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UnAufgefordert Nr. 138 · 2012. 8. 5. · UNAUFgefordert juli 2003 5 Politik 20 Studium mit Pre-paid-Karte Auch Berlin will Studienkonten einführen. 21 Die Augen links Die Humboldt-Uni

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  • Die Studentinnen- und Studentenzei-tung der Humboldt-Universität zu Berlin.

    Herausgeberin: StudentInnenparlament der HU

    Verantwortliche Redakteure fürdiese Ausgabe:Gesa Gottschalk, Roland Borchers,Sören Kittel, Anika Lampe

    Redaktion: Alexander Florin, André So-wade, Annemarie Schlörer, AnnikaWaldhaus, Bernhard Holl, ChristinaPack, Denise Klink, Doris Mall, Frederi-ke Felcht, Julia Roth, Josef Kuske, Kirs-ten Matthes, Lena Domröse, MarkusBalkenhol, Martin Raasch, Martin Uebe-le, Nina Töllner, Ole Bubenzer, OliverTripp, Sabine Schereck, Sebastian Schö-bel, Stefan Martini, Steffen Hudemann

    Alle Artikel geben die Meinung des je-weiligen Autors wieder.

    Verantwortlich für Anzeigen: Kai Adamczyk

    Satz: Dirk Limbach

    Fotos: Christoph Schlüter, AndreaBecker-Weimann

    Illustrationen: Britta Kussin, UlrikeZimmer

    Kontakt: Humboldt-Universität zu BerlinUnter den Linden 6, 10099 BerlinHauptgebäude, Raum 3022Tel.: 2093-2288, Fax: 2093-2754,[email protected] [email protected]

    Öffentliche Redaktionssitzungen:montags um 18 Uhr im Raum 3022

    Belichtung: Medienraum des RefRat

    Druck: FATA MORGANA Verlag, Brunnenstr. 181, 10119 Berlin

    gedruckt auf Recyclingpapier im Tro-ckenoffsetverfahren

    Auflage: 5.000

    Für alle Fakten besteht das Recht auf Gegen-darstellung in angemessenem Umfang.Nachdruck nach vorheriger Nachfrage mög-lich. Wir bitten um Quellenangabe und Be-legexemplar. Die Redaktion behält sich vor,Leserinnen- und Leserbriefe gekürzt zu ver-öffentlichen.

    Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 23. Juni 2003

    Redaktionsschluss der Nr. 139: 30. September 2003

    Editorial> Studenten sind ein faules Pack. Jeder weiß das. Der Berliner Senat zum Beispiel.Der will Studienkonten einführen, damit die Studenten endlich ein bisschenschneller studieren. Und auch der ReferentInnenrat (RefRat) weiß es. Der wirftdeswegen alles hin. Denn die Studenten haben nicht protestiert. Nicht gegen dieStudienkonten. Und auch sonst gegen nichts. Sie waren einfach zu faul. Sie ha-ben in der Sonne gesessen, während andere unermüdlich protestiert haben. Siehaben ein Bierchen auf dem Balkon getrunken, während andere marschiert sind.Also hat der RefRat auch keine Lust mehr. Dabei gibt es Gründe für die Faulheitder Studenten. Nachzulesen im Diskussionsforum des RefRats. Zu hören auchvom Aktionsrat, der die Protestwoche organisiert hat. Alle sagen: Die Studentensind zu spät geboren und haben nicht mehr den Geist der 68er. Sie sehen zu vielfern, sie trinken zu viel und sie kiffen zu viel. Sie sind damit beschäftigt, in MitteParty zu machen, denn dafür sind sie nach Berlin gezogen. Das alles macht sie faulund unpolitisch. Und daran liegt es, dass die Protestwoche in die Hose ging. Nichtdaran, dass sie kaum Werbung für sich machte. Nicht daran, dass die Fachschaf-ten nicht informiert wurden. Und nicht daran, dass sich nur eine Handvoll Institu-te daran beteiligte. Die Studenten sind schuld. Faules Pack.

    Eure UnAufgefordert <

    UNAUFgefordert juli 2003

    Can youhandle THIS?Dann nimm Dir am bestennichts weiter vor! Wir brauchen Dich. Ab Oktober, für eineknappe Woche pro Monat.Infos: [email protected]

    Studentinnen- und Studentenzeitungder Humboldt-Universität zu Berlin.

  • Titel

    UNAUFgefordert juli 2003

    An die Arbeit Eine Frauenuni ist die Humboldt-Universität nur aufden ersten Blick: Mehr Studentinnen als Studenten,viele Frauen in der Verwaltung. Professorinnen abersind in der Minderheit. Woran liegt das?

    10 Im SchneckentempoMänner zitieren Männer, Frauen fördern Frauen. WieFrauen in die Lehre kommen.

    11 Wir haben genug JungsAuch Mädchen können programmieren. Ein Projektbringt mehr Frauen in die Informatik.

    12 »Nicht alle scheitern«Ilke Glockentoeger weiß, dass viele Frauen es schaf-fen. Und sagt, wie es noch mehr werden können.

    14 KinderlähmungWer Kinder und eine Professur will, muss kämpfen.Als Frau jedenfalls.

    16 Alles auf AnfangNoch sind sie die Mehrheit: Eine Umfrage unter Stu-dentinnen.

    18 Da sind Frauen nicht exotischGut: Anglistik/Amerikanistik.

    18 Wie vor hundert JahrenSchlecht: Geschichtswissenschaften.

    19 Pause vom MannDas Café Furiosa ist nur für Frauen offen.

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  • 5UNAUFgefordert juli 2003

    Politik

    20 Studium mit Pre-paid-KarteAuch Berlin will Studienkonten einführen.

    21 Die Augen linksDie Humboldt-Uni hat ein neues Logo.

    22 Kein Bock auf DUDie Protestwoche ist gescheitert.

    23 DU, es regnet

    Ein Seminar zog vor das Abgeordnetenhaus.

    Studieren

    24 Studieren in ... GalwayEs gibt Bier, es regnet – es ist Irland.

    26 Trio mit vier FäustenDas Europäische Zentrum steht vor dem Aus.

    Leben

    28 kick when stuckInformatiker und Sport: Roboter spielen Fußball.

    30 E-Mail aus ... Jakarta

    30 Sauber wie bei MuttiDas ›Café A‹ an der Technischen Universität.

    inhalt

    Rubriken3 Editorial6 News7 Bauvorhaben

    37 Tipps & Termine

    31 Metropolen in Deutschland

    Bremerhaven

    Kultur

    32 Die Kuba-KriseEin Film begleitet eine kubanisch-deutsche Ehe.

    33 Hofkultur in MitteStudentisches Theater an der frischen Luft.

    34 Nach der Pause tobt die SchlachtRichard III. im ›Hexenkessel‹.

    34 Papa ist tot, der Schlager lebt›Acht Frauen‹ im Renaissance-Theater.

    35 »Ich war kein guter Student«Götz Alsmann im Interview.

    36 Plattenwäsche

    38 Katechismus des StudentenFolge XXXVI

  • UNAUFgefordert juli 2003

    HU muss ErstsemesteraufnehmenWissenschaftssenator Thomas Flierl(PDS) hat die Entscheidung der Hum-boldt-Universität (HU), keine Erstseme-ster mehr aufzunehmen, aufgehoben.Daraufhin beschloss der AkademischeSenat der HU Ende Juni, für alle Studi-engänge einen Numerus clausus einzu-führen. Für sämtliche Fächer ist somit ei-ne Bewerbung notwendig. Bewerbungs-schluss ist der 15. Juli. Die gleiche Rege-lung gilt auch an der Freien Universität,der Technischen Universität und der Uni-versität Potsdam.

    Kürzungen stehen fest50 Millionen Euro weniger werden diedrei großen Berliner Universitäten bis2009 vom Land Berlin erhalten. Das siehtdie mittelfristige Finanzplanung vor, dieder Senat am 1. Juli beschlossen hat. DieSumme liegt weit unter den Drohungenvon Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD),der 300 Millionen Euro kürzen wollte.Wissenschaftssenator Thomas Flierl(PDS) bezeichnete die Planung als »Sig-nal des Senates, an der Prioritätenset-zung für Wissenschaft und Forschungfestzuhalten«. Die drei Präsidenten derUniversitäten sagten, dass auch dieseSumme die Schließung »ganzer Studi-engänge und Forschungseinrichtungen«bedeute. Sie erklärten sich aber bereit,unter diesen Bedingungen weiter überkünftige Hochschulverträge zu verhan-deln. Diese werden 2006 in Kraft treten.

    Protest beendetDer studentische Protest gegen die Kür-zungspläne des Berliner Senats ist been-det. Das erklärte der ReferentInnenrat(RefRat) der Humboldt-Universität (HU).Offensichtlich stünden die Studierendengeschlossen hinter den Sparmaßnah-men, heißt es in einer Pressemitteilung.Das zeige die geringe Teilnehmerzahl von500 Leuten bei der geplanten Großde-monstration am 21. Juni. Von 135.000Studierenden und 40.000 Mitarbeiternaller Berliner Hochschulen stellten sichdamit nur knapp 0,3 Prozent gegen denSenat, rechnet der RefRat vor.

    Gender StudiesangebundenDer Studiengang ›Gender Studies‹ an derHumboldt-Universiät (HU) hat eine

    strukturelle Heimat gefunden. Am 4. Julieröffnete die HU das ›Zentrum für trans-disziplinäre Geschlechterstudien‹. Damitsind die bisher institutslosen Gender-Studierenden der Philosophischen Fa-kultät III angegliedert. Das Zentrum istein Zusammenschluss des Studiengangsmit dem bisherigen Zentrum für interdis-ziplinäre Frauenforschung.

    NeuesPräsidiumsmitgliedDas StudentInnenparlament (StuPa) derHumboldt-Universität hat ein neues Prä-sidiumsmitglied. In der Sitzung vom 16.Juni stellte sich Jan Rentzsch (Lust) alseinziger Kandidat zur Wahl. Von 45 Wahl-berechtigten erhielt er 30 Ja-Stimmen.Damit nimmt Rentzsch den Platz vonRené Leminger ein, der in der vorange-gangenen Sitzung nach nur einem Mo-nat im Amt zurückgetreten war. Rentzschbegründete seine Kandidatur damit, dassdas Präsidium mit nur drei Mitgliedernnicht effektiv arbeiten könne. Insgesamthat das Präsidium fünf Plätze zu beset-zen.

    UngestörterRegenbogenDie Regenbogenflagge wehte in diesemJahr ungestört eine ganze Woche lang ander Humboldt-Universität (HU). Wie je-des Jahr hatte die HochschulgruppeMutvilla sie zum Christopher Street Daygehisst. Selbst während des Besuchs desitalienischen Staatspräsidenten CarloAzeglio Ciampi durfte die Fahne hängenbleiben. Noch vor drei Jahren hatte dieUnileitung dies bei der Visite des franzö-sischen Staatspräsidenten Jacques Chi-rac untersagt. Das Öffentlichkeitsreferatder HU sprach damals von einem Verstoßgegen die Flaggenverordnung. Um dieRegenbogenflagge hatte es in den letz-ten Jahren regelmäßig Streit gegeben. Sohatte Uni-Präsident Jürgen Mlynek dieAnbringung in der Vergangenheit abge-lehnt, weil die Fassade »nicht zur Lit-faßsäule verkommen« solle.

    Vorerst kein PlastikDas StudentInnenparlament (Stupa) derHumboldt-Universität hat seinen Spaßan politischer Arbeit noch nicht verloren.In seiner Sitzung am 16. Juni brachte derRing Christlich Demokratischer Studen-ten (RCDS) den Antrag ein, den Studen-tenausweis aus Papier durch eine Plas-

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    tikkarte zu ersetzen. Sie solle zunächstkeinen Chip enthalten und durch Wer-bung auf der Rückseite finanziert wer-den. Ein Änderungsantrag der ListeGrünboldt beendete die Debatte. Sieschlug die Ersetzung des Wortes »Plas-tikkarten« durch »grüne naturfreundlicheKautschuk-Luftballons« vor. Sie hätteKontakt zu einer Firma, die selbige ko-stengünstig herstelle. Diese Änderungwurde vom Parlament angenommen, dergesamte Antrag daraufhin abgelehnt.Auch der RCDS stimmte gegen seineneigenen Antrag zur Einführung des neu-en Studentenausweises.

    Bleibt Krähenfuß?In den nächsten acht Jahren droht dem›SBZ Krähenfuß‹ keine Gefahr. Das versi-cherte die Standortentwicklungs-Kom-mission des Akademischen Senats. DasStudentencafé im Seitenflügel der Hum-boldt-Universität (HU) bleibe an Ort undStelle. Das Amt widersprach damitGerüchten, nach denen der ›Krähenfuß‹zum Umzug in einen anderen Teil desHU-Hauptgebäudes gezwungen werdensollte. Diese bleiben trotzdem begründet.Ewald-Joachim Schwalgin, Leiter derTechnischen Abteilung wollte auf Anfra-ge keine zeitliche Garantie geben: »Ichwill da so schnell wie möglich bauen«.

    Preis für ausländischeStudierendeZum achten Mal vergibt die Humboldt-Universität (HU) an ausländische Studie-rende einen Preis in Höhe von 800 Euro.Der Deutsche Akademische Austausch-dienst (DAAD) stiftet den Betrag. Bewer-ben können sich Studierende im Haupt-studium, Jung-Examinierte und Promo-venden. Bewerbungsschluss ist der 31.August. Eine Studienkommission ent-scheidet über die Vergabe. Überreichtwird der Preis am 16. Oktober bei der Ein-führungsveranstaltung für internationa-le Studierende. Bewerbungsunterlagensind erhältlich bei Ulrike Spangenberg,Amt für Internationale Angelegenheiten,HU-Hauptgebäude, Raum 3085b.

    Hamburgs Unis ohneFrauenquoteHamburgs Hochschulen dürfen künftigselbst entscheiden, in welchem Maße sieFrauen fördern wollen. Das beschloss dieHamburger Bürgerschaft bereits am 14.

    > Die Herren waren freundlich. Sie kamen in unser Büro und betrachteten es mit denAugen zukünftiger Besitzer. »Eigentlich sollten wir schon im Juni hier drin sein«, ver-rieten sie uns, und auch, dass sie Philosophen seien. Wir fühlten uns wie eine Bauern-familie, auf deren Rapsfeld Landvermesser auftauchen und eine Straße planen. Be-sorgt riefen wir beim Wichtige-Bauvorhaben-Experten Ewald-Joachim Schwalgin an.Der beruhigte uns. Der »Raumdeal«, der die Philosophen zu uns führte, sei überholt:»Es gibt immer Planungen, die über den Haufen geschmissen werden.« Manchmalklappt Schwalgins Schachspiel auch. Dann verwaisen ganze Flure, nur um von neuenMenschen bevölkert zu werden, die woanders wieder leere Flure hinterlassen. Ingroßem Stil ist das gerade passiert. Das Rechenzentrum (RZ) ist von Mitte nach Ad-lershof gezogen. In den Räumen im Erdgeschoss sitzt jetzt das Immatrikulationsbüro.»Das hat sich ausgedehnt«, sagt Schwalgin stolz. Auch ein ehemaliges Büro des RZ imersten Stock ist bereits wieder vergeben. An die AG Hörsaalvergabe. Einziehen konn-te die noch nicht. »Sie wird leider erst nächstes Jahr gegründet«, sagt Bauvorhaben-Experte Schwalgin. Auch die Studienberatung aus der Ziegelstraße fand noch Platz.Und wer bekommt jetzt die Büros, die dort freigeworden sind? Schwalgin weiß es nicht.Wohl aber, dass es immer neue Raumdeals geben wird: »Das hört nie auf. Das geht im-mer so weiter.« Bei wem stehen die Philosophen als nächstes vor der Tür?

    Gesa Gottschalk <

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    Wichtige Bauvorhaben an der Humboldt-Uni

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    wird ein gutes Gesetz noch besser«, sag-te Wieland Schinnenburg, hochschulpo-litischer Sprecher der FDP-Bürger-schaftsfraktion, »es bietet nun die Vor-aussetzungen für eine moderne Hoch-schullandschaft in Hamburg«.

    Weniger Macht für ZVSDie Macht der Zentralen Vergabestellefür Studienplätze (ZVS) soll beschnittenwerden. Mehrere Bundesländer brach-ten im Juni eine entsprechende Initiativeim Bundesrat ein. Die ZVS ist bundesweitfür die Universitätsstudiengänge Be-triebswirtschaft, Biologie, Medizin, Phar-mazie, Psychologie, Tiermedizin undZahnmedizin zuständig. Sie teilt den Unis76 Prozent der Studierenden zu, 24 Pro-zent wählen die Hochschulen selbst aus.Das wollen mehrere Bundesländer zumWintersemester 2004/05 ändern. DieUnis sollen 50 Prozent der Studierendenin den betreffenden Fächern selbst aus-suchen. 25 Prozent würde die ZVS mitden Abiturbesten, die den Hochschulortselbst bestimmen, besetzen. Die restli-chen 25 Prozent würde die ZVS wie bis-her nach Durchschnittsnote oder Warte-zeit den Unis zuteilen.

    Joints auf demVormarschAn deutschen Universitäten wächst eineGeneration von Richtern und Staatsan-wälten heran, die weiche Drogen aus ei-gener Erfahrung kennen. Eine Untersu-chung des Instituts für Kriminologie derUni Gießen ergab, dass rund die Hälfteder befragten Jura-Studenten schon ein-mal Haschisch geraucht hat. Dies sei derhöchste Wert seit 1976. Nach Einschät-zung der Hamburger Landesstelle gegendie Suchtgefahren erlebt auch Cannabiszurzeit eine Renaissance.

    Kurzfilme einreichenFür das 19. Internationale Kurzfilmfestivalkönnen noch bis zum 18. Juli Beiträgeeingereicht werden. Die Filme dürfennicht länger als 20 Minuten sein undmüssen auf VHS-Kassetten gespielt sein.Prämiert wird in den Kategorien besterFilm, beste Animation, beste Kamera undbester Sound. In Einzelwettbewerbe sindweitere Auszeichnungen zu vergeben.Außerdem wid der Deutsche Kurzfilm-preis verliehen. Das Festival findet vom 4.bis 9. November 2003 in Berlin statt. Wei-tere Infos unter: www.interfilm.de

    LiebesbriefeLiebe UnAufgefordert,also wieder einmal gegen Kürzungen. Dagegen habe ich 1993, zu Beginn mei-nes ersten Studiums, auch schon demonstriert. Damals hieß das enfant terribleManfred Erhard und war Bildungssenator. 1997 war der Buhmann Peter Ra-dunski, ebenfalls Bildungssenator. Inzwischen wird die Bildungspolitik vom Fi-nanzsenator gemacht, der heißt Thilo Sarrazin und ist Sozialdemokrat. 1993 waren einige tausend Menschen auf der Straße, 1997 gab es einengroßflächigen Studentenstreik, es demonstrierten mehrere zehntausend Stu-denten. Und 2003? In dem Jahr, in dem die Studiengebühren zumindest für einenTeil der Studierenden Realität werden, marschierten am Sonnabend, dem 21. Ju-ni – nach optimistischer Schätzung – 500 Leute vom Potsdamer Platz zum Alex-anderplatz. Einen Tag zuvor beschloss der Senat Kürzungen im Hochschulbe-reich, deren Konsequenzen weitreichender sind als das, was 1997 drohte: Damalsging es um die Abschaffung des generellen Verbots der Studiengebühren, die nundurch die Hintertür, in Form von Studienkonten, eingeführt werden.Warum gehen von 135.000 Studierenden und 40.000 Mitarbeitern 0,3 Prozentzu der Demo, die alle etwas angeht? Ist den Studenten von heute egal, was mitihren Unis – und letztendlich mit ihnen – passiert? Haben sie resigniert? Ist eszuviel verlangt, mal ein paar Stunden auf eine Demo zu gehen, die sich gegenmassive Kürzungen in dem Bereich richtet, die einen unmittelbar betreffen?Wenn zu einer breit angekündigten Demo nur 0,3 Prozent der Angesprochenenerscheinen, obwohl die Situation mehr als dramatisch ist, dann ist das ein Ar-mutszeugnis für Studierendenschaft und Uniangehörige. Und dass die übrigen174.500 Studierenden und Universitätsmitarbeiter alle aus einem dringendenGrund verhindert waren, fällt mir schwer, zu glauben.Martin Bloem, Historiker und Psychologiestudent an der FU, via E-Mail

    Lieber Martin,uns auch.Deine UnAufgefordert

    Im ZweifelFeiertag ließ man verstreichen,UnAuf zog es vor zu weichen,UnAuf, du kamst etwas spat.Grünkohl oder Blattsalat?Helmut Schinkel

    Lieber Herr Schinkel,Grünkohl.Ihre UnAufgefordert

    Mai im Rahmen des Hochschulmoderni-sierungsgesetzes. Danach können dieHochschulen Regelungen treffen, die vonder Vorgabe abweichen, Frauen beigleichwertiger Qualifikation bevorzugt zuberücksichtigen. »Im Zuge der Stärkungder Hochschulautonomie sollen dieHochschulen die Möglichkeiten erhalten,in den einzelnen Fächern entsprechendden Verhältnissen in der jeweiligen

    Hochschule von der starren Quotenrege-lung abzuweichen«, begründeten die Re-gierungsparteien CDU, FDP und ParteiRechtsstaatliche Offensive (›Schill-Par-tei‹) die Änderung. Die Universität Ham-burg hatte 2001 einen Frauenanteil von11,7 Prozent an den Professuren. An derTechnischen Universität Hamburg-Har-burg waren 3,9 Prozent Professorinnenbeschäftigt. »Mit unseren Änderungen

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    An die Arbeit

    Am Anfang sind es viele – am Ende nur noch wenige: Was passiert mit Frauen inder Uni? Wo bleiben sie auf dem Weg von der Studentin zur C4-Professorin? Undwie kann man sie stärken?

  • > Kleine Mädchen wollen Stewardess werden, aber nicht Pilo-tin. Sie spielen die Krankenschwester, und die Jungs den Arzt.Junge Frauen studieren, aber die Männer werden Professor. Nurknapp jede zehnte Professur ist in Deutschland mit einer Fraubesetzt. An der Humboldt-Universität (HU) liegt der Anteil derProfessorinnen mit 16 Prozent überdurchschnittlich hoch. Dochauch hier gilt: Je einflussreicher die Position, desto wahrschein-licher ist, dass sie ein Mann erhält. Dabei fängt alles gut an: 58,6Prozent der Studierenden im Wintersemester 2002/03 warenweiblich. Doch die Lehre ist überwiegend männlich: 35,7 Pro-zent des wissenschaftlichen Personals der HU sind Frauen. Mitsteigendem Gehalt und Prestige wird die Luft für Wissenschaft-lerinnen dünner. In der Gehaltsklasse C1 sind 34,9 Prozent vonFrauen besetzt, auf der höchsten Stufe, bei den C4-Professuren,sind es nur noch neun Prozent.

    Sind Männer besser?Neun Frauen schlossen 2001 ihre Habilitation an der HU ab, dasentspricht einem Anteil von 21,4 Prozent. »Die Habilitation ist daswesentliche Ausschlusskriterium. Da herrschen in Deutschlandsehr patriarchalische Strukturen«, sagt Hildegard-Maria Nickel,die einzige Professorin am Institut für Sozialwissenschaften. »Die

    Längst sind über die Hälfte der Studie-renden Frauen. Unterrichtet werdensie jedoch hauptsächlich vonMännern. Wo sind die Frauen in derLehre?

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    Frauenbeauftragten und Gleichstellungskriterien im öffent-lichen Dienst haben viel bewirkt. Die Mechanismen, die letztenEndes ausgrenzen, sind mittlerweile subtiler.« In den meisten Be-rufungskommissionen sitzen immer noch hauptsächlich Män-ner. Selten beachten sie, dass sich zum Beispiel eine Familie aufdie Länge der Publikationsliste auswirkt. »Beim Berufungsver-fahren auf die C 4-Stelle für Psychotherapie hätten wir gerne ei-ne Frau gehabt. Die Männer, die sich beworben haben, warenaber bei weitem besser«, bedauert Peter Frensch, Psychologie-professor an der HU.

    Männer zitieren MännerQualität bestimmen Männer nach ihren Maßstäben. Da sei ent-scheidend, wie bekannt man in bestimmten Bereichen sei, soNickel. »Noch immer gilt: ›Männer zitieren Männer‹. Da sindFrauen immer noch Newcomer, besonders, wenn sie zu Themenarbeiten, die außerhalb des wissenschaftlichen Mainstreamssind. Das wirkt dann gegen sie.« Sieglinde Gstöhl, wissen-schaftliche Assistentin in der Sozialwissenschaft, hat beobach-

    tet, dass Professoren eher Studentenermutigen, das Studium mit einerDoktorarbeit abzuschließen: »Ichglaube, es gibt unter Professoren ei-ne gewisse Hemmschwelle, Doktor-vater von Studentinnen zu sein. Um-gekehrt können sich Studentinnen

    oft nicht vorstellen, ihre Doktorarbeit von einem Mann betreu-en zu lassen.« Skadi Krause, wissenschaftliche Mitarbeiterin,glaubt, dass Studenten selbstbewusster eine wissenschaftlicheKarriere ansteuern: »Studenten sagen eher ›Natürlich schreibeich meine Dissertation‹, während Studentinnen sich schwererentscheiden können zu sagen ›Das ziehe ich jetzt durch‹«.Außerdem hätten Frauen nicht gelernt, Netzwerke zu knüpfen,so Krause. »Frauen glauben oft, dass ihr Abschluss entscheidendist. Dennoch hat viel mit persönlichen Beziehungen zu tun.« Dashat auch Elke Hartmann beobachtet. Die Juniorprofessorin fürAlte Geschichte sagt: »Zum Biertrinken nach dem Seminar fin-det sich leicht eine Männerrunde zusammen. Eine Frau ist denHerren in der Situation dann eher unangenehm.« Auch Vorur-teile versperren Wissenschaftlerinnen den Weg nach oben.»Frauen haben einen längeren Adaptionsprozess als Männer«,behauptet Psychologieprofessor Frensch: »Sie trauen sich nicht,weil der Anspruch zu hoch ist. Angst spielt dabei eine große Rol-le«. Ludolf Herbst, Professor für Geschichte, ist anderer Mei-nung: »Es gibt keine Unterschiede in der Herangehensweise undKompetenz.«

    Frauen fördern FrauenStudentinnen brauchen weibliche Vorbilder. »Frauen könnensich, wenn ein Mann am Vorlesungspult steht, einfach nicht vor-stellen, dessen Rolle einzunehmen«, sagt Renate Hof, Professo-rin für amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft. Hilde-gard-Maria Nickel bringt es auf eine einfache Formel: »Männerfördern Männer und Frauen fördern Frauen.« Professoren wür-den am Frauenmangel in der Lehre »nur im Schneckentempo et-was verändern«, glaubt sie. »Günstiger sind die Chancen, wennFrauen in den richtigen Positionen sind und sich ihren Nach-wuchs selbst nachziehen.«

    Julia Roth, Gesa Gottschalk, Julia Hantschel, Nina Töllner,Lena Domröse <

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    Im Schneckentempo

  • 11UNAUFgefordert juli 2003

    > Kara die Marienkäferin läuft herum und verteilt Kleeblätter.Sieben weibliche Teenager schauen ihr dabei zu. Sind sie fürniedliche Käfer nicht ein bisschen zu alt? »Da gibt es überhauptnichts zu lachen«, sagt Dido Szypkowski. Sie schaut wieder aufihren Bildschirm und runzelt die Stirn. Die putzige Kara stellt Di-do vor handfeste Probleme: Wie kann sie den Marienkäfer da-zubringen, nur dort Klee hinzulegen, wo Dido will? Sie dreht sichum und ruft: »Nannette!«. Die 22-jährige Nannette Kase kommtihr zu Hilfe. Sie studiert in Adlershof und leitet die Arbeitsge-meinschaft ›Lust auf Informatik?!‹. Jeden Mittwochnachmittagkommen die Mädchen nach Adlershof und trainieren Kara. Da-bei lernen sie die Programmiersprache Java. Denn der Mari-enkäfer hört nicht auf gutes Zureden, sondern nur auf Befehlewie »boolean fast = true«.

    Schule machen›Mehr Frauen in die Informatik‹ heißt das Projekt, zu dem die Ar-beitsgemeinschaft gehört. Wann immer Márta Gutsche, die Lei-terin des Projekts, zur Tür schaut, sieht sie einen Spruch von Al-bert Einstein: »Es ist leichter, ein Atom zu zertrümmern als einVorurteil.« Márta Gutsche weiß, was Einstein meint: Nur 17 Pro-zent der Studierenden in der Informatik sind Frauen. »Wir müs-sen das Interesse früh erwecken«, sagt Gutsche. Denn schon inden Informatikkursen der Schulen seien viel weniger Mädchenals Jungs. Bereits in der neunten Klasse können deshalb Schü-lerinnen aus Berlin und Brandenburg nach Adlershof kommen,um ein Praktikum zu machen oder an den Arbeitsgemeinschaf-ten teilzunehmen.

    Ich kann dasVon ihren Ideen musste Gutsche die Schulen erst überzeugen.»Ich bekam oft als Antwort ›Warum wollen Sie denn nurMädchen, wir haben doch genug Jungs‹«, erinnert sie sich. In-zwischen sei die Zusammenarbeit mit den Gymnasien im Bezirkgut. Auch die Jungs müssen keine Angst haben. »Wir wollen sienicht für immer voneinander trennen, sondern die Mädchenkurzzeitig stärken«, sagt Márta Gutsche. Gemischte Gruppenvermittelten Mädchen oft den Eindruck, die Jungs wüssten mehrals sie. In Adlershof lernen sie, hofft Márta Gutsche: »Ich kanndas, ich versteh das.« Mit einem ›Girl’s Day‹ oder einer LangenNacht der Frauen sei es nicht getan, sagt die Projektleiterin. Die

    Universität müsse die Mädchen langfristig begleiten, das Inte-resse wachhalten und sie auch in Studium und Promotion un-terstützen.

    Nannette Kase musste ihren Weg noch ohne Hilfe zur In-formatik finden. Sie hat es trotzdem geschafft. Im Program-mierkurs in der Schule war sie das einzige Mädchen unter 18Jungs. Die anderen seien bald gegangen, als der Lehrer immernur mathematische Probleme lösen ließ, statt konkrete An-wendungen zu zeigen. Mit ihrer Gruppe in Adlershof program-miert sie deshalb erstmal, »obwohl Informatik viel mehr ist alsProgrammieren«. Als sie an die Universität kam, gehörte Kasezwar immer noch zur Minderheit. Doch auf verschüchterteMädchen traf sie nicht: »Die Studentinnen sind unheimlich gut,besser als die Studenten«, sagt sie, »Informatik zu studierenhaben sich ja nur die Frauen getraut, die wussten, dass sie gutsind«.

    Das Projekt läuft noch bis Oktober. Es wird aus dem Frau-enförderprogramm des Bundes finanziert. Ob dafür weiter Geldda ist, entscheidet die Bund-Länder-Kommission im Sommer.Für Márta Gutsche ist klar, was passiert, wenn der Kontakt mitden Schulen abbricht: »Dann kann man alles vergessen. Dannist alles hin.«

    Gesa Gottschalk <

    Wir haben

    genug Jungs

    Titel

    Das Projekt ›Mehr Frauen in dieInformatik‹ soll Studentinnen nach

    Adlershof bringen. Denn auchMädchen können programmieren.

  • 12 UNAUFgefordert juli 2003

    UnAufgefordert: Wofür brauchen wir eine Frauenbeauf-tragte? Sind wir nicht alle gleichberechtigt?Ilke Glockentoeger: Es gibt natürlich eine gesetzliche Gleich-stellung von Frauen und Männern. An der HU gibt es mehr Stu-dentinnen als Studenten, und in der Verwaltung sind mehr Frau-en beschäftigt. Doch je höher man in den Hierarchien kommt,desto weniger Frauen werden es. Es gibt Strukturen, die dazuführen, dass Frauen nicht die gleichen Chancen haben. Die Frau-enbeauftragten haben die Aufgabe, sicherzustellen, dass die ge-setzliche Gleichstellung auch umgesetzt wird.

    Ist die Uni ein frauenfeindlicher Raum?Die Uni ist ein Teilbereich unserer Gesellschaft. Frauen könnenauch hier Diskriminierung, Belästigung, manchmal sogar Ge-walt aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt sein. Die Uni ist aberauch ein akademischer Raum. Da gibt es im Vergleich zu ande-ren Bereichen oft eine bessere Auseinandersetzung darüber.

    In jeder Berufungskommission sitzt eine Frauenbeauf-tragte. Warum ist trotzdem nur ein Bruchteil der Profes-suren mit Frauen besetzt?Frauenbeauftragte haben in Gremien und Kommissionen leiderkein Stimmrecht. Sich um geeignete Bewerberinnen zubemühen, das ist eigentlich die Aufgabe der Berufungskom-mission. Die Frauenbeauftragten sollen darauf achten, dassFrauen im Berufungsverfahren nicht benachteiligt werden. Ichfrage mich, ob Berufungskommissionen überhaupt fair sind. Ichdenke, dass Berufungsverfahren auch für Männer unfair seinkönnen. Aber für Frauen ist es oft noch schwerer. Im Univer-sitätsbetrieb geht viel über persönliche Beziehungen, über Netz-werke, und da sind Männer meistens besser.

    Ilke Glockentoeger, studentischeFrauenbeaufragte, über Netzwerke,Quoten und den deutschenMuttermythos.

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    UNAUFgefordert juli 2003

    Welche Rolle spielen Seilschaften an der Uni?Seilschaften ist so negativ besetzt, das klingt so nach Klüngel.›Netzwerke‹ finde ich besser. Die sind sehr entscheidend für ei-ne Karriere an der Uni.

    Warum scheitern Frauen auf dem Weg nach oben?Ich denke nicht, dass Frauen nur scheitern. Es gibt auch viele er-folgreiche Frauen, die den Weg nach oben geschafft haben. Pro-blematischer finde ich, dass viele Frauen den Weg nach obengar nicht einschlagen wollen. Warum entscheiden sich vieleFrauen so? Darauf gibt es keine einfachen Antworten. Es wäreaber falsch zu glauben, dass es nur ein großer Zufall ist, dasssich viele Frauen gegen einen Weg nach oben entscheiden.

    Werden Frauen ermutigt, eine wissenschaftliche Lauf-bahn einzuschlagen?Es gibt sicher Frauen, bei denen das passiert. Doch es ist nötig,mehr Frauen zu ermutigen.

    Wer muss das tun?Das ist die Aufgabe von unterschiedlichen Leuten. Professorenund Professorinnen müssten es sich zur Aufgabe machen, Frau-en individuell zu fördern. Die Gesellschaft müsste entsprechen-de Rahmenbedingungen schaffen. Vor allem muss man Frauenfrüh motivieren, damit sie sich eine wissenschaftliche Karriereüberhaupt zutrauen.

    Sind Frauen an der Uni der Gnade der Männer ausgelie-fert?Schwierige Frage. Ich hoffe nicht. Wer etwas werden will an derUniversität, ist immer auch von der Gnade jener abhängig, diein der Hierarchie höher stehen. Das ist gar kein frauenspezifi-sches Problem. Es ist für Frauen aber oft schwieriger, weil sie an-ders sozialisiert sind, oder ihnen manche Eigenschaften auf-grund ihres Geschlechts nicht zugesprochen werden.

    Haben Studentinnen genug weibliche Vorbilder?Das hängt sehr vom Fach ab. In der Anglistik/Amerikanistik istdie Hälfte der Professuren mit Frauen besetzt, da haben Stu-dentinnen mit Sicherheit Vorbilder. Es gibt aber auch Fachbe-reiche, in denen es zwar viele weibliche Studierende gibt, aberkeine oder nur wenige Wissenschaftlerinnen. Geschichte ist soein Beispiel. Dort sind fast die Hälfte Studentinnen, aber es gibtnur eine Juniorprofessorin. Frauen sind aber auch nicht per sedie besseren Vorbilder. Man darf nicht davon ausgehen, dass al-le Professorinnen sich frauenfördernd verhalten. Gleichzeitiggibt es auch Professoren, die sich sehr um die Förderung vonFrauen bemühen. Aber Frauen in hohen Positionen zeigen denStudentinnen, dass ein solcher Lebensweg möglich ist.

    Was muss an der Uni für Frauen getan werden?Letztlich muss sicher gestellt werden, dass Berufungspolitik undauch Stellenbesetzungen gleichberechtigt stattfinden. Damüssten alle zusammenarbeiten. Das kann nicht nur Aufgabeder Frauenbeauftragten sein. Die Universität als Institution mussdaran ein Interesse haben.

    Schneidet die HU im deutschen Vergleich so gut ab, weilsie eine Ostuni ist?Ja. Zu DDR-Zeiten hatte die HU eine bessere Frauenquote alsjetzt, jedenfalls im so genannten Mittelbau. Bei den Professurenliegt der Anteil inzwischen bei 16 Prozent. Im Bundesvergleich

    ist das gut. Wenn man bedenkt, dass inzwischen 60 Prozent derStudierenden Frauen sind, ist es trotzdem eine traurige Zahl.

    Warum sind andere auf diesem Gebiet viel weiter alsDeutschland?Dafür gibt es mehrere Gründe. Wir hängen in Deutschland im-mer noch einem längst überholten Muttermythos nach. Auchwenn wir auf dem Papier gleichberechtigt sind, gibt es doch kla-re Vorstellungen davon, was Frauen und Männer zu tun haben.Gerade wenn es um Kindererziehung und Haushalt geht. Da-raus ergeben sich gesellschaftliche Rahmenbedingungen: Wirhaben kaum Ganztagsschulen, wir haben nur bedingt staatlicheKinderbetreuung. Das macht es schwer für Frauen, beruflich er-folgreich zu sein und Kinder zu haben, selbst wenn sie dabei Un-terstützung bekommen. Diese Struktur kann auch für Männerschwierig sein. In den USA und in anderen europäischen Län-dern ist es oft einfacher, Familie und Karriere zu verbinden. Auchwenn ich in unserer Generation durchaus die Bemühung umGleichberechtigung bei der Familienarbeit sehe – die Leutescheitern oft an den Bedingungen.

    Wer kommt zu den Frauenbeauftragen?Das ist sehr unterschiedlich. Es kommen Frauen, die wissen-schaftlich arbeiten und zum Beispiel Probleme mit ihrem Dok-torvater haben. Bei Nachwuchswissenschaftlerinnen geht esauch oft um Stipendien und finanzielle Unterstützung. Auch Stu-dentinnen, die sich diskriminiert fühlen oder belästigt werden,wenden sich an uns. Zu uns kommen Frauen aus allen Status-gruppen und auch Männer, die sich über Kinderbetreuung unddie Verbindung mit dem Studium oder Beruf informieren wollen.

    Viele Studentinnen äußern sich positiv zur Situation derFrauen an der Universität. Woran liegt das?Wir sind eine Generation, die mit dem Bewusstsein groß ge-worden ist, dass wir gleichberechtigt sind und die gleichenChancen wie Männer haben, dass Geschlechterunterschiedenicht mehr gemacht werden. Wenn man sich die Universitätzunächst oberflächlich anguckt, dann nimmt man das auch sowahr. Unter der Oberfläche ist es aber oft anders. Es gibt be-stimmte Strukturen, die keine Chancengleichheit bieten oder so-gar diskriminierend sind. Es hängt auch davon ab, wen man fragt.Studierende der Gender Studies nehmen das sicher ganz an-ders wahr. Es gibt Männer und Frauen, die überhaupt kein Pro-blembewusstsein haben. Die glauben ernsthaft, dass wir kom-plett gleichberechtigt sind. Da können wir nur am Bewusstseinarbeiten und fragen: »Wenn das so ist, warum gibt es dann aufbestimmten Hierarchieebenen keine oder so wenig Frauen?«

    Das Interview führte Gesa Gottschalk <

    Die Humboldt-Universität hat viele Frauenbeauftragte, die in denFakultäten an der Gleichstellung der Frauen arbeiten. Außerdemgibt es eine hauptamtliche zentrale Frauenbeauftragte mit zweiStellvertreterinnen. Eine davon ist seit Januar 2002 Ilke Glocken-toeger. Sie studiert Geschichte, Sport und Theologie auf Lehr-amt. Glockentoeger, Jahrgang 1976, muss ihr Amt auch bei an-deren Studierenden verteidigen: »Frauenbeauftragte sind in un-serer Generation nicht mehr populär.«

    Ilke Glockentoeger

  • Titel

    > Frauen wie Helga Schwalm sind selten an deutschen Unis.Wenn die Herren Professoren nach Hause gehen oder bei einemGlas Rotwein wichtige Menschen treffen, holt die C3-Professo-rin ihre beiden Kinder von der Kita ab. Den Rest des Tages ist sieMutter. »Die Professur und die Kinder zu vereinbaren ist schwer,aber nicht schwerer als in anderen Berufen«, sagt die Professo-rin für englische Literatur an der Humboldt-Uni (HU). Bei ihremBerufungsverfahren hat ihr Familienstand keine Rolle gespielt.»Ich bin da überhaupt nicht repräsentativ. Von Kolleginnen in an-deren Städten habe ich anderes gehört«, sagt sie. Die seien inBewerbungsgesprächen gefragt worden, ob sie sich in der La-ge sähen, die »Doppelbelastung« zu bewältigen. »Frauen glau-ben, dass sie ihre Kinder in den ersten Lebensmonaten nichtweggeben dürfen. Sie verzichten deshalb zugunsten der Kar-riere auf Kinder oder zugunsten der Kinder auf die Karriere«, sagt

    der HU-Psychologieprofessor Peter Frensch. Selten tun sie das freiwillig: Kita- und Kindergartenplätze

    sind rar und die Öffnungszeiten in der Regel noch immer aufdie traditionelle Familie ausgelegt. In der arbeitet Mutti, wennüberhaupt, nur halbtags. »In der DDR war es selbstverständlich,dass man auf Betreuungsangebote zurückgreifen konnte, undzwar ganztägig«, sagt Hildegard-Maria Nickel, einzige Profes-sorin am Institut für Soziologie. Sie bezweifelt, dass sie ihre wis-senschaftliche Karriere auch unter westdeutschen Bedingun-gen mit der Erziehung ihrer Tochter hätte verbinden können. Alssie ihre wissenschaftliche Laufbahn in der DDR begann, sei esganz normal und akzeptiert gewesen, dass Frauen nach der Ge-burt ihrer Kinder schnell wieder ihrem Beruf nachgingen. Dasvereinte Deutschland schneidet diesbezüglich im Vergleich mitanderen Ländern schlecht ab. Nickel erzählt von einer franzö-

    Akademikerinnen mit Kind sind weder schlechte Mütter noch schlechte Profes-sorinnen. Das glaubt ihnen aber kaum jemand.

    Kinderlähmung

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    Titel

    sischen Kollegin, die eine Stelle in Halle antrat. Da sie mit demkatastrophalen Betreuungsangebot überhaupt nicht gerechnethabe, ging sie schließlich nach Frankreich zurück. »So kann dasauf Dauer nicht weitergehen«, sagt Nickel.

    Die Kindertagesstätte an der HU ist zwar von 6 bis 17:30 Uhrgeöffnet. Es gibt dort aber nur 50 Plätze für Kinder im Alter vonacht Monaten bis sechs Jahren, die auch für Kinder von Studie-renden offen sind. Entsprechend gibt es Wartelisten. Skadi Krau-se ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwis-senschaften und Mutter zweier kleiner Kinder. Sie konnte ihreStelle nach der Geburt jeden Kindes nach zwei Monaten fort-setzen, weil sie das Glück hatte, Plätze in einer Kita zu bekom-men. »In Berlin haben wir da eine Ausnahmesituation, weil Ki-tas auch Kleinkinder nehmen und nicht erst mit drei Jahren wiein Westdeutschland«, sagt sie.

    Angst vor KindernDie hierarchischen Strukturen deutscher Unis machen es Aka-demikerinnen mit Kindern schwer. Altersbegrenzungen für Ha-bilitationen und Assistenzen lassen kaum Zeit für Mutter-schutzurlaub. Gehen Wissenschaftlerinnen dennoch in Mutter-schutz, werden ihre Stellen oft in dieser Zeit nicht besetzt undes entstehen ›Löcher‹ im Lehrplan. Daher geraten Frauen schonbei Berufungsverfahren häufig ins Hintertreffen. »Die ›Ver-männlichung‹ der Institution Wissenschaft hängt auch damit zu-sammen, wie Frauen wahrgenommen werden«, sagt Hildegard-Maria Nickel. »Da herrscht die Angst, dass Frauen, wenn sie nochkeine Kinder haben, irgendwann welche kriegen. Dann heißt es,sie müssten zwei Bereiche vereinbaren und seien nicht verläss-lich, was die Karriereplanung angeht.« Die Wissenschaftlerin-nen, die Kinder haben, bestätigten dieses Vorurteil nicht, soNickel. Wenn sie sich einmal für eine wissenschaftliche Lauf-bahn entschieden hätten, seien sie genauso verfügbar wie ihremännlichen Kollegen. Akademikerinnen seien oft alleinerzie-hend oder hätten Männer in ähnlich zeitaufwendigen Berufen.Professoren mit Kindern haben dagegen meist den Rückhalt ei-ner klassischen Familienstruktur. »Wenn meine Frau nicht Be-amtin und deshalb sehr flexibel gewesen wäre, weiß ich nicht,wie wir die Erziehung unserer drei Kinder hätten organisierenkönnen«, bestätigt Ludolf Herbst, Professor für Geschichte. Diewenigsten Professorinnen mit Kindern schaffen es auf die best-bezahlten Stellen mit dem höchsten Prestige. Renate Hof, Pro-fessorin für amerikanische Literatur- und Kulturwissenschaft,fällt kaum eine Kollegin ein, die eine C4-Professur und Kinderhat. »Es gibt ein paar wenige Ausnahmen, da helfen manchmaldie Männer, aber meistens die Großmütter«, sagt sie.

    Schutz vor deutschen HausfrauenRenate Hof begann ihr Studium erst, als ihre beiden älteren Kin-der in der Grundschule und ihr jüngster Sohn im Kindergartenwaren. Die Betreuung der Kinder teilte sie sich mit befreunde-ten Müttern. »Da hatte ich dann manchmal sechs Kinder, konn-te aber an anderen Tagen im Gegenzug studieren«, erzählt sie.Den Vorlesungsplan organisierte sie nach dem Alltag der Kin-der. »Natürlich konnte ich dann keine Vorlesungen zu der Zeitbesuchen, wo kleine Kinder gebadet und ins Bett gebracht wer-den müssen.« Als ihr nach ihrer Promotion vom Institut eine As-sistentenstelle angeboten wurde, wies die Unileitung darauf hin,sie sei mit über 35 zu alt. Erst als Professorinnen anderer Insti-tute einen Protestbrief schrieben, bekam Renate Hof die Stelle.

    »Man muss schon ein bisschen kürzer treten mit Kindern. Mankann dann nicht zu jeder Konferenz gehen«, sagt sie. Als sie einHabilitationsstipendium in den USA bekam, nahm sie ihrenjüngsten Sohn mit.

    »Ich hatte immer das Gefühl, mich dafür verteidigen zu müs-sen, dass ich studiere und drei Kinder habe und trotzdem keineschlechte Mutter bin«, erinnert sie sich. Berufstätige Müttermüssten sich auch heute noch gegen den Vorwurf verteidigen,›Rabenmütter‹ zu sein, und seien damit einem enormen sozia-len und moralischen Druck ausgesetzt. Noch immer gelte diealtbackene Vorstellung, eine ›gute Mutter‹ verzichte den Kindernzuliebe auf ihre Karriere. »Da wird natürlich auch ein ganz be-stimmtes Frauenbild an die Kinder vermittelt«, sagt Renate Hof,»es gibt da den schönen, zugespitzten Ausspruch ›Wir solltenunsere Kinder vor den deutschen Hausfrauen schützen‹«. Sieplädiert dafür, die hierarchischen und frauenfeindlichen Struk-turen der deutschen Universitäten zu entzerren. »Die Lebens-läufe müssen offener sein können und die Altersbegrenzungengehören abgeschafft«, fordert sie. Dazu sei auch notwendig, al-le Kommissionen, die über Einstellungen entscheiden, zu glei-chen Teilen mit Männern und Frauen zu besetzen.

    Am Institut für Anglistik/Amerikanistik sind überdurch-schnittlich viele Frauen in den Kommission. Helga Schwalmkonnte bei ihren Berufungsverhandlungen zwei Plätze in derHU-Kita für ihre Kinder aushandeln. Inzwischen sitzt sie selbstin Berufungskommissionen. »Ich würde damit offensiv umge-hen«, sagt sie. »Vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungachte ich bei den Berufungen auch auf den Familienstand undsetze ihn dann ins Verhältnis zur Publikationsliste.«

    Julia Roth <

    UNAUFgefordert juli 2003

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    Titel

    UNAUFgefordert juli 2003

    Alles auf Anfang

    Bei uns in der Anglistik lehren mehr Männer, was mich auchnicht stört. Dafür gibt es superwenig Jungs. Ich denke, dass bei-des eher von Vorteil ist. Wir werden ganz nett von unseren Pro-fessoren behandelt. Es scheint mir, dass ein Dozent leichter zu-gänglich ist, wenn er mehr Mädchen im Seminar hat. Jedenfallshabe ich noch nie Nachteile gehabt.Juliane Bannert, 8. Semester Anglistik

    Mir persönlich geht es um die Person, wenn ich ein Seminar be-lege, und nicht um das Geschlecht. Ich kenne Frauen, die sichbesonders in naturwissenschaftlichen Studiengängen diskri-miniert fühlen, weil viele Männer so tun, als ob die Frauen nichtdazu gehören würden. Das habe ich in der Schule auch manch-mal so empfunden, aber nicht an der Uni und besonders nichtin meinem Studiengang. Lucia Martines, 4. Semester Spanisch/Übersetzung

    Mich ärgert es, wenn weniger kompetente Männer viel redenund sehr kompetente Frauen selten zu Wort kommen. Diese Dy-namik lässt sich jedoch von Dozenten schwer beeinflussen. Inder Geschichte fühle ich mich nicht von den Professoren ge-fördert, was Genderthemen angeht. Das liegt nicht daran, dasssich die Professoren weigern, ein Genderthema zu betreuen,sondern daran, dass die Kompetenzen einfach nicht ausreichen. Edith Hürthe, 12. Semester Gender Studies/Geschichte

    Bis auf einen einzigen Mann habe ich nur Dozentinnen. BeimStudium in England habe ich schlechte Erfahrungen mit Do-zentinnen gemacht. Dort neigen Frauen eher dazu, ihre Lieb-linge auszuwählen, die dann bevorzugt werden. Ich denke,Männer sind ein bisschen fairer. Ich fühle mich auch nicht vonMännern eingeschüchtert.Louise Doherty, 6. Semester Germanistik/Spanisch

    Fotos Christoph Schlüter Umfrage Saara Wendisch

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    Titel

    UNAUFgefordert juli 2003

    Sie sind die Professorinnen von morgen.

    Hoffentlich.

    Acht Studentinnen sagen, wie der Alltag an der Uni ist.

    Ich finde nicht, dass ich als Frau diskriminiert oder benachteiligtwerde. Weder von Dozenten noch von Kommilitonen. In Sportkommt es schon häufiger vor, dass Männer mehr Ahnung vonBiomechanik oder Motorik haben und sich häufiger melden. Da-durch fühle ich mich aber überhaupt nicht unter Druck gesetztund wäre auch nicht zu schüchtern, mich genauso oft zu mel-den, wenn ich das Wissen hätte. Tülay Tas, 6. Semester Sport/Grundschulpädagogik

    Ich habe dieses Semester ein sehr gutes Seminar bei einer Frau.Ich finde, Frauen drücken eher mal ein Auge zu. Männer sindwesentlich strenger. Frauen können Kritik fairer rüberbringen.Vielleicht liegt das auch daran, weil sie es auf ihrem Weg zurDozentin oder Professorin schwerer als ihre männlichen Kolle-gen hatten. Christine Schulz, 8. Semester Kunstgeschichte

    Benachteiligt fühle ich mich an der Uni nicht. Aber es fällt auf,dass die meisten Lehrenden Männer sind. Bei den Studentensind jedoch viele Frauen vertreten. Ich belege lieber Seminarebei Frauen, weil ich mit Frauen besser klar komme. Es läuft ir-gendwie auf einer anderen Ebene ab. Vielleicht kann man sichauch besser miteinander identifizieren. Trotzdem könnte ich mirvorstellen, in einer Männerdomäne Karriere zu machen. Anne-Kathrin Heizhausen, 10. Semester Soziologie

    Wenn ich mir Seminare aussuche, richte ich mich hauptsäch-lich nach Themen. Ich achte nicht darauf, ob es bei einem Mannoder bei einer Frau ist. Es kann sein, dass Frauen etwas unsi-cherer sind, wenn sie anfangen zu unterrichten. Sie reagierendann auch häufig zickiger, vielleicht um ihre Unsicherheit zuüberspielen. Aber das lässt sich nicht so pauschal sagen. Meri Scherpel, 6. Semester Kunstgeschichte

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    Titel

    UNAUFgefordert juli 2003

    > In den USA wäre die Anglistik/Amerikanistik der Humboldt-Uni (HU) ein ganz gewöhnliches Institut. Die Hälfte der Profes-sorenschaft ist weiblich, im akademischen Mittelbau sind es so-gar 64 Prozent. In Deutschland und an der HU sind solche Zah-len die Ausnahme. Helga Schwalm lehrt seit dem Sommerse-mester 2002 als C3-Professorin englische Literatur an der HU.»Die Anglistik/Amerikanistik ist mit über 70 Prozent Studentin-nen ein typisches ›Frauenfach‹ und somit ein Sonderfall«, erklärtsie die Situation. Gleiches gilt allerdings für die Germanistik: Dortist die Zahl der Studentinnen ähnlich hoch. Trotzdem sind nurfünf von 22 Professoren Frauen. Warum funktioniert die Gleich-stellung in der Anglistik/Amerikanistik besser? »Für viele, die inden USA waren, ist das normal, da sind Frauen nicht so exotisch«,sagt Renate Hof, C3-Professorin für amerikanische Literatur-und Kulturwissenschaft. In Deutschland hingegen seien dieStrukturen für Frauen hinderlich. »Männer haben nach wie voreher die Möglichkeit, ›Seilschaften‹ zu knüpfen und können sichdamit im Wissenschaftsbetrieb besser verständigen«, sagt sie.»Außerdem spielt es auch eine Rolle, welche Themen als wich-

    > Herr Mommsen sitzt vor der Humboldt-Universität. Er sitztimmer da, denn so wurde er in Stein gehauen. Als Momm-sen hier Geschichte lehrte, studierten bei ihm nur Männer.Und natürlich hatte er nur männliche Kollegen. 100 Jahrenach Theodor Mommsens Tod hat sich am Institut für Ge-schichtswissenschaften wenig geändert. Zwar sind inzwi-schen 45,4 Prozent der Studierenden Frauen. Die Professo-ren aber bleiben weiter unter sich. Nur eine Juniorprofesso-rin gibt es. »Die ganze Uni weiß, dass die Situation in der Ge-schichte extrem schlecht ist«, sagt Claudia Theune-Vogt, dieFrauenbeauftragte der Philosophischen Fakultät I. In den Be-rufungen, so versicherten ihr die Professoren, gehe mannach Qualität, nicht nach Geschlecht. Die Frauen schnitteneinfach schlechter ab. Nur eine hält die Fahne hoch: ElkeHartmann. Sie ist seit letztem Jahr Juniorprofessorin für Al-te Geschichte. Gegen Männer konnte sie sich bei ihrer Be-rufung nicht durchsetzen: Die Stelle war nur für Frauen aus-geschrieben. So ganz haben sich die Männer noch nicht an

    die neuen Verhältnisse gewöhnt. Bis heute bekommt ElkeHartmann Rundmails mit der Anrede »Werte Herren Profes-soren«. Ob die ihre Studentinnen ausreichend fördern? El-ke Hartmann versucht, begabte Studentinnen zu ermutigen:»Das wird mit einer Dankbarkeit und Verwunderung entge-gengenommen, die darauf hindeutet, dass es andere nochzu wenig tun.« Die Juniorprofessorin will ihre wissenschaft-liche Karriere fortsetzen, ihre Position sei dafür bereits dasrichtige Sprungbrett. »Ich habe nicht die Sorge, dass ich auf-grund meines Geschlechts scheitern könnte«, sagt sie. Frau-enbeauftragte Theune-Vogt setzt auf den natürlichen Pro-zess: »Wir müssen warten, bis die nächsten Herren 65 wer-den«. Bis 2010 würden rund zehn Professorenstellen frei. Aufeinigen davon werden bald Frauen sitzen, glaubt Theune-Vogt. Und auch Elke Hartmann ist zuversichtlich: »Ich kannkeine Stellen vergeben. Aber ich hoffe, ein Gewicht mehr indie Waagschale zu werfen.«

    Gesa Gottschalk <

    tig angesehen werden. In der Amerikanistik orientieren wir unsnatürlich schon daran, was in den USA passiert. Dort wird zumBeispiel Feminist Criticism nicht mehr belächelt.« Bei Renate Hofwar es ein Forschungsaufenthalt, der sie motivierte, weiterzu-machen. »In den USA sah ich plötzlich all diese Frauen, derenBücher ich kannte«, erzählt sie. In Deutschland hingegen gebees kaum Vorbilder für Studentinnen. Wenn ein Mann ein Semi-nar leite, könnten sich die meisten Studentinnen nicht vorstel-len, seinen Platz einzunehmen. Wenn aber erst einmal gleich vie-le Frauen wie Männer auf Lehrstühlen und in Berufungskom-missionen säßen, ginge es schneller voran. Helga Schwalm, dieauch in der Berufungskommission des Instituts sitzt, ist zuver-sichtlich: »Bei uns gibt es viele Doktorandinnen. Und auch in derBerufungskommission sind wir viele Frauen. Da achtet man au-tomatisch darauf, den Frauenanteil zu erhöhen.« So haben sichdie Frauen in der Anglistik/Amerikanistik auch ganz obendurchgesetzt: Von vier C4-Professuren ist nur eine mit einemMann besetzt. Sie wird demnächst neu ausgeschrieben.

    Julia Roth <

    In der Anglistik/Amerikanistik sind Frauen selbstverständlich. Wie in den USA.

    Die Geschichtswissenschaft ist bekannt an der HU: Sie ist ein Männerclub.

    Da sind Frauen nicht exotisch

    Wie vor hundert Jahren

  • 19UNAUFgefordert juli 2003

    Titel

    Die einen kämpfenmit den Strukturen,

    die anderen mit demExfreund. Ins ›Café

    Furiosa‹ können sichalle Frauen

    zurückziehen.

    Pause vom Mann

    > Lisa hängt auf dem zerknautschten Sofa und unterhält sichmit einer Freundin. Auf dem Tisch vor ihnen stehen zwei TassenTee, einen Tisch weiter sitzt eine Gruppe von Mädchen, die einReferat vorbereiten. Im Hintergrund läuft Musik. Lisa hat heutezwei Stunden Schicht im Café Furiosa. Zwischendurch muss sievon ihrem Sofa aufstehen und ein paar Brötchen schmieren oderKaffee verkaufen. Alles ist wie in jedem anderen Studentencafé.Doch das Furiosa ist ein Studentinnencafé.

    Das Café in der Silberlaube der Freien Universität (FU) istnur für Frauen zugänglich. Bereits auf dem Gang weist ein Schild›Frauencafé‹ darauf hin, damit es nicht zu Missverständnissenkommt. Das passiert auch nicht: Filmplakate von Frauenfilmenhängen an der Wand, Unterschriftensammlungen für Frauen-projekte liegen auf den Tischen aus, und die Pinnwand machtauf die Frauen- und Lesbenberatung des Allgemeinen Studie-rendenausschusses aufmerksam.

    Lisa findet es wichtig, einen Frauenraum an der Uni zu ha-ben: »Als Treffpunkt, als Rückzugs- und auch als Schutzraum ineiner immer noch von Männern dominierten Universität.« Nichtder Spaß des Flirtens soll draußen bleiben, sondern männlicherSexismus. »Natürlich fühle ich mich auch in anderen Studen-tencafés wohl und habe nicht das Gefühl ständig diskriminiertzu werden«, sagt Lisa. Oft brauche sie jedoch einfach mal einePause von Männern. »Viele Studentinnen flüchten hierhin, wennsie von einem Typen nicht in Ruhe gelassen werden, oder Be-ziehungsfrust haben und deswegen keine Männer sehen kön-nen.« Lisa kommt oft, weil sie von der Dominanz und Arroganzihrer Kommilitonen und Dozenten genervt ist. Nach einer Aus-zeit im Café gehe es ihr wieder besser. Manchmal gibt es zwar

    Provokationen von Männern, die versuchen reinzukommen.Doch die meisten Männer respektieren, dass sie diesen Raumnicht betreten dürfen. Den Vorwurf, das Aussperren von Män-nern sei ebenfalls diskriminierend und sexistisch, kennt Lisa al-lerdings auch. Frauen äußerten dieses Bedenken sogar häufi-ger als Männer, sagt sie.

    Frauen, die das Café besuchen, lieben es meist sofort. »Weiles so gemütlich ist«, sagt eines der Mädchen am Nachbartisch.Das Café ist schön eingerichtet, es gibt Kaffee, Tee, kalte Ge-tränke und Brötchen. Das Furiosa ist nicht nur männer- sondernauch rauchfrei. Während dies in anderen Cafés wahrscheinlichzu Diskussionen führen würde, gehen hier die Raucherinneneinfach nach draußen, wenn man sie darum bittet. »Die Atmos-phäre hier ist einfach entspannter«, sind sich die Frauen einig.

    Heute ist Lisa extra nur für ihre Schicht zur Uni gekommen.»Damit das Café weiter bestehen kann. Denn leider ist das In-teresse von Freiwilligen daran, sich zu engagieren, in letzter Zeitstark gesunken.« »Früher war das anders«, wirft Daniela ein. Siestudiert bereits seit 13 Jahren an der FU und geht seit ihrem er-sten Semester ins Furiosa. Mittlerweile hat das Café manchmalselbst an den beiden Tagen, an denen angeblich feste Öff-nungszeiten sind, geschlossen. Gegründet wurde das Café En-de der 80er Jahre, als es noch mehr Frauenräume an der FU gab.Das Café musste zwar öfter zwischendurch schließen, doch esfanden sich immer wieder Frauen, die es neu aufmachten. Baldist es vielleicht für immer vorbei mit dem Café Furiosa, denn einTeil der Silberlaube wird wegen der Asbestverseuchung abge-rissen.

    Sarah Hofmann

  • 20

    Politik

    Berlin will das ›Studienkonto‹ einführen und hofft auf viel Geld.

    UNAUFgefordert juli 2003

    Studium mit Pre-Paid-Karte

    > Und wie lange willst du noch studieren?« fragen Eltern gern.Auch der Staat interessiert sich für die Dauer des Studiums. Werseine Regelstudienzeit deutlich überzieht, wird in Berlin baldzahlen müssen. Der Senat plant ein sogenanntes Studienkon-tenmodell, wie es andere SPD-Länder 2004 einführen wollen.Jeder Student bekommt dort zu Beginn seines Studiums einPunkteguthaben, mit dem er eine festgelegte Anzahl von Ver-anstaltungen besuchen kann. Pro Semesterwochenstunde wer-den ihm dann Punkte abgezogen. Ist das Guthaben aufge-braucht, muss der Student vor jedem weiteren Semester seinKonto auffüllen – wie eine Pre-paid Karte bei einem Mobiltele-fon.

    Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS) wurde vom Se-nat beauftragt, ein ähnliches Modell für Berlin auszuarbeiten.Er erklärte seine Vorstellungen in der Berliner Morgenpost:»Für zehn Semester erhält jeder Studierende 30 Credits, ins-gesamt also 300 Credits, als Gegenwert für ein entgeltfreiesErststudium in der Regelstudienzeit plus vier Semester.« Ist dasKonto aufgebraucht, müsse es dann durch Gebühren neu auf-gefüllt werden, so Flierl weiter. 500 Euro pro Semester halte erfür angemessen. Die daraus resultierenden Einnahmen inHöhe von fünf Millionen Euro kommen nur zur Hälfte demHaushalt der Universitäten zugute.

    Aber nicht alle Studenten werden zur Kasse gebeten. Weraus »sozialen Gründen« die Gebühr nicht zahlen kann, erhältentweder kostenlose Zusatzsemester oder einen finanziellenZuschuss. Dazu gehören zum Beispiel studierende Eltern oderkörperlich Behinderte.

    Ulrich Thöne, Vorsitzender der Gewerkschaft für Erziehungund Wissenschaft (GEW) Berlin, äußert sich skeptisch: »DieZahlungsdrohung baut eine neue Hürde für den Hochschul-abschluss auf. Wer zahlen muss, wird eher die Hochschule oh-ne Abschluss verlassen. Wir brauchen aber mehr Hochschul-absolventen und -absolventinnen.« Mit einem solchen Modellwürden Studierende nicht motiviert, sondern eher verunsi-chert.

    Laut Flierl müssen die Studierenden ihre Einstellung derUniversität gegenüber ändern. Sie sollten sich mehr als Kun-den einer Firma sehen. Bekämen sie nicht die entsprechendeLeistung, wechselten sie eben das Unternehmen. Die Gefahrbesteht, dass Gebühren die Studierenden einem finanziellenDruck aussetzen, der sie eher daran hindert, sich an der Hoch-schulentwicklung zu beteiligen. »Souverän sind in diesem Sy-stem nur diejenigen, die es sich leisten können«, sagt UlrichThöne von der GEW.

    Die lästigen Fragen der Eltern nach der Studiendauer wer-den aufhören. Oder verändern sich zu: »Und wie willst Du dasbezahlen?«

    Sören Kittel <

    Illus

    tratio

    n: B

    ritta

    Kus

    sin

  • 21

    Politik

    UNAUFgefordert juli 2003

    > Seit Jahrzehnten betreiben Universitäten in den USA profes-sionelle Öffentlichkeitsarbeit. Ihren Namen und ihr Emblem ver-markten sie international. Die Namen Harvard, Yale oderGeorgetown tragen Studenten auf Pullovern und T-Shirts durchdie ganze Welt. Die Humboldt-Universität (HU) will da schon län-ger aufschließen. Die HU sei schließlich ein Markenname wieCoca Cola, sagt Präsident Jürgen Mlynek.

    ›Corporate Design‹ heißt das Stichwort: Die HU soll nachaußen einheitlich auftreten. Auf seiner Homepage soll nichtmehr jedes Institut machen dürfen, was es will. Und auch Brie-fe sollen gleich aussehen. Die Idee ist nicht neu. Bereits sei An-fang der 90er Jahre arbeitet die Universität daran. Damals gabes kein einheitliches Logo, in Briefen verwendete jeder eine an-dere Schriftart. Seminarscheine gleichen noch heute mehr ei-nem Flugblatt als einem offiziellen Universitätsdokument. »DieUniversität lebt von der Improvisation«, entschuldigte der da-malige Präsident Hans Meyer die Situation.

    Jahrelang geschah nichts, bis 1998 die heutige Universitätder Künste (UdK) den Auftrag erhielt, ein einheitliches Designzu erarbeiten. Eine fünfköpfige Arbeitsgruppe unter der Leitungvon Achim Heine nahm sich der Aufgabe an. Ein Jahr später stell-te sie im Foyer des Hauptgebäudes der HU die ersten Entwürfefür ein Logo aus. Sie reichten von einer modernen, verfemdetenVersion bis zu einer lediglich leichten Überarbeitung des altenEmblems.

    Pantone 294»Wir hätten damals schon mit der Einführung loslegen können«,sagt Birgit Tümmers von der Berliner Agentur ›Doppelpunkt‹, diedas Projekt begleitete. Doch wegen des Wechsels im Unipräsi-dium der HU verzögerte sich die Entscheidung nochmals. Erstim Januar 2002 einigte sich der Akademische Senat auf eine Vor-lage der UdK-Arbeitsgruppe. Mit der Einführung des neuen De-signs beauftragte die HU die Agentur Doppelpunkt. Weitere an-derthalb Jahre vergingen, ehe im Juni 2003 die Umsetzung be-gann: Auf der Webseite wurde das Logo ausgetauscht.

    Auf den ersten Blick unterscheidet sich das neue Symbolkaum vom alten. Die 1960 von Georg Stapel entworfenen Köp-fe von Wilhelm und Alexander von Humboldt sind um acht Gradnach links gedreht. So blicken sie nicht mehr erhaben in die Luft,sondern geradeaus. Das ist weniger arrogant, finden die Ma-cher. Um das Emblem offener zu gestalten, wurde der Ring, derdie Köpfe früher umfasste, entfernt.

    Birgit Trümmers von ›Doppelpunkt‹ ist mit dem Resultatnicht zufrieden. »Ich hätte das Siegel geöffnet und den Schrift-zug weggelassen«, sagt sie. Doch Präsident Jürgen Mlynek seidagegen gewesen und habe die jetzige Lösung durchgesetzt.Auch die übrigen Veränderungen fallen sehr zurückhaltendaus. Die HU besitzt jetzt eine Hausfarbe: ein einfaches Blau na-mens Pantone 294. Nicht das Hauptgebäude will die Uni damitstreichen. Wie das Magenta der Telekom soll Pantone 294 zumErkennungszeichen der HU werden. Für offizielle Briefe, Ur-kunden oder Plakate sind die Schriftarten seit Juni vorge-schrieben.

    Bemerkt hat die groß beschworene Einführung des neuenLeitbildes fast niemand. Zwar finden sich auf der Homepage derHU mehrere Seiten zum Thema, doch die sind gut versteckt. Esgibt lediglich einige allgemein gehaltene Beispiele für den Ein-satz von Logo, Schrift und Farbe. Doch die wenigsten beachtendie neuen Regeln. Die meisten Institute haben ihre Webseitennoch nicht umgestellt. »Ohne Hilfe bei der Einführung mache ichgar nichts«, sagt Dieter Kolb von der Theologischen Fakultät. Le-diglich auf dem Campus Adlershof wird das neue Logo montiert.Wie Ewald-Joachim Schwalgin, Leiter der Technischen Abtei-lung, erklärt, stehe für eine flächendeckende Anbringung keinGeld zur Verfügung.

    Viel ist von dem hohen Anspruch der Humboldt-Universität,sich ein einheitliches Erscheinungsbild zu geben, nicht geblie-ben. Auch dem Humboldt-Laden fehlt das Geld, um seine Pro-dukte mit dem neuen Logo bedrucken zu lassen. Aus der Idee,auch das Emblem der HU auf Pullovern und T-Shirts durch dieWelt tragen zu lassen, wird also nichts.

    Sebastian Schöbel, Roland Borchers <

    Jahrelang arbeitete die Humboldt-Uni an einem neuen, gemeinsamen Auftritt.Herausgekommen ist ein um acht Grad gedrehtes Logo.

    Die Augen links

  • 22

    Politik

    > Das Urteil ist hart. »Die Studenten haben die Protestwoche ansich vorbeiziehen lassen«, sagt Jürgen Schlaeger, Mitglied desAktionsrates gegen Studiengebühren. Sind die Studierendender Humboldt-Universität (HU) von einer Protestmüdigkeit be-fallen? Als die Protestwoche am 17. Juni beginnt, haben vielenoch überhaupt nichts davon gehört. Nur wenige verirren sichauf die HU-Protest-Website. Ein Transparent am Zaun bleibtzunächst der einzige Hinweis darauf, dass die Uni mobilmacht.

    Kein Wunder. Nicht einmal zehn Institute beteiligen sichan den Protesten. Die Zahnmediziner zum Beispiel verteilenFlyer vor der Charité. Es ist eine mühselige Arbeit und die mei-sten Passanten haben wichtigeres zu tun. Noch schlechter er-geht es dem Projekt ›Tapetenwechsel‹. Die Fassade der ›Kom-mode‹ gegenüber dem Hauptgebäude soll mit Protestbriefenverhüllt werden. Dafür sind es einfach nicht genug. Stattdes-sen entrollen Studenten ein Transparent, auf das einige Briefegeklebt sind. Ein Schauspielschüler geigt dazu. Der Wind reißterste Zettel ab. Professor Richard Lucius, der diese Aktion lei-tet, gibt zu: »Die Aktion ist viel zu spät angelaufen. Offensicht-lich wurde die Aufruf-Email nicht weitergeschickt.« Er hatte je-den Empfänger aufgefordert, sie an zehn weitere Adressenweiterzuleiten.

    Die pure NotAuch Aktionen mit viel Werbung haben keinen Zulauf. ›Mein Blutfür DU‹ ist an der HU und in der ganzen Stadt plakatiert. Die Leu-te sollen spenden und das eingenommene Geld Sarrazin alsBlutzoll überreicht werden. Die beiden Ärzte von der Charité sindfür einen Ansturm gerüstet. Doch nur ein Häuflein Spenderkommt in den Senatssaal. Öffentliche Vorlesungen sollen denProtest in die Stadt tragen. Nur fünf Studiengänge beteiligen sichdaran: Philosophie, Gender Studies, Germanistik, Geschichte(siehe nebenstehenden Artikel) und Jura. Für Aktionen wie die-se muss nicht viel Werbung gemacht werden. Die Lehrveran-staltungen finden zur gewohnten Zeit statt, nur eben im Freien.Die Studierenden können die Anwesenheitspflicht bequem mitdem Protest verbinden.

    Einige Professoren gehen in den Themen ihrer Vorlesungauf die aktuelle Finanzsituation Berlins ein. Einer von ihnen istder Jura-Professor Klaus Marxen. »Die pure Not« treibe ihn zurTeilnahme an der Protestwoche. »Wenn man dieser Universitätangehört, muss man ihr helfen, wenn sie in Not ist«, sagt Mar-xen. Das Thema, das er am Gendarmenmarkt behandelt, ist dieBerliner Vermögenskriminalität. »Dieser Ort passt ganz gut da-zu, denn bei dessen Gestaltung haben Leute mitgewirkt, diemittlerweile zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteiltsind«, sagt Marxen. Das ist medienwirksam und hält die Protes-

    tierenden trotz schlechten Wetters bei Laune. Die StudentinJulia Lehmann findet diese Aktion toll, »auch wenn es nicht im-mer leicht ist, sich zu konzentrieren.« Aber das Skript könne siesowieso im Internet abrufen. Auf die Frage, ob sie am Samstagdemonstrieren werde, antwortet sie, dass hänge vom Wetterab. Und das meint es nicht gut mit den Demonstrierenden. Esist ein Trauermarsch, der sich am Potsdamer Platz in Bewegungsetzt: Zwei Fahnen und drei Transparente ragen einsam in dengrauen Himmel. Es gibt keine Losungen, keine Geschlossen-heit, und bei 500 Teilnehmern in jedem Fall keine Großdemon-stration. Dabei soll dieser Tag der Höhepunkt der Protestwo-che sein.

    Gehen Sie weiterVor dem Roten Rathaus werden die Teilnehmer vom Aktionsko-mitee begrüßt: »Kommt doch ein bisschen näher!«. Niemandfolgt dem Aufruf. Lange Zeit passiert nichts. Das Orchester derMusikhochschule ›Hanns Eisler‹ spielt ein Stück von Beethoven,bei dem einige Takte »weggekürzt« wurden. Ein Rapper reimtüber die Berliner Sparpolitik. Die Musik klingt gut und sogar ei-nige Passanten bleiben stehen. Die Vertreter des RefRats for-dern sie zum Weitergehen auf: »Dies ist keine Veranstaltung der›fête de la musique‹.« Es beginnt zu regnen. Die wenigen Grüpp-chen Studierender zerstreuen sich rasch. Die Protestwoche istzu Ende.

    Sören Kittel <

    Es gab eine Protestwoche an derHumboldt-Uni. Die einen wusstennichts davon. Die anderen gingentrotzdem nicht hin.

    Kein Bock auf DU

    UNAUFgefordert juli 2003

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  • 23

    Politik

    > Ein gelber Renault Twingo fährt vor dem Berliner Abgeordne-tenhaus vor. Ein Rednerpult wird ausgeladen. Dazu braunePappschilder. »Kein Geld – Keine Profs« und »Keine Studenten –keine Zukunft« steht darauf. Eine Polizistin weist der Gruppe ei-nen Platz wenige Meter vor dem Parlament zu. Sie seien hier an-gemeldet, erklärt Dozent Jörg Feuchter seinen Studenten. Er hältsein Geschichtsseminar heute öffentlich. Es ist eine der weni-gen Veranstaltungen der Humboldt-Universität, die an der Pro-testwoche teilnehmen.

    Die Studenten richten sich auf dem genehmigten Platz ein.Sie stellen Schilder auf und ziehen schwarze T-Shirts über. »DUsollst nicht an der Bildung sparen« steht darauf. Drei Studentenhaben sich eine Sitzgelegenheit mitgebracht. Die übrigen rund30 sitzen auf dem Boden. Das Podest stellen sie vorne auf. »Eins,zwei, drei.« Eine Studentin macht eine Sprechprobe mit dem Me-gafon. Ein Zettel mit mehreren Slogans wird durchgereicht. ImChor stimmen die Studierenden an: »Haushalt saniert – Bildungkrepiert.« Und: »Ohne Geld und ohne Dach studier‘n wir baldvor‘m Bundestach«. Die Polizisten schauen verdutzt. Eine Kehr-maschine der Stadtreinigung fährt lautstark vorbei.

    Vom Winde verwehtEin Student verliest das Protokoll der letzten Seminarsitzung. Ei-ne Gruppe hält ihr Referat. Einige stellen Fragen und diskutie-ren. Viele hören nicht zu. Sie verteilen Flyer, unterhalten sich oderlaufen ihren davongewehten Zetteln hinterher. Es fängt an zu

    regnen. Die Studenten verkriechen sich unter ihren Regen-schirmen. Spontan dichten sie einen neuen Slogan: »Lasst unsnicht im Regen stehen, wir wollen Geld für Bildung sehen.« Tou-risten halten die wetterfeste Gruppe für eine Sensation. Sie kle-ben mit der Kamera an der Glasscheibe ihres Busses und foto-grafieren die Studenten. Von der anderen Straßenseite starrenBesucher des Martin-Gropius-Baus herüber. Eine Schulklassekommt vorbei. Ein Schüler läuft auf die Studenten zu und sagt,er sei früher in der Landesschülervertretung gewesen. Die sei jaauch gegen die Sparmaßnahmen. Aber er habe jetzt keine Zeit.Die Klasse mache eine Führung im Abgeordnetenhaus mit. Ergreift sich einen Flyer und ist wieder weg.

    Die meisten Abgeordneten versuchen, das Seminar weit-läufig zu umgehen. Nur einige Vertreter der Opposition schau-en vorbei. Wie Ramona Pop von den Grünen. Sie findet, dass Bil-dung das Einzige ist, was Berlin noch zu bieten hat. Zustimmungbei den Studenten. Ihre Parteikollegin Lisa Paus sagt, dass eswichtig sei, zu demonstrieren. Balsam für die Seele der aushar-renden Studenten. Sascha Steuer von der CDU bietet den Stu-denten ein offenes Ohr an. Er sei ja selber Geschichtsstudent ander Freien Universität. Die Regierungsparteien halten sich hin-gegen zurück. Ein Mann, als SPD-Stadtrat enttarnt, suchtschnell das Weite.

    Momper klatscht, müdeNeben den Studenten wird die chilenische Flagge gehisst. Derchilenische Staatspräsident komme, sagt ein Polizist. Der RoteTeppich wird ausgerollt und schnell noch mal gesaugt. Parla-mentspräsident Walter Momper erscheint mit rosa Hemd undroter Krawatte. Er klatscht müde, als die Studierenden nochmalsihre Slogans zum Besten geben. Die Limousine fährt vor. DieGruppe wird aufgefordert, sich ruhig zu verhalten, darf aber aufihrem Platz bleiben. Der Staatsgast schüttelt Mompers Hand undverschwindet im Haus. Schweigend stehen die Studenten her-um. Sie werden geduldet, aber nicht beachtet. Als sich der ver-meintliche Staatspräsident schließlich als Parlamentspräsidententpuppt, verfliegt die Aura des Spektakels endgültig.

    Das Seminar löst sich auf. Keiner sitzt mehr, alles ist nass-geregnet. Der Dozent versucht, seinen Stoff noch durchzuzie-hen. Mitschriften macht niemand mehr. Alle sind durchgefro-ren. Sie rufen ein letztes Mal die Parolen. Der gelbe Twingo fährtwieder vor. Zwei Studenten packen mit an und verstauen Podi-um und Schilder. Bald ist von dem Protestseminar nichts mehrzu sehen. Was hat es gebracht? »Ich weiß nicht«, sagt eine Stu-dentin, »ich habe mir eigentlich zum ersten Mal darüber Ge-danken gemacht, was die Sparmaßnahmen für mich bedeuten«.

    Roland Borchers <

    In der Protestwoche zog ein Seminarvor das Abgeordnetenhaus. Der RoteTeppich war schon ausgerollt. Für denchilenischen Parlamentspräsidenten.

    Du, es regnet

    UNAUFgefordert juli 2003

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    Studieren

    > Bevor ich mich über das Sokrates-Programm für zwei Aus-landssemester dort bewarb, wollte ich doch erstmal klären, woGalway eigentlich liegt. Ein Blick in den Atlas ergab zweierlei:Erstens, Galway befindet sich an der Westküste der Insel, genaugegenüber von Dublin. Zweitens: Groß ist Galway nicht. »Scha-de, dass die Anglisten keinen Austauschplatz in Dublin haben«,dachte ich mir und schrieb trotzdem meine Bewerbung.

    Das war vorher. Inzwischen weiß ich: Die Größe einer Stadtmuss nichts über ihren Unterhaltungsfaktor aussagen. Immer-hin ist Galway mit seinen etwa 65.000 Einwohnern die drittgrößteStadt der ›Republic of Ireland‹ und war bis vor kurzem sogar dieam schnellsten wachsende Stadt Europas. 15 Prozent der Ein-wohner sind Studenten, schließlich hat Galway zwei Unis. Diegrößere der beiden, die National University of Ireland Galway(NUIG), räumte im Jahr 2002 bei der ›Irish Times‹ den Titel ›Uni-versity of the Year‹ ab. Das wusste ich allerdings noch nicht, alsich Anfang September selbigen Jahres mein erstes Semester ander NUIG antrat. Doch eins merkte ich schnell: Hier kümmert

    sich die Uni. Zum Beispiel um die Hundertschaften von ›visitingstudents‹, die jedes Jahr in den Hörsälen den einheimischen Stu-denten zahlenmäßig Konkurrenz machen. Von der Vize-Präsi-dentin über Vertreter sämtlicher Bereiche des Campus-Lebensbis hin zu den Pfarrern der örtlichen Kirchengemeinden – allehießen uns an unserem Orientierungstag willkommen. Sie er-zählten uns Wissenswertes über Stadt und Uni und boten ihreHilfe an. Weitere schriftliche Informationen bekamen wir in ei-ner hellgrünen Mappe mit nach Hause, die in den folgenden Wo-chen zu unserem sicheren Erkennungszeichen werden sollte.Wer wollte, konnte tags darauf wiederkommen, um sich den Vor-trag eines Historikers über die Geschichte Galways mit an-schließender Stadtführung anzuhören. Rührend.

    Junges GemüseDoch auch die einheimische Studentenschaft wird hier in vielenDingen an die Hand genommen. Verständlich, tritt doch derüberwiegende Teil der irischen Studenten seine akademischeKarriere mit 17 an, wenn er den Schulabschluss gerade in derTasche hat und frisch aus dem elterlichen Nest gefallen ist. Ent-sprechend straff ist das Studium organisiert. Vieles ist vorge-schrieben, Vorlesungen bestimmen den Stundenplan, und amEnde jeder Lehrveranstaltung stehen eine Klausur oder ein Es-say. Als geisteswissenschaftliche Studentin im Hauptstudiumfühlte ich mich in meinem Studienalltag manchmal wieder wie

    UNAUFgefordert juli 2003

    Studieren in... GalwayIrland kennt jeder. Viel Guinness, vielGrün, viele Schafe, viel Regen undgleich neben Großbritannien. Aberwas ist eigentlich Galway?

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    Studieren

    an der Schule und umgeben von lauter jungem Gemüse depri-mierend alt. Aber diese Erfahrung machen zahllose deutscheStudenten im europäischen Ausland.

    Die Uni hilft ihren Studenten auch bei der Wohnungssuche.Ergänzend zu den Wohnungsanzeigen des lokalen Wochen-blattes ›Galway Advertiser‹, gibt das ›Accomodation Office‹ desColleges eine Liste mit Angeboten privater Vermieter heraus.Wer sich allerdings zu Beginn des akademischen Jahres denharten studentischen Konkurrenzkampf auf dem Wohnungs-markt lieber sparen will und auf betrügerische Vermieter oderSchimmelflecken an der Zimmerdecke keine Lust hat, der kannsich auch in eines der drei Studentendörfer einmieten. Ein gra-vierender Nachteil hierbei gerade für Ausländer: Besuche überNacht sind offiziell nicht erlaubt. Außerdem ist das Studenten-wohnheim teuer. Von preiswertem Wohnen kann in Galway aberohnehin nicht die Rede sein. Die wöchentlichen Mietpreise lie-gen durchschnittlich zwischen 60 bis 80 Euro, es geht aber auchwesentlich teurer. Wer weniger für ein Zimmer zahlen will, musswahlweise mit jemandem teilen, sehr anspruchslos sein oder je-de Menge Glück haben. Ähnlich kostenintensiv gestaltet sichdas restliche Leben. Der Euro ermöglicht beim Einkauf den di-rekten Preisvergleich mit heimischen Supermärkten – oft mit bit-terem Beigeschmack.

    Trinken und anderer SportAuch die Uni schluckt Geld. Studiengebühren gibt es zwar seitMitte der Neunziger nicht mehr, sie sind aber wieder im Ge-spräch. Um vermutlich die Umgewöhnung nicht so schwer zumachen wurden die jährlichen Einschreibegebühren für einhei-mische Studenten im Sommer 2002 schon mal auf 670 Euro an-gehoben. Kein Wunder, dass fast sämtliche Iren neben dem Stu-dium jobben. Ein Teil des sauerverdienten Geldes geht dann al-lerdings sogleich wieder in der überlebenswichtigen Kommuni-kation mit Freunden drauf. Mobiltelefone sind aus dem Uni-All-tag nicht wegzudenken. Sein Handy lässt der Ire in fast keinerLebenslage aus den Augen. So vergeht dann auch kaum eineVorlesung, in der nicht zumindest einer vergessen hat, sein Gerätauf lautlos zu schalten. Die Lehrkräfte sind daran bereits so ge-wöhnt, dass es zumeist nicht mal mehr böse Blicke vom Red-nerpult gibt, sondern unbeirrt weiter doziert wird. A propos Lehr-kräfte: Die sind oft angenehm unkompliziert und entgegen-kommend. In den wenigen, aber dafür kleinen Seminaren spre-chen sich alle beim Vornamen an, und mit viel Glück spendiertder Dozent sogar mal einen Kaffee oder ein Bier im Pub.

    Nur wenige Fußminuten vom Stadtzentrum entfernt und di-rekt am Ufer des Flusses Corrib gelegen, bietet der NUIG-Cam-pus eine Sammlung verschiedenster Architektur auf kleinemRaum. Von altehrwürdig bis klotzig, von postmodern bis schä-big. Während die Marinebiologen hinter einer schicken Glas-front residieren, müssen die Erziehungswissenschaftler mit ei-ner Holzbaracke vorliebnehmen. Diese Prioritätensetzung istwohl nicht zufällig, schließlich liegt Galway am Meer.

    Auf dem Uni-Gelände spielt sich, wie so oft in anderen Län-dern, mehr als nur das Studieren ab. Sportzentrum, Theater,Buchladen, Reisebüro, Friseur – alles da. Ein eigener Pub darfnatürlich auch nicht fehlen. Hier steppt der Bär vor allem, wenneinmal im Jahr ein beträchtlicher Teil der Studenten fünf Tageblau macht. Statt zu studieren, geben sie sich anlässlich der zuguten Zwecken organisierten ›Rag Week‹ die Kante – von mor-gens früh bis abends spät. Eine typisch irische Erfindung. Auchansonsten trägt die Uni einen wichtigen Teil zur Freizeitgestal-

    tung bei. Dank einer kaum zu überblickenden Zahl an studen-tisch organisierten Societies und Sportclubs fällt die Entschei-dung schwer, womit die freien Stunden zu füllen sind. Ob Foto-grafie, Bogenschießen oder Menschenrechte – kaum ein Inter-esse, das nicht Berücksichtigung findet. Auch hier gehört dasTrinken oft dazu. Wenn nicht in der College Bar, dann in einemder unzähligen Pubs der Stadt. Wer glaubt, die weithin bekann-te Verbundenheit der Iren zum Alkohol sei ein leeres Vorurteil,der braucht sich am Wochenende nachts nur mal in die Fußgän-gerzone Galways stellen und zuschauen, wie die Passanten kol-lektiv die Straße entlang wanken und gelegentlich versuchen,mit eigenen Singversuchen den Straßenmusikern Konkurrenzzu machen.

    Das rege Nachtleben und das Flair Galways ist vermutlichein wichtiger Grund, weshalb die Stadt so viele junge Leute an-zieht. Wer braucht schon Dublin? Dublin ist den meisten Iren zu

    voll, zu dreckig, zu hektisch und viel zu teuer. Galway dagegenist zwar wesentlich kleiner, aber deshalb auch entspannter.Großer Beliebtheit erfreut sich die Küstenstadt auch bei Touri-sten. Dabei gibt es hier außer einer netten Innenstadt und einerrelativ neuen Kathedrale eigentlich nicht viel zu sehen. Die imallgemeinen schauerlich hohe Regenquote an der irischenWestküste nicht zu vergessen. Letztere bietet aber eben nichtnur Regen, sondern auch schönste Natureindrücke. Und um et-wa einen Abstecher nach Connemara oder zu den Cliffs of Mo-her zu machen, stellt Galway für Irlandbesucher eine gute Aus-gangsbasis dar. Und nicht allein deshalb denke ich mir im Nach-hinein: »Gut, dass die Anglisten keinen Austauschplatz in Dub-lin haben.«

    Nina Töllner <

    UNAUFgefordert juni2003

    Fotos: Nina Töllner

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    Studieren

    > Mit der Fusion der Charité mit dem Universitätsklinikum Ben-jamin Franklin steht der Humboldt-Universität (HU) und der Frei-en Universität (FU) ein interuniversitärer Kraftakt bevor. Schonder Streit um den Namen spaltete die Universitätsleitungen.Derweil scheitert eine andere, einst hoch gelobte interuniver-

    sitäre Einrichtung. 1996 mieteten sich die HU, FU und die Tech-nische Universität (TU) gemeinsam ein Haus in Wilmersdorf. Sienannten es ›Europäisches Zentrum für Staatswissenschaftenund Staatspraxis‹ (EZ). Im Direktorium der blütenweißen ›Euro-Villa‹ besetzte jede Uni einen von drei Stühlen. Zwei Jahre nachder Gründung wurde der knapp einjährige Aufbaustudiengang›Europawissenschaften‹ ins Leben gerufen. Roman Herzog kamzur Einweihung, der Wissenschaftsrat lobte die drei Unis.

    Sieben Jahre später. Das Gemeinschaftsprojekt Europä-isches Zentrum zerbricht. Die FU ist seit einem Jahr nicht mehrim Direktorium vertreten. Im Februar 2003 beschloss der Akade-mische Senat der FU, das Engagement im EZ zu beenden. Aus derTraum? Für Joachim Jens Hesse ist das EZ Geschichte. Der

    Staats- und Politikwissenschaftler kam 1996 an das EZ. Er vertratdie FU. Das Zentrum, so Hesse, sei auf ihn persönlich zuge-schnitten worden. Die Probleme sieht er bis heute im Umfeld desHauses. Mit seiner Forderung nach mehr Unabhängigkeit durcheine eigenständigere Rechtsform habe er keinen Erfolg gehabt.Persönliche Differenzen, Bürokratieblockade: Hesse ging. DieFrage, warum die FU seinen Posten nicht neu besetzte, möchtedie FU-Leitung nicht beantworten.

    Die beiden verbliebenen Direktoren, Michael Kloepfer vonder HU und Klaus-Dirk Henke von der TU, widersprechen Hes-ses Version. Die Probleme hätten bereits kurz nach der Grün-dung begonnen, weil die Professoren nicht zueinander fanden.Kloepfer und Henke pochen auf den gemeinschaftlichen Ge-danken der Einrichtung und zeigen anklagend in Richtung FU.»Das EZ ist nicht gescheitert«, sagt Kloepfer, »Leute sind daraninteressiert, es scheitern zu lassen«. Ohne FU also kein EZ? DieFU sieht das Projekt als beendet an, TU und HU hingegen wol-len weitermachen. Wo bleibt in diesem Hin und Her der Auf-baustudiengang, für den Studenten 5.000 Euro bezahlen? »DasEZ braucht den Studiengang, nicht der Studiengang das EZ«,sagt ein Mitglied des Lehrkörpers. Jurist Kloepfer widerspricht:»Ohne das EZ wäre der Studiengang heimatlos.«

    Hinzu kommen Pläne der FU, ein Interdisziplinäres Zentrum(IZ) mit europawissenschaftlicher Ausrichtung aufzubauen. IZstatt EZ? Die FU-Vizepräsidentin Gisela Klann-Delius will dazunicht Stellung beziehen – aus »Rücksicht auf den Entschei-dungsprozess zwischen HU und TU«. Die HU arbeitet in Mittezusammen mit dem TU-Professor Henke derzeit fieberhaft anRettungsplänen. Eine Kommission hat den Auftrag, bis zum 30.September ein neues Konzept zur Fortführung des EZ vorzule-gen. Sollte die Arbeitsgruppe scheitern, wird das EZ aufgelöst.Der Studiengang soll aber in jedem Fall bestehen bleiben. Wo,ist noch unklar.

    Sebastian Schöbel <

    Das Europäische Zentrum scheitert. Arbeiten die Berliner Unis nicht zusammen?

    Trio mit vier Fäusten

    UNAUFgefordert juli 2003

    Foto: Christoph Schlüter

  • 27UNAUFgefordert juli 2003

    Leben

    im Juli

  • 28

    > Ein heißer Juniabend im Jahr 2050. Im Eröffnungsspiel derFußballweltmeisterschaft stehen sich Brasilien und Deutschlandgegenüber. Vor den Bildschirmen fiebern Millionen dem Spielentgegen. Es ist nicht irgendein Fußballspiel. Die Deutschen bie-ten eine Mannschaft von humanoiden, autonom agierenden Ro-botern auf. Der Kampf Mensch gegen Maschine elektrisiert dieMassen.

    Ein kühler, verregneter Samstagabend im Juni 2003. Berlin-Adlershof. Auf den Gängen des Informatikgebäudes der Hum-boldt-Universität (HU) ist kein Mensch mehr unterwegs. Nur inder ersten Etage wird noch gearbeitet. Wenn sich die Tür öffnet,schaut kaum jemand der etwa acht Anwesenden auf. In kleinenGrüppchen hängen sie konzentriert über ihren Laptops. Auf denTischen Ladegeräte, Kabel, Blöcke, Colaflaschen, offeneMilchtüten.

    Unweigerlich fällt der Blick auf die andere Hälfte desRaumes. Sie ist ausgefüllt von einem drei mal fünf Meter großengrünen Filztuch. Auf ihm tummeln sich acht hundeartige Robo-ter, so groß wie wohlgenährte Rehpinscher. Vier blaue und vierrote. In wenigen Augenblicken werden sie gegeneinander Fuß-ball spielen. Für das ›German Team‹ ist es ein weiteres Vorberei-tungsspiel auf dem Weg zur Weltmeisterschaft im Roboterfuß-ball, die vom 2. bis 11. Juli im italienischen Padua stattfindet. »DieMannschaft wurde 2001 von Studenten und Forschern von vierUniversitäten aus Berlin, Bremen, Darmstadt und Dortmund ge-

    gründet«, erzählt Matthias Jüngel, studentischer Mitarbeiter amLehrstuhl für künstliche Intelligenz der HU.

    Auf den Ball geschmissenEr zieht eine Trillerpfeife aus der Tasche und pfeift das Spiel an.Surrend und brummend kommt Leben in die Vierbeiner. Hektischdrehen sie ihren Kopf in alle Richtungen und wedeln unentwegtmit dem Schwanz. Sie laufen auf den Unterarmen und sehen da-bei sehr tollpatschig aus. Dieser Eindruck wird durch die unkon-ventionelle Schusstechnik nicht gerade korrigiert: Voller Inbrunstschmeißen sie sich auf den Ball, um ihn Richtung gegnerischesTor zu befördern. Während in einer Ecke zwei Blaue und ein Ro-ter energisch um die tennisballgroße Kugel kämpfen, drehen sichdrei andere hilflos um die eigene Achse. Das muss so sein,schließlich haben sie hinten keine Augen. »Als erstes bringen wirihnen bei, die Umwelt visuell wahrzunehmen«, erklärt Jüngel denAnsatz der Programmierer. Auch die bunten Marken an den Ban-den, dienen zur Orientierung. Jeder Spieler muss also Ball, Mit-spieler, Gegner, eigenes und gegnerisches Tor voneinander un-terscheiden können.

    Das funktioniert nicht immer. Einmal stand ein Junge mit ei-nem orangefarbenen Sweatshirt an der Bande. Die Spielerließen den gleichfarbigen Fußball Fußball sein und erkoren denPullover zum Objekt der Begierde. »Meistens wissen wir nicht,

    Informatiker haben den Fußball neu erfunden. Statt Menschen in kurzen Hosenrennen kleine Roboter dem Ball hinterher. Sie sehen aus wie Hunde. Undmanchmal verlieren sie die Orientierung.

    kick when stuck

    UNAUFgefordert juli 2003

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    Leben

    warum die Roboter so und nicht anders agieren«, gesteht DirkThomas, Student an der TU Darmstadt. Aber das sei gerade dieHerausforderung für die Programmierer. Ist das Spiel einmal inGang, kann der Mensch nicht mehr eingreifen. Das musste das›German Team‹ bei der ersten WM-Teilnahme 2001 schmerzlicherfahren. Wegen eines Programmierfehlers ging es gegen dieAustralier mit 0:11 baden und verpasste das Viertelfinale. EinJahr später in Japan gehörte es dann bereits zu den acht Be-sten.

    Das Spiel ist hart, und einige der Tierchen sehen arg mit-genommen aus. Nummer fünf und sieben fehlt ein Ohr, einBlauer hat beide verloren. »Macht gar nichts«, sagt ThomasRoefer, wissenschaftlicher Assistent am Fachbereich Informa-tik der Uni Bremen. »Die Ohren brauchen sie ohnehin nicht. Al-le Informationen werden über Funk ausgetauscht.« Die Signa-le werden über den Schwanz empfangen, an dem sich auchder jeweilige Wissensstand des Spielers ablesen lässt. Schnel-les horizontales Wedeln bedeutet: Ich weiß, wo der Ball ist.Langsameres vertikales Wedeln: Ein Mitspieler teilt mir gerademit, wo der Ball ist. Für kurze Zeit ist der Funkkontakt unter-brochen. Sämtliche Spieler drängeln am Mittelkreis aufeinan-der. Beim echten Fußball heißt so etwas neuerdings ›Rudelbil-dung‹ – und zieht meist Platzverweise nach sich. Das müssendie Roboter nicht befürchten. Nur wenn ein Spieler offensicht-lich gar nicht mehr weiß, wo der Ball ist und was er zu tun hatund dadurch Gegen- oder Mitspieler am Weiterlaufen hindert,wird er an die Mittellinie gesetzt. Dort darf er sich ersteinmalneu orientieren. Bewusstes Foulspiel gibt es nicht – und auchkeine Regeln. Kein Roboter muss befürchten, im Abseits zustehen.

    goal-kickSind die Trainer Fußballfans? Nein. Für den ›großen‹ Fußball in-teressiert sich eigentlich keiner. »Es wäre wahrscheinlich auchfrustrierend, sich die Spiele anzugucken«, glaubt Dirk Thomas.Thomas Roefer hat bei der Weltmeisterschaft in Japan einigeSpiele gesehen und fand es »erstaunlich«, was die Fußballer ausFleisch und Blut alles mit dem Ball anstellen können. An derWand hängen große Bögen Papier, auf denen noch zu erledi-gende Arbeitsschritte aufgelistet sind: ›gpm messen und analy-sieren‹, ›PID SmBL verbessern‹, ›Headcontrol perfektionieren‹,›obstacles model (kick-when-stuck, goal-kick, best angle, a-void-side, avoid-obstacle)‹. »Seit der Computer ›Deep Blue‹

    Schachweltmeister Kasparov geschlagen hat«, erzählt Jüngel,»sucht man auf dem Forschungsgebiet der künstlichen Intelli-genz nach neuen Herausforderungen. Roboterfußball bietetsich dafür wunderbar an.«

    Der Sport wird als standardisiertes Problem benutzt, an demsich Ergebnisse aus den verschiedenen Disziplinen direkt ver-gleichen lassen. An der Humboldt-Universität wurden bereitszwei Diplomarbeiten über die spielenden Roboter geschrieben.Philosophische Fragen tun sich auf: Können wir Maschinen bau-en, die in der Lage sind, sich selbständig in unserer normalen

    Umwelt zu bewegen? Werden diese Maschinen ein eigenes Be-wusstsein haben? Es ist das erklärte Ziel der Forscher auf demGebiet der künstlichen Intelligenz weltweit, 2050 ein Team vonHumanoiden aufbieten zu können, das eine menschliche Mann-schaft schlagen kann.

    Dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist, stellte bei dendiesjährigen ›German Open‹ das ›AIBO Team‹ der Humboldt-Universität eindrucksvoll unter Beweis. Nach einem 1:1 Unent-schieden im Finale gegen die ›Darmstadt Dribbling Dackels‹ kames zum so genannten ›penalty shoot-out‹. Dabei läuft ein Spie-ler allein mit dem Ball auf das leere Tor zu. Der Berliner Robotermühte sich eine geschlagene Minute ab, ohne das Spielgerät im60 Zentimeter gr