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VuR Zeitschrift für Wirtschafts- und Verbraucherrecht Nomos Aus dem Inhalt Editorial Perspektiven für den Verbraucherschutz angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise Dr. Achim Tiffe, Hamburg 161 Aufsätze Gleicher Zugang zum Recht für alle Prof. Dr. Peter Derleder, Bremen 163 Die Deregulierung der Kreditkartenkredite in Deutschland Prof. Dr. Udo Reifner, Hamburg 170 Rechtsprechung Bankrecht Aufklärungspflicht des Anlageberaters über Rückvergütungen („Kick-Backs“) auch außerhalb des Wertpapierhandels BGH, Beschl. v. 20.01.2009, Az.: XI ZR 510/07 176 Versicherungsrecht Betriebsrentenanpassung im Konzern BAG, Urt. v. 10.02.2009, Az.: 3 AZR 727/07 181 Verbraucherinsolvenzrecht Insolvenzverfahren: Aufhebung einer Verfahrenskostenstundung wegen fehlerhafter oder unvollständiger Schuldnerangaben BGH, Beschl. v. 08.01.2009, Az.: IX ZB 167/08 186 mit Anmerkung von Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Halle/Saale Multimediarecht Sittenwidrige Gestaltung einer Internetauktion AG Bochum, Urt. v. 08.05.2008, Az.: 44 C 13/08 189 Wettbewerbsrecht Verbraucherverbandsklage EuGH, Urt. v. 26.02.2008, Az.: C-132/05 191 5 / 2009 Jahrgang 24 · Seiten 161–200 ISSN 0930-8369 · E 20025 www.vur-online.de In Verbindung mit Verbraucherzentrale Bundesverband und Bund der Versicherten herausgegeben von Prof. Dr. Hans-W. Micklitz Prof. Dr. Udo Reifner Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski Prof. Dr. Klaus Tonner Prof. Dr. Joachim Bornkamm Dr. Friedrich Bultmann Prof. Dr. Peter Derleder Prof. Dr. Stefan Ernst Prof. Dr. Günter Hirsch Dr. Günter Hörmann Prof. Dr. Wolfhard Kohte Dr. Rainer Metz Prof. Dr. Norbert Reich Prof. Dr. Astrid Stadler Prof. Dr. Dirk Staudenmayer Walter Stillner Andreas Tilp Verbraucher und Recht Anlegerschutz Konsumentenkredit Versicherung private Altersvorsorge Verbraucherinsolvenz Verbraucherschutz

und Recht Prof. Dr. Peter Derleder, Bremen 163 kürzung ... · VERBRAUCHERRECHT AKTUELL Zahl der Insolvenzen zurückgegangen Die Gesamtzahl der Insolvenzen ging im Januar 2009 gegen-über

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Page 1: und Recht Prof. Dr. Peter Derleder, Bremen 163 kürzung ... · VERBRAUCHERRECHT AKTUELL Zahl der Insolvenzen zurückgegangen Die Gesamtzahl der Insolvenzen ging im Januar 2009 gegen-über

VuRZeitschrift für Wirtschafts- und Verbraucherrecht

Nomos

Aus dem Inhalt

EditorialPerspektiven für den Verbraucherschutz angesichts derFinanz- und WirtschaftskriseDr. Achim Tiffe, Hamburg 161

AufsätzeGleicher Zugang zum Recht für alleProf. Dr. Peter Derleder, Bremen 163Die Deregulierung der Kreditkartenkredite in DeutschlandProf. Dr. Udo Reifner, Hamburg 170

Rechtsprechung

BankrechtAufklärungspflicht des Anlageberaters überRückvergütungen („Kick-Backs“) auch außerhalb desWertpapierhandelsBGH, Beschl. v. 20.01.2009, Az.: XI ZR 510/07 176

VersicherungsrechtBetriebsrentenanpassung im KonzernBAG, Urt. v. 10.02.2009, Az.: 3 AZR 727/07 181

VerbraucherinsolvenzrechtInsolvenzverfahren: Aufhebung einerVerfahrenskostenstundung wegen fehlerhafter oder unvollständiger SchuldnerangabenBGH, Beschl. v. 08.01.2009, Az.: IX ZB 167/08 186mit Anmerkung von Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Halle/Saale

MultimediarechtSittenwidrige Gestaltung einer InternetauktionAG Bochum, Urt. v. 08.05.2008, Az.: 44 C 13/08 189

WettbewerbsrechtVerbraucherverbandsklageEuGH, Urt. v. 26.02.2008, Az.: C-132/05 191

5/2009Jahrgang 24 · Seiten 161–200ISSN 0930-8369 · E 20025

www.vur-online.de

In Verbindung mitVerbraucherzentraleBundesverband undBund der Versicherten

herausgegeben vonProf. Dr. Hans-W. MicklitzProf. Dr. Udo ReifnerProf. Dr. Hans-Peter SchwintowskiProf. Dr. Klaus Tonner

Prof. Dr. Joachim BornkammDr. Friedrich BultmannProf. Dr. Peter DerlederProf. Dr. Stefan ErnstProf. Dr. Günter HirschDr. Günter HörmannProf. Dr. Wolfhard KohteDr. Rainer MetzProf. Dr. Norbert ReichProf. Dr. Astrid StadlerProf. Dr. Dirk StaudenmayerWalter StillnerAndreas Tilp

Verbraucher und Recht

A n l e g e r s c h u t z ■ K o n s u m e n t e n k r e d i t ■ V e r s i c h e r u n g ■ p r i v a t eA l t e r s v o r s o r g e ■ V e r b r a u c h e r i n s o l v e n z ■ V e r b r a u c h e r s c h u t z

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Versicherungs vertragsgesetzHandkommentarHerausgegeben von RA Dr. Wilfried Rüffer, RiOLG Dr. Dirk Halbach und Prof. Dr. Peter Schimikowski2009, 1.728 S., geb., 118,– €, ISBN 978-3-8329-3062-2

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Das VVG gilt jetztauch für Altverträge.Rechtsstand: 1.1.2009

Umschlag 5_2009 04.05.2009 7:59 Uhr Seite U4

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VERBRAUCHERRECHTAKTUELL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II

EDITORIALPerspektiven für den Verbraucher-schutz angesichts der Finanz- undWirtschaftskriseDr. Achim Tiffe, Hamburg . . . . . . . 161

AUFSÄTZEGleicher Zugang zum Recht für alleProf. Dr. Peter Derleder, Bremen . . .163

Die Deregulierung der Kredit-kartenkredite in DeutschlandProf. Dr. Udo Reifner, Hamburg . . . .170

RECHTSPRECHUNGBANKRECHTbearbeitet von RA Arne Maier, Esslingen

Aufklärungspflicht des Anlageberatersüber Rückvergütungen („Kick-Backs“)auch außerhalb des Wertpapier-handelsBGH, Beschl. v. 20.01.2009, Az.: XI ZR 510/07 . . . . . . . . . . . . . . 176

Zusätze in der Widerrufsbelehrungnach HWiG a. F.BGH, Urt. v. 13.01.2009, Az.: XI ZR 118/08 . . . . . . . . . . . . . . 177

Darlegungs- und Beweislast für die Ei-genschaft als Mitdarlehensnehmeroder als bloßer MithaftenderBGH, Urt. v. 16.12.2008, Az.: XI ZR 454/07 . . . . . . . . . . . . . . 178

Verbraucherkreditrecht auch bei Dar-lehensvergabe gelegentlich der ge-werblichen Tätigkeit des Dar-lehensgebers anwendbarBGH, Urt. v. 09.12.2008, Az.: XI ZR 513/07 . . . . . . . . . . . . . . 180

VERSICHERUNGSRECHTbearbeitet (Urt. 1–4) von RA Jürgen Glock, Stuttgart

Betriebsrentenanpassung im KonzernBAG, Urt. v. 10.02.2009, Az.: 3 AZR 727/07 . . . . . . . . . . . . . . 181

Belehrungspflichten des Versicherersgegenüber einem Versicherungsneh-mer zur Vorlage einer Stehlgutlistebei der PolizeiOLG Celle, Urt. v. 29.01.2009, Az.: 8 U 187/08 . . . . . . . . . . . . . . . . 181

Fortsetzung des Rechtsschutz-versicherungsverhältnisses mit neuenBedingungenOLG Karlsruhe, Urt. v. 20.01.2009, Az.: 12 U 200/08 . . . . . . . . . . . . . . . 183

Sturz bei Skifahren als Unfall in der UnfallversicherungOLG Celle, Urt. v. 15.01.2009, Az.: 8 U 131/08 . . . . . . . . . . . . . . . . 184

Betreuungspflicht des Versicherungs-maklers nach VertragsschlussOLG Karlsruhe, Urt. v. 18.12.2008, Az.: 4 U 141/08 . . . . . . . . . . . . . . . . 184

VERBRAUCHERINSOLVENZRECHTInsolvenzverfahren: Aufhebung einerVerfahrenskostenstundung wegenfehlerhafter oder unvollständigerSchuldnerangabenBGH, Beschl. v. 08.01.2009, Az.: IX ZB 167/08 . . . . . . . . . . . . . . 186mit Anmerkung von Prof. Dr. WolfhardKohte, Halle/SaalePfändbarkeit von Zahlungen an Ein-Euro-JobberLG Dresden, Beschl. v. 17.06.2008, Az.: 3 T 233/08 . . . . . . . . . . . . . . . . 188Kontenpfändung: Pfändungsschutzfür eine auf das Schuldnerkonto ein-gehende Mehraufwendungsentschä-digung (Ein-Euro-Job)AG Hannover, Beschl. v. 19.06.2006, Az.: 701 M 15335/04 . . . . . . . . . . . 189

MULTIMEDIARECHTSittenwidrige Gestaltung einer Inter-netauktionAG Bochum, Urt. v. 08.05.2008, Az.: 44 C 13/08 . . . . . . . . . . . . . . . . 189

WETTBEWERBSRECHTVerbraucherverbandsklageEuGH, Urt. v. 26.02.2008, Az.: C-132/05 . . . . . . . . . . . . . . . . . 191Irreführende Werbung beiTelefonflatrateLG Frankfurt, Urt. v. 30.07.2008 (n.rkr.), Az.: 2-06 O 173/08 . . . . . . . . . . . . . 194Internationale Zuständigkeit, fehlerhafte WiderrufsbelehrungLG Stuttgart, Versäumnisurt. v.07.04.2008, Az.: 36 O 122/07 KfH . 196

RECHTSPRECHUNGS-ÜBERSICHT

VERSICHERUNGSRECHT . . . . . . . . . 197

VERBRAUCHERINSOLVENZRECHT . 198

BUCHBESPRECHUNGVan Hulle/Maul/Drinhausen, Handbuch zur Europäischen Gesellschaft (SE), 2007Dr. Axel Schwarz, Moritzburg . . . . .199

INFORMATIONENVerbraucherzeitschriften im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VVeranstaltungshinweise . . . . . . . . . .VI

I N H A LT

IMPRESSUM

Schriftleitung: Prof. Dr. Kai-Oliver Knops (V.i.S.d.P.), e-mail: [email protected]

Redaktion:Institut für Finanzdienstleistungen e.V. (iff)Rödingsmarkt 31–33, 20459 HamburgTelefon (0 40) 30 96 91 26Telefax (0 40) 30 96 91 22e-mail: [email protected]

Die redaktionelle Arbeit der Zeitschrift wirddurch den Verbraucherzentrale Bundesver-band und den Bund der Versicherten finan-ziert.

Druck und Verlag: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG,Waldseestraße 3-5, D-76530 Baden-Baden, Telefon 07221/2104-0, Fax 07221/2104-27

Anzeigen: sales friendly, Verlagsdienstleistungen, Bettina Roos, Siegburger Straße 123, 53229 Bonn, Telefon 0228/978980, Telefax 0228/9789820,E-Mail: [email protected]

Die Zeitschrift, sowie alle in ihr enthalteneneinzelnen Beiträge und Abbildungen sind ur-heberrechtlich geschützt. Jede Verwertung,die nicht ausdrücklich vom Urheberrechts-gesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigenZustimmung des Verlags. Namentlich gekennzeichnete Artikel müssennicht die Meinung der Herausgeber/Redak-tion wiedergeben. Unverlangt eingesandteManuskripte – für die keine Haftung über-nommen wird – gelten als Veröffentlichungs-vorschlag zu den Bedingungen des Verlages.Es werden nur unveröffentlichte Originalar-beiten angenommen. Die Verfasser erklärensich mit einer nicht sinnentstellenden redak-tionellen Bearbeitung einverstanden.

Erscheinungsweise: monatlich

Bezugspreis 2009: jährlich 154,– € (inkl. MwSt),Einzelheft 18,– €. Die Preise verstehen sich incl.MwSt zzgl. Versandkosten. Bestellungen neh-men entgegen: Der Buchhandel und der Verlag.Kündigung: Drei Monate vor Kalenderjahres-ende. Zahlungen jeweils im Voraus an: NomosVerlagsgesellschaft, Postbank Karlsruhe, Konto73636-751 (BLZ 660 100 75) und Stadtspar-kasse Baden-Baden, Konto 5-002266 (BLZ662 500 30).

ISSN 0930-8369

Zeitschrift für Verbraucher und Unternehmen

24. Jahrgang, S. 161-200

5/2009

VuR V E R B R A U C H E R

U N D R E C H T

Vorschau auf Heft 6/2009AUFSÄTZEFluggastrechte und der EuGHProf. Dr. Klaus Tonner, Rostock

Rechtsprechungsübersicht zum Reiserecht 2008–2009Daniela Schulz, LL.M. Rostock undSophie Kettner, Kiel

VuR 5/2009 | I

Page 3: und Recht Prof. Dr. Peter Derleder, Bremen 163 kürzung ... · VERBRAUCHERRECHT AKTUELL Zahl der Insolvenzen zurückgegangen Die Gesamtzahl der Insolvenzen ging im Januar 2009 gegen-über

V E R B R A U C H E R R E C H T A K T U E L L

Zahl der Insolvenzen zurückgegangen

Die Gesamtzahl der Insolvenzen ging im Januar 2009 gegen-über dem Vorjahresmonat um 9,8 Prozent zurück, wobei dieVerbraucherinsolvenzen um 12,8 Prozent abnahmen. DieZahl der Unternehmensinsolvenzen stagnierte. Das teilt dasStatistische Bundesamt (Destatis) mit.

Im Januar 2009 haben die deutschen Amtsgerichte insgesamt12 668 Insolvenzen verzeichnet, darunter 7 901 Insolvenzenvon Verbrauchern und 2 444 Insolvenzen von Unternehmen.

Die voraussichtlichen offenen Forderungen der Gläubigerbezifferten die Gerichte für den Januar 2009 auf 3,1 Milliar-den Euro gegenüber 3,3 Milliarden Euro im Januar des Vor-jahres. Obwohl die Unternehmensinsolvenzen nur etwa 19Prozent der Insolvenzfälle ausmachten, entfielen auf sie 70Prozent aller Forderungen.

Quelle: www.banktip.de v. 11.04.2009

BGH: Schadensersatz bei Auszug aus der Miet-wohnung nach vorgetäuschtem Eigenbedarf auchbei formal unwirksamer Kündigung

Täuscht ein Vermieter dem Mieter Eigenbedarf vor und zieht derMieter aus, weil er annimmt, dies tun zu müssen, kann dies Scha-densersatzansprüche des Mieters begründen. Nicht ausschlagge-bend ist, ob die Kündigung aus formalen Gründen unwirksam ist.Die entschied der Achte Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, meldetdas Gericht (Urteil vom 08.04.2009, Az.: VIII ZR 231/07).

Die Klägerin war seit 1977 Mieterin in einem Wohnhaus derBeklagten in Berlin. Aufgrund einer Vereinbarung vom04.10.2002 zog die Klägerin aus der Wohnung aus, nachdemdie Beklagten mehrfach das Mietverhältnis wegen Eigenbe-darfs gekündigt sowie eine Räumungsklage und Schadenser-satzforderungen bei nicht rechtzeitiger Räumung angedrohthatten. Unmittelbar nach dem Auszug boten die Beklagtendas Haus über einen Makler zum Verkauf an, von dem siespäter Abstand nahmen. Die Klägerin ist der Auffassung, dieBeklagten hätten den Eigenbedarf vorgetäuscht. Sie begehrtmit ihrer Klage die Rückgabe des Mietobjekts, hilfsweisemacht sie Schadensersatzansprüche geltend. Das AmtsgerichtSchöneberg hat mit Urteil vom 05.10.2006 die Klage abge-wiesen (Az.: 107 C 312/05). Die Berufung der Klägerin hattekeinen Erfolg (Kammergericht Berlin, Urteil vom 18.06.2007,Az.: 8 U 188/06).

Die vom Bundesgerichtshof zugelassene Revision der Kläge-rin führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurük-kverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. DerBGH hat entschieden, dass nicht die formelle Wirksamkeiteiner Kündigung auschlaggebend für die möglichen Scha-densersatzansprüche des Mieters sei. Vielmehr könnteneinem Mieter, der auf eine Kündigung wegen eines in Wahr-heit nicht bestehenden Eigenbedarfs hin auszieht, Schadens-ersatzansprüche wegen unberechtigter Kündigung auch dannzustehen, wenn der Vermieter dem Mieter den Eigenbedarfschlüssig dargetan und der Mieter keine Veranlassung hatte,die Angaben des Vermieters in Zweifel zu ziehen. Es sei dannunbeachtlich, dass der Eigenbedarf entgegen § 573 Abs. 3

Satz 1 BGB (§ 564a Abs. 3 BGB a. F) nicht im Kündigungs-schreiben als berechtigtes Interesse des Vermieters an derBeendigung des Mietverhältnisses angegeben wurde und dieKündigung deshalb unwirksam sei.

Der Schadensersatzanspruch des Mieters werde auch nichtdadurch ausgeschlossen, dass sich der Mieter mit dem Ver-mieter auf eine einvernehmliche Beendigung des Mietver-hältnisses geeinigt hat, obwohl er zu diesem Zeitpunkt man-gels ordnungsgemäß begründeter Kündigungserklärungen –noch – nicht zur Räumung des Mietobjekts verpflichtet war.Entscheidend sei nicht, ob der Mieter bereits zur Räumungverpflichtet war, sondern allein, ob er das Räumungsverlan-gen materiell für berechtigt halten durfte, weil er keinenAnlass hatte, an der Richtigkeit der Angaben des Vermieterszu dem geltend gemachten Eigenbedarf zu zweifeln. Auchwenn der Mieter sich unter dem Eindruck des als bestehendangenommenen Eigenbedarfs zu einer einvernehmlichenBeendigung des Mietverhältnisses bereit finde und das Miet-objekt freigebe, ohne auf die formale Wirksamkeit der Kün-digungserklärung des Vermieters abzustellen, räume er dieMietwohnung nicht aus freien Stücken, sondern in der Vor-stellung, dazu jedenfalls materiell verpflichtet zu sein.

Für einen Ausschluss des Schadensersatzanspruchs nach demRechtsgedanken des § 254 BGB, wie er von dem Berufungs-gericht angenommen wurde, sei laut BGH kein Raum gewe-sen. Das Berufungsgericht muss nun klären, ob der mit derKündigung geltend gemachte Eigenbedarf der Beklagten - wievon der Klägerin behauptet - vorgetäuscht war.

Quelle: Beck-aktuell, Pressemitteilung v. 08.04.2009

Zulassungspflicht für Manager von Hedge-Fonds

Die Europäische Union (EU) will eine Zulassungspflicht fürManager von Hedge-Fonds einführen, wenn diese in derUnion arbeiten und Vermögen von mehr als 250 MillionenEuro verwalten. Das geht aus einem Richtlinienentwurf derEU hervor, der der „Financial Times Deutschland” (FTD) vor-liegt. Die Zulassungspflicht soll auch für Immobilien-, Roh-stoff- und Spezialfonds gelten.

Die Hedge-Fonds-Manager sollen darüber hinaus gegenüberFinanzaufsicht und Investoren auskunftspflichtig werden.Bilanzen von Portfoliounternehmen ab einer Größe von 250Mitarbeitenden und einem Umsatz von 50 Millionen Euromüssen Hedge-Fonds künftig veröffentlichen. Die EU-Kom-mission verspricht sich davon mehr Kontrolle darüber, wiedie Fonds Unternehmen lenken, an denen sie beteiligt sind.Besonderen Wert legt der EU-Entwurf auf das Risikomanage-ment. So sollen Fonds-Manager Eigenkapital hinterlegen undbei Verstößen gegen Vorgaben zum Risikomanagement ihreZulassung verlieren.

Die Arbeitsweise der Fonds will EU-Kommissar CharlieMcCreevy nicht beschränken. Im Gegenteil: Wer in einemEU-Land eine Zulassung erworben hat, darf in ganz Europaum Anleger werben.

Quelle: www.banktip.de v. 06.04.2009

I I | VuR 5/2009

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VuR 5/2009 | I I I

Mastercard muss Abrechnungsgebühren senken,auch Visa unter Druck

Der Kreditkarten-Anbieter Mastercard senkt infolge desDrucks durch die EU seine Abrechnungsgebühren auf einenBruchteil des bisherigen Betrags. Aus diesem Grund wird dieEU-Kommission kein Verfahren gegen die Kreditkartenfirmaeinleiten, teilte EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroesmit. Das berichtet die „Süddeutsche Zeitung” in ihrer Online-ausgabe.

Die EU-Wettbewerbskommission hatte Mastercard wegenwettbewerbsbeschränkender Geschäftspraktiken mit täg-lichen Bußgeldern gedroht, falls das Gebührenmodell nichtgeändert werde, schreibt die Zeitung.

Bereits im Juni 2008 setzte Mastercard auf Druck der EU seineBankkosten für grenzüberschreitende Zahlungen (Multilate-ral Interchanges Fees/MIF) vorübergehend aus. Im Gegenzugerhöhte das Kreditkartenunternehmen im Oktober aber seineKartennetzgebühren. Diese Erhöhung werde nun im Juli2009 wieder zurückgenommen, hieß es bei der EU-Kommis-sion.

Außerdem habe Mastercard eine neue Methode zur Berech-nung der MIF angekündigt. So würden künftig nach Angabender Zeitung maximal 30 Cent pro Kauf mit Kreditkarten und20 Cent bei Debit Karten berechnet, einer Art EC-Karte, beider das Konto direkt belastet wird. Im Jahr 2007 lagen dieGebühren dafür laut der EU-Behörde durchschnittlich zwi-schen 80 Cent und 1,90 Euro, die der Einzelhändler bei jederKreditkartenzahlung zu übernehmen hatte. Bereits 2007hatte die EU-Kommission Mastercard für diese hohen Trans-aktionskosten kritisiert.

Eine Rücknahme der hohen Kosten würde den Einzelhänd-lern zugute kommen, sagte Neelie Kroes in Brüssel. Gleich-zeitig appellierte sie an das Kreditunternehmen, diesen Vor-teil auch an die Verbraucher weiterzugegeben. Mastercardkündigte außerdem an, seine Netzregeln transparenter gestal-ten und mehr Wettbewerb auf dem Zahlungskartenmarktzulassen zu wollen, schreibt die Süddeutsche Zeitung. „Wirwerden die Umsetzung in den kommenden Monaten genauverfolgen”, sagte Kroes.

Auch der Kreditkarten-Anbieter Visa nimmt nach Ansicht derEU-Kommission zu hohe Gebühren.(…) Visa ist damit daszweite Kreditkarten-Unternehmen, dessen Gebührenpraxisdie EU-Kommission kritisiert. Auf Druck der EU-Kommissionhat in der vergangenen Woche bereits der KonkurrentMasterCard seine Abrechnungsgebühren gesenkt. NachAnsicht der EU-Kommission belasten die Gebühren die Ver-braucherpreise.

www.banktip.de v. 07/02.04.2009

Wichtiger Teilerfolg im Kampf gegen Telefon-werbung

Als Teilerfolg bewertet der Verbraucherzentrale Bundesverband(vzbv) das im Bundestag verabschiedete Gesetz gegen unlautereTelefonwerbung. „Erweiterte Widerrufsrechte und schärfere Sank-tionen bedeuten eine deutliche Verbesserung zum Status Quo„,kommentiert Vorstand Gerd Billen. Wie effektiv diese Maßnahmendie „moderne Landplage“ eindämmen werden, bleibt abzuwarten.Der Verbraucherzentrale Bundesverband kritisiert, dass die wirk-samste Maßnahme im Kampf gegen unerbetene Werbeanrufe nichtrealisiert wurde. So sind auch künftig am Telefon abgeschlosseneVerträge bereits ohne schriftliche Bestätigung nach Ablauf derWiderrufsfristen gültig.

Künftig können Verbraucher Zeitschriftenabonnements, Ver-träge über Wett- und Lotteriedienstleistungen und andere amTelefon geschlossene Verträge widerrufen. Bei einem am Tele-fon oder im Internet vereinbarten Anbieterwechsel (zum Bei-spiel Telekommunikation, Stromanbieter) obliegt dem neuenAnbieter der Nachweis, dass der alte Vertrag in Textform, alsozum Beispiel per E-Mail, gekündigt wurde. Auch darf bei Wer-beanrufen der Anrufer fortan seine Rufnummer nicht mehrunterdrücken. Verstöße gegen das Verbot belästigender Tele-fonwerbung können künftig mit bis zu 50.000 Euro geahndetwerden, Verletzungen des Verbots der Rufnummernunter-drückung mit bis zu 10.000 Euro. Der VerbraucherzentraleBundesverband fordert das Bundesverbraucherministeriumauf, die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin zu überprü-fen.

Trotz der positiven Verbesserungen greift das Gesetz in einemganz wesentlichen Punkt zu kurz. Gerd Billen: „Es wurde dieChance verpasst, das Unterschieben von Verträgen auf einenSchlag zu unterbinden.“ Dies wäre der Fall, wenn Verträgeerst nach einer schriftlichen Bestätigung wirksam werden.Nachdem diese Forderung nicht aufgegriffen wurde, müssenVerbraucher auch fortan aktiv werden, um aus möglicher-weise untergeschobenen Verträgen wieder herauszukommen.Ein wirkliches Ende des Telefonterrors sei vermutlich erstdann zu erwarten, wenn sich dieses Geschäftsmodell nichtmehr lohne. „Und der Datenschutz entsprechend gestärktwird“, ergänzt Billen. Denn oftmals seien Daten nur deshalblukrativ, weil am Ende ein Geschäft am Telefon lockt.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband ist in den letztenJahren massiv gegen unerlaubte Telefonwerbung vorgegan-gen. Er hat sich verstärkt für schärfere Sanktionen eingesetzt,nachdem das seit 2004 bestehende gesetzliche Verbot vonWerbeanrufen ohne Einwilligung der Verbraucher vonUnternehmen immer wieder umgangen worden war.

Quelle: Pressemitteilung Verbraucherzentrale Bundesverband(vzbv) v. 26.03.2009

V E R B R A U C H E R R E C H T A K T U E L L

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VuR 5/2009 | 161

Herausgeber: Prof. Dr. Udo Reifner, Universität Hamburg, Institut für Finanzdienstleistungen e.V. (geschäftsführend); Prof. Dr. Hans-W. Mick-litz, Universität Bamberg; Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Humboldt-Universität Berlin; Prof. Dr. Klaus Tonner, Universität Rostock

Prof. Dr. Joachim Bornkamm, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe; Dr. Friedrich Bultmann, Rechtsanwalt, Berlin; Prof. Dr. Pe-ter Derleder, Universität Bremen; Prof. Dr. Stefan Ernst, Rechtsanwalt, Freiburg; Prof. Dr. Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofs a.D., Versicherungsombudsmann, Berlin; Dr. Günter Hörmann, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg e.V.; Prof. Dr. Wolfhard Koh-te, Universität Halle-Wittenberg; Dr. Rainer Metz, Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Berlin; Prof. Dr.Norbert Reich, Universität Bremen; Prof. Dr. Astrid Stadler, Universität Konstanz; Prof. Dr. Dirk Staudenmayer, Europäische Kommission, Re-feratsleiter Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz, Brüssel; Walter Stillner, Rechtsanwalt, Stuttgart; Andreas Tilp, Rechtsanwalt,Tübingen

Schriftleitung: Prof. Dr. Kai-Oliver Knops, Institut für Finanzdienstleistungen e.V. (iff), Rödingsmarkt 31-33, 20459 Hamburg

5/200924. Jahrgang, Seiten 161-200

Zeitschrift für Wirtschafts- und Verbraucherrecht

VuR V E R B R A U C H E R

U N D R E C H T

Die aktuelle Finanz- undWirtschaftskrise, dessenAusgang derzeit nichtabsehbar ist, hat für die Ver-braucher erhebliche Auswir-kungen. Die Verbrauchertrauen ihren Banken nichtmehr, erste grenzüberschrei-tende Verbrauchergeschäftemit Tagesgeldkonten bei derisländischen KaupthingBank endeten in der Insol-venz der Bank und einemgrundsätzlichen Vertrauens-verlust in die Einlagensiche-rung.

Milliarden werden in denFinanzdienstleistungssektor

von der Regierung gepumpt – auf Kosten des Staatshaushaltsund die diffuse Angst der Bürger vor den Auswirkungen kannnicht hinweggeredet werden.

Die tatsächlichen Auswirkungen der Krise sind dabei noch garnicht abzusehen, lediglich Tendenzen lassen sich derzeit erken-nen. So steht die Riester-Rente in der Kritik (siehe hierzu Plus-minus v. 10.03.2009) und auch Altersvorsorge-Produkte vonStrukturvertrieben zeigen in Krisenzeiten ihre Schwächen: Wiedie ursprünglich versprochenen Renditen und Wertzuwächseerreicht werden sollen, ist den Kunden angesichts von dem bis-her gebildeten Kapital, das zum Teil auch nach zehn Jahrennicht einmal die eingezahlten Beiträge erreicht hat, immer

unklarer. Nun rächt es sich, dass der Staat allein die Anzahl abge-schlossener Verträge als Erfolg seiner Politik gewertet und auf dieanfängliche Kritik an den Produkten nicht gehört hat.

Leider rücken die an Verbraucher in der Vergangenheit ver-kauften Finanzdienstleistungen in den USA, Großbritannienund anderen Staaten nicht in den Mittelpunkt bei der Analy-se der Krise, obwohl sie die eigentliche Ursache sind. Dieswäre aber wichtig, um nicht die Fehler der Vergangenheit zuwiederholen. Stattdessen werden Verbrauchern weiterhinspekulative Produkte in Deutschland angeboten in immerneuen Hüllen, sei es in Form von Alpha-Express-Zertifikatenoder neuen CFDs (Contracts for Difference) mit erheblicherHebelwirkung und europaweit etablieren sich Zweithypothe-ken für kurzfristigen Konsum und Baufinanzierungen inFremdwährungen. Durch niedrige Leitzinsen erscheint dieSpekulation auf Kredit erneut für Verbraucher lukrativ. Auchnehmen Angebote von Kreditkartenkrediten in Deutschlandzu. Gleichzeitig haben sich in den letzten Jahren Konsumen-tenkredite mit einer tatsächlichen Belastung von 20-30 Pro-zent pro Jahr in Deutschland etabliert – bisher untergeschickter Umgehung des Wucherparagrafen und von Anga-bepflichten. Zukünftige Krisen sind damit vorprogrammiert.

Es scheint, als wenn aus der bisherigen Krise niemand etwasgelernt hat bzw. nicht daraus gelernt werden will. Dabei sinddie Folgen in den USA plastisch sichtbar, nicht nur für dieeinzelnen Verbraucher, sondern auch für die wirtschaftlicheSituation insgesamt. Eine Erfahrung aus der Finanzkrise ist,dass Verbraucherschutz im Bereich der Finanzdienstleistun-gen und die ökonomische Entwicklung eines Staates nichtmehr getrennt voneinander betrachtet werden können.

Perspektiven für den Verbraucherschutz angesichts derFinanz- und WirtschaftskriseVon Dr. Achim Tiffe, Hamburg

Dr. Achim Tiffe, Hamburg

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Die Krise ist aber auch eine Chance. Unumstößlich erschei-nende Theorien, dass Information allein für einen funktio-nierenden Markt ausreicht, geraten ins Wanken. Dies bietetdie Möglichkeit, über das Verhältnis von Verbraucherschutz,einer notwendigen Rahmengesetzgebung und der Eigenver-antwortung der Verbraucher, auch auf politischer Ebene, neunachzudenken.

Die vierte Finanzdienstleistungs-Konferenz Ende Mai inHamburg nimmt das aktuelle Thema der Finanzkrise auf undstellt die Verbraucher und das von Banken angesichts derKrise neu entdeckte Retail-Geschäft in den Mittelpunkt. DieGewinnung zahlreicher namhafter Referenten aus der Wis-senschaft, der Banken, des Staates, der Verbraucherverbändeund der Schuldnerberater zeigt, dass sich die Konferenz mitt-lerweile etabliert hat. Mit der Gewinnung von Bundestagsab-geordneten aller Parteien für eine Podiumsdiskussion wirddas Thema „Finanzkrise und Verbraucherschutz“ dazu aufeine politische Ebene gehoben.

Was bringt die Zukunft? Die derzeitige Regierung hat einigeSchritte in die richtige Richtung unternommen, und will ver-brauchernahe Dokumentationspflichten in der Anlagebera-tung einführen sowie die Verjährung wieder auf das allge-meine Niveau anheben. Ein kleiner Schritt in die richtige

Richtung, der allein jedoch nicht ausreicht, um die beste-henden Probleme der Verbraucher zu lösen. Skandale der Ver-gangenheit (z. B. Göttinger Gruppe, Schrottimmobilien)wären durch derartige Regelungen wahrscheinlich kaum ver-mieden worden. Verbraucher werden in Deutschlanddadurch immer noch nicht ausreichend gewarnt undgeschützt und die Qualität der Beratung sowohl im Anlage-wie im Kreditbereich ist katastrophal und oft rein verkaufs-orientiert gesteuert, wie Tests immer wieder belegen. Werwill, dass die Verbraucher mehr Eigenverantwortung bei ihrerfinanziellen Absicherung übernehmen, muss nicht nur fürqualitativ gute und vor allem verständliche Informationenund eine ausreichende finanzielle Allgemeinbildung sorgenund damit die Verantwortung auf den Verbrauchern abladen,sondern auch für einen funktionierenden Markt mit qualita-tiv guten Produkten und ausreichender Beratung sorgen unddarüber hinaus die Verbraucher ausreichend vor Risikenschützen, die der Verbraucher allein oft nicht tragen kannund die darüber hinaus zu systemischen Risiken mit erheb-lichen volkswirtschaftlichen Auswirkungen führen können,wie die Subprime Krise in den USA anschaulich gezeigt hat.Die BaFin wird dieser Rolle nicht gerecht und ein ausrei-chender Schutz der Verbraucher ist in Deutschland derzeitnicht in Sicht.

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Der Aufbau des Rechtsstaats nach Gründung der Bundesrepu-blik vollzog sich in zwei großen Etappen. In der ersten ging esum die Eröffnung eines umfassenden Rechtsschutzsystems überdie traditionelle ordentliche Gerichtsbarkeit hinaus, sodass je-der Akt öffentlicher Gewalt und jede privatrechtliche Rechts-handlung rechtlich überprüft werden konnten. Vor allem derAusbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit war nachzuholen.1 Diesgeschah mit dem moralischen Impetus der Distanzierung vomvorausgegangenen Unrechtsstaat. Auf der zweiten Etappe, diein den 70er Jahren begann, musste das neue Rechtsschutzsys-tem auch auf diejenigen erstreckt werden, die bis dahin nurmit Einschränkungen und Diskriminierungen ihr Recht suchenkonnten. Die Abschaffung des Armenrechts zugunsten derProzesskostenhilfe,2 die Einführung von Beratungshilfe3 und ei-ne Reihe von Institutionen, die die Nachteile sozial und finan-ziell Schlechtergestellter auszugleichen suchen,4 geschahen mitungebrochenem Gleichheitspathos. Dass der Arme sein Rechtebenso verfolgen kann wie der Reiche, war das Postulat nichtnur der 68er Generation, sondern wurde auch mit verfas-sungsrechtlicher Dignität ausgestattet.

A. Einleitung

Im letzten Jahrzehnt ist dieser egalitäre Geist teilweise ver-weht. Reformen stehen auf der Agenda, mit denen die Aus-gaben des Staates für die Rechtsschutzgewährung an Minder-bemittelte begrenzt werden sollen. Der Anstieg der Ausgabenwird statistisch vorgerechnet. Missbräuche werden gegeißelt.Verfahrensumständlichkeiten werden kritisiert. Eine grund-sätzliche Infragestellung der seit Ende der 70er Jahre ergan-genen Gesetze ist jedoch bislang ausgeblieben. Aber auch einKonzept zur Subventionierung des Rechtsschutzes für Min-derbemittelte ist nicht erkennbar, das die gesellschaftlichenBedingungen rechtlicher Auseinandersetzungen in der heuti-gen Gesellschaft thematisieren würde.

Zu berücksichtigen ist vor allem der unaufhaltsame Verrecht-lichungsprozess der letzten Jahrzehnte.5 Zum letzten Mal hatsich eines der großen politischen Lager 1982 bei der sog.Wende dem Ziel verschrieben, den Verrechtlichungsprozesszu stoppen. Dass dies nicht gelungen ist, ist evident. Danachwar zwar sehr viel von der Deregulierung der Märkte dieRede, wenn auch in Deutschland nicht mit thatcheristischemFuror. Aber auch die Deregulierung, die am Ende die Finanz-märkte in ein Katastrophenszenario gestürzt hat, war nichtmehr mit der Vorstellung verbunden, dass dabei das Maß derrechtlichen Regelungen zurückzustutzen sei. Man denke nuran die vielen Finanzmarktförderungsregelungen auf europäi-scher und nationaler Ebene, die zwar eine wirtschaftlicheDeregulierung bedeuteten. Die Eröffnung von immer mehrMärkten mit immer mehr Produkten führte zu immer mehrMarktrahmenregelungen.

Der Verrechtlichungsprozess verdankt sich der gesellschaft-lichen Entwicklung, bei der an die Stelle ethischer, sozialer und

kultureller Normen des Zusammenlebens immer mehr die reinrechtlichen treten. Das säkulare Leben wird immer wenigervon religiösen Leitvorstellungen bestimmt. Die sozialen Di-vergenzen nehmen durch die Auseinanderentwicklung vonArm und Reich immer mehr zu. Das Absinken der Mittel-schichten,6 das in den USA schon weitgehend stattgefundenhat, wird auch die europäischen Länder erfassen. Die Un-gleichgewichte der Verteilung von Vermögen und Einkommensorgen für eine drastische Zunahme rechtlicher Auseinander-setzungen. Hinzu kommt die Entwicklung zu einer multikul-turellen oder transkulturellen Gesellschaft,7 in der es keine ein-heitlichen Verhaltensformen einer Mehrheit und immer mehrspezielle Lebenspraktiken von Minoritäten gibt. In den damitaufgegebenen Konfliktlinien bewährt sich bislang als einzigerBefriedungsmodus die Anwendung des Rechts, das einer im-mer weitergehenden Ausdifferenzierung unterliegt. Wennman diese prägenden Linien gesellschaftlicher Entwicklungins Auge fasst, dann erscheint es geradezu armselig, dass etwaüber einen Aufwand von knapp 100 Mio. Euro bei der Bera-tungshilfe lamentiert wird. Bei der Lektüre der verschiedenenGesetzentwürfe für eine Begrenzung der Ausgaben beschleichtden gesellschaftstheoretischen Betrachter der Verdacht, dassFinanzminister und Justizminister der BundesrepublikDeutschland teilweise den Wert und die Bedeutung der recht-lichen Konfliktlösungsmethoden in einer immer mehr vonHeterogenität gekennzeichneten Gesellschaft noch nicht er-kannt haben.

Glücklicherweise sind die verfassungsrechtlichen Prinzipiennoch ganz im Geist der 70er Jahre formuliert. Darauf wirdzunächst einzugehen sein (dazu B.). Anschließend gilt es, diebisherigen Überlegungen zur Prozesskostenhilfereform nach-zuvollziehen (dazu C.), die zwar im Augenblick gescheiterterscheint, deren Motive aber nach dem Bundestagswahl-kampf wieder wirksam werden dürften. Die Beratungshilfere-form, die auch scheitern könnte, wird im Anschluss daranerörtert, da ihre Strukturen stark von der Prozesskostenhilfebeeinflusst sind (dazu D.). Ein Sonderkapitel wird dem Kampfum die Gerichtsgebühren bei den Sozialgerichten gewidmet,weil die einschneidendste Sozialrechtsreform des letztenJahrzehnts mit den Hartz-Gesetzen noch nicht verdaut wor-den ist und Massenklagen wegen zu geringer Hilfesätze, ins-besondere für Kinder auslöst (dazu E.), bevor der Versuch

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Gleicher Zugang zum Recht für alleVon Prof. Dr. Peter Derleder, Bremen

1 Die VwGO vom 21.01.1960 (BGBl. I, 17) schuf erstmals eine Allzuständig-keit der Verwaltungsgerichte bei öffentlichrechtlichen Streitigkeiten.

2 Zum 01.01.1981 ersetzte das Recht der Prozesskostenhilfe das bisherigeArmenrecht aufgrund des Gesetzes vom 13.06.1980 (BGBl. I, 677).

3 Durch Gesetz vom 18.06.1980 (BGBl. I, 689).4 So kann nach der Judikatur des BGH Wiedereinsetzung gegen die Versäu-

mung einer Rechtsmittelfrist nach §§ 233 ff. ZPO gewährt werden, wenninnerhalb der Rechtsmittelfrist der Vordruck nach § 117 IV ZPO für dieGewährung von Prozesskostenhilfe ausgefüllt worden ist (BGH, FamRZ2006, 1028).

5 Siehe dazu insbesondere etwa Kübler, Verrechtlichung von Wirtschaft,Arbeit und sozialer Solidarität, stw 537, 1985.

6 Siehe etwa Schultheis/Schulz, Gesellschaft mit begrenzter Haftung, 2005.7 Vgl. Feather/Lash-Welsch, Spaces of Culture, Nation, World, 1999, S. 194

ff.

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8 BVerfG 9, 124, 130 f.; 10, 264, 270 f.; 22, 83, 86; 51, 295, 302; 63, 380, 394.9 BVerfG 81, 347, 356.10 BVerfG 63, 380, 394.11 BVerfG 63, 380, 395.12 BVerfG 81, 347, 357.13 BVerfG, NJW 2008, 209.14 Siehe dazu bereits die Kritik des NRW-Justizstaatsekretärs Jan Söffing v.

26.09.2008.15 Pressemitteilung vom 19.05.2006.16 BR-Drucks. 250/06.17 BR-Drucks. 250/06 S. 44.18 Siehe z. B. OLG Hamm, NJW-RR 1999, 1737.19 Siehe insbesondere BVerfG, NJW-RR 2005, 140. Danach ist eine vorwegge-

nommene Beweiswürdigung ausnahmsweise zulässig, wenn konkrete undnachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Beweisauf-nahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Partei ausgehen wird.

unternommen wird, allgemeine Folgerungen für den Rechts-bedarf und den Anwaltsmarkt (dazu F.) zu ziehen.

B. Die verfassungsrechtliche Ausgangslage

Das BVerfG hat schon sehr früh aus dem Sozialstaatsprinzipund dem allgemeinen Gleichheitssatz die Forderung nacheiner „weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittel-ten und Unbemittelten im Bereich des Rechtsschutzes“ abge-leitet.8 Diese Forderung hat es später unter ausdrücklicherBerufung auf den Rechtsstaatsgrundsatz des Art. 20 III GG mitder Erwägung begründet, die Verweisung der Beteiligten zurDurchsetzung ihrer Rechte vor die Gerichte bedinge zugleich,dass der Staat Gerichte einrichte und den Zugang zu ihnenjedermann in grundsätzlich gleicher Weise eröffne.9 Danachdarf Unbemittelten die Rechtsverfolgung und Rechtsverteidi-gung im Vergleich zu Bemittelten nicht unverhältnismäßigerschwert werden.10 Der Unbemittelte muss grundsätzlichebenso wirksamen Rechtsschutz in Anspruch nehmen kön-nen wie ein Begüterter.11 Er muss einem solchen Bemitteltengleichgestellt werden, der seine Aussichten vernünftig abwägtund dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt.12 DieseRechtsgrundsätze gelten zunächst für die Angleichung Unbe-mittelter an die Rechtsstellung Bemittelter für den gericht-lichen Rechtsschutz. Durch Entscheidung des 1. Senats desBVerfG vom 14.10.200813 sind sie jedoch auch auf den außer-gerichtlichen Rechtsschutz erstreckt worden.

C. Die Prozesskostenhilfe

Ende Februar 2009 ist endgültig klargeworden, dass die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag die Reform der Prozesskos-tenhilfe nicht tragen wird und der dazu vorgelegte Gesetzent-wurf keine Aussicht auf Realisierung hat.14 Der Anstoß zu die-ser Reform war von den Ländern Baden-Württemberg undNiedersachsen ausgegangen. Aufgrund des festgestellten über-proportionalen Anstiegs der Aufwendungen der Länder fürProzesskostenhilfe sollte eine Begrenzung versucht werden.Der baden-württembergische Justizminister Goll15 sprach voneinem bundesweiten Einsparpotenzial in der Größenordnungvon jährlich 100 Mio. Euro. Es kam dann auch zu einerBeschlussfassung im Bundesrat, bei der sowohl CDU- wie eini-ge SPD-regierte Länder der Gesetzesinitiative zustimmten. DerGesetzentwurf sollte vier Ziele verfolgen, die Bekämpfung desMissbrauchs der Prozesskostenhilfe durch mutwillige Rechts-verfolgung, die Verbesserung der Vorschriften über das Ver-fahren zur Erfassung der persönlichen und wirtschaftlichenVerhältnisse der Antragsteller, die Übertragung der Bedürftig-keitsprüfung auf den Rechtspfleger und eine verstärkte Eigen-beteiligung der Antragsteller, indem die Freibeträge für dasEinkommen des Antragstellers an das sozialhilferechtlicheExistenzminimum angeglichen werden sollten. Wer über einhöheres Einkommen als diese Freibeträge verfügte, sollte anden Prozesskosten durch Ratenzahlungen beteiligt werden.Die Ratenzahlung sollte aber nicht mehr nach 48 Monatenenden, sondern erst dann, wenn die Kosten tatsächlichgedeckt sein würden. Bei höherem Einkommen sollten auchBankkredite in Anspruch genommen werden müssen sowieweiterhin das aus dem Rechtsstreit Erlangte.

Im Einzelnen hieß es in dem Gesetzentwurf16 zur Mutwillig-keit in dem geplanten § 114 II ZPO: „Mutwillig ist die Rechts-verfolgung oder Rechtsverteidigung, soweit eine nicht Prozess-kostenhilfe beanspruchende Partei bei verständiger Würdi-

gung aller Umstände trotz hinreichender Aussicht auf Erfolgvon der beabsichtigten Prozessführung absehen würde. Dies istauch dann der Fall, wenn die Kosten der Prozessführung unterBerücksichtigung des erstrebten wirtschaftlichen Vorteils, derErfolgsaussicht und gegebenenfalls der Aussicht auf Durchsetz-barkeit des erstrebten Titels unverhältnismäßig erscheinen.“Hervorzuheben ist ferner der neu einzufügende § 120 a ZPO.Hat die Partei durch die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidi-gung, für die ihr Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, etwaserlangt, hat sie die Kosten der Prozessführung aus dem Erlang-ten aufzubringen, heißt es in Abs. 1 Satz 1. Nach § 120 a III desEntwurfs sollte bereits eine vorläufig vollstreckbare Entschei-dung eine Gerichtsentscheidung über die zu leistenden Zah-lungen auslösen, allerdings mit der Möglichkeit der Stundung.

Neu vorgesehen war ferner eine Vorschrift (in § 124 Satz 2ZPO), nach der das Gericht die Bewilligung der Prozesskos-tenhilfe insoweit aufheben kann, als ein von der Partei ange-tretener zu erhebender Beweis aufgrund von Umständen, dieim Zeitpunkt der Bewilligung noch nicht berücksichtigt wer-den konnten, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg mehrbietet oder mutwillig erscheint, so etwa, wenn ein unter-haltsberechtigter Ehegatte eine inzwischen verfestigte neueBeziehung eingegangen ist. Die intensivere Prüfung der wirt-schaftlichen Voraussetzungen der bedürftigen Partei soll überentsprechende Einwilligungserklärungen des Antragstellersnach § 117 II ZPO-E, § 118 II 3 ZPO-E verwirklicht werden.Sollte eine solche Einwilligung nicht erteilt werden, sollte derAntrag auf Bewilligung abgelehnt werden. Der Antragsgegnersollte auch wieder Einblick in die persönlichen und wirt-schaftlichen Verhältnisse des Antragstellers erhalten, was vorallem von Familienrechtlern begrüßt wurde.

Über die Auswirkungen des zu erwartenden Gesetzes wurdeschon detailreich diskutiert. Der Bundesrat vertrat in seinerBegründung17 sogar den Standpunkt, mutwillig beantrageProzesskostenhilfe, wer sich nicht in zumutbarem Maß umeine gütliche Einigung bemüht habe. Mutwilligkeit könneauch bei der Ablehnung von Mediationsangeboten oderohne vorgängige Prüfung einer Behandlung durch die Gut-achterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bejahtwerden. Die Mutwilligkeit der Klage gegen völlig vermögens-lose Beklagte war auch schon in der Vergangenheit weitge-hend anerkannt,18 abgesehen von Unterhaltsansprüchen, dieüber eine strafrechtliche Sanktion dann doch noch realisier-bar werden könnten. Diskutiert wurde schon in der Vergan-genheit vielfach über eine mögliche Beweisantizipation beider Prüfung der Erfolgsaussicht und der Mutwilligkeit. Wersich zum Beweis für bestrittene Tatsachen auf die Verneh-mung der Gegenpartei beruft, hat oft schon in der Vergan-genheit keine Prozesskostenhilfe erhalten.19

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Bei der parlamentarischen Auseinandersetzung über denGesetzentwurf argumentierte der Abgeordnete Neskovic,20

jeder Gutbetuchte könne jahrelang um einen Kleckerbetragprozessieren, während für einen Prozesskostenhilfeantrageines Mittellosen Einsatz und Gewinn des Verfahrens ins Ver-hältnis gesetzt würden. Für die Antragsteller sei ein Klecker-betrag häufig eine sehr bedeutende Summe. Den Antragstel-lern werde noch nicht einmal eine Chance gegeben zubegründen, dass die Einholung der vorgesehenen Auskünfteaufgrund der konkreten Umstände nicht gerechtfertigt sei.Beklagt wurde, dass jedem Antragsteller, der sich auch nurknapp über dem geschützten Existenzminimum befinde, eineZahlungspflicht von 50 B auferlegt werde, die die Gegenseiteselbst im Fall ihres Unterliegens nicht zu übernehmen habe.Ferner wurde kritisiert, dass der Entwurf die ratenfreie Pro-zesskostenhilfe praktisch neu definiere, indem er das einzu-setzende Schoneinkommen halbiere.

Was die bisherige Praxis der Prozesskostenhilfe angeht, sosind sehr unterschiedliche Tendenzen festzustellen. DasBVerfG hat einer Klägerin Prozesskostenhilfe gewährt, dienach erfolgloser Klage gegen die Höhe der Hartz IV-Regelleis-tungen vor dem BSG sich mittels einer Verfassungsbeschwer-de dagegen zur Wehr setzen wollte.21 In eine besondereKlemme kam beim 6. Zivilsenat des BGH ein Antragsteller,dessen Rechtsanwalt bereit war, die Berufung auch ohne dieBewilligung von Prozesskostenhilfe zu begründen und derauch vor Ablauf der Begründungsfrist eine vollständige alsEntwurf bezeichnete Berufsbegründungsschrift eingereichthatte. Der BGH entschied hier,22 dass dann die Mittellosig-keit des Antragstellers wegen dieser Bereitschaft seinesAnwalts für die Fristversäumung nicht kausal geworden sei,sodass keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährtwerden könne.

Der Hessische VGH hat in einem Beschluss vom 16.05.2000die Auffassung vertreten, bei einer Klage auf Hochschulzulas-sung sei die Prozesskostenhilfe zu versagen, wenn die Erfolgs-chance nur gering sei. Dies wurde in einem Fall angenom-men, wo auf 221 Studienbewerber nur 27 freie Studienplätzekamen.23 Ein Scheidungsantrag ist zwar nicht mutwillig,wenn es sich um eine Scheinehe handelt. Prozesskostenhilfekann jedoch wegen verschuldeter Bedürftigkeit versagt wer-den, wenn keine Rücklage für das Scheidungsverfahren gebil-det worden ist.24 Dann kann nach verbreiteter Recht-sprechung Prozesskostenhilfe versagt werden, wenn schondie Eheschließung (wegen Scheinehe) rechtsmissbräuchlichwar.25

Bedeutsam ist auch die Gewährung von Prozesskostenhilfebei Stellung eines Antrags auf Durchführung eines Verbrau-cherinsolvenzverfahrens mit dem Ziel der Restschuldbefrei-ung nebst Antrag auf Anwaltsbeiordnung. Insoweit ist aner-kannt, dass die Vorschriften der InsO über die Verfahrenskos-tenstundung nach den §§ 4 a ff. InsO das Rechtsinstitut derProzesskostenhilfe für den Schuldnerantrag nicht vollständigverdrängen. Der Schuldner kann jedoch für das Stundungs-verfahren selbst nicht grundsätzlich die Beiordnung einesRechtsanwalts verlangen.26 Dafür wird die Begründung ange-führt, dass die Stundungsregelung des § 4 a InsO in diesemVerfahrensabschnitt vorrangig sei. Kann der Schuldner dieVordrucke, trotz der ihm zuteilwerdenden gerichtlichen Für-sorge, nicht ohne weitergehende rechtliche Hilfe ausfüllen,betreffen diese Schwierigkeiten angeblich das Vorfeld einesInsolvenzeröffnungverfahrens und nicht das gerichtlicheVerfahren selbst, meint der Insolvenzrechtssenat des BGH.27

Er geht davon aus, dass der Schuldner insoweit Beratungshil-fe verlangen kann. Für die Masse der Schuldner, die ein Rest-schuldbefreiungsverfahren durchführen wollen, in aller RegelHartz IV-Empfänger, scheidet damit eine Anwaltsbeiordnungaus.

Fasst man die Entwicklungen im Prozesskostenhilferecht unddie Reformbemühungen zusammen, so erscheint es grund-sätzlich als ein richtiges Signal, dass die überschaubaren Auf-wendungen für die Gewährung gleichen Zugangs zum Rechtdurch Prozesskostenhilfebewilligung nicht in einer histori-schen Phase verkürzt werden, in der der Finanzmarkt außerKontrolle geraten ist und riesige staatliche Aufwendungennotwendig werden, um die Finanzmarktkrise zu überwindenund insolvenzreife Institute zu stützen, und in der diedadurch ausgelöste Rezession durch noch vor Kurzem unvor-stellbare Konjunkturprogramme bekämpft werden soll. Auchwenn deswegen auf ein falsches Signal verzichtet wird, blei-ben die Reformbemühungen mittelfristig teilweise berech-tigt. Hinsichtlich der Mutwilligkeit sind allerdings auch delege lata strengere Maßstäbe möglich, in die Verhältnismä-ßigkeitsüberlegungen eingehen können. Es ist zwar richtig,dass für den einen ein Kleckerbetrag sein kann, was für denanderen von erheblicher Bedeutung ist. Dennoch sollte derMaßstab für staatlich subventionierte RechtsstreitigkeitenUnbemittelter nicht an einem betuchten Prozesshansel fest-gemacht werden, der über alles und jedes einen Rechtsstreitführt, sondern an einem vernünftigen Rechtssubjekt, das voreinem Rechtsstreit immer auch eine gütliche Einigung mitgegenseitigem Nachgeben versucht und bei Kleinigkeitenkeine Prinzipienreiterei betreibt. Eine minimale Eigenbeteili-gung des Antragstellers, soweit das Existenzminimumgewahrt wird, kann in diese Richtung wirken. Das sozialhil-ferechtliche Existenzminimum einschließlich des altersge-rechten Schonvermögens darf jedoch nicht angetastet wer-den. Gegen eine Überprüfung der Angaben zu den wirt-schaftlichen Verhältnissen, auch aufgrund behördlicher Aus-künfte und entsprechender Einwilligungen, ist nichts einzu-wenden, soweit der Prozessgegner damit nicht vertrautgemacht wird. Von der Übertragung der Bedürftigkeitsprü-fung auf den Rechtspfleger oder auf die Sozialbehörden istdagegen nichts zu halten, da damit die Sachzusammenhängeder richterlichen Prozesskostenhilfeprüfung auseinanderge-rissen würden.

D. Die Reform der Beratungshilfe

Eine gleichgerichtete Reform ist bei der Beratungshilfe inGang gekommen. Der Bundesrat hat mit Beschluss vom10.10.200828 einen Entwurf zur Änderung des Beratungshil-ferechts verabschiedet. Es liegt nahe, dass auch dieser Gesetz-entwurf wegen seiner falschen Signalwirkung auf das Vetoder SPD-Bundestagsfraktion trifft und demgemäß nichtGesetz wird. Auch dieser Entwurf knüpft an den Anstieg derAusgaben für die Beratungshilfe an, die gegenwärtig etwa 90Mio. Euro betragen. Im Jahr 2004 auf das Jahr 2005 war der

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20 Rede bei der 1. Lesung des Gesetzentwurfs am 10.05.2007.21 Im Verfahren 1 BvR 1523/08.22 BGH, NJW 2008, 1855.23 HessVGH, Beschl. v. 16.05.2000, Az.: 8 MA 822/00.W9. 24 BGH, NJW 2005, 2781.25 S. schon OLG Hamm, FamRZ 1982, 1073.26 BGH, NZI 2003, 556, 557.27 BGH, Urt. v. 22.03.2007, Az.: IX ZB 94/06.28 BR-Drucks. 648/08.

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29 BVerfG, NJW 2008, 209.

Anstieg sprunghaft, wohl vor allem wegen des neuen Rechts-anwaltsvergütungsgesetzes (RVG), danach eher kontinuier-lich. Eine erhebliche Rolle spielte auch die Zunahme der Ver-braucherinsolvenzverfahren mit dem Ziel der Restschuldbe-freiung. Die Eröffnung eines solchen Verfahrens setzt die Vor-lage einer Bescheinigung über einen erfolglosen außerge-richtlichen Einigungsversuch mit den Gläubigern gem. § 305I Nr. 1 InsO voraus, die in erheblichem Umfang von Rechts-anwälten im Rahmen von Beratungshilfe ausgestellt wird.Die Zunahme überschuldeter Privathaushalte und derAnstieg der Zahl der Verbraucherinsolvenzen haben daherauch zu einem größeren Geschäftsanfall in Beratungshilfesa-chen geführt. In der Begründung des Gesetzentwurfs sindauch sog. Vielfachantragsteller als Belastung angeführt, eineretwa aus Nordrhein-Westfalen mit 34 Anträgen in zwei Jah-ren, ohne dass dafür jedoch eine aussagekräftige Statistik vor-gelegt worden wäre. Ferner wurde darauf hingewiesen, dassvielfach Regelungen von Alltagsproblemen im Rahmen derBeratungshilfe erfolgten, so etwa mit der Hinzuziehung einesRechtsanwalts als Zeugen bei einem Wohnungsabnahmeter-min oder mit der Nachforschung nach einem überwiesenen,aber nicht eingegangenen Kapitalversicherungsbetrag. Eswurde argumentiert, das derzeitige Beratungshilferecht leideunter unkonturierten Gesetzesbegriffen, Strukturschwächendes Bewilligungsverfahrens und einer darauf beruhendenuneinheitlichen Rechtsanwendung mit ganz unterschied-lichen Zurückweisungsquoten. Außerdem wurde ausgeführt,das neue RVG könne man unter dem Blickwinkel der Ausga-ben im Beratungshilferecht nicht revidieren. Vielmehr seiendiejenigen Spielräume zu nutzen, die sich vorrangig aus demBeratungshilferecht selbst ergäben.

Zulässig sei deswegen die Versagung von Beratungshilfe inFällen, in denen ein verständiger Selbstzahler von der Inan-spruchnahme anwaltlicher Hilfe absehen würde. Demgemäßsoll in § 1 I Nr. 3 die Mutwilligkeitsprüfung ausdrücklich aufdie Inanspruchnahme von Beratungshilfe bezogen werden,während bisher nur die Wahrnehmung der Rechte mutwilligsein konnte. Mutwilligkeit soll nach einem neu einzufügen-den § 1 Abs. 4 vorliegen, soweit ein Rechtssuchender, dernicht Beratungshilfe beansprucht, bei verständiger Würdi-gung aller Umstände von der Beratung oder Vertretung durcheinen Rechtsanwalt auf eigene Kosten absehen würde. § 2 IBerHG soll mit dem Satz ergänzt werden: „Eine Vertretung istnur erforderlich, wenn der Rechtssuchende nach der Bera-tung angesichts des Umfangs, der Schwierigkeit oder derBedeutung der Rechtsangelegenheit seine Rechte nicht selbstwahrnehmen kann“. Auffällig ist hier, dass die geplanteBestimmung nicht auf die persönliche Beratungsbedürftig-keit des Antragstellers abstellt, obwohl für den einen kom-plex sein kann, was für den anderen leicht zu handhaben ist.§ 2 II des BerHG bezieht sich bisher auf einen abschließendenKatalog von Materien, vom Zivilrecht über das Verwaltungs-recht und das Verfassungsrecht zum Sozialrecht. Nachdemdas BVerfG steuerrechtliche Beratungshilfe für verfassungs-rechtlich geboten erklärt hat, wird eine grundsätzliche Erstre-ckung auf sämtliche Rechtsmaterien zu erwägen sein.

Beratungshilfe ist nach § 1 I Nr. 2 des bisherigen Gesetzesnicht geboten, wenn andere Möglichkeiten für eine Hilfe zurVerfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtssu-chenden zuzumuten ist. Daran soll ein neuer Abs. 3anschließen, nach dem Verzeichnisse über andere Möglich-keiten für Hilfe geführt werden sollen. Das steht imZusammenhang mit der Erweiterung der Beratungsstellen in

§ 12 III des Entwurfs, nach dem auch außerhalb der Stadt-staaten eine öffentliche Rechtsberatung eingeführt werdenkann oder anwaltliche Beratungsstellen mit ausschließlicherZuständigkeit eingeführt werden können. Damit soll dieBeratung durch einen vom Antragsteller ausgewählten Ein-zelanwalt zurückgedrängt werden.

In der Praxis hat sich ergeben, dass in der ganz überwiegen-den Zahl der Beratungshilfefälle nicht nur eine Beratung,sondern auch eine Vertretung durch den Rechtsanwalt nachaußen erfolgt, etwa durch Schriftverkehr, Telefonate und per-sönliche Vorsprache, womit anstelle der Beratungsgebühr inHöhe von 30 Euro die Vertretungsgebühr in Höhe von 70Euro angefallen ist. Daraus wird hergeleitet, dass auf der Basisdes neuen § 2 I Nr. 2 BerHG-E eine strengere Erforderlich-keitsprüfung für die Vertretung eingeführt werden soll.

Als Verfahrensverbesserung soll in § 4 II des Gesetzes einePflicht zur Antragstellung vor Gewährung der Beratungshilfeverankert werden. Dies soll dazu führen, dass sich der Rechts-pfleger bei der Bewilligung nicht mit Rechtsanwälten ausein-andersetzen muss, die bereits eine Leistung erbracht haben.Desgleichen sollen die Aufklärungsmöglichkeiten desGerichts in ähnlicher Weise verbessert werden, wie diesschon beim Prozesskostenhilferecht erörtert worden ist, alsoinsbesondere etwa auf der Basis von Einwilligungen zubehördlichen Auskünften. Zudem soll in einem neuen § 6 IVein Erinnerungsrecht der Staatskasse eingeführt werden.Schließlich soll die Eigenbeteiligung des Antragstellers ange-hoben werden, hinsichtlich der Beratungshilfegebühr für denFall der Vertretung auf 20 Euro. Damit soll der Anreiz zurselbstständigen Wahrnehmung der Rechte nach durchge-führter Beratung verstärkt werden.

Dagegen hat das BVerfG gegenläufig zu der Reform in seinerbereits erwähnten Entscheidung vom 14.10.2008 § 2 IIBerHG für mit Art. 3 I GG unvereinbar erklärt, soweit dieGewährung von Beratungshilfe nicht auch für Angelegenhei-ten des Steuerrechts ermöglicht ist.29 Eine Mutter hattewegen eines Bescheides der Familienkasse Berlin-Süd über dieErstattung zu viel gezahlten Kindergeldes Beratungshilfe inAnspruch nehmen wollen. Der hierauf gerichtete Antrag warzurückgewiesen worden. Ihre Verfassungsbeschwerde warerfolgreich. Der allgemeine Gleichheitssatz verlange in Ver-bindung mit dem Sozialstaats- und dem Rechtsstaatsprinzip,dass der Gesetzgeber auch im außergerichtlichen Bereich dieerforderlichen Vorkehrungen treffe, damit der Rechtsuchen-de mit der Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechtenicht von vorneherein an mangelnden Einkünften oderungenügendem Vermögen scheitere, führte das BVerfG aus.Das Prinzip des gleichen Rechtszugangs, unabhängig vonEinkünften und Vermögen, gilt danach auch für den außer-gerichtlichen Bereich. Angesichts der rechtlichen Durchdrin-gung nahezu aller Lebensbereiche und der häufig hohenKomplexität und wechselseitigen Verknüpfung der Regelun-gen, sei der Bürger vielfach auf fachkundigen Rechtsrat ange-wiesen, um seine Rechte erkennen, bewerten und darüberentscheiden zu können, ob und mit welchen Erfolgsaussich-ten er sie durchsetzen könne. Der Unbemittelte brauche abernur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, derbei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme vonRechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berück-sichtige und vernünftig abwäge. Der Rechtsuchende dürfe

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auf zumutbare andere Möglichkeiten für eine fachkundigeHilfe verwiesen werden. Auch dem nicht ausreichendBemittelten müsse fachkundiger Rechtsrat zugänglich sein,wenn dessen Inanspruchnahme zur außergerichtlichenRechtswahrnehmung auch unter vernünftiger Berücksichti-gung der damit verbundenen Kosten gerechtfertigt erscheine.Eine Differenzierung zwischen sozialrechtlichen Angelegen-heiten, für die Beratungshilfe gewährt werde, und steuer-rechtlichen könne keinen Bestand haben, da hierfür keinsachlich tragfähiger Grund mehr bestehe. Bei Streitigkeitenhinsichtlich des sozialrechtlichen Kindergeldes sei Beratungs-hilfe eröffnet, sodass für das steuerrechtliche Kindergeldnicht anderes gelten könne. Das Argument, dass Rechtsbera-tung auf dem Gebiet des Steuerrechts für Unbemittelte keinvordringliches Problem sei, sei schon deswegen unberechtigt,weil der Anspruch auf Gewährung des steuerrechtlichen Kin-dergeldes dem Grunde nach von dem zu versteuernden Ein-kommen und Vermögen unabhängig sei. Für die Übergangs-zeit bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung der Bera-tungshilfe durch den Gesetzgeber sei Beratungshilfe grund-sätzlich auch auf dem Gebiet des Steuerrechts zu gewähren.

Verfolgt man die Internetkommunikation Betroffener, dannkann man ihre Gänge zwischen Anwalt und Amtsgericht, wosie den Beratungsschein erhalten sollen, nachvollziehen. Sowird etwa diskutiert, ob Hartz IV-Empfänger in allen Länderndie Kontoauszüge für drei Monate vorlegen müssen und wodiese bleiben werden. Schon jetzt ist die praktische Schwellefür die Beratungshilfe nicht unerheblich, sodass nur Men-schen mit viel Eigeninitiative ihre Rechte ausschöpfen kön-nen.

Insgesamt ist der Bundesratsentwurf zu eindimensional vonder Absicht zur Begrenzung der Beratungshilfeausgabengeprägt. Der gegenwärtige Aufwand in der Größenordnungvon knapp 100 Mio. Euro erscheint im Hinblick auf denwachsenden rechtlichen Beratungsbedarf in existenziellenLebenslagen keineswegs als dramatisch. Beratungshilfe durchbloße Beratung ist in den meisten Fällen auch ungenügend,da dem Antragsteller die Umsetzung eines erteilten Rats,schriftlich oder telefonisch, meist noch schwerer fallen wirdals das Verständnis des Rechtsproblems. Es ist auch darauf zuachten, dass die Nachweisobliegenheiten und die Überprü-fungspflichten nicht außer Verhältnis zu dem rechtlichenBegehren geraten. Die Erwägung, die Rechtspfleger vor einerKonfrontation mit Anwälten zu bewahren, die schon eineBeratungsleistung erbracht haben, ist sogar sachwidrig. Sozi-alpsychologisch ist es sehr gut nachvollziehbar, dass einRechtsuchender zunächst einmal eine kooperationsbereiteBezugsperson sucht und sich dann erst um die Finanzierungkümmert. In jedem Fall müsste dem Antragsteller eine beson-dere Begründung dafür eröffnet werden, dass er zunächstwegen der besonderen Dringlichkeit oder Existenzialität sei-nes Beratungsbedarfs den Anwalt aufgesucht hat.

Vergleichsweise erweist sich somit die Prozesskostenhilfere-form wenigstens in einigen Elementen als triftig. Die Bera-tungshilfereform lässt dagegen ein gehöriges Maß an Unver-ständnis über das Maß des Beratungsbedarfs in einer hoch-komplexen und heterogenen Gesellschaft erkennen.

E. Die Sozialgerichtsgebühren

Noch immer verordnet § 183 SGG Kostenfreiheit. Danach istdas Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für

Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebe-nenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechts-nachfolger kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigen-schaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Das letzte Ände-rungsgesetz zum SGG30 wurde noch ohne die Aufhebung derKostenfreiheit beschlossen. Dessen ungeachtet wollen vorallem die von CDU und FDP geführten Länderkoalitionenweiterhin der gravierenden Zunahme der Sozialgerichtsver-fahren durch Gerichtsgebühren entgegentreten. Begründetwird dies mit den überproportional steigenden Kosten beiden Sozialgerichten, die seit 2005 weitgehend für die Prozes-se der Hartz IV-Empfänger zuständig sind. Viele Hartz IV-Bescheide sind fehlerhaft, und ein Drittel der gerichtlichenVerfahren dagegen ist erfolgreich. Die Klagewelle reißt nichtab, wie die Sozialgerichte der verschiedenen Instanzen ver-melden. Der Präsident des BSG, Peter Masuch, plädiert füreine materiellrechtliche Reform,31 da die Mittel für die Kin-der unzureichend seien. Er hält auch die Regelungen über dieAnrechnung und die Wohnkostentragung für reformbedürf-tig. Im Jahr 2008 seien 175.000 neue Hartz IV-Verfahren beiden Sozialgerichten gezählt worden, 28 % mehr als im Vor-jahr. Die Hartz IV-Verfahren machten etwa ein Drittel dergesamten sozialgerichtlichen Verfahren aus. Beim größtendeutschen Sozialgericht in Berlin ist die Zahl der Hartz IV-Fälle auf 60.000 angestiegen. Ein durchschnittliches Hartz IV-Verfahren dauert inzwischen in erster Instanz ein Jahr.

Eine erhebliche Eindämmung der Verfahren versprechensich, wie erwähnt, manche Länder von der Aufhebung derKostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens. Zu beden-ken sind auch die weiteren Prozesskosten. Bisher kann nach§ 192 SGG das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweisedie Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dassdurch Verschulden der Beteiligten der Rechtsstreit verzögertworden ist oder der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt,obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit derRechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dargelegt wordenist. Viele Verfahren würden sich danach erübrigen, wenn dieAgenturen im Wege vorläufiger Bescheide32 versprechen wür-den, auch ohne einen weiteren Sozialgerichtsprozess die Leis-tungen zu erbringen, die in einem Musterprozess zuerkanntwerden. Seine außergerichtlichen Kosten muss jeder Beteilig-te grundsätzlich selbst tragen. Gemäß § 193 I 1 SGG hat dasGericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchemUmfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben.Die Kosten sind gem. § 193 II SGG die zur zweckentspre-chenden Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung notwen-digen Aufwendungen, wobei gem. § 193 III SGG die gesetz-lichen Gebühren und die notwendigen Auslagen einesRechtsanwalts oder eines Rechtsbeistandes stets erstattungs-fähig sind. Prozesskostenhilfe kann gem. § 73 a SGG i. V. mit§§ 114 ff. ZPO gewährt werden. Gem. § 73 I SGG können dieBeteiligten vor den Instanzgerichten der Sozialgerichtsbarkeitden Rechtsstreit selbst führen. Der Katalog der zulässigenBevollmächtigten ergibt sich aus § 73 II SGG, wobei auchberufsständische Vereinigungen und Gewerkschaften einbe-zogen werden. In Verbindung mit der Kostenfreiheit desgerichtlichen Verfahrens ist die Prozessführung im Sozialge-richtsverfahren gegenüber den anderen Rechtswegen somiterleichtert. Der Teil der Anwaltschaft, der sich im Sozialge-

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30 Siehe das Gesetz vom 21.12.2008 (BGBl. I, 2933).31 In seinen Jahresbericht für 2008 vom 22.1.2009.32 Wie im finanzgerichtlichen Verfahren.

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33 BT-Drucks. 663/03.34 Siehe § 144 SGB III.35 Nach § 22 SGB II und § 27 SGB XII.36 Siehe dazu § 7 III SGB II.37 Die öffentliche Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle (ÖRA) Hamburg

etwa hat verschiedene Wurzeln, so in den Rechtsberatung leistendenArbeitersekretariaten und den Rechtsschutzabteilungen der Frauenbewe-gung seit 1900. 1922 konstituierte sich die Öffentliche Rechtsauskunft undGütestelle (Ragü) als Vorläufer der ÖRA. Siehe die Festschrift zum 75-jäh-rigen Bestehen der ÖRA, 1997.

38 Siehe die Daten bei Hommerich/Kilian/Dreske, Statistisches Jahrbuch derAnwaltschaft 2007/2008.

39 Zum Stand der hochdifferenzierten Rechtsprechung bei Fehlern einerBetriebskostenabrechnung s. zuletzt Milger, NJW 2009, 625.

richtsverfahren engagiert, kann nur intrinsisch motiviertsein, da sich hinreichende Vergütungen im Hinblick auf dieEinkommens- und Vermögenslosigkeit der Mandanten unddie begrenzte Kostenerstattung meist nicht realisieren lassen.

Bereits mit einem Gesetzentwurf aus dem Jahre 200433 soll-ten Gerichtsgebühren für das Sozialgerichtsverfahren einge-führt werden. Damals waren 75 Euro Gerichtskostenvor-schuss als Voraussetzung einer gerichtlichen Überprüfung imGespräch. Damit würde aber insbesondere vielen Hartz IV-Empfängern, die auf bescheidenstem Niveau leben, die Chan-ce einer gerichtlichen Überprüfung eines Bescheids genom-men, mit dem etwa eine Sperrzeit wegen unzureichenderBemühung um Arbeit verhängt,34 die Unterkunftskostenzah-lung35 eingeschränkt oder eine Einkommensanrechnung wiein einer Bedarfsgemeinschaft36 angenommen worden ist. DasRechtsstaatsprinzip schließt es aber in jedem Fall aus, dassMinderbemittelte, die etwa als Hartz IV-Empfänger mangelsMöglichkeit eines Kostenbeitrags ihres sozialgerichtlichenRechtsschutzes verlustig gehen.

Die Einspareffekte sind zudem ungewiss, wenn die bisher vonder Kostenfreiheit Begünstigten Gerichtskosten vorschießenmüssten, aber Prozesskostenhilfe beantragen, also ihreErfolgsaussicht darlegen könnten. Insoweit ist aber eine Ein-dämmung der Prozessflut durch Eingrenzung auf aussichts-reiche Verfahren vertretbar. Wann der richtige Zeitpunktdafür gekommen ist, ist allerdings abzuwägen. Immerhinverdankt sich die aktuelle Prozessflut, wie schon eingangsdargelegt, der einschneidendsten Sozialrechtsreform des letz-ten Jahrzehnts, die den Betroffenen sehr viel zumutet. Des-wegen erscheint es vorzugswürdig, erst einmal die notwendi-gen sachlich-rechtlichen und verfahrensmäßigen Konkreti-sierungen der Hartz-Gesetzgebung abzuwarten, bevor dasPrinzip der Kostenfreiheit aufgegeben wird.

F. Rechtsbedarf und Anwaltsmarkt

Insgesamt erweisen sich die hier angesprochenen Reformini-tiativen, die aller Wahrscheinlichkeit nach in der nächstenLegislaturperiode wiederkehren werden, als weitgehend nichthinreichend durchdacht. Der zunehmende Verrechtlichungs-prozess der Gesellschaft macht auch einen Zuwachs an Auf-wendungen für die Subventionierung außergerichtlicher undgerichtlicher Konfliktlösungen für Minderbemittelte notwen-dig. Wo materiellrechtliche Verbesserungen eine Eindäm-mung des Maßes an prozessualer Auseinandersetzung ermög-lichen, sollten diese einer Begrenzung des Schutzes Minder-bemittelter vorangehen. Das schließt aber nicht aus, dass derMaßstab für die Rechtsschutzgewährung stets ein sozialreflektiertes Rechtssubjekt mit hinreichender Finanzausstat-tung ist. Daran dürfen sich die gerichtliche Praxis und auchder Gesetzgeber orientieren.

Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe sind im Wesentlichenauf die Anwaltschaft gerichtet. Die öffentliche Rechtsbera-tung hat teilweise zwar eine lange Tradition37 und einegewisse Solidität, insoweit aber ein eingebautes Defizit, alsstaatliche Einrichtungen nicht zugunsten einzelner Privat-rechtssubjekte Partei ergreifen dürfen, etwa durch Telefonateund Schriftsätze. Insoweit besteht also hier für den erteiltenRat ein Umsetzungsdefizit. Es bleibt dabei, dass sich bei einerUmsetzungsinitiative auch die Unbemittelten der Anwalt-schaft bedienen müssen, falls sie nicht allein zurechtkom-men.

Das Bild der Anwaltschaft38 hat sich in den beiden letztenJahrzehnten ganz erheblich gewandelt. An die Stelle standes-rechtlich gebotener Zurückhaltung ist – auch unter dem Ein-fluss des europäischen Rechts – die Vermarktung getreten, diereißerische Werbeformen einschließt. Man kann schon anStraßenbahnzügen großflächig aufgemalte Werbung fürAnwaltspraxen finden, die sich weitreichender Kompetenzenberühmen. Die Heterogenität der Anwaltschaft nimmt auchdadurch zu, dass in den letzten Jahren die Zahl der in derAusbildung befindlichen Juristen die Zahl der in einem juris-tischen Beruf Tätigen überstiegen hat, wobei 80 % der erfolg-reichen Universitätsabsolventen ohnehin in den Anwaltsbe-ruf drängen. Die Nachwuchsgeneration muss sich wegen desgewaltigen Angebotsüberhangs zum Teil mit drückendenBedingungen für Anfänger auseinandersetzen, bis hin zu denunentgeltlich tätigen, als Praktikanten bezeichneten Freibe-ruflern, die wenigstens den Anschluss an die anwaltlicheBerufswelt wahren wollen. Ein anderer Teil der Anwaltschaftversucht mit Billigstangeboten Mandanten zu gewinnen,auch im Internet, wo dann für jede Kommunikationsminuteein Minimalbetrag zu zahlen ist. Die Betreuung durch derartan den Rand gedrängte Anwälte dürfte häufig wegen derendiskontinuierlicher Berufstätigkeit mit einem Qualitätsdefizitverbunden sein.

Auch den bemittelten Mandanten ist es allerdings trotz desAusbaus des Zertifikatwesens innerhalb der Anwaltschaft sehrschwer gemacht, einen kompetenten Berater oder Prozessbe-vollmächtigten zu finden. Die von der Anwaltschaft einge-führten ungeprüften Angaben zu den jeweiligen Tätigkeits-schwerpunkten haben eine geringe Aussagekraft. Der Fach-anwaltsausbildung hat sich die Anwaltschaft, auch die älte-ren Jahrgänge, zwar in respektabler Weise gestellt, wobeijeder, der Fachanwälte ausgebildet hat, die Breite des Spek-trums der Qualifikation von den fast Ungeeigneten bis zuden Hochkompetenten bestätigen kann. Nur die wenigstenTräger der Fachanwaltsausbildung leisten sich ins Gewichtfallende Quoten endgültig gescheiterter Kandidaten. Dieunbegrenzten Wiederholungsmöglichkeiten tun das ihre. ImÜbrigen geht die Spezialisierung aufgrund des zunehmendenVerrechtlichungsprozesses munter voran, was jedoch teil-weise Kompetenzverluste bei den allgemeinen Rechtsmate-rien oder den Nachbargebieten zur Folge hat.

Hinzu kommt, dass die ständig zunehmende Komplexität derRechtsordnung den Zugang des Laien zum Recht immermehr verbaut. Bereits vor Jahrzehnten hat Altkanzler HelmutSchmidt gern darauf hingewiesen, dass Betriebskostenabrech-nungen für Mieter nicht oder kaum nachzuvollziehen seien.Inzwischen ist das Betriebskostenrecht noch viel weiter aus-differenziert worden, sodass sich auch die Bundesrichter deszuständigen VIII. Zivilsenats des BGH erst längere Zeit einar-beiten müssen, bevor sie die Judikatur fortsetzen können.39

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Ganz und gar unzugänglich zu werden droht dem Laien dasvon fragmentarisierenden europäischen Richtlinien determi-nierte deutsche Recht. Zwar macht der deutsche Gesetzgebernoch erhebliche Anstrengungen, um die europarechtlich ver-anlassten Reformen systematisch einzubauen. So hat etwa dieVerbrauchsgüterkaufrichtlinie40 zu einer grundlegendenReform des Leistungsstörungsrechts in Deutschland geführt,mit dem Versuch zur systematischen Harmonisierung vonVerbraucherkaufrecht und allgemeinem Leistungsstörungs-recht. Viele andere Mitgliedstaaten der EU haben stattdesseneinfach die Richtlinie abgeschrieben und überlassen es dannder Praxis, wie sich diese Normen zu dem sonstigen Recht desMitgliedstaats verhalten. Die dadurch entstehende Unüber-sichtlichkeit bedroht aber auf vielen Sektoren auch das deut-sche Recht. Gegenwärtig läuft etwa die Umsetzung der Ver-braucherkreditrichtlinie.41 Die europäische Richtlinie hatallein 51 Erwägungsgründe, die für eine teleologische Ausle-gung Anknüpfungspunkt sein können, und stellt einen inendlosen Beratungen entstandenen, die heterogensten Inte-ressen verwurstenden Kompromiss dar, der aus damaligerneoliberaler Sicht das Verbraucherschutzniveau absenkt, umden Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt anzuheizen.Dass dies in der Finanzmarktkrise eine überholte Zielsetzungist, kann leider nicht mehr berücksichtigt werden, sodassetwa der finanzierte Derivatekauf des Verbrauchers erstmalsins Gesetzbuch gelangen wird. Die europäische Richtliniebringt eine teilweise Vollharmonisierung, aber eine Vielzahlvon Ausnahmekatalogen.

Der deutsche Gesetzgeber hat bisher darauf in der Weise rea-giert, dass er zur Vermeidung einer völligen Überlastung desBGB einen Teil der Gesamtregelung in das EGBGB auslagernwill, wo dann allerdings wiederum auf das BGB zu verweisenist.42 Ferner wird ein Katalog von gesetzlichen Mustern gebo-ten, die den Unternehmern Sicherheit bei der Erfüllung dervorvertraglichen Informationspflichten und der Belehrungüber das Widerrufsrecht geben sollen. Das Verbraucherkredit-recht stellt eine der wichtigsten Rechtsmaterien für (insbe-sondere minderbemittelte) Verbraucher dar und wird imZusammenwirken von europäischem und nationalemGesetzgeber so ausgestaltet, dass ohne einen recht gutenAnwalt keine Klarheit zu schaffen ist. Das ist als Angebot andie Haushalte Unbemittelter schlicht eine Gesetzgebungska-tastrophe. Der Zugang zum Recht wird damit entscheidenderschwert. Die leitenden Ideen auf diesem Rechtssektor sindkeineswegs so substanzreich, dass es einer derartig komplex-en Gesetzgebung bedürfte. Schon bisher haben die Verbrau-cher kaum grenzüberschreitende Kreditverträge abgeschlos-sen, weil sie das verhältnismäßig komplexe Geschäft nichtmit Übersetzungslasten beschweren wollten. Die simple Idee,durch grenzüberschreitenden Verkehr ein wenig zum Wett-bewerb innerhalb der EU beizutragen und womöglich durchden Wettbewerb die Zinslasten etwas zu senken, was im Hin-blick auf die sonstigen Determinanten des Zinses und dierechtskulturellen Unterschiede der Mitgliedstaaten eine über-triebene Hoffnung ist, führt dazu, dass der Zugang zum Recht

ganz allgemein, vor allem aber für Haushalte erschwert wird,die schon bisher im Verschuldungsprozess begriffen sind.

Am Ende bleibt noch zu überlegen, wie sich der neoliberalreorganisierte Anwaltsberatungs- und -vertretungsmarktgenerell auf minderbemittelte Haushalte einstellt. Schon beidem kleinen Anwalt, dessen Einkommensniveau nicht sehranspruchsvoll ist, genießt begreiflicherweise von vornehereinder begüterte Mandant, den man sich erhalten will, einenVorteil. Deswegen wäre es eigentlich geboten, dass alleAnwälte als Organe der Rechtspflege allgemein in einemgewissen Maße Mandate übernehmen würden, die sie alssoziale Aktivität verstehen würden. In der Rechtswirklichkeitnimmt jedoch ein großer Teil der Anwaltschaft nur Mandateentgegen, die ohne Prozesskosten- und Beratungshilfe abzu-wickeln sind, wenn man einmal von den rechtsschutzversi-cherten Mandanten absieht. Es gibt, um einen Vergleich mitdem ärztlichen Bereich anzustellen, Anbieter, die sich nur anPrivatpatienten wenden und diesen höchstes Niveau verspre-chen. Meist wird dies jedoch damit garniert, dass wenigstensin bestimmten Phasen und Projekten unentgeltliche sozialeArbeit durch Operationen und andere ärztliche Behandlungangeboten wird. Wäre es nicht an der Zeit, auf dem Rechts-sektor wenigstens einen moralischen Druck auf all die lawfirms und marktprotzigen Kanzleien auszuüben, ein gewissesMaß an Mandaten für unbemittelte Klienten zu überneh-men? Sollten die Ethikkurse für Unternehmer gerade an denGroßanbietern eines Marktes abprallen, der Recht ohneAnbindung an Gerechtigkeit organisiert? Das Gegenargu-ment, dass Unwilligkeit und fehlende Sachkompetenzschlechte Voraussetzungen für eine sozial motivierteAnwaltstätigkeit seien, ist ein Stereotyp, das den insoweiterforderlichen Lernprozess von vorneherein vereiteln soll.

Bisher haben es die beratungs- und prozesskostenhilfebedürf-tigen Klienten, sehen wir einmal vom Anlagesektor ab, meistmit einer bescheidenen Fraktion der Anwaltschaft zu tun, diemit Einfühlungsvermögen und Frustrationstoleranz für einMindestmaß an Solidaritätsressourcen auf dem Rechtssektorsorgt. Wenn wir die Sicherung des gleichen Zugangs zumRecht als Kernelement des Rechts- und Sozialstaats auffassen,dann sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass der Staatallein den existenziellen Bedarf an Rechtsberatung undRechtsdurchsetzung nicht gewährleisten kann, sondern dasses dafür auch hinreichender Solidaritätsressourcen in derGesellschaft bedarf. In jedem Fall sollte vor jeder Beschnei-dung des Schutzniveaus staatlicher Rechtsgewährleistungdaher der Versuch stehen, sämtliche Marktakteure desRechtssektors ethisch in die Pflicht zu nehmen, einen Beitragzur Erhaltung des zivilgesellschaftlichen Niveaus rechtlicherKonfliktlösung zu leisten.

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40 RL 1999/44/EG, ABl. EG Nr. L 171, 12.41 RL 2008/48 EG, ABl. EU Nr. L 133, 66.42 Siehe den Regierungsentwurf BT-Drucks. 16/11643.

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A U F S Ä T Z E | Re i fner, Die Deregul ie rung der Kredi tkar tenkredi te in Deutsch land

„Credit Card Mania in America”, so überschrieb David Caplo-vitz seinen Vortrag bei der Hamburger Konferenz zu „Arbeits-losigkeit und Verschuldung” im Jahre 1989.1 Darin berichtetder Überschuldungsforscher aus seiner Arbeit bei der größtenNew Yorker Schuldnerberatungsstelle über Credit-Card-Junkiesund die spezielle Rolle von Citibank in diesem Geschäftszweig,der die Überschuldung der Zukunft mit einer ganz neuen Qua-lität dominieren werde. In seinem korrespondierenden Berichtkonnte Hugo Godschalk2 noch feststellen, dass solche Kredit-kartenkredite in Deutschland derzeit auf wenige Banken wieAllbank, Berliner Bank, Banco de Santander und den Vorläufervon Citibank Deutschland, die KKB, begrenzt seien und Masterund Visa zusammen knapp 2,5 Mio. Karten ausgegeben hatten,von denen allerdings relativ wenige eigene Kredite versprechen.Beides hat sich inzwischen grundlegend verändert, ohne dassdas Recht hier eine wesentliche Rolle bei der Eindämmung derAuswüchse und Fehlentwicklungen spielen konnte.

A. Kreditkartenmanie – die Lage in den USA

Kreditkartenkredite sind die Geisel der amerikanischen undenglischen Verbraucher geworden. Seid 1989 sind die Kredit-kartenschulden in den USA nach CNN (22.2.1998) auf dasDreifache angestiegen. Anfang 2009 waren es 950 Mrd. $,während es 2007 noch 680 Mrd. $ waren. Die Banken wurdenimmer großzügiger, weil es ihnen inzwischen gelungen war,einen Großteil dieser Schulden weiterzuverkaufen. 365 Mrd. Bhöchst risikobehaftete Kreditkartenkredite zirkulieren inzwi-schen, ähnlich wie die Hypothekenschulden, verbrieft (ABS)auf den Geldmärkten. Bei den Verbrauchern geht man davonaus, dass die Schulden zu einem großen Teil aus den untaug-lichen Versuchen herrühren, durch extrem teure Kreditkar-tenkreditaufnahmen die schwierigere Kreditaufnahme imHypotheken- und Ratenkredit sowie die dortigen Zahlungs-probleme zu kompensieren.3 Inzwischen macht der Kredit-kartenkredit 9,3 % des verfügbaren Einkommens der Ameri-kaner aus. 35 % der Kreditkartenschuldner zeigten Anfang2008 laut einer Studie der Zentralbank Anzeichen einesZusammenbruchs. Der Anteil fauler Kreditkartenkredite ist imApril 2009 bei Capital auf 9,3 % gestiegen.

„Kredikartenschulden sind wie ein Krebsgeschwür, das sich inamerikanischen Haushalten verbreitet”, schreibt die Verbrau-cherjournalistin beim Fernsehsender ABC.4 „Ich hatte dieseKrankheit. Das Geschwür begann, als ich meine erste Kredit-karte auf dem College bekam, obwohl ich noch keine Arbeitund damit auch keine Möglichkeit hatte, meine Schulden zubezahlen. Schnell war ich bei $ 2,500 Schulden. Meine Elternhaben das bezahlt, aber ich machte weitere $ 5,000 Schulden.Diesmal grub ich mich selbst heraus, Dollar für Dollar und eswar ein schönes Gefühl, frei zu sein.” Sie gibt dann ein paarstrategische Ratschläge, die alle darauf hinauslaufen, Kredit-karten mit der Schere zu zerschneiden und stattdessen eineEC-Karte bzw. eine Debit-Karte, – wie bei uns beispielsweisedie Sparkassenkreditkarten – zu benutzen.

Im Durchschnitt werden die Kreditkartenkredite in den USAoffiziell mit 18,9 % p. a. im Jahr verzinst. Es gibt ungefähr 1,2Mrd. ausgegebene Kreditkarten in den USA. Etwa sieben Malpro Jahr wird jeder Amerikaner von Kreditkartengesellschaf-ten kontaktiert und ihm eine neue Kreditkarte offeriert.Schon 1991 stand ein Mr. Cavanagh im Guinness-Buch derRekorde mit 12.000 gültigen Kreditkarten. Bei 1,7 Bio. $ Kon-sumentenkrediten hatte jeder Amerikaner im Durchschnittschon im Jahr 2004 8.562 $ Schulden über Kreditkarten,wobei allerdings nur 78 % der Verbraucher überhaupt fürKarten infrage kommen. Im Jahre 2003 hatten 1,3 Mio. ame-rikanische Haushalte wegen ihrer Kreditkartenschulden denKonkurs eingereicht.

JP Morgan Chase, Bank of America und Citigroup haben imJahre 2009 jeweils zwischen 150 und 155 Mrd. $ Kreditkar-tenkredite offen. American Express, Capital One jeweils 65Mrd. $ und die Discover Karte des größten Kaufhauskonzernsnoch einmal 47 Mrd. $. Für die drei Großbanken sowie Ame-rican Express machen die Erträge aus Kreditkartenkrediten1 % (Citigroup) bis 24 % (American Express) aus. Bei CapitalOne sind es sogar 62 % und Discover lebt vollständig davon.5

Laut Cardtrack.com sind die Kreditkartenkredite in vierGruppen eingeteilt, die „superguten“ („super-prime”) mit11 % p. a., die „guten“ („prime”) mit 15,28 % im Durch-schnitt, die „schlechteren“ („subprime”) mit 22,56 % – und„Strafzinsen“ von 29,99 % p. a. zahlt man z. B. bei Citigroupbereits, wenn man nur mit einer Rate in Verzug geraten ist.6

Wohlgemerkt, dies sind die Angaben der Anbieter und nichtdas, was der Verbraucher wirklich zahlt.

Das Prinzip der Kreditkarten entspricht den Mechanismen,mit denen Drogenabhängigkeit in den Industriezentrengeschaffen wird. So jedenfalls sieht es ein Artikel in den USA,der die Arbeit der Kreditkartenfirmen mit dem Versuch derJapaner im Zweiten Weltkrieg vergleicht, die Chinesen vomOpium abhängig zu machen und damit zu unterwerfen.7

Kleine Mengen Heroin werden einfachen Rauschmitteln bei-gemengt, bis die Nutzer abhängig sind oder aber es werdenSituationen ausgenutzt, in denen den Menschen das Heroinals kleineres Übel oder letzte Hilfe in der Not gereicht wird,wenn sie keine ausreichenden Abwehrkräfte mehr besitzen.

Bei der Kreditkarte ist die einfache Droge der Zahlungsver-kehr. Das Heroin ist dann der Kreditkartenkredit. Zunächst

Die Deregulierung der Kreditkartenkredite inDeutschlandVon Prof. Dr. Udo Reifner,* Hamburg

* Der Aufsatz geht auf eine Stellungnahme des Verfassers als Experte im Hea-ring des Bundestagsausschusses für Finanzen am 11.02.2009 zurück.

1 Reifner/Ford-Caplovitz, Banking for People, 1992 S. 119 ff.2 Indebted by Credit Cards in the Federal Republic of Germany, a.a.O. S. 115 ff.3 Heide, U.S. Credit Card Debt Soars to Unprecedented Heights, in: Malho-

tra Epoch Times Washington D.C. v. 28.04.2008.4 Leamy, Credit Card Junkies, Get Your Scissors Creative Consumer: Beating

Your Credit Card Addiction Means Cutting That Plastic in: ABC NEWSConsumer Correspondent v. 11.08.2008.

5 Business Week v. 09.10.2008.6 Huffington, posted 24.02.009: The Credit Card Debt Crisis: The Next Eco-

nomic Domino. The Huffington Post 19.03.2009.7 „Please Make Us into Credit Card Junkies!”, abrufbar unter:

http://www.associatedcontent.com/user/86974/bob_young.html.

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erhält der Kunde eine Karte, die er überall für Zahlungen ver-wenden kann. Dabei wird ihm suggeriert, dass er die aufge-laufenen Schulden jeweils aus dem laufenden Einkommentilgt. Das kann beim Einstieg mit der Prepaid-Karte sogarnoch unterstrichen werden. Später wird der Verbraucher fest-stellen, dass er dies nicht schafft, weil er weit mehr Geldbenötigte, als er am Monatsende zahlen konnte. Das abermerkt er nicht sofort, weil er erst nach Aufnahme der Kredi-te eine Aufstellung erhält und dann auch keine konsolidierteSchuldenaufstellung. Bei der Aufnahme sind Kreditkartenkre-dite nämlich selbst dann von allen Informationspflichtenentbunden, wenn man sie cash am Automaten wie ein Dar-lehen aufnimmt. Da jeder Amerikaner im Durchschnitt vierKreditkarten besitzt, lassen sich die Schulden leicht verteilen.Bei der New Yorker Schuldnerberatungsstelle BUCCS habendie Überschuldeten im Durchschnitt zwischen 8 und 16 Kre-ditkarten. Es gab Fälle, wo allein 8 Kreditkarten (4 Master, 4Visa) bei Citibank bestanden, weil der Kunde solche Kartenbei der Citibank New Jersey und New York hatte. Über dasInternet ist das einfach.

Sind erst einmal Schulden aufgelaufen, so sind sie ratenweiserückzahlbar, wobei relativ hohe Tilgungsanforderungen dazuführen, dass die Raten hoch sind. Kann der Kunde eine Ratenicht bezahlen, so treten Zinseszinseffekte ein. Zunächstkann der Kunde die fehlende Rate als weitere Abhebung vomKredit erhalten. Da die Rate Zinsen enthält, werden dadurchZinsen auf Zinsen fällig. Der Schutz vor Zinseszinslawinen istdamit umgangen. Ist das Kontingent ausgeschöpft, so ist dieVersuchung groß, diese Rate mit einer anderen Kreditkarte zubezahlen. Dann tritt ein weiterer Zinseszinseffekt ein. Mannennt dies „Flipping” oder „Kreditkartenkartenreiterei”.Zudem kann man an jedem Geldautomaten, ohne Antrag,Unterschrift und Formular, ohne Zeitverzögerung und Bera-tung aber auch ohne jede Information über Preis, Tilgungetc., ein Darlehen aufnehmen. Damit kann man dann allesbezahlen, was wegen der Einbehaltung des Gehaltes sonstnicht mehr möglich ist.

Diese Kreditkartenreiterei führt zu einer spiralförmig wach-senden unbewussten Verschuldung. Der Kunde glaubt, erwerde es im nächsten Monat schaffen, will aber lieber garnicht erst nachsehen oder gar die Verpflichtungenzusammenrechnen. In dieser Falle ist er gefangen. Man kannvon ihm jede Gebühr, jeden Zinssatz verlangen, weil er sichpermanent schuldig fühlt und zudem damit rechnen muss,dass sein Limit storniert und er gepfändet wird. Vertragsfrei-heit existiert hier nicht mehr, weshalb auch die regelmäßigeZusendung von Kreditinformationen eher ein Hohn ist.

Damit aber noch nicht genug, gibt es eine Reihe weitererMöglichkeiten, mehr Geld herauszuschlagen. Zunächst fin-det alle drei Monate eine Zinsverrechnung statt. Dadurch ver-dient die Bank zusätzlich Zinsen von Zinsen. Weiter machtman die Barauszahlung, die vor allem für diejenigen wichtigist, die für den täglichen Lebensunterhalt kein Geld mehrhaben, besonders teuer. Diese Gebühr kann 4 % der Kredit-summe betragen, erscheint aber nicht wie beim üblichen Kre-dit als Bearbeitungsgebühr sondern als Auszahlungsgebührfür die Nutzung des Automaten. Weiter ist z. B. JP Morgandazu übergegangen, Strafgebühren dafür zu nehmen, dassKreditkarteninhaber länger an der Kreditlinie verweilten. Siemussten 10 $ pro Monat zusätzlich bezahlen, ähnlich sinddie Praktiken mancher Banken wie etwa die der Commerz-bank in Deutschland, nach Überschreitung des Überzie-hungslimits Buchungen mit 5 B kostenpflichtig zu machen.

Allein aus Bank- und Strafgebühren im Kreditkartengeschäfterlösten Banken im Jahre 2007 18 Mrd. $. Genau umgekehrtmuss man aber bei GE Money 25 $ Strafe bezahlen, wennman vorzeitig zurückbezahlt. Nach neuem Recht ist jetztauch in Deutschland eine Vorfälligkeitsgebühr möglich. Kop-pelt man die Kreditkartenkredite mit Versicherungsleistun-gen, von deren Akzeptanz man die weitere Gewährung derKarte oder den Erhalt des Limits abhängig machen kann, sokann man über eine Provision für die Bank wesentliche Teiledes Entgelts als versteckten Zins an die Bank zurückfließenlassen. Der Kunde wird sich nie beschweren, weil er vor einerdrohenden Insolvenz abhängig und danach die Beschwerdesinnlos ist.

Eine weitere Ertragsquelle liegt darin, dass diese Kredite vari-abel sind und damit der Kunde das Zinsänderungsrisiko ent-schädigungslos trägt.

Ein weiterer Trick besteht darin, Kunden, die keine Kreditkar-te wegen vergangener Zahlungsprobleme mehr bekommen,„gesicherte Kreditkarten” (secured credit cards) anzubieten.Sie sehen so aus wie Prepaid-Kreditkarten, funktionieren aberanders. Man muss dort sein – für minimale Verzinsung ein-gelegtes – eigenes Geld zu einem Wucherzinssatz bei der Bankleihen und „zurückbezahlen”. Mit Gebühren kommt mandadurch leicht zu einem Effektivzinssatz von 70 % p. a. Dafürverspricht die jedem, der zwei Jahre auf diese Weise so tut, alsob er einen Kredit aufgenommen hat und abbezahlt, dass erdafür einen entsprechend positiven Eintrag bei der SCHUFAerhält. Er verdient sich seine Kreditgeschichte und wird wie-der kreditwürdig.

B. Die Praxis der Kreditkartenkredite in Deutsch-land

Die Anzahl der Kreditkarten hat sich zwischen 1996 und2008 auf 24 Millionen Karten verdoppelt. 35 % der Bevölke-rung gaben an, mindestens eine Kreditkarte zu besitzen.Jeweils 17 % hatten eine VISA- und 17 % eine Mastercard.8

Lange Zeit sahen Banken und Sparkassen in der EC-Karte alsDebitkarte, die allenfalls auf einen Überziehungskredit aufdem Konto zurückgriff, das geeignete Mittel, um Kunden zubinden und eine Kontrolle über die Werthaltigkeit ihrer Kre-ditforderungen zu behalten. Inzwischen ist mit 91 Mio. aus-gegebenen EC-Karten diese Form flächendeckend verteilt.Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Banken wie dieDeutsche Bank, ING-Diba, Netbank, DKB oder Comdirectsind bisher bei diesem System geblieben. Danach gilt: „IhreVerfügungen werden monatlich in Euro per Lastschrift abge-bucht. Die Abrechnung ist bequem und übersichtlich: Sieerhalten eine detaillierte Auflistung aller Einkäufe, getrenntnach MasterCard und VISA CARD. Als Nutzer der HaspaOnlineServices können Sie Ihre Kreditkartenumsätze der letz-ten 12 Monate auch online abrufen.”

Immer mehr deutsche Banken sehen aber die außerordent-lichen Ertragsmöglichkeiten, die gerade die Kreditkarte mitKreditfunktion bietet. Das Internet ist voll mit entsprechendirreführender Werbung, bei der solche Karten meistens als„kostenfrei” propagiert werden, weil für ihre Ausgabe keineGebühr genommen wird und bei denen ausdrücklich daraufaufmerksam gemacht wird, dass man bei einem GuthabenHabenzinsen verdient. Die eigenständige Kreditfunktion

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8 Quelle: IfD Allensbach 2009, „Besitzen Sie eine persönliche Kreditkarte”.

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9 Vgl. Focus Online v. 22.12.2008, Mühelos shoppen – zum happigen Preis.10 Eine Garantie für die aus verschiedenen Quellen entnommenen Zinssätze

kann hier nicht übernommen werden, zumal in den Vergleichen erheblichabweichende Angaben, teilweise nur „ab x %” und teilweise gar keineAngaben stehen. Das X bei Kreditkarte weist daraufhin, dass es keinengesonderten Kreditkartenkredit gibt.

wird dagegen durchgängig verschwiegen, die Zinssätze sindunauffindbar oder verstecken sich hinter Angaben wie „ab4,3 % p. a.” mit einem Stern versehen, der dann das Attribut„bonitätsabhängig” enthält.

Pioniere sind hier die ausländischen Banken neben der Berli-ner Bank AG, deren Geschäftsgebaren nicht nur in diesem Seg-ment besondere Risikofreudigkeit offenbarte. Die englischeBarclay Bank (gefolgt von der Berliner Bank) hat aus der Kre-ditkarte sogar einen Kontoersatz gemacht, bei der ebenso wiebei Citibank das Kreditkartenkonto kein Girokonto mehr erfor-derlich macht und damit der Einstieg in das Multicardkredit-system geschaffen wird. Mit ihrer Prepaid-Kreditkarte werbenBanken dafür, dass keine SCHUFA-Anfrage erfolge. Damitnähern sie sich einer ansonsten kreditunwürdigen Klientel undvor allem Jugendlichen, die damit an die Kreditkarte gewöhntwerden. Dabei gibt es ein doppelt falsches Versprechen, näm-lich: Man bekäme eine „Kredit”karte statt eines Sparbuchs unddie Suggestion, diese sei auch für Überschuldete offen. Ent-sprechend teuer sind dann auch solche Karten, die vor allemdie Ärmeren bis zu 119 B im Jahr kosten können.9

Barclay, die den englischen Markt schon mit diesen Kartenüberschwemmt hat, bietet gleich sieben verschiedene Bar-clay-Cards an mit den Zusätzen: „New Visa”, „Green”, „NewDouble”, „für Studenten”, „Gold Visa”, „Platinum Double”;„Business”. In Großbritannien bietet sie eine Freedom CreditCard an, die bis zu 30.000 B Kredit verspricht, der mit 14,9 %p. a. verzinst wird. Egg, die englische Tochter von Citibank,hat im März 2009 die Zinssätze wegen der hohen Risiken bei120.000 Kunden, das ist ein Fünftel ihrer Kreditkartenschuld-ner, auf 26,9 % p. a. angehoben. Diese Lawine droht nunauch in Deutschland.

Dabei zeigt sich, dass in Deutschland die Banken in derZwischenzeit ein Äquivalent zum wucherischen Kreditkarten-kredit im „Überschreitungskredit” gefunden haben. Ähnlichwie die Kreditkarte hat der Kontoüberziehungskredit variableAbhebungs- und Rückzahlungsmöglichkeiten, führt zu einerZinsverrechnung mit Zinseszinseffekten (alle drei Monate) undbürdet das Zinsänderungsrisiko dem Verbraucher auf. Mit meh-reren Girokonten, bei denen eine Bank durch Einräumunggetrennter Überziehungskredite ein Überziehungs-Flippingermöglicht oder fördert, lassen sich ähnliche Effekte wie bei derKreditkartenreiterei erzielen. Der Nachteil besteht nur darin,dass bisher eine bonitätsabhängige Zinssatzvergabe auf demGirokonto noch an dem Verständnis der Kunden scheitert, diegerne wissen möchten, wie viel die Überziehung bei dieser Bankkostet. Man nutzt nun die Tatsache, dass Kunden, die das Limitüberschreiten, in aller Regel wenig Handlungsspielraum haben,für Zinssatzsteigerungen aus, die längst die Wuchergrenze über-schritten haben. Auf diese Weise werden dort inzwischen 20 %p. a. effektiv verlangt, die durch die beschriebenen Effekte nocherheblich überschritten werden können.

Die folgende Tabelle gibt die Kreditzinssätze wieder, wie sieüber das Internet durch Einzelrecherche sowie der dortaktuell vorhandenen Tests erreichbar waren. Hier geht es umeine Illustration der These, dass sich über Kreditkarte undÜberschreitung die Wucherkredite in Deutschland ähnlichwie in den USA und England ausbreiten.10

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Ratenkredit Kreditkarte Überziehung Überschreitung

ADAC/Berliner Bank 6,90 % 15,94 % 13,50 % 18,50 %

Allgemeine-Beamten-Kasse 6,46 % 9,90 %

Barclaycard 7,90 % 17,49 %

Berliner Bank 11,47 % 13,50 % 13,50 % 18,50 %

Citibank 7,40 % 18,63 % 9,74 % 11,74 %

Comdirect 7,50 % 9,90 % 14 %

Commerzbank (Karte TUI) 12,50 % 9,75 % 14,46 % 19 %

Credit Europe Bank 14,99 %

Creditplus-Bank 7,79 %

Deutsche Bank 10,26 % X 12,75 % 18,50 %

DKB Deutsche Kreditbank 6,45 % 7,90 % 12 %

Dresdner Cetelem-Kreditbank 6,99 % 15,00 %

Easycredit 9,49 %

FFS-Bank 8,35 %

GE-Money-Bank 8,49 % 14,25 % 14,25 % 19,25 %

Hypovereinsbank 7,99 % 11,85 % 16,85 %

ING-Diba 7,66 % X 9,50 % 12,50 %

MLP 9,92 %

Netbank 6,44 % X 9,50 % 15 %

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C. Die rechtliche Kontrolle der Kreditkartenkreditein Deutschland

Aktuell können aufgrund § 1 Abs.1 S.2 Ziff. 2 KWG („Gewäh-rung von Gelddarlehen”) in Deutschland nur Banken undSparkassen Kreditkartenkredite vergeben. Dies führt dazu,dass seriöse verantwortliche Kreditgeber in Deutschland vorhauptsächlich das Kontoüberziehungssystem bevorzugen,während vor allem in der Krise belastete Banken ebenso wieunbekannte kleinere Banken und englische oder spanischeAnbieter das System bevorzugen, das in den USA und Eng-land zum Zusammenbruch vieler Haushalte geführt hat.

Um den psychologischen Widerstand zu brechen, werdenauch Karten ohne Kreditmöglichkeiten ausgegeben, diejeweils auf das Konto zugreifen, später aber in echte Kredit-karten umgewandelt werden können. Eine weitere Form sindinzwischen die Prepaid-Kreditkarten in Deutschland, beidenen man einen Betrag auf das Kreditkartenkonto aufzahlt,der dann benutzt werden kann. Damit ermöglicht man, Kre-ditkarten auch an Kunden abzusetzen, die kein Girokontobeim Kreditkartenherausgeber besitzen.

I. Unechte (Debit-) Kreditkarten mit Kontoüberziehungskredit

Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass die ganz große Mehr-heit (die meisten Geschäftsbanken, Sparkassen und Genos-senschaftsbanken) bei der Nutzung der Kreditkarte keinengesonderten Kredit anbieten, sondern den Überziehungsrah-men auf dem Lohn- und Gehaltskonto nutzen. Es sind alsotatsächlich keine echten „Kredit”karten sondern – ebenso wiedie EC-Karten – Debit-Karten. Ähnlich verfahren andereAnbieter von Kreditkarten, die mit der Hausbank insoweitzusammenarbeiten, dass sie eine Einziehung von diesemKonto für die verausgabten Beträge vorsehen.

Dieses System verhindert Überschuldung und den Verlust desFinanzüberblicks. Kunden können hier nicht mehrere Kredi-te parallel aufnehmen, bei denen der eine Kredit zur Tilgungder Zinsen des anderen benutzt wird („Flipping”). Da der

Überziehungsrahmen zudem am Lohn und Gehalt bemessen(„x-fache des Monatseinkommens”) und überdies ständigangepasst wird, kann auf diese Weise durch Kumulation vonKleinkrediten keine Schuldenlawine entstehen. Die Konto-auszüge konsolidieren ferner alle Kreditaufnahmen undermöglichen dem Verbraucher einen wahren Verschuldungs-überblick. Schließlich bleiben auch schwache Verbraucher imRahmen des Wettbewerbs um Konten, sodass bisher die Über-ziehungszinsen und damit die Kreditkartenzinsen in einemverträglichen Niveau bis max. 14 % p. a. verbleiben. Es han-delt sich um ein von den amerikanischen und englischenKollegen in der Sozialarbeit und bei der Schuldnerberatungbeneidetes System der „verantwortlichen Kreditvergabe”.

II. Echte (revolving) Kreditkarten einiger Banken als Über-schuldungsgenerator

Immer mehr Banken praktizieren in Deutschland das anglo-amerikanische echte Kreditkartensystem, bei dem mit jederKreditkarte ein eigener Kreditrahmen verbunden ist, derrevolvierend ist und beliebig für Barauszahlung oder zumKauf genutzt werden kann. Auf diese Weise kann der Kundeeine Vielzahl von Kreditkarten verschiedener Banken oderSysteme (VISA und Master) nutzen. Diese Systeme erlaubeneine unkontrollierte Schuldenexplosion, überhöhte Zinsen,Zinseszinsen und zusätzliche Gebühren, die im Zinssatz nichtenthalten sind.

Banken, die solche Systeme eingeführt haben bzw. nochhaben, wie die Berliner Bank, Groupo Santander mit mehrenProdukten (CleverCard, SunnyCard, Super MasterCard undX-ite Card der Santander Consumer Bank, GenialCard (VISA)der Hanseatic Bank), RBS und die HypoVereinsbank, habensich mit schillernden Namen bei solcher Kreditvergabe einenzweifelhaften Ruf erworben. Wohin das Geschäft driftet, zeigtdie Advanzia Bank aus dem luxemburgischen Munsbach. Siebietet die „gebührenfreie Mastercard Gold” an. Allerdingshandelt es sich hier um wucherische Kredite, wie modern-banking.de berichtet: „Wird der offene Saldo der Monats-

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Ratenkredit Kreditkarte Überziehung Überschreitung

Nordfinanz-Bank 8,99 % 13,75 %

Norisbank 6,90 % 11,45 % 16,45 %

Oyak-Anker-Bank 10,13 % 14,25 % 18,25 %

Postbank 8,09 % 15,90 % 14,25 % 18,25 %

PSD-Bank Berlin-Brandenburg 6,62 %

Santander Consumer-Bank 7,98 % 13,41 % 12,27 % 16,39 %

Santander Consumer-Bank 8,98 %

SEB-Bank 8,49 % 13,95 % 13,75 % 18,50 %

SKG Bank 5,95 %

Sparda-Bank Berlin/Neue Bundesländer 6,68 % 13,75 % 18,25 %

Sparkasse von 1822 10,25 % 15,50 %

VW/Audi Bank 8,99 % 14,71 %

Wüstenrot 12,75 % 12,75 % 16,75 %

Berliner Sparkasse 14,50 % 19,50 %

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abrechnung nicht bis spätestens 20 Tage nach Erhalt derRechnung manuell überwiesen, berechnet der Anbieter boni-tätsabhängig mindestens 17,90 % p. a. an Effektivzinsen fürgetätigte Einkäufe. Bei Bargeldverfügungen wird der Effektiv-zins grundsätzlich ab Transaktionsdatum berechnet, er liegtz. Zt. bei 25,94 %. Auf Guthabenbasis kann das Kreditkarten-konto nicht geführt werden. Hinzu kommt, dass die Rech-nungen per E-Mail verschickt werden.”

Die Wuchergrenze in Deutschland liegt aktuell bei etwa 16 %p. a. Sie wirkt hier nicht, weil die Kreditnehmer sich nichtwehren, sondern Schulden mit neuen Schulden tilgen.

D. Die EU-Richtlinie

I. Deregulierung nationalen Verbraucherschutzes durch Maxi-malharmonisierung

Gemäß Art. 86 der Richtlinie handelt es sich um eine Maxi-malharmonisierung, die auch zulasten der VerbraucherDeutschland zwingt, ungünstigere EU-Bestimmungen als dasgeltende nationale Recht umzusetzen. Ob dies mit Art. 153europ. Vertrag vereinbar ist, der ausdrücklich den National-staaten die Möglichkeit lässt, besseren Verbraucherschutz imGesetz zu verankern, wodurch das Vertrauen der Verbraucherauch in ausländische Anbieter gestärkt wird, ist umstritten.Dem Europäischen Gerichtshof wird hier ebenso wie derKommission vielfach Marktgläubigkeit unterstellt, für die derVerbraucherschutz nur den Markt behindert und nichtermöglicht. Angesichts des aktuellen Marktversagens beiFinanzdienstleistungen sollte hier an sich ein Umdenkungs-prozess eingeleitet sein. Die aktuelle Richtlinie war davonnoch nicht berührt und wurde auch nicht angepasst. Dieswirft Zweifel daran auf, ob Ministerrat und Kommission wirk-lich gewillt sind, Konsequenzen aus dem Regulierungsversa-gen der Vergangenheit zu ziehen, wenn sie weiter dieseAnsätze umsetzen.

II. Spielraum für nationale Regelung der Kreditkartenkreditedurch die Richtlinie – Abschied in Raten von der staatlichenÜberwachung der Kreditvergabe

Unter dieser Prämisse ist gleichwohl festzustellen, welcheMöglichkeiten die Richtlinie für eine verantwortliche Kredit-vergabe auf nationaler Ebene belässt.

Die Richtlinie hatte in ihrem ursprünglichen Entwurf lapidarfestgestellt, dass zu den Kreditkartengeschäften auch die Kre-ditvergabe gehöre. Auf Intervention der European Coalitionfor Responsible Credit und der Verbraucherverbände wurdedann den Bedenken Rechnung getragen und das englischeAnsinnen, hiermit auf dem Kontinent die Einordnung vonKrediten als Bankgeschäfte aufzuweichen, eingedämmt.

Dabei geht die Richtlinie eindeutig davon aus, dass die in derZahlungsverkehrsrichtlinie geregelten Aktivitäten keineÜberwachung wie die übrigen Bankgeschäfte erfordern. Ziff.11 der Erwägungen lautet:

(11) Die Vorschriften für die Zahlungsinstitute sollten der Tat-sache Rechnung tragen, dass Zahlungsinstitute ein speziali-sierteres und eingeschränkteres Geschäftsfeld als Kreditinsti-tute haben und ihre betriebsbedingten Risiken deshalb engersind und leichter überwacht und gesteuert werden können.

Deutschland hat – zusammen mit den meisten anderen kon-tinental-europäischen Ländern –direkt oder indirekt (Refi-

nanzierungsverbote) für Kreditgeschäfte richtigerweise festge-stellt, dass sie dieselbe Sorgfalt und Überwachung erfordernwie Anlagegeschäfte. Angesichts der Subprimekrise, derZunahme von Wucher und dem Kreditkartenkreditdesasterin den USA mit über 100 Mrd. $ quasi uneinbringlichen Ver-braucherschulden, zeigt die Entwicklung, dass diese Linierichtig ist. Die dritte Bankrechtsrichtlinie verlangt zwar nurim Einlagengeschäft ein Bankmonopol (weil ansonsten Groß-britannien sein System hätte ändern müssen), lässt aber denMitgliedsstaaten hier die Möglichkeit, anders zu verfahren.Dies wird auch zurzeit nicht infrage gestellt.

Durch die Hintertür der Zahlungsverkehrsrichtlinie wird diesnun doch aufgeweicht, ohne dass die politische Tragweitedieser Deregulierungsaktion diskutiert wird.

III. Einschränkungen der Deregulierung in der Richtlinie

Die Richtlinie hat in ihrer jetzigen Gestalt auf die Kritik rea-giert. Sie hat zwei Sicherheiten gegen den Missbrauch einerZahlungsverkehrsrichtlinie zur Freigabe von nicht-bank-lichen Wucherkrediten geschaffen:

a) Das Kreditgeschäft darf nur eine Nebentätigkeit zum Zah-lungsverkehrsgeschäft sein.

b) Der Kredit darf nicht länger als 12 Monate laufen.

Art. 16 lautet:

(3) Zahlungsinstitute dürfen Kredite im Zusammenhang mitden unter den Nummern 4, 5 oder 7 des Anhangs genanntenZahlungsdiensten nur gewähren, wenn die folgenden Anfor-derungen erfüllt sind:

a) die Kreditgewährung ist eine Nebentätigkeit und erfolgtausschließlich im Zusammenhang mit der Ausführung einesZahlungsvorgangs;

b) ungeachtet einzelstaatlicher Vorschriften über die Kredit-gewährung mittels Kreditkarten wird der im Zusammenhangmit einer Zahlung gewährte und im Einklang mit Artikel 10Absatz 9 und Artikel 25 vergebene Kredit innerhalb einer kur-zen Frist zurückgezahlt, die 12 Monate in keinem Fall über-schreiten darf;

c) der Kredit wird nicht aus den für den Zweck der Ausfüh-rung eines Zahlungsvorgangs entgegengenommenen odergehaltenen Geldbeträgen gewährt; und

d) die Eigenmittel des Zahlungsinstituts stehen nach Auffas-sung der Aufsichtsbehörden jederzeit in einem angemesse-nen Verhältnis zum Gesamtbetrag der gewährten Kredite.

Damit sollte verhindert werden, dass das Tor für englischeWucherkreditgeber nach Deutschland geöffnet wird. In denErwägungen dazu heißt es entsprechend:

„(13) Diese Richtlinie sollte die Gewährung von Kreditendurch Zahlungsinstitute, das heißt die Einräumung von Kre-ditrahmen und die Ausgabe von Kreditkarten, nur in den Fäl-len regeln, in denen die Gewährung eng mit Zahlungsdienstenverbunden ist. Nur wenn Kredite mit kurzer Laufzeit gewährtwerden, um Zahlungsdienste zu erleichtern, und – auch als Re-volvingkredit – für einen Zeitraum von höchstens 12 Monatengewährt werden, sollte es den Zahlungsinstituten erlaubt sein,diese Kredite im Hinblick auf grenzüberschreitende Tätigkei-ten zu gewähren, sofern sie hauptsächlich aus den Eigenmit-teln des Zahlungsinstituts sowie anderen an den Kapital-märkten aufgenommenen Mitteln finanziert werden, nichtaber aus Geldern, die das Zahlungsinstitut im Auftrag von

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Kunden für die Erbringung von Zahlungsdiensten entgegen-genommen hat. Die Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom22. Dezember 1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwal-tungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucher-kredit (4) und andere einschlägige gemeinschaftliche odernationale Rechtsvorschriften in Bezug auf durch diese Richtli-nie nicht harmonisierte Bedingungen für die Gewährung vonKrediten an Verbraucher bleiben von dem Vorstehenden un-berührt.”

E. Die Umsetzung in deutsches Recht

I. Gesetzentwurf nimmt Umgehungsmöglichkeiten zu § 1KWG (billigend) in Kauf

Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung derRichtlinie nicht die Mühe gegeben, sie ihrem Sinn nach,nämlich so, dass keine Umgehung der deutschen Vorschrif-ten zur Freigabe von wucherischen und gefährlichen Kleinst-darlehen über Kreditkarten möglich ist, zu verwirklichen.Vielmehr wird der Wortlaut der EU-Richtlinie ohne Rücksichtauf die deutschen Besonderheiten ins deutsche Recht über-nommen, obwohl dieser auch für Großbritannien gilt, woganz andere Aufsichtsverhältnisse herrschen. Angesichts desVerhaltens der deutschen Regierung in Brüssel kann diesnicht als absichtslos unterstellt werden.

II. Versteckte Freigabe der Kreditkartenkredite

1. Barkredite bankfrei erlaubt

Im Gesetzentwurf über die Beaufsichtigung von Zahlungs-diensten (ZAG) werden die reinen „Zahlungsdienstleister”(§ 1 Ziff. 5) aus der effektiven Aufsicht im Rahmen des Kre-ditwesengesetzes (§§ 1 Ziff. 9 KWG) herausgenommen undeiner allenfalls noch als Gewerbeaufsicht zu bezeichnendenAufsicht unterstellt, sowie vom Erfordernis der Banklizenzbefreit (kaum Haftungskapital, kaum Anforderungen an dieDirektoren, geringe Aufsicht). Dies mag für Zahlungsdiensteerträglich sein, soweit es sich im Wesentlichen um einenGeldtransport von einem Ort zum anderen handelt.

§ 2 Abs. 3 ZAG wiederholt nun aber wörtlich Art. 15 Abs. 3der Richtlinie.

Er erlaubt dabei bei allen „Zahlungsdiensten” und damitauch bei „Barauszahlungen von einem Zahlungskonto” i. S.des § 1 Abs. 2 Nr. 1 2.Alt. ZAG, wozu die Nutzung einer Kre-ditkarte an jedem Bargeldautomaten gehört, die Kreditverga-be durch Nichtbanken, die zudem noch im Ausland beauf-sichtigt werden.

§ 2 Abs. 3 S. 2 ZAG stellt dabei an versteckter Stelle klar, dasssolche Kredite nicht mehr unter das KWG und die Aufsichtder BaFin fallen:

„Eine Kreditgewährung, die die Voraussetzungen des Satzes 1erfüllt, gilt nicht als Kreditgeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1Satz 2 Nr. 2 des Kreditwesengesetzes, wenn sie durch ein Zah-lungsinstitut erfolgt, das als Kreditinstitut keine Erlaubniszum Betreiben des Kreditgeschäfts hat.”

Dass diese Klarstellung dann in § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Kre-ditwesengesetz nicht erfolgt ist, macht das Gesetz gerade hierundurchdringlich.11

Das Gesetz erlaubt also Verbraucherdarlehen mit Abhebungund nicht nur die Nutzung der Karte als Mittel in Abzah-

lungsgeschäften bei Handelskreditkarten. C&A gibt bereitseine solche Darlehenskreditkarte heraus.

2. Restriktionen verhindern nicht die ungehemmte Kreditver-gabe

In den Erläuterungen (BT Drucks. 827/08 S. 70) wird derWortlaut des Gesetzes nur wiederholt und behauptet, dass essich nur um einen „technischen Kredit” handele. Diese ver-niedlichende Reduktion der Freigabe findet jedoch bisher imGesetz keine Stütze.

1. Der Kreditkartenkredit wird nicht definiert und damit dieGestaltung den Anbietern frei überlassen. Zinssatz, Variabilität,Gebühren, Effektivzins etc. werden nicht erwähnt. Insbeson-dere wird der Kreditrahmen nicht begrenzt, weshalb es nichtum Kleinkredite geht. Bedauerlich ist, dass die Richtlinie inden Erwägungen (insoweit verschwiegen in der deutschenGesetzesbegründung) sogar ausdrücklich das System der„Revolving Credits” (Kredit für Kredit) anspricht und damitlegitimiert. Dass die Regelungen für Verbraucherkredite inRichtlinie und §§ 491 ff. BGB gelten, ist selbstverständlichund hätte in der Richtlinie nicht erwähnt werden müssen.Dieser Hinweis verschweigt aber, dass ein Kreditgeber ohneBanklizenz und Aufsicht erheblich stärkere Restriktionengegen Wucherkredite bräuchte als eine Bank. Dass man diesin Großbritannien nicht so sieht, sollte angesichts der aktuel-len Kredit-, Wucher- und Überschuldungslage dort nicht zumStandard in Europa gemacht werden.

2. Revolvierende Kredite werden möglich. Die Frist von 12 Mona-ten verhindert dies nicht. Sie ist bei Krediten, die allein derErmöglichung von Zahlungsvorkehrungen gilt, absolutunüblich. In der Praxis gibt es heute aufgrund des Online-Verkehrs nirgendwo mehr eine längere Frist der Kreditierungals drei Wochen. Früher wurden teilweise bis zu drei Mona-ten gewährt, um Kunden anzulocken und die Probleme desOffline-Gebrauchs in den Griff zu bekommen. Typisch warund ist aber immer die Zinslosigkeit solcher Kredite.

Die 12-Monatsfrist lässt darauf schließen, dass hier bewusstfehlerhaft geregelt wurde. In ihr wird ja anders als im Belgi-schen und Schweizer Recht nicht festgelegt, dass dieser Kre-dit in 12 gleichen Monatsraten auch rückführbar sein muss.Es reicht, dass irgendwie am Ende der 12 Monate der Kreditfällig wird. Ob er bezahlbar ist, scheint keine Rolle zu spielen.

Die Begründung der Bundesregierung ist hierzu irreführend.Sie geht auf die Praxis des Flippings, wie es schon die Schuld-nerberatung beherrscht, nicht ein. Während die EU nochausdrücklich zugibt, dass der Kredit als „revolving credit”gewährt werden kann (s. o. Ziff. 13 „auch als Revolving”),behauptet die deutsche Gesetzesbegründung: „Der Einsatzder Kreditkarte mit Teilzahlungsfunktion oder revolvierendeKredite, soweit sie diese Frist verlängern, sind also ausge-schlossen.” (BT Drucks 827/09, S.71).

Der Verweis auf eine Fristverlängerung ebenso auf eine Zah-lungskarte mit längerer Frist, was ausgeschlossen sei, ist reinrechtsformalistisch gemeint. Der Kreditgeber kann dies nichtim Voraus vereinbaren, was er in der Praxis auch gar nichtvorhat. Im sog. Flipping werden die Kredite einer Kreditkartebei Fälligkeit mit der Kreditaufnahme über eine andere Kre-ditkarte zurückgezahlt. Dabei kann eine Bank dem Kundenmehrere Kreditkarten überlassen. Faktisch bauen sich all-

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11 So auch Schäfer/Lang, BKR 2009, 1 ff., 14 unter 4 d.

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mählich über Zinseszinsen Überschuldungssysteme ohneAusweg auf, in denen dann jede Gebühr und jeder Zinssatzgenommen werden kann, weil die Kreditnehmer auf dieGnade der Kreditgeber bezüglich des Kreditrahmens ange-wiesen sind. Zahlt der Kunde zwischenzeitlich zurück, sokann der neue Kredit über weitere 12 Monate laufen. DieBaFin hat schon gar keinen Zugang zu dieser Information. Siewird niemals überprüfen können, woraus ein Kredit zurück-bezahlt wurde, ob aus einem Kredit oder aus dem Einkom-men. Nur Letzteres würde verhindern, dass die Kreditkarten-kredite unbeaufsichtigte Überschuldungslawinen auslösen.

3. Dass der Kredit „ausschließlich im Zusammenhang mit derAusführung eines Zahlungsvorgangs” (§ 2 Abs. 2 S. 1 Ziff. 12.Alt. ZAG) erfolgen muss, stellt ebenfalls keine Einschrän-kung dar, weil als Zahlungsvorgang auch die Barauszahlunggilt. Damit handelt es sich um einen Zirkelschluss: Die Kre-ditaufnahme führt zu einem Zahlungsvorgang, der Zahlungs-vorgang führt zur Kreditaufnahme.

4. Auch die Anforderung, dass der „Kredit als Nebentätigkeitgewährt” (§ 2 Abs. 2 S.2 Ziff. 1 1. Alt. ZAG) wird, schränktnicht ein. Was das bedeutet, wird weder im Gesetz noch inder Erläuterung erklärt. Dort heißt es nur (…) „der demBezahlungsvorgang als Nebenfunktion untergeordnet ist”.Verbraucherkredite sind aber logisch immer eine Nebenfunk-tion eines Zahlungsvorgangs. Verbraucher nehmen nichtGeld um ihrer selbst willen auf, sondern weil sie damit Bezah-lungen für den Erwerb von Konsumtionsmöglichkeitenermöglichen wollen.

F. Ergebnis und Regelungsvorschlag zu § 2 Abs. 3Ziff. S. 1 Ziff. ZAG („Nebentätigkeit”)

Die deutsche Regelung kann an den Vorgaben der EU-Richt-linie nichts mehr ändern. Der Sinn der Kreditfreigabe inRichtlinie und Gesetz ist die Begrenzung der Freigabe auf dieNotwendigkeiten des Zahlungsverkehrs. Die unrealistischlange Frist von zwölf Monaten für die Rückführung zeigtaber, dass auch andere Interessen im Spiel waren.

Nur eine klare einschränkende Definition zu dem Verhältnisvon Zahlungsvorgang und Kreditgewährung kann hierweiterhelfen:

§ 2 Abs. 3 Ziff. S. 1 Ziff. ZAG sollte wie folgt gefasst werden:

1. (…) die Gewährung des Kredits unentgeltlich erfolgt oder derKredit aus der mit der Kreditkarte erfolgten Bezahlung einer Schulderwächst, die nicht ihrerseits aus einem Darlehen stammt, undinnerhalb der nächsten 12 Monate in gleichen monatlichen Ratenzurückgeführt wird.

Begründung:

1. Die Formulierung deckt zunächst die überwiegende Praxisder unentgeltlichen Kurzkreditgewährung bei Kreditkarten inDeutschland ab. Sie kann jetzt nach wie vor auch vom Han-del und in Zukunft auch über Nichtbanken als Intermediäreausgeführt werden.

2. Sie erlaubt entsprechend den Vorgaben der Richtlinie inZukunft aber auch eine entgeltliche Ratenkreditgewährungdurch Nicht-Banken bis zu 12 Monaten aus Erwerbsgeschäf-ten und stellt dabei sicher, dass nach dem Prinzip der verant-wortlichen Kreditvergabe die Schuld nicht höher ist, als dieRückzahlungsmöglichkeiten sind.

3. Ausdrücklich ausgeschlossen werden ungebundene Ver-braucherdarlehen, die der Kunde als Barabhebung aus einemAutomaten oder einer Zahlstelle einer Nicht-Bank bezieht.Dies bleibt Aufgabe des überwachten Bankensektors und soll-te nicht in unbewachte Hände geraten.

4. Damit wird auch die Möglichkeit des Flippings auf Bank-kreditkarten begrenzt.

5. Dies steht im Einklang mit der Richtlinie, weil es um denZahlungsverkehr und nicht um Gelddarlehen geht. Die hättein der Verbraucherkreditrichtlinie 2008/48/EG oder in derBankrechtsrichtlinie geregelt werden müssen. Wenn manspitzfindig die Kreditaufnahme mit zum Zahlungsverkehrrechnet, weil bei jeder Kreditaufnahme und KreditabzahlungProzesse des Zahlungsverkehrs anfallen, dann wären dieUnterscheidung der Finanzdienstleistungen in solche vonAnlage, Kredit, Versicherung und Zahlungsverkehr sinnlos,weil alles andere immer auch Zahlungsverkehr ist.

Dieser Vorschlag wurde inzwischen von der Opposition auf-genommen und den Abgeordneten zur Abstimmung gestellt.

R E C H T S P R E C H U N G | Bankrecht

B A N K R E C H T

Aufklärungspflicht des Anlageberaters überRückvergütungen („Kick-Backs“) auch außerhalb desWertpapierhandels

1. Der Anlageberater ist verpflichtet, den Anleger über Rück-vergütungen und sonstige umsatzabhängige Provisionenaufzuklären. Anders als bei der Anlagevermittlung bestehtdie Aufklärungspflicht des Anlageberaters unabhängig vonder Höhe der Provision.

2. Diese Aufklärungspflicht des Anlageberaters ist nicht aufwertpapierrechtliche Anlageformen beschränkt.(Leitsätze des Bearbeiters)

BGH, Beschl. v. 20.01.2009, Az.: XI ZR 510/07 (Vorinstanz OLGNaumburg, Urt. v. 10.10.2007, Az.: 2 U 96/07)

(ID 42685)

bearbeitet von RA Arne Maier, Esslingen

R E C H T S P R E C H U N G *

* Alle Urteile sind im Volltext in der FIS-Datenbank mit der jeweiligen IDabrufbar unter: www.iff-hamburg.de

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VuR 5/2009 | 177

Sachverhalt (zusammengefasst):

Der Kläger nimmt die beklagte Bank auf Schadensersatz wegenfehlerhafter Anlageberatung in Anspruch. Dem Kläger wurde voneinem Mitarbeiter der Beklagten in einem Beratungsgesprächempfohlen, sich an einem Medienfonds zu beteiligen. Darauf be-teiligte sich der Kläger im Mai 2001 mit 50.000 EUR nebst 5 %Agio an dem Fonds. Nachdem der Fonds in wirtschaftlicheSchwierigkeiten geraten war, veräußerte er seinen Fondsanteil für11.350 EUR.

Zur Begründung seines Schadensersatzanspruchs hat sich der Klä-ger auf das Kick-Back-Urteil des XI. BGH-Zivilsenats vom19.12.2006 berufen (Az.: XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226) und vorge-tragen, der Mitarbeiter der Beklagten habe ihn anlässlich des Bera-tungsgesprächs nicht darüber aufgeklärt, dass das Agio, das nachdem Prospekt an den Fondsbetreiber zu bezahlen war, in vollerHöhe an die Beklagte zurückgeflossen sei und zusätzlich nochweitere Provisionen an die Beklagte gezahlt worden seien. Das Be-rufungsgericht hatte die Berufung des Klägers zurückgewiesenund die Revision nicht zugelassen. Zur Begründung hatte das Be-rufungsgericht auf das Urteil des III. BGH-Zivilsenats vom22.03.2007 verwiesen (Az.: III ZR 218/06, WM 2007, 873); die Be-klagte sei zur Aufklärung über die Innenprovision nicht verpflich-tet gewesen, weil diese weniger als 15 % ausgemacht habe.

Gründe (zusammengefasst):

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der BGHdas Berufungsurteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörsdurch Beschluss aufgehoben (§ 544 Abs. 7 ZPO). Nachdemzwischen dem Kläger und der Beklagten kein Anlagevermitt-lungs- (Auskunfts-), sondern ein Anlageberatungsvertragbestand, hätte das Berufungsgericht den Vortrag des Klägerszur Aufklärungspflicht des Anlageberaters über Rückvergü-tungen nicht außer Acht lassen dürfen.

Der Beschluss bringt zwei wesentliche Klärungen zur Aufklä-rungspflicht über Rückvergütungen:

1. Das Urteil des III. Zivilsenats vom 22.03.2007 (Aufklä-rungspflicht erst bei einer Innenprovision ab 15 %) betrifftdie Anlagevermittlung, das Kick-Back-Urteil des XI. Zivilsenatsvom 19.12.2006 (grundsätzliche Aufklärungspflicht überRückvergütungen unabhängig von deren Höhe) betrifft dieAnlageberatung.

Rückvergütungen schaffen für den Anlageberater einenerheblichen Anreiz, Anlegern gerade ein bestimmtes Produktzu empfehlen. Über den damit verbundenen Interessenkon-flikt muss der Anlageberater den Anleger – unabhängig vonder Rückvergütungshöhe – im Rahmen des Beratungsge-sprächs informieren, um ihn in die Lage zu versetzen, dasUmsatzinteresse des Beraters einschätzen und beurteilen zukönnen, ob der Berater die Anlageempfehlung im Kundenin-teresse nach den Kriterien einer anleger- und objektgerechtenBeratung abgibt oder nur deshalb, weil er selbst daran ver-dient.

2. Die grundsätzliche Aufklärungspflicht des Anlageberatersüber Rückvergütungen gilt auch außerhalb des Wertpapier-handels (hier Medienfonds). Es macht keinen Unterschied,ob der Berater Aktienfonds oder Medienfonds vertreibt. Deraufklärungspflichtige Interessenkonflikt ist in beiden Fällengleich.

Zwar ging es in dem Kick-Back-Urteil vom 19.12.2006 umeine Anlage in Aktien. Deshalb wurde die Verpflichtung desAnlageberaters zur Vermeidung eines Interessenkonflikts aus§ 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG a. F. hergeleitet. Das bedeutet aber

nicht, dass die Aufklärungspflicht auf wertpapierrechtlicheAnlageformen beschränkt wäre. Die Verpflichtung zur Ver-meidung vertragswidriger Interessenkonflikte ist ein auchzivilrechtlich allgemein anerkannter Grundsatz.

Praxistipps:

Der Beschluss betrifft den Medienfonds CFB Commerz FondsNr. 140, beklagt ist die Commerzbank.

Die unterschiedlichen Aufklärungspflichten des Anlageberatersund des Anlagevermittlers rechtfertigen sich bereits durch dieunterschiedliche Begründung der jeweiligen Aufklärungs-pflicht. Der III. Zivilsenat nimmt eine Aufklärungspflicht desAnlagevermittlers (erst) ab einer Innenprovision von 15 %an, weil ab dieser Höhe die Werthaltigkeit des Objekts unddamit die Rentabilität der Anlage in Frage stehe (objektbezoge-ne Begründung der Aufklärungspflicht). Der XI. Zivilsenatbegründet die grundsätzliche Aufklärungspflicht des Anlage-beraters dagegen – unabhängig von der Höhe der Rückvergü-tung – mit dem Interessenkonflikt des Beraters (beratungsbezo-gene Begründung der Aufklärungspflicht). Ein solcher Inter-essenkonflikt besteht bei der Anlagevermittlung in der Regelnicht, weil der Vermittler im Rahmen des Auskunftsvertrageskeine unabhängige Beratung schuldet.

In dem Kick-Back-Urteil vom 19.12.2006 war die kurze (weilkenntnisunabhängige) wertpapierrechtliche Verjährungsfrist des§ 37a WpHG von besonderer Bedeutung. Das dortige Beru-fungsgericht hat auch im zweiten Durchgang eine Verjäh-rung des Schadensersatzanspruchs angenommen (OLG Mün-chen, Urteil vom 19.12.2007, Az.: 7 U 3009/04, WM 2008,351 = ZIP 2008, 66; Nichtzulassungsbeschwerde anhängigunter Az. XI ZR 586/07). Gemäß Gesetzentwurf der Bundes-regierung vom 20.02.2009 (BR-Drs. 180/09, Art. 4 Nr. 5) soll§ 37a WpHG für die Zukunft gestrichen werden. Außerhalbdes Wertpapierhandels gilt aber ohnehin die längere (weilkenntnisabhängige) zivilrechtliche Verjährungsfrist (§§ 195,199 BGB).

Siehe zu den Aufklärungspflichten bei „Kick-Backs“ Rößler,NJW 2008, 554 (zu dem Urteil vom 19.12.2006) undLang/Balzer, ZIP 2009, 456 (zu dem hier besprochenenBeschluss).

Das Landgericht Heidelberg (Urt. v. 31.07.2008, Az.: 3 O98/08, BKR 2008, 435 m. abl. Anm. Bröker) geht davon aus,dass auch über die konkrete Höhe der Rückvergütung („ineinem Euro-Betrag“) aufgeklärt werden muss.

Zusätze in der Widerrufsbelehrung nach HWiG a. F.

1. Der Zusatz in einer Widerrufsbelehrung, der Lauf derWiderrufsfrist beginne „frühestens, wenn Ihnen diese Beleh-rung über Ihr Widerrufsrecht ausgehändigt worden ist, je-doch nicht bevor Sie die von uns gegengezeichnete Ausferti-gung des Darlehensvertrages erhalten haben”, widersprichtnicht dem Deutlichkeitsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 2 HWiG a. F.

2. Wird eine Widerrufsbelehrung mit einer optisch getrenn-ten und vom Verbraucher gesondert zu unterschreibendenEmpfangsbestätigung verbunden, verstößt dies nicht gegen§ 2 Abs. 1 Satz 3 HWiG a. F.

3. Der in einer Widerrufsbelehrung nach HWiG enthalteneZusatz, dass im Falle des Widerrufs des Kreditvertrages auch

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178 | VuR 5/2009

die finanzierten verbundenen Geschäfte nicht wirksam zu-stande kommen, ist zulässig. Auf die genaue rechtliche Quali-fikation und Bezeichnung des verbundenen Anlagegeschäftskommt es nicht entscheidend an.(Leitsätze des Gerichts; 3. Leitsatz aus BGH, Urt. v. 11.11.2008,Az.: XI ZR 269/06)

BGH, Urt. v. 13.01.2009, Az.: XI ZR 118/08 (Vorinstanz OLG Hamm,Urt. v. 20.02.2008, Az.: 31 U 51/07)

(ID 42686)

bearbeitet von RA Arne Maier, Esslingen

Sachverhalt (zusammengefasst):

Die Kläger nehmen die beklagte Bank auf Rückabwicklung einesDarlehensvertrages zur Finanzierung einer Immobilienfondsbe-teiligung in Anspruch. Die Kläger wurden im Januar 1998 in ihrerWohnung von einem Vermittler geworben, sich an dem Immobi-lienfonds zu beteiligen. Zur Finanzierung des Fondsbeitritts dien-te der mit der Beklagten abgeschlossene Darlehensvertrag über35.000,– DM. Dieser Darlehensvertrag enthielt eine von den Klä-gern gesondert unterschriebene Widerrufsbelehrung. Im Dezem-ber 2005 widerriefen die Kläger den Darlehensvertrag unter Beru-fung auf das Haustürwiderrufsgesetz. Die Parteien streiten insbe-sondere über die Wirksamkeit der Widerrufsbelehrung.

Der dortigen Belehrung über die Widerrufsfrist von (damals) einerWoche sind u. a. folgende Sätze angeschlossen: „Der Lauf der Fristbeginnt frühestens, wenn Ihnen diese Belehrung über Ihr Wider-rufsrecht ausgehändigt worden ist, jedoch nicht bevor Sie die vonuns gegengezeichnete Ausfertigung des Darlehensvertrages erhal-ten haben.“ (hierzu 1.) und „Im Falle des Widerrufs kommen auchdie finanzierten verbundenen Geschäfte nicht wirksam zustan-de.“ (hierzu 3.). Auf derselben Seite der Widerrufsbelehrung befin-det sich ein weiterer Abschnitt, in welchem die Kläger den Emp-fang der Widerrufsbelehrung durch ihre Unterschrift bestätigt ha-ben (hierzu 2.).

Das Berufungsgericht war von einer unwirksamen Widerrufsbe-lehrung ausgegangen. Der Zusatz „frühestens“ verstoße gegen dasDeutlichkeitsgebot. Der Hinweis auf den Fristbeginn „ab Erhaltder gegengezeichneten Ausfertigung“ sei überdies unzutreffend.Die Revision der Beklagten hatte Erfolg; der BGH beurteilt dieWiderrufsbelehrung als wirksam.

Gründe (zusammengefasst):

1. Der Zusatz „frühestens“ verstoße nicht gegen das Deutlich-keitsgebot (§ 2 Abs. 1 Satz 2 HWiG). Aus dem Zusammenhangwerde klar, dass für den Fristbeginn die Aushändigung derBelehrung maßgeblich sei, es sei denn, die Darlehensver-tragsurkunde werde zu einem späteren Zeitpunkt übergeben.Der hierdurch hinausgeschobene Beginn der Widerrufsfristentspreche zwar nicht dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 2HWiG (Fristbeginn mit Aushändigung der schriftlichenWiderrufsbelehrung). Dies sei aber unschädlich. Mit derUnterschrift unter die Widerrufsbelehrung hätten die Par-teien „zugleich eine Verlängerung der Widerrufsfrist verein-bart“. Dies sei – weil zugunsten des Verbrauchers – zulässig.

2. Die Empfangsbestätigung sei mit dem Verbot anderer Erklä-rungen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 HWiG) vereinbar, weil Belehrungund Bestätigung eigenständige Erklärungen seien; sie seienhorizontal und durch einen Querstrich räumlich deutlichvoneinander getrennt; der Charakter zweier eigenständigerErklärungen werde auch durch die jeweils gesondert zu leis-tende Unterschrift deutlich.

3. Auch der Zusatz, dass im Falle des Widerrufs auch diefinanzierten verbundenen Geschäfte nicht wirksam zustande

kommen, sei keine unzulässige andere Erklärung. Für denFall, dass das verbundene Geschäft in der Belehrung konkretbenannt ist, hatte der BGH dies bereits mit Urt. v. 24.04.2007entschieden (Az.: XI ZR 191/06, BGHZ 172, 157). DieseRechtsprechung wurde übertragen auf Fälle, in denen das ver-bundene Geschäft in der Belehrung falsch (Urt. v.11.03.2008, Az.: XI ZR 317/06, WM 2008, 828 – „Kaufver-trag“ statt KG-Beteiligung) oder – wie hier – nur allgemein(Urt. v. 11.11.2008, Az.: XI ZR 269/06, WM 2009, 65) bezeich-net ist.

Praxistipps:

Das Urteil betrifft Haustür-Darlehensverträge, die vor dem01.10.2000 abgeschlossen wurden (§ 9 Abs. 3 HWiG i. d. F.seit dem 01.10.2000). Für später abgeschlossene Verträgewaren die Anforderungen an die Widerrufsbelehrungzunächst in § 361a Abs. 1 BGB a. F. und sind inzwischen in§ 355 Abs. 2 BGB n. F. geregelt. Das ausdrückliche Verbotanderer Erklärungen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 HWiG i. d. F. bis zum30.09.2000) ist dabei entfallen. Siehe zur zeitlichen Anwend-barkeit der Regelungen zum Haustürwiderruf BGH, Urt. v.13.06.2006, Az.: XI ZR 94/05, NJW 2006, 3349. Zu der nichtendenden Problematik Widerrufsbelehrung auch Ernst, Edi-torial zu VuR 9/2008.

Ausweislich Rn. 14 a. E. des hier besprochenen Urteils bleibtes bei der gefestigten Rechtsprechung, dass eine Erklärung,die gemessen am HWiG einen unrichtigen Inhalt hat, unzu-lässig ist und die Widerrufsbelehrung insgesamt unwirksammacht. Dies gilt insbesondere für den Zusatz nach § 7 Abs. 3VerkrKrG, wonach der Widerruf als nicht erfolgt gelte, wenndas Darlehen nicht binnen zwei Wochen zurückgezahltwerde (BGH, Urt. v. 24.04.2007, Az.: XI ZR 191/06, BGHZ172, 157, Rn. 13 m. w. N.).

Wegen der Zulässigkeit des Zusatzes „frühestens“ verweist derBGH auf praktisch die gesamte Kommentarliteratur zumHWiG (Rn. 17). Die Verweise betreffen die grundsätzliche Mög-lichkeit, die Widerrufsfrist zu verlängern; die Unabdingbarkeitnach § 5 Abs. 4 Satz 1 HWiG stand dem nicht entgegen (Glei-ches gilt für § 355 BGB n. F.). Damit ist aber nichts darübergesagt, ob die Verlängerung in der Widerrufsbelehrung vereinbartwerden kann. Dem könnte das Verbot anderer Erklärungenentgegenstehen. Dem Verbraucher wird in der Regel auchnicht bewusst sein, dass mit seiner bloßen Entgegennahme derBelehrung eine eigenständige Vereinbarung getroffen wird.

Darlegungs- und Beweislast für die Eigenschaft alsMitdarlehensnehmer oder als bloßer Mithaftender

Die kreditgebende Bank muss grundsätzlich darlegen und be-weisen, dass die Voraussetzungen für eine echte Mitdarle-hensnehmerschaft vorliegen. Spricht hierfür der Wortlaut desvorformulierten Darlehensvertrages, hat der Schuldner nachden Regeln über die sekundäre Darlegungslast darzutun, dasser nicht das für eine Mitdarlehensnehmerschaft notwendigeEigeninteresse an der Kreditaufnahme besaß.(Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urt. v. 16.12.2008, Az.: XI ZR 454/07 (Vorinstanz KG Berlin,Urt. v. 11.09.2007, Az.: 4 U 37/06)

(ID 42687)

bearbeitet von RA Arne Maier, Esslingen

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VuR 5/2009 | 179

Sachverhalt (zusammengefasst):

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines von der Beklag-ten mitunterzeichneten Darlehensvertrages. Im August 2000schloss die klagende Bank mit dem Ehemann der Beklagten einenDarlehensvertrag über 37.000 DM. Der Vertrag wurde von der Be-klagten als „2. Kreditkonto-Inhaber (Ehepartner)” mitunterzeich-net. Von dem Kreditbetrag wurden 14.000 DM auf ein von derKlägerin für beide Ehegatten eingerichtetes Girokonto überwie-sen und 23.000 DM in bar ausgezahlt. Der Barbetrag wurde jeden-falls in Höhe von 6.000 DM für persönliche Schulden des Ehe-manns verwendet. Kurze Zeit nach Abschluss des Darlehensver-trages trennten sich die Eheleute. Im Juli 2001 kündigte dieKlägerin den Darlehensvertrag.

Die Beklagte verfügte bei Abschluss des Vertrages weder über eineigenes laufendes Einkommen noch über ein nennenswertes Ver-mögen. Sie ist der Ansicht, dass sie nicht Mitdarlehensnehmeringeworden sei, sondern nur die Mithaftung für die Darlehens-schuld ihres damaligen Ehemannes übernommen habe. DieserSchuldbeitritt sei wegen krasser finanzieller Überforderung sitten-widrig und deshalb nichtig (§ 138 BGB).

Das Berufungsgericht hat in Höhe der 6.000 DM, die für persönli-che Schulden des Ehemanns verwendet wurden, eine sittenwidri-ge Mithaftung der Beklagten angenommen. Wegen des Restbetra-ges sei sie echte Mitdarlehensnehmerin; insoweit wurde sie zurRückzahlung des Darlehens verurteilt. Die – vom Berufungsge-richt zugelassene – Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Gründe (zusammengefasst):

Soweit die Beklagte zur Rückzahlung des Darlehens verurteiltwurde, hat das Berufungsgericht sie zu Recht als echte Mit-darlehensnehmerin und nicht (nur) als Mithaftende angese-hen. Als Mitdarlehensnehmerin kann sie sich – wegen ihreseigenen Interesses an der Kreditgewährung – nicht auf dieGrundsätze der sittenwidrigen Mitverpflichtung wegen kras-ser finanzieller Überforderung berufen.

Die Qualifizierung als eigene Darlehensschuld oder als Mit-haftung hängt davon ab, ob die Beklagte nach dem maßgeb-lichen Willen der Beteiligten als gleichberechtigte Vertrags-partnerin neben ihrem damaligen Ehemann einen eigenenAnspruch auf Auszahlung der Darlehensvaluta hat, oder obsie ausschließlich zu Sicherungszwecken mithaften sollte. Zuden bei der Ermittlung des wirklichen Parteiwillens zu beach-tenden Auslegungsgrundsätzen gehören insbesondere dieMaßgeblichkeit des Vertragswortlauts als Ausgangspunktjeder Auslegung und die Berücksichtigung der Interessenlageder Vertragspartner. Der Wortlaut des vorformulierten Darle-hensvertrages spricht zwar dafür, dass die Beklagte echte Mit-darlehensnehmerin ist. Ihre dortige Bezeichnung als „2. Kre-ditkonto-Inhaber (Ehepartner)” deutet darauf hin, dass derDarlehensvertrag mit den damaligen Eheleuten gemeinsamgeschlossen wurde. Dem Wortlaut ist aber angesichts der Stär-ke der Verhandlungsposition der kreditgewährenden Bankund der allgemein üblichen Verwendung von Vertragsformu-laren grundsätzlich weniger Bedeutung beizumessen alssonst. Als echter Mitdarlehensnehmer ist daher – ungeachtetder konkreten Vertragsbezeichnung – in aller Regel nur derje-nige anzusehen, der – für den Darlehensgeber erkennbar – eineigenes Interesse an der Kreditaufnahme hat sowie imWesentlichen gleichberechtigt über die Auszahlung bzw. Ver-wendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf.

Einerseits muss die Beklagte ein fehlendes Eigeninteresse an derKreditgewährung nicht beweisen. Zwar sind die Voraussetzun-gen der Sittenwidrigkeit von demjenigen darzulegen und zubeweisen, der sich auf die Nichtigkeit des konkreten Rechts-

geschäfts beruft. Das Eigeninteresse an der Kreditaufnahmeist aber Voraussetzung dafür, dass die Beklagte die Rückzah-lung des Kredits als Mitdarlehensnehmerin schuldet. Es giltdaher der allgemeine Grundsatz, dass diejenige Partei, die auseiner rechtsgeschäftlichen Vereinbarung einen Anspruch fürsich herleitet, die tatsächlichen Umstände einer für sie gün-stigen Auslegung beweisen muss. Der Klägerin obliegt des-halb grundsätzlich der Beweis, dass die Beklagte bei Abschlussdes Darlehensvertrages das für eine echte Mitdarlehensneh-merschaft notwendige Eigeninteresse an der Kreditaufnahmehatte.

Andererseits muss die Beklagte im Hinblick auf die allgemeinenRegeln über die sekundäre Darlegungslast im Einzelnen darlegen,dass der Kredit ihr von Anfang an weder ganz noch teilweiseunmittelbar zugute kommen sollte. Denn sie hat nicht nur denDarlehensvertrag ohne eine unzulässige Willensbeeinflus-sung seitens der Klägerin mitunterzeichnet. Vielmehr sindihr auch die Beweggründe, die für die Kreditaufnahme aus-schlaggebend waren, bekannt, während die Klägerin insoweitkeine näheren Kenntnisse besitzt. Der Beklagten ist es daherzuzumuten, konkrete und nachvollziehbare Angaben dazu zumachen, dass der eindeutige Vertragswortlaut nicht derRechtswirklichkeit entspricht. Dieser sekundären Darlegungs-last ist die Beklagte nur hinsichtlich des Teilbetrages von6.000 DM nachgekommen.

Soweit das Berufungsgericht i. H. v. 6.000 DM eine sittenwid-rige Mithaftung der Beklagten angenommen hat, erfasst dieseTeilnichtigkeit nicht den gesamten Vertrag. Nach der Wer-tung des § 139 BGB lässt sich der Vertragsinhalt in einennichtigen Schuldbeitritt (6.000 DM) und einen von der Nich-tigkeit nicht berührten Darlehensvertrag (31.000 DM) auftei-len. Bei Kenntnis der Teilnichtigkeit hätten die Parteien einenDarlehensvertrag über 31.000 DM geschlossen.

Praxistipps:

Zur Abgrenzung Mitdarlehensnehmer/Mithaftender (und zuden weiteren Voraussetzung der sittenwidrigen Mithaftung):BGH, Urt. v. 14.11.2000, Az.: XI ZR 248/99 (BGHZ 146, 37 =NJW 2001, 815); BGH, Urt. v. 25.01.2005, Az.: XI ZR 325/03(NJW 2005, 973); Nobbe/Kirchhof, BKR 2001, 5. Zur Bedeu-tung dieser Abgrenzung im Verbraucherkreditrecht (Heilungeines Formmangels durch Empfang des Darlehens, § 494Abs. 2 BGB): BGH, Urt. v. 09.12.2008, Az.: XI ZR 513/07 (indiesem Heft, VuR 2009, 180).

Der XI. Zivilsenat ist bereits mit Urt. v. 04.12.2001 (NJW2002, 744) und v. 28.05.2002 (NJW 2002, 2705) davon aus-gegangen, dass es bei der hier in Rede stehenden Abgrenzungum eine Vertragsauslegung gehe. Dieser Ansatz ist zweifelhaft;es geht nicht um eine Auslegung des Darlehensvertrages, son-dern um die Ermittlung und Bewertung der Gesamtumstän-de, die zum Abschluss des Darlehensvertrages geführt haben(Schimansky, WM 2002, 2437, 2438 linke Spalte oben). Wenndie Abgrenzung keine Frage der Vertragsauslegung ist, dannhat der Vertragswortlaut nicht die erhöhte Bedeutung, dieihm der XI. Zivilsenat jetzt beimisst, um eine sekundäre Dar-legungslast des Mitverpflichteten zu begründen.

Zur (primären) Beweislast der Bank verweisen die Entschei-dungsgründe auf OLG Celle, Urt. v. 21.04.2004 (Az.: 3 U14/04, WM 2004, 1957). Das OLG Celle begründet dieBeweislast der Bank mit deren „Obliegenheit, sich nach demVerwendungszweck des Darlehens zu erkundigen, um zu

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erfahren, wer von den Eheleuten ein eigenes Interesse amAbschluss des Vertrages hat“. Wenn die Bank eine solcheObliegenheit zur Ermittlung des Vertragszwecks hat, dann kannden Mitverpflichteten keine sekundäre Darlegungslast zudem Verwendungszweck treffen, den die Bank aufgrund ihrerObliegenheit bereits kennen müsste.

Bartels (WM 2002, 1905, 1910 f.) und Tiedtke (EWiR 2002, 417;NJW 2003, 1359, 1362) sind mit guten Gründen der Ansicht,dass sich auch der Mitdarlehensnehmer auf die Sittenwidrigkeitwegen krasser finanzieller Überforderung berufen kann, wenner kein eigenes Interesse an der Kreditaufnahme hat (so auchPalandt/Ellenberger, 68. Aufl. 2009, § 138 Rn. 38a).

Verbraucherkreditrecht auch bei Darlehensvergabegelegentlich der gewerblichen Tätigkeit desDarlehensgebers anwendbar

Als Darlehensnehmer i. S. d. § 491 Abs. 1 BGB gilt auch ein Ver-braucher, der dem Darlehensvertrag als Mithaftender beitritt.Eine Heilung des Formmangels durch Empfang des Darlehens(§ 494 Abs. 2 BGB) kann gegenüber dem Mithaftenden nureintreten, wenn das Darlehen an ihn selbst ausgezahlt wird.(Leitsätze des Bearbeiters)

BGH, Urt. v. 09.12.2008, Az.: XI ZR 513/07 (Vorinstanz: OLG Stutt-gart, Urt. v. 09.10.2007, Az.: 10 U 267/06)

(ID 42688)

bearbeitet von RA Arne Maier, Esslingen

Sachverhalt (zusammengefasst):

Die Klägerin, eine in der Baubranche tätige GmbH, hat der Einzel-firma des Ehemanns der Beklagten ein entgeltliches Darlehenüber 70.000 DM gewährt, das später auf 70.000 EUR erhöht wur-de. Beide Unternehmen standen in geschäftlicher Verbindung.Der Ehemann der Beklagten und der Geschäftsführer der Klägerinverkehrten auch privat miteinander. Die Beklagte und ihr Ehe-mann sollten für das Darlehen persönlich haften. Die Darlehens-summe wurde an die Darlehensnehmerin ausgezahlt. Darlehens-kosten und anfänglicher effektiver Jahreszins waren im Darle-hensvertrag nicht angegeben. Die Klägerin verlangt von derBeklagten einen Teilbetrag von 10.000 EUR.

Die Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Die Mithaftungser-klärung der Beklagten ist wegen Fehlens der Pflichtangaben nich-tig (§§ 494 Abs. 1, 492 Abs. 1 Satz 5 Nr. 4 und 5 BGB). Mangels Aus-zahlung des Darlehens an die Beklagte wurde der Formmangelnicht geheilt (§ 494 Abs. 2 BGB).

Gründe (zusammengefasst):

Das Urteil behandelt zwei wesentliche Probleme des Verbrau-cherkreditrechts, nämlich 1. die Anwendbarkeit der §§ 491 ff.BGB, wenn sich die unternehmerische Tätigkeit des Kreditge-bers nicht auf die Kreditvergabe bezieht (Darlehensvergabegelegentlich der gewerblichen Tätigkeit), und 2. die Bedeu-tung des Schuldbeitritts (Mithaftung) eines Verbrauchers imRahmen der §§ 491 ff. BGB.

Zur 1. Frage folgt der BGH der nahezu einhelligen Auffassungin der Literatur, dass Darlehensgeber i. S. d. § 491 Abs. 1 BGBauch ein Unternehmer sein kann, dessen unternehmerischeTätigkeit sich nicht auf die Kreditvergabe bezieht. Notwendigist nur, dass der Darlehensgeber bei Abschluss des Darlehens-vertrages in Ausübung einer gewerblichen oder selbstständi-gen beruflichen Tätigkeit handelt. Schon eine Darlehensverga-

be gelegentlich der gewerblichen Tätigkeit ist ausreichend. Kredi-te fallen deshalb nur dann aus dem Anwendungsbereich desVerbraucherkreditrechts heraus, wenn sie ausschließlich derPrivatsphäre zuzuordnen sind. Das Verbraucherkreditrecht istanzuwenden, wenn der gewährte Kredit mit der ausgeübtengewerblichen oder beruflichen Tätigkeit des Kreditgebers inirgendeinem Zusammenhang steht. Auch auf die Häufigkeitder Kreditvergabe kommt es nicht an. Bereits die erstmaligeKreditvergabe gelegentlich der gewerblichen Tätigkeit isterfasst.

Zum 2. Komplex stellt der BGH zunächst klar, dass das Ver-braucherkreditrecht den Verbraucher auch beim Schuldbeitrittschützt; dies auch dann, wenn der Darlehensnehmer selbstnicht Verbraucher, sondern Unternehmer ist. Nachdem dasDarlehen an die Darlehensnehmerin (Einzelfirma des Ehe-manns der Beklagten) ausgezahlt worden war, kam eine Hei-lung der Formmängel durch Empfang des Darlehens inBetracht (§ 494 Abs. 2 BGB). Beim Schuldbeitritt kann dieseHeilung aber nur eintreten, wenn das Darlehen an den Mit-haftenden ausgezahlt wird. Vorliegend sei die Beklagte nachder – vom Wortlaut abweichenden – Auslegung des Darle-hensvertrages nur Mithaftende gewesen; ihr gegenüber sei des-halb keine Heilung eingetreten. Einem echten Mitdarlehens-nehmer wäre der Empfang des Darlehens dagegen – mit derFolge einer Heilung des Formmangels – zuzurechnen, unab-hängig davon, an welchen Mitdarlehensnehmer die Auszah-lung konkret erfolgt.

Praxistipps:

Der XI. Zivilsenat setzt seine Rechtsprechung zum weitenAnwendungsbereich des Verbraucherkreditrechts konsequent fort.Bereits zum Verbraucherkreditgesetz hatte der Senat ent-schieden, dass die Anwendung des Verbraucherkreditrechtskeine Gewinnerzielungserzielungsabsicht des Darlehensge-bers erfordert und deshalb auch Darlehen der öffentlichenHand erfasst werden (Urt. v. 24.06.2003, Az.: XI ZR 100/02,BGHZ 155, 240 = NJW 2003, 2742).

Dem Einwand der Revision, nur ein regelmäßig mit der Kre-ditvergabe befasster Unternehmer könne die hohen Anforde-rungen, die vom Gesetz an Verbraucherdarlehensverträgegestellt werden, ausreichend beachten, setzt der Senat entge-gen, dass es, ausgehend vom Schutzzweck des Verbraucher-kreditrechts, nicht auf die Schutzbedürftigkeit des Kreditge-bers ankomme; allein entscheidend sei vielmehr die Schutz-bedürftigkeit des Kreditnehmers (Rn. 19). Bleibt zu hoffen, dassdiese Erkenntnis auch noch Eingang in die deutsche Recht-sprechung zum Haustürwiderrufsrecht finden wird (vgl.Maier, VuR 2008, 401).

Die Mithaftung eines Ehegatten für betriebliche Darlehen sei-nes Ehepartners ist regelmäßig auch unter dem Gesichts-punkt einer Sittenwidrigkeit wegen krasser finanzieller Überforde-rung des mithaftenden Ehepartners zu überprüfen (StichwortEhegattenbürgschaft; hierzu Palandt/Ellenberger, 68. Aufl.2009, § 138 Rn. 37-38g). Nicht von ungefähr war die Klage inerster Instanz (LG Ravensburg) unter diesem Gesichtspunktabgewiesen worden. Auch in diesem Zusammenhang kommtes darauf an, ob der überforderte Ehepartner nur mithaftetoder echter Mitdarlehensnehmer ist. Auch hier erkennt derXI. Zivilsenat – ungeachtet der Vertragsbezeichnung – denüberforderten Ehepartner nur dann als echten Mitdarlehens-nehmer an, wenn dieser ein eigenes Interesse an der Kreditauf-

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VuR 5/2009 | 181

nahme hat und als im wesentlich gleichberechtigter Vertrags-partner über die Auszahlung bzw. Verwendung des Darlehensmitentscheiden darf (BGH, Urt. v. 25.01.2005, Az.: XI ZR325/03, NJW 2005, 973). Zur Darlegungs- und Beweislast beidieser Abgrenzung: BGH, Urt. v. 16.12.2008, Az.: XI ZR454/07 (in diesem Heft, VuR 2009, 178).

V E R S I C H E R U N G S R E C H T

Betriebsrentenanpassung im Konzern

Bei der Betriebsrentenanpassung im Konzern kommt es nicht aufdie wirtschaftliche Lage des Gesamtkonzerns an, sondern auf diedes Unternehmens, das die betriebliche Altersvorsorge schuldet.

BAG, Urt. v. 10.02.2009, Az.: 3 AZR 727/07 (nicht veröfftl.)

bearbeitet von RA Jürgen Glock, Stuttgart

Sachverhalt (zusammengefasst):

Der Entscheidung der Vorinstanz (Landesarbeitsgericht Düssel-dorf, Urt. v. 22.08.2007, Az.: 4 Sa 1097/07) lässt sich folgenderSachverhalt entnehmen:

Der Kläger bezieht von der Beklagten eine Betriebsrente in Höhevon monatlich 8.310,68 B. Darüber, ob die Rente jedenfalls ent-sprechend der Steigerung des Verbraucherpreisindexes anzupas-sen ist, streiten die Parteien. Die Beklagte ist Teil eines Konzerns,der von der U.G. Holding GmbH geführt wird.

Zur Feststellung, ob die wirtschaftliche Lage eine Anpassung zu-lässt, wurde eine Substanzerhaltungsanalyse erstellt. Nach demErgebnis der Untersuchung bestand bei der Beklagten ein positi-ves Anpassungspotenzial zu den jeweiligen Anpassungszeitpunk-ten seit 2003. Dagegen bestand bei der Konzernobergesellschaft,der U.G. Holding GmbH, zu keinem Zeitpunkt ein positives An-passungspotential.

Nach Mitteilung haben während des Revisionsverfahrens sowohldie Konzernobergesellschaft als auch die Beklagte Insolvenz ange-meldet.

Gründe (zusammengefasst):

Nachdem die Vorinstanzen der Klage stattgegeben hatten,hat das Bundesarbeitsgericht das Berufungsurteil aufgehobenund den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückver-wiesen.

Auch wenn es sich beim versorgungspflichtigen Arbeitgeberum eine konzernabhängige Tochtergesellschaft handelt, sindgrundsätzlich seine eigenen wirtschaftlichen Verhältnissemaßgebend. Auf eine schlechte wirtschaftliche Lage der Kon-zerngesellschaft oder des Gesamtkonzerns kann es nur dannankommen, wenn am Anpassungsstichtag konkrete Anhalts-punkte dafür bestehen, dass in den nächsten drei Jahren dieim Konzern bestehenden Schwierigkeiten auf das Tochter-unternehmen „durchschlagen“.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts ist vom Landesar-beitsgericht aufzuklären, welche Entwicklungen sich bereitsam Anpassungsstichtag konkret abzeichneten und ob zu die-sem Zeitpunkt mit hoher Wahrscheinlichkeit damit zu rech-nen war, dass sich die wirtschaftliche Lage des beklagtenTochterunternehmens wegen der finanziellen, organisatori-schen, technischen oder sonstigen Verflechtungen im Kon-zern nachhaltig verschlechtern werde und die Beklagte durchdie geforderte Anpassung übermäßig belastet werde.

Praxistipp:

Nach § 16 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG), hat derArbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leis-tungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen undhierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sindinsbesondere die Belange des Versorgungsempfängers unddie wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu berücksichti-gen. Diese Verpflichtung gilt als erfüllt, wenn die Anpassungnicht geringer ist als der Anstieg des Verbraucherindexes fürDeutschland oder die Nettolöhne vergleichbarer Arbeit-nehmergruppen des Unternehmens im Prüfungszeitraum.Für alle Durchführungswege der betrieblichen Altersversor-gung besteht auch die Möglichkeit, die Anpassungsprüfungs-pflicht durch die Zusage einer jährlichen Rentendynamikvon 1 % auszuschließen.

Eine Anpassung gilt als zu Recht unterblieben, wenn derArbeitgeber dem Versorgungsempfänger die wirtschaftlicheLage des Unternehmens schriftlich darlegt, der Versorgungs-empfänger nicht binnen drei Kalendermonaten nach Zugangder Mitteilung schriftlich widersprochen hat und er auf dieRechtsfolgen eines nicht fristgerechten Widerspruchs hinge-wiesen wurde.

Nachdem schon zur bisherigen Prüfungs- und Anpassungs-praxis vermutet wird, dass die Unkenntnis und Gutgläubig-keit von Betriebsrentnern zu deren Nachteil ausgenutzt wird,dürfte sich dies im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrisetendenziell verstärken. Es ist deshalb anzuraten, die gesetz-lich vorgeschriebene Anpassungsprüfung erforderlichenfallseinzufordern und bei unterlassener Anpassung gegebenen-falls fristgerecht zu widersprechen.

Die Entscheidung des Arbeitgebers kann zur arbeitsgericht-lichen Überprüfung gestellt werden. Dort obliegt dem Arbeit-geber die volle Darlegungs- und Beweislast. Ein ausreichendsubstantiierter Sachvortrag erfordert die schriftlich erläuterteVorlage der testierten Bilanzen nebst Gewinn- und Verlust-rechnung der vergangenen drei Jahre. Für den Arbeitgeberhohe Hürden.

Dies gilt auch für Tochtergesellschaften im Konzern, wobei esnach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts auf schlechtewirtschaftliche Verhältnisse im Konzern nur dann ankom-men kann, wenn zum jeweiligen Anpassungsstichtag konkre-te Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese in den nächstendrei Jahren auf das Tochterunternehmen „durchschlagen“.

Belehrungspflichten des Versicherers gegenübereinem Versicherungsnehmer zur Vorlage einerStehlgutliste bei der Polizei

Die Entscheidung BGH r + s 2008, 513 zu den Belehrungs-pflichten des Versicherers gegenüber einem Versicherungs-nehmer zur Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei erfor-dert einen solchen Hinweis nicht, wenn der Versicherungs-nehmer bereits von der Polizei aufgefordert worden ist, einesolche Stehlgutliste vorzulegen, auch wenn der Versichererdavon keine Kenntnis hat.(Leitsatz des Gerichts)

OLG Celle, Urt. v. 29.01.2009, Az.: 8 U 187/08

(ID 42694)

bearbeitet von RA Jürgen Glock, Stuttgart

Vers icherungsrecht | R E C H T S P R E C H U N G

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182 | VuR 5/2009

Sachverhalt (zusammengefasst):

Der Kläger nimmt den Versicherer aus einer Hausratversicherungwegen eines behaupteten Einbruchsdiebstahls am 07.08.2006 inAnspruch. Am 07.08.2006 war der Kläger in Urlaub, Einbruchspu-ren wurden von einem Dritten entdeckt, der die Polizei verstän-digte. Der Kläger unterbrach seinen Urlaub und vereinbarte in ei-nem Gespräch mit der Polizei am 09.08.2006, die Erstellung einerStehlgutliste auf die Zeit nach dem Urlaub zurückzustellen. Ur-laubsrückkehr war am 20.08.2006. Eine Stehlgutliste übersandteer am 15.09.2006 per Fax an die Polizei. Bereits am 10.08.2006hatte der Kläger von der Beklagten ein Formular zur Schadenan-zeige erhalten, welches er am 10.09.2006 ausfüllte und zurück-sandte. Mit Schreiben vom 22.09.2006 forderte die Beklagte denKläger auf, ihr unverzüglich eine detaillierte Auflistung der ent-wendeten Gegenstände zukommen zu lassen und mitzuteilen,wann der Kläger diese der Polizei eingereicht habe. Dieser Auffor-derung kam der Kläger am 18.10.2006 nach.

Die Beklagte stellt das äußere Bild eines Diebstahls in Abrede undmeint, der Einbruchdiebstahl sei nur vorgetäuscht worden. Siehält sich wegen einer schuldhaften Obliegenheitsverletzung fürleistungsfrei, weil der Kläger nicht unverzüglich eine vollständigeStehlgutliste bei der Polizei eingereicht habe.

Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. DieBerufung hatte keinen Erfolg, der Senat hat jedoch die Revisionzugelassen.

Aus den Gründen:

Die Berufung des Klägers musste aber jedenfalls deswegen invollem Umfang erfolglos bleiben, weil er gegenüber derBeklagten seine Obliegenheiten verletzt hat und diese des-wegen leistungsfrei ist (§ 6 Abs.3 VVG a. F.).

(…)

Das Landgericht hat angenommen, das Übersenden derStehlgutliste an die Polizei am 15.09.2006 habe nicht mehrden zeitlichen Anforderungen entsprochen. Dies trifft zu. Seitdem vom Kläger behaupteten Einbruchdiebstahl waren zudieser Zeit bereits mehr als fünf Wochen vergangen. Auf dasUrlaubsende kommt es hier nicht entscheidend an. Der Klä-ger kehrte am 20.08.2006 aus dem Urlaub zurück. Bis zur Ein-reichung der Stehlgutliste hat er wiederum deutlich mehr alszwei Wochen verstreichen lassen. Gegen die Annahme feh-lender Unverzüglichkeit scheint sich der Kläger ausweislichseiner Berufungsbegründung auch nicht wenden zu wollen.

(…)

Es kann dahingestellt bleiben, ob dem Kläger ein Vorsatz zurLast fällt (…).

Sieht man von den Besonderheiten des § 6 Abs.3 Satz 2 VVGa. F. ab, schadet dem Versicherungsnehmer aber schon diegrob fahrlässige Obliegenheitsverletzung in gleicher Weise.Grobe Fahrlässigkeit bedeutet, dass der Kläger einfachste,ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und dasje-nige nicht beachtet haben müsste, was im gegebenen Fallsich jedem aufgedrängt hätte (…), wobei den Kläger auch insubjektiver Hinsicht ein schweres Verschulden treffen müsste(…). Zutreffend ist dabei das Landgericht im angefochtenenUrteil davon ausgegangen, dass sich dem Kläger hätte auf-drängen können (oder eher: müssen), dass der Polizei dieAufklärung des Einbruchdiebstahls ohne nähere Kenntnisseüber die entwendeten Gegenstände erschwert wird. (…)

Zu Unrecht beruft der Kläger sich gegenüber der Leistungs-verweigerung durch die Beklagte auf § 242 BGB.

Es ist in der Rechtsprechung zwar anerkannt, dass der Versiche-rer ausnahmsweise sein Recht auf Leistungsfreiheit gemäß § 242BGB verlieren kann, wenn er sich gegenüber dem Versiche-rungsnehmer in schwerwiegender Weise unredlich verhält (…).

Die Beklagte schuldete in diesem Fall auch keine individuelleBeratung des Klägers darüber, dass er unverzüglich eine aus-sagekräftige Stehlgutliste zu erstellen hatte und welche Fol-gen sich aus der Nichterfüllung oder nicht rechtzeitigenErfüllung dieser Verpflichtung ergeben können.

Die einschlägige Grundsatzentscheidung des BGH hierzu(r + s 2008, 513) ist nach Auffassung des Senats nicht ein-deutig – was die Zulassung der Revision begründet –, stehtdieser Bewertung aber nicht entgegen.

(…)

Praxistipp:

Nach § 6 Abs.3 VVG a. F. ist der Versicherer bei Obliegen-heitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls vollstän-dig leistungsfrei, wenn dem Versicherungsnehmer wenigstensgrobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist und er nicht den Kausali-tätsgegenbeweis führen kann. In der Praxis hat dies nicht sel-ten zu unangemessenen Ergebnissen geführt, weshalb dieRechtsprechung in Ausnahmefällen Korrekturen über § 242BGB (Grundsatz von Treu und Glauben) versucht hat.

Mit dem seit dem 01.01.2008 geltenden VVG ist dieses „Alles-oder-Nichts-Prinzip“ aufgegeben. Obliegenheiten vor undnach Eintritt des Versicherungsfalls werden weitgehendgleich behandelt, die Sanktionierung bei einfacher Fahrläs-sigkeit ist weggefallen. Im Falle grober Fahrlässigkeit ist nach§ 28 Abs.2 Satz 2 VVG der Versicherer jetzt nur noch zu einerLeistungskürzung in einem der Schwere des Verschuldensentsprechenden Verhältnis berechtigt (Quotensystem). DasNichtvorliegen von grober Fahrlässigkeit hat der Versiche-rungsnehmer zu beweisen.

In Anlehnung an die bisherige „Relevanzrechtsprechung“ desBGH ist in § 28 Abs.3 VVG für die Leistungsfreiheit nach Abs.2ferner ein Kausalitätserfordernis festgelegt. Danach bleibt derVersicherer zur Leistung verpflichtet, wenn und soweit dieObliegenheitsverletzung weder für den Eintritt oder die Fest-stellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung undden Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist.

In § 28 Abs.4 VVG ist jetzt auch ausdrücklich geregelt, dass dievollständige oder teilweise Leistungsfreiheit bei Verletzung einernach Eintritt des Versicherungsfalls bestehenden Auskunfts-oder Aufklärungsobliegenheit nur dann eintreten kann, wennder Versicherer den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mit-teilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen hat.

Damit schränkt das neue Versicherungsvertragsrecht dieSanktionen für vertraglichen Obliegenheitsverletzungen einund gleicht das Konzept an die allgemeinen Grundsätze fürVertragsverletzungen an.

Fortsetzung des Rechtsschutzversicherungs-verhältnisses mit neuen Bedingungen

1. Zur Auslegung des Begriffs „Beginn des Versicherungs-schutzes“ in Verträgen, die ein bereits bestehendes Rechts-schutzversicherungsverhältnis mit neuen Verträgen fortset-zen.

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VuR 5/2009 | 183

2. Zur Anwendung geänderter Versicherungsbedingungenauf Rechtsschutzfälle, die auf einem „Verstoß“ im Sinne vonARB 2000 vor Vertragsänderung beruhen.(Leitsätze des Gerichts)

OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.01.2009, Az.:12 U 200/08

(ID 42696)

bearbeitet von RA Jürgen Glock, Stuttgart

Sachverhalt (zusammengefasst):

Die Klägerin ist mitversicherte Person in dem von ihrem in derZwischenzeit getrennt lebenden Ehemann abgeschlossenenRechtsschutzversicherungsvertrag mit der Beklagten. Sie begehrtvon der Beklagten Deckungsschutz für eine beabsichtigte Klagegegen eine Sparkasse als Kreditgeberin.

Das seit 1985 bestehende Rechtsschutzversicherungsverhältnis,in das die ARB 75 einbezogen waren, wurde zum 01.09.2001 ein-vernehmlich abgeändert und zu einem neuen Vertragsverhältnis,bestehend aus u. a. Rechtsschutz zusammengefasst. Vertragsrund-lage wurden nunmehr die verbundenen Bedingungen für „Recht+ Heim (RuHe 2001).

Die ARB 75 lauten auszugsweise wie folgt:

Rechtsstellung dritter Personen(2) Die Ausübung der Rechte des Versicherungsnehmers und dermitversicherten Personen aus dem Versicherungsvertrag steht, so-fern nicht etwas anderes vereinbart ist, ausschließlich dem Versi-cherungsnehmer zu; der Versicherer ist jedoch berechtigt, denmitversicherten Personen Versicherungsschutz zu gewähren, so-lange der Versicherungsnehmer nicht widerspricht.

Die RuHe 2001 bestimmen auszugsweise:

Rechtsstellung mitversicherter Personen2. Für mitversicherte Personen gelten die den Versicherungsneh-mer betreffenden Bestimmungen sinngemäß. Der Versicherungs-nehmer kann jedoch widersprechen, wenn eine andere mitversi-cherte Person als sein ehelicher Lebenspartner Rechtsschutz ver-langt.

Die Klägerin hatte 1990 zwei Darlehensverträge abgeschlossen,die der Finanzierung einer Eigentumswohnung ihres Ehemannesdienten. Sie hatte sich gleichzeitig der sofortigen Zwangsvollstre-ckung in ihr gesamtes Vermögen unterworfen. Mit Anwaltschrei-ben vom 20.11.2006 machte sie wegen krasser finanzieller Über-forderung die Nichtigkeit der Darlehensverträge gegenüber derSparkasse geltend, diese lehnte mit Schreiben vom 06.12.2006 ab.

Für eine beabsichtigte Klage gegen die Sparkasse beansprucht dieKlägerin von der Beklagten nun Versicherungsschutz. Als mitver-sicherte Person sei sie aktivlegitimiert, ein Widerspruchsrecht ste-he dem Ehemann als Versicherungsnehmer nicht zu, da die nun-mehr zugrunde zu legende RuHe 2001 eine entsprechende Rege-lung nicht enthalte.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Versicherungsfall sei be-reits mit Abschluss der Darlehensverträge eingetreten, weshalbdie ARB 75 anzuwenden seien. Da der Ehemann als Versiche-rungsnehmer widersprochen habe, stehe der Klägerin der geltendgemachte Anspruch nicht zu.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Widerspruchdes Ehemannes nach den ARB 75 dem Deckungsbegehren ent-gegenstehe.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin war erfolgreich.

Aus den Gründen:

Die Klägerin hat aufgrund des zwischen dem Versicherungs-nehmer und der Beklagten abgeschlossenen Versicherungs-vertrags als mitversicherte Person einen Anspruch aufDeckungsschutz für den beabsichtigten Rechtsstreit gegen die

kreditgebende Sparkasse. Der Vertrag erfasst sachlich dieInteressenswahrnehmung der Klägerin in ihrer Auseinander-setzung mit der Darlehensgeberin. Der Versicherungsfall istwährend der Vertragslaufzeit eingetreten. Ein Widerspruchs-recht des Versicherungsnehmers gegen die Inanspruchnahmeder Beklagten durch die Klägerin besteht nicht. (…)

(…)

Im Zeitpunkt der ersten Inanspruchnahme der Beklagtenwegen der Auseinandersetzung mit dem Kreditinstitut lagendem Versicherungsverhältnis bereits die RuHe 2001 zugrunde.Der Versicherte, der für die Wahrnehmung rechtlicher Interes-sen Rechtsschutz begehrt, wird nun in erster Linie diese aktuel-len Bedingungen heranziehen, in der Annahme, dass diese dieRechte und Pflichten der Beteiligten bestimmen und nurergänzend die früheren Bedingungen (…). Weder im Versiche-rungsschein noch in den Bedingungen finden sich ausdrückli-che Regelungen zur Abwicklung von Versicherungsfällen, diebei bereits bestehendem Versicherungsverhältnis, jedoch mitanderem Bedingungswerk eingetreten sind. (…). Welche Rege-lungen für Rechtsschutzfälle vor Vertragsänderung gelten,muss durch Auslegung bestimmt werden, wobei es daraufankommt, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmerohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse nach seinenVerständnismöglichkeiten und unter Berücksichtigung – auch- seiner Interessen bei verständiger Würdigung, aufmerksamerDurchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzu-sammenhangs die Bedingungen verstehen muss (…).

(…)

Das erste beanstandete Verhalten der Sparkasse datiert eben-so wie die Willenserklärungen zum Abschluss des Kreditver-trages auf das Jahr 1990, somit zweifelsfrei nach Ablauf etwai-ger Wartezeiten nach der Risikoübernahme. Damit liegen dieVoraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsschutz gemäߧ 4 Teil A RuHe 2001 vor. Ein Rückgriff auf die ARB 75 istdaher aus Sicht des um Verständnis bemühten Versiche-rungsnehmers weder notwendig noch geboten.

Praxistipp:

Ein nicht seltener Fehler in der Rechtspraxis ist die unterlas-sene Feststellung, welche Versicherungsbedingungen demVersicherungsvertrag zugrunde liegen und welche Klausel inconcreto anzuwenden ist. Je nach den zwischenzeitlich vor-genommenen Änderungen kann dies zu völlig unterschied-lichen Ergebnissen führen.

Vorliegend bestand zwischen den Parteien zwar Einverneh-men über das Bestehen eines Versicherungsvertragsverhält-nisses ab dem 01.09.2001 auf der Grundlage der RuHe 2001.In Streit war jedoch, ob noch die ARB 75 anzuwenden waren,weil der behauptete Verstoß gegen Rechtspflichten bereits1990 und somit vor Beginn des neuen Versicherungsvertrags-verhältnisses lag. Da für einen solchen Fall weder im Versi-cherungsschein noch im Bedingungswerk eine ausdrücklicheRegelung getroffen war, musste die Regelungslücke im Wegeder Auslegung geschlossen werden. Nach der Rechtsprechungist dabei von der Verständnismöglichkeit des durchschnitt-lichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtlicheSpezialkenntnisse auszugehen, der die Versicherungsbedin-gungen aufmerksam liest und verständig würdigt. Dies führ-te vorliegend zur Anwendung der für die mitversicherte Ehe-frau günstigeren Klausel.

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184 | VuR 5/2009

Sturz bei Skifahren als Unfall in der Unfallversicherung

1. Ein Unfall nach § 1 Abs.3 AUB 94, § 2 Abs.1 AUB 61, § 178VVG liegt nicht vor, wenn der Versicherungsnehmer bei ei-nem Ski-Abfahrtslauf stürzt, weil ein anderer Skifahrer vonoben kommend an ihm vorbeifährt, ihn aber nicht berührtund er sodann auf der Schulter zu Fall kommt, wodurch er ei-nen Riss der Sehnen im Bereich der Rotatorenmanschette er-leidet. Ein bloßes Erschrecken und ein unmittelbar darauf be-ruhender Sturz nur infolge einer ungeschickten Eigenbewe-gung, stellt mangels irregulären Zustandes der Außenweltkeinen Unfall dar.

2. Ist der Sturz auch nicht im Zusammenhang mit einer er-höhten Kraftanstrengung erfolgt, so liegt ebenfalls kein versi-chertes Ereignis nach dem fiktiven Unfallbegriff des § 1 Abs.4AUB 94, § 2 Abs.2 lit.a AUB 61 vor.(Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle, Urt. v. 15.01.2009, Az.: 8 U 131/08

(ID 42695)

bearbeitet von RA Jürgen Glock, Stuttgart

Sachverhalt (zusammengefasst):

Der Kläger nimmt die Beklagte aus zwei Unfallversicherungen inAnspruch.

Er behauptet, er sei am 03.03.2000 beim Skifahren gestürzt, als ihmein anderer Skifahrer die Vorfahrt genommen habe, weshalb er habeausweichen müssen. Er sei in eine Schneewehe gefahren, mit demrechten Fuß umgeknickt und auf die linke Körperseite gefallen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Es liege kein bedingungsgemäßer Unfall vor. Nach dem Ergebnisder Beweisaufnahme stehe gerade nicht fest, dass der Kläger auf-grund eines notwendigen Ausweichmanövers in eine Schneewe-he gefahren und dadurch gestürzt sei. Auch zu einer Berührungdurch den anderen Skifahrer sei es nicht gekommen. Das bloßeVorbeifahren eines anderen Skifahrers und ein mögliches Erschre-cken stelle jedenfalls kein von außen wirkendes Ereignis dar.

Die hiergegen gerichtete Berufung war erfolglos.

Aus den Gründen:

Die Berufung ist unbegründet (…). Es fehlt nämlich bereits aneinem bedingungsgemäßen Unfall des Klägers (…).

Ein Unfall liegt gem. § 2 Abs.1 AUB 61, § 1 III AURB 98zunächst vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich vonaußen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eineGesundheitsbeschädigung erleidet. Grundsätzlich muss essich hierbei um ein Einwirken der Außenwelt (Person oderSache) in der Form eines Zusammenstoßes auf den Körper desVerletzten handeln. Zwar können auch Eigenbewegungendes Versicherten einen Unfall bewirken, wenn sie dieGesundheitsbeschädigung zusammen mit einer äußeren Ein-wirkung ausgelöst haben (…). Entscheidende Verletzungsur-sache muss aber immer der irreguläre Zustand der Außenwelt,nicht dagegen das eigene Ungeschick des Versicherten sein.Entsprechend fehlt die Unfalleigenschaft bei bloß unge-schickten Eigenbewegungen, die als solche ohne Mitwirkungeines äußeren Ereignisses eine Gesundheitsbeschädigung her-vorrufen (…). Andernfalls wäre jede Verletzung bei Bewegun-gen, insbesondere bei jeder sportlichen oder gymnastischenBetätigung, als Unfall anzusehen. Das ist indessen mit demUnfallbegriff nicht zu vereinbaren, wie sich auch aus einemUmkehrschluss zu § 1 Ziff.4 AUB 2000 ergibt.

Ferner liegt auch kein Unfall nach § 1 IV AURB 98 bzw. § 2Abs.2a) AUB 61 vor. Nach dieser Vorschrift gilt als Unfallauch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Glied-maßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt oder Muskeln,Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden(§ 1 IV AURB 98) (…). Erforderlich ist ein besonderer Kraft-aufwand, der über das Maß dessen hinausgeht, was für dengewöhnlichen normalen Bewegungsablauf notwendig ist.Demgegenüber sind Handlungen des täglichen Lebens, diefür einen normalen, gesunden, gleichaltrigen Durchschnitts-menschen keinen bemerkenswerten Krafteinsatz erfordern,vom Versicherungsschutz ausgenommen, da solche Bewe-gungsabläufe regelmäßig nur dann zu Verletzungen führen,wenn schon krankhafte Verletzungen vorliegen (…).

Praxistipp:

Die private Unfallversicherung ist in der BundesrepublikDeutschland weit verbreitet, wobei die klassische Unfallversi-cherung (Kapital- oder Rentenzahlung) häufig durch mehroder weniger sinnvolle Zusatzleistungen ergänzt wird.

Ob ein versicherter Unfall vorliegt (plötzlich von außen aufden Körper wirkendes Ereignis bewirkt unfreiwillig eineGesundheitsbeschädigung – jetzt gesetzlich in § 178 Abs.2VVG geregelt), beschäftigt häufig die Gerichte, insbesondereFälle aus dem Freizeitbereich mit sportlichem Bezug.

Hätte der Kläger hier den Nachweis führen können, dass erbedingt durch das Ausweichen in die Schneewehe gefahrenund es dadurch zum Sturz gekommen war (äußere Einwir-kung), dann wäre wohl ein bedingungsgemäßer Unfall anzu-nehmen gewesen.

Der Fall zeigt deshalb weiter die Bedeutung der Darlegungs-und Beweislast. In der Unfallversicherung trifft die Darle-gungs- und Beweislast für den Unfall, die Gesundheitsbe-schädigung und die Ursächlichkeit des Unfallereignisses fürdie Gesundheitsbeschädigung (haftungsbegründende Kausa-lität) den anspruchstellenden Versicherungsnehmer. EineBeweislastumkehr enthält nunmehr § 178 Abs.2 Satz 2 VVG,wonach die Unfreiwilligkeit bis zum Beweis des Gegenteilsvermutet wird.

Es ist nach einem Unfall deshalb nicht nur wichtig, diebedingungsgemäß vorgesehenen, fristgebundenen Handlun-gen vorzunehmen (Unterrichtung des Versicherers und Hin-zuziehen eines Arztes etc.), sondern möglichst auch Beweissi-cherung zu betreiben.

Betreuungspflicht des Versicherungsmaklers nachVertragsschluss

Ein Versicherungsmakler ist verpflichtet, seinen Kunden auchnach Abschluss eines vermittelten Versicherungsvertrags wei-ter zu betreuen. Diese Betreuungspflicht betrifft zum einendie Frage, ob die Versicherungen weiterhin angemessen sind.Zum anderen hat der Versicherungsmakler auf Veränderun-gen zu reagieren, die den Versicherungsschutz gefährdenkönnen. Schließlich ist ein Versicherungsmakler im Schadens-fall verpflichtet, den Versicherungsnehmer, der die Dienstedes Versicherungsmaklers bei der Abwicklung der Versiche-rungsansprüche aus dem Schadensfall in Anspruch nimmt, zuunterstützen.

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VuR 5/2009 | 185

OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.12.2008, Az.: 9 U 141/08 (Vorinstanz LGFreiburg (Breisgau), Urt. v. 09.08.2007, Az.: 5 O 301/06)

(ID 42489)

Sachverhalt (zusammengefasst):

Die Parteien streiten um die Haftung des Beklagten als Versiche-rungsmakler. Der Kläger, der nach dem Motorradunfall vom 4.August 2002 die Hilfe des Beklagten hinsichtlich seiner verschie-denen Versicherungen in Anspruch nahm und der Beklagte, derden Kläger dementsprechend bei der Geltendmachung der Versi-cherungsansprüche unterstützte. Keiner der behandelnden Ärztehat innerhalb von einem Jahr bzw. 15 Monaten nach dem Unfalleine schriftliche Erklärung über eine unfallbedingte Invaliditätdes Klägers abgegeben.

Der Kläger macht geltend, spätestens Anfang Juni 2003 sei zur Ge-wissheit geworden, dass er das verletzte Bein nie wieder vollstän-dig werde belasten können. Spätestens zu diesem Zeitpunkt seiTeilinvalidität eingetreten. Der Beklagte habe ihm nicht nur dieUnfallversicherung vermittelt, sondern habe ihm auch bei derSchadensregulierung zur Seite gestanden. Daher habe der Beklag-te gegenüber dem Kläger auch die Verpflichtung übernommen,ihn bei der weiteren Schadensregulierung zu unterstützen. Des-halb hätte der Beklagte den Kläger auch auf die Ausschlussfrist des§ 7 AUB hinweisen müssen. Der Kläger verlangt daher Schadens-ersatz vom Beklagten in Höhe der ihm wegen Fristversäumungentgangenen Versicherungsleistung.

Der Beklagte lehnt jegliche Zahlung ab. Seine Verpflichtung alsVersicherungsmakler erfasse im Streitfall nicht die selbstständigeVertragsverwaltung und -überwachung. Insbesondere habe ernicht die Abwicklung des Schadensfalles übernommen. Für eineHaftung genüge es nicht, dass er dem Kläger bei der Schadensmel-dung geholfen habe. Zu diesem Zeitpunkt sei die spätere Teilinva-lidität nicht absehbar gewesen. Erst nach Ablauf der Ausschluss-frist des § 7 AUB habe der Beklagte von der Teilinvalidität erfah-ren. Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei nicht zubeanstanden. Daher stehe nicht fest, dass der Beklagte vor Ablaufder Ausschlussfrist von einer Teilinvalidität des Klägers erfahrenhabe.

Aus den Gründen

1) Der Beklagte haftet dem Kläger aufgrund einer Neben-pflichtverletzung des zwischen ihnen bestehenden Versiche-rungsmaklervertrags (§ 280 Abs. 1 BGB). Der Beklagte hätteden Kläger darauf hinweisen müssen, dass § 7 AUB eine Aus-schlussfrist für Ansprüche aus einer Unfallversicherung vor-sieht.

a) Ein Versicherungsmakler ist verpflichtet, seinen Kundenauch nach Abschluss eines vermittelten Versicherungsver-trags weiter zu betreuen. Diese Betreuungspflicht betrifft zumeinen die Frage, ob die Versicherungen weiterhin angemessensind. Zum anderen hat der Versicherungsmakler auf Verän-derungen zu reagieren, die den Versicherungsschutz gefähr-den können. Schließlich ist ein Versicherungsmakler imSchadensfall verpflichtet, den Versicherungsnehmer, der dieDienste des Versicherungsmaklers bei der Abwicklung derVersicherungsansprüche aus dem Schadensfall in Anspruchnimmt, zu unterstützen (Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. 1961,Vor. §§ 43-48 Rn. 61; Beckmann/ Matusche-Beckmann, Versi-cherungsrechtshandbuch, § 5 Rn. 258; OLG Düsseldorf, Urt.v. 26. Okt. 1990 – 7 U 242/88, mitgeteilt in VW 1993, 1397;OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 395). Hierzu zählt jedenfallsdie Pflicht, den Versicherungsnehmer über besondereUmstände und Risiken aufzuklären, die den Versicherungs-anspruch gefährden könnten.

14

b) Im Streitfall hat der Kläger die Hilfe des Beklagten inAnspruch genommen, um seine Versicherungsansprüche auf-grund des Motorradunfalls vom 4. August 2002 geltend zumachen. Insbesondere hat der Beklagte die Unfall-Schaden-Anzeige bezüglich der Unfallversicherung für den Kläger aus-gefüllt und selbst der Versicherung zugeleitet. Der Beklagtehat es weiterhin übernommen, den Kläger auch hinsichtlichder übrigen Versicherungsansprüche im Zusammenhang mitdem Motorradunfall (Krankenversicherung, Berufsunfähig-keitsversicherung) zu unterstützen. Nach dem Sachvortragder Parteien und dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat derSenat keinen Zweifel, dass der gesamte Schriftverkehr imZusammenhang mit dem Unfall vom 4. August 2002 – soweites sich um Schreiben des Klägers an die jeweiligen Versiche-rungen handelte – über den Beklagten lief.

Unter diesen Umständen wäre der Beklagte verpflichtet gewe-sen, den Kläger bereits bei der Unfall-Schaden-Anzeige für dieUnfallversicherung auf die Ausschlussfrist des vereinbarten§ 7 AUB 94 (Anlage K 1) hinzuweisen. Auch wenn zu diesemZeitpunkt die Frage noch offen war, ob der Unfall zu einerdauernden Invalidität führen würde, so bestand zumindestaufgrund der Schwere des Unfalls die ernsthafte Möglichkeitsolcher Folgen. Bereits die Schilderung der Verletzungen inder Unfall-Schaden-Anzeige vom 15. August 2002 lassen sol-che Folgen möglich erscheinen. Danach hatte sich der Klägerdie rechte Schulter geprellt und einen Oberschenkelbruchoberhalb des Knies einschließlich eines Muskelrisses sowieeinen Bruch des Handwurzelknochens erlitten. Diese Verlet-zungsfolgen eines Motorradunfalls geben auch einem medi-zinischen Laien hinreichend Anlass, dauerhafte Funktionsbe-einträchtigungen für möglich zu halten. Hiervon hatte derBeklagte auch Kenntnis.

Ein Versicherungsmakler, der es übernommen hat, den Versi-cherungsnehmer hinsichtlich der Schadensmeldung für eineUnfallversicherung zu unterstützen, muss diesen in diesemZusammenhang auch auf die Regelung des § 7 I. Abs. 1 Satz 2AUB 94 hinweisen. Die Regelung des § 7 I. Abs. 1 AUB gefähr-det den Versicherungsschutz erheblich; wird die Frist ver-säumt oder fehlt es an einer ärztlichen Feststellung der Inva-lidität, ist der Versicherungsschutz oft nicht mehr durchsetz-bar. Gerade in der Unfallversicherung kommt es nicht seltendazu, dass der Anspruch allein deshalb verloren geht, weilFristen versäumt werden (vgl. van Bühren/Schubach, Hand-buch Versicherungsrecht, 3. Aufl., § 18 Rn. 142). Die Fristen-regelung in § 7 AUB ist so ausgestaltet, dass regelmäßig dieGefahr besteht, ein durchschnittlicher Versicherungsnehmerkönne die darin geregelten Voraussetzungen für seinen Versi-cherungsanspruch übersehen (vgl. Prölss/ Knappmann, VVG27. Aufl., § 7 AUB 94 Rn. 8). Wer als Versicherungsnehmer dieUnterstützung eines Versicherungsmaklers für einen Unfall-versicherungsfall in Anspruch nimmt, erwartet daher, dasssein Versicherungsschutz nicht an einem Fristversäumnisscheitert. Auf der anderen Seite ist einem Versicherungsmak-ler die Frist des § 7 AUB geläufig. Der von ihm zu erwartendeHinweis auf diese Frist stellt keine besondere Belastung dar.Nachdem eine solche Pflicht nur dann besteht, wenn der Ver-sicherungsmakler von einem Versicherungsnehmer im Rah-men eines Schadensfalls damit betraut wird, den Versiche-rungsfall der Unfallversicherung anzuzeigen, führt eine sol-che Hinweispflicht auch nicht dazu, dass er den Versiche-rungsnehmer im Schadensfall umfassend zu betreuen hätte.Dem steht nicht entgegen, dass die Versicherung selbst mög-

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licherweise nicht gehalten wäre, den Versicherungsnehmerauf die Regelung des § 7 I. Abs. 1 Satz 2 AUB hinzuweisen.Insoweit ist bereits die Ausgangssituation des Versicherungs-maklers nicht mit der der Versicherung vergleichbar. Der Ver-sicherungsmakler unterstützt den Versicherungsnehmer imSchadensfall und ist daher in erster Linie diesem verpflichtet.

Der Senat ist weiter davon überzeugt, dass der Kläger – wenner vom Beklagten auf die Ausschlussfrist des § 7 AUB hinge-wiesen worden wäre – jedenfalls nach der 2. Operation imMai 2003 seine Ärzte entsprechend angesprochen hätte undzumindest eine ausreichende Feststellung seiner Invaliditätfür die Vorlage bei der Unfallversicherung erhalten hätte.Hierfür spricht schon, dass ein Versicherungsnehmer im All-gemeinen die notwendigen Schritte unternehmen wird, dieihm die Versicherungsleistung verschaffen würden. Zudemhat der Kläger selbst eine Schadensanzeige in der Unfallversi-cherung unterschrieben und so sein grundsätzliches Interes-se an Leistungen aus der Unfallversicherung bekundet. Esbestehen keine stichhaltigen Anhaltspunkte, dass der Klägeres im Streitfall dennoch ausnahmsweise in Kauf genommenhätte, seinen Versicherungsanspruch zu gefährden. Die vomKläger angestrebte vollständige Arbeitsfähigkeit hinderte ihnnicht, eine ärztliche Bescheinigung zu erbitten, dass derUnfall zu einer dauernden Funktionsbeeinträchtigunggeführt habe. Zum einen steht dies der Arbeitsfähigkeit nichtgenerell entgegen, zum anderen sind an die ärztliche Fest-stellung keine hohen inhaltlichen Anforderungen zu stellen,insbesondere ist es nicht erforderlich, einen bestimmtenInvaliditätsgrad anzugeben (vgl. Prölss/Knappmann, VVG27. Aufl., § 7 AUB 94, Rn. 11).

3) Den Kläger trifft jedoch ein hälftiges Mitverschulden. SeinAnspruch ist daher auf 12.499,38 zu kürzen.

25

Zwar kann sich der pflichtwidrig handelnde Vertragspartnerin der Regel nicht darauf berufen, der ihm vertrauendeGeschädigte habe seine Interessen noch anderweit schützenund insbesondere mit einer Pflichtverletzung rechnen müssen(vgl. BGHZ 94, 356, 361 zum Versicherungsmakler). Jedochbetrifft die Pflichtverletzung des Beklagten im Streitfall nurseine als Nebenpflicht bestehende Hinweispflicht auf dieRegelung des § 7 I. Abs. 1 Satz 2 AUB 94. Diese Frist zu wah-ren obliegt dem Versicherten selbst. Der Kläger konnte nichterwarten, dass der Beklagte die Abwicklung des gesamten Ver-sicherungsfalls übernehmen und insbesondere die Einhaltungder Fristen überwachen würde. Vielmehr ist es – auch im Ver-hältnis zu einem Versicherungsmakler – im Schadensfall inerster Linie Sache des Versicherungsnehmers, seine eigenenInteressen zu wahren und demgemäß die Versicherungsbe-dingungen zur Kenntnis zu nehmen. Es gehört ohnegesonderte Vereinbarung nicht zu den allgemeinen Pflichteneines Versicherungsmaklers, einen Schadensfall vollständig zubearbeiten und sämtliche Fristen zu überwachen. Im Streitfallhat der Kläger darüber hinaus eine fehlende Reaktion der Ver-sicherung erst im Mai 2004 – also fast 2 Jahre nach dem Unfallund der Schadensanzeige – beim Beklagten angemahnt,obwohl hinsichtlich der übrigen Versicherungen weitererSchriftverkehr erfolgte und Leistungen erbracht wurden.Unter diesen Umständen hält der Senat es für angemessen, einMitverschulden des Klägers zu berücksichtigen (§ 254 BGB;ähnlich OLG Düsseldorf, NJW-RR 1998, 395). Das Mitver-schulden des Klägers bemisst der Senat im Streitfall mit 50 %.

V E R B R AU C H E R I N S O LV E N Z R E C H T

Insolvenzverfahren: Aufhebung einer Verfahrens-kostenstundung wegen fehlerhafter oderunvollständiger Schuldnerangaben

1. Auch unvollständige Angaben des Schuldners, die ein fal-sches Gesamtbild vermitteln, können zur Aufhebung der Ver-fahrenskostenstundung führen.

2. Eine Aufhebung der Verfahrenskostenstundung wegenfehlerhafter oder unvollständiger Angaben setzt voraus, dassdiese für die Stundungsbewilligung ursächlich waren.(Leitsätze des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 08.01.2009, Az.: IX ZB 167/08 (Vorinstanz LG He-chingen, Beschl. v. 27.06.2008, Az.: 3 T 33/08; AG Hechingen,07.02.2008, Az.: IN 108/07)

(ID 42689)

Mit Anmerkung von Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Halle/Saale

Aus den Gründen:

1 In dem am 27. Juli 2007 eröffneten Insolvenzverfahren,in welchem der Schuldner Erteilung der Restschuldbefrei-ung beantragt, stundete das Insolvenzgericht ihm dieKosten des Verfahrens. In der ersten Gläubigerversamm-lung räumte der Schuldner auf Vorhalt des Insolvenzver-walters eine von ihm bis dahin nicht angegebene Bestel-lung als Geschäftsführer einer GmbH ein. Er übe dieseTätigkeit allerdings unentgeltlich aus. Faktische Ge-schäftsführerin sei seine Mutter. Das Insolvenzgericht hatdaraufhin mit Beschluss vom 7. Februar 2008 die demSchuldner bewilligte Stundung der Verfahrenskosten auf-gehoben. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde isterfolglos geblieben. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrtder Schuldner die Änderung des Beschlusses über die Stun-dungsaufhebung.

3 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, für die Aufhe-bung der Stundung der Verfahrenskosten reiche es aus,dass der Schuldner seine Auskunftspflicht vorsätzlich odergrob fahrlässig verletzt und die geschuldete Auskunft nichtaus eigener Initiative nachgeholt habe. Die Bestellung alsOrgan einer juristischen Person sei eine offenbarungs-pflichtige Tatsache. Üblicherweise werde dafür ein Ent-gelt gezahlt. Es sei deshalb erläuterungsbedürftig, wennder Schuldner geltend mache, dass mit der Organstellungkeine Entlohnung verbunden sei. Dies hätte dem Schuld-ner bei Anstellung einfacher Überlegungen klar sein müs-sen.

4 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprü-fung nicht in jedem Punkt stand.

5 a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegan-gen, dass der Schuldner „unrichtige Angaben” im Sinnedes § 4c Nr. 1 InsO gemacht hat. Die Bestellung des Schuld-ners als Organ einer juristischen Person ist ein für die Be-urteilung der Stundungsvoraussetzungen maßgebenderUmstand. Gemäß § 4c Nr. 1 1. Halbs. InsO kann das Ge-richt die Stundung aufheben, wenn der Schuldner vor-sätzlich oder grob fahrlässig unrichtige Angaben über Um-stände gemacht hat, die für die Eröffnung desInsolvenzverfahrens oder die Stundung maßgebend sind.

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VuR 5/2009 | 187

Ob unrichtige Angaben im Sinne dieser Vorschrift auchdann vorliegen, wenn die Angaben des Schuldners ledig-lich unvollständig sind, ist umstritten. Eine Entschei-dung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage liegt bislangnicht vor. In der Literatur wird teilweise die Ansicht ver-treten, unvollständige Angaben, d. h. solche Angaben,die im Rahmen einer den Schein der Vollständigkeiterweckenden Erklärung zwar richtig sind, durch Weglas-sen wesentlicher Umstände aber ein falsches Gesamtbildvermittelten, seien im Rahmen des § 4c Nr. 1 InsO uner-heblich (Prütting/Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, InsO§ 4c Rn. 8; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 4c Rn. 2). Nachanderer Auffassung ist der Schuldner verpflichtet, vonsich aus vollständige Angaben zu machen. Verschweigeer für die Verfahrenskostenstundung relevante Umstän-de, so könne deren Aufhebung auch darauf gestützt wer-den (Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 4c Rn. 3; HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 4c Rn. 8; Andres/Leithaus, InsO§ 4c Rn. 4; Jaeger/Eckardt, InsO § 4c Rn. 10; Münch-Komm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4c Rn. 4; Nerlich/Römer-mann/Becker, InsO § 4c Rn. 13; Hess, InsO § 4c Rn. 6; vgl.auch OLG Köln ZIP 2001, 466, 467 f zu § 290 Abs. 1 Nr.2 InsO; LG Potsdam ZInsO 2002, 941 zu § 124 Nr. 2 ZPO).

7 Der Schuldner ist verpflichtet, vollständige und richtigeAngaben zu machen, um die Verfahrenskostenstundungzu erlangen. Sind seine Angaben zwar formal richtig,unterlässt er aber die Mitteilung wesentlicher Umstände,die für die Verfahrenskostenstundung von Bedeutungsind, so kann auch dies zu deren Aufhebung führen. Durch§ 4c InsO soll nach der Begründung des Gesetzgebers dieordnungsgemäße Mitwirkung des Schuldners am Verfah-ren und dessen Förderung sichergestellt werden (BT-Drucks. 14/5680 S. 22). Dieses Ziel könnte nicht erreichtwerden, wenn man dem Schuldner gestattete, unvoll-ständige Angaben zu machen.

8 b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann gleich-wohl keinen Bestand haben, weil es die Frage der Ursäch-lichkeit der unterlassenen Angabe für die Stundungsbe-willigung nicht geprüft hat.

9 Die Frage, ob die unrichtigen oder unvollständigen Anga-ben des Schuldners für die Stundungsentscheidung ur-sächlich gewesen sein müssen, ist ebenfalls umstritten.Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Fra-ge gibt es bislang nicht. Teile des Schrifttums und derRechtsprechung sind der Meinung, die falschen oderunterlassenen Angaben des Schuldners müssten für diejeweilige Entscheidung des Gerichts nicht ursächlich ge-wesen sein, es reiche aus, dass der Schuldner objektiv feh-lerhafte oder unvollständige Angaben gemacht habe (AGGöttingen, ZInsO 2003, 1053; HK-InsO/Kirchhof, aaORn. 12; Nerlich/Römermann/Becker, aaO Rn. 18; Prüt-ting/Wenzel, aaO Rn. 13). Zu berücksichtigen sei die Fra-ge allenfalls im Rahmen der vom Gericht zu treffendenErmessensentscheidung über die Aufhebung der Stun-dung. Dagegen setzt die Aufhebung nach anderer Auffas-sung voraus, dass die unzutreffenden oder nicht abgege-benen Erklärungen des Schuldners für die Entscheidungdes Gerichts ursächlich waren. Der Zweck der Vorschriftgehe nur dahin, von Anfang an unberechtigte Stundun-gen zu beseitigen, die Vorschrift habe keinen Sanktion-scharakter (Jaeger/Eckardt, aaO Rn. 17 f; MünchKomm-InsO/Ganter, aaO Rn. 7; HmbKomm-InsO/Nies, 2. Aufl.

§ 4c Rn. 2; FK-InsO/Kohte, 4. Aufl. § 4c Rn. 5; Braun/Buck,3. Aufl. § 4c Rn. 3).

10 Für die Aufhebung der Stundung nach § 4c Nr. 1 InsO isterforderlich, dass die fehlerhaften oder unvollständigenAngaben des Schuldners für deren Bewilligung „maßge-bend” waren. Hieraus folgt, dass die Aufhebung nichtden Charakter einer Sanktion wegen objektiv fehlerhafterAngaben des Schuldners haben soll. Sie kann vielmehr nurdann erfolgen, wenn dem Schuldner die Verfahrenskostenaufgrund seiner Falschangaben gestundet worden sind.Die Kausalität der Falschangaben ist nicht erst im Rah-men eines dem Gericht in § 4c InsO eingeräumten Er-messens zu berücksichtigen. § 4c InsO regelt die Aufhe-bung der Stundung abschließend (BT-Drucks. 14/5680S. 22; MünchKomm-InsO/Ganter, aaO Rn. 2; Prütting/Wenzel, aaO Rn. 3; Uhlenbruck, aaO Rn. 1).

11 Das Beschwerdegericht hat sich mit der Kausalität der un-vollständigen Angaben des Schuldners für die Stundungder Verfahrenskosten nicht auseinandergesetzt. Es ist da-von ausgegangen, dass allein die Nichtangabe einer un-entgeltlichen Tätigkeit ausreicht, um die Stundung zuversagen. Dies genügt nach den vorstehenden Grundsät-zen nicht. Das Beschwerdegericht hat aufzuklären, ob demSchuldner bei rechtzeitiger Angabe seiner Stellung als Ge-schäftsführer die Stundung der Verfahrenskosten vonvornherein zu versagen gewesen wäre.

13 Der Beschluss des Beschwerdegerichts kann damit keinenBestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneu-ten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuver-weisen (§ 577 Abs. 4 ZPO).

Anmerkung:

Das 2001 eingeführte Rechtsinstitut der Verfahrenskosten-stundung, das sich zwar an das Recht der Prozesskostenhilfeanlehnt, jedoch insgesamt eine eigenständige Struktur hat,wird in der Rechtsprechung des BGH Schritt für Schritt näherkonturiert. Naturgemäß war zunächst die Grundnorm des § 4a InsO zu präzisieren; ausgehend von dem Beschluss NJW2003, 3780 ist inzwischen ein differenziertes Gebäude errich-tet worden (dazu nur BGH VuR 2005, 269 m. Anm. Kohte;2007, 34 m. Anm. Kohte; zuletzt VuR 2009, 28 m. Anm. Dick),mit dem mittellosen Personen der rasche und unkomplizier-te Zugang zum Insolvenzverfahren ermöglicht wird. Auch derRechtsschutz nach § 4 d InsO ist durch einen wichtigenBeschluss (BGH VuR 2008, 154 m. Anm. Kohte) hinreichendgeklärt, sodass in letzter Zeit die Möglichkeiten der Aufhe-bung der Verfahrenskostenstundung nach § 4 c InsO insBlickfeld geraten sind (dazu nur BGH VuR 2008, 117 und393).

Der vorliegende Beschluss präzisiert die Aufhebung wegenunrichtiger Angaben nach § 4 c Abs. 1 Alt. 1 InsO, die sich an§ 124 Abs. 2 ZPO anlehnt. Der Senat bewertet die fehlendeInformation über die Geschäftsführertätigkeit als eineunrichtige Angabe. Dies war nicht selbstverständlich, da dieAufhebung nach § 4 c InsO eine „unrichtige“ Informationverlangt, während in § 290 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 6 InsO dieMerkmale „unrichtig oder unvollständig“ normiert ist. Dar-aus wird teilweise abgeleitet, dass unvollständige Angabennicht unrichtig seien (Prütting/Wenzel; in: Kübler/PrüttingInsO § 4 c Rz. 8).

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Das Vorbild des § 124 Nr. 2 ZPO wird allerdings so ausgelegt,dass unvollständige Angaben dann unrichtig sind, wenn eineOffenbarungspflicht über diese Angabe bestanden hat (Hk-ZPO/Pukall, § 124 Rz. 6). Ebenso werden in der Judikatur zu§ 290 InsO fehlende Angaben in bestimmten Fällen als„unrichtige Angaben“ qualifiziert. So ist im Beschluss vom20.12.2007 (BGH VuR 2008, 194) die im Vermögensverzeich-nis fehlende Angabe des Eigentums an einem Grundstücknicht als Unvollständigkeit, sondern als Unrichtigkeit quali-fiziert worden. Dies ist zutreffend (so auch Kohte, VuR 2008,197), wenn und weil die fehlende Angabe ein solchesGewicht hatte, dass sie zu einem falschen Gesamtbild derInformation führt. Diese Kategorie wird in der Literatur zu§ 4 c und offensichtlich im vorliegenden Beschluss über-nommen, sodass eine solche qualifizierte Unvollständigkeiteiner Unrichtigkeit gleichzustellen (so auch MünchKomm-InsO/Ganter, § 4 c Rz. 4; Graf-Schlicker/Kexel, § 4 c Rz. 3;ebenso Hk-InsO-Kirchhof, § 4 c Rz. 8).

Kirchhof weist in diesem Zusammenhang zutreffend daraufhin, dass in solchen Fällen eine sorgfältige Prüfung des quali-fizierten Verschuldens zu erfolgen hat. Angesichts der nichtimmer einfach zu ermittelnden Voraussetzungen für eineErklärung, die sich wegen Fehlens einzelner Aussagen insge-samt als unrichtig darstellt, ist der Filter der groben Fahrläs-sigkeit unverzichtbar (zutreffend LG Mühlhausen VuR 2009,30). Für die Kategorie der groben Fahrlässigkeit kann für § 4c InsO auf die Judikatur zu § 290 InsO zurückgegriffen wer-den (zuletzt Dick, VuR 2009, 29, 30).

Dieser Frage musste der Senat in der vorliegenden Entschei-dung ebenso wie der Notwendigkeit einer hinreichend doku-mentierten Ermessensausübung durch das Insolvenzgericht(auch dazu LG Mühlhausen VuR 2009, 30, 31 sowie zu § 124ZPO OLG Brandenburg RPfleger 2001, 503) nicht nähernachgehen, weil die Aufhebung hier bereits an der fehlendenKausalität der unrichtigen Angabe für die Stundungsent-scheidung scheitern konnte. Bereits in der Judikatur zu § 124ZPO ist die Frage des Kausalitätserfordernisses kontrovers dis-kutiert worden; inzwischen verlangt zutreffend die Mehrzahlder Gerichte und Kommentare zur Abwehr sanktionsähn-licher Strukturen eine solche Kausalität der unrichtigenAngabe für die Entscheidung des Gerichts (z. B OLG Olden-burg NJW 1994, 807; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. § 124Rz. 13). Die Formulierung in § 4 c InsO ist hinreichend deut-lich, dass die im Gesetz verlangte Maßgeblichkeit der unrich-tigen Angabe als Kausalität für die Bewilligung der Verfah-renskostenstundung zu verstehen ist (so zutreffend Münch-KommInsO/Ganter, § 4 c Rz. 7; Jaeger/Eckardt, InsO § 4 cRz. 17). Diese Ansicht führt zu teleologisch passenden Ergeb-nissen, denn die Aufhebung ist keine Sanktion, sondern eineAntwort auf fehlerhafte Kommunikation, wenn diese Kom-munikation für die jeweilige Gerichtsentscheidung erforder-lich war (dazu FK-InsO/Kohte, § 4 c Rz. 5).

Mit dem vorliegenden Beschluss ist damit die Norm des § 4 cInsO präzisiert und besser handhabbar geworden. Manchewollten die Rechtsfigur der Verfahrenskostenstundungbereits in das rechtshistorische Museum abschieben, dochwar dies voreilig (dazu auch Pape, NZI 2007, 681, 682; Spring-eneer, ZVI 2008, 106, 109). Die Entscheidung zeigt vielmehrauch Anfang 2009 die Verfahrenskostenstundung als einefunktionsfähige Rechtsfigur, die zur Vermeidung von Kosten-barrieren auch weiterhin erforderlich ist.

Pfändbarkeit von Zahlungen an Ein-Euro-Jobber

Die bei einer Arbeitsgelegenheit (Ein-Euro-Job) gem. § 16 III 2(jetzt § 16 d S. 2) SGB II zu zahlende Mehraufwandsentschä-digung ist nach §§ 54 IV SGB I, 850 a Ziff. 3 ZPO unpfändbar.(Leitsatz von Prof. Dr. Wolfhard Kohte)

LG Dresden, Beschl. v. 17.06.2008, Az.: 3 T 233/08 (Vorinstanz AGDresden, Beschl. v. 14.02.2008, Az.: 583 M 1097/08)

(ID 42698)

Aus den Gründen:

Der eindeutige Wortlaut der Norm weist daraufhin, dass mitder Zahlung nach § 16 Absatz 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II Mehr-aufwendungen abgegolten werden sollen. Die Forderung inder Entwurfsbegründung des Gesetzgebers, die Aufnahmeeiner Erwerbstätigkeit solle nicht nur über Anreize gefördert,sondern auch mithilfe von Sanktionen gefordert werden (BT-Drs. 15/1516, S. 47), bezieht sich auf sämtliche geplante Maß-nahmen zur Arbeitsförderung und Wiedereingliederung Lang-zeitarbeitsloser, nicht konkret auf die Leistungen nach § 16Absatz 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB II. Der Begriff des „Anreizes”stellt insoweit einen Oberbegriff für sämtliche Möglichkeitendar, die Motivation zur Arbeitsaufnahme durch staatliche Leis-tungen zu erhöhen. Eine dieser Möglichkeiten innerhalb dergesetzgeberischen Gesamtkonstruktion ist eben die Zahlungeiner Mehraufwandsentschädigung. Dies gilt umso mehr, alsin der Erklärung zur Einführung dieser Leistung ebenfalls aus-drücklich von einer Entschädigung für Mehraufwendungendie Rede ist und ein Hinweis darauf, dass die Regelung staatli-che Zahlung allein als Anreizwirkung vorsieht, fehlt.

Nicht von der Hand zu weisen ist die Tatsache, dass bei Auf-nahme eines Ein-Euro-Jobs notwendigerweise zusätzliche Kos-ten für Ernährung, Bekleidung einschließlich deren Reinigung,Körperpflege und Fahrtkosten anfallen (so: Niewald , in: LPK-SGB II, § 16 Rn. 56; Eicher/Spellbrink , § 16 Rn 230; Steck/Kos-sens , Neuordnung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe durchHartz IV, 2005, Rn 359; Bieritz-Harder : Ein-Euro-Jobs, in:ZFSH/SGB 2005, S. 259, 262). Damit hat aber der Betroffene,der sich auf einen Ein-Euro-Job einlässt, tatsächliche Mehrauf-wendungen zu tragen, die ausgeglichen werden müssen, umein Minimum an sozialer Grundsicherung beizubehalten. Ausdiesem Grund ist die in der Literatur überwiegend vertreteneAuffassung dahingehend, dass Leistungen im Sinne von § 16Absatz 3 Satz 2 Halbsatz 1 pauschal jene Mehraufwendungenwenigstens teilweise abgelten sollen, durchaus auch von derSache her gerechtfertigt. Hierfür spricht auch die gesetzlicheRegelung im Falle von Krankheit oder Urlaub; für diese Zeit-räume, in denen keine Mehraufwendungen entstehen kön-nen, sind gerade keine Zahlungen nach § 16 Abs.3 Satz 2 Halb-satz 1 SGB II vorgesehen (Niewald, in LPK-SGB II, § 16 Rn 59).

Die Entschädigung für einen Ein-Euro-Job unterfällt auchnach Sinn und Zweck dem Pfändungsverbot nach § 850 a Zif-fer 3 ZPO.

Zweck dieser Regelung ist es, die hierin genannten Leistun-gen bereits von vornherein von der Pfändung auszunehmen,da einem Pfändungsschutz lediglich durch gesetzlich festge-legte Pfändungsfreibeträge nicht ausreichend Rechnunggetragen werden kann. Sämtliche Pfändungsvorschriften die-nen dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts desSchuldners in der Hinsicht, dass ihm ein gewisses Maß anfinanziellen Mitteln belassen wird, die ihm ein menschen-

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VuR 5/2009 | 189

würdiges Leben ermöglichen – was gleichfalls dem öffent-lichen Interesse der sozialen Sicherung des Schuldners dient.Damit ist auch ein Pfändungsschutz dahin gehend erforder-lich, dass Leistungen, die von vornherein als Aufwandsent-schädigung gezahlt werden, beim Schuldner verbleiben kön-nen. Aufwendungsentschädigungen stehen dem Schuldnergerade nicht zu seiner eigenen Lebensgestaltung zur Verfü-gung, sie sind vielmehr bereits als notwendige Ausgaben fürdie aufgenommene und ausgeübte Tätigkeit verbraucht. Diesgilt auch für die hier fragliche Mehraufwendungsentschädi-gung, zumal hier nur pauschal und nur teilweise der not-wendige Mehraufwand des Ein-Euro-Jobs zur Abgeltunggebracht wird. Deshalb kann dieser Regelung nur dann hin-reichend Rechnung getragen werden, wenn der pauschal undnur teilweise gezahlte Ausgleich für die Aufnahme einerArbeitstätigkeit, der vom Arbeitslosengeld II nicht gedeckt ist,dem Schuldner auch im Falle einer Pfändung verbleibt.

Kontenpfändung: Pfändungsschutz für eine auf dasSchuldnerkonto eingehende Mehraufwands-entschädigung (Ein-Euro-Job)

Die Mehraufwandsentschädigung nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB 2ist eine Sozialleistung und unterliegt dem Kontenpfändungs-schutz des § 55 SGB 1.(Leitsatz von Prof. Dr. Wolfhard Kohte)AG Hannover, Beschl. v. 19.06.2006, Az.: 701 M 15335/04(ID 42699)

Tenor:

(…) wird der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss desAmtsgericht Hannover – Vollstreckungsgericht – vom31.03.2006 gemäß § 766 ZPO i. V. m. § 55 Abs. 4 SGB I auf dieErinnerung d. Schuldn. dahingehend geändert, dass die Gut-habenpfändung bei der Drittschuldnerin Kto.-Nr.: ... in Höheeines einmaligen Betrages von 117,50 Euro aufgehoben wird.

Aus den Gründen:

Da Sozialleistungen auf dem gepfändeten Konto eingehenund sich § 850k ZPO auf Sozialleistungen nicht anwendenlässt, gilt der Schutz des § 55 SGB I als Spezialvorschrift (LGBraunschweig Nds.Rpfl. 1998, 150; BGH Rpfleger 2004, 713;LG Hannover Beschl. v. 6.7.2005 – 55 T 66/05).

Auch die Mehraufwandsentschädigung, die der Schuldnervom Zweckverband L erhält ist gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGBII kein Arbeitseinkommen, sondern Sozialleistung und somitüber § 55 SGB I freizugeben.

Der verlängerte Vollstreckungsschutz des § 55 Abs. 4 SGB I kannnicht von Amts wegen angeordnet werden, sondern nur aufVollstreckungserinnerung d. Schuldn. (zutreffend BGH aaO).

Der Maßnahmeträger ist an diesem Verfahren nicht beteiligtund hat keinerlei eigenes Antragsrecht.

M U LT I M E D I A R E C H T

Sittenwidrige Gestaltung einer Internetauktion

Zur Zulässigkeit von Live-Shopping-Angeboten im InternetAG Bochum, Urt. v. 08.05.2008, Az.: 44 C 13/08(ID 42700)

Sachverhalt:Die Klägerin betreibt seit Anfang 2007 unter der Adresse „ten-cents.de“ eine Plattform im Internet, die sie als „Versteigerungs-plattform“ bezeichnet. Die Teilnahme an den Diensten der Kläge-rin setzt voraus, dass die Nutzer sich – kostenlos – registrieren las-sen, also einen Account anlegen. Um auf einen Artikel bieten zukönnen, müssen sie anschließend sog. Gebotsrechte kaufen, diebei Abgabe eines Gebots vom Kundenkonto abgezogen werden.Diese Gebotsrechte können in Paketen von 20 (zu 9,90 EUR), 40,60, 80 oder 100 (letzteres zu 45,90 EUR) erworben werden, mit de-nen der Nutzer anschließend entsprechend oft mitbieten kann. Je-de Auktion beginnt bei 10 Cent; die Gebote können jederzeit plat-ziert werden und erhöhen jeweils den aktuellen Preis um 10 Cent.Auf diese Weise kam z. B. am 18.04.2008 ein aus der Addition voneingesetzten Gebotsrechten errechneter „aktueller Preis“ für einSony-Notebook von 3.875,99 EUR zustande. Zum Auktionsendeheißt es auf der Internetseite der Klägerin unter „Fragen und Ant-worten“ u. a. „Die Laufzeit ist jedes Mal unterschiedlich und kannzwischen 1 und 7 Tagen variieren. Wird innerhalb der letzten 60Sekunden vor Gebotsende ein Gebot abgegeben, setzt sich derCountdown erneut auf 60 Sekunden zurück. Somit kann sich dasvon uns gesetzte Auktionsende um einige Zeit schieben. Wird inden letzten 60 Sekunden kein Gebot mehr abgegeben, läuft dieAuktion aus. Der zuletzt bietende User gewinnt“. Ferner heißt eszum Stichwort „Auktionsende“: „Nach Ablauf des Countdowns istdas Auktionsende erreicht. Gewinner der Auktion ist immer derHöchstbietende. Wenn in letzter Sekunde mehrere Bieter gleich-zeitig auf einen Artikel geboten haben, entscheidet die Reihenfol-ge der Einträge aus der Systemdatenbank“. In der Praxis verhält essich so, dass die ursprünglichen Laufzeiten sich teilweise um meh-rere, z. B. 4 Tage verlängern. In der Zeit zwischen 24 und 8 Uhr istdie Internetseite der Klägerin geschlossen („Bietpause“).

Die Klägerin bietet ferner einen sogenannten Bietbutler an. Hier-zu informiert sie unter „Fragen und Antworten“: „Der Bietbutlerist ein Assistent, mit dem Sie automatisch von einem Betrag X biszu einem bestimmten Betrag Y bieten können. Wenn Sie z. B.„Bieten ab 45,50–130.20 EUR“ eingeben, wird das erste Gebot frü-hestens ab genau 45,50 EUR abgegeben und das letzte Gebotspätestens bei 130,20 EUR. Zusätzlich müssen sie die maximaleAnzahl der einzusetzenden Gebote angeben“.

Die Klägerin befindet sich noch im Aufbau; während dieser Phasebietet sie ausschließlich eigene, in ihrem Eigentum stehende Arti-kel, teilweise auch hochwertige Elektronikartikel wie Flachbild-fernseher u. ä. an. In § 3 ihrer AGB heißt es „Die angebotenen Ge-bote stellen ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages i. S. v.§ 433 BGB dar“. Den „aktuellen Preis“ für hochwertige Elektronik-artikel muss der Erwerber nach Auktionsende häufig nicht zahlen(„Diese Auktion ist geschenkt!“).

Die Klägerin hat ihren Internetauftritt im Laufe der Zeit geändert.Während sie nunmehr einen ständig aktualisierten „Count-down“ einblendet und diesen auch bei neueingehenden Gebotenwährend der letzten 60 Sekunden stets zurücksetzt, hatte sie bisApril diesen Jahres daneben einen „Refresh-“Button zur Aktuali-sierung platziert, während gleichzeitig die Countdown-Uhrrechts daneben jeweils bis 0 ablief. Zudem sind nunmehr in einereigenen Rubrik die „letzten 5 Gebot“ eingeblendet, was im Jahr2007 noch nicht der Fall war.

Der Beklagte meldete sich am 04.08.2007 bei der Klägerin an underwarb zwischen diesem Tag und dem 10.09.2007 Gebotsrechtezum Gesamtbetrag von 2.516,40 EUR. Diese setzte er sämtlich beiAuktionen der Klägerin, überwiegend bei hochwertigen Elektro-nikartikeln ein, erwarb jedoch keinen einzigen davon. Der Be-klagte verfügte über einen DSL-Internetzugang mit 16.000 bit.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.516,40 EUR nebst Zinsen i.H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem06.12.2007 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mult imediarecht | R E C H T S P R E C H U N G

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190 | VuR 5/2009

Er behauptet, dass die Website der Klägerin zumindest im streit-gegenständlichen Zeitraum technisch fehlerhaft gewesen sei. Soseien 3 Auktionen mit dem Hinweis „Die Auktion ist beendet“ausgelaufen, obwohl er in den letzten 60 Sekunden ein Gebot ab-gegeben habe. Zudem sei der Bietbutler insofern mangelhaft ge-wesen, als er innerhalb von 5 Minuten weit über 100 Gebotsrech-te für einen Artikel verbraucht habe, obwohl hier ein Gebot pro60 Sekunden gereicht hätte. Der Beklagte behauptet weiter, dasser niemals Gebotsrechte erworben und an den Auktionen teilge-nommen hätte, wenn er gewusst hätte, dass sich das Auktionsen-de um mehrere Tage verschieben würde. Wegen der weiteren Ein-zelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen denParteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genom-men.

Gründe:

Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat gegen denBeklagten keinen Anspruch auf Zahlung aus einem zwischenden Parteien geschlossenen Vertrag (Vertrag eigener Art mitkauf- und dienstvertraglichen Elementen (vgl. § 311 Abs. 1BGB).

Es kann dahin stehen, ob mit der Anmeldung bei der Kläge-rin am 04.08.2007, den anschließenden Erwerben vonGebotsrechten und dem Mitbieten bei den Auktionen über-haupt ein bzw. mehrere Verträge zwischen den Parteienzustande gekommen sind, wogegen einiges spricht. Dies setztnämlich voraus, dass die wesentlichen Vertragsbestandteilebestimmt oder zumindest bestimmbar sind („essentialianegotii“). Daran dürfte es hier fehlen, weil der wesentlicheVertragsbestandteil des Ablaufs des Erwerbs eines zu verstei-gernden Gegenstandes in den „Fragen und Antworten“ derKlägerin widersprüchlich geregelt ist (Perplexität). Währendes einerseits heißt, dass sich die Auktion um 60 Sekundenverlängert, wenn in den letzten 60 Sekunden vor Gebotsendeerneut ein Gebot abgegeben wird, heißt es unter dem Stich-punkt „Auktionsende“, dass die Reihenfolge der Einträge ausder Systemdatenbank entscheide, wenn „in letzter Sekundemehrere Bieter gleichzeitig auf einen Artikel geboten haben“.Welcher Bieter unter diesen widersprüchlichen Angaben nunden Zuschlag erhalten soll, ist auch durch Auslegung gem.§§ 133, 157 BGB nicht mit der notwendigen Klarheit zuermitteln.

Letztlich kann diese Frage jedoch offen bleiben. Selbst wennzwischen den Parteien ein bzw. mehrere wirksame Verträgeeigener Art geschlossen worden sein sollten, wären diesejedenfalls unwirksam.

Es kann wiederum dahin stehen, ob sich diese Unwirksam-keit aus § 762 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt. Nach dieser Vorschriftwird eine Verbindlichkeit durch Spiel oder durch Wette nichtbegründet. Ein Spiel im Sinne dieser Vorschrift ist dadurchgekennzeichnet, dass sich die Vertragspartner für den Fall desSpielgewinns eine den Einsatz gleiche oder höhere Leistungzusagen, während im Fall des Verlierens der Einsatz demGegenspieler überlassen bleibt, all dies, ohne dass ein ernstersittlicher oder wirtschaftlicher Geschäftszweck im Raumsteht (Palandt/Sprau, § 762 Rn. 2 m. w. N.). So dürfte es hierliegen, verbleiben doch die Einsätze sämtlicher unterlegenerBieter bei der Klägerin. Im Falle des am 18.04.2008 verstei-gerten Notebooks waren dies Gebotsrechte im Wert von17.798,18 EUR, während der „Gewinn“ lediglich in einemNotebook im Wert von 1299,00 EUR besteht. Insbesonderebesteht die theoretische Möglichkeit, für den Einsatz einesGebotsrechts von 10 Cent zu einem Höchstpreis von 0,495

EUR den besagten Artikel zu erwerben. Derjenige Bieter, dererstmals während der letzten 60 Sekunden ein Gebotsrechtinvestiert, hat mithin dieselben Chancen, den Artikel zuerwerben, wie derjenige, der im Beispielsfall zuvor alleinGebotsrechte für17.798,18 EUR investiert hat. Abgesehenvon der Intransparenz des abschließenden Zuschlagsprozede-res, bleibt es mithin den Zufall überlassen, ob der schließlicheErwerber den Beispielsartikel für Gebotsrechte im Gegenwertvon 17.798,18 EUR oder für Gebotsrechte im Gegenwert von0,495 EUR erwirbt. Ein etwaiger ernsthafter wirtschaftlicherGeschäftszweck, etwa die Absicht, einen elektronischen Arti-kel ernsthaft zu erwerben, tritt unter diesen Umständenjedenfalls völlig in den Hintergrund.

Es kann ferner offen bleiben, ob die Rechtsgeschäfte zudemgem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Ver-bot, insbesondere das Erfordernis der – nicht dargelegten –Gewerbeerlaubnis gem. § 34 b Abs. 1 S. 1 GewO, gem. § 3UWG oder gem. §§ 284 ff StGB unwirksam sind.

Denn jedenfalls sind die etwa geschlossenen Verträge gem.§ 138 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen die guten Sittennichtig. Nach der Rechtsprechung ist ein Rechtsgeschäft sit-tenwidrig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassungvon Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmendenGesamtcharakter mit den guten Sitten nicht vereinbar ist(BGHZ 106, 269, 272).

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Vertragsgestal-tung der Klägerin bringt es mit sich, dass eine möglichst star-ke Anzahl von Mitbietern einen möglichst hohen Einsatzeinzahlt, wohingegen nur ein Mitbieter den dann häufig„geschenkten“ Artikel erwirbt und der von den anderen Mit-bietern gezahlte Einsatz ohne jede Gegenleistung vollständigbei der Klägerin verbleibt. Angesichts des enormen Missver-hältnisses von „verlorenen“, komplett bei der Klägerin ver-bleibenden Einsätzen von Mitbietern und dem tatsächlichenWarenwert, also ihrer Gegenleistung, stellt sich diese unge-wöhnlich starke Belastung der Vertragspartner der Klägerinals Verstoß gegen die der Rechtsordnung immanenten Werteund Prinzipien dar (vgl. Palandt/Heinrichs a. a. O. Rn. 3,m. w. N.).

Hinzu kommt, dass völlig intransparent ist, wie der„Zuschlag“ also der Erwerb durch einen Mitbieter letztlichzustande kommt. Das Gericht ist aufgrund der lebensnahen,detaillierten, glaubhaften und letztlich völlig überzeugendenEinlassung des Beklagten während der mündlichen Verhand-lung davon überzeugt, dass drei Auktionen beendet wordensind, obwohl der Beklagte während der letzten 60 Sekundenein Gebot abgegeben hat. Unter diesen Umständen ist dasRisiko jedes Mitbieters nicht nur hoch, sondern völlig unkal-kulierbar, jegliche eingesetzte Gebotsrechte und zugleich jedeGegenleistung zu verlieren. Statt dieses Risiko zu verdeut-lichen, verweist die Klägerin in ihren „Fragen und Antworten“lediglich darauf, dass sich das von ihr gesetzte Auktionsende„um einige Zeit“ verschieben könne. Sie verschweigt, dassman theoretisch über mehrere Tage oder gar Wochen minüt-lich ein Gebot abgeben muss, um letztlich alle möglichen Mit-bewerber „erschöpft“ zu haben. Dieses System ist irreführend.Es zielt darauf, die Leichtgläubigkeit, Unerfahrenheit und ingewisser Weise auch Spielleidenschaft der Teilnehmer auszu-nutzen und sie damit zur Zahlung von Einsätzen zu bewegen,die jenen bei einem Spiel ähneln (vgl. BGH NJW 1997, 2314).

Obwohl es darauf nicht mehr ankommt, dürften die vertrag-lichen Leistungen der Klägerin auch mangelhaft i. S. d.

R E C H T S P R E C H U N G | Mult imediarecht

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§§ 434 ff BGB bzw. unbrauchbar i. S. d. d. §§ 611 ff BGBgewesen sein, sodass der Beklagte die vereinbarte Vergütungim Ergebnis nicht zahlen muss. Diese Mängel betreffen diebereits besagten technischen Fehler während mindestensdreier Auktionen, die geendet haben, obwohl der Beklagte inden letzten 60 Sekunden Gebote abgegeben hat. Darüberhinaus ist das Gericht aufgrund der völlig glaubhaften Erklä-rungen des Beklagten während der mündlichen Verhandlungvom 08.05.2008 davon überzeugt, dass der von der Klägerinangebotene Bietbutler im streitgegenständlichen Zeitraumtechnisch unzureichend war und in 5 Minuten über 100Gebotsrechte verbraucht hat, obwohl theoretisch nur derEinsatz von 5 Gebotsrechten nötig gewesen wäre. Angesichtsdes Umstandes, dass es völlig unrealistisch und unzumutbarist, tagelang jeweils 16 Stunden vor dem Rechner zu verhar-ren und minütlich ein Gebot abzugeben, ist der Bieter auchauf einen funktionierenden Butler angewiesen, so dass sichdieser Mangel insgesamt als erheblich darstellt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711ZPO.

W E T T B E W E R B S R E C H T

Verbraucherverbandsklage

Die VO Nr. 2081/92 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Kon-trolleinrichtungen zu schaffen, die die erforderlichen Maß-nahmen ergreifen, falls Agrarerzeugnisse oder Lebensmittelmit einer „geschützten Bezeichnung“ versehen sind, obwohlsie die Anforderungen der Spezifikation nicht erfüllen. DieBundesrepublik Deutschland kommt dieser Verpflichtung da-durch nach, dass sie im UWG nicht nur den Inhabern der ge-schützten Bezeichnung die Möglichkeit eröffnet, Rechtsver-letzungen zu unterbinden, sondern auch Unternehmens- undVerbraucherverbänden. Dies stellt ein allgemeines und effek-tives System zur Verhinderung von Verstößen und zu derenwirksamer Ahndung dar.(Leitsatz RA Walter Stillner)

EuGH, Urt.v. 26.02.2008, Az.: C-132/05*

(ID 42709)

Der EuGH legt zunächst dar, dass die deutsche Bezeichnung„Parmesan“ die geschützte Bezeichnung „Parmigiano Reggia-no“ verletze, weist dann aber die Klage der Kommissiongegen die Bundesrepublik Deutschland gleichwohl ab:

Zur Klage:

16 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom6. September 2005 sind zum einen die Italienische Republikund zum anderen das Königreich Dänemark und die Repu-blik Österreich als Streithelfer zur Unterstützung der Anträgeder Kommission bzw. der Bundesrepublik Deutschland zuge-lassen worden.

17 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 15.Mai 2006 ist die Tschechische Republik als Streithelferin zurUnterstützung der Anträge der Kommission zugelassen wor-den.

18 Die Kommission stützt ihre Klage allein darauf, dass dieBundesrepublik Deutschland es abgelehnt habe, die Verwen-dung der Bezeichnung „Parmesan“ bei der Etikettierung von

Erzeugnissen, die nicht der Spezifikation der g. U. „Parmigia-no Reggiano“ entsprechen, in ihrem Staatsgebiet zu ahnden.

19 Die Bundesrepublik Deutschland bestreitet die Vertrags-verletzung aus drei Gründen:

– Erstens sei eine Ursprungsbezeichnung nach Art. 13 derVerordnung Nr. 2081/92 nur in genau der Form geschützt,in der sie eingetragen sei;

– zweitens stelle die Verwendung des Wortes „Parmesan“keine Verletzung der g. U. „Parmigiano Reggiano“ dar, und

– drittens sei sie nicht von Amts wegen verpflichtet, Verstö-ße gegen Art. 13 der Verordnung Nr. 2081/92 zu ahnden.

Zum Schutz zusammengesetzter Bezeichnungen:

20 Die Kommission macht geltend, dass das gemeinschaftli-che Schutzsystem auf dem Grundsatz beruhe, dass die Eintra-gung einer aus mehreren Worten bestehenden Bezeichnungsowohl den Bestandteilen der zusammengesetzten Bezeich-nung als auch dieser als Ganzem den Schutz des Gemein-schaftsrechts verleihe. Der wirksame Schutz zusammenge-setzter Bezeichnungen erfordere daher, dass grundsätzlichalle Bestandteile einer zusammengesetzten Bezeichnunggegen missbräuchliche Verwendung geschützt seien. Um die-sen Schutz zu gewährleisten, verlange die VerordnungNr. 2081/92 nicht die Eintragung der einzelnen schutzfähi-gen Teile einer zusammengesetzten Bezeichnung, sonderngehe von dem Grundsatz aus, dass jeder Bestandteil auch fürsich allein geschützt sei. Diese Auslegung werde durch dasUrteil des Gerichtshofs vom 9. Juni 1998, Chiciak und Fol(C-129/97 und C-130/97, Slg. 1998, I-3315), bestätigt.

21 Von dem Grundsatz, wonach alle Bestandteile einerzusammengesetzten Bezeichnung geschützt seien, gebe esnur eine Ausnahme. Die sei in Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 derVerordnung Nr. 2081/92 geregelt, wonach die Verwendungeines einzelnen Bestandteils einer zusammengesetztenBezeichnung Art. 13 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnungnicht zuwiderlaufe, wenn es sich bei dem fraglichen Bestand-teil um den als Gattungsbezeichnung angesehenen Nameneines Agrarerzeugnisses oder Lebensmittels handele. DieseVorschrift wäre überflüssig, wenn die einzelnen Bestandteilevon Bezeichnungen, die nur in Form von zusammengesetz-ten Bezeichnungen eingetragen seien, keinen Schutz genös-sen.

22 Außerdem genieße ein einzelner Bestandteil einerzusammengesetzten Bezeichnung bei isolierter Verwendungnur dann nicht den Schutz der Verordnung Nr. 2081/92,wenn die betreffenden Mitgliedstaaten bei der Mitteilung derzusammengesetzten Bezeichnung angegeben hätten, dass fürbestimmte Teile der Bezeichnung kein Schutz beantragt wor-den sei.

23 Die Kommission hätte dem dann bei Erlass der Verord-nung Nr. 1107/96 mit dem Hinweis – gegebenenfalls in einerFußnote – Rechnung getragen, dass der Schutz eines Teils derbetreffenden Bezeichnung nicht beantragt werde.

24 Im Fall der Bezeichnung „Parmigiano Reggiano“ seijedoch keiner der beiden Bestandteile mit einer Fußnote ver-sehen.

Wettbewerbsrecht | R E C H T S P R E C H U N G

* Verfahrenssprache: Deutsch.

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192 | VuR 5/2009

25 Die Bundesrepublik Deutschland hält dem entgegen, dasseine g. U. nur in genau der Form Gegenstand des Schutzesvon Art. 13 der Verordnung Nr. 2081/92 sei, in der sie einge-tragen sei. Entgegen dem Vorbringen der Kommission lassesich aus dem Urteil Chiciak und Fol nicht das Gegenteil her-leiten.

26 Außerdem habe die Italienische Republik in der Rechtssa-che, in der das Urteil vom 25. Juni 2002, Bigi (C-66/00, Slg.2002, I-5917), ergangen sei, selbst ausdrücklich bestätigt, dasssie die Eintragung der Bezeichnung „Parmigiano“ nicht bean-tragt habe. Unter diesen Umständen könne diese Bezeichnungdaher keinen gemeinschaftsrechtlichen Schutz genießen.

27 In diesem Punkt heißt es im achten Erwägungsgrund derVerordnung Nr. 1107/96: „Einige Mitgliedstaaten haben mit-geteilt, dass für bestimmte Teile der Bezeichnungen keinSchutz beantragt wurde und dass dem Rechnung zu tragen ist.“

28 Die Verordnung Nr. 1107/96 nennt unter Hinweis aufFußnoten in ihrem Anhang die Fälle, in denen kein Schutzfür einen Teil der betreffenden Bezeichnung beantragt wurde.

29 Das Fehlen einer Erklärung, der zufolge für bestimmteBestandteile einer Bezeichnung kein Schutz im Sinne vonArt. 13 der Verordnung Nr. 2081/92 beantragt worden ist,stellt jedoch keine ausreichende Grundlage für eine Bestim-mung des Umfangs dieses Schutzes dar (vgl. in diesem SinneUrteil Chiciak und Fol, Randnr. 37).

30 In dem durch die Verordnung Nr. 2081/92 geschaffenenSchutzsystem sind die Fragen des Schutzes der verschiedenenBestandteile einer Bezeichnung und insbesondere die Frage,ob es sich möglicherweise um einen Gattungsnamen oderum einen gegen die in Art. 13 dieser Verordnung genanntenPraktiken geschützten Bestandteil handelt, vom nationalenGericht anhand einer eingehenden Prüfung des Sachverhaltszu beurteilen, den ihm die Parteien vortragen (Urteil Chiciakund Fol, Randnr. 38).

31 Unter diesen Umständen kann das Vorbringen derBundesrepublik Deutschland, dass eine g. U. nach Art. 13 derVerordnung Nr. 2081/92 nur in genau der Form geschützt sei,in der sie eingetragen sei, nicht greifen.

Zur Verletzung der g. U. „Parmigiano Reggiano“:

32 Die Kommission ist der Ansicht, dass das Inverkehrbrin-gen von Käse unter der Bezeichnung „Parmesan“, der nichtder Spezifikation der g. U. „Parmigiano Reggiano“ entspricht,einen Verstoß gegen Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der VerordnungNr. 2081/92 darstellt, weil der Begriff „Parmesan“ die zutref-fende Übersetzung der g. U. „Parmigiano Reggiano“ sei. DieÜbersetzung sei ebenso wie die g. U. in der Sprache des Mit-gliedstaats, der diese Bezeichnung habe eintragen lassen, aus-schließlich den Erzeugnissen vorbehalten, die der Spezifika-tion entsprächen.

33 Außerdem ergebe sich aus dem durch die historische Ent-wicklung belegten engen Zusammenhang zwischen dem spe-ziellen geografischen Gebiet Italiens, aus dem diese Käseartstamme, und dem Begriff „Parmesan“, dass dieser Begriffkeine Gattungsbezeichnung sei, die sich von der g. U. „Par-migiano Reggiano“ unterscheide.

34 Die Verwendung der Bezeichnung „Parmesan“ für einenKäse, der nicht der Spezifikation der g. U. „Parmigiano Reggi-ano“ entspreche, stelle auf jeden Fall eine nach Art. 13 Abs. 1

Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 verbotene Anspielungauf diese Bezeichnung dar.

35 Außerdem sei der Begriff „Parmesan“ nicht zu einer Gat-tungsbezeichnung geworden.

36 Zwar könne eine geografische Bezeichnung im Laufe ihrerBenutzung zu einer Gattungsbezeichnung werden, indem dieVerbraucher den Begriff nicht länger als Hinweis auf die geo-grafische Herkunft der Ware auffassten, sondern als Hinweisauf eine bestimmte Warengattung. Dieser Bedeutungswandelsei u. a. bei den Begriffen „Camembert“ und „Brie“ eingetre-ten.

37 Der Begriff „Parmesan“ habe aber nie seine geografischeKonnotation verloren. Wäre „Parmesan“ tatsächlich ein neu-traler Begriff ohne solche Konnotation, so ließe sich nichtplausibel erklären, warum die Hersteller der Nachahmerpro-dukte danach trachteten, durch Worte und Abbildungen eineVerbindung zwischen ihren Waren und Italien herzustellen.

38 Dass im italienischen Staatsgebiet bis zum Jahr 2000 ein„Parmesan“ genannter Käse hergestellt worden sei, der nichtder verbindlichen Spezifikation der g. U. „Parmigiano Reggi-ano“ entsprochen habe, bedeute nicht, dass dieser Begriff inItalien die Gattungsbezeichnung für geriebenen Käse unter-schiedlicher Herkunft sei, denn dieser Käse sei ausschließlichzur Ausfuhr in Länder bestimmt gewesen, in denen derBegriff „Parmesan“ gemäß dem Territorialitätsgrundsatz kei-nen besonderen Schutz genossen habe. Erst seit Inkrafttretender Verordnung Nr. 1107/96 am 21. Juni 1996 genieße dieBezeichnung „Parmigiano Reggiano“ gemeinschaftsweitenSchutz.

39 Die Bundesrepublik Deutschland trägt vor, dass die Ver-wendung des Wortes „Parmesan“ keinen Verstoß gegenArt. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 darstel-le, weil es nur die Übersetzung – nach Ansicht der Kommis-sion – des Begriffs „Parmigiano“ sei, der – wie die Situation inItalien und in anderen Mitgliedstaaten sowie die nationaleund gemeinschaftliche Gesetzgebung zeigten – eine Gat-tungsbezeichnung sei. Als solche könne dieser Begriff nichtunter den Schutz der Verordnung fallen.

40 Hilfsweise macht die Bundesrepublik Deutschland gel-tend, dass der Gebrauch des Begriffs „Parmigiano“, selbstwenn dieser keine Gattungsbezeichnung wäre und Art. 13Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2081/92 daher auf die-sen Bestandteil keine Anwendung fände, keinen Verstoßgegen die Bestimmungen über den Schutz der Ursprungsbe-zeichnung „Parmigiano Reggiano“ darstelle. Die Bezeich-nung „Parmesan“ habe seit Jahrhunderten eine eigene Ent-wicklung genommen und sei in Deutschland ebenso wie inanderen Mitgliedstaaten zu einer Gattungsbezeichnunggeworden. Die Verwendung dieser Bezeichnung stelle des-halb weder eine widerrechtliche Aneignung der g. U. „Parmi-giano Reggiano“ noch eine Anspielung auf sie dar.

41 Für diese Auffassung beruft sich die BundesrepublikDeutschland erstens auf Nr. 35 der Schlussanträge von Gene-ralanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache CanadaneCheese Trading und Kouri (C-317/95, Beschluss vom8. August 1997, Slg. 1997, I-4681), zweitens auf das UrteilBigi, in dem der Gerichtshof die Frage, ob der Begriff „Par-mesan“ eine Gattungsbezeichnung sei, ausdrücklich offenge-lassen habe, und drittens auf die Tatsache, dass die Feststel-lung, dass die Bezeichnung eines Erzeugnisses die Überset-zung einer Ursprungsbezeichnung sei, nicht ausreiche. Es

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VuR 5/2009 | 193

müsse in jedem Einzelfall geprüft werden, ob es sich bei die-ser Übersetzung wirklich um eine Anspielung auf die fragli-che Bezeichnung handele. Das sei nicht der Fall, wenn diefragliche Bezeichnung ursprünglich zwar eine Übersetzunggewesen sei, im Laufe der Zeit aber im allgemeinen Sprachge-brauch der Verbraucher einen Bedeutungswandel erfahrenhabe und zu einer Gattungsbezeichnung geworden sei. Vier-tens stützt sich die Bundesrepublik Deutschland auf die Tat-sache, dass das Wort „Parmesan“ in Deutschland – dem Mit-gliedstaat, auf dessen Beurteilung des Gattungscharakters desBegriffs „Parmesan“ für das vorliegende Vertragsverletzungs-verfahren allein abzustellen sei – schon immer als Gattungs-bezeichnung für geriebenen oder zum Reiben bestimmtenHartkäse verstanden worden sei. Das gelte im Übrigen auchfür andere Mitgliedstaaten, einschließlich Italiens.

42 Zunächst ist zu prüfen, ob die Verwendung der Bezeich-nung „Parmesan“ im Hinblick auf die g. U. „Parmigiano Reg-giano“ einem der Fälle des Art. 13 Abs. 1 der VerordnungNr. 2081/92 entspricht.

43 Nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung werden einge-tragene Bezeichnungen u. a. gegen jede widerrechtliche Aneig-nung, Nachahmung oder Anspielung geschützt, selbst wenn derwahre Ursprung des Erzeugnisses angegeben ist oder wenn diegeschützte Bezeichnung in Übersetzung verwendet wird.

(…)

46 In der vorliegenden Rechtssache besteht zwischen denBezeichnungen „Parmesan“ und „Parmigiano Reggiano“ einephonetische und optische Ähnlichkeit, wobei die fraglichenErzeugnisse geriebener oder zum Reiben bestimmter Hartkäsesind, d. h. auch noch ähnlich aussehen (vgl. in diesem SinneUrteil Consorzio per la tutela del formaggio Gorgonzola,Randnr. 27).

47 Außerdem ist unabhängig davon, ob die Bezeichnung„Parmesan“ die genaue Übersetzung der g. U. „ParmigianoReggiano“ oder des Begriffs „Parmigiano“ ist oder nicht, auchdie begriffliche Nähe zwischen diesen beiden Begriffen ausverschiedenen Sprachen, von der die Erörterungen vor demGerichtshof zeugen, zu berücksichtigen.

48 Diese Nähe und die in Randnr. 46 dieses Urteils genann-ten phonetischen und optischen Ähnlichkeiten können imVerbraucher gedanklich einen Bezug zu dem Käse wachrufen,der die g. U. „Parmigiano Reggiano“ trägt, wenn er vor einemgeriebenen oder zum Reiben bestimmten Hartkäse steht, derdie Bezeichnung „Parmesan“ trägt.

49 Unter diesen Umständen ist die Verwendung der Bezeich-nung „Parmesan“ als eine Anspielung im Sinne von Art. 13Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 auf die g. U.„Parmigiano Reggiano“ anzusehen.

50 Die Frage, ob die Bezeichnung „Parmesan“ die Überset-zung der g. U. „Parmigiano Reggiano“ ist, spielt daher für dieBeurteilung der vorliegenden Klage keine Rolle.

51 Die Bundesrepublik Deutschland macht jedoch geltend,dass die Verwendung des Begriffs „Parmesan“ keine rechts-widrige Anspielung auf die g. U. „Parmigiano Reggiano“ seinkönne, weil die Bezeichnung „Parmesan“ zu einer Gattungs-bezeichnung geworden sei.

52 Die Bundesrepublik Deutschland hat den Beweis dafür zuerbringen, dass diese Behauptung zutreffend ist, zumal derGerichtshof bereits festgestellt hat, dass es keineswegs offen-

sichtlich ist, dass die Bezeichnung „Parmesan“ zu einer Gat-tungsbezeichnung geworden ist (Urteil Bigi, Randnr. 20).

53 Rahmen der Beurteilung des generischen Charakters einerBezeichnung sind gemäß Art. 3 Abs. 1 der VerordnungNr. 2081/92 die Gegend der Herstellung des betreffendenErzeugnisses sowohl innerhalb als auch außerhalb des Mit-gliedstaats, der die Eintragung der fraglichen Bezeichnungerwirkt hat, der Verbrauch dieses Erzeugnisses, das Verständ-nis dieser Bezeichnung durch den Verbraucher innerhalb undaußerhalb des genannten Mitgliedstaats, das Bestehen einerspezifischen nationalen Regelung für das genannte Erzeugnisund die Art der Verwendung der fraglichen Bezeichnung inden gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu berücksichti-gen (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2005, Deutschland undDänemark/Kommission, C-465/02 und C-466/02, Slg. 2005,I-9115, Randnrn. 76 bis 99).

54 Die Bundesrepublik Deutschland hat, wie der Generalan-walt in den Nrn. 63 und 64 seiner Schlussanträge ausgeführthat, lediglich Zitate aus Wörterbüchern und aus der Fachlite-ratur angeführt, die keinen umfassenden Überblick vermit-teln, wie die Verbraucher in Deutschland und in anderenMitgliedstaaten das Wort „Parmesan“ verstehen, und nichteinmal Produktions- oder Verbrauchszahlen für Käse vorge-legt, der in Deutschland oder in anderen Mitgliedstaatenunter der Bezeichnung „Parmesan“ vertrieben wird.

55 Außerdem ergibt sich aus den Gerichtsakten, dass inDeutschland bestimmte Hersteller von Käse mit der Bezeich-nung „Parmesan“ dieses Erzeugnis mit Etiketten vermarkten,die auf die Kultur und Landschaften Italiens hinweisen. Dar-aus lässt sich zulässigerweise folgern, dass die Verbraucher indiesem Mitgliedstaat Parmesan als einen Käse ansehen, dermit Italien in Verbindung steht, selbst wenn er tatsächlich ineinem anderen Mitgliedstaat erzeugt worden ist (vgl. in die-sem Sinne Urteil Deutschland und Dänemark/Kommission,Randnr. 87).

56 In der mündlichen Verhandlung schließlich hat dieBundesrepublik Deutschland auch keine Angaben über dienach Deutschland eingeführten Mengen des in Italien unterder g. U. „Parmigiano Reggiano“ hergestellten Käses machenkönnen, so dass es dem Gerichtshof dadurch auch nichtmöglich ist, die Angaben über den Verbrauch dieses Käses alsHinweis auf den generischen Charakter der Bezeichnung„Parmesan“ zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil Deutsch-land und Dänemark/Kommission, Randnr. 88).

57 Infolgedessen ist, da die Bundesrepublik Deutschlandnicht den Beweis erbracht hat, dass die Bezeichnung „Parme-san“ zu einer Gattungsbezeichnung geworden ist, im vorlie-genden Fall die Verwendung des Wortes „Parmesan“ für Käse,der nicht der Spezifikation der g. U. „Parmigiano Reggiano“entspricht, als Beeinträchtigung des durch Art. 13 Abs. 1Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 gewährten Schutzesanzusehen.

Zur Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, Verstößegegen Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2081/92 zu ahnden:

58 Die Kommission macht geltend, dass die BundesrepublikDeutschland nach den Art. 10 und 13 der VerordnungNr. 2081/92 verpflichtet sei, von Amts wegen die Maßnah-men zu ergreifen, die notwendig seien, um Verhaltensweisenzu unterbinden, die zu einer Beeinträchtigung einer g. U.

Wettbewerbsrecht | R E C H T S P R E C H U N G

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194 | VuR 5/2009

führten. Ein solches Einschreiten der Mitgliedstaaten umfas-se Maßnahmen auf administrativer und strafrechtlicherEbene, die zur Verwirklichung der Ziele der Verordnung aufdem Gebiet des Schutzes von Ursprungsbezeichnungengeeignet seien. Erzeugnisse, die den Anforderungen dergenannten Verordnung nicht entsprächen, dürften nicht inden Verkehr gebracht werden.

(…)

68 Dazu ist festzustellen, dass der Umstand, dass die Rechts-bürger die Möglichkeit haben, sich vor den innerstaatlichenGerichten auf eine Verordnung zu berufen, die Mitgliedstaa-ten nicht von der Verpflichtung befreien kann, die geeigne-ten innerstaatlichen Maßnahmen zu erlassen, um die unein-geschränkte Anwendung der Verordnung zu gewährleisten,wenn dies erforderlich ist (vgl. insbesondere Urteil vom20. März 1986, Kommission/Niederlande, 72/85, Slg. 1986,1219, Randnr. 20).

69 Es ist unstreitig, dass die deutsche Rechtsordnung überrechtliche Regelungen wie z. B. die in Randnr. 63 des vorlie-genden Urteils angeführten Rechtsvorschriften verfügt, diedazu dienen, einen wirksamen Schutz der den einzelnen Bür-gern nach der Verordnung Nr. 2081/92 zustehenden Rechtesicherzustellen. Ebenso unstreitig ist, dass die Möglichkeit,gegen ein Verhalten vorzugehen, das die Rechte aus einerg. U. beeinträchtigt, nicht allein dem berechtigten Nutzer dergenannten Bezeichnung vorbehalten ist. Sie steht vielmehrjedem Wettbewerber, den Unternehmensverbänden und denVerbraucherverbänden zu.

70 Unter diesen Umständen kann eine solche Regelung auchdie Interessen anderer als der Hersteller von Waren mit g. U.schützen, insbesondere die Interessen der Verbraucher.

71 In der mündlichen Verhandlung hat die BundesrepublikDeutschland im Übrigen vorgetragen, dass vor den deutschenGerichten zurzeit Rechtssachen anhängig seien, die die Ver-wendung der Bezeichnung „Parmesan“ in Deutschland beträ-fen. Eine dieser Klagen habe das Consorzio del formaggio Par-migiano Reggiano erhoben.

72 Zu der Rüge der Kommission, dass die Mitgliedstaaten ver-pflichtet seien, von Amts wegen die Maßnahmen zu ergreifen,die erforderlich seien, um Verstöße gegen Art. 13 Abs. 1 der Ver-ordnung Nr. 2081/92 zu ahnden, ist Folgendes zu bemerken.

73 Zunächst ergibt sich eine solche Pflicht nicht aus Art. 10der Verordnung Nr. 2081/92.

74 Um die Wirksamkeit der Verordnung Nr. 2081/92 zugewährleisten, sieht deren Art. 10 Abs. 1 zwar vor, dass dieMitgliedstaaten sicherstellen, dass spätestens sechs Monatenach Inkrafttreten der Verordnung die Kontrolleinrichtun-gen geschaffen sind. Sie sind also verpflichtet, derartige Ein-richtungen zu schaffen.

75 Aus Art. 10 Abs. 4 der Verordnung Nr. 2081/92, wonach„eine benannte Kontrollbehörde und/oder eine private Kon-trollstelle eines Mitgliedstaats … [wenn sie feststellt], dass einmit einer geschützten Bezeichnung versehenes Agrarerzeug-nis oder Lebensmittel mit Ursprung in ihrem Mitgliedstaatdie Anforderungen der Spezifikation nicht erfüllt, … dieerforderlichen Maßnahmen [trifft], um die Einhaltung dieserVerordnung zu gewährleisten“, ergibt sich jedoch, dass essich bei den benannten Kontrollbehörden und/oder privatenKontrollstellen eines Mitgliedstaats um die desjenigen Mit-gliedstaats handelt, aus dem die g. U. stammt.

76 Die Worte „zu kontrollierenden Erzeuger oder Verarbeiter“in Art. 10 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2081/92, das in Art. 10Abs. 6 vorgesehene Recht der Erzeuger auf Zugang zum Kon-trollsystem und deren Verpflichtung nach Art. 10 Abs. 7, dieKosten der Kontrollen zu tragen, bestätigen, dass Art. 10 derVerordnung Nr. 2081/92 für die Verpflichtungen der Mit-gliedstaaten gilt, aus denen die g. U. stammt.

77 Für diese Auslegung sprechen auch Art. 4 Abs. 2 Buchst. g inVerbindung mit Art. 5 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 2081/92,wonach der Eintragungsantrag die Spezifikation umfassen mussund an den Mitgliedstaat zu richten ist, in dessen Hoheitsgebietsich das geografische Gebiet befindet, und die Spezifikation min-destens Angaben zu der Kontrolleinrichtung oder den Kontroll-einrichtungen nach Art. 10 enthalten muss.

78 Daraus folgt, dass es sich bei den Kontrolleinrichtungen,die für die Einhaltung der Spezifikation der g. U. zu sorgenhaben, um die desjenigen Mitgliedstaats handelt, aus demdie fragliche g. U. stammt. Die Kontrolle der Einhaltung derSpezifikation der g. U. „Parmigiano Reggiano“ obliegt alsonicht den deutschen Kontrolleinrichtungen.

79 Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 gebie-tet zwar den Schutz der eingetragenen Bezeichnungen gegenjede „widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspie-lung, selbst wenn der wahre Ursprung des Erzeugnisses angege-ben ist oder wenn die geschützte Bezeichnung in Übersetzungoder zusammen mit Ausdrücken wie ‚Art‘, ‚Typ‘, ‚Verfahren‘,‚Fasson‘, ‚Nachahmung‘ oder dergleichen verwendet wird“.

80 Die Kommission hat jedoch zum einen nicht nachgewie-sen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Ver-pflichtungen aus der Verordnung Nr. 2081/92 verstoßen hat,und zum anderen nichts vorgetragen, was darauf hinwiese,dass Maßnahmen wie die in Randnr. 63 des vorliegendenUrteils genannten nicht erlassen worden oder zum Schutz derg. U. „Parmigiano Reggiano“ nicht geeignet sind.

81 Nach alledem ist festzustellen, dass die Kommission nichtden Beweis erbracht hat, dass die Bundesrepublik Deutsch-land dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 13 Abs. 1Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 verstoßen hat, dass siees förmlich ablehnte, die Verwendung der Bezeichnung „Par-mesan“ bei der Etikettierung von Erzeugnissen, die nicht derSpezifikation der g. U. „Parmigiano Reggiano“ entsprechen,in ihrem Staatsgebiet zu ahnden.

82 Demzufolge ist die von der Kommission erhobene Klageabzuweisen.

Irreführende Werbung bei Telefonflatrate

1. Der Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungenverstößt gegen das Irreführungsverbot des § 5 UWG, wenn ereinen Verbraucher, mit dem er die Nutzung einer Telefonflat-rate vereinbart hat, auffordert, seine Telefongespräche um-gehend und erheblich zu reduzieren und/oder einen Tarif-wechsel vorzunehmen.

2. Eine Abmahnpauschale von J 200 ist angemessen.(Leitsätze von RA Walter Stillner)

LG Frankfurt, Urt v. 30.07.2008 (n.rkr.), Az.: 2-06 O 173/08

(ID 42622)

Klägerin ist die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.Die Beklagte erbringt Telekommunikationsdienstleistungen.

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VuR 5/2009 | 195

Die Beklagte bietet einen Telefontarif „Telefonflat“ an, beidem der Teilnehmer einen festen Tarif unabhängig vonAnzahl und Dauer der geführten Telefongespräche zahlt.

Während des laufenden Vertrages und vor einer Kündigungwandte die Beklagte sich brieflich an Verbraucher mit demVorhalt, ihr sei aufgefallen, dass der Kunde in außergewöhn-lich hohem Umfang telefoniere. Das lege den Schluss nahe,dass der Kunde diese Verbindungen nicht ausschließlich zurAbdeckung seines privaten Telefonbedarfs nutze. Diese außer-gewöhnlich hohe Nutzung entspreche nicht dem gemeinsa-men Verständnis bei Vertragsschluss. Sie behalte sich vor, dieGespräche nach ihrem Standardtarif abzurechnen. Der Kundewurde aufgefordert, den Vertrag entweder auf einen anderenTarif umzustellen oder aber den Umfang seiner Inlandsgesprä-che erheblich zu reduzieren. Das Landgericht gab der Klagestatt und führte zur Begründung folgendes aus:

Gründe:

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich aus§§ 3, 5 Abs. 2 Ziff. l, 8 UWG. Der Kläger ist gemäß §§8 Abs. 3Ziff. 3 UWG, 4 UKlaG aktiv legitimiert, die Beklagte gemäߧ 8 Abs. 3 Ziff. l UWG passiv legitimiert.

Die angegriffenen Schreiben an Kunden (Anlage K 10, Bl. 31d.A.; Anlage K8, Bl. 27 d.A. und Anlagen K3 und K6, Bl. 21und 25 d.A.) stellen jeweils irreführende Werbung im Sinnevon § 5 Abs. 2 Ziff. l UWG dar.

Es handelt sich um eine irreführende Äußerung der Beklag-ten. Durch die angegriffenen Äußerungen täuscht die Beklag-te über die Merkmale der Waren und Dienstleistungen, näm-lich über die Berechtigung der Kunden, im Rahmen diesesTarifs den Telefonanschluss generell zeitlich unbeschränkt zunutzen.

Der Kunde der Beklagten, der mit dieser den Tarif Telefonflatvereinbart hat, ist unstreitig unbeschränkt berechtigt, denTelefonanschluss unbeschränkt zu nutzen, wenn er denAnschluss zu privaten Zwecken nutzt, Anrufe in das nationa-le Festnetz tätigt und keine Verbindungen zu Sonderrufnum-mern vornimmt. In diesen Grenzen ist generell der Kundeauch berechtigt, über den Anschluss mit exorbitantenGesprächszeiten Gespräche zu führen. Darüber hinaus gehen-de weitere vertragliche Beschränkungen hat auch die Beklag-te, die den Tarif mit „endlos telefonieren” ausdrücklich bewor-ben hat, nicht vorgetragen. Die Schreiben, mit denen dieBeklagte die Kunden auffordert, die Telefongespräche umge-hend und erheblich zu reduzieren und/oder einen Tarifwech-sel vorzunehmen, täuschen den Kunden hierüber. Denn dieseSchreiben sind darauf gerichtet, bei den angesprochenen Kun-den den Eindruck zu erwecken, dass der Tarif „Telefonflat”einen sehr hohen Nutzungsumfang nicht rechtfertigt und dieKunden daher entweder ihren Tarif umstellen oder denUmfang ihrer Inlandsgespräche reduzieren müssen, obwohltatsächlich keine solche Verpflichtung besteht, sondern dieKunden ihre vertragsgemäße Leistungen in Anspruch neh-men.

Eine solche Täuschung ergibt sich ohne Weiteres aus den vorge-legten Schreiben Anlage K3 (Bl. 21 d.A.), Anlage K8 (Bl. 27 d.A.)und K10 (Bl. 31 d.A). Denn diese Schreiben knüpfen ausdrück-lich an die „außergewöhnlich hohe Nutzung” des Anschlussesden Hinweis, dass ein solcher Umfang nicht dem gemeinsamenVerständnis bei Vertragsschluss entsprach. Bereits diese Erklä-

rung ist dahin zu verstehen, dass der Nutzer zu einer solchaußergewöhnlich hohen Nutzung nach der getroffenen Verein-barung nicht berechtigt ist und zwar unabhängig davon, ob dievon der Beklagten im Schreiben geäußerte Vermutung einernicht privaten Nutzung zutrifft. Dies entspricht aber unstreitigfür den Fall der privaten Nutzung des Anschlusses nicht derRechtslage. Als Konsequenz dieses Nutzungsumfangs sehen diegenannten Schreiben zwingend den Wechsel zu einem anderenTarif oder die Reduktion des Umfangs der Nutzung vor. Auchdies soll bei dem Kunden den – unzutreffenden – Eindruck erwe-cken, sein Verhalten sei nicht vertragsgemäß, sodass er entwederden Umfang reduzieren oder den Vertrag durch Vereinbarungeines anderen Tarifs ändern müsse.

Da die Beklagte in den angegriffenen Schreiben bei den Kun-den den Eindruck eines vertragswidrigen Handelns alleine anden Umfang der Nutzung knüpfte (K3, K8, K10: „Diese außer-gewöhnlich hohe Nutzung entspricht nicht unserem gemein-samen Verständnis bei Vertragsabschluss,...”) und nicht aneine möglicherweise vertragswidrige Nutzung der Anschlüssefür gewerbliche Zwecke, kommt es nicht darauf an, ob – wiedie Klägerin behauptet – die angesprochenen Kunden dieVerbindung tatsächlich ausschließlich zur Abdeckung ihresTelefonbedarfs nutzten.

Zudem hat die Beklagte, die für die Voraussetzungen einerVertragsverletzung durch den Kunden oder für ein Verhalten,das ihr einen Anspruch auf Vertragsanpassung durch Verein-barung eines anderen Tarifs oder eine Änderung des Telefo-nieverhaltens des Kunden geben könnte, keine substantiier-ten Anhaltspunkte für ein vertragswidriges Verhalten derKunden vorgetragen. Allein der Umfang der von der Beklag-ten behaupteten Nutzung lässt nicht den Schluss auf einenicht private Nutzung des Anschlusses zu. Das gilt – wie dieBeklagte selbst einräumt – von vorneherein für den Kunden,der nach ihrem eigenen Vortrag im Monat Oktober 2007 denAnschluss 50,32 Stunden und damit im Schnitt täglich etwa97 Minuten nutzte. Auch die von ihr behauptete Nutzungdurch die Zeugen von bis zu etwa 300 Stunden im Monatlässt nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine nicht privateNutzung zu, wenn man die (zulässige) Nutzung des Anschlus-ses durch mehrere Familienmitglieder berücksichtigt. WeitereAnhaltspunkte für eine nicht private Nutzung hat die Beklag-te aber nicht vorgebracht.

Eine Irreführung ist auch nicht deswegen zu verneinen, weildie Beklagte in dem Falle einer umfangreichen Nutzung desAnschlusses berechtigt wäre, den Vertrag gemäß Ziff. 10.1 dervorgelegten AGB (K9, Bl. 29 d.A.) ordentlich zu kündigen.Die Beklagte kann nicht geltend machen, die Schreiben seienals letzte Warnung oder Hinweis zu verstehen, bevor sie vonihrem Kündigungsrecht Gebrauch machten. Denn dieBeklagte weist in den angegriffenen Äußerungen (K3, K8 undK10) gerade nicht darauf hin, dass sie als Folge der „übermä-ßigen Nutzung” die Kündigung des Vertragsverhältnisses inBetracht ziehe, sondern lediglich auf die Handlungsalternati-ven der Reduzierung der Nutzung oder eine Änderung desTarifs, die beide voraussetzen, dass das Vertragsverhältnis zwi-schen der Beklagten und den Kunden mit für die Beklagtegünstigeren Bedingungen fortbesteht.

Eine Kündigung ist erstmals in dem vorgelegten zweitenSchreiben der Beklagten an den Zeugen (Anlage K 11, Bl. 32d.A.) als Folge des Verhaltens ausgesprochen worden, dieKündigung selbst wird von der Beklagten aber nicht als wett-bewerbswidrig beanstandet.

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196 | VuR 5/2009

Die irreführende Äußerung ist auch als Werbung im Sinnevon § 5 UWG anzusehen. Nach der Definition des Begriffs derWerbung in Art. 2 Nr. l der Irreführungsrichtlinie(84/850/EWG), die auch der Auslegung von §§ 5, 6 UWGzugrunde zu legen ist (Köhler in Hefermehl/Köhler/Born-kamm, 25. Auflage, § 2, Rz. 49), ist Werbung jede Äußerungbei der Ausübung des Handels, Gewerbes, Handwerks oderfreien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder dieErbringung von Dienstleistungen zu fördern.

Eine solche Äußerung zu Zwecken des Wettbewerbs liegt inden angegriffenen Äußerungen. Zwar stellt die Abwicklungeines konkreten Vertragsverhältnisses, das vorliegend zwi-schen der Beklagten und den Zeugen besteht, grundsätzlichkein Handeln und damit auch keine Äußerung zur Förderungdes eigenen Wettbewerbs im Sinne des UWG dar. Denn Vor-aussetzung für ein Handeln bzw. eine Äußerung zu Zweckendes Wettbewerbs ist eine Marktbezogenheit dieses Handelns.Es muss sich um eine auf Außenwirkung im Markt gerichteteFörderung eigenen oder fremden Wettbewerbs handeln, zudem die bloße Abwicklung eines Vertragsverhältnisses in derRegel nicht gehört (OLG Frankfurt am Main, (GRUR 2002,S. 727, 728 Irreführung eines Reiseveranstalters bei einseitigerPreiserhöhung, zum Begriff der Wettbewerbshandlung). DasVerhalten des Unternehmers im Rahmen der Vertragsabwick-lung kann aber dann ausnahmsweise von einer Wettbe-werbsabsicht getragen sein, wenn es darauf abzielt, planmä-ßig den Kunden zu übervorteilen (OLG Frankfurt am Main,MMR 2007, S. 322,323 – Link auf Widerrufsbelehrung; zurEinordnung einer Wettbewerbshandlung).

So liegt der Fall hier. Denn die Irreführung der Kunden überihre Berechtigung zur vertragsgemäßen Nutzung desAnschlusses stellt auf eine planmäßige Übervorteilung desKunden ab. Durch diese Schreiben soll bei den Kunden derEindruck erweckt werden, durch die Flatrate sei keine quanti-tativ unbeschränkte Nutzung abgedeckt (und zwar unabhän-gig von einer privaten oder gewerblichen Nutzung).

Diese Übervorteilung erfolgte auch planmäßig. Zwar hat dieBeklagte geltend gemacht, sie habe lediglich 0,01 % der Kun-den, die die Telefonflat mit ihr vereinbart hätten, entsprechendangeschrieben. Sie trägt aber selbst vor, solche Kunden planmä-ßig in dieser Weise zu kontaktieren, die ein außergewöhnlichintensives Telefonieverhalten an den Tag legten. Damit wendetdie Beklagte sich in der angegriffenen Weise generell an alle ihreKunden, die mit ihr eine solche Flatrate vereinbart haben unddie den Anschluss über ein bestimmtes Maß – das die Beklagtevorliegend auch nicht konkret darlegt – hinaus nutzen.

Diese Äußerung zielt auf eine planmäßige Übervorteilung derKunden ab, auch wenn die Zeugen das Schreiben nicht zumAnlass genommen haben, ihr Telefonieverhalten zu ändernoder den Tarif zu wechseln. Dies ändert aber nichts an dergenerellen Zielrichtung und Geeignetheit des Schreibens zurTäuschung über die Vertragsbedingungen und das planmäßi-ge Vorgehen.

Das Verhalten der Beklagten beeinträchtigt Verbraucher auchnicht nur unerheblich im Sinne von § 3 UWG. Auch insoweitkann dahinstehen, ob die Beklagte tatsächlich nur 0,1 % ihrerKunden in dieser Weise anschreibt. Denn es handelt sichgleichwohl nicht nur um Einzelfälle, sondern – wie dieBeklagte selbst einräumt – um ein planmäßiges und zielge-richtetes Verhalten, das sich gegen alle die Kunden der Beklag-ten richtet, die diesen Tarif vereinbart haben und über einenbestimmten Umfang hinaus den Telefonanschluss nutzen.

Da die Abmahnung berechtigt erfolgte, ist der Kläger auchzum Ersatz seiner Aufwendungen nach den Grundsätzen derberechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag in Verbindungmit §§ 683, 670 BGB berechtigt. Die Höhe der geltendgemachten Aufwendungen von EUR 200,- wird von derBeklagten nicht beanstandet und erscheint auch angemessen.

Soweit der Kläger beantragt hat, die Beklagte hinsichtlich dergeltend gemachten Aufwendungen auch zur Erstattung vonZinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligenBasiszinssatz zu verurteilen, ohne einen Zinsbeginn anzuge-ben, ist der Antrag dahin auszulegen, dass der Kläger Ersatzder Prozesszinsen gemäß § 291 ZPO und damit Zinsen seitRechtshängigkeit der Klage verlangt.

Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich damit aus§§ 280 Abs. l, 286, 288, 291 BGB.

Der Kläger ist auch berechtigt, von der Beklagten Ersatz derUmsatzsteuer zu verlangen (BFH GRUR 2003, S. 718 f. –Abmahngebühren als umsatzsteuerbare Leistungen).

Die Beklagte hat die Kosten zu tragen, da sie unterliegt.

Internationale Zuständigkeit, fehlerhafteWiderrufsbelehrung

1. International zuständig ist das Gericht des Erfolgsortes.Das ist der Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetretenist, also der Wohnsitz des geschädigten Verbrauchers.

2. Die unzutreffende Behauptung in der Widerrufsbelehrungzu einem Fernabsatzgeschäft, die Widerrufsfrist betrage 2Wochen (statt richtig: 1 Monat) verstößt sowohl gegen §§ 4Nr. 2 und 3 UWG als auch gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 355BGB).

3. Es verstößt gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. §§ 357, 346 BGB,wenn der Anbieter im Falle des Widerrufs eine Bearbeitungs-gebühr einbehält oder für den zurückzuzahlenden Kaufpreislediglich eine Gutschrift gewährt.(Leitsätze von RA Walter Stillner)

LG Stuttgart, Versäumnisurt. v. 07.04.2008, Az.: 36 O 122/07 KfH

(ID 42618)

Klägerin ist die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. DieBeklagte, die ihren Sitz im Fürstentum Liechtenstein hat, ver-treibt Waren im Wege des Teleshoppings.

Eine Kundin, die bei der Beklagten ein Bügeleisen gekauftund den Kaufpreis von B 62,35 bezahlt hatte, erklärte fristge-mäß ihren Widerruf und schickte die Ware zurück. DieBeklagte erstattete nicht den Kaufpreis, sondern gewährtelediglich eine Gutschrift über B 32,96.

Die Beklagte rügte die internationale und örtliche Unzustän-digkeit des Gerichts, war in der mündlichen Verhandlungallerdings säumig.

Gründe:

Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt dem von derKlägerin angerufenen Landgericht Stuttgart weder die inter-nationale noch die örtliche Zuständigkeit.

International zuständig ist das Landgericht Stuttgart als einesvon vielen deutschen Gerichten aufgrund von Artikel 5 Nr. 3

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VuR 5/2009 | 197

EuGVVO. Denn die Klägerin hat schlüssig dargetan, dass diebeanstandete Handlung im Inland begangen worden ist. DerOrt des schädigenden Ereignisses im Sinne von Artikel 5 Nr. 3EuGWO ist nämlich nicht nur der Handlungsort, sondernauch der Erfolgsort. Der Erfolgsort ist aber der Ort, an demdas schädigende Ereignis eingetreten ist (EuGH, GRUR int.1998, 298, Tz. 20 – Shevill; BGH WRP 2006, 726, 738, Tz. 21,22 – Arzneimittelwerbung im Internet – hier jeweils zitiertnach Juris). Der Erfolgsort ist hier H. Das liegt bekanntlichnicht nur in Deutschland, sondern auch im Bezirk des Land-gerichts Stuttgart.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichtesteht damit ebenso fest wie die örtliche Zuständigkeit desLandgerichts Stuttgart nach § 32 ZPO.

Dass vorliegend deutsches Recht zur Anwendung kommt,folgt aus Artikel 40 Abs. 1 Satz 2 EGBGB.

Da die Klage schlüssig ist, war die Beklagte antragsgemäß zurUnterlassung zu verurteilen (§ 331 Abs. 1 Satz 1 in Verbin-dung mit § 331 Abs. 2 ZPO).

Der Unterlassungsanspruch insgesamt ergibt sich aus den§§ 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit §§ 312 b, 355 BGB.

Die zuletzt genannten zivilrechtlichen Vorschriften sindMarktverhaltungsregeln im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG (OLGZweibrücken, WRP 2007, 1005).

Indem die Beklagte – wie hier von der Klägerin vorgetragen –entgegen § 14 BGB InfoVO und den Anlagen 2 und 3 zu die-ser Vorschrift sowie § 355 BGB in ihrer Widerrufsbelehrungbehauptet, der Widerruf könne nur innerhalb einer Frist von

(maximal) zwei Wochen ab Versand der Ware erklärt werden,hat sie sich unter einer unzulässigen Ausnutzung der Rechts-unkenntnis ihrer Vertragspartnerin, Frau S., (§§ 4 Nr. 2, 3UWG) einen unzulässigen Vorsprung durch Rechtsbruchgegenüber ihren rechtstreuen Mitbewerbern verschafft (§§ 4Nr. 11, 3 UWG). Denn zum einen läuft ausweislich des § 355Abs. 2 Satz 1 BGB die Widerrufsfrist nicht ab dem Warenver-sand, sondern ab dem Zeitpunkt der Erteilung einer (rechts-konformen) Widerrufsbelehrung. Zum anderen betrug dieDauer der Widerrufsfrist im Fall von Frau S. nicht nurWochen, sondern einen Monat (§ 355 Abs. 2 Satz 2 BGB).Dies deshalb, weil die Belehrung erst nach Vertragsschlusserteilt worden war, nämlich durch Überlassung der Allgemei-nen Geschäftsbedingungen der Beklagten bei Auslieferungder Ware.

Entsprechendes gilt für die beanstandete Erhebung von Bear-beitungsgebühren (Klagantrag/Entscheidungstenor Ziffer 1 b)und die von der Beklagten zunächst verweigerte Rückzahlungdes vollständigen Kaufpreises einschließlich Nebenkosten.Denn nach § 357 in Verbindung mit § 346 Abs. 1 BGB hat derVerbraucher einen entsprechenden Rückzahlungsanspruchin voller Höhe. Er muss sich also nicht mit einer Gutschriftzufriedengeben.

Praxistipp:

Zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte beiWettbewerbsverstößen, die sich in Deutschland auswirken(Gerichtsstand des Marktorts) vgl. auch B. Stillner, Die inter-nationale Zuständigkeit bei Verbraucherverbandsklagen, VuR2008, 41).

Wettbewerbsrecht | R E C H T S P R E C H U N G

V E R S I C H E R U N G S R E C H T

Zum Verhältnis der Versicherungsfälle Diebstahl undBrand in der Kraftfahrzeugversicherung

BGH, Urt. v. 11.02.2009, Az.: IV ZR 156/08; (Fortführung der Se-natsurteile v. 31.10.1984, Az.: IVa ZR 33/83 = VersR 1985, 78 und19.12.1984, Az.: IVa ZR 159/82 = VersR 1985, 330)

(ID 42690)

1. Gibt es durchgreifende Zweifel an der Behauptung des Ver-sicherungsnehmers, das versicherte Fahrzeug sei ihm gestoh-len worden, so beantwortet das noch nicht die Frage, ob derVersicherungsnehmer den späteren Brand selbst herbeige-führt hat (Senatsurteil vom 19. Dezember 1984 a. a. O.).

2. Ob eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vortäu-schung des vom Versicherungsnehmer behaupteten Dieb-

stahls zugleich eine erhebliche indizielle Bedeutung für dieBehauptung des Versicherers hat, der Versicherungsnehmerhabe auch einen späteren Brand des versicherten Fahrzeugsselbst herbeigeführt (Senatsurteile vom 31. Oktober 1984a. a. O. vom 19. Dezember 1984 a. a. O.), bleibt der tatrich-terlichen Würdigung vorbehalten.

(Leitsätze der Redaktion)

Unfall i. S. d. Ziffer 1. 3 der AllgemeinenUnverfallversicherungs-Bedingungen (AUB)BGH, Urt. v. 28.01.2009, Az.: BGH IV ZR 6/08

(ID 42691)

R E C H T S P R E C H U N G S Ü B E R S I C H T *

* Alle Urteile sind im Volltext in der FIS-Datenbank mit der jeweiligen IDabrufbar unter: www.iff-hamburg.de

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198 | VuR 5/2009

Ein Unfall i. S. von Ziffer 1.3 AUB liegt vor, wenn die versi-cherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körperwirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigungerleidet. Als Unfall ist damit jedes vom Versicherten nichtbeherrschbare und in Bezug auf die dadurch verursachteGesundheitsschädigung unfreiwillige Geschehen anzusehen.Diese Voraussetzungen sind auch bei anfänglich willensge-steuerter, dann aber in ihrem weiteren Verlauf nicht mehrgezielter und beherrschbarer Eigenbewegung des Versiche-rungsnehmers gegeben.

(Leitsätze der Redaktion)

Betriebliche Altersversorgung durchGehaltsumwandlung – kein Teil des zuberücksichtigenden Einkommens nach SGB IILSG Mainz, Urt. v. 25.11.2008, Az.: L 3 AS 118/07

(ID 42701)

Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung nach Gehaltsum-wandlung stellen kein zu berücksichtigendes Einkommeneines Leistungsempfängers nach SGB II dar, wobei es nichtdarauf ankommt, ob es sich um geförderte Altersvorsorgebei-träge im Sinne von § 11 Abs. 2 Nr. 4 SGB II handelt.

(Leitsatz der Redaktion)

Voraussetzungen einer Belehrung imSchadenanzeigeformularSaarländisches OLG, Urt. v. 04.02.2009, Az.: 5 U 657/06-84

(ID 42702)

1. Eine Belehrung, die nicht von den übrigen Teilen einesSchadenanzeigeformulars abgesetzt, sondern sich zwischenAngaben zum Unfallgeschehen und zum Datenschutz ohneHervorhebung findet, ist unwirksam.

2. Bei der Einschätzung des Invaliditätsgrades kann dieAnnahme von 9/35 auf 3/10 aufgerundet werden.

(Leitsätze des Gerichts)

Wirksamkeit der AKB-Klausel zur Ersetzung derUmsatzsteuerSaarländisches OLG, Urt. v. 28.01.2009, Az.: 5 U 278/08-36

(ID 42704)

Eine Regelung der AKB, nach der die Umsatzsteuer vom Ver-sicherer nur zu ersetzen ist, wenn und soweit sie tatsächlichangefallen ist, ist ungeachtet des Umstands wirksam, dass imSchadensrecht Ersatz für Bruttowiederbeschaffungskostenverlangt werden kann, wenn sie bei einem Erwerb von einemPrivaten dem Betrag nach angefallen sind.

(Leitsätze des Gerichts)

Zu den Voraussetzungen einer „erweitertenAlkoholklausel“, AUB 94 § 2Saarländisches OLG, Urt. v. 21.1.2009, Az.: 5 U 249/08-29

(ID 42703)

Sieht eine „erweiterte Alkoholklausel“ vor, dass Unfälle infol-ge von Trunkenheit mitversichert sind, „bei Fahren vonKraftfahrzeugen“ Versicherungsschutz jedoch nur bis 1,3 Pro-

mille, gewährt wird, so genießt eine versicherte Person keineDeckung, wenn sie mit 1,5 Promille mit ihrem Kraftfahrzeugmit der Leitplanke einer BAB kollidiert ist und verletzt wurdeund danach nach Verlassen des Wagens von einem anderenKraftfahrzeug erfasst wurde und schwere gesundheitlicheSchäden erlitt.

(Leitsätze des Gerichts)

Kinderinvaliditätszusatzversicherung in einerKinderunfallversicherung – Nachweis desLeistungsfalls

OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.01.2009, Az.: 12 U 176/08

(ID 42705)

In der Kinderinvaliditätszusatzversicherung kann der Nach-weis des Leistungsfalls in bedingungsgemäßer Form durchVorlage der Bescheide des Versorgungsamt bzw. des Schwer-beschädigtenausweises erbracht werden.

(Leitsatz des Gerichts)

V E R B R AU C H E R I N S O LV E N Z R E C H T

Restschuldbefreiung: Beeinträchtigung derGläubigerbefriedigung als Voraussetzung desVersagungsgrundes der Verletzung von Auskunfts-und Mitwirkungspflichten

BGH, Beschl. v. 08.01.2009, Az.: IX ZB 73/08 (Vorinstanz LG Duis-burg, Beschl. v. 05.06.2007, Az.: 7 T 57/07; AG Duisburg,07.03.2007, Az.:61 IN 106/02)

(ID 42692)

Die Versagung der Restschuldbefreiung wegen Verletzungvon Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldnerssetzt eine konkrete Beeinträchtigung der Befriedigungsaus-sichten der Gläubiger nicht voraus.

(Leitsatz des Gerichts)

Insolvenzeröffnung: Zulässigkeit des Eigenantragstrotz Versäumung der nach einem Gläubigerantraggesetzten Frist

BGH, Beschl. v. 25.09.2008, Az.: IX ZB 1/08 (Vorinstanz LG Potsdam,Beschl. v. 04.12.2007, Az.: 5 T 611/07; AG Potsdam, Beschl. v.20.08.2007, Az.: 35 IN 370/06)

(ID 42693)

Die Frist, die dem Schuldner nach Eingang eines Gläubiger-antrags zur Stellung eines Eigenantrags sowie eines Antragsauf Restschuldbefreiung gesetzt werden muss, ist keine Aus-schlussfrist. Die Versäumung der Frist allein führt nicht zurUnzulässigkeit des Eigenantrags und des Antrags auf Rest-schuldbefreiung. Auch bei Versäumung der Frist ist daher einmit einem Eigenantrag verbundener Antrag auf Restschuld-befreiung zulässig, solange das Insolvenzverfahren nochnicht eröffnet ist (im Anschluss an BGH, 3. Juli 2008, IX ZB182/07, NJW 2008, 3494).

(Leitsatz von Prof. Dr. Wolfhard Kohte)

R E C H T S P R E C H U N G S Ü B E R S I C H T

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VuR 5/2009 | 199

R E C H T S P R E C H U N G S Ü B E R S I C H T

Wiedereinsetzung wegen unzureichender Belehrungdes SchuldnersAG Duisburg, Beschl. v. 26.07.2008, Az.: 62 IN 36/02

(ID 42706)

1. Einem Schuldner, der Restschuldbefreiung beantragt hat,ist Wiedereinsetzung wegen unverschuldeter Versäumungdes Prüfungstermins (§ 186 InsO) zu gewähren, wenn ernicht ordnungsgemäß nach § 175 Abs. 2 InsO belehrt wordenist und deshalb im Termin oder im schriftlichen Verfahrender Feststellung einer Forderung aus vorsätzlich begangenerunerlaubter Handlung nicht rechtzeitig widersprochen hat.

2. Die Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO gilt in einem sol-chen Fall nicht, wenn und solange ihre Versäumung darauf

beruht, dass das Gericht im Zusammenhang mit derursprünglich versäumten Verfahrenshandlung eine Hinweis-pflicht zum Schutz der säumigen Partei verletzt hat.

3. Die Wiedereinsetzung kann auch noch nach Beendigungdes Insolvenzverfahrens beantragt und gewährt werden.

4. Die Wiedereinsetzung begründet eine Einwendung gegendie Zulässigkeit einer zuvor erteilten Vollstreckungsklauselzur ursprünglichen Tabelleneintragung (§ 732 ZPO). DieZwangsvollstreckung aus dem unrichtig gewordenen voll-streckbaren Tabellenauszug kann zusammen mit der Wieder-einsetzung für unzulässig erklärt werden.

(Leitsätze des Gerichts)

Van Hulle/Maul/DrinhausenHandbuch zur Europäischen Gesellschaft (SE)C. H. Beck 2007, 98,00 Euro

In dem im Beck Verlag von van Hulle, Maulund Drinhausen herausgegebenen Hand-buch zur Europäischen Gesellschaft (SE)behandeln insgesamt neun Spezialisten inzehn Abschnitten auf 350 Seiten einschließ-lich Inhalts-, Abkürzungs- und Sachverzeich-nis die im Jahre 2004 zu den nationalenKapitalgesellschaften hinzu getretene neueeuropäische Rechtsform. Diese erfreut sichzunehmender Beliebtheit.

Allein im Zeitraum von April 2007 bisAugust 2008 hat sich die Zahl der Registrie-rungen von 651 auf 2372 mehr als verdrei-facht. Das Forscher-Team der Ludwig-Maxi-milians-Universität (LMU) in München rech-net gar damit, dass die Anzahl der SE-Grün-dungen bis Ende 2008 auf mehr als 300ansteigen könnte.3 Fast ein Drittel der SEdavon befindet sich in Deutschland,4 darun-ter BASF, Allianz, Porsche und Fresenius. EinViertel aller SE stellen Vorratsgründungendar. Der Bedarf dürfte auch künftig anwach-sen. Einer der Gründe dafür stellt die imInternationalen Gesellschaftsrecht vielerRechtsordnungen geltende Sitztheorie dar.Erst vor Kurzem hat der BGH5 es ausdrück-lich abgelehnt, ausländische Gesellschaftenmit Verwaltungssitz in Deutschland in ihrerjeweiligen Rechtsform anzuerkennen, umdamit dem Referentenentwurf eines „Geset-zes zum Internationalen Privatrecht derGesellschaften, Vereine und juristischen Per-sonen“ des Bundesjustizministeriums vom07.01.2008 vorzugreifen. Gegen diesen hatsich nach Auffassung des BGH ein beträcht-licher politischer Widerstand gebildet.6 DerGesetzesentwurf knüpft an europarechtlicheVorgaben des Gerichtshofs der EuropäischenGemeinschaften (EuGH) an,7 welche in deruneingeschränkten Anwendung des Rechts

am tatsächlichen Verwaltungssitz einerGesellschaft (Sitztheorie) einen Verstoßgegen die Niederlassungsfreiheit aus Artt. 43,48 EG-Vertrag gesehen und die Anwendungdes Gründungsrechts nahe gelegt haben.Mittlerweile jedoch hat der EuGH auf Vorla-ge des ungarischen Regionalgerichts Szegedentschieden,8 dass die Niederlassungsfreiheitdas Verbot zulasse, eine nach nationalemRecht gegründete Gesellschaft in einenanderen Mitgliedstaat zu verlegen. Damitwar es der Gesellschaft ungarischen Rechts„Cartesio“ verwehrt, ihren Sitz von Baja inUngarn nach Gallarate in Italien zu verlegen.Unabhängig von den daraus sich ergeben-den Implikationen hinsichtlich der Anwen-dung der Sitz- oder Gründungstheorie, dürf-ten sich damit sowohl Notwendigkeit wieBedeutung der SE weiter steigern. Statt sichmit den Beschränkungen nationaler Rechts-ordnungen herumzuschlagen, werdenUnternehmen und Konzerne in Zukunft ver-stärkt die SE nutzen, um sich über die natio-nalstaatlichen Grenzen hinweg nach ein-heitlichen Regeln zu organisieren oder iden-titätswahrend ihren Sitz zu verlegen. Damitstellt die SE die erste gemeinsame europäi-sche Organisationsform für global aufgestell-te Unternehmen und Konzerne.9

Neben ihr sind andere Organisationsformenbestrebt, eine grenzüberschreitendeZusammenarbeit zu fördern und zu erleich-tern. Die Europäische Wirtschaftliche Inter-essenvereinigung (EWIV)10 muss aus min-destens zwei Mitgliedern aus verschiedenenMitgliedstaaten bestehen, braucht nicht mitKapital ausgestattet zu sein und darf sichnicht öffentlich an den Kapitalmarkt wen-den. Von den aktuell annähernd 1900 EWI-V’s ist das markanteste Beispiel wohl derfranzösisch-deutsche Kultursender Arte mitSitz in Straßburg. Besonders erfolgreich istdie Europäische Genossenschaft (SCE),11

von der über 300.000 die grenzüberschrei-

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1 Van Hulle/Maul/Drinhausen-Wenz, Handbuchzur Europäischen Gesellschaft, 2007, 1.Abschnitt, S. 8, Rz. 17.

2 Eidenmüller/ Engert/Hornuf, Die Aktiengesell-schaft (AG) 20/2008, 721–730.

3 Eidenmüller/Engert/Hornuf, Incorporating UnderEuropean Law: The Societas Europaea as aVehicle for Legal Arbitrage, S.31, verfügbar imVolltext über: http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1316430

4 Zur geographischen Verteilung wie vor, Tabelle2.

5 Urt. v. 27.10.2008, Az.: II ZR 158/06.6 Zur juristischen Kritik vgl. z. B. die Stellung-

nahme 13/2008 des Deutschen Anwaltvereinsdurch den Ausschuss Internationaler Rechts-verkehr zum Referentenentwurf eines Gesetzeszum Internationalen Privatrecht der Gesell-schaften, Vereine und juristischen Personen;abrufbar unter: http://anwaltverein.de/down-loads/Stellungnahmen-08/STN132008IRV.pdf.

7 Z. B. Urt. v. 05.11.2002, Rs. C-208/00, EuGHE I2002, S. 9919 ff. („Überseering“) und Urt. v.30.09.2003, Rs. C-167/01, EuGHE I 2003, S.10155 ff. („Inspire Art“).

8 EuGH, Urt. v. 16. 12. 2008, Rs. C-210/06.9 Wenz, a.a.O, (s. Fn. 1), S. 3, Rz. 6.10 Diese auf dem Gemeinschaftsrecht basierende

Personengesellschaft gilt als Handelsgesell-schaft im Sinne des Handelsgesetzbuchs. Eng-lisch: European Economic Interest Grouping(EEIG); Französisch: Groupement européend’intérêt économique (GEIE). Sie beruht auf derVerordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäi-schen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung(EWIV) und wurde in Deutschland umgesetztdurch das Gesetz zur Ausführung der EWG-Ver-ordnung über die Europäische wirtschaftlicheInteressenvereinigung (EWIV-Ausführungsge-setz EWIVAG) v. 14. 04.1988 (BGBl. I S. 514),zuletzt geändert durch Artikel 16 des Gesetzesv. 23.10.2008 (BGBl. I S. 2026). Weitere Einzel-heiten abrufbar unter: http://europa.eu/scad-plus/leg/de/lvb/l26015.htm.

11 Die Rechtsform der Europäische Genossen-schaft (SCE) existiert seit August 2006 und wirdauch Societas Cooperativa Europaea (SCE)genannt; Englisch: European CooperativeSociety (SCE); Französisch: Société CoopérativeEuropéenne (SCE). Sie beruht auf der Verord-nung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli

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B U C H B E S P R E C H U N G

tenden Interessen von mehr 60 MillionenMitgliedern vertreten.12 Und in absehbarerZeit wird die Europäische Privatgesellschaft(EPG)13 hinzukommen, die es vielleichtschon ab etwa 2010 erlauben wird, auch klei-ne Unternehmen (mit weniger als 250Beschäftigten) nach weitgehend einheit-lichen Rechtsprinzipien innerhalb der Euro-päischen Union zu gründen.14 Diese „Euro-pa-GmbH“ wird deutschen Mittelständlernbei der Gründung von z. B. Vertriebstöchternim europäischen Ausland rund 80 % der bis-her anfallenden Gründungskosten einspa-ren.15

Mit der wachsenden Bedeutung des europäi-schen Gesellschaftsrechts wächst der Bedarfan dessen praktischer und wissenschaftlicherDurchdringung.16 In diesem Kontext nimmtdas Handbuch zur Europäischen Gesellschaft(SE) von van Hulle, Maul und Drinhauseneinen besonderen Platz ein zwischen Über-blickskommentaren in solchen zum Aktien-gesetz und voluminöseren Werken, wie den-jenigen von Jannott und Frodermann17 (1108Seiten zu 134,- EUR), von Manz, Mayer undSchröder18 (1042 Seiten zu 148,00 EUR), vonSchwarz19 (1149 Seiten zu 198,00 EUR) bzw.von Lutter und Hommelhoff20 (1236 Seiten zu229,00 EUR).

Das Werk von van Hulle, Maul und Drinhau-sen lässt sich in einen allgemeinen(Abschnitte 1-3), einen verfahrens- und orga-nisationsrechtlichen (Abschnitte 4 und 5)und einen besonderen Teil (Abschnitte 6-11)gliedern und umfasst alle Aspekte der SE vonder Gründung bis zur Abwicklung.

Wenz zeigt im 1. Abschnitt auf 32 Seiten u. a.die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten derSE auf, von der Merger SE, über Acquisition-,European Holding-, Integrated EuropeanGroup-, Joint Venture-, und Reorganisation SE(mit European Holding- und European SingleEntity SE) bis hin zur European Group-, Reen-gineering- und Cross-Border SE. Einfachgehaltene Übersichten und Schaubilder derzahlreichen Möglichkeiten der verschieden-sten Strukturen tragen hervorragend zu einemplastischen Verständnis der Materie bei.

Für die Wesensmerkmale der SE genügenMaul im 2. Abschnitt 8 Seiten, wobei derSchwerpunkt auf der Darstellung des not-wendigen und fakultativen Satzungsinhaltesliegt, während Drinhausen und Teichmannmit etwas mehr als 4 Seiten für die Rechts-quellen (vor allem SE-VO und SE-ErgRiL,

sowie SEEG, SEAG und SEBG), deren Anwen-dung und Auslegung auskommen.

Der verfahrens- und organisationsrechtlicheTeil beginnt im 4. Abschnitt mit der Grün-dung der SE, deren Kommentierung sich Teich-mann (§ 1 Einleitung, § 2 Verschmelzung),Drinhausen (§ 3 Holding-SE, § 5 Umwandlung)und Maul (§ 4 Tochter-SE, § 6 Tochter-SE einerSE) auf rund 70 Seiten teilen. Die innere Orga-nisation im 5. Abschnitt bestreiten Drinhausen(§ 1 Einleitung, § 2 Dualistisches System, § 3Monistisches System) und Maul (§ 4 Hauptver-sammlung) auf 58 Seiten.

Danach wendet sich das Werk einzelnen Fra-gestellungen zu, die ihrerseits von besonde-rem Interesse sind. Köklü betrachtet im 6.Abschnitt auf immerhin mehr als 70 Seitendie Arbeitnehmerbeteiligung,21 wobei er mitÜbersichten und Beispielsfällen arbeitet, diesowohl das Verständnis der Regelungen alsauch deren praktische Umsetzung erheblicherleichtern. Auch zeigt er auf, wie sich Nach-teile für Arbeitnehmervertretungen ergebenkönnen, ohne dass bereits von einem Miss-brauch der Rechtsform gesprochen werdenkönnte.

Anschließend räumt Teichmann im 7.Abschnitt der grenzüberschreitenden Sitzver-legung 16 Seiten ein. Im 8. Abschnitt widmetMaul dem Konzernrecht 14 Seiten. Für dieDarstellung der Besteuerung reichen im 9.Abschnitt Diemer (§ 1 EU-Vorgaben) sowieBlumenberg (§ 2 SEStEG) insgesamt 34 Seiten,während im 10. Abschnitt auf weiteren 10Seiten Lanfermann auf die Besonderheitender Rechnungslegung der SE eingeht. Maulbeschließt das Werk im 11. Abschnitt aufetwa 5 Seiten mit Ausführungen zu Auflö-sung, Abwicklung und Insolvenz der SE.

Man mag bereits Gliederung und Umfangdes Werkes entnehmen, dass dieses sich vorallem an Praktiker richtet. In der Regel wer-den den einzelnen Abschnitten Übersichtenvorangestellt, die ebenso wie die Randzifferneine Arbeit mit dem Handbuch erleichtern.Den einzelnen Themenbereichen werdenzudem Ausführungen vorangestellt, welchedie wesentlichen Abweichungen des SE-Rechts vom Aktienrecht aufzeigen. Das wirdauch den Wissenschaftler freuen, da dadurcheine dogmatische Einordnung verschieden-ster Rechtsprobleme erleichtert wird.

Im Ganzen liefert das Handbuch zur Europä-ischen Gesellschaft (SE) von van

Hulle/Maul/Drinhausen eine gelungene kom-pakte Darstellung aller relevanten Fragestel-lungen, auf die Praxis und Lehre gernezugreifen werden.

Dr. Axel Schwarz, Moritzburg

2003 über das Statut der Europäischen Genos-senschaft (SCE) und wurde in Deutschlandumgesetzt durch das Gesetz zur Ausführung derVerordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates v.22.07.2003 über das Statut der EuropäischenGenossenschaft (SCE) (SCE-Ausführungsgesetz -SCEAG) - Artikel 1 des Gesetzes v. 14.08.2006,BGBl. I S. 1911, zuletzt geändert durch Artikel20 des Gesetzes v. 23.10.2008, BGBl. I S. 2026.Weitere Einzelheiten abrufbar unter: http://europa.eu/scadplus/leg/de/lvb/ l26018.htm

12 Die Zahlen beziehen sich auf 2004 und sindder englischen Version des HEC-Berichts vonNoëlle Lenoir „The Societas Europaea or SE.The new European company”, Juli 2007 ent-nommen, abrufbar unter: http://www.debevoi-se.com/files/ News/50a57d33-f909-48f0-a11f-f7677f6f0231/ Presentation/NewsAttachment/00003a12-5e47-4f1b-9211-04c2279 0ceee/RaportNLenoirenversionanglaise.pdf. Der Origi-naltitel lautet: La Societas Europaea ou SE :pour une Citoyenneté Européenne de l’Entre-prise, 2007.

13 Lateinisch: Societas Privata Europaea (SPE),Englisch: European Private Company (SPE);Französisch: Société Privée Européenne (SPE).Näheres dazu einschließlich der Folgenein-schätzung abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/company/epc/index_de.htm.

14 Dazu Siems/Rosenhäger/Herzog, Konzern 8/2008,393 – 401.

15 Entsprechendes gilt auch für die laufendenBeratungskosten, vgl. Hönighaus, Die Europa-GmbH kommt, Financial Times Deutschland,01.07.2008, abrufbar unter: http://www.ftd.de/karriere_management/recht_steuern/:Recht%20Steuern%20Die%20Europa%20GmbH/380424.html.

16 Das Societas Network, an dem auch ChristophTeichmann beteiligt ist, verzeichnet bis 2005nicht weniger als 25 kommentierende Publika-tionen, abrufbar unter: http://www.se-net-work.org/?nav=Publications &link=Books.

17 Jannott/Frodermann, Handbuch der Europäi-schen Aktiengesellschaft - Societas Europaea -”,Eine umfassende und detaillierte Darstellungfür die Praxis unter Berücksichtigung sämt-licher EU-Mitgliedstaaten, 2005.

18 Manz/Mayer /Schröder, Europäische Aktienge-sellschaft SE, Kommenta, 2005.

19 Schwarz, Kommentar zur Europäischen Gesell-schaft - SE. Gelbe Erläuterungsbücher. Mit Hin-weisen zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SEsowie zum Konzern- und Steuerrecht und einerausführlichen Darstellung zum monistischenSystem (§§ 21-49 SEAG), 2005.

20 Lutter/Hommelhoff, SE Kommentar SEVO,SEAG, SEBG, Steuerrecht, 2007, das von Kiemin ZHR 4/2008, 484–488 besprochen wurde.

21 Vgl. dazu jetzt auch Feldhaus/Vanscheidt,Betriebs-Berater (BB) 42/2008, 2246–2251.

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VuR 5/2009 | V

I N F O R M AT I O N E N

■ Die Zeitschrift Informationen zum Verbrau-cherrecht des österreichischen Vereins fürKonsumenteninformation (VKI) berichtet ineinem Artikel vom 11.03.2009 von einer Ver-bandsklage des VKI, wobei letztlich vomOGH mehr Transparenz bei VISA-Kredit-karten gefordert wird. Der VKI hat – im Auf-trag der Arbeiterkammer Vorarlberg – ge-gen eine Reihe von Klauseln in denGeschäftsbedingungen der VISA-Kreditkar-ten Verbandsklage geführt. Man habe sichvor allem bei jenen Klauseln durchsetzenkönnen, wo der Kreditkarteninhaber überwirtschaftliche Belastungen völlig im Unkla-ren bliebe. Nun liegt ein Urteil des OberstenGerichtshofes (OGH) vor. Ein Teil der einge-klagten Klauseln wird als gesetzwidrig er-kannt, unter anderem eine Regelung zur Ver-tragskündigung. Ein anderer Teil konnte vordem OGH zwar bestehen, insgesamt forde-re das Gericht aber ein Mehr an Transpa-renz.

■ In der Online-Ausgabe 03/09 der ZeitschriftCHOICE des australischen Verbraucherver-bandes ACA werden Kreditausfallversiche-rungen als Augenwischerei bezeichnet, dieKreditgebern und Versicherungsgesellschaf-ten das schnelle Geld brächten, wogegenKonsumenten weit bessere Optionen zurVerfügung ständen. Im Vergleich zu Lebens-versicherungen seien Kreditausfallversiche-rungen unverhältnismäßig teuer. Die Nach-forschungen von CHOICE hätten ergeben,

dass diese nichts weiter als Abzockerei seien,da andere Optionen eine weitaus bessereund preisgünstigere Alternative für Konsu-menten darstellten.

■ In der Zeitschrift des belgischen Verbrau-cherverbandes CRIOC, Du Côté des Con-sommateurs, geht es in zwei Artikeln vom20.03. und 24.03.2009 um den Protest vonVerbraucherschützern gegen eine Abän-derung des gerichtlichen Mahnbescheids,der in einem Gesetzentwurf zur Debattestand. Dem hatte sich CRIOC bereits zusam-men mit weiteren Verbraucherschutzorgani-sationen entgegengestellt. Der besagte Ge-setzeswurf sehe vor, dass der Gläubiger, umdie Begleichung seiner Rechnungen zu er-wirken, bei Gericht ein einseitiges Ersuchenstellen könne, ohne dass dem Schuldner Ge-legenheit gegeben würde, dagegen etwaseinzuwenden. Der Gesetzentwurf soll Unter-nehmen helfen, ihre durch säumige Zahlerverursachten Liquiditätsprobleme in denGriff zu bekommen. CRIOC ist jedoch der An-sicht, dass diese Maßnahme eine Verletzungdes Rechtes auf Verteidigung darstellt unddie Lage der finanzschwächsten Konsumen-ten verschlimmern würde; außerdem bliebekeinerlei Verhandlungsspielraum zwischenden Parteien. Ein erster Sieg ließe sich be-reits verzeichnen und die Abstimmung desGesetzesentwurfs sei vertagt worden. Trotz-dem wolle man dieses Thema künftig im Au-ge behalten.

■ Die französische Verbraucherzeitschrift INCHebdo Nr. 1513 vom 30.03.09 befasst sichmit missbräuchlichen Klauseln, wobei diehierfür zuständige Kommission jeweils eineschwarze und eine graue Liste aufgestellt hat.So dürften künftig in Frankreich zwölf For-mulierungen nicht mehr in Verträge aufge-nommen werden, und zehn weitere gältenals mutmaßlich missbräuchlich. Dies stelle ei-nen unbestreitbaren formaljuristischen Fort-schritt im Bereich Verbraucherschutz dar,der Verbrauchern mehr Klarheit verschaffenwürde. Es wird jedoch befürchtet, dass diesefortschrittlichen Neuerungen durch den Vor-schlag der europäischen Richtlinie zum Ver-braucherschutz aufgehoben werden könn-ten. Dieser sieht vor, den jeweiligenMitgliedsländern – im Rahmen des Prinzipsder maximalen Harmonisierung – zu unter-sagen, an den eigenen, teils strengeren Be-stimmungen festzuhalten.

Übersetzungen: Doris Luik, Hamburg

V E R B R A U C H E R Z E I T S C H R I F T E N I M A U S L A N D

Die entsprechenden Links auf dieaktuellen Zeitschriften finden Sie imInternet unter www.vur-online.deunter der Rubrik „Verbraucherzeitschrif-ten im Ausland“.

Die Regulierung von Hedge-Fonds in Deutschland

NomosBitte bestellen Sie im Buchhandel oder versandkostenfrei unter www.nomos-shop.de

Die Regulierung von Hedgefonds zwischen Anleger- und FondsinteressenVon RA Dr. Christoph Gringel2009, 280 S., brosch., 58,– €, ISBN 978-3-8329-3726-3(Schriften zum Gesellschafts-, Bank- und Kapitalmarktrecht, Bd. 11)

Die Arbeit zeigt die zwischen Hedgefonds und Anlegern bestehenden Interessenskonflikte auf, um im Folgenden zu untersuchen, wie diese in den Rechtsordnungen der USA, Schweiz und Deutschland gelöst werden. Im Rahmen der Untersuchung werden besonders die Regelungen des Investmentgesetzes für Hedgefonds umfassend dargestellt und kritischanalysiert.

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VI | VuR 5/2009

4. Nationale Finanzdienstleistungs-Konfe-renz – Vertrauen in der Finanzkrise29./30.05.2009, Hamburg, SteigenbergerHotel Hamburg

Auch im Jahr 2009 wird in Hamburg wiederdie alljährliche „nationale Konferenz zuFinanzdienstleistungen“ mit dem Thema Ver-trauen in der Finanzkrise stattfinden, diesesMal im Hotel Steigenberger, direkt zwischenAlster und Elbe.

Programm:Freitag, 29.05.2009

Begrüßung/Einführung: Damon Gibbons(ECRC/Inclusion), Prof. Dr. Udo Reifner (iff)

Wie sollen Banken das Vertrauen wiederge-winnen? Prof. Rudolf Hickel (Univ. Bremen)

Plenum 1:

● Verlorenes Vertrauen der Kunden- wie kön-nen es die Banken wiedergewinnen Intro (Film): Diskussion mit Bankenvertre-tern, Günter Hörmann (VZ Hamburg),N.N (GLS Bank), Thorsten Höche (BdB),Prof. Rudolf Hickel (Univ. Bremen), Her-mann-Josef Tenhagen

Parallele Workshops I:

● Workshop W1.1Verbraucherkreditrecht – Was bringt dieUmsetzung der neuen Richtlinie für Ver-braucherverbände, Schuldnerberatungund Banken.Judith Wittig (Deutsche Bank); ManfredWestphal (vzbv); Prof. Kai-Oliver Knops(Univ. Hamburg)

● Workshop W1.2Was heißt Verantwortung im Kreditge-schäft für Banken? Aufstellung von Krite-rien, Kontrolle, Außenwirkung.Frank-Christian Pauli (vzbv), Jan W. Wag-ner (creditplus), Achim Tiffe (iff)

● Workshop W1.3Wie erreicht man bei der Finanziellen All-gemeinbildung eine Breitenwirkung?Prof. Michael_Burkard Piorkowsky (Univ.Bonn), Prof. Birgit Weber (Univ. Bielefeld),Marlehn Thieme (Deutsche Bank Stiftung),Anne Schelhowe (iff), Volkamr Lübke (Mo-deration)

Parallele Workshops II:

● Workshop W2.1Ethik und Banken - Ansätze für eine Nähe-rung an das Thema.Prof. Matja Mayer-Fiedrich (Helmut-Schmidt Univ.), Prof. Paul Dembinski(Obbservatoire de la Finance)*, Jutta Gel-brich (VZ Hessen)

● Workshop W2.2Scheitert die private Altersvorsorge? Miss-brauch des Begriffs, fehlende private Absi-cherung, Abbruchquoten?Volker Pietsch (DIAS), Bernd Katzenstein(DIA); Arno Gottschalk (VZ Bremen), Ju-lius F. Reiter (RA),

● Workshop W2.3Umgang mit gekündigten Krediten: Dar-stellung der Abläufe und Probleme ausBankensicht.Thilo Feuchtmann (Teambank), Tim Som-mer (IHV Wilhelmshaven), Frank Kirchner(Citibank) Michael Knobloch (iff)

Parallele Workshops III:

● Workshop W3.1Was wollen Kunden? Grenzen des Infor-mationsmodells, Marktanalysen und Bank-perspektive.Inken Westphal (Citibank), Ulrich Ott (INGDiBa); Jens Dietrich (VZ Sachsen)

● Workshop W3.2Vorstellung und Diskussion: Initiative “An-dere Perspektive“: Schuldnerberater, Ver-braucherberater, Bankberater lernen dieArbeit im jeweils anderen Bereich kennen.Doris Tito (Patr. Gesellschaft von 1765),Gert Spennemann (Deutsche Bank),RitaHornung (Marianne von Weizsäcker Stif-tung)

● Workshop W3.3Subprime in Deutschland - Kontoüberzie-hung, Kreditkartenkredite, Kettenum-schuldungen und Restschuldversicherun-gen.Peter Wacket (Bankenfachverband), VeraCortrell (Which?)*, N.N (American ExpressService), Prof. Reifner (iff)

Plenum 2:

● Bank und Staat in der Krise: Garantien, Ei-genkapitalerhöhung, Verstaatlichung; Ab-geordnete des Bundestages diskutieren:Hans-Michael Goldmann (FDP), NicoleMaisch /Bündnis 90/Die Grünen), KarinBinder (Fraktion Die Linke), Ortwin Runde*(SPD), Moderation NDR*

Samstag, 30.05.2009

Parallele Workshops I:

● Workshop W4.1Offene Rechtsrunde: Beratungsverschul-den bei Zertifikaten, Einbeziehung derRSV, neue Rechtsprechung zu Schrottim-mobilienfinanzierung und Sittenwidrig-keit.Prof. Peter Derleder (Univ. Bremen.)

● Workshop W4.2Girokonto für Jedermann und P-Konto -Stand, Probleme, weiterhin fehlende ge-setzliche Regelung.Christian Meyer-Seitz (BMJ), Christina Beck(vzbv u. AG-SBV), N.N. (Zentraler Kredit-ausschuss)

● Workshop W4.3Ideen-Labor: Was geschieht nach der Er-öffnung des Verbraucherinsolvenzverfah-rens/ der Restschuldbefreiung?Werner Sanio (SBZ Univ. Mainz), MichaelKnobloch (iff)

Parallele Workshops II:

● Workshop W5.1Was ist gute Bankberatung der Verbrau-cher: Ampelsysteme, Dokumentation derBeratung; Wie evaluieren Banken ihre Be-ratung; Beratungshaftung etc.Edda Castelló (VZ Hamburg), Erich Paetz(BMELV),* Arno Gottschalk (VZ Bremen);Karl Matthäus Schmidt (quirin bank)*,Achim Tiffe (iff)

● Workshop W5.2Schuldnerberatung 2020: Neue Medienfür die Beratung, Neue Wege der Finan-zierung (Staat, Kommunen sowie Mög-lichkeiten, Vor- und Nachteile einer „An-bietermitfinanzierung“).Michael Weinhold (AG SBV); Werner Sa-nio (SBZ Univ. Mainz), Michael Eham(Schuldnerhilfe Köln); Tim Sommer (IHVWilhelmshaven)

● Workshop W5.3CAWIN und FinanzCheck-Workshop desiff: Erwartungen an eine Schuldnerbera-tungssoftware – Erfahrungen aus demAusland (Österreich) – Wartelisten, Statis-tische Erfassungen, Benchmarking)Matthias Cantow (iff), Alexander Malyn-erbaratung Wien), Ilona Heitmann (SB Al-feld), Tilo Walter* (SCHUFA)

Themen der Abschlussdiskussion: Was wird uns in den nächsten Jahren erwar-ten? Was brauchen wir für Banken und Produkte?(„Megatrends”: Zurück zur Regionalisierung,Risiken durch die Privatisierung von Alters-vorsorge, Auseinandergehen der Schere beiden Einkommen, Flucht in die Selbständig-keit, Zunahme von Privatinsolvenzen, Alte-rung der Bevölkerung).Michael Weinhold (AG SBV); Manfred West-phal (vzbv), Lars-Henner Santelmann (VWFinancial Services AG), Moderation: Prof.Udo Reifner (iff), Volkamr Lübke (Modera-tion)

* = angefragte Referenten

V E R A N S TA LT U N G S H I N W E I S E

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I N F O R M AT I O N E N

Weitere Information:www.verantwortliche-kreditvergabe.net/index.php?id=2626Institut für Finanzdienstleistungen e. V.Tel.: 040 3096910Fax: 040 30969122E-Mail: [email protected]

Einführungskurs VersicherungsrechtFreitag, 19.06.2009, Stuttgart / Holiday Inn

In diesem Seminar werden die in der Praxisbedeutsamen Probleme des Versicherungs-vertragsrechts: Klagefrist, Prämienzahlung,Gefahrerhöhung; Unterversicherung/Über-versicherung; Repräsentantenhaftung; vor-läufige Deckungszusage; Agentenhaftung;Versicherungsagenten/Versicherungsmakler;vorsätzliche Herbeiführung des Versiche-rungsfalles; grobe Fahrlässigkeit; Beweis fürden Eintritt des Versicherungsfalls; Risikoaus-schlüsse, Obliegenheitsverletzungen darge-stellt. Zu allen Problemkreisen erfolgen Hin-weise auf die Neuregelung im Versicherungs-vertragsgesetz

Weitere Information:www.anwaltakademie.deJenny Steger Tel.: 030 726153-126Fax: 030 726153-111E-Mail: [email protected]

Aktuelles VersicherungsvertragsrechtSamstag, 20.06.2009, Stuttgart, Holiday Inn

Folgende Themen werden im Seminarbehandelt:Beratungspflichten und Informationspflich-ten der Versicherer; Abschaffung des Police-modells; Neuregelung des Widerrufsrechts;gesetzliche Regelung der vorläufigen Dek-kung; Neuregelung der vorvertraglichenAnzeigepflicht; Wegfall des Befriedigungs-und Anerkenntnisverbotes in der Haftpflicht-versicherung; Neuregelung der Verjäh-rung/Ausschlussfristen; Änderungen beimForderungsübergang (§ 67 VVG a. F.); Gel-tungsbereich des alten und des neuen VVG;gesetzliche Neuregelung in der Lebensversi-cherung und in der Krankenversicherung;Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips: beiObliegenheitsverletzungen, bei Gefahrerhö-hung, bei grober Fahrlässigkeit.

Weitere Information:www.anwaltakademie.deJenny Steger Tel.: 030 726153-126Fax: 030 726153-111E-Mail: [email protected]

Umsetzung der Verbraucherkreditrichtli-nie - Das neue Verbraucherdarlehensrecht25.06.2009, Frankfurt/Eschborn, MercureFrankfurt-Eschborn Helfmann-Park

Programm:

Einführung ins neue Verbraucherdarlehens-recht:● Rückblick auf die Entwicklung der Ver-

braucherkreditrichtlinie● Erwägungsgründe und Harmonisierungs-

ansatz● Übersicht über die wesentlichen Rege-

lungsinhalte● Nennung der wichtigsten Änderungen im

Vergleich zu §§ 491ff BGB● Stand des Gesetzgebungsverfahrens sowie

Zeitplan

Gesetzestechnik:● Sachlicher und persönlicher Anwendungs-

bereich:erfasste und nicht erfasste Kreditarten,insbesondere ÜZ-Kredite und Hypothe-karkrediteVerbraucherbegriff und Schutzzweck derRichtlinieSonstige Begrifflichkeiten

● Harmonisierung und nationale Gestal-tungsspielräume

● Bedeutung der Datenbanken● Aufsichtsrechtliche Vorschriften

Erweiterter Pflichtenkanon des Kreditgebersund Kreditvermittlers:● Standardinformationen in der Werbung

§ 6a PAngVInhalt und Umfang der Regelung

● Vorvertragliche Informations- und Erläute-rungspflichten:PräsenzgeschäftFernabsatzKreditvermittlung

● Förderung verantwortungsvoller Verfah-rung in allen Phasen der Kreditvergabe:Vorstellungen der RiLi:Umsetzung durch den deutschen Gesetz-geberRolle und Verantwortungsbereich des Kre-ditgebersPraktische Umsetzung des GrundsatzesHaftung und SanktionMitwirkungspflichten des Kreditnehmers

Zwingende Angaben im Kreditvertrag:● Umfang der Angabepflicht● Praktische Umsetzung● Sanktionen bei Verstoß

Informationspflichten während der Kredit-laufzeitAbschluss und Widerruf● Formvorschriften und Sanktionen bei Ver-

stoß

● Widerrufsrecht des Kreditnehmers:Mögliche Ausnahmen vom WiderrufsrechtFormulierung der WiderrufsbelehrungAusübung des Widerrufsrechts und Rechts-folgen

Stellungnahme zu den Anforderungen an dieKreditinstituteZinsen:● Definitionen des Sollzinssatzes● Berechnungsfaktoren● Fiktive Angaben● Änderung des Zinssatzes, insbesondere

beim variablen Sollzinssatz

Beendigung des Kreditvertrages:● Allgemeine Grundsätze zur Beendigung ei-

nes Kreditvertrages● Recht des Verbrauchers zur vorzeitigen Be-

endigung

Das neue Verbraucherdarlehensrecht ausdem Blickwinkel des Verbrauchers:● Verbraucherschutz in Europa und Deutsch-

land● Transparenz und Vergleichbarkeit● Schutz vor Überschuldung● Umsetzung von Art 16 RiLi durch § 493

Abs. 3 BGB: vorzeitige Rückzahlung● Umsetzung von Art. 17 RiLi: Forderungs-

abtretung● Auswirkungen auf ABS-Transaktionen

Weitere Information:WM-Seminarewww.wm-seminare.comTel.: 0 69 27 32-162 Fax: 0 69 27 32-200

Neue Entwicklungen im Kapitalanlage-rechtFreitag, 26.06.2009, Frankfurt a. M., Mercu-re Hotel & Residenz Frankfurt Messe

Das Seminar vermittelt einen Überblick überdie neueste Rechtsprechung, insbesonderedes BGH zum Kapitalanlagerecht. EinzelneUrteile werden genauer dargestellt und ana-lysiert. Aus den wichtigsten Entscheidungenwerden neue Tendenzen aufgezeigt. Beson-dere Berücksichtigung finden geschlosseneImmobilienfonds.

Weitere Information:www.anwaltakademie.deMatthias Herrfurth Tel.: 030 726153-124Fax: 030 726153-111E-Mail: [email protected]