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Uni meets Practice - Practice meets Uni Eine win-win-Situation durch die Kooperation von Kommune und Hochschule Theorie und Praxis Sozialer Arbeit gut miteinander zu verzahnen ist zentrales Anliegen eines grundständigen Studiums. Wie es gehen kann, zeigt ein aktuelles Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Essen und der Universität Duisburg-Essen. Ziel des Bachelor-Studiums Soziale Arbeit ist die grundständige wissenschaftliche Ausbildung qualifizierter und handlungskompetenter Sozi- alarbeiterInnen für die Praxis (Schaeper/Brie- dis 2004). Der Abschluss „Bachelor“ testiert den AbsolventInnen die Befähigung für die berufli- che Praxis, also auf den beruflichen Alltag vor- bereitet zu sein und dort bestehen zu können. Dabei ziehen gestiegene gesellschaftliche wie fachliche Ansprüche an die Leistungen der So- zialen Arbeit erhöhte quantitative und qualitati- ve Anforderungen an die Fachkräfte in der Pra- xis nach sich. Dies gibt Anlass zu der Frage, wie Studierende optimal auf be- rufliche Situationen vorbereitet werden können - zumal infolge des sog. Turbo-Abiturs und des in der Regel nur dreijährigen Stu- diums die AbsolventInnen oft im Alter bis Mitte zwanzig ihren Berufseinstieg vollziehen. Bereits für erfahrene SozialarbeiterIn- nen ist der Alltag vielfach eine Herausforderung, die jedoch durch ein umfassendes Erfahrungswissen kompensiert werden kann. Be- rufseinsteigerInnen geraten vielfach in Situationen, die sie an die Grenze der (persönlichen) Belastbarkeit führen (Poulsen, 2012, 23 ff). Die Folgen sind Überforderung, frühzeitiger Ausstieg aus dem Arbeitsfeld, aber auch unprofessionelles Handeln, was - je nach Arbeitsfeld - schwerwiegende Auswirkungen haben kann. Anwendungsbezug und Praxisorientierung werden im Kontext von Bologna u.a. als orientierende Faktoren benannt, um der eingangs formulierten Zielsetzung Rechnung zu tragen (Winter, 2009, 15). Gleich durch welche Motivation angetrieben, durch die bildungspolitische Zielsetzung des Bologna-Prozesses, durch Benchmarking (z.B. im Rahmen von Rankings) oder durch eige- ne Qualitätsansprüche befördert: die Hochschulen arbeiten mit verschiedenen Konzepten, um die Verknüpfung von Theorie und Praxis zu gestalten und um die Praxisorientierung im Sinne der Berufsvorbereitung innerhalb des Studiums zu stärken. Instru- mente in diesem Zusammenhang sind u.a. die Integration ange- leiteter - teilweise extensiver - Praktika, bis hin zu Praxissemes- tern, aber auch die (quantitative) Stärkung anwendungsbezogener Lehrveranstaltungen, die eine Theorie-Praxis-Verzahnung fokus- sieren. Dazu gehören ebenso Konzepte wie das kompetenzorien- tierte Lehren und Prüfen. Zwar werden durch derartige Ansät- ze die Bezüge zur Praxis klarer thematisiert und in aller Regel auch stärker profiliert, sie beinhalten trotzdem zwei bisher un- gelöste Probleme. 1. Die „Lernorte“ Hochschule und Praxisstelle (Praktikumspha- se) sind in der Regel nicht nur räumlich, sondern auch zeit- lich voneinander getrennt. Somit werden vielfach die in der jeweiligen Lernumgebung gemachten Lernerfahrungen in der Wahrnehmung von Studierenden als nebeneinander versäult be- schrieben. Praktika finden in der vorlesungsfreien Zeit (oder einem vorlesungsfreien Tag) statt oder ein veranstaltungsfrei- es bzw. –reduziertes Praxissemester ist zwischen die regu- lären Semester implantiert. Die intensive Kontaktpflege zu PraxisanleiterInnen und die Integration von Begleitveranstal- tungen bzw. Supervision können diese Barriere verringern, je- doch nicht vollständig aufheben. Es bleibt bei einer deutlichen, nicht nur gedanklichen, Trennung von Theorie und Praxis. 2. Die im engeren Sinne anwendungs- bzw. praxisorientierten Lehrveranstaltungen werden durch Lehrende angeboten, deren berufliche Wurzeln zwar (meistens) in der praktischen Sozialen Arbeit verortetet sind, deren berufspraktische Er- fahrungen jedoch in aller Regel bereits einige Jahre zurück- liegen. Der Schluss, dass das Verfallsdatum derartigen prakti- schen Erfahrungswissens häufig überschritten ist, liegt nahe. Die Soziale Arbeit ist seit geraumer Zeit gravierenden Ver- änderungsprozessen ausgesetzt, deren Konsequenzen sich im operativen beruflichen Alltag widerspiegeln. Dazu ge- Abstract / Das Wichtigste in Kürze Die Verknüpfung von Theorie und Praxis ist ein zentrales Thema für eine grundständige Ausbildung von SozialarbeiterInnen. Das Projekt „Uni meets Practice“ zeigt eine Möglichkeit, wie Wissenschaft und Berufspraxis synergetisch verbunden werden können. Keywords / Stichworte Praxisorientiertes Studium, Personalentwicklung für Praktiker, win-win-Situation für Hochschule und Kommune. Sabine Beck *1968 Diplom-Sozialpädagogin, Diplom-Pädagogin, Supervisorin (DGSv). Studiengangsmanagement Soziale Arbeit, Fakultät für Bildungswissen- schaften, Universität Duisburg-Essen. [email protected] 10 Sozial Extra 3 2014: 10-13 DOI 10.1007/s12054-014-0057-2 Beruf und Qualifikation 

Uni meets Practice - Practice meets Uni

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Page 1: Uni meets Practice - Practice meets Uni

Uni meets Practice - Practice meets Uni

Eine win-win-Situation durch die Kooperation von Kommune und Hochschule

Theorie und Praxis Sozialer Arbeit gut miteinander zu verzahnen ist zentrales Anliegen eines grundständigen Studiums. Wie es gehen kann, zeigt ein aktuelles Kooperationsprojekt zwischen der Stadt Essen und der Universität Duisburg-Essen.

Ziel des Bachelor-Studiums Soziale Arbeit ist die grundständige wissenschaftliche Ausbildung quali�zierter und handlungskompetenter Sozi-alarbeiterInnen für die Praxis (Schaeper/Brie-dis 2004). Der Abschluss „Bachelor“ testiert den AbsolventInnen die Befähigung für die beru�i-che Praxis, also auf den beru�ichen Alltag vor-bereitet zu sein und dort bestehen zu können. Dabei ziehen gestiegene gesellschaftliche wie fachliche Ansprüche an die Leistungen der So-zialen Arbeit erhöhte quantitative und qualitati-ve Anforderungen an die Fachkräfte in der Pra-xis nach sich.

Dies gibt Anlass zu der Frage, wie Studierende optimal auf be-ru�iche Situationen vorbereitet werden können - zumal infolge des sog. Turbo-Abiturs und des in der Regel nur dreijährigen Stu-diums die AbsolventInnen oft im Alter bis Mitte zwanzig ihren Berufseinstieg vollziehen. Bereits für erfahrene SozialarbeiterIn-nen ist der Alltag vielfach eine Herausforderung, die jedoch durch ein umfassendes Erfahrungswissen kompensiert werden kann. Be-rufseinsteigerInnen geraten vielfach in Situationen, die sie an die Grenze der (persönlichen) Belastbarkeit führen (Poulsen, 2012, 23 �). Die Folgen sind Überforderung, frühzeitiger Ausstieg aus dem Arbeitsfeld, aber auch unprofessionelles Handeln, was - je nach Arbeitsfeld - schwerwiegende Auswirkungen haben kann.Anwendungsbezug und Praxisorientierung werden im Kontext

von Bologna u.a. als orientierende Faktoren benannt, um der eingangs formulierten Zielsetzung Rechnung zu tragen (Winter, 2009, 15). Gleich durch welche Motivation angetrieben, durch die bildungspolitische Zielsetzung des Bologna-Prozesses, durch Benchmarking (z.B. im Rahmen von Rankings) oder durch eige-ne Qualitätsansprüche befördert: die Hochschulen arbeiten mit verschiedenen Konzepten, um die Verknüpfung von Theorie und Praxis zu gestalten und um die Praxisorientierung im Sinne der

Berufsvorbereitung innerhalb des Studiums zu stärken. Instru-mente in diesem Zusammenhang sind u.a. die Integration ange-leiteter - teilweise extensiver - Praktika, bis hin zu Praxissemes-tern, aber auch die (quantitative) Stärkung anwendungsbezogener Lehrveranstaltungen, die eine Theorie-Praxis-Verzahnung fokus-sieren. Dazu gehören ebenso Konzepte wie das kompetenzorien-tierte Lehren und Prüfen. Zwar werden durch derartige Ansät-ze die Bezüge zur Praxis klarer thematisiert und in aller Regel auch stärker pro�liert, sie beinhalten trotzdem zwei bisher un-gelöste Probleme.

1. Die „Lernorte“ Hochschule und Praxisstelle (Praktikumspha-se) sind in der Regel nicht nur räumlich, sondern auch zeit-lich voneinander getrennt. Somit werden vielfach die in der jeweiligen Lernumgebung gemachten Lernerfahrungen in der Wahrnehmung von Studierenden als nebeneinander versäult be-schrieben. Praktika �nden in der vorlesungsfreien Zeit (oder einem vorlesungsfreien Tag) statt oder ein veranstaltungsfrei-es bzw. –reduziertes Praxissemester ist zwischen die regu-lären Semester implantiert. Die intensive Kontaktp�ege zu PraxisanleiterInnen und die Integration von Begleitveranstal-tungen bzw. Supervision können diese Barriere verringern, je-doch nicht vollständig aufheben. Es bleibt bei einer deutlichen, nicht nur gedanklichen, Trennung von Theorie und Praxis.

2. Die im engeren Sinne anwendungs- bzw. praxisorientierten Lehrveranstaltungen werden durch Lehrende angeboten, deren beru�iche Wurzeln zwar (meistens) in der praktischen Sozialen Arbeit verortetet sind, deren berufspraktische Er-fahrungen jedoch in aller Regel bereits einige Jahre zurück-liegen. Der Schluss, dass das Verfallsdatum derartigen prakti-schen Erfahrungswissens häu�g überschritten ist, liegt nahe. Die Soziale Arbeit ist seit geraumer Zeit gravierenden Ver-änderungsprozessen ausgesetzt, deren Konsequenzen sich im operativen beru�ichen Alltag widerspiegeln. Dazu ge-

Abstract / Das Wichtigste in Kürze Die Verknüpfung von Theorie und Praxis ist ein zentrales Thema für eine grundständige Ausbildung von SozialarbeiterInnen. Das Projekt „Uni meets Practice“ zeigt eine Möglichkeit, wie Wissenschaft und Berufspraxis synergetisch verbunden werden können.

Keywords / Stichworte Praxisorientiertes Studium, Personalentwicklung für Praktiker, win-win-Situation für Hochschule und Kommune.

Sabine Beck *1968

Diplom-Sozialpädagogin, Diplom-Pädagogin, Supervisorin (DGSv). Studiengangsmanagement Soziale Arbeit, Fakultät für Bildungswissen-schaften, Universität Duisburg-Essen.

[email protected]

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Sozial Extra 3 2014: 10-13 DOI 10.1007/s12054-014-0057-2

Beruf und Quali�kation 

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hört neben der Einführung neuer fachlicher Instrumente und Techniken auch die Veränderung von Rahmenbedingungen, unter denen Soziale Arbeit statt�ndet.

Trotz oder gerade wegen der Turbulenzen in der Praxis ist der Anspruch der Hochschule, ihre AbsolventInnen „state oft the art“ auszubilden und gut ausgestattet in die Praxis zu entlassen, nicht aufgebbar. Wie aber lässt sich Kompetenzorientierung - un-ter Berücksichtigung stetigen Wandels - im Studium realisieren, damit beru�iche Handlungsfähigkeit sichergestellt wird und auf den Umgang mit komplexen beru�ichen Situationen optimal vor-bereitet wird?Der Studiengang Soziale Arbeit an der Fakultät für Bildungs-

wissenschaften der Universität Duisburg-Essen hat in Kooperati-on mit dem Jugendamt der Stadt Essen im Jahr 2009 das Projekt „Uni meets Practice“ initiiert, das frische Berufserfahrung, aktu-elle professionelle Handlungskompetenz und praktisch erprobtes methodisches Handwerkzeug in den Studiengang bringen und ei-nen regen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis im Stu-diengang fördern will. Andererseits soll PraktikerInnen der Sozi-alen Arbeit Gelegenheit zur individuellen beru�ichen Weiterent-wicklung durch Lehrtätigkeit und wissenschaftlichen Austausch gegeben werden. Dies geschieht beispielsweise im gemeinsam von HochschullehrerInnen und PraktikerInnen des Jugendamtes ge-tragenen Theorie-Praxis-Projekt „Sozialverwaltung“, in das re-gelmäßig 14 bis 16 Studierende für zwei Semester eingebunden sind. In diesem Sinne ist die Abordnung von Jugendamtsmitar-beiterInnen an die Universität auch ein Element des Personalent-wicklungskonzeptes des Jugendamtes der Stadt Essen.Die Grundlage des Projektes Uni-meets Practice ist ein Koopera-

tionsvertrag, der einen auf zwei bis drei Jahre befristeten (freiwil-ligen) Wechsel von MitarbeiterInnen des Jugendamtes der Stadt Essen an die Hochschule für einen begrenzten Zeitraum von ein bis zwei Jahren beinhaltet. Der Vertrag regelt u.a., welche Aufga-ben im Kontext der Abordnung übernommen werden sollen und wie der �nanzielle Ausgleich erfolgt: „Die Stadt wird der Univer-sität zur Dienstleistung die städtischen Beschäftigten […] zur Er-füllung von Aufgaben in der Lehrtätigkeit zuweisen […]“; umge-kehrt „erstattet [die Universität] der Stadt die für den Zeitraum der Zuweisung angefallenen Personalkosten …“.

Nutzen für die Hochschule / den Studiengang Primäre Aufgabe der MitarbeiterInnen ist die Durchführung

anwendungsbezogener bzw. praxisorientierter Lehrveranstal-tungen im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit. Hierzu gehö-ren neben der Mitwirkung im o.g. Theorie-Praxis-Projekt „So-zialverwaltung“ Lehrveranstaltungen, wie „Einführung in die Arbeitsfelder Sozialer Arbeit“ und Trainings im Bereich „Me-thoden Sozialer Arbeit“, aber auch Übungen, wie beispielswei-se „Papier ist geduldig: Aktenvermerke, Stellungnahmen, Hil-fepläne“. Bei all dem spielt die Vermittlung von Erfahrungen und Kompetenzen aus der aktuellen Praxis der abgeordneten

MitarbeiterInnen eine entscheidende Rolle. Anhand einer kri-tischen Auseinandersetzung mit sozialarbeiterischen Methoden bzw. Ansätzen im Abgleich mit der realen Praxis soll die oft be-klagte Lücke zwischen Theorie und Praxis geschlossen werden. Dabei wird die Vermittlung methodisch-konzeptionellen Wis-sens durch die Konfrontation mit der Praxis, z.B. in Form von anonymisierten aktuellen Fallbeispielen, ergänzt. Ziel ist es, auf Seiten der Studierenden professionelle Handlungskompetenz zu erreichen. Neben der Lehre helfen die abgeordneten Mitarbeite-rInnen, die Schnittstelle zwischen Studium und Praxis zu über-brücken. Hier eruieren sie mit Studierenden Praktikumsinter-essen, beraten zu Praktikumsmöglichkeiten oder leiten bei der Herstellung von Kontakten zu Praktikumsstellen an.

Nutzen für das Jugendamt der Stadt EssenFür die Stadt Essen als Arbeitgeber, entsteht durch die Abord-

nung der MitarbeiterInnen insofern ein Mehrwert, als im Rah-men der Tätigkeit an der Hochschule ein Quali�zierungs- bzw. Kompetenzgewinn durch learning near the job (Re�exion der eigenen beru�ichen Praxis) und gleichzeitig training on the job (Vermittlung von Kompetenzen an Studierende) entsteht (vgl. Becker, 2008; 247, Jung, 2011, 322 �.). Die Vorbereitung und Durchführung von Lehrveranstaltungen erfordern die Ausein-andersetzung mit dem im Studium und dem ggf. in Zusatzqua-li�kationen erworbenen Wissen sowie eine intensive theoreti-sche Befassung mit neueren Theorien, Ansätzen und Verfahrens-weisen, die in der eigenen beru�ichen Praxis eingesetzt wurden, aber auch solchen, denen bislang keine Bedeutung beigemessen wurden. Eigene Arbeits- und Vorgehensweisen werden analy-siert, einer kritischen Betrachtung unterzogen und die Routine des sozialarbeiterischen Alltags hinterfragt. In der neuen Rolle als Lehrkräfte sind die abgeordneten MitarbeiterInnen gewis-sermaßen gleichzeitig Lernende und Lehrende; alte Hasen und doch auch NeueinsteigerInnen.

ZIEL IST ES, AUF SEITEN DER

STUDIERENDEN PROFESSIONELLE

HANDLUNGSKOMPETENZ ZU

ERREICHEN.

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Neben der Know-How-Anreicherung ermöglicht der Hoch-schulalltag, quasi als sabbatical year von der praktischen sozial-arbeiterischen Tätigkeit, Freiräume zur beru�ichen Justierung oder (Neu-) Orientierung. Das Projekt ist insofern Bestandteil einer aktiven Personalentwicklung des Jugendamtes der Stadt Essen. Um den Entwicklungsprozess der Integration der Mitar-beiterInnen in die neue Organisation zu unterstützen, aber auch Informationen für Weiterentwicklungsnotwendigkeiten des Pro-jektes zu erhalten, wird die Abordnungsphase durch regelmäßi-ge Evaluationsgespräche �ankiert. In die Gespräche einbezogen sind die abgeordneten MitarbeiterInnen, die Jugendamtsleitung, die Abteilungsleitung des Sozialen Dienstes sowie das Dekanat der Fakultät. Hier werden die im Kooperationsvertrag formu-lierten Zielsetzungen überprüft, die Zufriedenheit der betro�e-nen MitarbeiterInnen im „System Hochschule“ geklärt und eine kritische Betrachtung der Fortführung des Projekts und dessen (künftige) Rahmenbedingungen vorgenommen. Das Projekt be�ndet sich inzwischen am Ende des dritten Durch-

gangs. Bislang haben sieben MitarbeiterInnen der Stadt Essen teil-genommen. Die nachfolgende Zusammenfassung der Bilanz zeigt, dass das Projekt seitens aller Beteiligter sehr positiv und gewinn-bringend bewertet wird.

Adapter zwischen Theorie und PraxisDie Studierenden beschreiben die PraktikerInnen als „Adapter“

zwischen Theorie und Praxis. Aktuelle (anonymisierte) Situatio-nen aus dem Sozialarbeitsalltag, konkrete beru�iche Eindrücke und Erfahrungen werden mit den Studierenden thematisiert. Die positive Resonanz spiegelt sich in zahlreichen direkten verbalen Äußerungen, aber ebenso in den hohen Anmeldezahlen und der sehr guten Frequentierung der durch die Praktiker angebotenen Lehrveranstaltungen wider. Zudem zeigen die durch die Fakultät regelmäßig durchgeführten Lehrveranstaltungsevaluationen sehr gute Feedbacks.

Praktiker-Sichtweisen im wissenschaftlichen DiskursNicht nur aus dem Blickwinkel der Studierenden werden positi-

ve E�ekte festgestellt. Auch das Kollegium der Fakultätsmitglie-der unterschiedlicher Statusgruppen im Studiengang bewertet die Zusammenarbeit und die Auseinandersetzung mit den Praktike-rInnen als bereichernd und förderlich für den wissenschaftlichen Diskurs an der Hochschule. Durch die unmittelbare Präsenz der PraktikerInnen kann eine produktive Kommunikation auf kur-zem Wege erfolgen. Praxiswissen kann in Forschungsvorhaben integriert werden.

Element der Personalentwicklung Aus der Sicht der Stadt Essen, der Projektverantwortlichen und

der TeilnehmerInnen des Projektes greift es als ein Element der Personalentwicklung des Jugendamtes. Es fördert die individu-elle beru�iche Entwicklung. Zurückgekehrte TeilnehmerInnen des Projektes beschreiben die Zeit an der Hochschule uneinge-

schränkt als Chance zur Weiterentwicklung und als eine Phase der Quali�zierung. Die Einbeziehung neuer Perspektiven und ei-ner erweiterten Fundierung haben teilweise auch zu beru�ichem Aufstieg bzw. zur Übernahme höherwertiger Tätigkeiten nach der Rückkehr geführt.Es ist festzuhalten, dass der mit dem Projekt „Uni meets Practice“

begonnene Weg grundsätzlich für alle Beteiligten einen deutlichen Nutzen erzeugt. Gleichwohl haben sich in der Umsetzung Weiter-entwicklungsbedarfe und Optimierungsmöglichkeiten herauskris-tallisiert, die künftig stärker fokussiert werden sollen:

Strukturen, Aufgaben, Rollen, KompetenzenDer Transfer von der Kommune an die Hochschule verläuft nicht

zwangsläu�g reibungslos. Vor dem Hintergrund zweier sehr un-terschiedlicher Organisationskulturen birgt der Übergang von der einen in die andere Organisationskultur Risiken bzw. Kon�iktpo-tenziale. Eine strukturierte Eingliederung in die neue Organisa-tion soll diesen Übergang erleichtern. Reibungsverluste, Unter- und Überforderungsemp�ndungen können durch das Herstellen von Klarheit über die Strukturen, die zu erfüllenden Aufgaben, die Rollenerwartungen und die Kompetenzen der Betro�enen von Beginn abgefedert werden (vgl. Becker, 2005, 36 �.). Hierzu ge-hört u.a. die Durchführung eines klar strukturierten Auftaktge-sprächs, in dem die o.a. Rahmenbedingungen der Tätigkeit an der Hochschule thematisiert werden ebenso wie regelmäßige Zwi-schenbilanz-Gespräche mit der Leitung des Jugendamtes und dem direkten Vorgesetzen, der Leitung des Sozialen Dienstes der Stadt Essen und dem Dekanat der Fakultät für Bildungswissenschaften.

Aktualität der PraxiserfahrungEssentielle Voraussetzung für die Teilnahme ist die praktische

Tätigkeit im Jugendamt, Abteilung Sozialer Dienst der Stadt Es-sen. Hintergrund dafür ist die o.a. erforderliche Kenntnis der ak-tuellen Praxis und das Einbringen aktueller Fälle aus der eige-nen Tätigkeit.

DER MIT DEM PROJEKT

EINGESCHLAGENE WEG

HAT FÜR ALLE BETEILIGTEN EINEN

DEUTLICHEN NUTZEN GEBRACHT.

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Beruf und Quali�kation Sozial Extra 3 2014

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Befristung der Abordnung auf zwei JahreEinerseits ist die Befristung der Abordnung für die Zielsetzung

des Projekts sehr bedeutsam, da auf diese Weise eine vollständige Sozialisation durch die Struktur und Kultur der Hochschule nicht statt�ndet. Die gewollte Sichtweise des externen Praktikers bleibt insofern erhalten. Andererseits gilt es, die Rückkehr der Projekt-teilnehmerInnen zum Arbeitgeber im Auge zu halten. Eine länge-re Phase an der Hochschule könnte zu Problemen hinsichtlich der Anschlussfähigkeit an das „alte“ Praxisfeld führen und eine Rein-tegration in die beru�iche Praxis gefährden.

Kontaktpflege Vorbereitung der RückkehrDie Abwesenheit vom ursprünglichen Arbeitsplatz bedeutet für

die ProjektteilnehmerInnen u.a. Distanz aufzubauen. Man nimmt nicht mehr an den fachlichen Besprechungen teil, hat keinen fach-kollegialen Austausch innerhalb der Kommune mehr. Diese ar-rangierte Distanz kann für die Rückkehr nach zwei Jahren pro-blematisch sein, wenn nicht organisierte Rückkopplungen zum aktuellen Stand in der Kommune erfolgen. Zu denken ist an Ver-änderungsprozesse in der Verwaltung, Einführung neuer Soft-ware-Bestandteile etc. Einer institutionalisierten Kontaktp�ege sollte daher Raum gegeben werden. Die bereits statt�ndenden Rückkehrgespräche, die zwischen der Abteilungsleitung und den ProjektteilnehmerInnen ca. sechs Monate vor der Rückkehr ge-führt werden, sind in diesem Zusammenhang ein wesentlicher Baustein für eine erfolgreiche Reintegration.

EvaluationDie Evaluation des Projektes sollte weiter optimiert werden. Da-

zu gehört eine verbindliche, regelmäßig statt�ndende und struk-turierte schriftliche Auswertung durch die ProjektteilnehmerIn-nen, wie z.B. einem 100-Tage-Bericht oder einem Abschluss-bericht. Ebenso gehört dazu eine stärkere Strukturierung bzw. Systematisierung der Evaluationsgespräche mit der Leitungsebe-ne, die eine kritische Überprüfung der Ziele und Erwartungen, Möglichkeiten und Grenzen impliziert. Darüber hinaus wäre ei-ne di�erenziertere Evaluation der Lernergebnisse der Studieren-den in der Praxisphase oder nach dem Studium möglich, inwie-fern die in den entsprechenden Lehrveranstaltungen erworbenen Kompetenzen tatsächlich die Lücke zwischen Theorie und Pra-xis füllen und ob der Einstieg in die Praxis optimiert wird. Eine weitere Option könnte die Befragung ehemaliger Projektteilneh-merInnen nach der Reintegration (ggf. nach sechs oder 12 Mona-ten) sein, um hinsichtlich der Wirkung des Projektes di�erenzier-tere Aussagen tre�en zu können. Die seit 2009 erzielten Ergebnisse und gemachten Erfahrun-

gen im Rahmen des Projektes weisen ein hohes Weiterentwick-lungspotenzial auf. Sie machen deutlich, dass für eine tatsächli-che Kompetenzorientierung im Studium, also eine Vorbereitung auf die Wirklichkeit, eine enge Verknüpfung zwischen Theorie und Praxis dringend erforderlich ist. Die Einbeziehung aktueller Praxis sichert eine gute Berufseinmündungsphase für Absloven-

tInnen. Auch wenn die Nachhaltigkeit der beobachtbaren E�ekte bislang nicht wissenschaftlich belegt ist, versteht die Universität Duisburg-Essen ihr Modell als zukunftsträchtig für die Fortent-wicklung von Lehr- und Lernkonzepten im Rahmen des Sozialar-beitsstudiums. Für die Stadt Essen bietet das Projekt, neben den bereits angeführten Aspekten der Personalentwicklung, die Mit-wirkung an der Berufsvorbereitung junger Nachwuchskräfte und somit dem künftigen Mitarbeiterpotenzial. Außerdem dürfte der Aspekt der Akquirierung junger Fachkräfte insbesondere vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels in der Sozia-len Arbeit bedeutsam sein. Kurz: das Projekt ist eine win-win-Si-tuation für Kommune und Hochschule. s

∑1. Auf die Problematik des Wegfalls des Berufsanerkennungsjahres an zahlreichen Hoch-schulen soll hier nicht weiter eingegangen werden, zumal die Universität Duisburg-Essen am Berufsanerkennungsjahr bzw. Berufspraktischen Jahr festhält.

2. Gemeint sind hier Methoden Sozialer Arbeit, wie z.B. Lösungsorientierte Beratung/Ge-sprächsführung, Kon�iktmanagement.

3. Vergleichbar einer Arbeitnehmerüberlassung

Literatur

BECKER, MANFRED (2005). Personalentwicklung. Bildung, Förderung und Organisationsentwicklung in Theorie und Praxis. 4. aktualisierte und überarbeitete Au�age, Stuttgart

BERTHEL, JÜRGEN UND BECKER, FRED G. (2007). Personal-Management. Grundzüge für Konzeptionen betrieblicher Personalarbeit, 8. überarbeitete und erweiterte Au�age, Stuttgart

SCHAEPER, HILDE UND BRIEDIS, KOLJA (2004). Kompetenzen von Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen, beru�iche Anforderungen und Folgerungen für die Hochschulreform. In: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), HIS Projektbericht (August 2004)

JUNG, HANS (2011). Personalwirtschaft. 9. aktualisierte und verb. Au�age, München

POULSEN, IRMHILD (2012). Stress und Belastung bei Fachkräften der Jugendhilfe. Ein Beitrag zur Burnoutprävention. Wiesbaden

WINTER, MARTIN (2009): Das neue Studieren. Chancen, Risiken, Nebenwirkungen der Studienstrukturreform: Zwischenbilanz zum Bologna-Prozess in Deutschland: HoF (Institut für Hochschulforschung Wittenberg), HoF Arbeitsberichte, 1/2009

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