben zu können.

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Helge Harding

ist Dirigent und Klarinettist. Er unterrichtetKlarinette an der Universität der KünsteBerlin, an der Musikschule „Fanny Hensel“Berlin-Mitte sowie privat. Er ist Mitglieddes Vorstands im DTKV Berlin.www.helge-harding.com

Wendelin Bitzan

ist Musiker, Musikforscher, Komponist undAutor. Er unterrichtet Musiktheorie an derHumboldt-Universität zu Berlin und ist Mit-glied im DTKV Berlin.www.wendelinbitzan.de