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Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung ... file»Ähm, welcher Artikel?«, fragte ich unschuldig, wich aber ihrem Blick aus, weil ich mich ertappt fühlte. »Du weißt genau,

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Im.press

Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH

© der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2014

Text © Carina Mueller, 2014

Betreuendes Lektorat: Hanna Kelbert

Redaktion: Christin Ullmann

Umschlagbild: shutterstock.com / © ra2studio

/ © Daniiel / © Kostenko Maxim / © Lorelinka / © rzstudio

/ © suns07butterfly / © HAKKI ARSLAN

Umschlaggestaltung: formlabor

Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck

Schrift: Alegreya, gestaltet von Juan Pablo del Peral

Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund

ISBN 978-3-64660-048-3

www.carlsen.de

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1.

Seufzend klappte ich den letzten Band der Panem-Trilogie zu und legte ihn

wehmütig zur Seite.

»Annie? Kommst du runter? Abendessen ist fertig!«

»Bin schon unterwegs!«, rief ich zurück. Auf dem Weg zur Tür blieb mein

Blick am Spiegel hängen. Kritisch betrachtete ich mein Ebenbild, atmete tief

ein und streckte die Brust heraus. Ich strich meinen Pulli von oben nach

unten glatt, so dass er eng an meinem Körper anlag und begutachtete meine

Oberweite genauer. Mist! Sie war immer noch nicht gewachsen. Meine

Mutter prophezeite mir zwar ständig, dass das schon noch werden würde, da

ich mich ja ihrer Meinung nach noch mitten in der Pubertät befand, doch ich

sah da wenig Chance. Immerhin war ich schon fast 18! Wie lange sollte das bei

mir denn noch dauern? Wie lange sollte ich noch mit einem mickrigen 70A-

Körbchen durch die Gegend rennen, während sich meine

Klassenkameradinnen nach dem Sportunterricht darüber unterhielten, dass

die BH-Größen immer kleiner ausfielen und sie anstatt B oder C mittlerweile

C oder D kaufen mussten?! Ich seufzte und blickte zu dem Buch. Über mich

würde nie jemand einen Roman schreiben. Wie auch? Die Romanheldinnen

waren immer superschön, wenn nicht sogar perfekt, hatten dazu immer

irgendwelche besonderen Gaben, die sie einzigartig (und gleichzeitig so viel

besser und bewundernswerter gegenüber anderen) werden ließen, und selbst

wenn sie ohne Ende tollpatschig waren und absolut nichts auf die Kette

kriegten, wurden sie trotzdem von den allerschönsten Männern der Welt

vergöttert.

Konnte mir mal jemand erklären, wie das funktionierte? Gut, hässlich war

ich jedenfalls nicht. Ich hatte lange braune Haare, dunkle Augen, wie ich fand,

schöne weiße Zähne und war schlank. Trotzdem lief das bei mir anders. Ich

hatte nämlich Spitznamen wie Bohnenstange, Klappergestell oder BMW. Und

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nein, damit war kein schnittiger Sportwagen gemeint. BMW – für alle, die es

nicht wissen – bedeutete »Brett mit Warzen«. Sprich, ich war weit entfernt

von Pamela Andersons 90-60-90. Okay, welches Mädchen hatte schon solche

Traummaße? Aber bei mir waren es eher 50-50-50. Musste das sein? Ich sah

aus wie eine Litfaßsäule! Nur, dass mein Durchmesser kleiner war …

Ich stapfte hinunter in die Küche und nahm Platz.

»Na, Spätzchen? Hunger?«, fragte meine Mom, als sie eine dampfende

Auflaufform auf den Tisch stellte. Mmmh … selbst gemachte Lasagne. Wie ich

die liebte!

»Und wie!« Ich nahm den Löffel und schaufelte mir eine große Portion auf

den Teller. »Du, Mama?«, begann ich beiläufig, »ich glaub, ich muss meine

Pille noch mal wechseln.«

»Schon wieder?« Sie zog überrascht die Augenbrauen nach oben.

»Ich denke schon …«, erwiderte ich zaghaft.

»Spätzchen, warum das denn schon wieder?« Verständnislos sah sie mich

an, während ich betreten nach unten blickte.

»Ich … ähm … bekomm Pickel von der neuen …«

Meine Mom schüttelte den Kopf. Sollte das jetzt heißen, dass ich nicht

durfte oder dass ich keine Pickel von der Pille bekam? Hmm … Nur für den

Fall, dass Letzteres gemeint war, präsentierte ich ihr meine linke Wange, auf

der ich heute Morgen einen entdeckt hatte.

»Guck«, sagte ich bekräftigend und deutete mit dem Zeigefinger auf den

roten Fleck, der signalartig auf meiner Backe prangte.

»Spätzchen, das ist doch kein richtiger Pickel. Nur, weil du heute Morgen

einen wahrscheinlich bis dato mikroskopisch kleinen Mitesser so lange

malträtiert hast, dass er jetzt ein bisschen rot ist, kannst du doch nicht gleich

sagen, dass du von der neuen Pille auch Pickel bekommst. Außerdem nimmst

du die doch erst seit vier Wochen. Bis sich die Hormone auf deinen Körper

eingestellt haben, dauert das ein bisschen …«

Ich gab ein missmutiges Grummeln von mir. »Ich hab aber keine Lust,

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weitere vier Wochen zu warten, um dann festzustellen, dass ich auch das

Kind eines Streuselkuchens sein könnte.«

»Sei vernünftig, Annie. Selbst wenn es so wäre, gehen die doch schnell

wieder weg.«

»Du verstehst das nicht, Mama. Vier Wochen Pickel im Gesicht bedeuten

lebenslänglicher Spott in der Schule.«

»Na, was ein Glück, dass du nicht lebenslänglich zur Schule gehen willst.

Oder etwa doch?« Sie wackelte spaßeshalber mit den Brauen, doch ich

verdrehte nur die Augen.

»Natürlich nicht. Aber trotzdem …«

Plötzlich wurden die Augen meiner Mutter schmal. »Das hat aber nichts

mit dem Artikel zu tun, der oben aufgeschlagen auf deinem Nachttisch liegt,

oder?!«

»Ähm, welcher Artikel?«, fragte ich unschuldig, wich aber ihrem Blick aus,

weil ich mich ertappt fühlte.

»Du weißt genau, welchen ich meine«, erwiderte sie streng.

Ich zuckte ratlos mit den Schultern.

»Na den über die Frage, ob die Pille die Brustgröße beeinflussen kann.«

Verlegen schaute ich auf meinen Teller. Ich hatte zwar ein gutes Verhältnis

zu meiner Mutter, doch diese Art von Gespräch war mir jetzt doch ein

bisschen zu intim.

»So ein Quatsch«, antwortete ich, doch noch nicht mal ich selbst hätte mir

das geglaubt.

»Hänselt dich etwa wieder der eine Typ aus deiner Klasse?« Sie sah mich

mitfühlend an, doch ich sagte nichts. Die beste Art, ein immer peinlicher

werdendes Gespräch möglichst früh im Keim zu ersticken, war einfach gar

nichts mehr dazu zu sagen. Außerdem hätte ich Hanna (eigentlich Johanna),

meine sonst beste Freundin, gerade dafür erwürgen können, dass sie meiner

Mutter überhaupt davon erzählt hatte! Wenigstens hatte sie verschwiegen,

dass ich auch noch ausgerechnet in diesen Typen verliebt war. Oder sagen wir

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besser, immer noch verliebt war. Was meine Mutter nämlich Gott sei Dank

auch nicht wusste (sie würde ihm den Kopf abreißen!), dass es sich bei dem

Typen um keinen anderen als Dennis handelte. Dennis, meinen Freund

beziehungsweise jetzt Exfreund, mit dem ich auf der Realschule zwei Jahre

lang zusammen gewesen, und der, bevor wir aufs Gymnasium gewechselt

waren, zu dieser Zeit fast täglich bei uns ein und aus gegangen war. Eigentlich

hatte ich mir das damals ja alles anders vorgestellt. Als wir, Hanna, Dennis

und ich, nach dem Abschluss aufs Gymnasium gegangen waren, hatte ich

mich tierisch gefreut, dass wir zusammen blieben und auch die nächsten drei

Jahre weiter Spaß haben konnten, doch leider kam alles ganz anders. Dennis

hatte sich bereits in den ersten Wochen sehr verändert. Er setzte sich nicht

mehr neben mich, weil er, wie er mir erklärte, seine neuen Klassenkameraden

ein bisschen besser kennenlernen wolle. Ich war zwar traurig darüber, sagte

aber nichts dazu. Dann verbrachte er nach und nach die Pausen immer öfter

mit »den neuen Leuten«, anstatt mit Hanna und mir. Auch dazu sagte ich

nichts. Als Nächstes kam er immer seltener nach der Schule mit zu mir, was

mich ebenfalls verletzte, doch ich wollte ihn nicht einengen, also schwieg ich

weiterhin. Als er mich jedoch kaum noch in der Öffentlichkeit küsste oder gar

in den Arm nahm, heulte ich mich oft bei Hanna aus, bis ich eines Tages

meinen ganzen Mut zusammennahm und ihn fragte, was los sei. Und, was

soll ich sagen? Hätte ich das bloß nie gefragt! Dennis erzählte mir die

typischen Sachen, die bestimmt jeder schon mal in irgendeiner Soap gehört

hat. »Wir haben uns auseinandergelebt«, »Ich bin noch zu jung, um mich für

ein Leben lang zu binden« und »Ich möchte auch noch andere Dinge

ausprobieren«, bla, bla, bla. Offensichtlich meinte er mit »andere Dinge«

andere Frauen, denn kurz nachdem er mir das alles gesagt und mehr oder

weniger behauptet hatte, dass er momentan keinen Bock auf eine Beziehung

habe, kam er mit Jenny zusammen – einer relativ hübschen, netten (wie ich

bis zu dem Zeitpunkt noch fand), vollbusigen Blondine. Ich war am Boden

zerstört, doch leider war das noch nicht alles. Gut, zugegeben, vielleicht war

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ich nicht ganz unschuldig an dem nachfolgenden Umstand, denn die erste

Zeit konnte ich schlecht akzeptieren, dass wir kein Paar mehr waren, und

machte all den Quatsch, den man nicht nachvollziehen konnte, wenn man es

von anderen hörte. Ich schrieb ihm z.B. öfter SMS, fragte ihn, ob er

mitkommen wollte, wenn Hanna und ich etwas unternahmen, und brachte

ihm das ein oder andere Mal etwas Selbstgebackenes mit in die Schule. Doch

umso mehr ich mich bemühte, desto abweisender wurde er. Er hatte mir

auch gesagt, dass ich ihm auf den Keks ging, aber irgendwie war ich zu dieser

Zeit auf dem Ohr taub. Zumal ich ihn ja auch gerne wiederhaben wollte und

dachte, dass, wenn ich ihn komplett in Ruhe ließ, wir uns erst recht

voneinander entfernten. Tja … und heute ist es so, dass aus seinem

anfänglichen Ignorieren ein Hänseln geworden ist, obwohl ich meine

Bemühungen schon längst aufgegeben hatte. Dennis bemerkte, wie die

anderen aus der Klasse reagierten, wenn er mich mal wieder vor den Kopf

stieß (vor allem Jenny fand das immer besonders witzig), fühlte sich dadurch

offenbar angespornt und wurde immer frecher und verletzender. Selbst,

wenn ich gar nichts getan hatte.

Meine Mom streichelte meinen Unterarm. »Spätzchen, du bist einfach zu

lieb für diese Welt. Du musst bissiger werden! Wenn der Blödmann das

nächste Mal wieder etwas zu dir sagt, pfeffer doch mal einen dummen Spruch

zurück! Ich bin mir sicher, dann weiß er erst mal nichts mehr darauf zu

sagen. Damit rechnet er garantiert nicht«, forderte sie mich auf.

Sie hatte gut reden. Es war nicht so, dass mir keine coolen Sprüche

einfielen, aber leider immer viel zu spät. Schlagfertigkeit war einfach nicht

meine Stärke und ich verstand auch nicht, warum man sich überhaupt

ständig bekriegen musste. Wozu sollte das gut sein? Ich machte mich ja auch

über niemanden lustig. Das war einfach nicht meine Art. Ich war nie frech

oder gemein zu irgendjemandem, im Gegenteil. Ich war stets hilfsbereit, ging

sogar für meine alte Nachbarin einkaufen und spielte mit den Kindern, wenn

ich meine Mom bei ihrer Arbeit im Krankenhaus besuchte. Ich versuchte

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immer jedem alles recht zu machen, aber anscheinend war genau das mein

Problem.

Das Leben an der Schule war da der Wildnis nicht ganz unähnlich. Von

wegen, Menschen seien sozialisiert und so viel besser als Tiere. Pah! Tiere

suchten sich den schwächsten einer Gruppe heraus und dieser wurde dann

gefressen. Wie in meiner Klasse quasi. Nur, dass ich im Endeffekt nicht

gefressen wurde. Menschen waren da leider viel sadistischer. Es war eher

damit zu vergleichen, dass täglich ein kleines Stück von mir probiert wurde –

zu viel, um gut damit leben zu können, und zu wenig, um würdevoll zu

sterben. Ja, mir ist durchaus bewusst, dass ich ab und an einen Hang zum

Theatralischen habe, doch was sollte ich tun? Meine Eltern hatten mich stets

bevormundet, mich zur Rücksichtnahme und Höflichkeit erzogen. Sie dulden

keine Widerworte und haben mich für die Wirkung von unfreundlichen

Worten und das, was sie in anderen Menschen auslösen könnten, sensibel

gemacht. Dadurch war ich sehr zurückhaltend und es fiel mir unheimlich

schwer, meine Meinung offen zu sagen, weil ich immer befürchtete,

jemanden damit zu verletzen. Man musste meine Nerven schon echt

strapazieren, damit ich mal das Wort erhob, aber das kam so gut wie nie vor.

Ich war eben ein typischer Ja-Sager.

Hanna war da zum Glück ganz anders. Sie ließ sich niemals auf der Nase

herumtanzen und hatte immer einen coolen Spruch parat. Auch wenn ich bei

ihrer Wortwahl häufig ganz schön schlucken musste, bewunderte ich sie

dafür und war froh, dass sie immer hinter mir stand. Um ehrlich zu sein,

wünschte ich mir manchmal sogar, so zu sein wie sie. Vor allem, weil ich mir

oft etwas minderwertig ihr gegenüber vorkam. – Nicht falsch verstehen!

Hanna war meine beste Freundin. Wir machten vieles gemeinsam und sie tat

einfach alles für mich. Manchmal aus meiner Sicht jedoch ein bisschen zu viel.

Sie behandelte mich ab und an, als wäre sie meine fünf Jahre ältere Schwester

(dabei war ich die Ältere von uns beiden!) und müsste immer ein Auge auf

mich haben, weil ich ohne sie nicht überlebensfähig wäre, aber damit musste

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ich mich wohl abfinden. Denn obwohl ich wusste, dass mein Verhalten nur

antrainiert war, konnte ich es einfach nicht ablegen. Und ganz so abwegig war

Hannas Verhalten auch nicht. In der Schule, wenn Dennis und seine Crew mal

wieder auf mir herumhackten, konnte ich mich schlecht, oder seien wir

ehrlich: gar nicht wehren, und dann war ich froh, dass Hanna da war und

mich verteidigte, wie eine Löwin ihr Junges – um das Wildnis-Beispiel von

eben noch mal aufzugreifen.

»Spätzchen …«, begann meine Mama jetzt etwas versöhnlicher, »ich weiß

gar nicht, was du hast. Du bist so hübsch – auch ohne Riesenbrüste –, noch

dazu wirklich klug. Es gibt mit Sicherheit eine Menge Mädels, die gerne so

wären wie du.« Ich runzelte die Stirn. War ja klar, dass sie das sagte. Jede

Mutter sagte so was. Bestimmt bekam man bei der Geburt eine Art Chip

eingepflanzt, der im Bezug auf Äußerlichkeiten und Talent des Kindes die

Mutter einfach das Gegenteil behaupten ließ. Warum sollten auch sonst so

viele zu »Deutschland sucht den Superstar« gehen? Ich meine, wenn man sich

mal ansah, was da manchmal für Vollidioten rumliefen, musste es doch so

was geben, oder? »Hey, Mama, ich kann singen. Hör mal: La la laaa …«

Eigentlich müsste die Mutter dann sagen: »Tut mir leid, mein Schatz, aber

diesbezüglich scheinst du ein echter Talentallergiker zu sein.« Da kommt der

Chip zum Einsatz. Bzzz, bzzz, bzzz … und daraus wird: »Wow, Schatz! Du

singst besser als Stevie Wonder!«

Ich für meinen Teil war jedenfalls von der Existenz eines solchen

Implantates überzeugt. Das musste ähnlich funktionieren, wie das

»Babyversteh-Implantat«. Babys waren süß. Total süß! Aber trotzdem konnte

ich eins nicht begreifen. Das Baby quietschte oder gab sonst irgendeinen

undefinierbaren Laut von sich und sofort sagte die Mutter: »Ohhh, hört mal.

Es hat Mama gesagt.« Keine Ahnung, warum sich »quiek« anhören sollte wie

»Mama«. Aber aus irgendeinem Grund waren die Mütter davon überzeugt,

dass es da einen Zusammenhang gab.

Anstatt also etwas auf den Einwand meiner Mutter zu erwidern, schaufelte

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ich mir noch eine zweite Portion Lasagne auf den Teller.

»Und wenn du nicht so wärst, wie du bist, könntest du auch solche

Portionen nicht verspachteln, ohne dass sich alles direkt auf deinen Hüften

verewigt.« Meine Mom lächelte liebevoll, während ich verhalten nickte. Gut,

zugegeben. Damit hatte sie Recht. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn ich

normal zunehmen würde. Dann könnte ich mir wenigstens ein paar Brüste

anfressen! Es war nämlich nicht leicht, das Mädchen mit den flachsten

Brüsten aus der Klasse zu sein. Schon gar nicht, da es so viele gab, die

meinten, mich täglich daran erinnern zu müssen. – Als könnte man so was

vergessen …

Meine Mutter stieß einen tiefen Seufzer aus. »Freust du dich denn

wenigstens auf morgen?«

»Dasch kannscht du aber annehm«, entgegnete ich mit vollgestopftem

Mund und war dankbar über den Themenwechsel. Morgen war mein

langersehnter 18. Geburtstag und ich konnte es kaum erwarten, bis die Schule

endlich vorbei war und ich meinen Führerschein (den ich bereits drei Wochen

zuvor bestanden hatte) abholen konnte. Meine Mom erlaubte mir sogar, dass

ich für den Rest des Tages ihr Auto haben durfte, damit ich etwas mit Hanna

unternehmen konnte. Da wir sowieso ein Kopf und ein Arsch waren, war ja

wohl klar, dass sie morgen nicht fehlen durfte.

»Das freut mich für dich, Spätzchen. Habt ihr denn schon was Schönes

geplant?«, fragte meine Mom neugierig.

»Abscholut. Hanna un isch wollen insch Eischcafé un danach Pitscha

eschen gehn.«

Meine Mom lächelte. »Okay. Und nun noch mal, wenn du weniger als drei

Kilo im Mund hast.«

Da musste auch ich grinsen. Ich wusste, es war eine furchtbare

Angewohnheit mit vollem Mund zu sprechen, doch wenn ich etwas gefragt

wurde, gab ich Antwort. Ob mit halber Sau zwischen den Zähnen oder ohne.

Ich schluckte laut und begann von vorne. »Hanna und ich wollen in die

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Stadt fahren, zuerst ins Eiscafé, ein bisschen schnacken, und danach in die

Pizzeria. Ähm … weiterschnacken.«

»Das klingt nach einem tollen Mädelstag. Ich würd sagen, ich hol euch

direkt von der Schule ab. Dann bringt ihr mich schnell heim und könnt direkt

weiterdüsen, was sagst du dazu?«

»Oh, Mom! Das wär echt super!« Ich sprang auf, fiel meiner Mama um den

Hals und bedeckte sie mit Küssen. Dann hatte ich schon mal eine halbe

Stunde Heimfahrt mit dem Bus gespart.

»Schon gut, schon gut«, lachte sie und versuchte mich abzuwehren, doch

hey! Auch als Bohnenstange konnte man ungeahnte Kräfte entwickeln, wenn

man sich freute.

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2.

»Annie! Hier drüben«, rief Hanna und winkte mich zu sich, als ich in den

Schulbus stieg. Ich ging zu ihr durch und ihre Augen funkelten bereits.

»Was ist?«, fragte ich grinsend, obwohl ich ja genau wusste, was los war.

»Alles, alles Liebe zu deinem Geburtstag!« Hanna umarmte mich liebevoll

und überreichte mir ein kleines Geschenk. Neugierig öffnete ich den

Umschlag und zum Vorschein kam ein Tankgutschein.

»Heute ist es endlich so weit! Adieu, dämlicher Schulbus, hallo, Auto!«,

brüllte Hanna mir ins Ohr, während sie mich wieder an sich drückte.

Ich musste lachen. Wenn man sie so hörte, fragte man sich, wer von uns

beiden sich mehr darüber freute.

»Ich danke dir! Dumm nur, dass ich kein Auto habe«, seufzte ich und

dachte an meinen miserablen Kontostand, der sich – dank Arbeitslosigkeit

wegen Abitur – auch in den nächsten anderthalb Jahren nicht bessern würde.

»Ach, papperlapapp. Deine Mom arbeitet doch sowieso nur vormittags

und wenn sie mal wegwill, kann sie doch das Auto von deinem Paps nehmen.

Oder du nimmst es …« Sie strahlte mich an, offensichtlich ziemlich begeistert

von ihrem eigenen Vorschlag. Schon wieder musste ich lachen. Das war ein

Grund, weswegen ich Hanna so mochte. Sie schaffte es immer, in allem das

Positive zu sehen und hatte immer eine Lösung parat. Und zugegeben, so

schlecht war der Einfall wirklich nicht. Meine Mom war genau genommen

Hausfrau. Ab und zu half sie vormittags ehrenamtlich in einem

Kinderkrankenhaus und bis auf die paar Einkäufe, die sie zu erledigen hatte,

war sie tatsächlich meistens zu Hause. Und mein Paps? Der war sowieso fast

nie daheim. Als erfolgreicher Geschäftsmann beziehungsweise

Kundenbetreuer bei einer Firma, die viel ins Ausland exportierte, standen

lange Auslandsreisen bei ihm auf der Tagesordnung. Von daher … Vermissen

würde er sein Auto zu Hause wirklich nicht …

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»Ich spüre, nein, ich sehe förmlich, wie du über meinen grandiosen Einfall

nachdenkst.« Hanna sah mich an und kreiste mit ihrer Hand vor meinem

Gesicht herum, wie ein Hellseher, der versuchte, seine Kugel zu beschwören.

»Du hast Recht. So schlecht ist dein Einfall wirklich nicht«, gab ich

nachdenklich zu.

»Natürlich nicht! Kam ja auch von mir!«, erwiderte Hanna in einem

extrem eingebildeten Tonfall, setzte sich aufrecht hin und wedelte sich mit

dem Handrücken mehrmals über die Schulter, als würde sie irgendetwas

wegwischen wollen.

»Du bist doof.« Ich lachte und Hanna stimmte in mein Lachen mit ein.

In der Schule angekommen, gingen wir hinauf zu unserem Klassenraum.

Hanna und ich waren uns einig, dass wir heute im Unterricht besonders

fleißig mitarbeiten würden. Wir hatten nämlich schon vor längerem eine

Feststellung gemacht. Auch, wenn es nicht immer Spaß machte und es gerade

in einer Situation wie dieser, wo man eigentlich hundert andere Dinge im

Kopf hatte, echt schwerfiel, war und blieb das beste Mittel gegen langsam

vergehende Zeit die altbewährte Mitarbeit.

Wir setzten uns auf unsere Plätze und waren gerade dabei, unsere Sachen

schon mal auszupacken, als Dennis die Klasse betrat.

»Hey, Bohnenstange!«, rief er mir zu. Einen kurzen Augenblick dachte ich

wirklich, er wollte mir zum Geburtstag gratulieren, als er mich mit einem

»Haste Hausaufgaben?« in die Realität zurückholte.

Ich sah kurz zu Hanna herüber, dann nickte ich.

»Geb ma her. Ich hatte gestern keinen Bock.«

»Du kannst sie mal am Arsch lecken«, entgegnete Hanna für mich bissig,

doch ich holte meine Hausaufgaben hervor und gab sie ihm.

»Hast du sie noch alle?« Hanna sah mich fassungslos an. »Ich dachte, wir

hätten das geklärt?!«

»Tut mir leid …«, druckste ich herum, »aber … vielleicht hört er dann

endlich mal mit seinen blöden Sprüchen auf.«

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Hanna schnaubte missbilligend. »DAS hast du bei den letzten zehn Malen

auch schon gesagt.«

Ich sah sie entschuldigend an.

»Ach Annie … Die Hoffnung stirbt zuletzt, oder wie war das?«

Betrübt sah ich zu Dennis herüber, der, so wie es aussah, gerade dabei war,

meinen kompletten Aufsatz Wort für Wort abzupinnen.

»Ähm … Dennis?«

»Was ist?«, kam es unfreundlich zurück.

»Du denkst aber schon daran, dass du die Sätze veränderst, ja?«

Überheblich zog er die Augenbrauen nach oben und stieß hörbar Luft

durch seine Lippen. »Natürlich, Annie.«

»Okay … ähm … Danke.« Ich blickte nach unten und Hanna knuffte mich in

die Rippen.

»Danke? Für was? Dass er bei dir abschreibt?«

Hilflos zuckte ich mit den Schultern.

»Du weißt schon, dass der Trottel trotzdem Satz für Satz bei dir

abschreibt?«

»Er will die Sätze umstellen«, verteidigte ich ihn schwach, doch ich wusste

selbst, dass er das nur so gesagt hatte.

Hanna tippte mir mit der Hand zweimal an den Kopf. »Klopf klopf,

jemand zu Hause? Gibt es da drin jemanden, der in seinem Leben schon mal

irgendwann etwas von Ironie gehört hat?«

»Lass das«, sagte ich schroff und schaute sie böse an.

Hannas Gesicht wurde weich. »Bist du etwa immer noch verliebt in ihn?«

Zaghaft schüttelte ich den Kopf, doch allein ihr Blick reichte aus, um zu

wissen, dass sie mir kein Wort glaubte.

»Er mag ja ganz gut aussehen und vielleicht war er auch mal ganz nett

gewesen, doch was nützt dir das, wenn er jetzt ein Mega-Arschloch ist?« Da

war er wieder. Hanna hatte ihren »Große-Schwester-Modus« eingeschaltet.

»So schlimm ist er doch gar nicht. Wenn er …«, versuchte ich es noch mal,

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doch in diesem Moment rief Dennis: »Annie! Bin fertig! Kannst dir deinen

Kram wieder abholen.« Und Hannas Ausdruck in den Augen wechselte von

»Jetzt-bin-ich-aber-gespannt-was-du-zu-sagen-hast«, über »Siehste!« zu

»Arme-kleine-verliebte-Annie«.

»Sieh mich bitte nicht so vorwurfsvoll an«, sagte ich zu ihr. Insgeheim

wusste ich ja, dass sie Recht hatte. Dennis war einfach ein Arschloch. Ein

RIESENARSCHLOCH! Aber er war ja nicht immer so gewesen und vielleicht,

ganz vielleicht, wenn ich trotz allem nett zu ihm war, würde ihm wieder

einfallen, warum wir mal ein Paar gewesen waren, dass wir glücklich waren

und sogar wieder zusammenkommen könnten?

»Ich geh mir mal kurz meine Hausaufgaben holen«, seufzte ich.

Hanna lächelte mich mitleidig an, nickte dann aber. Als die Sache mit

Dennis auseinanderging und er plötzlich anfing, mich und sogar Hanna zu

hänseln, war sie darüber mindestens ebenso enttäuscht wie ich. Nur, dass es

sich bei ihr ganz anders äußerte. Hanna war stinksauer auf Dennis, wollte

partout nichts mehr mit ihm zu tun haben und beschimpfte ihn als Verräter.

Während ich einfach versuchte, ihm so wenig Angriffsfläche wie möglich zu

bieten. Leider schnitt ich mit meiner Verfahrensweise noch schlechter ab als

Hanna mit ihrer Gegenwehr.

Als ich mich wieder neben sie setzte, betrat Herr Seidel – Jürgen – den

Klassenraum. Jürgen war unser Klassenlehrer und echt cool.

»So Leute, ihr habt jetzt zwei Stunden Unterricht bei mir und danach

könnt ihr euch einen schönen Tag machen. Der Rest fällt nämlich aus.«

Ein Jubeln ging durch die Klasse. Bestens! Ich musste sofort meiner Mom

schreiben, dass sie uns schon früher abholen konnte. Ich zückte mein Handy

und begann zu tippen, da wurde unser Lehrer auf mich aufmerksam.

»Hey Annie, wie wär‘s, wenn du uns nach deiner wichtigen SMS mal

deinen Aufsatz vorliest?«

Ich wurde rot. Ich wusste zwar, dass Jürgen nichts dagegen sagte, wenn

man mal auf sein Handy schaute, doch ich wusste auch, dass es sich nicht

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gehörte.

»Natürlich«, sagte ich schuldbewusst, tippte schnell auf »Senden« und

verstaute es wieder in meiner Tasche.

»Und wir brauchen noch zwei Freiwillige.« Da sich nur eine Schülerin

meldete, ließ er seinen Blick durch die Klasse schweifen. »Wie wär‘s mit dir,

Dennis? Lust, was für deine Note zu tun?« So eine Scheiße! Das musste ja so

kommen!

Dennis sah mich grinsend an, dann wieder zum Lehrer. »Aber klar doch.«

»Gut, dann fang du doch grad an.«

Dennis begann seinen, nein, meinen Aufsatz vorzulesen. Wie Hanna es

bereits gesagt hatte und mir selbst auch klar gewesen war, hatte er ihn Wort

für Wort übernommen. So ein Mist aber auch! Was sollte ich denn jetzt

machen?

»Wow, Dennis. Das war echt gut. Das gibt 'ne Zwei.« Anerkennend nickte

Jürgen ihm zu. Während Marie ebenfalls vortrug, überlegte ich fieberhaft,

wie ich erklären sollte, warum Dennis und ich genau den gleichen Aufsatz

hatten.

»Sag doch einfach, dass er bei dir abgeschrieben hat«, zischte Hanna mir

zu.

»Und was, wenn es mit Dennis dann noch schlimmer wird?«

Spöttisch zog sie die Brauen nach oben. »Noch schlimmer kann es gar nicht

mehr werden. Außerdem besser, als 'ne schlechte Note zu kassieren, obwohl

du dir so viel Mühe gemacht hast.«

Da war was dran. Nachdem Marie fertig gelesen hatte, war ich an der

Reihe.

»So Annie, jetzt noch du und dann könnt ihr heimgehen. Der Rest gibt

seine Arbeiten bitte ab, damit ich sie daheim benoten kann. Annie? Bitte.«

»Ähm … Herr Seidel …«

»Jürgen bitte, du weißt doch, dass ich mir sonst so alt vorkomme.« Er

lächelte mich an.

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»Tschuldigung, Jürgen, mein’ ich natürlich …«

»Was ist los, Annie? Gibt’s ein Problem?«

»Nun ja, schon. Ich, also Dennis und …«, begann ich, doch Dennis fiel mir

ins Wort.

»Sag schon, wie es war, Annie.« Dennis rollte genervt mit den Augen und

wandte sich Jürgen zu, während ich erleichtert ausatmete. Das ging ja

leichter, als ich gedacht hatte. »Sie hat vorhin bei mir abgeschrieben, weil sie

die Hausaufgaben vergessen hat. Und nun haben wir den gleichen Aufsatz.«

»Waaas?!«, platzte es aus mir heraus, während mir die Kinnlade

sprichwörtlich runterfiel.

»Ist das wahr, Annie? Warum sagst du das denn nicht einfach?« Enttäuscht

sah Jürgen mich an. Wenn er eines nicht leiden konnte, waren es Schüler, die

ihn für dumm verkaufen wollten.

»Nein, nein, natürlich nicht. Es war genau andersherum!«, verteidigte ich

mich und Hanna schlug sich mit einem »Das kann ich bezeugen!« auf meine

Seite. Unschlüssig sah unser Lehrer zwischen Dennis und mir hin und her.

»Dennis?«, forderte er ihn auf.

»Sie können gern meine Mutter anrufen. Die wird Ihnen bestätigen, dass

ich den Aufsatz gestern am Küchentisch geschrieben habe«, entgegnete er

völlig gelassen. Dieser Lügner!

Hilflos sah ich zu Jennifer, die neben ihm saß und seine Aussage mit

heftigem Nicken unterstützte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Diese

blöde Kuh! Sie hatte doch genau gesehen, wie es gewesen war. Andererseits,

was hatte ich erwartet? Jenny und Dennis waren schließlich ein Paar. Waren

sie das zur Zeit überhaupt? Bei den beiden wusste man nie so genau. Mal ja,

mal nein, mal ja, mal nein, mal ja … – schenken wir uns den Rest. So oder so

hatte ich doch nicht wirklich geglaubt, dass sie es sich meinetwegen mit ihm

verscherzen würde?

»Hat hier sonst noch jemand gesehen, wer hier von wem abgeschrieben

hat?« Die Klasse schwieg. Was auch sonst? Natürlich hätte es keiner gewagt,

Page 19: Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung ... file»Ähm, welcher Artikel?«, fragte ich unschuldig, wich aber ihrem Blick aus, weil ich mich ertappt fühlte. »Du weißt genau,

Dennis in die Pfanne zu hauen. Viel zu groß war die Angst, demnächst

ebenfalls von ihm gemobbt zu werden.

»Hmm …«, machte Jürgen und rieb sich den Bart, »da wir hier

offensichtlich nicht ergründen können, wer von euch die Wahrheit sagt,

werde ich euch beiden eine Sechs eintragen. Und dass mir so was in Zukunft

nicht mehr vorkommt.« Strafend blickte er uns an, während er mit einem

»Ihr könnt jetzt gehen« den Unterricht beendete.

»Siehst du! Was hab ich dir gesagt? Er ist und bleibt ein Arschloch!«, warf

Hanna mir vor, während wir über den Schulhof gingen.

»Du hast ja Recht. Aber wer konnte denn ahnen, dass er so dreist lügen

würde?«

»Stimmt, Annie. Wer hätte das ahnen können? Wo Dennis im Normalfall

doch so ein liebenswürdiger, ehrlicher Kerl ist?« Sie schnaubte verachtend. »Und

jetzt hast du über drei Stunden an einem Aufsatz gesessen, der eigentlich

eine Zwei wert gewesen wäre, wofür du jetzt eine Sechs bekommen hast.«

Ich nickte niedergeschlagen. »Ich weiß«, gab ich kleinlaut zu.

»Es gibt so viele nette Typen auf diesem Planeten. Und du hängst immer

noch an Dennis … Kannst du mir erklären, warum um alles in der Welt?« Beim

Aussprechen seines Namens verzog sie das Gesicht, als hätte man ihr einen

Löffel Salz in den Mund gesteckt.

Schweigend lief ich neben ihr her. Was sollte ich auch sagen? Ich verstand

ja selber nicht, warum ich nicht loslassen konnte. Lag es an seinem Aussehen?

An seinen stahlblauen Augen? Seiner blonden Surferfrisur? Seinem

durchtrainierten Body? Dem Anblick seines Bizepses, der bei jeder

Armbewegung das T-Shirt spannte? Wenn ich ehrlich war, waren blonde

Kerle noch nicht mal mein Beuteschema. Und wenn ich so weit ginge,

Menschen (oder in diesem Fall Männer) auf ihre Optik zu reduzieren und

diesbezüglich eine Präferenz äußern müsste, wären es wohl eher

dunkelhaarige Typen. Aber sein Charakter hatte mich damals fasziniert. Er

war immer lieb und hilfsbereit gewesen, trug meine Schultasche, hielt Hanna

Page 20: Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung ... file»Ähm, welcher Artikel?«, fragte ich unschuldig, wich aber ihrem Blick aus, weil ich mich ertappt fühlte. »Du weißt genau,

und mir Plätze im Bus frei und wehe, mir oder Hanna kam mal jemand

dumm. Dann bekam er es sofort mit ihm zu tun. Doch was war heute davon

geblieben? Nichts. Dennis hatte schon lange kein freundliches Wort mehr für

mich übrig. Aber vielleicht war genau das der Reiz? Dieser spezielle Reiz

dessen, was man sowieso nicht (mehr) haben konnte? Wie damals im Paradies

der Apfel für Eva.

In diesem Moment lief Dennis breit grinsend mit seiner Clique an uns

vorbei und ich versuchte ihn mindestens genauso strafend anzusehen, wie

Jürgen es eben bei uns getan hatte, doch Dennis nahm keine Notiz von mir.

»Schlag dir diesen falschen Fünfziger endlich aus dem Kopf, Annie. Der

will nichts mehr von dir. Der benutzt dich nur.«

Wieder nickte ich. Hannas ehrliche Worte taten weh, doch ich wusste, dass

sie mich nur beschützen wollte.

»Und es ist ja auch nicht so, als hätte er so was in der Art zum ersten Mal

mit dir gemacht.«

»Können wir über etwas anderes reden?«, bat ich. Das Ganze war schon

ärgerlich genug. Ich musste diesen Fehler jetzt nicht noch stundenlang unter

die Nase gerieben bekommen.

»Nur, wenn du mir versprichst, beim nächsten Mal vernünftiger zu sein.«

»Versprochen«, antwortete ich leise.

Jetzt sah Hanna mich etwas versöhnlicher an. »Schau mal, da vorne ist

deine Mutter. Gleich hast du endlich deinen Führerschein!«

Ich lächelte. Trotz dieses ziemlich bescheidenen Vormittags freute ich

mich unheimlich auf den Rest des Tages.

Meine Mom begrüßte uns, als Hanna und ich einstiegen. »Na, Spätzchen?

Freust du dich schon? Konntest du denn überhaupt dem Unterricht folgen?

Oder hast du die ganze Zeit nur an deinen Führerschein gedacht?« Dann

drehte sie sich zu Hanna um und plapperte munter weiter. »Hast du heute

Morgen auch noch was anderes von ihr gehört, als dass sie ihren Führerschein

bekommt? Ich für meinen Teil die letzten drei Wochen nicht mehr.« Meine

Page 21: Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung ... file»Ähm, welcher Artikel?«, fragte ich unschuldig, wich aber ihrem Blick aus, weil ich mich ertappt fühlte. »Du weißt genau,

Mom grinste. »Wie schön für euch, dass ihr jetzt schon Schluss habt.« Sie

legte den ersten Gang ein und wir fuhren los.

Es dauerte nicht lange, bis wir bei der Führerscheinstelle ankamen.

Glücklicherweise waren die Beamten ausnahmsweise mal flott unterwegs und

so konnte ich nach ein paar Minuten bereits mit meinem Führerschein das

Gebäude verlassen.

»So, Spätzchen, jetzt fahr deine alte Mami noch kurz nach Hause und dann

könnt ihr los, okay?«

»Klar!« Ich setzte mich hinter das Steuer, nahm alle notwendigen

Einstellungen vor und fuhr los. Sehr gut. Trotz der dreiwöchigen Fahrpause

hatte ich nichts verlernt.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Hanna aufgeregt, nachdem wir meine

Mom zu Hause abgeliefert hatten.

»Was möchtest du denn machen?«

»Ohh … ich weiß nicht. Es käme so viel in Frage. Wir könnten einkaufen

fahren, essen gehen oder ins Kino! Zum Beispiel in den Film, in den uns deine

Mama nicht fahren wollte!« Sie wackelte herausfordernd mit den

Augenbrauen. »Oh mein Gott, Annie! Du hast jetzt alle Möglichkeiten der

Welt!« Hanna war ganz aufgekratzt und steckte mich an.

»Da hast du absolut Recht! Ich hab mir überlegt, dass wir heute erst in

unsere Lieblingseisdiele fahren und danach noch Pizza essen gehen«,

verkündete ich stolz, doch Hanna rollte mit den Augen.

»Oh, Annie … Du bist so ein alter Fresssack. Wollen wir nicht doch lieber in

den Film?«

Ich verzog das Gesicht. »Hmm … nee, lieber nicht. Keine Lust auf Eis?«

Dann lächelte sie. »Doch klar … aber nur so nebenbei: Du bist jetzt 18 … Du

musst nicht mehr alles machen, was deine Mami sagt, ne?«

Ich nickte und lächelte etwas gequält zurück.

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3.

Eigentlich hätte es einen wesentlich kürzeren Weg nach Frankfurt gegeben,

doch da Hanna mir das Autobahnfahren offensichtlich noch nicht so ganz

zutraute, begnügte ich mich eben mit der Landstraße. Wir fuhren eine Weile

und unterhielten uns über alles Mögliche, oder besser gesagt über DDD – den

dreisten Dennis, wie Hanna ihn kurzerhand getauft hatte –, als plötzlich ein

Sportwagen an uns vorbeibrauste und uns beim Wiedereinscheren so schnitt,

dass ich ausweichen musste und beinahe in den Graben gefahren wäre.

»Vollidiot!«, brüllte Hanna, während ich ihm nur völlig perplex

hinterherglotzte. »Ist das zu fassen? Hätte uns dieser Arsch beinahe von der

Straße geschubst!«

Ich nickte. »So einer hat echt nichts auf der Straße verloren.« Ich hatte den

Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da sahen wir, wie der Wagen vor uns ins

Schlingern geriet und in den Graben rutschte. Der Mann stieg aus und trat

vor Wut gegen seinen Autoreifen.

»Pah! Das hat er jetzt davon«, schimpfte Hanna weiter, während ich den

Blinker zum Anhalten setzte.

»Du willst ihm doch wohl nicht helfen?« Hanna sah mich entgeistert an.

»Wenn er nicht gefahren wäre, wie ein Verrückter, hätte er dieses Problem

jetzt nicht.«

»Das hat nichts mit Wollen zu tun, Hanna. Erstens muss man in so einem

Fall helfen und zweitens wären wir auch froh, wenn uns jemand helfen

würde.«

»Pfffff … Als würde uns das passieren. Du fährst schließlich ordentlich!«

Ich lächelte sie an. »Das stimmt wohl. Aber so was kann immer passieren.«

»Ja, ja«, maulte Hanna, schien aber trotzdem wenig überzeugt von meinem

Vorhaben zu sein. Ich hielt hinter dem Sportwagen an und stieg aus. Hanna

folgte mir.

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Der Mann lief fluchend hin und her und schien wild gestikulierend mit

einem Abschleppdienst zu telefonieren, welcher offensichtlich nicht so

spurte, wie er wollte.

»Verdammte Scheiße! Ich muss zu einem Termin. Entweder Sie schicken

mir jemanden oder das wird ernsthafte Konsequenzen für ihr kleines Kack-

Unternehmen haben! Das ist mir scheißegal! Sehen Sie zu, dass jemand

vorbeikommt. Das will ich Ihnen auch raten! Sonst werde ich Ihr

Unternehmen dem Erdboden gleichmachen!«

»Was für ein ekelhafter Kotzbrocken«, flüsterte Hanna mir zu, während

wir uns dem Mann vorsichtig näherten.

»Entschuldigen Sie bitte, können wir Ihnen helfen?«, fragte ich vorsichtig.

Der Mann drehte sich schwungvoll um. »Warten Sie mal kurz, hier sind

zwei Witzfiguren, die wollen irgendetwas von mir«, sagte er in das Telefon

und sah uns wütend an. »Was willst du, Klappergestell?«

Ich schluckte. Der Typ war auf 180 und mit seinen geschätzten 1,90 Meter

eine imposante Erscheinung. Er war bestimmt Manager oder Chef

irgendeiner großen Firma. Zumindest hatte ich direkt ein Bild vor Augen, wie

er seine Arbeiter zur Schnecke macht, weil ihnen ein minimaler Fehler

unterlaufen war.

»Hallo? Kommt da noch was? Oder bist du so unterernährt, dass du vor

lauter Hunger deine Zunge gefressen hast?«

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. »Wir haben gesehen, wie Sie in

den Graben gefahren sind und wollten Ihnen unsere Hilfe anbieten«,

antwortete ich freundlich und bemühte mich, nicht allzu unsicher zu wirken.

»Ihr? Ihr wollt mir helfen? Wenn ihr nicht binnen der nächsten zwei

Minuten einen Abschleppdienst aufbringen könnt, hört auf meine Zeit zu

verschwenden und macht euch vom Acker. Ich hab Wichtigeres zu tun, als

mich hier mit Kindern zu unterhalten.«

»Also, wenn meine Karre im Graben feststecken würde, würde ich meine

Schnauze nicht so aufreißen!«, mischte sich Hanna ein. Ich spürte, wie sie

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innerlich brodelte.

»Was willst DU denn jetzt von mir, du kleines Großmaul? Kriech dahin

zurück, wo du hergekommen bist.« Dann drehte er sich um und widmete sich

wieder seinem Telefonat. »Ja, ich bin noch dran. Wann kommt denn jetzt

jemand, Herrschaftszeiten noch mal?! Ich hab schließlich nicht ewig Zeit!«

»Das ist ja wohl nicht zu fassen. Was für ein unfreundlicher Drecksack!«

Hanna schüttelte völlig entsetzt den Kopf. »Und du wolltest ihm auch noch

helfen …«

»Ich konnte ja nicht ahnen, was das für einer ist«, gab ich nicht weniger

schockiert zurück.

»Ihm hätte mehr passieren sollen, als dass nur seine protzige Schleuder im

Dreck steckt. Vielleicht wird so jemand wieder normal, wenn er mal ein

ernsthaftes Problem hat. Wenn ihm ein Bein fehlt oder so was.«

»Hanna!«, tadelte ich sie. »So was wünscht man niemandem!«

»Warum nicht? Verdient hätte er es …«

Ich sah sie strafend an.

»Ja, ja, schon gut«, lenkte sie ein. »Aber trotzdem, dass so einer jetzt so

davonkommt … Und vermutlich hat der arme Mensch vom Abschleppdienst

auch noch so viel Angst vor ihm, dass er ihm gleich einen Abschleppwagen

schickt.«

»Na ja, vielleicht haben wir ja Glück und sein Akku ist leer, bevor er die

Adresse durchgeben kann«, kicherte ich und auch Hannas Mundwinkel

umspielte ein schadenfrohes Grinsen.

»Das würd ich ihm grad gönnen!«

Als wir zum Auto zurückgingen, hörten wir den Mann ins Telefon brüllen:

»Hallo? Hallo? Ist da noch jemand? Ach … verfluchtes Scheißhandy!« Dann

nahm er sein Telefon und schleuderte es mitten in die Wiese.

Hanna stieß mir mit dem Ellenbogen in die Rippen. »Hast du das gehört?«

»Sieht so aus, als wäre sein Handy tatsächlich kaputt!« Ich grinste,

während wir in das Auto einstiegen und wieder losfuhren.

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»Wie geil ist das denn, Annie? Muahaha … Du kannst zaubern!«, rief Hanna

begeistert und klatschte dabei kindlich in die Hände.

Kurze Zeit später waren wir endlich in der Eisdiele angekommen. Endlich,

weil ich hoffte, Hanna so ein wenig von ihrem neuen »Annie kann zaubern«-

Spleen abbringen zu können. Die ganze Autofahrt hatte sie über nichts

anderes mehr gesprochen. Anfangs fand ich den Gedanken ja selbst ziemlich

witzig, aber nachdem sie sich gar nicht mehr beruhigte und immer wieder

von neuem anfing, wie toll, cool und sensationell es wäre, eine solche

Fähigkeit zu besitzen, nervte es nur noch. Klar, ich war eh der Normalo von

uns beiden und längst nicht so ausgeflippt wie sie, aber das musste doch

selbst ihr zu doof sein, oder nicht?

Wir nahmen Platz und ich vertiefte mich in die Karte, während Hanna

immer weiterplapperte.

»Stell dir das doch mal vor, Annie Potter. Wie cool das wär!«

»Annie was?« Ich blickte auf und sah sie entgeistert an.

»Na ja, als echte Zauberin brauchst du schließlich auch einen echten

Zauberer-Namen.« Sie strahlte, offensichtlich amüsiert von ihrem

Wahnsinns-Geistesblitz.

»Wenigstens nennst du mich nicht Annie Blocksberg«, erwiderte ich leicht

angesäuert.

»I wo! Harry Potter ist schließlich tausendmal cooler!«

»Da hast du wohl Recht.«

»Sag ich doch, Annie Potter.« Ihre Augenbrauen sprangen hoch und

runter.

»Weißt du schon, was du möchtest?«, versuchte ich sie auf andere

Gedanken zu bringen, doch Hanna ging gar nicht drauf ein.

»Nee, aber das ist mir jetzt auch egal. Stell dir doch mal vor, man könnte

wirklich zaubern!

»Mmhhmmhh …«, machte ich teilnahmslos und studierte weiter die

Eisbecher.

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»Du hörst mir gar nicht zu«, beschwerte sie sich. »Alles, was du dir jemals

gewünscht oder erträumt hast, könntest du mit einem Wimpernschlag

bekommen! Wäre das nicht phänomenal?«

»Mmhhmmhh …«

Hanna stöhnte frustriert. »Ach, Annie. Manchmal bist du einfach so … so

schrecklich realistisch!«

Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern. Meine Mom hatte mir das schon

öfter gesagt, doch ich fand nicht, dass es sich dabei unbedingt um eine

schlechte Eigenschaft handelte.

»Na ja«, seufzte sie, »du musst aber schon zugeben, dass das echt zwei

filmreife Zufälle waren, oder nicht?«

»Mmhhmhh …«

»Erst, dass der Wagen von der Straße abgekommen ist, nachdem du der

Meinung warst, dass so jemand nichts auf der Straße verloren hat. Dann das

Handy, das plötzlich kaputtging …«

»Mmhhmhh …«

»Mensch, Annie, jetzt sag doch auch mal was dazu!«

»Was soll ich denn dazu sagen?«, jammerte ich und sah sie flehend an,

dieses Thema doch endlich ruhen zu lassen.

»Na, wie unglaublich du das findest. Zum Beispiel.« Sie verschränkte die

Arme und sagte das in einem Ton, als würde jeder normale Mensch – außer

mir natürlich – sich jetzt den Kopf darüber zerbrechen.

»Sei mir nicht böse, aber können wir uns bitte über etwas anderes

unterhalten? Ich hab echt keine Lust mehr, weiter darüber zu reden.«

Sie zog fragend die Augenbrauen nach oben. »Warum das denn nicht?«

»Weil es einfach absolut unrealistisch ist, Hanna. Kein Mensch kann

zaubern«, erklärte ich genervt.

Geknickt sah sie mich an.

»Und noch was: Selbst wenn ich zaubern könnte und in Hogwarts zur

Schule gehen würde, wäre ich sicher nicht Harry Potter.«