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Wenn die Zeichentrickfiguren Chips essen, wollen die Kinder danach den Snack derselben Marke. [ Gerard Launet/PhotoAlto/picturedesk.com]

32 WISSEN & INNOVATION SAMSTAG, 27. FEBRUAR 2016

Ethik in der von Medien dominierten WeltKommunikationswissenschaft. Auch der Präsidentschaftswahlkampf zeigt, wie sehr unsere Gesellschaft von Mediendurchdrungen ist. Wissenschaftler wollen dadurch entstandene Paradoxien auflösen und diese positiv nutzen.

VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Für den Start des österreichischenPräsidentschaftswahlkampfs kon-statiert der Kommunikationswis-senschaftler Matthias Karmasinvon der Uni Klagenfurt dreierlei.Erstens sei die Mediendemokratiein Österreich angekommen, dennalle Kandidaten sind mit YouTubegestartet. Das wäre bei der erstenKampagne von BundespräsidentHeinz Fischer undenkbar gewesen.Zweitens spielen bei der Kampa-gne soziale Medien eine wichtigeRolle. Drittens bestätigt sich daskommunikationswissenschaftlicheGesetz, dass Medien einandernicht verdrängen, sondern ergän-zen: Der persönliche Wahlkampf,Plakate, TV-Debatten und SocialMedia seien wichtig.

Seit soziale Medien die Gesell-schaft durchdringen – was manauch als Mediatisierung bezeich-net –, werden laut Karmasin Para-doxien sichtbar. Ein Paradox be-trifft die Medien selbst, die als „ein-geschlossene Ausgeschlossene vorder Schwierigkeit stehen, die Ge-

sellschaft von außen beobachtenzu müssen, obwohl sie Teil der Ge-sellschaft sind“, so Karmasin.

Die Digitalisierung hat die Me-diatisierung vorangetrieben. Überalle Lebensbereiche, Kultur, Wirt-schaft und Politik wird ständig inEchtzeit berichtet. Hasspostings,Shitstorms und Mobbing beein-flussen unsere Gesellschaft in ho-hem Maß. „Daher stehen wir vorneuen medienethischen Heraus-forderungen“, stellt Karmasin fest.

Neue ethische GrundsätzeMedienethik müsse eine Ethik dergesamten mediatisierten Welt seinund sich auf alle Bereiche veröf-fentlichter Inhalte beziehen. DieKommunikationswissenschaft kön-ne ethische Grundsätze entwi-ckeln, die dann in der Medien-branche umgesetzt werden müss-ten. „Regulierte Selbstregulierungheißt, dass die Branche und dieMenschen selbst bestimmen, nachwelchen Regeln sie spielen. DerStaat soll dabei nicht eingreifen, ersoll nur dafür sorgen, dass sich allean die selbst gesetzten Regeln hal-

ten“, erklärt Karmasin. Da sich inÖsterreich nicht alle Medien amPresserat beteiligen, dem Organ,das Selbstkontrolle organisierenwill, hält Karmasin eine gesetzlicheRegelung für erforderlich. Sie solltedie finanzielle Förderung von Me-dien, beispielsweise in Form vonInseraten öffentlicher Institutio-nen, daran koppeln, dass Mediensich der gemeinsamen Selbstkon-trolle unterwerfen.

Notwendig wäre auch eine Aus-einandersetzung mit dem langjäh-rig gewachsenen Naheverhältniszwischen Journalisten und politi-schen Akteuren, das eine „Beiß-hemmung“ erzeuge. Weitere Pro-

bleme sind der hochkonzentrierteMedienmarkt in dem kleinen Landund das Missverständnis, dass Me-dienpolitik in der Durchsetzungvon Interessen und Machtpolitikbestehe. „Die Qualität von Öffent-lichkeit und die Qualität von De-mokratie liegen so eng zusammen,dass wir es uns nicht mehr leistenkönnen, Medienpolitik als Macht-und Interessenpolitik zu verste-hen“, so Karmasin. In der digitali-sierten Welt sei Medienpolitik viel-mehr eine Querschnittsaufgabe, dieWirtschafts- und Sozialpolitik, Bil-dungs- und Kulturpolitik betreffe.

Selbstreflexion der MedienNoch ein Paradox konstatiert Kar-masin: „Die Medien berichten überalles, aber nicht über sich selbst.Das Hauptproblem der Medien ist,dass sie kein Problem mit sich ha-ben.“ Auch darüber will der For-scher im Symposium über Medien-ethik am 29. 2. an der FH St. Pöltensprechen. Sein Buch „Die Mediati-sierung der Gesellschaft und ihreParadoxien“ ist im Dezember imFacultas-Verlag erschienen.

Ungesundes Fernsehen

Medienwirkung. InKinderfilmen sind oftProduktplatzierungenversteckt. Forscherzeigten nun den Effektauf das Essverhaltender Kinder. Aufklärungdurch die Eltern nütztnur wenig.

VON SONJA BURGER

E ine Gruppe von Volksschü-lern blickt gebannt auf denFernseher und taucht in die

Geschichte rund um einen Panda-bären auf Schatzsuche ein. DieHauptfigur des Trickfilms stärktsich wiederholt mit einem unge-sunden Snack, nämlich FritosChips. Nach sechs Minuten und40 Sekunden endet der Trickfilm,den das Forscherteam selbst pro-duziert hat.

Danach wurden die Kindereinzeln in einem anderen Raumzum Gesehenen befragt. Auf demWeg dorthin durften sie zu einemSnack greifen, wobei sie mehrereChips-Sorten zur Auswahl hatten.29 Prozent der Kinder griffen zuFritos Chips: Das sind fast doppelt

so viele im Vergleich zu einerGruppe, die diesen Film nicht ge-sehen hat. Speziell Kinder sind voneiner Handlung in Film und Fern-sehen oft so gefesselt, dass Pro-duktplatzierungen leicht ihre Wir-kung entfalten.

Wirkt besonders bei KindernAn diesem Punkt wird im Normal-fall auf die Bedeutung von Aufklä-rungsgesprächen durch die Elternverwiesen. Denn um die Effektevon Werbung zu reduzieren, hilftes tatsächlich, mit den Kindern da-rüber zu reden. Gemeinsam mit

Brigitte Naderer untersuchte JörgMatthes, Studienleiter und Vor-stand des Instituts für Publizistik-und Kommunikationswissenschaftder Uni Wien, die Wirkung von Ge-sprächen und anderen Präven-tionsmaßnahmen.

An der Wirkungsstudie „Chil-dren’s Attitudinal and BehaviouralReactions to Product Placements:Do Parental Mediation and FamilyConversations Matter?“ nahmeninsgesamt 130 Kinder zwischensechs und elf Jahren an vier nieder-österreichischen Schulen teil. Zu-sätzlich befragte das Team die El-tern nach ihren persönlichen Stra-tegien.

250 Filme werden untersucht„Unsere Studie hat gezeigt, dassvorbereitende Gespräche im Fallvon Produktplatzierungen wenignützen, da die Platzierungen sehrsubtil gemacht sind. In der konkre-ten Handlungssituation, wenn denKindern etwa Snacks angebotenwerden, entfalten Produktplatzie-rungen ungehindert ihre Wirkung“,so der Psychologe.

Eine Inhaltsanalyse bildet diezweite Säule des Projekts „Nah-rungsmittelplatzierungen in Kin-derfilmen. Inhalte, Wirkmechanis-men und Schutzmaßnahmen“, dasdurch den Jubiläumsfonds der Ös-terreichischen Nationalbank geför-

dert wird. Dabei analysiert dasTeam, welche Produktkategorienin welchem Zusammenhang in denmeist gesehenen Kinder- und Fa-milienfilmen der letzten 25 Jahrevorkommen.

Auch damit betreten die For-scher Neuland, denn bisher ist nurbekannt, dass es vor allem unge-sunde Produkte mit hohem Zu-cker- und Fettgehalt sind. Insge-samt 250 Filme nehmen sie dabeiunter die Lupe.

Schokolade als HeilmittelWie stark Produkte und Charakteremiteinander verknüpft sind, zeigenerste Zwischenergebnisse: So be-zieht der Hauptcharakter bei „Ant-boy“ seine Superkräfte aus Süßig-keitenkonsum, bei „Harry Potterund der Gefangene von Askaban“wird Schokolade zum Heilmittel,die Charaktere bei „Ab durch dieHecke“ überwintern, indem sieJunkfood sammeln und „Alvin unddie Chipmunks“ sind besessen vonKäsebällchen.

Die Auswertung ist zwar nochnicht abgeschlossen, doch bereitsjetzt zeigt sich für Matthes ein kla-rer Trend: „In Kinderfilmen wirddie Ernährungspyramide umge-kehrt. Jene Nahrungsmittel, dieman selten konsumieren sollte,kommen besonders häufig vor.Wenn Obst gezeigt wird, dann oft

nur als Dekoration. Gegessen wirdes kaum.“ Die Erkenntnisse in Zu-sammenhang mit dem Essverhal-ten sind besonders wichtig. Erst-mals wurde gezeigt, dass rund einDrittel der Kinder im Anschluss andas Gesehene zum beworbenenProdukt greift.

Während bei den Studienteil-nehmern der Effekt unmittelbarnach der Studie wieder rückgängiggemacht wird, steht nun die Fragezur Debatte, ob Produktplatzierun-gen dazu beitragen, dass sich unge-sunde Ernährungsmuster bereits inder Kindheit festigen. Schließlichgreift man auch als Erwachsenergern zu den Lieblingssnacks ausKindertagen – wie Chips, Süßigkei-ten und Co.

Nahrungsmittel,die man seltenkonsumierensollte, kommenin den Filmenviel häufiger vor.

Jörg Matthes, Publizistik- undKommunikationswissenschaft, Uni Wien

LEXIKON

Produktplatzierung oder ProductPlacement ist die gezielte Darstellungvon Markenprodukten in verschiedenenMedien. Es ist ein effizientes, globalesMarketingtool und kommt besonders inFilm, Fernsehen und Videospielen zumEinsatz. Die Anfänge reichen in die1930er-Jahre zurück: Im Film „HorseFeathers“ (1932) ließen die MarxBrothers Reklame für Drops derMarke Live Safers in einen Dialogeinfließen. In Kindersendungen sindProduktplatzierungen laut EU-Rechtverboten.

LEXIKON

Ein Paradox enthält einenunauflöslichen Widerspruch in sich,obwohl es einer richtigen Herleitung auseinander nicht ausschließenden Voraus-setzungen folgt. Das Aufklären vonscheinbaren Widersprüchen oder dasDiskutieren von Ungereimtheiten kannein sinnvoller Weg derwissenschaftlichen Argumentation sein.

Fisolen habenmehr Gene alsder MenschGenom der Gartenbohneerstmals entschlüsselt.

Rahmfisolen, Speckfisolen: Va-rietäten der Gartenbohne aufunseren Tellern gibt es viele.Nun haben internationale For-scher mit Beteiligung der BokuWien das gesamte Genom derFisole (Phaseolus vulgaris) ent-schlüsselt. Die Gartenbohnewurde in Amerika zweimal do-mestiziert, einmal in den Andenund einmal in Mittelamerika.Die Forscher haben ein Genomdes mittelamerikanischenZweigs sequenziert und die Er-gebnisse im Journal „GenomeBiology“ veröffentlicht.

In den 620 Millionen Basen-paaren zeigen sich Unterschiedezur Andensorte. Die Bohne hatmehr Gene als der Mensch: Wirhaben circa 21.000, die Fisole30.491. Überraschend war, dassauch DNA-Abschnitte, die keineGene sind, für die Pflanzenent-wicklung wichtig sind. Das sollhelfen, die Kulturpflanze weiterzu verbessern. (APA/vers)

NACHRICHTEN

Computer löst Fragenfür QuantenforscherQuantenphysiker der Uni Wienentwickelten ein Computerpro-gramm, das selbstständig Expe-rimente erstellen kann. DiePhysiker um Anton Zeilingerfanden seit Wochen keine Lö-sung, wie sie einen bestimmtenQuantenzustand (mehrdimen-sionale Verschränkung mehre-rer Photonen) herbeiführenkönnen. Ein junger Forscherschrieb flugs ein Programm, dasalle Kriterien erfüllen sollte.Über Nacht lieferte der Compu-ter 400.000 Vorschläge, wovoneiner sinnvoll war. Die Forscherwären nie auf diese Lösung ge-kommen, da unser Gehirn vieleVorgänge der Quantenphysikals unmöglich oder unlogischaussiebt. Die Software Melvinrechnet unvoreingenommenjede Lösung durch, die Forschermüssen dann nur mehr dassinnvollste Ergebnis an ihre Ex-perimente anpassen.

Quantenpunkte fürLicht im ComputerchipObwohl Glasfaserkabel zur Da-tenübertragung mit Lichtge-schwindigkeit bereits im Einsatzsind, sind Lichtsignale in Com-puterchips nicht möglich. Denndie verwendeten Siliziumhalb-leiter sind nicht als Lichtquellenzur Datenübertragung geeignet.Forschern der Uni Linz gelanges weltweit erstmals, Silizium sozu behandeln, dass Mikrochipsauch bei Raumtemperatur Lichterzeugen. Dazu beschießen sieNanometer kleine Quanten-punkte (künstliche Atome) mitGermanium-Ionen. Die Halb-leiterindustrie hat bereits Inte-resse am neuen Silizium-Ger-manium-Laser angemeldet.

Universum: Materieversteckt sich in BlasenAstrophysiker der Uni Inns-bruck entdeckten, dass großeHohlräume im Weltall nicht –wie bisher angenommen – leerund völlig hohl sind. Die Blasennehmen 80 Prozent des Univer-sums ein: Die Berechnungenzeigen, dass darin bis zu 20 Pro-zent Materie sein könnte, dievon Schwarzen Löchern quasihingeblasen wurde.

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