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Wenn die Zeichentrickfiguren Chips essen, wollen die Kinder danach den Snack derselben Marke. [ G´ erard Launet/PhotoAlto/picturedesk.com] 32 WISSEN & INNOVATION SAMSTAG, 27. FEBRUAR 2016 Ethik in der von Medien dominierten Welt Kommunikationswissenschaft. Auch der Präsidentschaftswahlkampf zeigt, wie sehr unsere Gesellschaft von Medien durchdrungen ist. Wissenschaftler wollen dadurch entstandene Paradoxien auflösen und diese positiv nutzen. VON MARIELE SCHULZE BERNDT Für den Start des österreichischen Präsidentschaftswahlkampfs kon- statiert der Kommunikationswis- senschaftler Matthias Karmasin von der Uni Klagenfurt dreierlei. Erstens sei die Mediendemokratie in Österreich angekommen, denn alle Kandidaten sind mit YouTube gestartet. Das wäre bei der ersten Kampagne von Bundespräsident Heinz Fischer undenkbar gewesen. Zweitens spielen bei der Kampa- gne soziale Medien eine wichtige Rolle. Drittens bestätigt sich das kommunikationswissenschaftliche Gesetz, dass Medien einander nicht verdrängen, sondern ergän- zen: Der persönliche Wahlkampf, Plakate, TV-Debatten und Social Media seien wichtig. Seit soziale Medien die Gesell- schaft durchdringen – was man auch als Mediatisierung bezeich- net –, werden laut Karmasin Para- doxien sichtbar. Ein Paradox be- trifft die Medien selbst, die als „ein- geschlossene Ausgeschlossene vor der Schwierigkeit stehen, die Ge- sellschaft von außen beobachten zu müssen, obwohl sie Teil der Ge- sellschaft sind“, so Karmasin. Die Digitalisierung hat die Me- diatisierung vorangetrieben. Über alle Lebensbereiche, Kultur, Wirt- schaft und Politik wird ständig in Echtzeit berichtet. Hasspostings, Shitstorms und Mobbing beein- flussen unsere Gesellschaft in ho- hem Maß. „Daher stehen wir vor neuen medienethischen Heraus- forderungen“, stellt Karmasin fest. Neue ethische Grundsätze Medienethik müsse eine Ethik der gesamten mediatisierten Welt sein und sich auf alle Bereiche veröf- fentlichter Inhalte beziehen. Die Kommunikationswissenschaft kön- ne ethische Grundsätze entwi- ckeln, die dann in der Medien- branche umgesetzt werden müss- ten. „Regulierte Selbstregulierung heißt, dass die Branche und die Menschen selbst bestimmen, nach welchen Regeln sie spielen. Der Staat soll dabei nicht eingreifen, er soll nur dafür sorgen, dass sich alle an die selbst gesetzten Regeln hal- ten“, erklärt Karmasin. Da sich in Österreich nicht alle Medien am Presserat beteiligen, dem Organ, das Selbstkontrolle organisieren will, hält Karmasin eine gesetzliche Regelung für erforderlich. Sie sollte die finanzielle Förderung von Me- dien, beispielsweise in Form von Inseraten öffentlicher Institutio- nen, daran koppeln, dass Medien sich der gemeinsamen Selbstkon- trolle unterwerfen. Notwendig wäre auch eine Aus- einandersetzung mit dem langjäh- rig gewachsenen Naheverhältnis zwischen Journalisten und politi- schen Akteuren, das eine „Beiß- hemmung“ erzeuge. Weitere Pro- bleme sind der hochkonzentrierte Medienmarkt in dem kleinen Land und das Missverständnis, dass Me- dienpolitik in der Durchsetzung von Interessen und Machtpolitik bestehe. „Die Qualität von Öffent- lichkeit und die Qualität von De- mokratie liegen so eng zusammen, dass wir es uns nicht mehr leisten können, Medienpolitik als Macht- und Interessenpolitik zu verste- hen“, so Karmasin. In der digitali- sierten Welt sei Medienpolitik viel- mehr eine Querschnittsaufgabe, die Wirtschafts- und Sozialpolitik, Bil- dungs- und Kulturpolitik betreffe. Selbstreflexion der Medien Noch ein Paradox konstatiert Kar- masin: „Die Medien berichten über alles, aber nicht über sich selbst. Das Hauptproblem der Medien ist, dass sie kein Problem mit sich ha- ben.“ Auch darüber will der For- scher im Symposium über Medien- ethik am 29. 2. an der FH St. Pölten sprechen. Sein Buch „Die Mediati- sierung der Gesellschaft und ihre Paradoxien“ ist im Dezember im Facultas-Verlag erschienen. Ungesundes Fernsehen Medienwirkung. In Kinderfilmen sind oft Produktplatzierungen versteckt. Forscher zeigten nun den Effekt auf das Essverhalten der Kinder. Aufklärung durch die Eltern nützt nur wenig. VON SONJA BURGER E ine Gruppe von Volksschü- lern blickt gebannt auf den Fernseher und taucht in die Geschichte rund um einen Panda- bären auf Schatzsuche ein. Die Hauptfigur des Trickfilms stärkt sich wiederholt mit einem unge- sunden Snack, nämlich Fritos Chips. Nach sechs Minuten und 40 Sekunden endet der Trickfilm, den das Forscherteam selbst pro- duziert hat. Danach wurden die Kinder einzeln in einem anderen Raum zum Gesehenen befragt. Auf dem Weg dorthin durften sie zu einem Snack greifen, wobei sie mehrere Chips-Sorten zur Auswahl hatten. 29 Prozent der Kinder griffen zu Fritos Chips: Das sind fast doppelt so viele im Vergleich zu einer Gruppe, die diesen Film nicht ge- sehen hat. Speziell Kinder sind von einer Handlung in Film und Fern- sehen oft so gefesselt, dass Pro- duktplatzierungen leicht ihre Wir- kung entfalten. Wirkt besonders bei Kindern An diesem Punkt wird im Normal- fall auf die Bedeutung von Aufklä- rungsgesprächen durch die Eltern verwiesen. Denn um die Effekte von Werbung zu reduzieren, hilft es tatsächlich, mit den Kindern da- rüber zu reden. Gemeinsam mit Brigitte Naderer untersuchte Jörg Matthes, Studienleiter und Vor- stand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien, die Wirkung von Ge- sprächen und anderen Präven- tionsmaßnahmen. An der Wirkungsstudie „Chil- dren’s Attitudinal and Behavioural Reactions to Product Placements: Do Parental Mediation and Family Conversations Matter?“ nahmen insgesamt 130 Kinder zwischen sechs und elf Jahren an vier nieder- österreichischen Schulen teil. Zu- sätzlich befragte das Team die El- tern nach ihren persönlichen Stra- tegien. 250 Filme werden untersucht „Unsere Studie hat gezeigt, dass vorbereitende Gespräche im Fall von Produktplatzierungen wenig nützen, da die Platzierungen sehr subtil gemacht sind. In der konkre- ten Handlungssituation, wenn den Kindern etwa Snacks angeboten werden, entfalten Produktplatzie- rungen ungehindert ihre Wirkung“, so der Psychologe. Eine Inhaltsanalyse bildet die zweite Säule des Projekts „Nah- rungsmittelplatzierungen in Kin- derfilmen. Inhalte, Wirkmechanis- men und Schutzmaßnahmen“, das durch den Jubiläumsfonds der Ös- terreichischen Nationalbank geför- dert wird. Dabei analysiert das Team, welche Produktkategorien in welchem Zusammenhang in den meist gesehenen Kinder- und Fa- milienfilmen der letzten 25 Jahre vorkommen. Auch damit betreten die For- scher Neuland, denn bisher ist nur bekannt, dass es vor allem unge- sunde Produkte mit hohem Zu- cker- und Fettgehalt sind. Insge- samt 250 Filme nehmen sie dabei unter die Lupe. Schokolade als Heilmittel Wie stark Produkte und Charaktere miteinander verknüpft sind, zeigen erste Zwischenergebnisse: So be- zieht der Hauptcharakter bei „Ant- boy“ seine Superkräfte aus Süßig- keitenkonsum, bei „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ wird Schokolade zum Heilmittel, die Charaktere bei „Ab durch die Hecke“ überwintern, indem sie Junkfood sammeln und „Alvin und die Chipmunks“ sind besessen von Käsebällchen. Die Auswertung ist zwar noch nicht abgeschlossen, doch bereits jetzt zeigt sich für Matthes ein kla- rer Trend: „In Kinderfilmen wird die Ernährungspyramide umge- kehrt. Jene Nahrungsmittel, die man selten konsumieren sollte, kommen besonders häufig vor. Wenn Obst gezeigt wird, dann oft nur als Dekoration. Gegessen wird es kaum.“ Die Erkenntnisse in Zu- sammenhang mit dem Essverhal- ten sind besonders wichtig. Erst- mals wurde gezeigt, dass rund ein Drittel der Kinder im Anschluss an das Gesehene zum beworbenen Produkt greift. Während bei den Studienteil- nehmern der Effekt unmittelbar nach der Studie wieder rückgängig gemacht wird, steht nun die Frage zur Debatte, ob Produktplatzierun- gen dazu beitragen, dass sich unge- sunde Ernährungsmuster bereits in der Kindheit festigen. Schließlich greift man auch als Erwachsener gern zu den Lieblingssnacks aus Kindertagen – wie Chips, Süßigkei- ten und Co. Nahrungsmittel, die man selten konsumieren sollte, kommen in den Filmen viel häufiger vor. Jörg Matthes, Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Uni Wien LEXIKON Produktplatzierung oder Product Placement ist die gezielte Darstellung von Markenprodukten in verschiedenen Medien. Es ist ein effizientes, globales Marketingtool und kommt besonders in Film, Fernsehen und Videospielen zum Einsatz. Die Anfänge reichen in die 1930er-Jahre zurück: Im Film „Horse Feathers“ (1932) ließen die Marx Brothers Reklame für Drops der Marke Live Safers in einen Dialog einfließen. In Kindersendungen sind Produktplatzierungen laut EU-Recht verboten. LEXIKON Ein Paradox enthält einen unauflöslichen Widerspruch in sich, obwohl es einer richtigen Herleitung aus einander nicht ausschließenden Voraus- setzungen folgt. Das Aufklären von scheinbaren Widersprüchen oder das Diskutieren von Ungereimtheiten kann ein sinnvoller Weg der wissenschaftlichen Argumentation sein. Fisolen haben mehr Gene als der Mensch Genom der Gartenbohne erstmals entschlüsselt. Rahmfisolen, Speckfisolen: Va- rietäten der Gartenbohne auf unseren Tellern gibt es viele. Nun haben internationale For- scher mit Beteiligung der Boku Wien das gesamte Genom der Fisole (Phaseolus vulgaris) ent- schlüsselt. Die Gartenbohne wurde in Amerika zweimal do- mestiziert, einmal in den Anden und einmal in Mittelamerika. Die Forscher haben ein Genom des mittelamerikanischen Zweigs sequenziert und die Er- gebnisse im Journal „Genome Biology“ veröffentlicht. In den 620 Millionen Basen- paaren zeigen sich Unterschiede zur Andensorte. Die Bohne hat mehr Gene als der Mensch: Wir haben circa 21.000, die Fisole 30.491. Überraschend war, dass auch DNA-Abschnitte, die keine Gene sind, für die Pflanzenent- wicklung wichtig sind. Das soll helfen, die Kulturpflanze weiter zu verbessern. (APA/vers) NACHRICHTEN Computer löst Fragen für Quantenforscher Quantenphysiker der Uni Wien entwickelten ein Computerpro- gramm, das selbstständig Expe- rimente erstellen kann. Die Physiker um Anton Zeilinger fanden seit Wochen keine Lö- sung, wie sie einen bestimmten Quantenzustand (mehrdimen- sionale Verschränkung mehre- rer Photonen) herbeiführen können. Ein junger Forscher schrieb flugs ein Programm, das alle Kriterien erfüllen sollte. Über Nacht lieferte der Compu- ter 400.000 Vorschläge, wovon einer sinnvoll war. Die Forscher wären nie auf diese Lösung ge- kommen, da unser Gehirn viele Vorgänge der Quantenphysik als unmöglich oder unlogisch aussiebt. Die Software Melvin rechnet unvoreingenommen jede Lösung durch, die Forscher müssen dann nur mehr das sinnvollste Ergebnis an ihre Ex- perimente anpassen. Quantenpunkte für Licht im Computerchip Obwohl Glasfaserkabel zur Da- tenübertragung mit Lichtge- schwindigkeit bereits im Einsatz sind, sind Lichtsignale in Com- puterchips nicht möglich. Denn die verwendeten Siliziumhalb- leiter sind nicht als Lichtquellen zur Datenübertragung geeignet. Forschern der Uni Linz gelang es weltweit erstmals, Silizium so zu behandeln, dass Mikrochips auch bei Raumtemperatur Licht erzeugen. Dazu beschießen sie Nanometer kleine Quanten- punkte (künstliche Atome) mit Germanium-Ionen. Die Halb- leiterindustrie hat bereits Inte- resse am neuen Silizium-Ger- manium-Laser angemeldet. Universum: Materie versteckt sich in Blasen Astrophysiker der Uni Inns- bruck entdeckten, dass große Hohlräume im Weltall nicht – wie bisher angenommen – leer und völlig hohl sind. Die Blasen nehmen 80 Prozent des Univer- sums ein: Die Berechnungen zeigen, dass darin bis zu 20 Pro- zent Materie sein könnte, die von Schwarzen Löchern quasi hingeblasen wurde.

UngesundesFernsehen - univie.ac.at · 2017. 5. 18. · zieht der Hauptcharakter bei „Ant-boy“seine Superkräfte ausSüßig-keitenkonsum, bei „HarryPotter und der Gefangene von

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Page 1: UngesundesFernsehen - univie.ac.at · 2017. 5. 18. · zieht der Hauptcharakter bei „Ant-boy“seine Superkräfte ausSüßig-keitenkonsum, bei „HarryPotter und der Gefangene von

Wenn die Zeichentrickfiguren Chips essen, wollen die Kinder danach den Snack derselben Marke. [ Gerard Launet/PhotoAlto/picturedesk.com]

32 WISSEN & INNOVATION SAMSTAG, 27. FEBRUAR 2016

Ethik in der von Medien dominierten WeltKommunikationswissenschaft. Auch der Präsidentschaftswahlkampf zeigt, wie sehr unsere Gesellschaft von Mediendurchdrungen ist. Wissenschaftler wollen dadurch entstandene Paradoxien auflösen und diese positiv nutzen.

VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Für den Start des österreichischenPräsidentschaftswahlkampfs kon-statiert der Kommunikationswis-senschaftler Matthias Karmasinvon der Uni Klagenfurt dreierlei.Erstens sei die Mediendemokratiein Österreich angekommen, dennalle Kandidaten sind mit YouTubegestartet. Das wäre bei der erstenKampagne von BundespräsidentHeinz Fischer undenkbar gewesen.Zweitens spielen bei der Kampa-gne soziale Medien eine wichtigeRolle. Drittens bestätigt sich daskommunikationswissenschaftlicheGesetz, dass Medien einandernicht verdrängen, sondern ergän-zen: Der persönliche Wahlkampf,Plakate, TV-Debatten und SocialMedia seien wichtig.

Seit soziale Medien die Gesell-schaft durchdringen – was manauch als Mediatisierung bezeich-net –, werden laut Karmasin Para-doxien sichtbar. Ein Paradox be-trifft die Medien selbst, die als „ein-geschlossene Ausgeschlossene vorder Schwierigkeit stehen, die Ge-

sellschaft von außen beobachtenzu müssen, obwohl sie Teil der Ge-sellschaft sind“, so Karmasin.

Die Digitalisierung hat die Me-diatisierung vorangetrieben. Überalle Lebensbereiche, Kultur, Wirt-schaft und Politik wird ständig inEchtzeit berichtet. Hasspostings,Shitstorms und Mobbing beein-flussen unsere Gesellschaft in ho-hem Maß. „Daher stehen wir vorneuen medienethischen Heraus-forderungen“, stellt Karmasin fest.

Neue ethische GrundsätzeMedienethik müsse eine Ethik dergesamten mediatisierten Welt seinund sich auf alle Bereiche veröf-fentlichter Inhalte beziehen. DieKommunikationswissenschaft kön-ne ethische Grundsätze entwi-ckeln, die dann in der Medien-branche umgesetzt werden müss-ten. „Regulierte Selbstregulierungheißt, dass die Branche und dieMenschen selbst bestimmen, nachwelchen Regeln sie spielen. DerStaat soll dabei nicht eingreifen, ersoll nur dafür sorgen, dass sich allean die selbst gesetzten Regeln hal-

ten“, erklärt Karmasin. Da sich inÖsterreich nicht alle Medien amPresserat beteiligen, dem Organ,das Selbstkontrolle organisierenwill, hält Karmasin eine gesetzlicheRegelung für erforderlich. Sie solltedie finanzielle Förderung von Me-dien, beispielsweise in Form vonInseraten öffentlicher Institutio-nen, daran koppeln, dass Mediensich der gemeinsamen Selbstkon-trolle unterwerfen.

Notwendig wäre auch eine Aus-einandersetzung mit dem langjäh-rig gewachsenen Naheverhältniszwischen Journalisten und politi-schen Akteuren, das eine „Beiß-hemmung“ erzeuge. Weitere Pro-

bleme sind der hochkonzentrierteMedienmarkt in dem kleinen Landund das Missverständnis, dass Me-dienpolitik in der Durchsetzungvon Interessen und Machtpolitikbestehe. „Die Qualität von Öffent-lichkeit und die Qualität von De-mokratie liegen so eng zusammen,dass wir es uns nicht mehr leistenkönnen, Medienpolitik als Macht-und Interessenpolitik zu verste-hen“, so Karmasin. In der digitali-sierten Welt sei Medienpolitik viel-mehr eine Querschnittsaufgabe, dieWirtschafts- und Sozialpolitik, Bil-dungs- und Kulturpolitik betreffe.

Selbstreflexion der MedienNoch ein Paradox konstatiert Kar-masin: „Die Medien berichten überalles, aber nicht über sich selbst.Das Hauptproblem der Medien ist,dass sie kein Problem mit sich ha-ben.“ Auch darüber will der For-scher im Symposium über Medien-ethik am 29. 2. an der FH St. Pöltensprechen. Sein Buch „Die Mediati-sierung der Gesellschaft und ihreParadoxien“ ist im Dezember imFacultas-Verlag erschienen.

Ungesundes Fernsehen

Medienwirkung. InKinderfilmen sind oftProduktplatzierungenversteckt. Forscherzeigten nun den Effektauf das Essverhaltender Kinder. Aufklärungdurch die Eltern nütztnur wenig.

VON SONJA BURGER

E ine Gruppe von Volksschü-lern blickt gebannt auf denFernseher und taucht in die

Geschichte rund um einen Panda-bären auf Schatzsuche ein. DieHauptfigur des Trickfilms stärktsich wiederholt mit einem unge-sunden Snack, nämlich FritosChips. Nach sechs Minuten und40 Sekunden endet der Trickfilm,den das Forscherteam selbst pro-duziert hat.

Danach wurden die Kindereinzeln in einem anderen Raumzum Gesehenen befragt. Auf demWeg dorthin durften sie zu einemSnack greifen, wobei sie mehrereChips-Sorten zur Auswahl hatten.29 Prozent der Kinder griffen zuFritos Chips: Das sind fast doppelt

so viele im Vergleich zu einerGruppe, die diesen Film nicht ge-sehen hat. Speziell Kinder sind voneiner Handlung in Film und Fern-sehen oft so gefesselt, dass Pro-duktplatzierungen leicht ihre Wir-kung entfalten.

Wirkt besonders bei KindernAn diesem Punkt wird im Normal-fall auf die Bedeutung von Aufklä-rungsgesprächen durch die Elternverwiesen. Denn um die Effektevon Werbung zu reduzieren, hilftes tatsächlich, mit den Kindern da-rüber zu reden. Gemeinsam mit

Brigitte Naderer untersuchte JörgMatthes, Studienleiter und Vor-stand des Instituts für Publizistik-und Kommunikationswissenschaftder Uni Wien, die Wirkung von Ge-sprächen und anderen Präven-tionsmaßnahmen.

An der Wirkungsstudie „Chil-dren’s Attitudinal and BehaviouralReactions to Product Placements:Do Parental Mediation and FamilyConversations Matter?“ nahmeninsgesamt 130 Kinder zwischensechs und elf Jahren an vier nieder-österreichischen Schulen teil. Zu-sätzlich befragte das Team die El-tern nach ihren persönlichen Stra-tegien.

250 Filme werden untersucht„Unsere Studie hat gezeigt, dassvorbereitende Gespräche im Fallvon Produktplatzierungen wenignützen, da die Platzierungen sehrsubtil gemacht sind. In der konkre-ten Handlungssituation, wenn denKindern etwa Snacks angebotenwerden, entfalten Produktplatzie-rungen ungehindert ihre Wirkung“,so der Psychologe.

Eine Inhaltsanalyse bildet diezweite Säule des Projekts „Nah-rungsmittelplatzierungen in Kin-derfilmen. Inhalte, Wirkmechanis-men und Schutzmaßnahmen“, dasdurch den Jubiläumsfonds der Ös-terreichischen Nationalbank geför-

dert wird. Dabei analysiert dasTeam, welche Produktkategorienin welchem Zusammenhang in denmeist gesehenen Kinder- und Fa-milienfilmen der letzten 25 Jahrevorkommen.

Auch damit betreten die For-scher Neuland, denn bisher ist nurbekannt, dass es vor allem unge-sunde Produkte mit hohem Zu-cker- und Fettgehalt sind. Insge-samt 250 Filme nehmen sie dabeiunter die Lupe.

Schokolade als HeilmittelWie stark Produkte und Charakteremiteinander verknüpft sind, zeigenerste Zwischenergebnisse: So be-zieht der Hauptcharakter bei „Ant-boy“ seine Superkräfte aus Süßig-keitenkonsum, bei „Harry Potterund der Gefangene von Askaban“wird Schokolade zum Heilmittel,die Charaktere bei „Ab durch dieHecke“ überwintern, indem sieJunkfood sammeln und „Alvin unddie Chipmunks“ sind besessen vonKäsebällchen.

Die Auswertung ist zwar nochnicht abgeschlossen, doch bereitsjetzt zeigt sich für Matthes ein kla-rer Trend: „In Kinderfilmen wirddie Ernährungspyramide umge-kehrt. Jene Nahrungsmittel, dieman selten konsumieren sollte,kommen besonders häufig vor.Wenn Obst gezeigt wird, dann oft

nur als Dekoration. Gegessen wirdes kaum.“ Die Erkenntnisse in Zu-sammenhang mit dem Essverhal-ten sind besonders wichtig. Erst-mals wurde gezeigt, dass rund einDrittel der Kinder im Anschluss andas Gesehene zum beworbenenProdukt greift.

Während bei den Studienteil-nehmern der Effekt unmittelbarnach der Studie wieder rückgängiggemacht wird, steht nun die Fragezur Debatte, ob Produktplatzierun-gen dazu beitragen, dass sich unge-sunde Ernährungsmuster bereits inder Kindheit festigen. Schließlichgreift man auch als Erwachsenergern zu den Lieblingssnacks ausKindertagen – wie Chips, Süßigkei-ten und Co.

Nahrungsmittel,die man seltenkonsumierensollte, kommenin den Filmenviel häufiger vor.

Jörg Matthes, Publizistik- undKommunikationswissenschaft, Uni Wien

LEXIKON

Produktplatzierung oder ProductPlacement ist die gezielte Darstellungvon Markenprodukten in verschiedenenMedien. Es ist ein effizientes, globalesMarketingtool und kommt besonders inFilm, Fernsehen und Videospielen zumEinsatz. Die Anfänge reichen in die1930er-Jahre zurück: Im Film „HorseFeathers“ (1932) ließen die MarxBrothers Reklame für Drops derMarke Live Safers in einen Dialogeinfließen. In Kindersendungen sindProduktplatzierungen laut EU-Rechtverboten.

LEXIKON

Ein Paradox enthält einenunauflöslichen Widerspruch in sich,obwohl es einer richtigen Herleitung auseinander nicht ausschließenden Voraus-setzungen folgt. Das Aufklären vonscheinbaren Widersprüchen oder dasDiskutieren von Ungereimtheiten kannein sinnvoller Weg derwissenschaftlichen Argumentation sein.

Fisolen habenmehr Gene alsder MenschGenom der Gartenbohneerstmals entschlüsselt.

Rahmfisolen, Speckfisolen: Va-rietäten der Gartenbohne aufunseren Tellern gibt es viele.Nun haben internationale For-scher mit Beteiligung der BokuWien das gesamte Genom derFisole (Phaseolus vulgaris) ent-schlüsselt. Die Gartenbohnewurde in Amerika zweimal do-mestiziert, einmal in den Andenund einmal in Mittelamerika.Die Forscher haben ein Genomdes mittelamerikanischenZweigs sequenziert und die Er-gebnisse im Journal „GenomeBiology“ veröffentlicht.

In den 620 Millionen Basen-paaren zeigen sich Unterschiedezur Andensorte. Die Bohne hatmehr Gene als der Mensch: Wirhaben circa 21.000, die Fisole30.491. Überraschend war, dassauch DNA-Abschnitte, die keineGene sind, für die Pflanzenent-wicklung wichtig sind. Das sollhelfen, die Kulturpflanze weiterzu verbessern. (APA/vers)

NACHRICHTEN

Computer löst Fragenfür QuantenforscherQuantenphysiker der Uni Wienentwickelten ein Computerpro-gramm, das selbstständig Expe-rimente erstellen kann. DiePhysiker um Anton Zeilingerfanden seit Wochen keine Lö-sung, wie sie einen bestimmtenQuantenzustand (mehrdimen-sionale Verschränkung mehre-rer Photonen) herbeiführenkönnen. Ein junger Forscherschrieb flugs ein Programm, dasalle Kriterien erfüllen sollte.Über Nacht lieferte der Compu-ter 400.000 Vorschläge, wovoneiner sinnvoll war. Die Forscherwären nie auf diese Lösung ge-kommen, da unser Gehirn vieleVorgänge der Quantenphysikals unmöglich oder unlogischaussiebt. Die Software Melvinrechnet unvoreingenommenjede Lösung durch, die Forschermüssen dann nur mehr dassinnvollste Ergebnis an ihre Ex-perimente anpassen.

Quantenpunkte fürLicht im ComputerchipObwohl Glasfaserkabel zur Da-tenübertragung mit Lichtge-schwindigkeit bereits im Einsatzsind, sind Lichtsignale in Com-puterchips nicht möglich. Denndie verwendeten Siliziumhalb-leiter sind nicht als Lichtquellenzur Datenübertragung geeignet.Forschern der Uni Linz gelanges weltweit erstmals, Silizium sozu behandeln, dass Mikrochipsauch bei Raumtemperatur Lichterzeugen. Dazu beschießen sieNanometer kleine Quanten-punkte (künstliche Atome) mitGermanium-Ionen. Die Halb-leiterindustrie hat bereits Inte-resse am neuen Silizium-Ger-manium-Laser angemeldet.

Universum: Materieversteckt sich in BlasenAstrophysiker der Uni Inns-bruck entdeckten, dass großeHohlräume im Weltall nicht –wie bisher angenommen – leerund völlig hohl sind. Die Blasennehmen 80 Prozent des Univer-sums ein: Die Berechnungenzeigen, dass darin bis zu 20 Pro-zent Materie sein könnte, dievon Schwarzen Löchern quasihingeblasen wurde.