Upload
others
View
2
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1936
Fontes ad Historiam - Heft 06
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
- 2 -
1936 Fontes ad Historiam - Heft 06 Franz Albert Perret aus: Perret: Fontes ad Historiam Regionis in Planis. Quellen zur Geschichte
der Bezirke Gaster, Sargans und Werdenberg, als der raetischen Teile des Kantons St. Gallen / erstmals im vollen Textlaut nebst einer Übersetzung mit Erläuterungen zusammengestellt von F.A. Perret. - 18 Hefte 1936-1938.
- 3 -
S. *19: Ein fachkundiges Urteil.
Bekanntlich ist die beste Quelle für die Bündnergeschichte etwa vom 8. bis 14.
Jahrhundert, der von Theodor von Mohr 1848 begonnene Codex diplomaticus.
Dieses vierbändige Werk enthält alle oder fast alle Urkunden zur Geschichte
Rätiens und der Republik der drei Bünde. Nun ist freilich diese
Zusammenstellung schon lange veraltet, aber keineswegs neu aufgelegt
worden. Dann fehlen eben die früheren Dokumente, die sich auf das
spätrömische und frühmittelalterliche Rätien vor dem 8. Jh. beziehen fast ganz.
Es hat nun lic. jur. F. A. Perret seit dem Mai 1936 die monatlich erscheinende
Publikation: Fontes ad historiam Regionis in Planis herausgegeben. Die Regio
oder das Ministerium in Planis ist ein Ausdruck des Reichsurbars von ca. 830
und bezeichnet den Umfang der heutigen Bezirke Gaster, Sargans und
Werdenberg. Das Werk umfasst aber nicht nur die rätischen Teile vom Kanton
St. Gallen, sondern das ganze Rätien. Es werden daher alle Quellen die sich
auf die Rätien beziehen, angefangen von den Mitteilungen des römischen
Historikers Titus Livius bis zu der Lex Romana Curiensis des 8. Jh. hier
zusammengestellt. Bislang liegen fünf Hefte vor und behandeln etwa den
Zeitraum vom 1. bis 4. Jahrhundert. Das Heft ist sehr billig gehalten, kostet nur
Fr. 2.80. Bestellungen sind direkt an den Verfasser zu senden. Perret führt so
den Codex diplomaticus von vorne weiter. Alle die Quellen vom 1. bis 8.
Jahrhundert über Rätien werden relativ vollständig gesammelt sein. Vom 8.
Jahrhundert an, also nach Eingehung des rätischen halbsouveränen
S. 298: Kirchenstaates, wird sich die Publikation mehr dann auf das Planenland, also
das rätische St. Galler Oberland, beschränken müssen. Dem Verfasser eignet
eine kaum übertreffbare Liebe zu seiner Heimat an. Mit Bienenfleiss und mit
Geist hat uns hier Perret das Material zur Geschichte des alten Rätiens
zusammengetragen. Die Sammlung wird darum für den Spezialhistoriker und
Fachmänner der Philologie und Rechtsgeschichte den Untergrund zu neuen
Untersuchungen bieten können. Aber schon jetzt kann dem Verfasser da und.
dort eine neue selbständige Einstellung zu den Quellen nachgerühmt werden.
Wer in der Bündnergeschichte auf dem Laufenden sein will, wird dankbar
diese Monatshefte einsehen. P. Dr. Iso Müller
- 4 -
S. *21: 38b. Römerzahl auf einem Ziegelfragment aus Sargans.
IX oder XI, mit schwärzlichem, brandartigem Überzug in den Furchen a. und
b. Aufgefunden in der Erzauffüllungsstelle in Malerva-Ratell, Richtung Vild.
Es handelt sich hier möglicherweise gemäss Jacobi um ein Zeichen für das
Datum der Prozedur vor dem Brande.
119a. Römische Truppenstempel aus dem zweiten Rätien.
LEG(io) III. ITALIC(a) oder ähnlich
LEG. ITALICAE I … oder ähnlich
LEG. IIII. ITAL.
C(ohors) I F(lavia) C(ommagenorum?)
F.C.N. oder FCN =F(iglina) C(aesaris) N(ostri)
COS C:N:S N S.C
122a. Orosius stellt Rätien in den bereich von Noricum und Pannonien
und dieses Ganze zwischen Moesien und Gallien und gibt die Grenzen
dieses ganzen Gebietes an. anno 417/418.
I. 2. 60. PANNONIA NORICUS ET RAETIA habent ab oriente Moesiam, a
meriede histriam, ab Africe Alpes Poeninas, ab occasu Galliam Belgicam, a
circio Danuvii fontem et limitem qui Germaniam a Gallia inter Danuvium
Galliamque secernit, a septentrione Danuvium et -germaniam.
S. *22: 61. ITALIAE SITUS a circio in eurum tenditur habens ab Africo Tyrrhenum
mare, a borea Hadriaticum sinum cuius ea pars qua continenti terrae con unis
et contigua est, Alpres obicibus obstruitur. qae a Gallico mari super Ligusticum
sinum exsurgentes, primum Narbonensium fines, deinde Galliam Raetiamque
secludunt, donec in. Liburnico defigentur.
63. GALLIA BELGICA habet ob oriente limitem fluminis Rheni et
Germaniam, ab euro Alpes Poeninas, a meridie provinciam Narbonensem, ab
occasu provinciam Lugdunensem, a circio oceanum Britannicum, a
septentrione Britanniam insulam.
- 5 -
Übersetzung:
60. Pannonien (Ungarn), Noricum (Donauösterreich) und Rätien haben zur
Grenze im Osten Moesien (in Serbien und Bulgarien), im Süden Istrien, in
Südwesten die poeninischen Alpen (Walliser-Alpen), im Westen Gallien und
Belgien, im Nordwesten (oder N.-W.-N. ) den Donauquell und die Linie, die
Germanien von Gallien scheidet und endlich im Norden die Donau und
Germanien.
Anmerkung:
Man vergleiche hiezu die Anmerkungen zu Nr. 116 auf S. 218 dieser
Sammlung, die letzte Nummer des vorliegenden Heftes von Jordanes, sowie
alle übrigen Stellen, die in diesen Ideenkreis fallen.
Zu Nr. 127. Ein rätischer Codex enthält in halbunzialer, italische
anmutender Schrift die Prophezeiungen des Michaeas und des Jonas,
sowie sie in der lateinischen Vulgata von St. Hieronymus enthalten sind.
Aus dem 6. Jahrhundert.
Es handelt sich, hier um die Seiten 134-152 des Codex 567 der Stiftsbibliothek
St. Gallen, der einen Palimpsest darstellt. Die obere Schrift dürfte vor 800 (ca.
780?) in Chur entstanden sein, kam aber schon sehr früh nach St. Gallen. Die
ältere geschabte Schrift, gehört zur nämlichen wie in Cod. 193 der dortigen
Bibliothek. Sie stellt eine Vervollständigung der dort auf geführten Propheten
dar (Vgl. Nr. 127) und ist möglicherweise erst später von jenen abgetrennt
worden. Darüber siehe man Chatelain, Manser und Bruckner, wie wir sie
anlässlich Nr. 127 zitiert haben. Dazu beachte man Lehmann, Mittelalt.
Bibliothekkathaloge Deutschlands und der Schweiz 1, Nr. 16, 73, 2 -4.
S. 301: 132. Eugippus spricht vom Räterbischof St. Valentin, von der Schiffahrt
auf Inn und Donau, von der rätischen Bevölkerung an diesen Flüssen im
2. Rätien, von der Bauart rätischer Gotteshäuser und von der kirchlichen
Organisation.
Verfasst a. 511 in der Abtei Castellum Lucullanum bei Neapel.
Eugipii vita Sancti Severini (+482).
- 6 -
III. 3. Igitur non multe post rates plurimae de partibus Raetiarum mercibus
onustae quae plurimis insperate videntur in litore Danuvii, quae multis diebus
crassa Eni fluminis glacie fuerant colligatae quae dee imperio mox salutae
ciborum copias fame laborantibus detulerunt. Tunc coeperunt omnes deum
insperati remedii largitorem continua devotione laudare, que se tabe diuturnae
famis interire credebant, fatentes evidentes rates extra tempus glaciali solutas
frigore servi dei precibus advenisse.
XV. 1. Quintanis apellabatur secundarum municiplum Raetiarum‚ super ripam
Danuvii situm huic ex alia parte parvus fluvius, cui Businca nomen est,
propinquabat. Is erebra innundatione Danuvii superfluentis excrescens
nonnulla castelli spatia, quiae in plano fundatum fuerat, occupabat. Ecclesia
etiam loci eius mansores extra muros ex lignis habuer constructam, quae
pendula extensione porrecta defixis in altum stipitibus sustentabatur et furculis,
cui ad vicem soli tabularum erat levigata coniunctio, quam, quotiens ripas
excessisset, aqua superfluens occupabat. 2. Quinaniensium itaque fide S.
Severinus illuc fuerat invitatus. Ubi, cum tempore siccitatis venisset,
interrogat, cur tabulata nudatis obstaculorum tegminibus
S. 302: apparerent. Accolae responderunt quod. frequenti fluminis alluvione quicquid
fuisset superstratum continuo laberetur. At ipse: "Sternatur" inquit, tabulatis
nunc in Christi nomine pavimentum ima videbitis amodo fluvium caelesti
iussione prohibitum Pavimento itaque perfecto ipse subter navi descendens
accepta securi postes facta oratione percussit atque ad aquam fluminis
venerandae crucis expresso signaculo dixit: "Non te sinit dominus meus Jesus
Christus hoc signum crucis excedere".
XV. 1. ... castelli presbyter... venerabilis Silvanus nomine... cum in ecclesia
feretro posito noctem psallentes duxissent ex more pervigilem iam clarescente
diluculo … presbyteros et diacones... ostiarium Maternum nomine... ianiter
ecclesiae... virginem consecratam... cum presbytero et diacone ianitoribusque...
Marci subdiaconi et Materni ianitoris....
XLI. 1. ...sancti Valentini, Raetiarum quondam episcopi ...
Übersetzung:
Des Eugippus Leben vom heiligen Severin (gestorben 462).
- 7 -
III.3. Nicht viel später sah man an den Ufern der Donau wider Erwarten
mehrere in mit Waren beladene Flosse‚ die aus den rätischen Landen kamen‚
die ob des angeschwollenen Eises aus dem Innfluss zusammengebunden
waren. Diese Flosse brachten jenen die Hunger litten auf göttliches Geheiss,
Mengen von Nahrungsmitteln. Da begannen alle ob des unerwarteten
Heilmittels in böser Zeit, Gott in beständiger Hingabe zu loben, da sie bereits
glaubten wegen des andauernden Hungers untergehen zu müssen und
bekannten, es sei offensichtlich ‚ dass die Flosse bei abnehmender Kälte in
einer Zeit, da das Eis gerade schmolz eben auf die Fürbitte des Gottesmannes
(St. Severin) erschienen.
XV.1. Quintanis (Wischelburg) hiess eine Stadt (municipium) im 2. Rätien, an
der Donau gelegen. Hier in der Nähe befand sich auch ein kleiner Fluss
namens Businca, Dieser schwoll oft an von den überfliessenden Wassern der
Donau und überschwemmte bisweilen das Gebiet mehrerer geschlossener
Ortschaften (castella), die in der Ebene (in plano) gegründet waren. Auch eine
Kirche hatten die Bewohner dieser Gegend
S. 303: ausserhalb der Mauern der Ortschaften aus Holz erbaut. Dieselbe schwebte
über der Wasserfläche und wurde gestützt durch Balken und gabelförmige
Hölzer, welche in der Tiefe verankert waren. Die Stelle des Estrichs aber
vertrat eine Lage geglätteter Bretter, welche die Wasser überfluteten, sobald
sie aus den Ufern traten. Die Einwohner von Quintanis nun hatten voll
Vertrauen den heiligen Severin zu sich eingeladen. Da er zur Zeit der
Trockenheit hinkam, fragte er, warum der Bretterhoden ohne Bedeckung wäre?
Die Bewohner antworteten: weil durch das häufige Anschwellen des Flusses
noch stets alles, was man darüber gelegt hätte, fortgerissen worden wäre. Aber
jener sprach: Man bedecke jetzt im Namen Christi die Bretter mit dem Estrich.
Ihr werdet schon sehen, dass der Fluss von nun an auf himmlisches Geheiss
ferngehalten wird". Als das Dach vollendet war stieg er selbst in ein Schiff,
ergriff ein Beil und schlug, unter Gebet in die Balken, und nachdem er das
erwürdige Zechen des Kreuzes gemacht hatte, sprach er zum Wasser des
Flusses: "Nimmermehr lässt mein Herr Jesus Christus zu, dass du über dieses
Zeichen des Kreuzes hinausgehest" ….
- 8 -
XVI.1. ... der Priester des Castells, namens Silvanus …. als man in der Kirche,
wie es Sitte war, den Katafalk aufgestellt und die ganze Nacht unter
Psalmengesang (Offizium) durchwacht (Vigil) hatte …. Priester und Diakonen
… den Pförtner namens Maternus … der Pförtner der Kirche .... eine geweihte
Jungfrau... mit einem Priester, einem Diakon und zwei Pförtnern …. des
Subdiakonen Marcus und des Pförtners Maternus... XLI.1. St. Valentin, ein
Bischof der beiden Rätien.
Weiteres über St Valentin.
1. Venantius Fortunatus bezeugt, dass es um 565 in Rätisch-Tirol. Valentini
benedicti templa gab, die - wo nicht im Eisack oder Rienztal - auf der Höhe
des Brennersattels gesucht werden müssen.
Darüber Heuberger, Rätien, I, S. 215 f. und S. 295.
2. Arbeo von Freising aber berichtet, "dass der beatus Christi Confessor
Valentinus, der allgemein und gewiss mit Recht dem " Valentinus benedictus"
gleichgesetzt wird, in den ersten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts in einer ihm
geweihten Kirche im Castrum Maiense (Mais- Meran) begraben lag". So
Heuberger loc. cit., der diesen Valentin von Mais-Meran nicht als Bischof
Valentin von Passau, von dem bei Eugippus die Rede war, gleichsetzt. Wir
möchten darüber keine Meinung abgeben. Wichtiger für das schweizerische
Rätien scheint uns aber Folgendes laut Decurtins, Rätoromanische
Chrestomatie, II. Band Surselvisch-Subselvisch
3. Il burschin de Sontg Valentin.
"Pli daditg tsc entava il pastur de vaccas an 1'alp in burschin en il terratsch sper
la biestga, entochen ch'el mava à gientar. Suenter haver tschentau il burschin
steva el enschanuglias et urava:
O bien Sontg Valentin!
Jeu mettel in burschin,
Pertgira mia biestga, entoch'jeu vom
Et entoch jeu veng. -
Jeu vi dir in paternies
E far alla biestga -na crusch sil dies
- 9 -
S. 304: Sinquei scheva el in paternies e fagievaà scadin biestg la erusch sin il dies.
Alura mav' ei . gientar.
Suenter il retuorn curclav' el en il burschin cun terratsch et urava puspei in
paternies per engraziament."
"Vor langer Zeit errichtete der Kuhhirt auf der Alp einen Kräuterhaufen auf
dem Boden beim Vieh. So bis er etwa zum Mittag essen ging. Während er ihn
aufrichtete lag er auf den Knien und betete: O guter heiliger Valentin, ich
errichte einen Kräuterhaufen für mein Vieh, bis ich gehe und bis ich komme.
Ich spreche dir zur Ehre ein Vaterunser und mache dem Vieh ein Kreuz auf
den Rücken,
Während er das Vaterunser sprach machte er jedem Tier das Kreuz auf den
Rücken. Dann ging er zum Mittagessen. Bei seiner Rückkehr betete er von
neuem ein Vaterunser zur Danksagung."
Dazu Decurtins, op. cit.: "In dem gewiss alten Burschin de Sontg Valentin
schimmert ein Pflanzendämon durch, der vielleicht schon vor der
Christianisierung einem höheren Gotte weichen musste. Noch heute weiht man
dem heiligen Valentin eine schwarze Henne zum Schutze gegen Gichter bei
Kindern".
4. Il crapp de sogn Valentin
"A Pigneu mussan ins aunc il crapp de sogn Valentin. El schai buca da lunsch
sur la baselgia de sogn Valentin en ina muschna. Cura che sogn Valentin in ei
vegnius sur quolm a Pigniu, ha el entschiet ha pardagar. Mo la glieut leu era
marcladira de pagauns. Sogn Valentin ei vignius in di vilaus et ha detg: Jeu vi
mussar, che quei che jeu digiel, seigi ver. Ei glei ver aschi franc, sco jeu passel
cun mes peis en quei crapp, sin il qual jeu pretgial'. Et el ei passaus culs peis el
crapp, ch'ins encorscha aune oz ils fastitgs".
"In Panix zeigt man noch den Fels des heiligen Valentin. Er steht nicht weit
von der Kirche des heiligen Valentin auf einer Erhöhung. Als der heilige
Valentin auf die Höhe von Panix kam begann er gleich zu predigen. Aber die
Leute waren grobe, ungeschlachte Menschen und Heiden. Eines Tages erzürnte
sich der heilige Valentin und sprach: 'Ich will euch zeigen, dass das was ich
sage wahr ist. Es ist wahrhaftig so sicher, wie ich mit meinen Füssen auf dem
Felsen stehe auf dem ich predige Und er markierte mit seinen Füssen den
Felsen, der darum heute noch seine Fisspuren aufweist
- 10 -
5. Wallfahrt zum hl. Valentin.
So die Sage und Überlieferung. Der hl. Valentin soll darnach in Panix unter
einem schützenden Stein gewohnt haben. Neben diesem Stein, auf dem er auch
predigte, steht heute die St. Valentins-Pfarrkirche, die seit dem Mittelalter als
Wallfahrtsort gilt. Er wurde namentlich von Fallsüchtigen und von solchen die
durch Krankheiten des Viehs geprüft wurden, besucht. Die heutige
spätgotische Kirche datiert jedoch erst aus dem Jahre 1465. Zu Beginn des 16.
Jahrhunderts kam die Wallfahrt jedoch stark in Abgang. Jedoch nach den
Begebenheiten von 1559 blühte sie neuerdings wieder auf. Seit 1667 ist Panix
Pfarrei.
S. 305: 6 . Dazu vergleiche man noch unsere Anmerkungen zu Nr. 109 auf S. 168. Wir
haben aber die obigen Dinge aus Panix und dem Bündner-Obenland
aufgeführt, da sie irgendwie im Stand sind ein Licht auf die Gründung und die
Bedeutung auch der Kirche auf Berg St. Valentin zu Rüti im Rheintal zu
werfen, worüber sonst tiefes Dunkel herrscht. Rüti aber ist der unterste Posten
im Planenland und deshalb von grosser Bedeutung. Hält man Rüti und Panix
als St. Valentins-Kirchen aber zusammen, so erscheinen die Bezirke
Werdenberg und Sargans dazwischen eingespannt. Trotz der traditionellen
neuen Anhaltspunkte von Feldkirch und Jenins ist der St. Valentinskult aber
daselbst heute keineswegs verbreitet.
7. St. Valentin als Bischof. St. Valentin wird als Bischof beider Rätien
aufgeführt. Er figuriert in der Churer Bischofsliste aber nicht.
Merkwürdigerweise wird sein Fest aber heute im ganzen Bistum am gleichen
Tag gefeiert wie das des Bischofs St. Asimon!
Anderwertige Bemerkungen.
III.1 von der Schiffahrt auf Donau und Inn bestärkt auch die Schiffahrt auf
dem Rhein, von der in Nr. 117 ad. a. 354 resp. 390 die Rede war. Eine solche
Schiffahrt mit Flossen war natürlich auch auf dem Rheine unterhalb Landquart
gut möglich.
Auch in Abschnitt XV.1 sind die beiden Rätien erwähnt, sowie geschlossene
Castella und Municipia. Die Personennahmen sind sämtliche romanisch.
Einzelne einfache, kirchliche Bauten gab es im 5. Jahrhundert auch schon auf
dem Lande‚ neben der Kathedralkirche.
- 11 -
Solche leichte Bauten konnten begreiflicherweise keine Spuren bis in unsere
Zeiten hinein zurücklassen. Auch die kirchliche Organisation war schon bereits
gut ausgebildet, gab es Bischöfe‚ Priester‚ Diakonen, Subdiakonen und
Torwarte, also kirchliche Ämter zu denen Weihen führen, die in höher und
niedere unterschieden werden. Daneben gab es auch Mönche mit ihren Äbten
als Vorgesetzte, sowie gottgeweihte Jungfrauen. Auch Schlüsse auf die
Liturgie im alten Rätien lassen sich aus den obigen Texten ziehen. Aus der
Haltung des hl. Severin ergibt sich auch, dass man bereits auch auf eine
Hebung der Würde der Landgotteshäuser bedacht war. Es wäre auch gar nicht
uninteressant diese Zustände zur Argumentation zu Nr. 131 herbeizuziehen.
Besondere Erwähnung verdient auch die Tatsache, dass des Nachts in der
Kirche psalliert wurde (CXVI.1). Es ist dies offenbar das nächtliche Officium
der Vigilien. Im römischen Militwachtdienst wurde die Nacht nämlich in vier
Vigilien oder Wachtschichten zu je drei Stunden abgeteilt. Die Nachtzeit
wurde von Abends 6 Uhr bis morgens 6 Uhr berechnet. Daran anschliessend
hielten auch die Christen Nachtschichten für ihr ewiges Gebet, das somit aus
drei Nokturnen, die zusammen Matutin genannt wurden, und den Laudes bei
Tagesgrauen bestand. Jede dieser Gebetsstunden besteht fast ganz aus Texten
der hl. Schrift, vornehmlich aus Psalmen. Bei den Nokturnen kommen noch
ziemlich lange Lesungen aus der heiligen Schrift oder aus den Kirchenvätern
hinzu. Wenn nun in Rätien auch in kleineren Kirchen
S. 306: wie in Quintanis bisweilen dieses Stundengebet abgehalten wurde, so begreift
man, dass man um so mehr an der Kathedrale zu Chur damals und schon früher
Handschriften der Propheten (Nr. 121) und der Psalmen (Nr. 130) benötigte.
Wenn die Psalmen dazu den Hauptteil dieses Officiums aus machten, so
begreift man, warum die Psalmenerklärungen des h. Hilarius von Poitier auch
in Niederrätien bekannt waren. Man wollte eben diese Lieder, die man stets
zum Gottesdienst brauchte auch tiefer verstehen.
Dem erwähnten Nachtofficium stand ein Tagesofficium gegenüber, das
ebenfalls aus vier Horen oder Stundengebeten zusammengesetzt war und zur
ersten (Prim), dritten (Terz), sechsten (Sext) und neunten (Non) Tagesstunde
abgehalten wurde, gerechnet von Morgens 6 Uhr an.
- 12 -
Dazu kam noch ein Abendgebet (ad vesperas, Vesper) und ein Gebet zum
vollständigen Abschluss des Tages (completorium, Komplett) bei
Nachteinbruch.
Auch dass dieses Gebet gemeinsam von Priestern Diakonen, Subdiakonen und
Janitoren abgehalten wurde ist wichtig. Es war also bereits eine Art
gemeinsames Chorgebet.
133. Der Lexikograph Stephanos von Byzantion erwähnt die Alpen und
den Rhein und hält die Räter für Thyrrhener‚ d.h. Etrusker.
Verfasst wohl zwischen 528 und 535.
S. 307: Übersetzung:
Alpeia: Gestade nördlich des thyrrheneischen und ionischen Meeres. Die
Einwohner werden Alpeioi (Alpenbewohner) genannt. Man sagt auch Alpeis
(Alpen), Alpeia-Berge und Albia. Die Schreibart ist nämlich zweifach, nämlich
mit p oder mit b. an sagt auch die Region Albia mit b geschrieben.
Rhenoi: Volk das am Rheine (Rhenos) wohnt. Von diesem kommt der Name.
(Andere Formen: Rhenea, Rheneia, Rhenaia, Rhenaies, Rhenaici. Ethnikon
Rhenaios und Rhenaia = das Rheinlandvolk. Früher lautete die Form wohl
Rhenaieus. Das obige entspricht etwa dem lateinischen Rheni für Rheinländer,
statt Rhenani).
Rhaitoi (die Räter): Tyrrenische Völker.
- 13 -
Vom Rheintalvolk.
Wir haben oben die Varianten von Rhenoi, die auch neben Stephanos von
Byzanz vorkommen, in Klammer gesetzt. Rhenoi bedeutet also Rheintaler. Der
Form nach entspricht es etwa dem werdenbergischen Geschlechtsnamen
Rhyner. Diese Rhenoi, lat. Rheni, deutsch Rheintaler wohnten also in der Nähe
des Rheins. Alexandrinus sucht sie in seinem geographischen Lexikon
zwischen den Rätern und Helvetern. In diesem Fall wären sie etwa das kelto-
rätische Mischvolk im Untern St. Galler- und Vorarlberger Rheintal‚ also die
Einwohner des späteren Rheingaus. An diesen Fall glauben wir jedoch nicht!
Unter den Rhenoi verstehen wir einfach sämtliche Anwohner des Rheins.
Die Räter als Tyrrhener.
Oben berichtet Stephanos, dass sich die Alpen nördlich des ionischen und
tyrreneischen Meeres ausdehnen. Das ionische Meer aber ist das Meer, das
zwischen Griechenland und Süditalien liegt. Stephanos hat hier damit aber
auch das adriatische gemeint. Das tyrrhenische Meer hingegen ist jenes, das
die ganze Westküste Italiens bespült. Der Ausdruck kommt von den Tyrsenern
(Tyrseni), was das Selbe bedeutet wie Etrusci (Etrusker) oder Tusci. Diese
Völker wohnten hauptsächlich in Etruria, Tuscia oder Toscana, dehnten sich
aber von da weit gegen den Norden hin aus, und zwar bis in die Alpen. Um die
alten Autoren, die die Räter als Etrusker betrachten, leicht nehmen zu können,
sind die antiken Zeugnisse zu zahlreich, denn Stephanos ist nicht der einzige,
der die Bewohner der Alpen zwischen dem ionischen und tyrrheneischen Meer
für Tyrrhener, d.h. Etrusker hält. Wir geben hier zur Sichtung des
diesbezüglichen Quellenstandes eine
Uebersicht über die Autoren, die vom Volkstum der Räter sprechen
Nr. 1 Livius 27 v.-17 n. Chr. Etrusker
3 Inschrift 12 vor J. C. (Venoto- Illyrer)
9 Strabo ca. 18 nach J. C. (Veneto-) Illyrer (im Gegensatz
zu den Helvetern aber mit kelto-
boischem Einschlag).
S. 308: Nr. 12 Velleius 30 nach J.C. (Illyrer)
14 Mela 43/44 (Veneto- Illyrer)
- 14 -
18 Plinius 77 Etrusker (Veneto-Illyrer)
37 Tacitus ca. 100 (Den Helvetern gegensätzlicher
S. 230 Stamm aber mit kelto-boischem
Einschlag)
Nr. 40 Suetonius 120 (Illyrer)
50 Appianus ca. 160 Illyrer (Gallier)
48 Ptolemaeus ca. 150 (Veneto- Illyrer)
ad 56 Inschrift - (Etrusker) S.*17
58 Acro II/III Jahrh, Gallier
59 Porphyrio Anf. III. Jh. Cisalpines Volk
73 Inschrift 222/229 (den Galliern gegensätzlich)
74 Inschrift 222/229 (den Galliern gegensätzlich)
75 Inschrift 222/229 Gallier
76 Cassius Dio ca. 229 (den Tridentinern beigeordnet
und den Galliern gegensätzlich)
100 b Solinus III/IV. Jh. Illyrer
118 Servius Ende IV. Jh. Veneto liburnische Illyrer Söhne
der skythischen Amazonen.
126 Zosimos 470/490 Kelten
133 Stephanos 528/535 Tyrrhenische Etrusker
Anmerkung: Die in Klammern gesetzten Zeugnisse sind indirekt, von den
Autoren unbewusst niedergelegt, oder aus ihnen durch naheliegende
Schlussfolgerung gewonnen. Dazu lese man die Anmerkungen zu den
einzelnen Nummern nach.
Klassierung der Zeugnisse nach Völkerstämmen
1. Etrusker: Justinus, 3. Jahrhundert.
Livius zw. 27 vor u. 17 nach J. Chr.
Plinius 77 nach J. C.
(Inschrift) - (vgl. ad Nr. 56 S. *17)
Stephanos 528/535
2. Illyrer
(Inschrift) 12 vor J. C.
- 15 -
Strabo ca. 18 nach J.C,
(Velleius) 30
(Mela) 43/44
(Sueton) 120
Appianus ca. 160
(Ptolemaeus) ca. 150
Solinus III/1V. Jh.
Servius Ende IV. Jh.
3. . Kelten
(Strabo) ca. 18 nach J.C. Kelt. Einschlag.
(Tacitus) ca. 100 Kelt. Einschlag.
Acro II/III. Jh.
Inschrift 222/229
Zosimos 470/490
Negativ: Strabo, Tacitus, Inschriften Nr. 73 und 74, Cassius Dio.
S. 309:
Aufführung der Zeugnisse, die Rätien zu Italien rechnen:
Nr. 59 Porphyrio Anf. III. Jh. Cisapines Volk
76 Cassius Dio ca. 229 Der Tridentinern beigeordnet
102 Laterculus anno 297 Politisch
Veronens.
115 Polemius 385 Politisch
Silvius
119 Not. Dign. ca. 400 Politisch
121 Palimpsest 402/412 Kulturell
124 Declaratio 452 Kirchlich
127/30 Palimpseste V/VI. Jh. Kulturell
131 Ennodius 506/7 (Politisch)
Schlussfolgerung: Aus diesen Quellen ergibt es sich, dass die Räter zunächst
ein Völkergemisch von Etruskern, Illyrern und Kelten sind die alle die
römische Kultur angenommen haben und so Italien beigegliedert wurden.
- 16 -
Nach dem Quellenbestand möchte man tatsächlich glauben, dass bei diesem
Völkergemisch die Illyrer wirklich den Hauptbestand ausmachten, dass die
etruskischen und keltischen Einschläge aber ziemlich erhebend waren, Rätien
lag ja tatsächlich zwischen Illyrien, Italien und Gallien. Diese drei haben also
gemeinsam die Steine geliefert zum Aufbau des rätischen Hauses. Wir
glauben, dass hier die Spezialwissenschaft, wie die Archäologie und die
Philologie kaum zu andern Resultaten gelangen wird. Namentlich vom
etruskischen Standpunkt aus aber ist es interessant die
Ansicht einiger Vertreter der Spezialwissenschaft zu hören.
1. R. Thurneysen. Italisches I. Die etruskischen Räter. Glotta, XXI. 1933,
S. 1ff.
R. Thurneysen hält die Räter für Etrusker, ausgehend von Livius, "... Eine
gewisse Bestätigung dieser Angabe hat man zwar in einigen der Inschriften in
dem Alphabet, das Pauli, das von Bozen genannt hat, aber andere Zeugnisse
(hat man) vernachlässigt oder nicht genügend betont" Dann behandelt er
zuvörderst die Inschriften von Magrè (südwestlich von Schio) auf geglätteten
Stücken von Hirschgeweihen, die von Pellegrini, Notizie degli Scavi, XVI. 169
ff, faksimiliert und analisiert und von Whatmough, The Classical Quarterly
XVII 61 ff., nach eigener Prüfung besprochen worden sind…"
S. 3: "Pellegrini (S. 203 ff.) hat sich grosse Mühe gegeben, zum Teil auf Grund
archäologischer Funde zu beweisen, dass die Inschriften von einem
Bestandteile der Euganeer herrühren. Diese, die von den Alten nicht zu den
Rätern gezählt werden (cf. Pauli, Veneter S. 414), scheinen einst in Venezien
gesessen zu haben, aber von den Venetern in westlichere Alpentäler verdrängt
worden zu sein. Unter sie hätten sich dann die das Po-Gebiet beherrschenden
Etrusker gemischt und hätten einen starken Einfluss (un impronta speciale
spiccatamente propria. S. 205) auf sie ausgeübt.
S. 310: Dieser Einfluss müsste allerdings ungeheuer stark gewesen sein, wenn die
Euganeer nicht nur Namen und andere Wörter, sondern sogar die
Verbalflexion oder was wir Indogermanisten so nennen, übernommen, d.h.
sprachlich zu Etruskern geworden wären (warum denn nicht? Viele Räto-
Romanen sind auch zu Deutschen geworden.).
- 17 -
Viel wahrscheinlicher wäre dann, dass sie von Haus aus eine dem etruskischen
verwandte Sprache gesprochen hätten, und das wäre ein gewaltiges Argument
für die Einwanderung der Etrusker von Nordosten her (nach Italien). Aber sein
Beweis ist nicht durchschlagend, zumal auch er eine Mischung der Euganeer
um Magrè mit den Rätern oder eine Überlagerung (sovraposizione) jener durch
die Räter annimmt (vgl. Plinius, hist. nat., der Verona ein oppidum Raetorum
et Euganeorum nennt). So hat Whatmough mit Recht die Inschrift den Rätern
zugeschrieben. Aber auch er hat die Angaben der Alten sehr verwässert. Er hat
ohne einen zwingenden Beweis die Räter für Westindogermanen,
wahrscheinlich gemischt keltisch- illyrischen Ursprungs (Vgl. Anmerkungen
zu Nr. 118 oben) die zu irgend einer Zeit eine beträchtliche (considerable)
Beeinflussung durch mit ihnen gemischte Etrusker erfahren hätten (S. 69).
Livius Angabe deutet er (S. 71) dahin um, dass die Sprache der Räter einige
etruskische Einflüsse verriet, aber nicht etruskisch war. Nun, welches Blut in
den Adern der verschiedenen rätischen Stämmchen floss, können wir nicht
beurteilen, und der illyrische Klang einiger Ortsnamen soll nicht geleugnet
werden. Aber dass sie eine etruskische Mundart sprachen, die gewiss nach der
weiten Trennung von der Hauptmasse der Etrusker eine Sonderentwicklung
durchgemacht hatte und auch in den einzelnen Alpentälern unterschiedlich
gewesen sein wird, zeigen ihre sprachlichen Denkmäler, so weit wir immer
ihrer habhaft werden können.
S. 6. "Eine andere Bestätigung des Etruskischen der Räter scheinen mir die
lepontischen Inschriften zu liefern.
2. Paul Kretschmer, Die Etruskerfrage und die Inschriften von Magrè.
Symbolae philologieae Danielsson dicatae. Upsala 1932, S. 134 ff
"Die Entwicklung des Jahrtausende alten Problems des Ursprungs der Etrusker
drängt m.E. zu der Lösung, die ich kürzlich in der Glotta, XX. 219 ff. skizziert
habe: beide sich bekämpfenden Theorien, sowohl die herodotische, dass die
Etrusker aus Kleinasien über andere Länder hinweg nach Italien gekommen
seien, wie die auf Dionysios von Halikarnass beruhende, wonach die Etrusker,
die sich selbst Rasennen nach ihrem Führer (also mit Gentilnamen) nannten
(vgl. die Benennung der Osmanen nach dem Gründer ihres Reiches Osman,
der Seldschuken nach Seldschuk), in Italien autochthon waren, haben im
- 18 -
Wesentlichen recht. Die Etrusker waren allerdings Einwanderer aus der
Aegaeis, aber sie fanden bei ihrer Ankunft in Italien eine ihnen engverwandte
Urbevölkerung vor, die von den eingewanderten Indogermanen überschichtet
war und denen vermutlich der Name Rasennen zukam. Wie weit diese
Urbevölkerung bei dieser Einwanderung der Etrusker, d.h. am Anfang des
ersten Jahrtausends vor
S. 311: Christi schon mit der indogermanischen Oberschicht verschmolzen war und
wie weit Reste damals noch Sprache und Volkstum, bewahrt hatten, wissen wir
nicht, doch letzteres nach Analogie der griechischen Völker zu erwarten, wo
sich die Sprache der Urbevölkerung auf Kreta bis ins IV. Jahrhundert vor
Christi erhalten hatte.
Von der Sprache der etruskischen Einwanderer vor ihrer Verschmelzung mit
der rasennischen Urbevölkerung und wahrscheinlich auch mit umbrischen
Stämmen in Etrurien geben uns die tyrrhenischen Inschriften von Lemnos eine
Vorstellung, von denen bis jetzt nur die berühmte Grabstele von Kamina
bekannt ist, die von der italienischen archäologischen Schule in Hephästia
ausgegrabenen Vasenscherben mit Inschriften aber wohl bald veröffentlicht
werden. Die Unterschiede der italisch etruskischen Sprache von der lemaisch-
tyrrhenischen, müssen der Sprache der rasennischen Urbevölkerung auf
Rechnung gesetzt werden. Anderseits lehren uns die rätischen Inschriften die
Sprache der rasennischen Urbevölkerung in Norditalien unvermischt mit der
der etruskischen Einwanderer kennen (allerdings muss man auch mit zeitlichen
und dialektischen Verschiedenheiten rechnen), denn wir haben natürlich
nunmehr in den Rätern mit Pareti, Origini Etrusche, I., 201 ff. u.a. die
nördlichsten Vertreter dieser Urbevölkerung zu sehen. So gewinnen jetzt die
rätischen Inschriften für die Etruskerfrage eine erhöhte Bedeutung.
Zu den schon früher bekannten Inschriften, die den Rätern zugeschrieben
wurden, den im nordetruskischen Alphabet von Bozen-Trient geschriebenen
aus Tirol, und denen des Alphabet von Sondrio, sind durch die Ausgrabungen
von G. Pellegrini auf dem Kastellhügel von Magrè, l km. von Schio bei
Vicenza, einige zwanzig Inschriften auf Stücken von Hirschhorn gekommen,
die ihr Entdecker in den Notizie degli Scavi, 1918, S. 169 ff, veröffentlichte.
Sie sind anfangs wenig beachtet worden.
- 19 -
Pareti a.a.O. hat sie noch im Jahre 1926 übersehen. Doch wurden sie von I
Whatmough schon 1921 im Journal of Roman Studies, XI, 24 ff. und in The
Classical Quarterly, 18 (1923) 61 ff. wissenschaftlich gewürdigt, und während
der Abfassung dieser Zeilen ging mir von R. Thurneysen das Manuskript eines
Aufsatzes "Die rätischen Inschriften" zu, der in Glotta, XXI veröffentlicht
werden wird und auf den ich mich im Folgenden beziehen werde (siehe oben
S. 309).
Pellegrini a.a.O. 203 f. wollte die Inschriften den Euganeern zuschreiben.
Geographisch wäre dies möglich: Livius I.1 beschreibt sie als ein Urvolk
zwischen Alpen und Adria, aber von ihrem Volkstum wissen wir nichts, ausser
dass sie als Bevölkerung von Verona mit den Rätern zusammen genannt und
die Camuner in der heutigen Val Camonica von Strabo als rätischen Stammes
von Plinius aber als Euganeer bezeichnet werden. Der Name Camuni erinnert
an den etruskischen Personennamen Camonius, den Schulze, Lateinische
Eigennamen, 140 nachweist. Vielleicht waren also die Euganeer Verwandte
der Räter und Vertreter der rasennischen Urbevölkerung östlich
S. 312: von diesen. Whatmough hat gewiss richtig die Inschriften von Magrè den
Rätern zugewiesen, denen die verwandten Inschriftengruppen zugehören. Aber
er findet in diesen Texten zwar etruskische Casusendungen, aber vorwiegend
keltisch-italische oder illyrische Namenselemente. Thurneysen hat mit Recht
gegen diese Ausführungen Einspruch erhoben. Wathmough sieht überall nur
Namen von Weihenden in diesen Inschriften, die Pellegrini allerdings mit
Recht als Weiheinschriften aus den favissae eines Hem Kastell bei Magrè
aufgefasst hatte, er folgte nicht der offenbar zutreffenden Vermutung von
Conway (Classical Quarterly 18, 67), dass in den Wortformen, auf -ake, -axe
etruskische Praeteritae vorliegen, sondern hielt sie für Personennamen mit dem
keltischen oder illyrisch-venetischen Suff ix -ako-...
S. 141: .. Nun war aber in der Zeit, der unsere Inschriften angehören, ein
Einfluss der Umbrer auf die Bevölkerung von Magrè wegen der räumlichen
Entfernung unmöglich. Er ist nur denkbar für die Urzeit, in der die umbrischen
Stämme Von Norden her in das östliche Oberitalien einwanderten und mit der
dortigen Urbevölkerung verschmolzen.
- 20 -
Dann lassen also die Inschriften von Magrè in jene Periode der Ankunft der
indo-europäischen Stämme (und zwar der spätesten Einwanderer) auf der
Appenninenhalbinsel blicken und zeigen uns, wie ihr Zusammentreffen mit der
rasennischen Urbevölkerung stellenweise verlief, dass es zu einer
Mischsprache führen konnte, die sich in isolierten Gegenden wenigstens bis in
die vorrömische Zeit erhielt.
Freilich diese Mischsprache mit ihrem Nebeneinander von rasennischen und
umbrischen Flexionsformen ist sehr merkwürdig - so merkwürdig, dass uns die
wenigen Proben, die die Inschriften bieten, fast zum Beweise nicht genügen,
dass wir noch eine Bestätigung brauchen könnten. Das liegt am geringen
Umfang und der nicht sehr grossen Zahl dieser Inschriften. Immerhin scheint
aber der Tatbestand derartig, dass die Deutung jener Formen als
indogermanisch-italische und die Annahme der Sprachmischung erwogen
werden muss. Wenn wir sie billigen, erhalten wir ein eigenartiges Zeugnis für
die Gegend und Richtung, in der die Einwanderungen der Indogermanen in
Italien erfolgten, und für die Verschmelzung mit der Urbevölkerung, die dabei
eintrat.
3. Vittore Pisani: La lingua degli antichi Reti. Archivio per l'Alto Adige,
Annata XXX- 1935- XIII, Parte Prima, S. 91 ff.
S. 100 f. zu deutsch aus dem Italienischen: "Über die Beziehungen zwischen
Rätern und Etruskern haben wir, wie bekannt, drei alte Zeugnisse: von Livius
(V 33), von Plinius (I1I.24) und von Justinus (XX.5). Das Zeugnis des
Padovaners Livius aber hebt klar ab jenem der beiden andern. Justinus sieht,
nach Trogus Pompeius, in den Rätern jene
S. 313: Etrusker, die früher in der Poebene wohnten, und anlässlich des gallischen
Einfalles ca. 390 vor Chr. von dort in die Alpen vertrieben worden wären. Ein
ähnliches Zeugnis gibt Plinius, zweifelsohne ebenfalls nach Trogus, vielleicht
aber auch nach Cornelius Nepos, nur dass er sich weniger bestimmt ausspricht.
Livius hingegen sieht in den Rätern ein etruskisches Volk, das eine Art
Vorposten des etruskischen Reiches bildet, das nach ihm besetzte: trans Padum
omnia loca, excepte Venetorum angulo .... usque ad Alpes, indem er ferner
sagt: Alpinis quoque ea gentibus (siehe Nr. 1 dieser Sammlung.)
- 21 -
Der Unterschied dieses Zeugnisses zu den obigen kann nicht mehr verborgen
werden. Es ist klar, wir stehen hier vor zwei verschiedenen Gesichtspunkten
der Historiker über ein dasselbe Argument. Da aber sowohl Livius als auch die
beiden andern Geschichtsschreiber (samt ihren Quellen), als Transpadaner eine
diesbezügliche auf der Wirklichkeit fussende Geschichtstradition gekannt
haben müssten, falls es eine solche gegeben hätte, und da sie also in diesem
Falle unter sich hätten übereinstimmen müssen, so muss man unbedingt den
Schluss ziehen, dass die vorliegenden beiden Gesichtspunkte nichts anderes
sind als zwei Hypothesen die eine wirkliche Gegebenheit erklären sollten,
nämlich die Ähnlichkeit dem Etruskischen und Rätischen. Diese beiden
Hypothesen waren aber wiederum auf einer andern Gegebenheit begründet,
nämlich auf der etruskischen Vorherrschaft in der Poebene vor dem Einfall der
Kelten, Wir können also somit sagen, dass uns das Altertum keine direkte
Tradition über den Ursprung der Räter zurückgelassen hat, und dass wir, um
diesen zu erklären, zu andern Hilfsmitteln Zuflucht nehmen müssen. Es
kommen hier in Betracht namentlich die Archäologie und die
Sprachwissenschaft.
Was die Archäologie anbelangt, ist die Antwort hier aber negativ. Wir haben
schon gesehen wie Whatmough mit Recht die Spärlichkeit und Neuheit der
archäologischen Belange etruskischer Natur aus der rätischen Zone betont. Es
ist klar, dass diese Fundgegenstände nichts anderes sind als
Handelsimportartikel. Wenn das rätische Gebiet wirklich zum etruskischen
Reich gehört hätte, oder wenn in den rätischen Bergen tatsächlich eine
Bevölkerung gewohnt hätte, die beim Einfall der Gallier sich hieher verlegt
hätte, so müsste der kulturelle Anblick Rätiens ganz anders jenem des
wirklichen Etrurien ähnlich sehen, als dies tatsächlich der Fall ist. Wir müssten
da Funde von ganz anderer Bedeutung vorfinden, steht es ja fest, dass diese
Räter vom vermeintlichen Mutterland erst nach der Zeit der höchsten Blüte der
etruskischen Kultur abgetrennt worden wären und dass in diesem von
feindlichen Einfällen geschützten Winkel sich die antiken etruskischen Formen
ganz anders hätten erhalten müssen.
Die Antwort eines Zweiges der Sprachwissenschaft, nämlich der
Ortsnamenforschung, die in Fällen, wie hier einer vorliegt,
- 22 -
wegen dem beinahe vollständigen Mangel an geschriebenen Monumenten, ein
ganz ausnahmsweises Gewicht hat, lautet ganz ähnlich. Die Frage wurde vor
Jahren vom besten Kenner etschländischer Ortsnamen studiert, nämlich von
Carlo Battisti. Unter seinen Schlussfolgerungen findet sich auch Folgende:
S. 314: "Während es in der Anaunia und im Trentino eine Reihe etruskischer
Ortsnamen gibt, sind im obern Etschgebiet Namen dieser Sorte zum Mindesten
sehr selten und beschränken sich auf die Nachbarschaft von Bolzano. Wenn
wir die Verhältnisse der oberetschländischen Ortsnamen mit jenen der Toscana
vergleichen, so bemerken wir, dass in der Letzteren die vorlateinischen
Ortsnamen in ihrer Mehrheit etruskisch sind, während sie an der oberen Etsch
fast in ihrer Gesamtheit nicht etruskisch (alloetruschi) sind.
Die teilhaften und selbstverständlich provisorischen Analysen der rätischen
Inschriften, die wir oben zu geben versuchten, hat uns dazu geneigt gemacht,
die indoeuropäische Natur der rätischen Sprache zu leugnen‚ Natur, die im
Gegensatz dazu bei den ligurischen oder venetischen Inschriften offensichtlich
ist. Anderseits haben wir im Rätischen gemeinsame Elemente gefunden mit
dem vorindoeuropäischen Substrat im Ligurischen und im Venetischen....
S. 103 f. Wenn es erlaubt ist sich über den Charakter einer Sprache
auszusprechen, gestützt auf die spärlichen Zeugnisse, die uns vom Alträtischen
bleiben, so können wir sagen, dass diese eine vorindoeuropäische-Sprache ist
von der einige Lautbestände sich an das vorindoeuropäische Substrat des
Ligurischen und des Venetischen anschliessen, einige andere hingegen an
jenes des Etruskischen. Besonders die Letzteren interessieren uns hier, da sie
ihr Gewicht haben können in der Lösung der Frage nach dem Ursprung der
Etrusker. Aber eines ist ohne weiteres klar, nämlich, dass, das Rätische weder
das Etruskische selbst ist, noch ein etruskischer Dialekt. Es scheint mir auch
klar, dass die gemeinsamen Elemente im Rätischen und Etruskischen
Isoglossen und nicht spätere sprachliche Einführungen von aussen her sind,
abgesehen von einzelnen Worten, bei denen man an Leihworte denken kann,
weiss man ja welche Bedeutung die Etrusker für die gesamte Kultur
Oberitaliens hatten.
Frage: Müssen wir daraus nun schliessen, dass die Etrusker die Ureinwohner
Etruriens seien, und dass ihre Sprache deshalb Gemeinsames zum Rätischen
und zu den andern vorindoeuropäischen Sprachen der Halbinsel aufweise?
- 23 -
Allerdings wäre das nach den sprachlichen Gegebenheiten aus Rätien möglich.
Aber es scheint mir, dass die etruskisch-mikrasiatisch-aegaeischen
Zusammenhänge zu evident seien. Auch wäre das Entstehen einer so hohen
Kultur in Etrurien in so schroffem Gegensatz zu jener Kultur die unmittelbar
an sie angrenzt (cf. P. Ducati, Etruria Antica 1.33, Gli Etruschi, 20 ff.) allzu
befremdend, um so mehr, wenn man bedenkt, dass jene Kultur, obwohl sie sich
schon zu myzenischer Zeit an die griechische anlehnt, zu eigene
Charaktereigenschaften besitzt als dass man sie als das blosse Resultat einer
Einführung auf dem Handelsweg betrachten könnte. Die Einwanderung der
Etrusker aus Kleinasien scheint mir deshalb unumstösslich.
S. 315: Eine Verwandtschaft der vorindoeuropäischen Sprachen des alten Mittelmeer-
raumes von Iberien bis nach dem Kaukasus, ist in den letzten Jahren immer
mehr hervorgehoben worden. Man braucht also darob durchaus nicht mehr zu
staunen, wenn auch einige Sprachelemente der eingewanderten Etrusker mit
einigen andern der Urbevölkerung zusammenfallen... Hier taucht aber eine
Frage auf, der man vielleicht nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die sie
verdient: Ist die etruskische Sprache, so wie wir sie kennen, d.h. so wie sie sich
aus den Monumenten ergibt, wirklich die Sprache der eingewanderten
Etrusker, oder hat in ihr etwa noch die Sprache der vorindoeuropäischen
Völker Italiens teil, denen sich die neu ankommenden aufpflanzten, und wenn
ja um wieviel das? .... Die Tatsache, dass in der etruskischen Sprache sich bis
ins Lexikon hinein evidente Spuren von italischen indoeuropäischen Sprachen
finden, lässt uns vermuten, dass jene Elemente noch viel zahlreicher sind,
welche die einwandernden Tyrrhener von sprachähnlichen Urbevölkerungen
aufgenommen haben müssen. Es ist eine allbekannte Sache, dass der Einfluss
von einer Sprache auf die andere um so stärker ist, als die beiden Sprachen sich
gleichen. Solche Mischungen führten bekanntlich nicht nur zur Aufnahme
ganzer Worte, sondern auch morphologischer Elemente .... Wenn nun Battisti
ein um so grösseres Zunehmen von Ortsnamen etruskischen Typus bemerkt, je
mehr man dem Etschfluss entlang südwärts gehe, so scheint mir das weniger
eine Abnahme des etruskischen Einflusses gegen Norden hin zu sein, als
vielmehr auf eine gemischte Grenzzone zu deuten zwischen vorindo-
europäischen Bevölkerungen, die lebten bevor die Etrusker ankamen.
- 24 -
Wenn nun das Etruskische und das Rätische die Bildung des Gentiliziums auf -
u und des Verbums auf -ke gemeinsam haben, so erklärt sich das genügend
durch die Hypothese, dass die zwei Elemente sowohl der rätischen Sprache
angehörten, als auch jener die die vorindoeuropäischen Völker sprachen, denen
sich dann später die Etrusker aufpflanzten. Es ist vielleicht kein Zufall, dass
die Bildungen auf -u und -ke gerade auf dem säulenschaftartigen Grabmal von
Lemno fehlen. Wenn wir so zugeben, dass auf den etruskischen Monumenten
nebst der Sprache der Tyrrhener auch jene der Urbevölkerung zur Geltung
komme, so erklärt sich die von Livius (V. 33) bezeugte Ähnlichkeit zwischen
Etruskisch und Rätisch zur Genüge. Diese Ähnlichkeit ist es, die den Livius
und die anderen Autoren zu weiteren Schlüssen verleitet hat. Das Genitivsuffix
auf -s kann für eine antik-indoeuropäische Form gehalten werden, denn die
indoeuropäischen Völker mussten nicht weit nördlich der alpinen, rätischen
etc. wohnen. Sein Wiederkehren im Etruskischen kann der gleichen Ursache
zugeschrieben werden, wie die Bildungen auf -u und -ke".
So kann Pisani zum Schluss (S. 107) erklären, dass er auf andern Wegen zu
ähnlichen Resultaten gelange wie Kretschmer. Dann aber zur
Vervollständigung noch: "Den etwas allzu einheitlichen Begriff Rasener
möchten wir ersetzen mit jenem von Rasener für die Toscana und ihre
Umgebung, während wir
S. 316: die andern Völker Italiens, die zu ihnen verwandt sind, Protoligurer, Räter etc.
nennen möchten. Den letzteren Ausdruck möchten wir jedoch lieber durch die
Bezeichnung Urräter ersetzen, warum werden wir noch sehen.
Stellungsnahme.
Nach den obigen Ausführungen wären die Räter, die Urbevölkerung Italiens
und der daran angrenzenden Alpen und als Vorindoeuropäer älter als die
indogermanischen Italiker (Sabeller oder Samniter, Umbrer, Osker, Latiner),
und älter als die noch jüngeren Etrusker. Auffallend aber ist, dass die Funde,
welche diese Schlüsse gestatten, lediglich aus dem Etschgebiet und dem
sonstigen Norditalien stammen, dass sie von Trient an talaufwärts immer
seltener werden und etwa in der Gegend von Bolzano ganz aufhören. Das
nördliche und das westliche Rätien scheint also diesem Bereich doch nicht
anzugehören, und faktisch, wie heute die Urgeschichtsforschung feststellt,
- 25 -
seit rund 500 vor Christi Geburt, im Grossen und Ganzen dem veneto-
illyrischen Bereich anzugehören (Vgl. Nr. 118). Das Urrätertum
praeindoeuropäisch-rasenischer Färbung ist also in italienisch Rätien
anscheinbar allein für uns noch nachspürbar erhalten geblieben. Es kommt
daher vielleicht nicht von ungefähr, dass der urrätische Saturnuskult (vgl. Nr.
88a) sich eben gerade bloss in italienisch Südrätien bis in die historische Zeit
hinein erhalten hat. Trotz dem problematischen Begriff Räter, dem man, eben
verschiedene Rassenelemente unterschieben kann, ist das südrätisch-
italienische Volk eben ein älteres (Urräter) als das nord- und westrätische
(Räter). Eines ist also sicher: Älteste Spuren haben sich in Südrätien
wesentlich anders erhalten als in Nordwesträtien. Daher, aber auch noch aus
andern Gründen, die nicht hieher gehören, ergibt sich ein wesentlicher
völkischer Unterschied zwischen den heutigen Rätoromanen und den
Norditalienern‚ welch Letztere von Alters her mehr nach Süden orientiert
blieben, während die Rätoromanen trotz ihrer Sprache im Grossen und Ganzen
doch von Veneto-Illyrern abzustammen scheinen, wenn auch andere, wie
etruskische und keltische Einflüsse, sich auch nicht von der Hand weisen
lassen. Dieser verschiedene völkische Unterbau war vielleicht auch eine der
Ursachen, warum da die lateinische Sprache eine andere Entwicklung nahm als
bei den Italienern. Ob man aber das rasenische, das etruskische oder das
illyrische Element, je nach der Gegend, mehr oder weniger betone, so lässt der
Stand der literarischen Quellen doch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass
man in Rätien, hüben und drüben, jede exklusive Rassentheorie ablehnen
muss, denn immer haben sich Völker hier auf ihren Wegen gekreuzt. Wie
später das Römische, so war schon vorher bei uns das Etruskische sehr wohl
mehr ein geistiger Habitus, eine Lebensform, eine Kultur als eine fleischliche
Vermengung, denn wer war im westlicheren Abendland in jener Zeit
Kulturträger, wenn nicht der Etrusker, wie später wieder der Römer.
S. 317: Uebersicht über die alträtischen Siedlungsphasen
1. Altsteinzeitleute unbekannter Rasse.
2. Vorindoeuropäer: Rasener, Protoligurer, Urräter etc, vor 2000
3. Durchzug nach dem Süden durch die mittleren und östlichen
Alpen der indoeuropäischen Italiker. wie der Sabeller oder
Samniter, Umbrer, Osker, Latiner ca. 2000
- 26 -
4. Möglicher Zug der Etrusker von Osten, der Donau entlang
aufwärts über die rätischen Alpen nach Italien ca. 1200-1000
5. Die Ligurer, die gleich den Sarden, Iberern und wohl auch
den Etruskern keine Indoeuropäer sind, machen sich von den
westlichen Alpen aus geltend bis ca. 800- 600
6. Der etruskische Einfluss macht sich möglicherweise
geltend zu seiner Glanzzeit ca. 800- 500
7. Illyrer (cf. Nr. 118) ca. 500
8. Kelten: Helveter im Westen, Boier im Norden,
Lepontier im Süden. Die Vindeliker. nach 500
9. Die Etrusker werden nach alten Autoren von den Galliern
in die Alpen gesprengt ca. 390
10. Die Römer: Italiker und andere aus allen möglichen
Reichsprovinzen seit ca. 15.
Die alträtische Eigenart im Lichte des Etruskertums.
Gestützt auf die Errungenschaften der neuesten Forschung sollte alle
alträtische Eigenart nochmals im Lichte des Etruskertums durchstudiert
werden. Um diesbezüglich eine Anregung zu geben verweisen wir hier zum
Beginn einmal auf Nogara, Gli Etruschi e la loro Civiltà, S. XVI, XXVII,
XXXII, 6, 32, 48, 50, 83, 100 ff., 107 ff., 108, 124, 128, 143, 157, 171 f, 172,
178, 196, 207, 215, 217, 226 f., 264, 298, 303, 310, 311, 316, 346, 402, 444
und auf die Figuren 162, 168, 175, 176, 204, 206, 209, 218 etc. auf Reno,
Viltur, Faléri etc,
Literarisches.
Whatmough, The Classical Quarterly XVII. - Glotta XXII, 27 und in "Prae
Italic Dialects" von ihm Couway und Johnsen in "Rivista Indo-Greco-Italica
XVIII.108. Ferner in Journal of Roman Studies, XI 245 ff (Inscibet Fragments
of Stagshorn from North Italy).
Pellegrini, Notizie degli Scavi, XVI 169 ff. über die Hirschhornfunde von
Magrè.
Pareti, Origini Etrusche, I, 201 ff.
C. Battisti, Studi Etruschi VIII 192 und II 647 ff.
- 27 -
P. Ducati, Etruria Antica und Etruschi.
Pallotino, Studi Etruschi VII. 221.
Goldmann, ibid, VIIII. 198.
Nogara Bartolomeo, Gli Etruschi e la loro Civiltà, Milano 1963, wo man
weitere reichhaltige Angaben über die etruskische Wissenschaft im
allgemeinen finden wird. Das Buch ist auch in französischer Sprache
erschienen. Auf die weiter oben aufgeführten Autoren kommen wir hier nicht
mehr zurück.
S. 318: Cassiodor spricht vom Heerführer der beiden Rätien, die ein Schutzwall
Italiens seien, vom römischen Volk und Reich und seiner Verwaltung, von
den Calendae Martiarum, von den überwundenen alemannischen
Begebenheiten und von der Tatsche dass Rätien noch zum römischen
Gotenreich gehörte. verfasst anno 537, zu Ravenna.
Magni Aurelii Cassiodori Senatoris v(iri) c(larissimi) et inl(ustris), ex
quaest(ore) pal(atii), ex cons(ule) ord(inario), ex mag(istro) off(iciorum),
p(raefecti) p(raetori)o atque pat(ricii) Variarum libri duodecim.
I.11. Servato duci Raetiarum Theodericus Rex (anno 507/511).
1. Decet te honorem, quem geris nomine, moribus exhibere, ut per provinciam‚
cui praesides, nulla fieri violentia patiaris, sed totum cogatur ad iustum, unde
nostrum floret imperium. 2. Quapropter Moniarii supplicatione commoti
praesentibus te affamur oraculis, ut, si re vera mancipia eius Breones
irrationabiliter cognoveris abstulisse, qui militaribus officiis assueti civilitatem
premere dicuntur armati et ob hoc iustitiae parere despiciunt, quoniam ad bella
Martia semper intendunt, dum nescio quo pacto assidue dimicantibus difficile
est morum custodire mensuram. 3. Quapropter omni pretervia remota, quae de
praesumptione potest virtutis assumi postulata facies sine intermissione
restitui: ne per dilationis incommoda eorum videatur supplex odisse victoriam.
I. 14,19, 27.
I.28. Universis Gothis et Romanis Theodericus rex.
II.5.
II.12. Comiti siliquatoriorum et curas portus agenti...
II.16, 17, 24, 25, 35.
II.41. Luduin regi Francorum Theodericus rex (anno 502 vel 507).
- 28 -
Gloriosa.. quidem vestrae virtutis affinitate gratulamur, quod gentem
Francorum prisca aetate residem feliciter in nova
S. 319: praelia concitastis et Alamannicos populos caesis fortioribus inclinates victrici
dextera subdidistis sed quoniam semper in auctoribus perfidiae resocabilis
videtur excessus nec primariorum plectibilis culpa omnium debet esse vindicta
motus vestros in fessas reliquias temperate, quia iure gratiae merentur evadere,
quos ad parentem vostrorum defensionem respicitis confugisse. estete illis
remissi, qui nostros finibus celantur exterriti …. sic enim fit, ut et meis
petitionibus satisfecisse videamini nec sitis solliciti ex illa parte‚ quam ad nos
cognoscitis pertinere ...
III. 13,17,41,43,48,50.
IV 10, 14,38)39,47, 50,36.
V. 3. Quaestor
V. 5. 7, 9, 8, 10, 14, 15, 27, 31, 39,
V. 22. Rector decuriarum,
VI. 1. Formula consulatus
VI. 2. F. patriciatus
VI. 3. F p(raefecurae) p(raetori)o
VI. 4. F. praefecturae urbanae
VI. 5. F. quaesturae
VI. 6. F. magisterae dignitatis
VI. 7. F. comitivae sacrarum largitionum
VI. 8. F. comitivae privatarum
VI. 8. F. comitivae privatarum
VI. 9. F. comitivae patrimonii
VI. 10. F qua per codicillos vacantes proceres fiant
VI. 11. F inlustratus vocantis
VI. 12. F. comitivae primi ordinis
VI. 13. F. magistri scrinii, quae danda est comitiaco quando permilitat.
VI. 14. F. de his qui roeferendi sunt in senatu
VI 15. F. vicariis u(rbis) R(omae)
VI. 16. F. notariorum
VI. 17. F. referendariorum
- 29 -
VI. 18. F. praefecturae annonae
VI. 19. F. comitis archiatrorum
VI. 20. F. consularitatis
S. 320: VI. 21. F. rectoris proviniae
VI- 22. F. comitivae Syracusanae
VI. 23. F. Neapolitanae
VI. 24. F. honoratis, possessoribus et curialibus civitatis Neapolitanae
VI. 25. F. de comite principis militum de comitiva suprascripta.
VII. 1. F. comitivae provinciac
VII. 2. F. praesidiatus
VII. 3. F. comitivae Gothorum per singulas civitates
VII. 4. F. ducatus Raetiarum.
1. Quam vis spectabilitatis honor unus esse videatur nec in his aliquid aliud
nisi tempus soleat anteferri, tamen rerum qualitate perpensa multum his
creditum videtur quibus confinales populi deputantur, quia non est tale pacatis
regionibus ius dicere, quale suspectis gentibus assidere, ubi non tantum vitia
quantum bella suspecta sunt (cf. I.11) nec solum vox praeconis insonat, sed
turbarum crepitus frequenter insultat.
2. Raetique namque munimina sunt Italiae et claustra provinciae: quae non
immerito sic appellata esse iudicamus, quando contra feras et agretissimas
gentes velut quaedam plagarum obstacula disponuntur. Ibi enim impetus
gentilis excipitur et transmissis iaculis sanciatur furibunda praesumptio. Sc
gentilis impetus vestra venatio est et ludo geritis quod vos aasidue feliciter
egisse sentitis.
3. Ideoque validam te ingenio ac viribus audientes per illam indictionem
ducatum tibi dedimus Raetiarum‚ ut milites et in pace regas et cum eis fines
nostros solenmi alacritate circueas, quia non parvam rem tibi respicis fuisse
commissam, quando tranquillitas regni nostri tua creditur sollicitudine
custodiri. ita tamen, ut milites tibi commissi vivant cum provincialibus iura
civili nec insolescat animus, que se sentit armatum, quia clipeus ille exercitus
nostri quitem debet praestare Romanis. quos ideo constat appositos, ut intus
vita felicier secura libertate carpatur.
- 30 -
S. 321: 4. Quapropter responde nostro iudicio, fide nobis et industria placiturus, ut nec
gentiles sine discussione suspicias nec nostros ad gentes sub incuriositate
transmittas. ad necessitatem siquidem rarius venitur armorum, ubi suspecta
surreptio custodiri passe sentitur. privilegia vero dignitatis tuae nostris tibi
iussionibus vindicabis.
VII. 5. F. curae palatii
VII. 6. F. comitivae formarum
VII. 7. F. praefecturae vigilium urbis Romae
VII. 8. F. praefecturae vigilium urbis Ravennatis
VII. 9. F. comitivae portus urbis Romae
VII. 10. F. tribuni voluptatum
VII. 11. F. defensoris cui s libet civitatis
VII 12. F. curatoris civitatis
VII. 13. F. comitivae Romanae
VII. 14. F. comitivae Ravennatis
VII. 15. F. ad praefectum urbis de architecto
VII. 16. F. de comite insulae Curitanae et Celsinae
VII 17. F de praeposito calcis
VII 18. F. de armifactoribus... praef. fabricae armorum
VII. 19. F. ad de armifactoribus
VII. 20. F. binorum et ternorum si per iudicem agantur.
Ad gentium dignitatis tuae credimus pertinere, si competentia tibi videamur
iniungere, quia tanto quis gratior redditur, quanto parendi causas amplius
suscepisse monstratur et ideo binorum et ternorum titulos quos a provincialibus
exigi prisca decrevit auctoritas per illam indictionem, officio tuo procurante, ad
crinia coiltis sacrarum largitionum transmittere mutaberis ita ut omnis
quantitas intra Ka1. Martiarum sollemniter impleatur‚ ne de proprio reddere
cogaris quod procurare neglexeris, tuam enim tetigisset iniuriam, si alter eos
titulos videretur exigere quos ad te praeceperunt leges sacratissimae pertinere.
VII 21. F. binorum et ternorum, si per officium agantur. - ...intra Kal.
Martiarum diem ad illustrem virum illum comitem sacrarum largitionum
solemnis quantitas deferatur …
- 31 -
S. 322: VII. 22. commenitorii illi et illi scrinariis de binis ternis. ….ut cum iudice vel
eius officie intra diem kal. Martiarum quae de binis et ternis quantitas
solemniter postulatur...
VII. 23. F. vicarii Portus
VII. 24. F. principis Dalmatiarum
VII. 25. F. epistulae, quae ad commendandos principes comiti destinatur
VII. 26. F. comitivae diversarum civitatum
VII. 27. F. honoratis possessoribus et curialibus supra scripta
VII. 28. F. principibus militum comitivae s(upra) s(cripta)
VII. 29. F. de custodiendis portis civitatum
VII. 30. F. tribunatus provinciarum
VII 31. F. principatus in urbe Raum
VII 32. F. qua moneta commititur
VII. 33. F. tractoriae legatorum diversarum gentium
VII. 34. F. evocatoriae, quam princeps motu suo dirigit
VII. 35. F. evocatoriae, quae petenti conceditur
VII. 36. F. commentabilis
VII. 37. F. specatabilitatis
VII. 38. F. clarissimitatus
VII. 39. F. tuitionis
VII. 40. F. de matrimonio confirmando et liberis legitimis faciendis
VII. 41. F. aetatis veniae (cf. Lex Romana Curiensis)
VII. 42. F. edicti ad quaestorem, ut ipse spondere debeat qui saionom meretur
VII. 43. F. probatoriae chartariorum
VII. 44. F. de competitionibus
VII. 45. F. qua census reveletur ei, qui unam casam passidet praegravatem
VII. 46. F. qua consobrinae matrimonium legitimum fiant
VII. 47. F. ad ppo‚ ut sub decreteo curialium praedia venundentur
VIII. 3. 24, 47. Quaestor: 13, 18.
IX. 2. 12, 14.
S. 323: IX. 20. Aduniversos iudices provinciarum Athalaricus rex
(Cod. Neapolitanus: Ad universos iudicos principes provinciarum.
Cod. Laurentianus: ...provinciae).
X. 11. domestici
- 32 -
X. 20.
XI. 7. Universis iudicibus provinciarum Senator ppo.
XI 8. Edictum per provincias
XI. 9. Iudicibus provinciarum Senator ppo.
XI. 11. Edictum de pretiis custodiendis Ravenna
XI. 12. Edictum pretiorum per Flaminiam
XI. 18. De corniculario qui egreditur
XI. 19. De corniculario qui accedit
XI. 20. De primiscrinio qui egreditur
XI. 21. De primiscrinio qui accedit
XI. 22. De scrinario actorum
XI. 23. De cura epistularum
XI. 24. De scrinario curae militaris
XI. 25. De primicerio exceptorum
XI. 26. De sexto scholario
XI. 27 De praerogativario
XI. 28. De commentariense
XI. 29. De regendario
XI. 30. De primicerio deputatorum et de primicerio Augustalium
XI. 31. De primicerio ingulariorum qui egreditur
XI. 32. De primicerio ingulariorum qui accedit
XI. 33. De concedendis delegatoriis
XII. 1. Diversis cancellariis provinciarum singularum Senator ppo.
XII. 2. Universis iudicibus provinciarum Senator ppo.
XII. 3. Universis saionibus qui sunt cancellaris deputati Senator ppo.
XII. 4. Canonicario Venetiarum senator ppo. (anno 533/37).
Mense regalis apparatus ditissimus non parvus rei publicae probatur
ornatus, quia tanta dominus possidere creditur,
S. 324: quantis novitatibus epulatur. privati est habere quod locus continet: in
principali convivio hoc praefecto docet exquiri, quod visum debeat ammirari.
destinet carpam Danuvius: a Rheno veniat anchorage‚ exermiston Sicula
quibuslibet laboribus offeratur: Bruttiorum mare dulces mittat acernias: sapori
pisces de diversis finibus afferantur. sic decet regem. pascere, ut a legatis
gentium credatur paene omnia possidere...
- 33 -
XII. 10. Diversis cancellariis provinciarum Senator ppo.
XI1. 19. Maximo vicario urbis Romae Senator ppo.
XII. 20. Thomati et Petro vv.cc.arcariis Senator ppo.
XII. 25 Ambrosio v(iri) i(llustri) agenti vices Senator ppo :...
XII. 28 Edictum (anno 535/536). - 4 His additur Alamannorum fugata
subreptio‚ quae in primis conatibus suis sic probatur oppressa‚ ut simul
adventum suum iunxisset et exitum quasi salutaris ferri exactione purgata,
quatenus et male praesumentium vindicaretur excessus et subiectorum non
omnino grassaretur interitus…..
* * *
Aliae dignitates et institutiones:
Arcarius (315,4)
Archidiaconus (402,1)
Archipresbyter (410)
Chartarius -
Tribunus chartariorum (224,7)
Comes patrimonii (Iulianus 1,16, Senarius IV.3,7,11,13)
Comes privatorum (Appronianus III.53)
Defensor ecclesiae
Domestici (X.11)
Iudex, id est magistratus iurisdictionem habens,
exactor: iudicibus provinciarum committitur exactio,
miles: iudici opponitur
prior (scilicet, officii): opp.
privatus iudex: opp. iud. publ.
S. 325: Vices agens: opp. iud. - cf. vicaruus
Voluntarius (240,26)
Iudicos provinciales (60,17, 63,2)
Iludices provinciae (151,14)
Lares
Ludi (188,16)
Maiores
Miles
- 34 -
Minore
Mediocres (27,15 - 29,5 - 97,10 - 237,4)
Nobiles
Ordo
Curialis ordo (446,9)
Decurionum ordo (446,9)
Patronus opp:
Actores (129,27 - 132, 14, 17)
Procuratores (129, 27, 32 - 132, 14, 17
Possessores
Potentes
Praecinctus =cingulum, dignitas (13,1 - 15,27 - 91,9 ‚ 175,22 - 181,19 - 186,4 -
359,23) = exercitus (329,19)
in procinctu esse (50,1)
Praepositus (exercitus, mutationem etc.)
Principes
Quadriga (105,34 - 106,3,6)
Tabernarii, capitularii horreariorum et tabernariorum,
inter negotiatores titulos administrantes (315,5)
Tribunus
Chartariorum (224,7)
Tribunus et notar principum (15,8) etc.
Tribunus provinciarum
Vicarius (35,21 - 188,4 etc.)
Vicibus praefectorum (273,25)
Vicaria dignitas (188,25)
Vicariana sedes (60,2)
Vicedomini (151,23)
S. 326: Charta
Chirographum (128,16.- 377,1)
Cursus publicus
Districtio (cf. district. bannus, bannus)
Gesta (178,31 - 208,5 - 216,3 - 378,1 - 405,20)
Iudiciaria (21,7 - 303,7 - 373,23)
- 35 -
Minutas chartas (352,15 - 351,5)
Platea (210,15 - 258,25 - 375,16. cf. Nr. 77 p.139).
Übersetzung.
Die .12 Bücher der Variae des ruhmreichen und erlauchten Herrn Magnus
Aurelius Cassiodor, Senator, Exquästor des Palasts, ordentlicher Ezkonsul,
Exmagister der Offizien, Praefekt des Prätoriums und Patricius.
1.11. Der König Theodericus an Servatus, Heerführer der beiden Rätien
(anno 507/511).
1. Es ziemt sich die Würde, die du durch dein Amt inne hast nach gutem
Brauch ins volle Licht rücken zu lassen und zwar dadurch, dass du es nicht
duldest, dass in der Provinz, welcher du bevorstehst irgendwelche Gewalt
geschieht, sondern, dass alles zur Gerechtigkeit angehalten werde, wodurch
unser Reich zur Blüte gelangt.
2. Bewegt durch das Bittgesuch eines gewissen Moniarius müssen wir dich
durch die vorliegende Botschaft also in folgender Angelegenheit ansprechen:
Wenn jene Leute, die an den Kriegsdienst gewöhnt und die, wie gesagt wird,
mit Waffengewalt die Zivilbevölkerung bedrücken, und es so verschmähen der
Gerechtigkeit den Weg zu ebnen, da sie stets zum harten Kriege neigen,
wirklich in Tat und Wahrheit die Eigenleute des obgenannten Mannes
ungerechtfertigt weggeschleppt hätten, so verstehe ich wahrhaftig nicht, wieso
es Leuten, die sich oft im Kampf bewährt haben, schwer fallen sollte ein den
guten Sitten entsprechendes Mass zu halten.
3. Du sollst also alles was Moniarius fordert fristlos zu rückerstatten und zwar
ohne jede Widerwärtigkeit, die von der Überschätzung seiner eigenen
Tapferkeit herrühren könnte.
1.28. Allen Goten und Römern der König Theoderich.
II.12. Dem Oberzollbeamten und Hafenvorsteher der König Theoderich.
II.41. Theodericus, König, an Chlodwig, König der Franken (a. 502 oder 507).
In für uns ruhmreicher Freundschaft beglückwünschen wir dich um deiner
Tapferkeit willen, weil du ja das fränkische Volk, das früher untätig war,
glücklich zu neuen Kämpfen führtest und die Alemannischen Völker durch
schwere Niederlagen unter deine siegreiche Hand beugtest.
- 36 -
Da aber das Übermass der Perfidie stets an den Urhebern beschnitten werden
soll und da die strafbare Schuld der Rädelsführer nicht an allen gerächt werden
darf, bitten wir euch, eure Gefühle den noch übrig bleibenden Alemannen
gegenüber zum mässigen, da sie es aus dem Recht der Gnade heraus
verdienen, der rächenden Strafe zu
S. 327: entgehen. Seid also jenen nachsichtig, die sich eingeschüchtert in unseren
Grenzgebieten verbergen... (Chlodwig verfolgte demnach die Alemannen auf
alemannisch- resp. fränkisch-gotischem Grenzgebiet im untersten Rätien,
kaum aber innerhalb des gotischen Gebietes selbst, denn dazu ist der Ton des
Schreibens zu mild. Es mag sich da etwa um schlecht definiertes Grenzland
handeln, das Theoderich wieder in sein Reich zurückgliedern will) ... sorgt also
dafür, dass ihr auch meinen Wünschen nachkommt, und bemüht euch nicht um
Länder, von denen ihr wisst‚ dass sie zu unserem Reich gehören …
VI. 1. Formel für die Konsulwürde
VI. 2. F. für die Würde de Patriziats
VI. 3. F. des Präfekten des Prätoriums
VI. 4. F für den Stadtpräfekten
VI. 5. F. für die Quästur
VI. 6. F. für die Magisterialwürde
VI. 7. F. für die Verwaltung der kaiserlichen Spenden
VI. 8. F. für die höfische Privatverwaltung
VI. 9. F. für die höfische Vermögensverwaltung
VI. 10. F. womit durch codicilli Ersatzbeamte geschaffen werden.
VI. 11. F. betreff einer vakanten Ehrenstelle.
VI. 12. F. eines obersten Hofbeamtens
VI. 13. F. an einen Kanzleichef, die zu verwenden ist, falls dieser in
Kriegsdiensten ist.
VI. 14. F. für die im Senat erscheinen sollen
VI. 15. F für die Vikare der Stadt Rom
VI. 16. F. für die Notare
VI. 17. F. für die Fürsprecher am höchsten Hofe
VI. 18. F. für die Steuerpräfektur
VI. 19. F. für einen fürstlichen Leibarzt
- 37 -
VI. 20. F. der Konsularität
VI. 21. F. für einen Provinzrektoren
VI. 22. F. für Syrakus
VI. 23. F. für Neapel
VI. 24. F. für die Honoratioren, Possessoren und Curialen der Stadt Neapel
VI. 25. F. für die Würde eines höchsten Militärbeamten...
VII. 1. F. für die Provinzialwürde
VII. 2. F. für die Präsidialwürde
VII 3. F. für Ämter der Goten in den einzelnen Städten
VII. 4. Formel für das Heerführeramt. (Herzogtum wäre ganz falsch 1)
der beiden Rätien.
Obwohl sonst das angesehene Amt eines Heerführers (dux) immer als ein und
dasselbe, erscheint, und obwohl in diesen Dingen nur die fortschreitende Zeit
etwas Neues bringen könnte, so bleibt es doch in der Natur der Sache, dass
man jenen recht viel zutraut, die man zu den Grenzvölkern abordnet, denn es
ist nicht dasselbe in ruhigen Gegenden Recht zu sprechen, wie bei
verdächtigen Völkern (in der Nähe verdächtiger Völker) zu wohnen, wo
weniger die Laster als die Kriege von heimtückischer Verdächtigkeit sind.
Nicht nur die Stimme des Bittstellers erschallt hier, sondern noch vielmehr das
beleidigende Geschrei der rohen Massen.
S. 328: 2. Die beiden Rätien sind nämlich die Grundfesten Italiens und als Provinzen
dessen Torriegel. Wir halten dafür, dass sie nicht umsonst so genannt werden,
dieweil sie gegen wilde und allergröbste Völker (Alemanniens) gleichsam als
Widerstände und Hindernisse errichtet sind. Hier wird der Barbarenanfall bei
zurückprallenden Wurfspiessen aufgefangen und tollwütige Anmassung
zurückgedämmt. So ist das ungestüme Barbarenland euer Jagdrevier und im
Spiel vollbringt ihr, was ihr durch fleissige Arbeit glücklich zu vollziehen
versteht.
3. Nach solch kräftiger Einschätzung übertragen wir dir die Heerführung
(ducatus) in den beiden Rätien, auf dass du die Soldaten im Frieden leitest und
mit ihnen die Grenzen unseres Reiches mit freudigem Mut umgebest. Keine
leichte Aufgabe ist dir übertragen, wenn der Friede unseres Reiches deiner
Sorgfalt anvertraut wird.
- 38 -
Die dir unterstellten Soldaten sollen mit den Provinzbewohnern aber nach
bürgerlichem Rechte leben und es wachse nicht ihr Sinn, weil sie bewaffnet
sind, denn unser Heerschild soll dem römischen Volk Ruhe und Frieden
bringen (und nicht Krieg), denn bekanntlich werden Kriegsleute nur deshalb an
die Grenzen gestellt, auf dass im innern des Reiches das Leben In sicherer
Freiheit um so glücklicher gekostet werden könne.
4. Entspreche also unserem Dafürhalten, traue uns und sorge in
wohlgefälligem Fleiss dafür, dass du weder die Barbaren ohne Grund
verdächtigest, noch die unsrigen in Vorwitz gegen sie aussendest. Es soll, wo
immer Überraschungen überwacht werden können, möglichst selten, zur
Notwendigkeit der Waffentaten kommen, denn die Privilegien und Vorzüge
deiner Würde verdankst du unserem Befehl.
VII. 5. Formel für die Leitung der fürstlichen Betriebe
VII. 6. F. der Komitive der Formen
VII. 7. F. der Wachtpräfektur der Stadt Rom
VII. 8. F. der Wachtpräfektur der Stadt Ravenna
VII. 9. F. der Anwälte der Stadtinteressen
VII. 10. F eines Tribuns der öffentlichen Spiele
VII. 11. F. für die Ämter des Hafens der Stadt Rom
VII. 12. F für einen Stadtpfleger
VII. 13. F. für Rom
VII. 14. F. für Ravenna
VII. 15. F. an den Stadtpräfekten anlässlich der Ernennung eines öffentlichen
Architekten zu Rom
VII. 16. F. des Hofbeamten der Inseln Curitana und Celsina
VII. 17. F. für einen Spielvorsteher
VII. 18. F. für Waffenfabrikanten
VII. 19. F. für den Vorsteher der Waffenfabrikation
VII. 20. Formel betreff der Abgaben zu zwei und drei "Gulden" sofern sie
vom Richter ernannt werden.
Wir glauben, das es der Natur deiner Würde entspricht, wenn es scheinen
dürfte, dass wir in Geschicklichkeit dir nahe legen möchten, dass man umso
lieber vergilt, um so mehr einer bereit ist, in Gehorsam Aufgaben auf sich zu
nehmen.
- 39 -
So sollst du die Titel zu zwei und drei "Gulden" welche laut einer alten
Vorschrift von den Provinzbewohnern erhoben werden sollen, der Schatzung
gemäss aus deiner Amtsgewalt heraus einziehen und zur Kasse der
kaiserlichen
S. 329: Finanzverwaltung weiter gelangen lassen und zwar so, dass alles innerhalb der
Kalenden des März in vollem Betrag feierlich erfüllt werde, so dass du nicht
aus deinem eigenen Vermögen zahlen musst, was du einzuziehen
vernachlässigt hast, denn es würde dir zur Schmach gereichen, wenn ein
anderer die Wertbeträge einziehen würde, die nach dem geheiligten Gesetz
doch du sammeln müsstest.
VII. 21. Formel betreff der Abgaben zu zwei und drei "Gulden", sofern sie
von Amts wegen erhoben worden. …. innerhalb dem Tag der Kalenden des
März muss dem erlauchten Herrn Vorsteher der Reichsfinanzen der ganze
Betrag feierlich überreicht werden ….
VII. 22. Formel des Mahners an diesen und jenen aus der Kanzlei für Binien
und Ternien (welche die Steuern zu 2 und 3 "Gulden" zu verwalten hat).
…. Der Richter oder sein Amtsstab hat innerhalb des Tages der Kalenden des
März die ganze Steuer zu zwei und drei "Gulden" feierlich zu fordern …
VII. 23. Formel des Vicarius des Hafens
VII. 24. F. des Fürsten von Dalmatien
VII. 25. F. der Episteln, welche um Prinzen zu empfehlen,
dem Comes gesandt werden
VII. 26. F. der Komitive verschiedener Städte
VII. 27. F. für Honoratioren, Possessoren und Curialen
VII 28. F. für den Princeps Militum
VII. 29. F. betreff der zu bewachenden Stadthäfen
VII. 30. F. für das Tribunat der Provinzen
VII. 31. F. für das Principat in der Stadt Rom
VII. 32. F. wie Geld consigniert wird
VII. 33. Zitationsformel‚ welche der Prinz aus eigenem Antrieb braucht
VII. 34. Einladungsformeln für die Legaten der verschiedenen Völker
VII. 35. Evokationsformel, die dem Bittstellenden gewährt wird
VII. 36. Beurlaubungsformel
- 40 -
VII. 37. F. der Spektabilität
VII. 38. F. des Clarissimats
VII. 39. Schutzformel
VII. 40. F. über die Bestätigung einer Ehe und über die
Legitimierung der Kinder
VII. 41. Emanzipationsformel
VII. 42. F. des Edikts an den Quästor
VII. 43. Beweisformel für Urkunden
VII. 44. F. über Kompetitionen
VII. 45. F. durch welche der Zins erhoben wird von jemandem,
der ein Haus besitzt, das belastet ist
VII. 46. F. durch welche Geschwisterkinder eine gültige Ehe schliessen
können
VII. 47. F. an einen Amtsvorgesetzten, dass Prädien unter dem Dekret der
Curialen verkauft werden sollen,
IX. 20. An alle Provinzrichter des Königs Athalaricus
X. 11. Domestici
S. 330: XI. 7. An alle Provinzrichter Senator ppo.
XI. 8. Edikt für die Provinzen
XI. 9. Den Provinzrichtern Senator ppo.
XI. 11. Edikt über die in Ravenna zu beachtenden Preise
XI. 12. Edikt über die Preise für Flaminia
XI. 18. Vom abtretenden Kanzleivorsteher
(der Cornicularius ist ex ordine commentariensium)
XI. 19. Vom antretenden Kanzleivorsteher
XI. 20. Vom abtretenden Chef eines Bureaus
XI. 21. Vom antretenden Chef eines Bureaus
XI. 22. Vom Konservator der Akten
XI. 23. Von der Behandlung der Briefe
XI. 24. Vom Sekretären für Militärangelegenheiten
XI. 25. Vom Protokollführer
XI. 26. Vom Sextus Scholarius
XI. 27. Vom Prärogativarius
XI. 28. Vom Registrier- und Kontrollbeamten
- 41 -
XI. 29. Vom Regendarius (Staatssekretären)
XI. 30. Vom Obersten der Deputierten und der Augustalen
XI. 31. Vom den obersten Vorgesetzten einzelner Amtspersonen,
die abtreten
XI. 32. Vom obersten Vorgesetzten einzelner Amtspersonen, die abtreten
XI. 33. Von den zu erteilenden Gewaltsübertragungen
XII. 1. Den verschiedenen Kanzleibeamten der einzelnen Provinzen
XII 2. An alle Provinzrichter
XII. 3. An alle Saionen, die zu den Kanzleibeamten abgeordnet werden
(Die Saionen sind Gerichts- und Magistratsgehilfen aus dem
Liktoren- und Einzügerstand, die aber einen höheren Rang als unsere
Büttel und Schergen einnehmen)
XII. 4. An den Canonicarius von Venezien (anno 533/537).
Der reiche Luxus der königlichen Tafel gereicht in der Tat der Republik (d.h.
dem Staat) zur Zierde, denn so weit, glaubt man, seien die Reichtümer des
Herrn des Reiches ausgedehnt, soweit her er Spezialitäten an seinen
Festmählern auftragen lässt. Einem Privaten geziemt es, sich zu speisen, was
der Ort, an dem er sich aufhält, hervorbringt, einem Prinzen hingegen was die
Bewunderung in ihn zu erwecken im Stande ist. So bezieht er den Karpfen aus
der Donau, den Hackenlachs (anchorago) aus dem Rhein‚ während ihm der
Exormiston in mühsamer Arbeit aus Sizilien geliefert wird. Das Meer der
Bruttier spendet ihm die süsse Acernia. Weitere schmackhafte Fische bezieht
er wieder aus verschiedenen anderen Grenzprovinzen. So geziemt es einem
König zu tafeln, weil auf diese Weise die Gesandten der verschiedenen Länder
glauben er besitze beinahe alles was die Welt hervorbringt...
XII. 10. An verschiedene Kanzler in den Provinzen
XII. 19. An Maximus, Vikar der Stadt Rom
XII. 20. An die erlauchten Kassenbeamten Thomas und Petrus
XII. 25. An den hochverehrten Herrn Stellvertreter (agenti vides) Ambrosius.
S. 331: XII. 28. Edikt (anno 535/536). - Dem wird beigefügt das neuerfolgte
heimliche aufständische Entweichen der Alemannen, das aber in seinen ersten
Versuchen unterdrückt wurde, was daraus erhellt, dass es sein Ende gleich
nach seinem Anfang fand, als ob es behende von einem reinigenden Feuereisen
- 42 -
ausgemerzt worden wäre. So sehr dann die Übergriffe der von Anmassungen
strotzenden Anstifter gerächt wurden, so liess man es doch nicht zum
gänzlichen Untergange der Unterworfenen kommen...
Anwendung.
Schon aus dem Titel ersieht man wie sich römischer Brauch in der gotischen
Zeit erhalten hat, führt Cassiodor ja noch einen vollen römischen Namen und
eine ganze Reihe römischer Titel.
I. 11. Servatus. "Vgl. z.B. Mommsen, Neues Archiv 14, 3, 497, A.3, derselbe,
Gesammelte Schriften 6, S. 436, A.2, Grosse, Römische Militärgeschichte .
179 f. Da es aber die im Vorstehenden und unten 5, 162-66 angeführten
Tatsachen verbieten, das ostgotische Rätien mit demselben Masstab zu messen,
wie die andern von Theoderich beherrschten Provinzen, hat man Ursache, mit
Heuwieser, Verhandlungen 76, S. 80 und Zeiss, Germania 12, S. 29 in
Servatus einen Romanen zu erblicken. Vielleicht hat Zeiss recht, wenn er
annimmt, Theoderich habe, nachdem sich ihm die Bevölkerung des alpinen
Rätiens unterworfen hatte, deren Führer die würde eines dux Raetiarum
bestätigt oder neu verliehen. War Servatus etwa ein Vorfahre der im folgenden
erwähnten Viktoriden? (Heuberger, Rätien I. S. 135, Note 131).
Cui praesides: Heuberger, op. cit. S. 255:
"Das in der oben angeführten Wendung provincia, cui praesides gebrauchte
Wort praesides besagt keineswegs, dass der Dux Servatus gleichzeitig auch
Praeses (Zivilstatthalter) war". Die Victoriden waren aber gerade das. Die
Vermutung Heubergers Servatus trifft also wohl kaum zu, da es für Rätien
bekanntlich nur einen Heerführer gab, der in der spätrömischen Zeit immer im
zweiten Rätien weilte, während es zwei Zivilstatthalter gab, nämlich einer in
Chur und einer in Augsburg. Ein churerischer Beamter aber kann nicht der
Nachfolger eines nordrätischen sein. Das obige beweist nur, dass oben auch
noch im zweiten Rätien romanisch Beamten schalteten und walteten. An eine
ostgotische Verbindung der Zivil- und Militärgewalt glaubt auch Heuberger
nicht.
- Duci Raetiarum: also der beiden Rätien.
- Per provinciam‚ cui praesides: Man beachte die typisch römische
Terminologie und Auffassung.
- 43 -
Imperium: Imperator ist der Kaiser und Imperium das Kaiserreich. Man sieht
hier, dass das römische Reich eigentlich nicht untergegangen, sondern, von den
Ostgoten weiter geführt wurde. So sagt Heuberger (S. 135) mit Recht: "Dass
Theoderich I im Namen des Kaisers seine Herrschaft über Italien begründete,
sicherte also noch einmal die staatsrechtliche Verbindung des rätischen
Alpengebietes mit dem römischen Reich". Siehe darüber auch die
Ausführungen zu Nr. 131 dieser Hefte.
S. 332: Moniarius: Wieder ein lateinischer Name. Also nach dieser Quelle, wie schon
nach Nr. 132, wohnten in Rätien eben Romanen, und zwar auch im 2. Rätien.
Manicipia: Es gab also auch eine hörige Bevölkerung, nach dieser Quelle zum
mindesten bei den Breonen. Vgl. dazu die Lex Romana Curiensis, wo dieser
römische Ausdruck sehr oft vorkommt.
Bella Martia: Mars bedeutet = bellum, da Mars der römische Kriegsgott war.
So heisst es auch bei Jordanes "aperte Marte" = bei eröffnetem Krieg. Siehe
Edition Mommsen 474,15.
II. 41. Das gotisch-fränkische Grenzland ist kein anderes als das in Nr. 131,
S. 288 f besprochene, nämlich das Gebiet nördlich des Säntis, das sich gegen
Stein am Rhein erstreckt und von den dortigen Alpen gegen Norden hin, bis
über den Bodensee hinaus, donauwärts ausdehnt. Es ist gotisch-fränkisches
Grenzland, weil die Alemannen, die von dort aus westwärts ansässig waren,
längst kein eigenes Land mehr besassen. Diese gotisch-fränkische Grenze die
offenbar auf weite Strecken hin undefiniert war, darf man auf keinen Fall
weiter hinauf verschieben, weil das eigentliche Churrätien nachweisbar keine
solche fränkisch-alemannisch-rätische Zone war, in der jetzt schon das
Romanentum etwa erschüttert gewesen wäre.
Seid den Alemannen gegenüber nachsichtig. Diese Empfehlung des
Gotenkönigs an den König der Franken erinnert lebhaft an Nr. 131, wo nach
ersterer Alemannen schützend in die oben besprochenen Zonen seines Reiches
aufgenommen hat und wodurch sich ein gewisses, immerhin bisweilen sehr
getrübtes Freundschaftsverhältnis dieses Königs zu diesem Volke ergab. Aus
dieser Stimmung heraus kann man die Haltung des gotischen Königs hier sehr
gut erklären, stammt das hier in Betracht fallende Schriftstück ja aus den
Jahren 502 oder 507, während. Ennodius anno 506 oder 507 schrieb.
- 44 -
XII. 28. Sowohl die Franken, als die Goten hatten aber stets Schwierigkeiten
mit den ordnungswidrigen Alemannen. Das römische Reich stellte einst die
antike Ordnung dar, während es ausserhalb des Reiches nur barbarische
Unsicherheit gab. Die Goten wie die Franken traten aber schon mit diesen
Römern in bündnisähnliche Beziehungen und wurden da mit in den
Reichsverband aufgenommen und hörten so auf zur wilden Barbarei zu
gehören. So wurden sie bei Eingang das Kaisertums die natürlichen Fortsetzer
des Reiches. Nicht so die Alemannen, die die antike Weltordnung nie
annahmen, und im Gegensatz dazu ein eigenes Reich gründen wollten. Nur so
versteht man warum die Goten bei allem Wohlwollen, die Alemannen immer
als Barbaren behandeln. Dazu kommt noch, dass die Alemannen, im Gegensatz
zu den Goten und Franken, es nie über sich brachten, römische Gesittung
anzunehmen, was damals eben Gesittung überhaupt bedeutete. Dabei
romanisierten sie sich auch nicht, wie diese beiden andern Stämme es taten und
so diese beiden heutigen lateinischen Bollwerke miterrichten halfen, welche
heute Frankreich und Italien heissen.
S. 333: Die Ämterlisten. Wir bringen hier einige Ämterlisten des Cassiodor um zu
beweisen, dass in gotischer Zeit wirklich das römische Ämterwesen, das
römische Recht, kurz die römische Auffassung sozusagen in allem erhalten
hat, und zwar bringen wir die Titelrubriken der Bücher VI und VII, sowie die
Titel 18-33 des Buchs XI ganz um zu zeigen, dass wir nicht etwa die
römischen Titel speziell herausgegriffen haben. Mehrere Titel haben aber auch
für unser Land direkte Bedeutung, so z.B. jene, die sich auf die
Provinzialverwaltung beziehen, oder jene die Institutionen behandeln, die in
der Lex Romana Curiensis oder in späteren rätischen Urkunden wieder
vorkommen. Wir haben solche Titel im lateinischen Originaltext durch
Sperrdruck herauszuheben versucht. Alles kann man aber auf diese Weise
niemals geben. Es würde sich lohnen auch alle Textstellen, die in solchen
Beziehungen stehen, hervorzuheben. Das würde aber viel zu weit führen und
ein eigenes Werk für sich bilden. Hier liegt also noch Arbeit vor! Diese hätte
aber den Rahmen dieser Sammlung vollständig gesprengt. Die wichtigsten
Ausdrücke suchten wir immerhin im Anhang zur lateinischen Originalausgabe,
alphabetisch aufzuführen, indem wir bei einigen die Seiten und Linienzahl der
Ausgabe der Monumenta Germaniae Historica angaben, auf welche Ausgabe
- 45 -
sich auch die unsrige stützt. Dabei haben wir auch einige Institutionen
mitberücksichtigt, deren Zusammenhang mit den späteren rätischen geradezu
auffällig und zugleich von überwältigender Bedeutung ist. Jene Registerworte,
die keine Zahlen aufweisen, kehren so oft in Cassiodor wieder, dass sie als
alltäglich betrachtet werden können, und dass ihrer einzelne Aufführung
geradezu ermüdend geworden. wäre. Vollständig sind unsrige obigen Listen
also nicht, denn es ist nicht der Zweck dieser Hefte ein Werk historischer
Rechtsvergleichung zu sein. Die Titelzahlen von rechtshistorisch einschlägigen
Stellen, die schon von anderen Autoren behandelt wurden, figurieren oben,
wenn nicht ein anderer Grund vorliegt, ohne jede andere Beifügung.
VII. 4. Spectabilis: Ehrentitel, der auch später in Rätien wieder vorkommt.
Spectabilis ist weniger hoch als Illustris, was in Rätien später auch vorkommt.
Confinales populi etc... Diese ganze Stelle zeigt, dass die Gegend am Bodensee
unten und weiter fort, damals sehr unruhig und gefahrvoll war‚ denn da
hausten bereits viele Alemannen, die als wild und ungeschlacht geschildert
werden. In Massen waren sie von furibunder Anmassung. Weiter oben
hingegen herrschte eine gesittete Bevölkerung, die nach römischem Recht in
aller Civilität lebte. Höchstens den Soldaten des Servatus konnte es da
bisweilen zu wohl sein, die, weil bewaffnet, die Zivilbevölkerung bisweilen
ausnützten (I.11). Gegen diese Milites steuert aber nicht nur Theoderich,
sondern später wieder an mehreren Stellen auch die Lex Romana Curiensis.
Man sieht hier nur, wie sich sogar einzelne Erscheinungen des römischen
Militärwesens in Rätien bis weiter ins Mittelalter hinein vererbt haben.
S. 334: Cum eis (sc. militibus) fines circumcensis: Es ergibt sich aus diesem Text, im
Anschluss an die Nr. 126, 120, 119 und weiter zurück, dass Rätien immer noch
eine römische Besatzung hatte, die jetzt also dem dux Servatus unterstand.
Romanis: Weiterer Beweis dafür, dass das gotische Reich als römisch
betrachtet wird, dessen Nationalcharakter in Anbetracht der gotischen
Minderheit auch wirklich römisch war, was namentlich für Rätien gilt, wo sich
ja keine Goten nachweisbar niedergelassen haben.
Kal. Martiarum: Kalenden des März = 1. März. Eine Solemnität wird
anlässlich dieses Datums hier ausdrücklich drei Mal angedeutet (VII.20,21,22).
- 46 -
Auf diesen Tag fällt tatsächlich der alte römische Neujahrstag. Der März war
der erste altrömische Monat. Daher fällt der September, d.h. der 7. Monat nicht
auf den Juli. Allerlei Neujahrsgebräuche mussten deshalb an diesem Tag sich
herausbilden. Der 1. März war aber zugleich die Feriae Marti, das Hauptfest,
des Gottes Mars, der durch Stillstand aller weltlichen Geschäfte ausgezeichnet
war und somit eine feria publica, ein gebotener Feiertag war. Dass in
Cassiodor, der um 537 schrieb dieser Feiertag noch angedeutet wird, ist
wichtig, denn er bietet uns so die Brücke vom Altertum über das Mittelalter zu
dem heutigen in romanisch Bünden volkstümlich immer noch gefeierten
Chalanda Mars.
XII. 4. Der Hackenlachs (anchorago): Dieser Fisch kommt oberhalb des
Bodensees und oberhalb des Rheinfalls nicht vor, wohl aber unterhalb, und
zwar dort auch in den Nebenflüssen, wie in der Thur und in der Töss. Wenn
also die Gotenkönige diese Fische innerhalb ihres Reiches im Rheine fingen,
dann musste also auch noch jener Teil Rätiens der jenseits des Säntis gegen
Helvetien hin liegt, zum italischen Territorium gehören. Wenn dieser Fisch
aber nur unterhalb des Rheinfalls vorkommt, dann haben die Ostgotenkönige
von diesem exponiertesten Rätien aus ihr Reich aber sogar gegen Wester hin
wenigstens vorübergehend vergrössert. Über dieses Argument eingehend:
Martin Paul Edmond, Etudes critiques sur la Suisse à l'époque Mérovingienne,
Genève 1910, und in: La fin de la domination romaine en Suisse, in Bulletin de
la Société d'histoire et d'archéologie de Genève, tome VI. liv. 1, 1935, S 1-30.
Nebst diesem Stück zeugen für dieses gleiche Argument aber auch die
Abschnitte II.41 und XII.28, sowie der Brief des Ennodius, den wir in Nr. 131
veröffentlicht haben.
Dauer der Gotenherrschaft über Rätien: Der oben besprochene Abschnitt an
den Canonicarius von Venezien stammt aus den Jahren 533/53 während das
Edikt des Abschnittes XII.28 aus den Jahren 535/537 kommt. Es ergibt sich
daraus, dass im Jahre 535 Rätien noch zu gotisch Italien gehört hat. Das ist
aber auch noch für das Jahr 537 erwarten. Das ist aber für sich allein noch
nicht ein Endtermin für die Herrschaft der Goten und noch viel weniger ein
Anfangstermin für die Herrschaft der Franken. Dieser ist erst aus späteren
Quellen zu eruieren.
- 47 -
S. 335: 135. Austrasische Briefe an den oströmischen Kaiser Justinian erwähnen
einen Patricius Bregantinus und besagen, dass Rätien zum Frankenreich
gehöre. Abgefasst in Austrasien 534-547 und 534-c.550
DOMINO INLUSTRO ET PRAECELLENTISSIMO DOMNO ET PATRI,
IUSTINIANO IMPERATORE THEODEBERTUS REX (534-547 Sept. Oct).
Litteras gloriae vestrae, Andrea comite veniente, suscepimus, quibus iudicare
dignamini, tria milium virorum in solacium Bregantini patrici dirigere
deberemus
* * *
DOMINO INLUSTRO ET PRAECELLENTISSIMO DOMNO ET PATRI
IUSTINIANO IMPERATORE, THEODEBERTUS REX (534 ca. 550).
Theodorus vir expectabilis cum Salomonem pariter veniens, litteras, quas
imperii vestri clementia destinavit, integra animi caritate et devotione
suscepimus, quia, cum de nobis curam geritis, sic latius per diversas gentes
atque provincias Dei amatam amicitiam propagamus. Id vero, quod dignamini
osso solliciti, in quibus provinciis habitemus aut quae gentes nbostrae sint, Deo
adiutore, dicione subiecte Dei nostri misericordiam feliciter subactis Thoringiis
et eorun provinciis adquisitis, extinctis ipsorum tunc tempore regibus,
Norsaverum itaque gentem nobis placata maiestate‚ colla subdentibus edictis
ideoque‚ Deo propitio, Wesigotis septentrionalem plagam Italiaque
S. 336: Pannoniae cum Saxonibus, Euciis qui se nobis voluntate propria tradiderunt,
per Danubium et limitem Pannoniae usque in oceanis literibus custodiente Deo
dominatio nostra porrigetur. Et quia scimus, augustam celsitudinem vostram de
profectu catholicorum, sicut et etiam littere vostrae testantur, plena animi.
iucunditato gaudere, ideo est, quod secundum voluntatem vestram, quae Deus
nobis concesserit, simplici relatione mandamus, desiderantibus animis
exeptantes, ut felicibus gloria vestra ita valeat, ut antiquam retroactorum
principum amicitiam conservatis, et gratiam, quam sepius promittitis, in
communi utilitate iungamur. Explicit.
Übersetzung:
Dem erlauchten und über alles exzellentesten Herrn und Vater Kaiser Justinian
der König Theodebert. - Wir haben die Briefe eurer Herrlichkeit durch den
- 48 -
Comes Andreas in Empfang genommen, in welchen ihr uns für würdig schätzt
30'000 Mann dem Patricius Brigantinus zu Hilfe senden zu müssen….
Dem erlauchten und über alles exzellentesten Herrn und Vater Kaiser Justinian
der König Theodebert (534- ca. 550).
Wir haben die angesehenen Herren Theodor und Salomon, die gemeinsam zu
uns kamen, um uns Briefe von Eueren huldreichen Gnaden zu überreichen, aus
ganzer Seele in Liebe und Verehrung aufgenommen, weil, da ihr um uns
bekümmert seid, so eine Gott wohlgefällige Freundschaft unter den Nationen
und Provinzen weiter verbreitet wird. Da ihr Euch gewürdigt habt, darüber
besorgt zu sein in was für Provinzen wir wohnen oder was für Völker zu den
unsrigen gehören, können wir Euch mitteilen, dass, dank der Hilfe Gottes,
folgende zu unserem Herrschaftsbereich gehören: Seitdem wir Thüringer
glücklich unterworfen und deren Provinzen erworben, nachdem eben ihre
Könige ausgestorben waren, seitdem auch die Norsaver (Nordschwaben),
nachdem sie sich mit unserer Majestät versöhnt hatten, zu uns kamen und
seitdem durch Gottes Gnaden auch die Wesigoten (in Südfrankreich und
Spanien) uns untergeben sind, reicht unser Gebiet, abgesehen von ganz
Frankreich über die nördliche Zone Italiens und
S. 337: Pannoniens (Ungarns)und zieht sich von den Sachsen und Eucern (Juten), die
sich uns freiwillig unterworfen haben, über die Donau und die pannonische
Grenze‚ dank des göttlichen Schutzes, bis an die Gestade des Ozeans. Da wir
wissen, dass Euere erhabene Hoheit in der Tat sich ob der Katholiken‚ wie
Euere Briefe übrigens bezeugen, aus ganzem Herzen freuen, gestatten wir uns,
gewiss in Einklang mit Eurem Willen, den Gott uns zugeneigt machte, Euch zu
bitten, dass Euere Herrlichkeit uns gemäss Herzenswunsch so weit
entgegenkomme, dass ihr die alte Freundschaft Eurer Vorgänger zu uns
bewahren möget und dass wir Eure Gnade und Euer Wohlwollen zu
gemeinsamem Nutzen und Frommen weiter geniessen dürfen. - Ende.
Erklärungen.
Die Norasavi sind Nordschwaben. Von ihnen sprechen Gregor von Tours,
Historia Francorum V.15, Paulus Diaconus, Historia Langobardorum II.6 und
Fredegarius, Chron. cap. 15 (ad. a. 594).
- 49 -
In den Annales Mettenses werden an den Grenzen der Sachsen Nordesquavos
genannt (Mon. Germ. Hist. Script. I. 330 ad annum 748), Siehe darüber auch
Zeuss, Die Deutschen und die Nachbarstämme S. 362. Über die Eucii als Jüten
siehe ebenfalls bei Zeuss S. 146 und 501. Wenn sich aber von diesen
Bereichen, namentlich aber von Schwaben aus das fränkische
Herrschaftsgebiet bis nach Italien und Pannonien zog, so gehörte auch Rätien
dazu. Über die Unterwerfung Italiens unter die Franken siehe Gregor von
Tours, Hist. Franc. III.32 und Paul Hist. Langob. ÏI.2.
Die politische Zeitlage.
Der grosse Gotenkönig Theodericus starb im Jahre 526. Nach seinen Tode
führte seine Tochter Amalasuntha die Regierung, wurde aber, wohl 534, von
ihrem Vetter Theodat meuchlings beseitigt, wahrscheinlich ermordet. Kaiser
Justinian (527-565) unternahm nun eine Strafexpedition gegen diesen
verbrecherischen Usurpatoren und entsandte gegen ihn die Feldherren
Belisarius und Mundus. Zur Verstärkung dieser Aktion wandte er sich
gleichzeitig an Theodebert, König der Franken, der die Goten aus dem Rücken
anfallen sollte. Aber auch Theodatus wandte sich an die Franken und verstand
es, diesen grössere Erfolge zu versprechen als bei einer Parteiergreifung für die
Byzantiner. So sagte Theodebertus den Goten zu, die die kriegerischen
Handlungen unter König Vitigis, da Theodatus mittlerweilen gestorben, gleich
in Bewegung setzten. Da sie der byzantinischen Macht aber nicht ohne
weiteres gewachsen waren holten sie, wie Procopius berichtet (de bello Gotico
I.16), in aller Eile Hilfstruppen im Norden Rätiens, in Schwaben und bei
andern Barbaren. Wenn also diese äusserste Spitze der einstigen Raetia II noch
ihnen gehörte, dann umso mehr noch das eigentliche Rätien. Rätien gehörte
also zum mindesten bei Regierungsantritt des Vitigis noch zu Italien. Vitigis
aber regierte von 536-539. Es ist aber möglich, dass er diese Gebiete den
Franken für die von ihnen zugesagte
S. 338: Hilfe bald abtreten musste, So ist es möglich, dass Rätien, wie Planta vermutet,
schon im Jahre 537 an die Franken kam. Wir möchten aber hier besonders
betonen, dass dies nur eine Vermutung ist, und dass dieses Datum somit nicht
als klassische Zeitangabe benutzt werden kann, sowie das seit Planta bis heute
der Fall war.
- 50 -
Als die Goten in Italien beständig verloren, sandte ihnen der Frankenkönig
Theodebert im Jahre 53 endlich 10'000 Burgunder zu Hilfe, allein der
byzantinische Vormarsch machte dessen ungeachtet immer grössere
Fortschritte. Diese Schwäche der Goten benutzend und die Byzantiner gegen
ebendiese engagiert wissend, fällt der gleiche Theodebert diesen Goten in
Oberitalien auf gemeine und perfide Art in den Rücken. Im Laufe d Jahres 539
besetzt er so von Frankreich her, der Reihe nach die Lombardei, einen Teil der
cottischen Alpen und Ligurien, sowie den grössten Teil von Venetien. Gehörte
aber der ganze Strich, von den französischen Alpen über Oberitalien bis nach
Venezien nun den Franken, so ist es sicher, dass die Goten jetzt Rätien auch
verloren. Die gotische Herrschaft hört auf jeden Fall in Rätien im Jahre 539
auf. Ob damit aber eine sofortige Besetzung Rätiens durch die Franken
verbunden war, bleibt eine zweite Frage? Hier, wie schon beim
Zusammenbruch des weströmischen Reiches, ist es also möglich, dass sich die
Räter eine Zeit lang einer totalen Selbständigkeit erfreut haben. Dass die
Franken später dann alle rätischen Eigenheiten wahren mussten, erklärte sich
dann in diesem Fall aber viel schärfer als bei den bis anhin massgebend
gewesenen Interpretationen. So wäre beispielsweise der römische Praeses
Provinciae von der italisch-gotischen Zeit ohne weiteres über diese Brücke in
die fränkische Aera hinübergegangen. Doch wenn die Franken Venetien
besassen, so mochten sie kaum lange warten diese Nordsüdverbindung dahin
in ihre Macht zu bringen. Darüber Heuberger, Rätien, S. 136.
Die Bedeutung der Brief Theodeberts.
Bei einem solchen Mangel an jedem direkten Zeugnis für den Übergang
Rätiens an die Franken um die 40er Jahre des 6. Jahrhunderts, gewinnt der
vorliegende Brief Theodeberts an Justinian natürlich gewaltig an Bedeutung.
Aus dem freundlichen Ton zu den Byzantiner geschlossen, kann er natürlich
nicht vor dem fränkischen Treubruch gegenüber den Goten, der im Jahre 539
erfolgte, geschrieben worden sein. Auf jeden Fall ist er vor dem Tod
Theodeberts, der etwa ins Jahr 550 fällt entstanden. Sicher ist also, dass Rätien
seit 539 nicht mehr zum Reiche der Goten gehört und seit ca. 550 zu jenem der
Franken in Botmässigkeit steht. Alles andere ist Vermutung zu Gunsten der
Franken! Man kann aber, bei vorhandenem Spielraum, wenn man will, auch
andere Vermutungen aufstellen.
- 51 -
Das tut nun auch Heuberger (Rätien I. S. 259), wenn er in voller Berechtigung
sagt: "Wenn endlich Theodebert I. in einem nach 539 abgefassten Schreiben an
Kaiser Justinian dem sehr verderbt überlieferten Wortlaut dieses Stückes
S. 339: zufolge, anscheinend erklärt, sein Reich erstrecke sich bis an die Donau und
bis nach Norditalien und Pannonien (Ungarn), so traf dies auch zu, wenn das
alpine Osträtien und der Hauptteil von Norikum ausserhalb des damaligen
fränkischen Machtbereiches lagen. Erstreckte sich dieser doch zu jener Zeit
über das alemannische, nach der herrschenden Meinung auch über das
bairische Stammesgebiet, sowie über Venetien, von wo er nach Pannonien
hinübergegriffen haben kann. Anderseits ist hervorzuheben, dass Theodebert
(534 bis ca. 550) die Provinzen Rätien und Noricum nicht nennt, trotzdem er in
seinem Schreiben (nach 539) offensichtlich möglichst dick aufträgt und
besonders die zuletzt dem Frankenreich einverleibten Länder hervorhebt".
Betreff Chur r sagt Heuberger: "Ferner ist eine Abtretung Rätiens und
Norikum an die Franken durch König Witiges nicht einmal mittelbar bezeugt
und von den Bischöfen, die ihre Sitze in diesen Gebieten hatten‚ lässt sich
bloss jener von Chur (anno 614) als Teilnehmer einer fränkischen
Kirchenversammlung nachweisen". Ansichtlich einer solchen Quellenlage ist
aber jene Meinung endgültig abgetan, die da meinte die Victoriden seien
Franken gewesen, wie man denn früher überhaupt gerne alles fremdartig
erklärt hat. Heuberger lehnt auf jeden Fall Osträtien insgesamt als fränkisches
Gebiet ab. Doch auch für West- oder Churrätien stammt das älteste direkte
Frankenzeugnis erst aus dem Jahre 614. Doch so weit glauben wir in
Anbetracht der indirekten Quellen doch nicht gehen zu dürfen, da wir den
Brief Theodeberts doch noch in einer - auch für germanistisch eingestellte
Gelehrte - annehmbaren Weise verstehen wollen.
Die kulturelle Lage der Romanen unter den Franken.
Da die Goten Dako-Skythen waren (cf. Nr. 131) kam Rätien, aus indirekter
Quelle geschlossen, erst zwischen 539 und ca. 550, nach direktem Zeugnis
aber zum ersten Mal ausdrücklich schriftlich nachweisbar sogar erst 614 zu
Germanien. Es blieb also nach dem Untergang der Gotenherrschaft, die wie
gesagt auf jeden Fall spätestens 539 erfolgte, sehr wohl eine gewisse Zeit lang
soviel wie ganz unabhängig, aber nicht bis gegen das siebte Jahrhundert, denn
- 52 -
es hiesse jene Zeit verkennen, wollte man die Skepsis gegenüber indirekten
Berichten und Traditionen so weit treiben. Auf jeden Fall steuerten aber die
Merovinger als Rätien fester in den Reichsverband einbezogen wurde, bald
ihrer Dekadenz entgegen. Sie liessen sich am Hofe Verse aus den römischen
Dichtern zur Leier vorsingen oder durchzogen das Land lustwandelnd in
weichen Sänften. Nach 638 herrschten dann bis 751 die bekannten Faulenzer-
Könige. Aber abgesehen davon hatten sich die Merovinger in Paris ganz
romanisiert.
Auf jeden Fall legten die Merovinger keine Hand an die römischen
Landeszustände in Rätien. Immerhin konnten sie trotz ihrer grossen Achtung
vor römischen Dingen, die Dekadenz der antiken Zustände schon aus eigener
S. 340: Schwäche heraus nicht aufhalten. Laut der herrschenden Geschichtsmeinung
lösten die Merovinger auch die alemannisierten Gebiete von Rätien und
seinem Bistum ab. Die Rätia prima, auch Curiensis genannt, umfasste jetzt nur
noch das heutige Graubünden, Vorarlberg das St. Galler Rheintal, das
Sarganserland, Liechtenstein, das Gaster, das Urserental, Galtür (Coltura) und
Ischgl im Inntirol (Valeria) und den Vinstgau (Venosta) bis Maia hinab. Diese
Neubegrenzung wurde angeblich unter König Dagobert (628-638) anno
633/634 vollzogen. Mit dieser Dagobert'schen Neubegrenzung ist
wahrscheinlich die Abtrennung des Landes Glarus vom Bistum Chur
verbunden.
So wurde auch das St. Gallerland zum ersten Mal kirchlich und weltlich in
zwei Stücke zerteilt. Die südöstliche Hälfte blieb nach wie vor bei der Provinz
Rätien und unter dem Bischof von Chur, während der nordwestliche Teil dem
alemannischen Zürich-Thurgau mit helvetischem Bischofsitz zu Vindonissa
vormals und zu Konstanz seit ca. 600, zugeschlagen wurde. Die Grenzlinie
verlief etwa wie folgt: Nach Gubser (Geschichte der Landschaft Gaster) befand
sie sich im Gaster am Nässibach, zwischen Rufi und Maseltrangen. Eigentlich
bilden die Hügel des Gasterholzes bei Maseltrangen und des Bildstein bei
Benken, nebst den Sümpfen zwischen Schänis und Reichenburg eine ganz
natürliche Grenze zwischen Rätien und Alemannien. Und zwar machte sich
der früher bedeutend bösartiger gewesene Sumpf als viel scheidender geltend,
als die immerhin gangbaren Hügel.
- 53 -
Deshalb tritt später hier auch eine historische Grenze am Steinerbach auf (Über
die historische Bedingtheit dieser Grenzen siehe bei Nr. 70-74 und 128). Von
dort zog sich die Grenze in das Gebiet des Fideri und Speer hinauf um auf der
andern Seite sich gegen Stein (ad Lapidem) hinabzuziehen denn bis dort
reichte lange Zeit das rätische Volkstum im Toggenburg‚ was sich aus der
Toponomie noch ergibt. Auch bis in die neueste Zeit hinein redete man
daselbst noch einen Dialekt, der sich ans Werdenbergische anschloss, während
heute das Toggenburg ganz veralemannisiert ist. Auch das obere Gebiet des
Necker mochte in der Frühzeit noch rätisch sein. Doch die Quellen berichten
darüber nichts. Weiter nördlich finden wir urkundlich dann die Grenzpunkte
Himmelberg in der Pfarrei Gonten und die Säntiseralp. Von dieser fiel die
Grenze dann ins Rheintal ab.
Das Rheintal wurde u. E. von der Dagobert'schen Grenzregulierung noch nicht
berührt. In einer alten Urkunde heisst es, die rätische Grenze habe von der
"Sämptiseralp dem First entlang" nach dem Rhein "ad Rhenum" geführt. Von
der Säntiseralp gelangt man dem First entlang aber auf jeden Fall nicht an den
Hirschensprung. Von der Säntiseralp und dem rätischen Kamor (Campus
Mauri) konnte die Grenze also nicht nach Montlingen gehen, welche Ansicht
auch erst einer Urkunde aus dem Jahre 1155 unterlaufen ist, da sie in ihrer
Auffassung von den neueren Zuständen beeinflusst war. Wir werden das
anderorts genauer erörtern. Es bleibt also nichts anderes übrig als die
S. 341: Linie Fähneren Hirschberg-Sommerberg in Betracht zu ziehen, die südlich von
Rheineck - dem römischen ad Rhenum - beim Monstein zum Rhein "ad
Rhenum" abfällt. Auch dort scheiden sich heute noch der St. Gallerische und
der Rheintalische Dialekt. Monstein bedeutet zwar Mons-stein. Die
angezogene Urkunde sagt aber auch, dass, dort König Dagobert "ad
discernendes termines Burgundie et Curiensis Rhetie" einen Mond in den
Felsen (in vertice rupis), meisseln liess, was dann die Deutung des Namens in
Mondstein verursachte. Dass Burgund, resp. Alemannien damals tatsächlich
nicht weiter hinauf gereicht hat, und dass die Grenzlinie nahe beim Mondstein
gelegen haben muss, ergibt sich daraus, dass der Arbonforst nie über jenen Ort
hinauf gereicht hat. Beim Monstein beginnt auch - wenn vorerst auch nur
spärlich - die rätische Toponomie mit Bezeichnungen wie Gais, Kobel, Kapf,
- 54 -
Kuppen, Boffles etc. Altstätten (Altstadium) musste eine romanische Ortschaft
sein, denn nur dort wo die Deutschen bewohnte Orte antrafen, wandten sie
diese Bezeichnung an. Montlingen (Monticulus) und Eichberg (Hermentines,
Ermatin = Ager montanus) waren sogar in karolingischer Zeit noch romanisch.
Ganz ähnlich hiess auf der andern Seite des Rheins Hohenems "Altems", was
aber auch als "Amato" alta gedeutet werden kann. Es gab dort im
Frühmittelalter eine "Villa Constantini". Das dortige Altach bedeutet alta aqua,
Löwenberg lavina, Gsol casale. Alpigla alpicula, Stafel stavale etc. Wir
begreifen nun auch, dass noch in merovingischer Zeit, jeweils ein Mitglied der
herrschenden Victoridenfamilie auch den Titel eines Comes Brigantinus trug.
Wir glauben also dass die Grenzlinie Hirschensprung - Kummerberg nur bis
zur Divisio von 806 zurückreicht, wobei aber Montlingen und Eichberg
nochmals bei Rätien blieben. Doch darüber, sowie über die völkischen
Zustände im Appenzellerland und im Arbonforst später mehr. Wir werden
sehen, dass sich eine romanische Minderheit auch da noch lange halten konnte.
Also von Rätien aus gesehen wohnte in merovingischer Zeit diesseits des
Säntis eine ganz romanische Bevölkerung, jenseits aber bereits eine
alemannische mit Romanen in den geschlossenen Ortschaften und mit sehr
möglichen romanischen Minderheiten auch sonstwo. Gegen das Gebirge also
im Appenzellerland kam man aber allmählich in ganz romanisches Land, was
wir aus einer viel späteren Erwähnung noch ersehen werden. Doch das
Rheintal bis Montlingen und bis an den Hirschensprung mochte bald eine sehr
gemischte Gesellschaft aufweisen. Glarus blieb in dieser Zeit zweifelsohne
noch romanisch.
Über die Kultur der Victoriden siehe Winter, Der Kulturkreis der Viktoriden,
in Bündner Monatsblatt 1927 Nr. 7 und 8. Planta, Das alte Rätien S. 255-283.
Heuberger, Rätien im Altertum und Frühmittelalter, Schlern-Schriften 20,
Dietze, Rätien uns seine germanische Umwelt, Martin Paul Edmond, Etudes
critiques sur la Suisse à l'époque merovingienne S. 554-715. Stähelin, Die
Schweiz in römischer Zeit, etc... Diese Liste ist nicht erschöpfend. Wir bringen
sie hier nur, weil derartige Darstellungen den Rahmen unserer Arbeit sprengen
würden.
- 55 -
S. 342: Die römische Katholizität.
Im vorliegenden Brief des Theodebert an den oströmischen Kaiser Justinianus
ist einmal die Rede von der Katholizität. Er sucht durch die Erwähnung
derselben, die Sympathien des oströmischen Kaisers vollends zu gewinnen.
Wir haben schon des öftern gesagt, dass im Altertum das römische Reich die
Welt der Ordnung und der Gesetzesmässigkeit, kurz der Kultur überhaupt
verkörperte, während dem alles was ausserhalb dieses Bereiches lag, als
chaotische Barbarei betrachtet wurde, hatte man von den vielleicht noch
grösseren Kulturwelten Indiens und Chinas ja überhaupt keine rechte Ahnung.
Das Römertum war aber nicht nur ein politischer Verband, sondern eine
Weltanschauung, deren Ausdruck die lateinischen und griechischen Sprachen
waren. Dieses Reich war aber aufgebaut aus einer ganzen Reihe von Nationen.
Das Römerreich war so eine Universitas nationum. In jener Zeit allein bestand
das geeinigte Europa. Wie es aber damals eine solche Universitas oder
Katholizität in weltlichen Belangen gab, so auch in religiösen. Wie der Nicht-
Römer als Barbar galt, so der Nicht-Katholik als Häretiker. So waren die an
Kultureinheit gewöhnten Römer katholisch, die Nichtrömer aber meist nicht-
Katholisch. So gab es im Morgenland Nestorianer, in Chaldäa und in Indien,
Monophysiten in Aegypten (koptische Jakobiten), Abessinien, Armenien und.
Mesopotamien und andere Nicht-Katholiken, bei den Germanen aber, soweit
sie nicht im Heidentum verharrten, fast durchs Band Arianer. In und um Rätien
war die Situation folgende:
Die Räter waren Katholiken, gleich den angrenzenden Italikern, Gallo-
Helvetern und Norikern. Die Burgunder waren anfänglich auch Katholiken,
gingen dann aber zu einem grossen Teil zum Arianismus über. Arianer auch
die Goten in Italien. Die Alemannen im Norden waren Heiden und die seit 568
in Italien auftauchenden Langobarden, soweit sie sich nicht zum Arianismus
bekannten, auch. Desgleichen die Franken im Nordwesten. Als das römische
Reich im Abendlande unterging, wurde die Lage der Katholiken da ziemlich
kritisch, im Gegensatz zum Ostreich, das ganz katholisch war und von
Dalmatien bis Syrien reichte. Als die Franken demnach im Jahre 496 vom
Heidentum zur Katholizismus übertraten, wurden sie geistig den Oströmern
plötzlich die nächst verwandten Germanen und durften diesbezüglich demnach
auf die Oströmer rechnen.
- 56 -
So begreift man die Erwähnung der Katholizität im Brief Theodeberts an
Justinian sehr wohl. Durch den Übertritt der Franken zum Katholizismus
gewannen sich dieselben aber zugleich auch die Sympathien sämtlicher
Westromanen, die immerhin die grosse Mehrheit der Bevölkerung von ganz
Süd- und Westeuropa ausmachten und zu welchen, wie gesagt, auch die Räter
gehörten. Man begreift jetzt auch, warum das fränkische Reich jetzt und fortab
so schnell aufblühte und in Bälde den grössten Teil Europas beherrschte, und
warum allmählich der Arianismus ganz verschwand. Jene Burgunder, die
arianisch waren, kehrten seit 534 ganz zum Katholizismus zurück. Das
gotische Reich in Italien ging in den 30er Jahren des 6. Jahrhunderts zu
Gunsten der Oströmer vollständig ein. Italien war
S. 343: jetzt wieder ganz katholisch bis ca. 568 die Langobarden auftauchten, die aber
unter Papst Gregor I. (590-604) auch der römischen Kirche beitraten. Rätien
war also zwischen diesem Italien und Burgund, die beide solchen Wechseln
ausgesetzt waren, einerseits, und dem heidnischen Alemannien anderseits, ein
fester Ruhepunkt des Katholizismus. Als solcher hatte aber Rätien seinerseits
auch ein Interesse mit den Franken in nähere Beziehung zu treten. Franken und
Räter standen sich von diesem Standpunkt ungemein näher, als etwa Franken
und Alemannen, denn die Alemannen waren bekanntlich eines der letzten
germanischen Völker das zum Christentum überzutreten geruhte.
136. Ein (Nieder?)rätischer: Codex enthält Titel der Bestimmungen des
Kaisers Justin(ian) anlässlich des afrikanischen Konzils von Byzacenum.
Konzil anno 541, gleichzeitig zum Konzil von Orléans. Erlass anno 542.
INCIPIUNT CAPITULA IUSTINI IMPERATORIS SACRA PRIVILEGIA
CONCILII VIZACENI.
I. Ut episcopus non audeat navigare sine consensu primati.
II. Iussio Iustiniani imperatoris pro privilegia
III. Item iussio Iustiniani imperatoris ut nullus arripiat quod habuisse non
probatur.
IIII. Ut nullus audeat violare privilegia data ecclesiis.
V. Ut in clerico nemo manum mittat.
VI. Lex pro episcopis et monasteriis.
- 57 -
VII. De libertis.
VIII. De Secundis nuptiis.
VIIII. De fideiussoribus.
Übersetzung.
Hier beginnen die Kapitel der geheiligten Privilegien des T Justin(ian) aus dem
Konzil von Byzacenum
S. 344: I. Dass Bischöfe sich nicht unterstehen sollen ohne die Einwilligung
ihrer Obern zur See zu fahren.
II. Befehl des Kaisers Justinian betreff der Privilegien.
III. Befehl des Kaisers Justinian dass niemand etwas an sich reissen
dürfe, von dem er nicht beweisen kann, dass es ihm gehöre.
IIII. Dass sich niemand unterstehe, die Privilegien zu verletzen,
die der Kirche erteilt wurden.
V. Dass niemand Hand an einen Kleriker lege.
VI. Gesetz für die Bischöfe und Klöster.
VII. Von den Freigelassenen.
VIII. Von der zweiten Ehe.
VIIII. Von den Bürgen.
Der Codex.
Es handelt sich hier um den Codex 722 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Wir
haben diesen schon bei Nr. 130 behandelt, wo wir gesehen haben das dieser
aus zwei Teilen besteht, einem ersten aus weissem Pergament und einem
zweiten aus bräunlichem, wobei der erste Teil auf das untere niedere Rätien,
der zweite in eine Gegend um Chur verweist. Dem ersten weissen Teil ist nur
ein ebenfalls bräunliches Blatt vorgeschoben (fol. l). Auf diesem befindet sich
nun auf S. 2 der hier veröffentlichte Text.
Der Text.
Dieser Text enthält die leere Titelrubrik der Bestimmungen des Kaisers
Justinian anlässlich des Afrikanischen Konzils in der Provinz Byzacenum oder
Vizacenum. Wie hier dieser Text sich im Codex St. Gallensis der Lex Romana
Curiensis findet so figuriert er ganz gleich in jenem von Aquileia-Udine zu
derselben Lex. Im St. Galler Codex ist in der Überschrift aber
irrtümlicherweise Justinus gesetzt statt Justinianus.
- 58 -
Ein Justinus regierte allerdings vor und nach Justinian, nämlich Justinian I.
518-527 und Justinian II. 565-578. Das Concilium von Byzacenum fand aber
im Jahre 541, also unter Justinianus statt, der von 527-565 glorreich regierte,
Auch bringen in unserem Text die einzelnen Capitula denn ja richtig
Justinianus. Da die beiden rätischen Codices nur die Titelrubriken zu den
Erlassen dieses Kaisers bringen, wollen wir hier nicht weiter greifen. Wer
sachlich in diese Dinge sich vertiefen will greife also zur Fachliteratur.
Das Konzil von Byzacenum.
Die afrikanischen Bischöfe erliessen am Konzil von Byzacenum mehrere
Canones, von denen wir nichts wissen, ohne dass der Kaiser Justinian, an den
die Konzilsväter zwei Bischöfe abordneten, sie bestätigte, und zwar auch für
den Fall, wo man etwa Privilegien zu ihrer Umgehung und zur Verhinderung
ihrer Anwendung erschleichen würde. Das diesbezügliche kaiserliche Reskript
datiert aus dem Jahre 542. Ein anderes einschlägiges Reskript ist ein Jahr
später und richtet sich an den Metropoliten von Byzacenum, namens Dacianus.
(Histoire générale des Auteurs sacrés et ecclesiastiques par le R. P. Dom Rémy
Ceillier, Nouvelle Edition, tome XImo Paris 1882, S. 889).
S. 345: Bedeutung der vorliegend Bestimmungen.
Sollten die Römer Rätiens - was nach Nr. 135 ganz gut, möglich ist - zwischen
der Herrschaft der dako-skytischen Goten und der germanischen Franken eine
Zeit lang keinem Barbarenland unterstanden haben, so hätte ihre Orientierung
nach Ostrom, wie wir bei Nr. 128 nahegelegt haben, nicht allzu ferne gelegen.
Namentlich in juristischer Beziehung, mochten sie dort am ehesten arteigene
Auffassungen finden. Wir können jedoch auch auf konkretere Unterlagen für
solche Beziehungen deuten. So ist es heute ja unbestritten, dass das Bistum des
zweiten Rätien mit seinem Sitz zu Sabiona, nicht zur Kirchenprovinz Mailand,
sondern zu jener von Aquileia, wo gar ein Patriarch wohnte, gehörte
(Heuberger, Rätien I. 172, 173) Heuberger glaubt überdies mit etwelchem
Recht, dass schon das alte Bistum Augusta Vindelicorum diesem
Metropolitanverband unterstand. So rückt die östliche Einflusszone auf unser
Land schon sehr nahe. Wichtig ist hier aber vor allem, dass der grosse
Zentralpunkt dieser Zone Aquileia war und dass Aquileia im 6. Jahrhundert
- 59 -
einige Dezennien zum oströmischen Reich gehörte, denn die Bestimmunen, die
wir hier behandeln, stammen ja aus Ostrom, nämlich aus Constantinopel,
obwohl sie anlässlich eines afrikanischen Konzils herausgegeben wurden.
Nach den gotisch-byzantinischen Kriegen (535-553) fiel nach und nach
bekanntlich der grösste Teil Italiens an die Oströmer. Auf jeden Fall stiessen
dieselben auch bis an die Ostalpen vor und behaupteten u.a. eine Zeit lang
Venezien, Friaul und das Tridentinische, wie sich aus Quellen aus der zweiten
Hälfte des 6. Jahrhunderts ergibt. Dazu sagt Planta (Das alte Rätien, S. 261)
"...und wahrscheinlich trachteten sie schon damals, ihre Hoheit auch über die
osträtischen un norischen Gebirgsgegenden auszudehnen. Von dem Untergang
der gotischen Herrschaft (552) an wurden aber die Oströmer Meister auch des
norischen und osträtischen Alpengebirges, wenigstens seiner südlichen
Abhänge …." Heuberger (Rätien) sträubt sich nun einer solchen Auffassung
gegenüber mit allen Fasern, wie er denn allem Römischen gegenüber für das
Mittelalter sehr kritisch ist. Er sucht jedes diesbezügliche Zeugnis
abzuschwächen so weit wie möglich. Es kommt jetzt aber zu jenen Texten, die
er behandelt, noch der Vorliegende hinzu. Es erklärt sich kaum, dass man in
Rätien nur aus kirchlichen Beziehungen heraus, in Ermangelung aller
politischer Bande, oströmische Gesetzesbestimmungen aufgenommen hätte,
zudem dieser Text ja nicht einmal allein dasteht, gesellen sich zu ihm ja noch
ziemlich weitlaufende Exzerpten aus der Epitome des Julian, die wir zum Jahr
555 bringen werden. Diese Gesetze finden sich aber nicht etwa bloss, je in
einem rätischen Codex, sondern in je zweien und zwar jeweils in Begleitung
zur Lex Romana Curiensis, die bekanntlich in Rätien angewandt wurde. Wir
glauben doch nicht, dass die "Privilegia concilii Vizaceni" und die "Epitome
Iuliana" je nur zum Sport dieser Lex beigefügt wurden. Man kann uns nun
allerdings entgegnen, dass im Pfäverser Codex dieser Lex, diese zwei Gesetze
sich nicht finden. Dazu ist aber zu sagen, dass der Pfäverser Codex einer
neueren Tradition angehört als jene von Aquileia und Chur-St. Gallen, und
dass es somit kein Wunder ist, dass die oströmische Tradition, die sowieso
ephemer war, darin erloschen ist. Im allgemeinen enthalten diese Codices
S. 346: also das Recht der rätischen Nation, womit sich wieder erklärt, dass diese
oströmischen Gesetze vom zweiten ins erste Rätien hinübergleiten konnten
- 60 -
(Siehe die Fachliteratur zur Persönlichkeit des Rechtes im Frühmittelalter) und
so auch im Codex 722 von (Chur-)St. Gallen figurieren. Oder muss man da
etwa auf jene Bemerkung Heubergers zurückkommen, es nehme einen
Wunder, dass Rätien und Norikum überhaupt nicht im Brief Theodeberts an
Justinian enthalten sei, und dass die fränkische Herrschaft über Rätien zum
ersten Mal erst für das Jahr 614 direkt bezeugt werden könne? Ist denn da nicht
ein so weiter Spielraum zu byzantinischen Erörterungen vorhanden, wie wir
uns selber kaum getrauen würden ihn auch nur von ferne in Erwägung zu
ziehen, dieweilen wir, so wenig wie Heuberger, an ein so langes Ausbleiben
einer fränkischen Herrschaft in Rätien glauben, gibt es denn, womit Heuberger
wiederum einverstanden ist, auch indirekte überzeugende Quellentexte.
Auf jeden Fall Ist die alte römische Kultureinheit noch nicht gesprengt. Wir
vermögen dieselbe an Hand der alten Autoren bis in die zweite Hälfte des 6.
Jahrhunderts zu verfolgen. Es ist dies jene Zeit, in der die römischen und
griechischen Schriftsteller bezeichnenderweise aufgehört haben über Rätien zu
schreiben. Gesetze wie sie hier vorliegen müssen aber in Rätien in einer Zeit
Eingang gefunden haben, wo man noch römisch-universell im antik-kulturellen
Sinn zu denken vermochte.
137. Eine Grabplatte aus Chur und Mols erwähnt den Churer Bischof St.
Valentinian. anno 548.
SCE M EPCS
HOC IACIT IN TOMOLO QVEM DEFLEVIT
RETICA TELLVS
MAXIMA SVMMORVM GLORIA PON
TIFICVM 5
ABIECTIS QVI FVDIT OPES NVDA
TAQUE TEXIT
AGMINA CAPTIVIS PRAEMIA LARGA
FERENS
EST PIETAS VICINA POLO NEC FV 10
S. 347: NERIS ICTVM
SENTIT OVANS FACTIS QVI Petit
- 61 -
ASTRA BONIS
HIS POLLENS TITVLIS VALENTIA
NE SACERDOS 15
CREDERIS A CVNTIS NON POTV
ISSE MORI QVI VIXIT IN HOC SAE
C. ANN PLS. MN. LXX. DPS. SVB. D. GI. ID. IAN
SEPS P CS BASI V C CS. IND. XI. PAVLINVS. NE
POS IPSIUS HEC ETERI ORDINAVIT 20
Entzifferung:
1. S(an)c(t)e m(emorie) ep(is)c(opu)s
17-20 Qui vixit in hoc saec(ulo) ann(os) pl(u)s m(i)n(us) LXX d(e)p(ositu)s
sub d(ie) VI id(us) ian(uarias) sep(tima)s p(ost) c(o)s(ulatum) Basi(lii) v(iri)
c(larissimi) c(o)sulis) ind(ictione) XI. Paulinus nepos ipsius hoc fieri ordinavit.
Das Bruchstück von Mols (18-20)
-------N PLS. MN.--
SEPS P CS BASI V C--
POS IPSIVS HEC------ 20
Uebersetzung:
Ein Bischof gesegneten Andenkens!
Hier liegt in stiller Gruft, Er,
Den die rätischen Länder beweinen.
Den die römischen Päpste höchster
Ehrenstellen für würdig hielten.
Der unter die Armen auswarf seine Schätze
Zerlumpte Bettler kleidete.
Der den Armen in Gefangenschaft Schmachtenden
Reichliche Gaben zuteil werden liess.
Es gibt eine Liebestätigkeit, sie ist
Im Himmel erweckt!
Sie triumphiert über den Tod und seine Schrecken,
Wohltuend bahnt sie sich siegreich den Weg zum Himmel.
Dieser Taten gedenkend kann dein Volk
- 62 -
O Hohepriester Valentinian
Es nicht fassen, dass du nicht mehr
Unter ihnen weilst.
S. 348: Er erreichte ein Alter von 70 Jahren, wurde bestattet am zweiten Tag der Iden
des Januar (12. Januar), im siebten Jahre nach dem Consulat des Basilius (548,
da Basilius 541 Konsul war), eines berühmten Mannes unter der XI. Indiktion
(römischen Zinszahl). Paulinus sein Neffe hat dieses Denkmal erstellt.
(Übersetzung von H.H. Gerschwiler)
Schicksal der Inschrift.
Der hl. Valentinian wurde dereinst beigesetzt in der Gruft zu St. Luzius zu
Chur. Dort befand sich die Inschrift bis in die Neuzeit (Aegydius Tschudi,
Codex St. Galli Nr. 609 und Campell, Chron, I. 95). Die Platte ist seither leider
zu Grunde gegangen. Nur ein Bruchstück davon konnte zu Guns oder Seguns
bei Mols, wieder zu Tage gefördert werden. Über alldas siehe Paul Diebolder,
Das Grabmal des Bischofs Valentinian von Chur, in "Heimatblätter aus dem
Sarganserland, 4. Jahrgang, S. 35 f, wo auch weitere Literaturangaben zu
finden sind.
Veröffentlichungen.
Mommsen CIL, XIII 5251.
Derselbe im Nachtrag zu den Inscriptiones Confoederationis Helvetiae Latinae
"Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich", 1865.
Vollmer, Inscriptiones Baioariae Romanae, Nr. 70.
Über die Datierung.
Die Konsuln waren von Haus aus die beiden höchsten Magistraten zu Rom.
Seitdem Kaiser Konstantin das Reich in zwei Hälften, in eine östliche und in
eine westliche, teilte, gab es ab 338 bisweilen einen Konsuln in Rom und einen
in Constantinopel. Das ist seit 367 regelmässig der Fall. Es gab zwar auch nach
dem Untergang des Westreiches, der im Jahre 476 erfolgte, noch bis 534 einen
Konsuln in Rom, aber nur von ganz lokaler Bedeutung. So stammen die
Konsulardiptichen, wie das Zürcher Diptychon von 506 (Vgl. Nr. 128)
meistens aus Ostrom. Letzter weströmischer Konsul war Decius Theodorus
Paulinus. Man findet nach ihm Datierungen noch bis ins Jahr 547 (Post
consulatum Paulini XIII).
- 63 -
Im Jahre 540 war Flavius Justinus Konsul in Constantinopel, im Jahre 541
Flavius Basilius. Mit diesem wird das Konsulat auch in Ostrom zum letzten
Mal mit einem eigenen Mann betraut, da die Alleinherrlichkeit des Kaisers zu
stark übernommen hatte. So datierte man von 542-566 mit den Worten "post
consilatum Basilii" "Nach dem Konsulat des Basilius", wie es auf unserer
Inschrift der Fall ist. Es kommen in dieser gleichen Zeitspanne aber auch noch
Datierungen nach seinem Vorgänger Justinus und wie gesagt, bis 547 auch
nach dem Weströmer Paulinus vor. Unser Denkmal datiert aber nach dem
letzten Oströmer, der eben Konsul war. Seit dem oströmischen Kaiser Justinus
II.
S. 349: (565-678) ist dann der Kaiser immerwährender Konsul. Man begreift da, dass
man nicht mehr gut nach Konsuln datieren konnte. In der Tat kam eine solche
Datierung nach einer nach den Regierungsjahren des Kaisers gleich. Immerhin
erscheint Kaiser Herakleios 641 noch ein Mal letztmals als Konsul, Schon
Kaiser Justinian (527-565) wollte aber die öffentlichen Akten ausdrücklich seit
September 537 nach Regierungsjahren des Kaisers datiert wissen, doch blieb
die Datierung nach Konsuln noch geraume Zeit beliebter. Auch die italischen
Ostgoten datierten nach diesen Konsuln und das noch nachweisbar bis ins Jahr
534 (Lot, La fin du monde antique et le début du moyen âge, S. 282), also bis
an die Zeit, da die Ostgoten Rätien verloren. Anders die Franken. Schon die
ersten Urkunden der Könige des Frankenreiches werden nach der Regierung
des Königs datiert, enthielten aber das Datum des Kaisers nicht, um die
Unabhängigkeit der Könige zu zeigen. Immerhin, im Gegensatz zu den
Franken datierten auch di Gallo-Romanen lieber nach den
constantinopolitanischen Kaisern. Seit dem 7. Jahrhundert wird im
Frankenreich die Datierung nach Königen aber allgemein.
Das Denkmal des Bischofs St. Valentinian folgt also der oströmischen
Tradition, die hier von den Ostrogoten gestärkt wurde, steht dem fränkischen
Geist aber fern. Das möge man aber auch in Betracht ziehen zu den
Erwägungen zu Nr. 136.
- 64 -
138. Prokopios von palästinisch Caesarea beschreibt die Nachbarvölker
Rätiens, spricht vom gotisch-byzantinisch-fränkischen Krieg und bedeutet
mittelbar, dass Rätien jetzt zum Frankenreich gehöre.
Verfasst zwischen 550 und 554, zu Constantinopel.
S. 350:
- 67 -
Übersetzung.
Des Prokopios von Cäsarea acht Bücher der Geschichte. De bello Gothico oder
vom gotischen Krieg I. (De bellis oder von den Kriegen V) 15, 25-30 ad annos
536/7: Von da an folgen (von Dalmatien aus aufwärts) Liburnien, Istrien und
das Land der Veneter, welches bis zur Stadt Ravenna sich erstreckt. Diese
wohnen dort am Meere. Über diesen wohnen die Siskier und Schwaben
(Souaboi = Suavi, an der Sava, Save in Slovenien), nicht diejenigen, welche
den Franken untertan sind, sondern neben ihnen andere, welche das innere
Land besitzen. Über diesen sitzen die Karnier (in Kärnten) und Noriker (in
Österreich). Neben diesen wohnen zur rechten Hand die Daker und Pannonier,
welche andere Oerter und auch Singidon und Sirmium besitzen und bis zu dem
Fluss Ister (Donau) reichen. Über diese Völker ausserhalb des ionischen
Meerbusens herrschten die Goten zu Anfange dieses Krieges (!). Über der
Stadt Ravenna auf der linken Seite des Po-Flusses wohnen die Ligurer und
neben ihnen gegen Norden die Albaner, in einem über alle Masse fruchtbaren
Lande, das Languilla genannt wird (Langonen? Wahrscheinlich die
piemontesische Provinz Alba). Neben diesen gegen Abend wohnen die Gallier
und hinter diesen
S. 355: die Spanier. Auf der rechten Seite des Po befinden sich Aemilia und die
Völkerschaften der Tusker, welche sich, bis zu den Grenzen von Rom
erstrecken. So verhält es sich hiermit.
I. (V) 16, 8-9 zu den Jahren 536-537: Er schickte nach Dalmatien ein
zahlreiches Heer unter Asinarius und Ouligisalos (Uligisalus), um Dalmatien
der gotischen Herrschaft wieder zu gewinnen. Er gab ihnen den Auftrag, sich
aus den Landschaften Schwabens (Souabia = an der Save) durch ein
Barbarenheer zu verstärken und dann gerade auf Dalmatien u Salonae
loszugehen.
12-14.: Asinarius nun begab sich nach Suavia und sammelte dort das
Barbarenheer, und Ouligisalos führte allein die Goten nach Liburnien. Bei
Scardo wurden sie mit den Römern handgemein, erlitten eine Niederlage und
zogen sich auf die Stadt Burnium (in Liburnien) zurück. Dort erwartete
Ouligisalos seinen Mitbefehlshaber. Als aber Constantin von der Rüstung des
Asinarius Kunde erhielt, ward er für Salonae besorgt......
- 68 -
15 in fine: … Asinarius zog mit einem Barbarenheer in die Stadt Burnum ein,
vereinigte sich dort mit Ouligisalos und dessen Gotenschar und zog gegen
Salonae. (Es folgt die Beschreibung dessen langen Belagerung).
I. (V) 13, 14-29, zu den Jahren 536/537: Als bald darauf der Gotenkönig
Theodatus des Belisarius Ankunft auf Sizilien erfuhr, machte er mit den
Franken ein Bündnis, wonach ihre Könige selbst gegen Auslieferung des
gotischen Teils von Gallien und 200 Pfund Gold ihm in diesem Kriege zu Hilfe
ziehen sollten. Ehe aber noch der Vertrag vollzogen wurde, hatte ihn schon
sein Schicksal ereilt. Deshalb standen dort. viele Goten, und zwar die
tapfersten, unter der Führung des Marcia auf der Grenzwacht. Diese konnte
Vitigis (der Nachfolger des Theodatus) einerseits nicht abberufen, anderseits
hielt er sie nicht für stark genug, um den Franken erfolgreichen Widerstand zu
leisten falls diese, was sehr wahrscheinlich war, sich auf Gallien und Italien
stürzten, während er selbst mit seinem ganzen Heer auf Rom marschierte. Er
berief daher die vornehmsten Goten und schlug, ihnen vor, den Vertrag mit
den Franken, wie ihn Theodatus geplant hatte, abzuschliessen, und, zwar mit
folgenden Worten: " … wenn die starken Besatzungen, welche die Goten in
Gallien haben, nach Italien berufen würden, so würden die Franken ohne
Zweifel in Gallien, als auch in Italien einfallen, (was dann später wie in Nr.
135 erörtert auch geschah), lasse man die Besatzungen aber in Gallien stehen,
so würden sie, von den Franken angegriffen, denselben nicht gewachsen sein,
wogegen die Franken, wenn ihnen Gallien überlassen und die von Theodatus
versprochene Geldsumme bezahlt würde, nicht bloss ihren Hass gegen die
Goten ablegen, sondern auch sich in diesem Kriege mit ihnen gegen die
Oströmer, sonst aber mit letzteren gegen sie, die Goten, verbinden würden".
Als die Häupter der Goten seine Worte vernahmen, überzeugten sie sich von
der Nützlichkeit des Vorschlags und wurden einig, demgemäss sofort zu
handeln. Sogleich wurden Gesandte an
S. 356: das Volk der Franken geschickt, um ihnen Gallien samt dem Golde zu
übergeben und das Schutz- und Trutzbündnis abzuschliessen. Könige der
Franken waren damals Childebert, Theodebert und Chlotar, die Gallien und
das Geld annahmen und unter sich nach Verhältnis verteilten.
- 69 -
Sie versprachen auch, den Goten, sich auf das Freundschaftlichste zu beziehen
und ihnen unter der Hand Hilfstruppen zu schicken, zwar keine Franken, aber
doch von den unterworfenen Völkerschaften (also Gallo-Romanen). Ein
offenes Schutz- und Trutzbündnis mit der Spitze gegen die Römer konnte sie
nämlich nicht abschliessen, weil sie kurz vorher dem Kaiser versprochen
hatten, ihm in diesem Kriege beizustehen. Die Gesandten kehrten nach
Erfüllung ihres Auftrages nach Ravenna zurück, und Vitigis rief den Marcia
mit seinen Leuten aus seiner Stellung ab.
XV (VIII) 24, 6-8, zu den Jahren 551/552: Theodebert aber, der Frankenkönig,
war kurz zuvor (548) an einer Krankheit gestorben, nachdem er einige Teile
von Ligurien, das Gebiet der kottische Alpen und den grössten Teil von
Venetien, ohne Schwierigkeit, sich Tributpflichtig gemacht hatte. So benutzten
die Franken geschickt die misslichen Verhältnisse der Kämpfenden und
bereicherten sich gefahrlos durch Besitzergreifung der Gebiete, um welche die
Goten und Römer kämpften. Jenen blieben nur wenige feste Plätze in
Venezien, denn die Ortschaften am Meere hatten sich die Römer, die andern
sämtlich die Franken untertänig gemacht.
Besprechung .
Aus allen obigen Texten erhellt wiederum, wie schon bei Nr. 136, dass über
Rätien kein direktes Zeugnis vorliegt, wie sehr diese Texte bis anhin für die
fränkische Belegung Rätiens angezogen wurden.
Zu I, 15, 25-30. Hier werden von Westen nach Osten in zunehmender
Detaillierung folgende Völkergruppen aufgezählt: die Spanier, die Gallier, die
Albaner, die Ligurer etc. Natürlich war es den Oströmern leichter die Italiker
zu detaillieren als ferner liegende Stämme. So gehören die Ligurer und
Albaner hier zur Grossgruppe Italien. Am eigenartigsten erscheinen hier die
Albaner von piemontesisch Alba oder Languilla, was offenbar wieder auf die
Longonen verweist. Die Albaner werden zum ersten Mal bei Strabo (VIII.4)
erwähnt, aber in Latium, dann wieder als Nachbarn von Iberiern, welche am
Kaukasus wohnten. Ausserdem erwähnt Strabo ein Volk der Albier, das östlich
der Alpen wohnte (vgl. Nr. 133).
- 70 -
Die Iberier bewohnten später ausser Spanien auch Aquitanien, Ligurien, die
Inseln zwischen Spanien und Italien. Prokopios erzählt also hier, dass im
Norden der Ligurer, d.h. in der Nachbarschaft der Iberier, Albaner wohnten.
Die illyrischen Räter wollten moderne Gelehrte hingegen mit den Albanern im
Balkan in Beziehung bringen. Wir möchten hier mit unseren Erwägungen nur
eine Anregung zur weiteren Erforschung und Prüfung solcher Ideen gegeben
haben.
S. 357: Wir haben angedeutet, dass die Oströmer umso ausführlicher in ihren
Ausführungen wurden, je östlichere Gebiete sie besprachen. So führen sie mit
allen Einzelheiten jene Völker an, die im Nordosten von Ravenna wohnten. Es
wohnten da unmittelbar ans Gebiet von Ravenna anschliessend in weitem
Bogen an der adriatischen Küste die Veneter, die Istrier, die Liburner und
weitere Dalmatiner, etwas weiter nördlich im Landesinneren, im heutigen
Slovenien‚ die Siscier um Siscia an der Save und weitere Saveanwohner, Suavi
(Schwaben) genannt, die mit den alemannische Schwaben natürlich nicht das
geringste zu tun haben. Diese Stämme gehören ausdrücklich zum Bereich von
Pannonien. Westlich von ihnen, dem Wasserlauf aufwärts, wohnten die
Karnier oder Kärntner und die Noriker in Österreich, die ihrerseits an die Räter
grenzen. Östlich von all diesen zusammen wohnen die Pannonier (Ungarn) und
Dakier, beide an der Donau. Prokopios setzt diesem ganzen Block, der
offensichtlich die gesamten illyrischen Völkerstämme umfasst, unmittelbar im
Westen die Gallier entgegen. Die Räter werden zwischen Beiden, wo sie ja
hingehören, aber nicht aufgeführt. Es wird aber gesagt, dass alle genannten
illyrischen Stämme zum Reiche der Goten gehörten. Die Gallier von Helvetien
aus westwärts gehörten aber zum Reiche der Franken. Rätien aber gehörte den
Goten (auf jeden Fall vor 537/539), also jenen Herscherstamm, dem die
illyrischen Völker untergeordnet waren. Aber da wir sowieso keinen Grund
haben die Räter zu den Galliern zu rechnen, so ergibt sich aus dieser Quelle
deutlich, dass die Räter eben zum östlichen Völkerblock gehörten, denn bei
den detaillierten italischen Stämme werden sie auch nicht aufgezählt.
- 71 -
Ein solches Zeugnis aus dem 6. Jahrhundert ist aber sehr wichtig. Völlig
verständlich wird es aber erst, wenn man es in unsere Erörterung zu Nr. 118
einbaut.
Auch die Suavi an der Save sind Illyrer und stehen als solche den Rätern
völkisch näher als die Schwaben Deutschlands. Auf jeden Fall ist dieser
Ausdruck Suavi mit "Schwaben" sehr schlecht übersetzt und führt zu
Irrtümern, wie bei Planta, in seinem Buch über "Das alte Rätien" auf S. 259 in
der Mitte.
I. 16, 8-9 und 12-15. Diese Zeilen veröffentlichten wir gerade als Beweis
dafür, dass unter Suavia nicht deutsch Schwaben gemeint sei. Der Text spricht
für sich selbst. Alle Schlüsse daraus auf Rätien fallen also dahin.
I. 13, 14-29. "Wir haben diesen Text deshalb einlässlich mitgeteilt, weil sich
aus dem Zusammenhang dieser authentischen Erzählung und aus den dabei
gebrauchten, sehr präzisen Ausdrücken überzeugend ergibt, dass Vitigis
damals bloss das gotische Gallien, und nicht auch, wie man gewöhnlich
annimmt, Rätien an die Franken abtrat" (Planta, Das alte Rätien, S. 257). -
IV. 24, 6-8. Gleicher Ordnung wie Nr. 135. Siehe die dortigen Anmerkungen.
S. 358: 139. Jordanes berichtet von der Unterwerfung der Vindeliker und
anderer Alpenvölker unter die Römer, von der Ausrufung des in Rätien
weilenden Christenverfolgers Valerianus zum römischen Kaiser, von
Alemannenhändeln, von einer Stadt Brigetio, rechnet das Gebiet der
Donauquellen und des Bodensees zu Skythien und sagt, dass da Sklavenen
wohnten.
Verfasst zu Constantinopel und Chalcedon und vollendet im Jahre 551.
Jordanis de summa temporum vel origine actibusque gentis Romanorum
(Romana).
180 Illyres autem, id est Veneti‚ seu Liburnes sub extremis. Alpium radicibus
agunt inter Arsiam Titulumque flumen longissimae per totum Adriam maris
litus effusi (cf. Florus 2,5,I)
- 72 -
241. Norici in Alpibus Noricis habitantes credebant, quasi in rupes et nives
bellum non posset ascendere: sed mox omnes illius cardinis populos Brennos
Teutonies (Teutonion non habet Florus) Cennoss atque Vindelicos per eodem
Claudio Caesarem Romanis vicit exercitus, quae tamen fuerit Alpinarum
gentium feritas‚ facile est vel per mulieres ostendere, quae deficientibus telis
infantes suos adflictos humi in ora militum adversa miserunt, Nec minores his
saevitia Illyrici pariter accendentur (cf. Florus 4,12, 4-7).
287. Valerianus et Gallienus, dum unus in Raetia a mulitibus, alter Romae a
senatu in imperio levarentur‚ regnaverunt an. XV. Valerianus si quidem in
Christianos perscutione commota statim a Sapore rege
S. 359: Persarum capitur ibique servituto miserabile consenescit (cf. Hieronymus
2271, 2274).
300. Constantius iuxta Lingonas una die LX milia Alamannorum cecidit (cf.
Hieronymus 2317).
309. Gratianum filium suum Valentinianus Ambianis imperatorem constituit,
quem habuit de Severa priore iugale et contra Saxones Burgutionesque, qui
plus LXXX milia armatatorum primum Reni in limbo castra metassent, movit
procinctum, sed apoplexia subito et sanguinis eruptione Brogitione defunctus
est (cf. Hieronymus 2383, Orosius 7,32. Brigetione requiritur).
De origine actibusque Getarum (Getica).
5. Scythia si quidem Germaniae terre confines eo tenus, ubi Ister oritur amnis
vel stagnus dilatatur Morsianus, tendens usque ad flumina Tyram, Danastrum
et Vagosolam ..... intrersus illis Dacia est, ad coronae speciem arduis Alpibus
emmunita, iuxta quorum sinistrum latus, qui in aquilone vergit, ab ortu
Vistulae fluminis per inmensa spatia Venetharum natio populosa consedit,
quorum nomina licet nune per varias familias et loca mutentur, principaliter
tamen Sclaveni et Antes nominantur, Sclaveni acivitate Novientunens et laco
qui Mursiano appellatur usque ad Danastrum et in boream Vicla tenens
commorantur: hi paludes silvasque pro civitatibus habent....
S. 360: 55. …. Suavis tunc iuncti aderant etiam Alamanni ipsique Alpes erectes
omnino recentes (Planta false "Alpes Raeticas regentes" unde nonnulla fluenta
Danubium influunt nimio cum sonu vergentia.
- 73 -
Hic ergo taliterque munito loco rex Thiudimer hiemis tempore Gothorum
ductavit exercitum et tam Suaverum gente quam etiam Alamannorum, utrasque
ad invicem foederatas devicit vastavit et plene subegit inde quoque victor ad
proprias sedes, id est Pannonias revertans Theodericum filium suum quem
Constantinopolim obsidem dederat, a Leone imperatore remissum cum magnis
muneribus gratanter excepit,
Übersetzung:
Des Jordanes Werk über die Summe der Zeiten oder über den Ursprung und
die Taten des römischen Volkes (Romana)
180. Die Illyrer, das heisst die Veneter oder Liburner wohnen an der äussersten
Wurzel der Alpen zwischen Arsa und dem Fluss Titulus (oder Titus, bei
Scardona) längs der Küste des ganzen adriatischen Meeres (Vgl. Florus 2.5.1).
241. Die Noriker, die in den norischen Alpen wohnen glaubten, dass ein Krieg
sich nicht bis so hoch hinauf in die Felsen und Schneefelder ziehen könnte.
Und doch hat das römische Heer durch denselben Cäsaren alle Völker dieses
Scheitelpunktes Europas unerwartet schnell besiegt, nämlich die Breunen,
Genaunen, Teutonier und Vindeliker (Florus erwähnt die Teutonier nicht). Wie
gross die Grausamkeit dieser Alpenvölker war, ist leicht am Beispiel ihrer
Weiber zu zeigen, die Mangels an Geschossen ihre eigenen Kinder den
feindlichen Soldaten ins Antlitz schleuderten. Auch die Illyrer liessen sich zu
kaum minderer Raserei entfachen (Vergl. Florus 1,12 . 4-7, Epitomae de Tito
Livio, II, 22 und 23. Siehe oben über die Eroberung Rätiens durch die Römer,
Nr. 41, S. 71 dieser Sammlung).
287. Valerianus wurde in Rätien vom Heer zum Kaisertum berufen‚ während
in Rom der Senat den Gallienus zu dieser Würde erhob. Die regierten
zusammen 15 Jahre (253-268). Valerian, der gegen die Christen eine
Verfolgung schürte, wurde aber sehr bald vom Perserkönig Sapor gefangen
genommen und alterte bei diesem in schmählicher Sklaverei (Vgl. Hieronymus
2271 und 227, Eutropius, Breviarium Historiae Romanae, IX,6 ad annum 253,
Orosius, Historiae adversum paganos VII.22, 1-3 ad annum 257. Siehe oben
Nr. 112, S. 172 und 122, S. 256 dieser Sammlung).
- 74 -
S. 361: 300. Kaiser Constantius (337-361) tötete bei den Lingonen (jenseits des
Schweizer Jura) an einem einzigen Tag 60'000 Alemannen (vgl. dazu etwa Nr.
117 S. 202 dieser Sammlung).
309. Kaiser Gratianus (367-383) setzte seinen Sohn Valentinianus II. (375-
393), den er von seiner ersten Frau Severa hatte, zum Kaiser ein und zog in
Schlachtordnung gegen die Sachsen und Burgunder, die mit mehr als 80'000
Bewaffneten ihre Lager bis zum Rhein vorschoben. Er starb aber plötzlich an
einem Herzschlag und an Blutergüssen zu Bregitio (oder Brigetio) (Bregitio ist
noch unbekannt. Vergl. Hieronymus 2383 Orosius 7.32).
Vom Ursprung und den Taten der Geten (Getica).
5. Skythien grenzt da an die germanischen Länder wo die Donau entspringt
und wo sich der morsianische See (Bodensee) ausbreitet. Von da aus breitet es
sich (ostwärts) bis zum Tyrafluss oder Dniester (der ins schwarze Meer fliesst)
und bis zum Flusse Bog aus.... Innerhalb dieses Gebietes liegt Dakien, das von
steilen Gebirgen in der Form eines Kranzes geschützt wird. Linkerhand von
diesen Gebirgen. (von Süden aus gesehen), leicht gegen Norden hin, dehnt sich
vom Quellgebiet der Vistula (Weichsel) weg, die volksreiche Nation der
Veneter über ungeheure Strecken (gegen Westen) aus. Wenn die Namen dieser
Völker nach Stämmen und Orten jetzt auch anders lauten mögen, so sind doch
die mächtigsten aus ihnen die Sklavenen(Slaven) und Anten. Die Sklavenen
wohnen von Noviodunum (heute Carlstadt in Oberpannonien. Vgl. CIL. III. p.
498) aus einerseits und vom See, welcher der mursianische genannt wird,
anderseits bis zum Dniester und im Norden bis zur Weichsel, (also vom
Bodensee und Donauquell bis nach Russland). Diese Völker haben statt Städte
Wälder und Moore. (Siehe über alldas unsere Ausführungen zu Nr. 118,
namentlich auf S. 252, 226, 227 ff.).
55. Mit den Schwaben verbanden sich damals die Alemannen. Diese
beherrschten dort, wo zahlreiche Nebenflüsse mit Gefälle, geräuschvoll in die
Donau fliessen, die Alpen vollständig. An diesen so durch die Natur schon
befestigten Ort führte also der Gotenkönig Thiudimer sein Heer mitten im
Winter und schlug da sowohl die Schwaben, als auch die Alemannen, die
gegenseitig miteinander verbündet waren, und verwüstete ihre Gebiete und
unterwarf sich die beiden Völker vollständig.
- 75 -
Als Sieger zog er nach diesen Taten wieder in seine Wohnsitze nach
Pannonien (Ungarn) zurück. In Freuden und mit Geschenken empfing er da
seinen Sohn Theodericus, der 88 sein Nachfolge auf dem Königsthron wurde,
der ihm eben vom Kaiser Leo (457-474) zurückgegeben wurde, an welchen er
denselben, der einst als Geisel nach Constantinpopel ausgeliefert hatte.
S. 362: Anmerkungen.
Jordanes ist der Fortsetzer der Chroniken von Hieronimus und Eusebius,
welche beiden das Fundament seines Werkes bilden, was er durch Zitate auch
ausdrücklich bemerkt. Er stützt sich jedoch auch auf Florus, Eutropius und
Orosius, auch in Aussagen über Rätien. Eine Kulturkontinuität zur Antike‚
auch in rätischen Belangen ist also immer noch da, gedenkt man ja auch jetzt
noch in Anerkennung der Eroberung des Landes durch die Römer. Eine
ähnliche Kontinuität ergibt sich aber auf etwas andern Wegen auch aus den
vorher behandelten Quellennummern und aus folgendem:
Jordanes hat die antiken Ansichten über das Volkstum der Räter immer noch
vor Augen. Noch um 551 ist das alte Bild also nicht wesentlich verändert, Aus
"Romana" 180 und aus einem Vergleich von "Romana" 180 zu "Getica" 5
ergibt sich, dass die Veneter vorerst Illyrer, dann aber auch Skythen sind, und
dass sich dieser Stamm, von denen die meisten jetzt nach einer neuen
Bezeichnung Sklavenen oder Slaven genannt werden, vom Bodensee bis nach
Russland ausbreite. Wir haben diese Dinge anlässlich Nr. 118 eingehend
behandelt. Wir kommen darauf nicht mehr zurück. Solche Sklavenen (Slaven),
Veneter, Vindeliker (Wenden), wohnten in der Raetia IIa., zu einem grossen
Teil gewiss romanisiert, auch jetzt in der Mitte des 6. Jahrhunderts noch, trotz
der Schwaben und Alemannen, die in Getica 55 erwähnt werden, aber von
Jordanes noch nicht als die normale Landesbevölkerung betrachtet werden.
Diese machten sich laut Jordanes in der zweiten Hälfte des fünften
Jahrhunderts bemerkbar dort wo immer noch rauschende, abfällige Bergbäche
in die Donau fliessen, also in den agri decumates, die ja sozusagen das
Vaterland dieser Völker sind, vorerst, dann auch in der 'Rauhen Alb" (alpibus)
und weiterhin im Quellgebiet der Donau, gewiss mehr aber im Norden, als
gegen Süden hin, wo man sich der lateinischen Raetia Ia, näherte, die sich
oberhalb des Bodensees ausbreitete.
- 76 -
Planta las hier von den Alemannen ganz irrtümlicherweise "Alpes Raeticas
regentes", statt "Alpes erectos omnino regentes", indem er statt erectos
Raeticas las. Es gibt darnach aber Texte, die das omnino nicht haben. Er fühlte
aus historischem Sinn heraus den Irrtum aber sehr wohl, indem er zu Raeticas
bemerkte: "Mehr noch Helveticas", da ihm die helvetischen Gebirge den
Alemannen ausgesetzter schienen als die rätischen. Hier ist aber in Tat und
Wahrheit weder von den Bündner- noch von den Schweizerbergen die Rede,
sondern ganz ausdrücklich von jenen am Quellgebiet der Donau. Aber auch da
konnten sich die Alemannen nicht ruhig entfalten, wurden sie gegen 474 da
von den Ostgoten gedemütigt, die der Donau entlang aufwärts, dahin einen
Streifzug unternommen haben. Dieser Zug berührte aber das erste Rätien, wie
alles hier Gesagte, nicht. Aber auch von den Römern und Franken wurden in
den Agri decumates die Alemannen stets wieder reduziert, wie etwa 70 Jahre
früher schon von den Wisigoten und den Vandalen und etwa 60 Jahre später
wiederum im Verein mit den Franken von den Ostrogoten. Es gab also vor der
Mitte des 5. bis über die Mitte des 6. Jahrhunderts nördlich des Bodensees
venetische Slaven, Lateiner, Alemannen und Schwaben, sowie vorübergehend
dako-skythische Goten, und endlich Franken.
Fortsetzung siehe Heft 07.
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 04/2017
- - - - - - - -