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Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1993
Ritzzeichnungen auf der Neuenburg
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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1993 Ritzzeichnungen auf der Neuenburg Josef Maria Lengler
in: Terra Grischuna. Heft 3. 1993. Seite 24-27.
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S. 24:
Bei der Sanierung und Sicherung verschiedener Bündner Burganlagen
wurden in noch vorhandenem originalem Wandverputz Ritzzeichnungen
entdeckt, die teils dem 13. Jahrhundert zugeordnet und klar gedeutet
werden können, teils aber noch auf eine Entschlüsselung warten.
Die Schweiz gehört zu den burgenreichsten Ländern Europas. Zur Blütezeit
des Rittertums, im 13. und 14. Jahrhundert, hat es im Gebiet der heutigen
Eidgenossenschaft gegen 4'000 Burgen gegeben. Die meisten sind heute aus
dem Landschaftsbild verschwunden oder nur noch in dürftigsten Spuren
erhalten.
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Andere bilden als malerische Ruinen einen Anziehungspunkt in der
Landschaft.
Burgen, die einmal verlassen wurden, dienten der Bevölkerung als Steinbruch,
was den Zerfall weiter beschleunigte. Der Rest des Mauerwerks wurde und
wird durch Wurzelwerk, durch Erosion, oft auch durch die Unvernunft
mancher Besucher mutwillig zerstört.
Dieses Bild trifft auch exakt auf die Situation der Burgen Graubündens zu.
Weil im 15. Jahrhundert die meisten Sitze verlassen wurden, verloren die
Burgen auch ihre ursprüngliche Funktion als Herrschaftszentren und
verschwanden somit über Jahrhunderte aus dem Bewusstsein der Talbewohner.
In Graubünden sind an die 400 Burgen und Burgplätze zu nennen, wobei das
Domleschg und das Rheintal Schwerpunkte bilden. Diese Burgruinen haben
sich im wesentlichen im spätmittelalterlichen Zustand erhalten, nur wenige,
wie zum Beispiel Ortenstein, sind zu barocken Herrenhäusern umgebaut
worden.
S. 25: Drei Bautypen
Als Mehrzweckbau war die rätische Burg in ihrer architektonischen Gestaltung
von den einzelnen Funktionen abhängig, die sie zu erfüllen hatte. Aber auch
die Topographie spielte beim Burgenbau eine wesentliche Rolle. Bis ins frühe
13. Jahrhundert herrschte der viereckige Wohnturm in der Baukonzeption vor,
wie etwa die Burg Cagliatscha im Schams.
Im Verlaufe des 13. Jahrhunderts gewann der wehrhafte Wohnbau - auch Palas
genannt - an Beliebtheit, wohl unter dem Einfluss italienischer Palazzobauten.
Als Beispiel soll hier die Burg Neuburg auf dem Gebiet der Gemeinde
Untervaz genannt werden. Der dritte Bautypus bestimmte die Topographie des
Geländes. In den Tälern Graubündens finden sich an steilen Felsbändern in
schwindelerregender Höhe, zwischen schroffen Felszacken oder enge
Schluchten versteckte Grotten- und Höhlenburgen.
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Bei Sicherungsarbeiten an dem zum Sicherheitsrisiko gewordenen Turmzahn
von Cagliatscha auf dem Gebiet der Gemeinde Clugin im Schams entdeckte
man im 3. Geschoss Ritzzeichnungen im originalen Verputz.
Die Wappen auf Cagliatscha repräsentieren den Schamser Adel. Im oberen
Bild z.B. werden die Wappen der de Patzen (Wolfsangel), der Grafschaft
Schams (Schild geviert), der Freiherren von Vaz (geviert und geschachtet),
Panigad (stil. Bogenbrücke) und Bärenburg (gespalten, rechte Hälfte mit
Pelzwerk) zugeordnet.
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Durchs Fernglas entdeckt
Eine Sonderstellung unter diesen Burgen nimmt die Burg Fracstein in der
Prättigauer Klus ein. Einem Adlerhorst ähnlich, in luftiger Höhe auf einem
schmalen Felsband an senkrechter Felswand angebaut, kommt ihr die
Bedeutung einer Talsperre (Sperrburg) zu.
Die Burg datiert in ihrem ältesten Bestand in das 11./12. Jahrhundert. Was die
Burganlage Fracstein jedoch zu einem erstrangigen, in der Schweiz einmaligen
Kulturdenkmal erhebt, ist die Ansammlung von Ritzzeichnungen im originalen
Wandverputz des 3. Wohngeschosses. Anfangs dieses Jahrhunderts entdeckte
der Schreinermeister B. Hartmann aus Chur durch das Fernglas im
Wandverputz der Burgruine mehrere bisher unbekannte Wappenzeichnungen.
Die Ritzungen im Putz sind so schwach, dass diese von blossem Auge im 3.
Obergeschoss nicht zu sehen sind. Dies war auch der Grund, warum die
Zeichnungen relativ spät entdeckt wurden. Sie sind ohne erkennbare
Symmetrie, aber bewusst auf zwei Wandflächen von etwa 10 Quadratmetern
verteilt. Es handelt sich um dekorative, künstlerische Darstellungen von
Wappen und Burgen, die in Sgrafittomanier in den Verputz eingeritzt wurden.
Obwohl die Ruine über eine steile Geröllhalde nur schwer zugänglich ist,
stellte sich doch eine entsprechend grosse Besucherzahl ein. Namen und
Initialeneinkratzungen in den relativ weichen Kalkverputz - bis in die jüngste
Zeit - haben die Wappen-, Burgen- und Konstruktionszeichnungen teilweise
schon stark zerstört und unleserlich gemacht.
35 Wappen und 6 Burgendarstellunge
Aufmerksam auf den schlechten Erhaltungszustand des Wandputzes mit den
Ritzzeichnungen wurde man erst wieder durch das Seminar für Geschichte und
Mittelalter der Universität Basel gemacht. Nach einer konsolidierenden
Konservierung des Wandputzes wurden die Flächen mit den Zeichnungen
1973 durch das Restaurierungsatelier des Rätischen Museums abgegossen. Die
angefertigten Kopien beider Wände mit den Ritzzeichnungen haben den
Vorteil, dass sie den Zustand von 1973 exakt dokumentieren, denn
Beschädigungen durch Besucher und Erosion sind weiterhin nicht
auszuschliessen.
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Im Wohnraum des 3. Obergeschosses der Burg Fracstein befinden sich auf
feinem Glattverputz aus Kalk insgesamt 35 Zeichnungen von Wappen der
ältesten Adelsgeschlechter von Graubünden sowie in den Fensterlaibungen 6
Burgendarstellungen. Sie werden nach ihrem Erscheinungsbild in das 13.
Jahrhundert datiert.
S. 26: Heraldisches auf Cagliatscha
Auf dem Gemeindegebiet von Clugin im Schams steht auf einem
Bergvorsprung 1200 Meter über Meer die Burgruine Cagliatscha, genauer
gesagt, die Reste einer Turmwand. Auch hier kennt man wie bei Fracstein
weder den Namen selbst noch die Erbauer der Burg. Im Juli 1984 wurde durch
den Bündner Burgenverein mit den Sanierungsarbeiten begonnen. In den
Jahren zuvor hatten sich immer wieder Teile des Mauerwerks gelöst und waren
mit Getöse in die Tiefe gefallen. Die Ruine war so für die Gemeinde Clugin
zum Sicherheitsrisiko geworden.
Nach dem Einrüsten des Mauerwerks entdeckte man in einer Schartenlaibung
des 3. Geschosses im fast deckenden Rasa-Pietra-Verputz wenige Zentimeter
grosse Ritzzeichnungen. Auch bei diesen Zeichnungen handelt es sich um eine
Reihe von Bündner Adelswappen, die teilweise bestimmt werden konnten. Sie
wurden im Sommer 1984 nach der gleichen Methode wie in Fracstein
abgegossen. Die Wappendarstellungen repräsentieren den Schamser Adel des
13. und 14. Jahrhunderts. Wie schon auf Fracstein wurden die Wappen ohne
geringste Symmetrie angebracht, sind aber doch bewusst in den Wandverputz
eingeritzt worden. Auch diese heraldischen Darstellungen in der Burg
Cagliatscha sind nach ihrem Erscheinungsbild in das 13. Jahrhundert zu
datieren. Die dendrochronologische Bestimmung eines Deckenbalkens des
zweiten Geschosses ergab das Fälldatum 1265. Dieses Resultat lässt die
Vermutung zu, dass der Turm 1265/66 errichtet wurde.
300 Jahre unberührt
Auf Initiative des Untervazer Burgenvereins wurde 1984 die Burgruine
Neuburg auf dem Gebiet der Gemeinde Untervaz baulich saniert. Die
Ruinensicherung wurde mit der Absicht ausgeführt, das bestehende
Mauerwerk zu sichern und zu erhalten, so dass die gesamte Burganlage von
Ausflüglern wieder gefahrlos besucht werden kann.
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In der auf dem Gemeindegebiet von Untervaz stehenden Burgruine Neuburg
entdeckte man bei Sanierungsarbeiten im 2. Wohngeschoss Ritzzeichnungen,
an die in den letzten 300 Jahren niemand herankommen konnte.
Die Forschung sieht in der Familie Thumb, deren Stammburg bei Götzis im
Vorarlberg steht, die Begründer und Bauherren der Burg Neuburg. Das
Geschlecht taucht urkundlich nach 1200 im Raum um Chur auf und war
immerhin so bedeutend, dass es einen Churer Bischof stellte.
Am Fusse des Calanda auf einem Felsvorsprung gelegen, gehört die Burg
Neuburg hinsichtlich baulicher Ausstattung zu den hervorragendsten Anlagen
mittelalterlicher Profanarchitektur in der Schweiz. Von der kantonalen und
eidgenössischen Denkmalpflege sind deshalb schon vor den
Sanierungsarbeiten baugeschichtliche Untersuchungen eingeleitet worden, die
die laufenden Arbeiten an der Burganlage begleiteten. So ist es nicht
verwunderlich, dass man nach dem Einrüsten des Mauerwerkes im
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2. Wohngeschoss in zwei Fensterlaibungen auch hier Ritzzeichnungen
entdeckte, an die in den letzten 300 Jahren niemand herankommen konnte.
Fünf Pferde und ein Hut
Die Ritzzeichnungen von Neuburg lassen sich allerdings nicht mit denen von
Fracstein und Cagliatscha vergleichen, da es sich nicht um
Wappendarstellungen handelt. Jahreszahlen oder Schriftdarstellungen wird
man auf mittelalterlichen Burgen jedoch vergeblich suchen, da der Adel in
dieser Zeit bekanntlich weder lesen noch schreiben konnte. Auf den ersten
Blick
S. 27: glaubt man, es handele sich bei den Ritzzeichnungen um naive Kritzeleien. Es
sind aber vereinfachte Zeichnungen, die für den heutigen Betrachter keinen
Sinn ergeben. Verständlich sind in der Fensterlaibung von links nur die
eingeritzten, teilweise angefangenen und teilweise fertig gezeichneten fünf
Pferde, worunter eines mit einer Last dargestellt ist. In der rechten
Fensterlaibung findet man unter den Ritzungen die Darstellung eines Pferdes
mit einem Reiter sowie die eines Hutes mit breiter, abstehender Krempe und
einer Blume an der Glocke.
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Die Fachleute nehmen an, dass die Zeichnungen, von denen uns einzig die
angefangenen und fertiggeritzten Pferde verständlich scheinen, um 1550
entstanden sind.
Unter den dortigen vielen Ritzzeichnungen lässt sich nur der dreidimensional
dargestellte Hut datieren, da es sich um einen Filzhut handelt, der in seine
Form dem 16. Jahrhundert angehört. Die übrigen Ritzungen harren noch ihrer
Entschlüsselung. Es ist anzunehmen, dass die Ritzzeichnungen in der letzten
Phase entstanden sind, um 1550, als die Burg noch bewohnt war. Als sich
Untervaz im Jahre 1577 freikaufte, war Neuburg jedenfalls bereits Ruine.
Die Bündner Burgruinen bergen sicher noch eine Vielzahl von Informationen.
Man darf hoffen, dass bei weiteren baulichen Erhaltungsarbeiten in Burgen
ebenfalls wieder Ritzzeichnungen entdeckt werden. Erst eine Vielzahl von
Darstellungen wird es vielleicht ermöglichen, dass die jetzt noch unlesbaren
Zeichnungen des Hochmittelalters einmal für Forschung und Wissenschaft von
Interesse werden.
Josef Maria Lengler ist Chefrestaurator am Rätíschen Museum.
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 09/2013
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