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Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1936 Fontes ad Historiam - Heft 06 Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur …download.burgenverein-untervaz.ch/downloads...Historikers Titus Livius bis zu der Lex Romana Curiensis des 8. Jh. hier zusammengestellt

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Untervazer Burgenverein Untervaz

Texte zur Dorfgeschichte

von Untervaz

1936

Fontes ad Historiam - Heft 06

Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.

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1936 Fontes ad Historiam - Heft 06 Franz Albert Perret aus: Perret: Fontes ad Historiam Regionis in Planis. Quellen zur Geschichte

der Bezirke Gaster, Sargans und Werdenberg, als der raetischen Teile des Kantons St. Gallen / erstmals im vollen Textlaut nebst einer Übersetzung mit Erläuterungen zusammengestellt von F.A. Perret. - 18 Hefte 1936-1938.

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S. *19: Ein fachkundiges Urteil.

Bekanntlich ist die beste Quelle für die Bündnergeschichte etwa vom 8. bis 14.

Jahrhundert, der von Theodor von Mohr 1848 begonnene Codex diplomaticus.

Dieses vierbändige Werk enthält alle oder fast alle Urkunden zur Geschichte

Rätiens und der Republik der drei Bünde. Nun ist freilich diese

Zusammenstellung schon lange veraltet, aber keineswegs neu aufgelegt

worden. Dann fehlen eben die früheren Dokumente, die sich auf das

spätrömische und frühmittelalterliche Rätien vor dem 8. Jh. beziehen fast ganz.

Es hat nun lic. jur. F. A. Perret seit dem Mai 1936 die monatlich erscheinende

Publikation: Fontes ad historiam Regionis in Planis herausgegeben. Die Regio

oder das Ministerium in Planis ist ein Ausdruck des Reichsurbars von ca. 830

und bezeichnet den Umfang der heutigen Bezirke Gaster, Sargans und

Werdenberg. Das Werk umfasst aber nicht nur die rätischen Teile vom Kanton

St. Gallen, sondern das ganze Rätien. Es werden daher alle Quellen die sich

auf die Rätien beziehen, angefangen von den Mitteilungen des römischen

Historikers Titus Livius bis zu der Lex Romana Curiensis des 8. Jh. hier

zusammengestellt. Bislang liegen fünf Hefte vor und behandeln etwa den

Zeitraum vom 1. bis 4. Jahrhundert. Das Heft ist sehr billig gehalten, kostet nur

Fr. 2.80. Bestellungen sind direkt an den Verfasser zu senden. Perret führt so

den Codex diplomaticus von vorne weiter. Alle die Quellen vom 1. bis 8.

Jahrhundert über Rätien werden relativ vollständig gesammelt sein. Vom 8.

Jahrhundert an, also nach Eingehung des rätischen halbsouveränen

S. 298: Kirchenstaates, wird sich die Publikation mehr dann auf das Planenland, also

das rätische St. Galler Oberland, beschränken müssen. Dem Verfasser eignet

eine kaum übertreffbare Liebe zu seiner Heimat an. Mit Bienenfleiss und mit

Geist hat uns hier Perret das Material zur Geschichte des alten Rätiens

zusammengetragen. Die Sammlung wird darum für den Spezialhistoriker und

Fachmänner der Philologie und Rechtsgeschichte den Untergrund zu neuen

Untersuchungen bieten können. Aber schon jetzt kann dem Verfasser da und.

dort eine neue selbständige Einstellung zu den Quellen nachgerühmt werden.

Wer in der Bündnergeschichte auf dem Laufenden sein will, wird dankbar

diese Monatshefte einsehen. P. Dr. Iso Müller

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S. *21: 38b. Römerzahl auf einem Ziegelfragment aus Sargans.

IX oder XI, mit schwärzlichem, brandartigem Überzug in den Furchen a. und

b. Aufgefunden in der Erzauffüllungsstelle in Malerva-Ratell, Richtung Vild.

Es handelt sich hier möglicherweise gemäss Jacobi um ein Zeichen für das

Datum der Prozedur vor dem Brande.

119a. Römische Truppenstempel aus dem zweiten Rätien.

LEG(io) III. ITALIC(a) oder ähnlich

LEG. ITALICAE I … oder ähnlich

LEG. IIII. ITAL.

C(ohors) I F(lavia) C(ommagenorum?)

F.C.N. oder FCN =F(iglina) C(aesaris) N(ostri)

COS C:N:S N S.C

122a. Orosius stellt Rätien in den bereich von Noricum und Pannonien

und dieses Ganze zwischen Moesien und Gallien und gibt die Grenzen

dieses ganzen Gebietes an. anno 417/418.

I. 2. 60. PANNONIA NORICUS ET RAETIA habent ab oriente Moesiam, a

meriede histriam, ab Africe Alpes Poeninas, ab occasu Galliam Belgicam, a

circio Danuvii fontem et limitem qui Germaniam a Gallia inter Danuvium

Galliamque secernit, a septentrione Danuvium et -germaniam.

S. *22: 61. ITALIAE SITUS a circio in eurum tenditur habens ab Africo Tyrrhenum

mare, a borea Hadriaticum sinum cuius ea pars qua continenti terrae con unis

et contigua est, Alpres obicibus obstruitur. qae a Gallico mari super Ligusticum

sinum exsurgentes, primum Narbonensium fines, deinde Galliam Raetiamque

secludunt, donec in. Liburnico defigentur.

63. GALLIA BELGICA habet ob oriente limitem fluminis Rheni et

Germaniam, ab euro Alpes Poeninas, a meridie provinciam Narbonensem, ab

occasu provinciam Lugdunensem, a circio oceanum Britannicum, a

septentrione Britanniam insulam.

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Übersetzung:

60. Pannonien (Ungarn), Noricum (Donauösterreich) und Rätien haben zur

Grenze im Osten Moesien (in Serbien und Bulgarien), im Süden Istrien, in

Südwesten die poeninischen Alpen (Walliser-Alpen), im Westen Gallien und

Belgien, im Nordwesten (oder N.-W.-N. ) den Donauquell und die Linie, die

Germanien von Gallien scheidet und endlich im Norden die Donau und

Germanien.

Anmerkung:

Man vergleiche hiezu die Anmerkungen zu Nr. 116 auf S. 218 dieser

Sammlung, die letzte Nummer des vorliegenden Heftes von Jordanes, sowie

alle übrigen Stellen, die in diesen Ideenkreis fallen.

Zu Nr. 127. Ein rätischer Codex enthält in halbunzialer, italische

anmutender Schrift die Prophezeiungen des Michaeas und des Jonas,

sowie sie in der lateinischen Vulgata von St. Hieronymus enthalten sind.

Aus dem 6. Jahrhundert.

Es handelt sich, hier um die Seiten 134-152 des Codex 567 der Stiftsbibliothek

St. Gallen, der einen Palimpsest darstellt. Die obere Schrift dürfte vor 800 (ca.

780?) in Chur entstanden sein, kam aber schon sehr früh nach St. Gallen. Die

ältere geschabte Schrift, gehört zur nämlichen wie in Cod. 193 der dortigen

Bibliothek. Sie stellt eine Vervollständigung der dort auf geführten Propheten

dar (Vgl. Nr. 127) und ist möglicherweise erst später von jenen abgetrennt

worden. Darüber siehe man Chatelain, Manser und Bruckner, wie wir sie

anlässlich Nr. 127 zitiert haben. Dazu beachte man Lehmann, Mittelalt.

Bibliothekkathaloge Deutschlands und der Schweiz 1, Nr. 16, 73, 2 -4.

S. 301: 132. Eugippus spricht vom Räterbischof St. Valentin, von der Schiffahrt

auf Inn und Donau, von der rätischen Bevölkerung an diesen Flüssen im

2. Rätien, von der Bauart rätischer Gotteshäuser und von der kirchlichen

Organisation.

Verfasst a. 511 in der Abtei Castellum Lucullanum bei Neapel.

Eugipii vita Sancti Severini (+482).

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III. 3. Igitur non multe post rates plurimae de partibus Raetiarum mercibus

onustae quae plurimis insperate videntur in litore Danuvii, quae multis diebus

crassa Eni fluminis glacie fuerant colligatae quae dee imperio mox salutae

ciborum copias fame laborantibus detulerunt. Tunc coeperunt omnes deum

insperati remedii largitorem continua devotione laudare, que se tabe diuturnae

famis interire credebant, fatentes evidentes rates extra tempus glaciali solutas

frigore servi dei precibus advenisse.

XV. 1. Quintanis apellabatur secundarum municiplum Raetiarum‚ super ripam

Danuvii situm huic ex alia parte parvus fluvius, cui Businca nomen est,

propinquabat. Is erebra innundatione Danuvii superfluentis excrescens

nonnulla castelli spatia, quiae in plano fundatum fuerat, occupabat. Ecclesia

etiam loci eius mansores extra muros ex lignis habuer constructam, quae

pendula extensione porrecta defixis in altum stipitibus sustentabatur et furculis,

cui ad vicem soli tabularum erat levigata coniunctio, quam, quotiens ripas

excessisset, aqua superfluens occupabat. 2. Quinaniensium itaque fide S.

Severinus illuc fuerat invitatus. Ubi, cum tempore siccitatis venisset,

interrogat, cur tabulata nudatis obstaculorum tegminibus

S. 302: apparerent. Accolae responderunt quod. frequenti fluminis alluvione quicquid

fuisset superstratum continuo laberetur. At ipse: "Sternatur" inquit, tabulatis

nunc in Christi nomine pavimentum ima videbitis amodo fluvium caelesti

iussione prohibitum Pavimento itaque perfecto ipse subter navi descendens

accepta securi postes facta oratione percussit atque ad aquam fluminis

venerandae crucis expresso signaculo dixit: "Non te sinit dominus meus Jesus

Christus hoc signum crucis excedere".

XV. 1. ... castelli presbyter... venerabilis Silvanus nomine... cum in ecclesia

feretro posito noctem psallentes duxissent ex more pervigilem iam clarescente

diluculo … presbyteros et diacones... ostiarium Maternum nomine... ianiter

ecclesiae... virginem consecratam... cum presbytero et diacone ianitoribusque...

Marci subdiaconi et Materni ianitoris....

XLI. 1. ...sancti Valentini, Raetiarum quondam episcopi ...

Übersetzung:

Des Eugippus Leben vom heiligen Severin (gestorben 462).

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III.3. Nicht viel später sah man an den Ufern der Donau wider Erwarten

mehrere in mit Waren beladene Flosse‚ die aus den rätischen Landen kamen‚

die ob des angeschwollenen Eises aus dem Innfluss zusammengebunden

waren. Diese Flosse brachten jenen die Hunger litten auf göttliches Geheiss,

Mengen von Nahrungsmitteln. Da begannen alle ob des unerwarteten

Heilmittels in böser Zeit, Gott in beständiger Hingabe zu loben, da sie bereits

glaubten wegen des andauernden Hungers untergehen zu müssen und

bekannten, es sei offensichtlich ‚ dass die Flosse bei abnehmender Kälte in

einer Zeit, da das Eis gerade schmolz eben auf die Fürbitte des Gottesmannes

(St. Severin) erschienen.

XV.1. Quintanis (Wischelburg) hiess eine Stadt (municipium) im 2. Rätien, an

der Donau gelegen. Hier in der Nähe befand sich auch ein kleiner Fluss

namens Businca, Dieser schwoll oft an von den überfliessenden Wassern der

Donau und überschwemmte bisweilen das Gebiet mehrerer geschlossener

Ortschaften (castella), die in der Ebene (in plano) gegründet waren. Auch eine

Kirche hatten die Bewohner dieser Gegend

S. 303: ausserhalb der Mauern der Ortschaften aus Holz erbaut. Dieselbe schwebte

über der Wasserfläche und wurde gestützt durch Balken und gabelförmige

Hölzer, welche in der Tiefe verankert waren. Die Stelle des Estrichs aber

vertrat eine Lage geglätteter Bretter, welche die Wasser überfluteten, sobald

sie aus den Ufern traten. Die Einwohner von Quintanis nun hatten voll

Vertrauen den heiligen Severin zu sich eingeladen. Da er zur Zeit der

Trockenheit hinkam, fragte er, warum der Bretterhoden ohne Bedeckung wäre?

Die Bewohner antworteten: weil durch das häufige Anschwellen des Flusses

noch stets alles, was man darüber gelegt hätte, fortgerissen worden wäre. Aber

jener sprach: Man bedecke jetzt im Namen Christi die Bretter mit dem Estrich.

Ihr werdet schon sehen, dass der Fluss von nun an auf himmlisches Geheiss

ferngehalten wird". Als das Dach vollendet war stieg er selbst in ein Schiff,

ergriff ein Beil und schlug, unter Gebet in die Balken, und nachdem er das

erwürdige Zechen des Kreuzes gemacht hatte, sprach er zum Wasser des

Flusses: "Nimmermehr lässt mein Herr Jesus Christus zu, dass du über dieses

Zeichen des Kreuzes hinausgehest" ….

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XVI.1. ... der Priester des Castells, namens Silvanus …. als man in der Kirche,

wie es Sitte war, den Katafalk aufgestellt und die ganze Nacht unter

Psalmengesang (Offizium) durchwacht (Vigil) hatte …. Priester und Diakonen

… den Pförtner namens Maternus … der Pförtner der Kirche .... eine geweihte

Jungfrau... mit einem Priester, einem Diakon und zwei Pförtnern …. des

Subdiakonen Marcus und des Pförtners Maternus... XLI.1. St. Valentin, ein

Bischof der beiden Rätien.

Weiteres über St Valentin.

1. Venantius Fortunatus bezeugt, dass es um 565 in Rätisch-Tirol. Valentini

benedicti templa gab, die - wo nicht im Eisack oder Rienztal - auf der Höhe

des Brennersattels gesucht werden müssen.

Darüber Heuberger, Rätien, I, S. 215 f. und S. 295.

2. Arbeo von Freising aber berichtet, "dass der beatus Christi Confessor

Valentinus, der allgemein und gewiss mit Recht dem " Valentinus benedictus"

gleichgesetzt wird, in den ersten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts in einer ihm

geweihten Kirche im Castrum Maiense (Mais- Meran) begraben lag". So

Heuberger loc. cit., der diesen Valentin von Mais-Meran nicht als Bischof

Valentin von Passau, von dem bei Eugippus die Rede war, gleichsetzt. Wir

möchten darüber keine Meinung abgeben. Wichtiger für das schweizerische

Rätien scheint uns aber Folgendes laut Decurtins, Rätoromanische

Chrestomatie, II. Band Surselvisch-Subselvisch

3. Il burschin de Sontg Valentin.

"Pli daditg tsc entava il pastur de vaccas an 1'alp in burschin en il terratsch sper

la biestga, entochen ch'el mava à gientar. Suenter haver tschentau il burschin

steva el enschanuglias et urava:

O bien Sontg Valentin!

Jeu mettel in burschin,

Pertgira mia biestga, entoch'jeu vom

Et entoch jeu veng. -

Jeu vi dir in paternies

E far alla biestga -na crusch sil dies

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S. 304: Sinquei scheva el in paternies e fagievaà scadin biestg la erusch sin il dies.

Alura mav' ei . gientar.

Suenter il retuorn curclav' el en il burschin cun terratsch et urava puspei in

paternies per engraziament."

"Vor langer Zeit errichtete der Kuhhirt auf der Alp einen Kräuterhaufen auf

dem Boden beim Vieh. So bis er etwa zum Mittag essen ging. Während er ihn

aufrichtete lag er auf den Knien und betete: O guter heiliger Valentin, ich

errichte einen Kräuterhaufen für mein Vieh, bis ich gehe und bis ich komme.

Ich spreche dir zur Ehre ein Vaterunser und mache dem Vieh ein Kreuz auf

den Rücken,

Während er das Vaterunser sprach machte er jedem Tier das Kreuz auf den

Rücken. Dann ging er zum Mittagessen. Bei seiner Rückkehr betete er von

neuem ein Vaterunser zur Danksagung."

Dazu Decurtins, op. cit.: "In dem gewiss alten Burschin de Sontg Valentin

schimmert ein Pflanzendämon durch, der vielleicht schon vor der

Christianisierung einem höheren Gotte weichen musste. Noch heute weiht man

dem heiligen Valentin eine schwarze Henne zum Schutze gegen Gichter bei

Kindern".

4. Il crapp de sogn Valentin

"A Pigneu mussan ins aunc il crapp de sogn Valentin. El schai buca da lunsch

sur la baselgia de sogn Valentin en ina muschna. Cura che sogn Valentin in ei

vegnius sur quolm a Pigniu, ha el entschiet ha pardagar. Mo la glieut leu era

marcladira de pagauns. Sogn Valentin ei vignius in di vilaus et ha detg: Jeu vi

mussar, che quei che jeu digiel, seigi ver. Ei glei ver aschi franc, sco jeu passel

cun mes peis en quei crapp, sin il qual jeu pretgial'. Et el ei passaus culs peis el

crapp, ch'ins encorscha aune oz ils fastitgs".

"In Panix zeigt man noch den Fels des heiligen Valentin. Er steht nicht weit

von der Kirche des heiligen Valentin auf einer Erhöhung. Als der heilige

Valentin auf die Höhe von Panix kam begann er gleich zu predigen. Aber die

Leute waren grobe, ungeschlachte Menschen und Heiden. Eines Tages erzürnte

sich der heilige Valentin und sprach: 'Ich will euch zeigen, dass das was ich

sage wahr ist. Es ist wahrhaftig so sicher, wie ich mit meinen Füssen auf dem

Felsen stehe auf dem ich predige Und er markierte mit seinen Füssen den

Felsen, der darum heute noch seine Fisspuren aufweist

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5. Wallfahrt zum hl. Valentin.

So die Sage und Überlieferung. Der hl. Valentin soll darnach in Panix unter

einem schützenden Stein gewohnt haben. Neben diesem Stein, auf dem er auch

predigte, steht heute die St. Valentins-Pfarrkirche, die seit dem Mittelalter als

Wallfahrtsort gilt. Er wurde namentlich von Fallsüchtigen und von solchen die

durch Krankheiten des Viehs geprüft wurden, besucht. Die heutige

spätgotische Kirche datiert jedoch erst aus dem Jahre 1465. Zu Beginn des 16.

Jahrhunderts kam die Wallfahrt jedoch stark in Abgang. Jedoch nach den

Begebenheiten von 1559 blühte sie neuerdings wieder auf. Seit 1667 ist Panix

Pfarrei.

S. 305: 6 . Dazu vergleiche man noch unsere Anmerkungen zu Nr. 109 auf S. 168. Wir

haben aber die obigen Dinge aus Panix und dem Bündner-Obenland

aufgeführt, da sie irgendwie im Stand sind ein Licht auf die Gründung und die

Bedeutung auch der Kirche auf Berg St. Valentin zu Rüti im Rheintal zu

werfen, worüber sonst tiefes Dunkel herrscht. Rüti aber ist der unterste Posten

im Planenland und deshalb von grosser Bedeutung. Hält man Rüti und Panix

als St. Valentins-Kirchen aber zusammen, so erscheinen die Bezirke

Werdenberg und Sargans dazwischen eingespannt. Trotz der traditionellen

neuen Anhaltspunkte von Feldkirch und Jenins ist der St. Valentinskult aber

daselbst heute keineswegs verbreitet.

7. St. Valentin als Bischof. St. Valentin wird als Bischof beider Rätien

aufgeführt. Er figuriert in der Churer Bischofsliste aber nicht.

Merkwürdigerweise wird sein Fest aber heute im ganzen Bistum am gleichen

Tag gefeiert wie das des Bischofs St. Asimon!

Anderwertige Bemerkungen.

III.1 von der Schiffahrt auf Donau und Inn bestärkt auch die Schiffahrt auf

dem Rhein, von der in Nr. 117 ad. a. 354 resp. 390 die Rede war. Eine solche

Schiffahrt mit Flossen war natürlich auch auf dem Rheine unterhalb Landquart

gut möglich.

Auch in Abschnitt XV.1 sind die beiden Rätien erwähnt, sowie geschlossene

Castella und Municipia. Die Personennahmen sind sämtliche romanisch.

Einzelne einfache, kirchliche Bauten gab es im 5. Jahrhundert auch schon auf

dem Lande‚ neben der Kathedralkirche.

- 11 -

Solche leichte Bauten konnten begreiflicherweise keine Spuren bis in unsere

Zeiten hinein zurücklassen. Auch die kirchliche Organisation war schon bereits

gut ausgebildet, gab es Bischöfe‚ Priester‚ Diakonen, Subdiakonen und

Torwarte, also kirchliche Ämter zu denen Weihen führen, die in höher und

niedere unterschieden werden. Daneben gab es auch Mönche mit ihren Äbten

als Vorgesetzte, sowie gottgeweihte Jungfrauen. Auch Schlüsse auf die

Liturgie im alten Rätien lassen sich aus den obigen Texten ziehen. Aus der

Haltung des hl. Severin ergibt sich auch, dass man bereits auch auf eine

Hebung der Würde der Landgotteshäuser bedacht war. Es wäre auch gar nicht

uninteressant diese Zustände zur Argumentation zu Nr. 131 herbeizuziehen.

Besondere Erwähnung verdient auch die Tatsache, dass des Nachts in der

Kirche psalliert wurde (CXVI.1). Es ist dies offenbar das nächtliche Officium

der Vigilien. Im römischen Militwachtdienst wurde die Nacht nämlich in vier

Vigilien oder Wachtschichten zu je drei Stunden abgeteilt. Die Nachtzeit

wurde von Abends 6 Uhr bis morgens 6 Uhr berechnet. Daran anschliessend

hielten auch die Christen Nachtschichten für ihr ewiges Gebet, das somit aus

drei Nokturnen, die zusammen Matutin genannt wurden, und den Laudes bei

Tagesgrauen bestand. Jede dieser Gebetsstunden besteht fast ganz aus Texten

der hl. Schrift, vornehmlich aus Psalmen. Bei den Nokturnen kommen noch

ziemlich lange Lesungen aus der heiligen Schrift oder aus den Kirchenvätern

hinzu. Wenn nun in Rätien auch in kleineren Kirchen

S. 306: wie in Quintanis bisweilen dieses Stundengebet abgehalten wurde, so begreift

man, dass man um so mehr an der Kathedrale zu Chur damals und schon früher

Handschriften der Propheten (Nr. 121) und der Psalmen (Nr. 130) benötigte.

Wenn die Psalmen dazu den Hauptteil dieses Officiums aus machten, so

begreift man, warum die Psalmenerklärungen des h. Hilarius von Poitier auch

in Niederrätien bekannt waren. Man wollte eben diese Lieder, die man stets

zum Gottesdienst brauchte auch tiefer verstehen.

Dem erwähnten Nachtofficium stand ein Tagesofficium gegenüber, das

ebenfalls aus vier Horen oder Stundengebeten zusammengesetzt war und zur

ersten (Prim), dritten (Terz), sechsten (Sext) und neunten (Non) Tagesstunde

abgehalten wurde, gerechnet von Morgens 6 Uhr an.

- 12 -

Dazu kam noch ein Abendgebet (ad vesperas, Vesper) und ein Gebet zum

vollständigen Abschluss des Tages (completorium, Komplett) bei

Nachteinbruch.

Auch dass dieses Gebet gemeinsam von Priestern Diakonen, Subdiakonen und

Janitoren abgehalten wurde ist wichtig. Es war also bereits eine Art

gemeinsames Chorgebet.

133. Der Lexikograph Stephanos von Byzantion erwähnt die Alpen und

den Rhein und hält die Räter für Thyrrhener‚ d.h. Etrusker.

Verfasst wohl zwischen 528 und 535.

S. 307: Übersetzung:

Alpeia: Gestade nördlich des thyrrheneischen und ionischen Meeres. Die

Einwohner werden Alpeioi (Alpenbewohner) genannt. Man sagt auch Alpeis

(Alpen), Alpeia-Berge und Albia. Die Schreibart ist nämlich zweifach, nämlich

mit p oder mit b. an sagt auch die Region Albia mit b geschrieben.

Rhenoi: Volk das am Rheine (Rhenos) wohnt. Von diesem kommt der Name.

(Andere Formen: Rhenea, Rheneia, Rhenaia, Rhenaies, Rhenaici. Ethnikon

Rhenaios und Rhenaia = das Rheinlandvolk. Früher lautete die Form wohl

Rhenaieus. Das obige entspricht etwa dem lateinischen Rheni für Rheinländer,

statt Rhenani).

Rhaitoi (die Räter): Tyrrenische Völker.

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Vom Rheintalvolk.

Wir haben oben die Varianten von Rhenoi, die auch neben Stephanos von

Byzanz vorkommen, in Klammer gesetzt. Rhenoi bedeutet also Rheintaler. Der

Form nach entspricht es etwa dem werdenbergischen Geschlechtsnamen

Rhyner. Diese Rhenoi, lat. Rheni, deutsch Rheintaler wohnten also in der Nähe

des Rheins. Alexandrinus sucht sie in seinem geographischen Lexikon

zwischen den Rätern und Helvetern. In diesem Fall wären sie etwa das kelto-

rätische Mischvolk im Untern St. Galler- und Vorarlberger Rheintal‚ also die

Einwohner des späteren Rheingaus. An diesen Fall glauben wir jedoch nicht!

Unter den Rhenoi verstehen wir einfach sämtliche Anwohner des Rheins.

Die Räter als Tyrrhener.

Oben berichtet Stephanos, dass sich die Alpen nördlich des ionischen und

tyrreneischen Meeres ausdehnen. Das ionische Meer aber ist das Meer, das

zwischen Griechenland und Süditalien liegt. Stephanos hat hier damit aber

auch das adriatische gemeint. Das tyrrhenische Meer hingegen ist jenes, das

die ganze Westküste Italiens bespült. Der Ausdruck kommt von den Tyrsenern

(Tyrseni), was das Selbe bedeutet wie Etrusci (Etrusker) oder Tusci. Diese

Völker wohnten hauptsächlich in Etruria, Tuscia oder Toscana, dehnten sich

aber von da weit gegen den Norden hin aus, und zwar bis in die Alpen. Um die

alten Autoren, die die Räter als Etrusker betrachten, leicht nehmen zu können,

sind die antiken Zeugnisse zu zahlreich, denn Stephanos ist nicht der einzige,

der die Bewohner der Alpen zwischen dem ionischen und tyrrheneischen Meer

für Tyrrhener, d.h. Etrusker hält. Wir geben hier zur Sichtung des

diesbezüglichen Quellenstandes eine

Uebersicht über die Autoren, die vom Volkstum der Räter sprechen

Nr. 1 Livius 27 v.-17 n. Chr. Etrusker

3 Inschrift 12 vor J. C. (Venoto- Illyrer)

9 Strabo ca. 18 nach J. C. (Veneto-) Illyrer (im Gegensatz

zu den Helvetern aber mit kelto-

boischem Einschlag).

S. 308: Nr. 12 Velleius 30 nach J.C. (Illyrer)

14 Mela 43/44 (Veneto- Illyrer)

- 14 -

18 Plinius 77 Etrusker (Veneto-Illyrer)

37 Tacitus ca. 100 (Den Helvetern gegensätzlicher

S. 230 Stamm aber mit kelto-boischem

Einschlag)

Nr. 40 Suetonius 120 (Illyrer)

50 Appianus ca. 160 Illyrer (Gallier)

48 Ptolemaeus ca. 150 (Veneto- Illyrer)

ad 56 Inschrift - (Etrusker) S.*17

58 Acro II/III Jahrh, Gallier

59 Porphyrio Anf. III. Jh. Cisalpines Volk

73 Inschrift 222/229 (den Galliern gegensätzlich)

74 Inschrift 222/229 (den Galliern gegensätzlich)

75 Inschrift 222/229 Gallier

76 Cassius Dio ca. 229 (den Tridentinern beigeordnet

und den Galliern gegensätzlich)

100 b Solinus III/IV. Jh. Illyrer

118 Servius Ende IV. Jh. Veneto liburnische Illyrer Söhne

der skythischen Amazonen.

126 Zosimos 470/490 Kelten

133 Stephanos 528/535 Tyrrhenische Etrusker

Anmerkung: Die in Klammern gesetzten Zeugnisse sind indirekt, von den

Autoren unbewusst niedergelegt, oder aus ihnen durch naheliegende

Schlussfolgerung gewonnen. Dazu lese man die Anmerkungen zu den

einzelnen Nummern nach.

Klassierung der Zeugnisse nach Völkerstämmen

1. Etrusker: Justinus, 3. Jahrhundert.

Livius zw. 27 vor u. 17 nach J. Chr.

Plinius 77 nach J. C.

(Inschrift) - (vgl. ad Nr. 56 S. *17)

Stephanos 528/535

2. Illyrer

(Inschrift) 12 vor J. C.

- 15 -

Strabo ca. 18 nach J.C,

(Velleius) 30

(Mela) 43/44

(Sueton) 120

Appianus ca. 160

(Ptolemaeus) ca. 150

Solinus III/1V. Jh.

Servius Ende IV. Jh.

3. . Kelten

(Strabo) ca. 18 nach J.C. Kelt. Einschlag.

(Tacitus) ca. 100 Kelt. Einschlag.

Acro II/III. Jh.

Inschrift 222/229

Zosimos 470/490

Negativ: Strabo, Tacitus, Inschriften Nr. 73 und 74, Cassius Dio.

S. 309:

Aufführung der Zeugnisse, die Rätien zu Italien rechnen:

Nr. 59 Porphyrio Anf. III. Jh. Cisapines Volk

76 Cassius Dio ca. 229 Der Tridentinern beigeordnet

102 Laterculus anno 297 Politisch

Veronens.

115 Polemius 385 Politisch

Silvius

119 Not. Dign. ca. 400 Politisch

121 Palimpsest 402/412 Kulturell

124 Declaratio 452 Kirchlich

127/30 Palimpseste V/VI. Jh. Kulturell

131 Ennodius 506/7 (Politisch)

Schlussfolgerung: Aus diesen Quellen ergibt es sich, dass die Räter zunächst

ein Völkergemisch von Etruskern, Illyrern und Kelten sind die alle die

römische Kultur angenommen haben und so Italien beigegliedert wurden.

- 16 -

Nach dem Quellenbestand möchte man tatsächlich glauben, dass bei diesem

Völkergemisch die Illyrer wirklich den Hauptbestand ausmachten, dass die

etruskischen und keltischen Einschläge aber ziemlich erhebend waren, Rätien

lag ja tatsächlich zwischen Illyrien, Italien und Gallien. Diese drei haben also

gemeinsam die Steine geliefert zum Aufbau des rätischen Hauses. Wir

glauben, dass hier die Spezialwissenschaft, wie die Archäologie und die

Philologie kaum zu andern Resultaten gelangen wird. Namentlich vom

etruskischen Standpunkt aus aber ist es interessant die

Ansicht einiger Vertreter der Spezialwissenschaft zu hören.

1. R. Thurneysen. Italisches I. Die etruskischen Räter. Glotta, XXI. 1933,

S. 1ff.

R. Thurneysen hält die Räter für Etrusker, ausgehend von Livius, "... Eine

gewisse Bestätigung dieser Angabe hat man zwar in einigen der Inschriften in

dem Alphabet, das Pauli, das von Bozen genannt hat, aber andere Zeugnisse

(hat man) vernachlässigt oder nicht genügend betont" Dann behandelt er

zuvörderst die Inschriften von Magrè (südwestlich von Schio) auf geglätteten

Stücken von Hirschgeweihen, die von Pellegrini, Notizie degli Scavi, XVI. 169

ff, faksimiliert und analisiert und von Whatmough, The Classical Quarterly

XVII 61 ff., nach eigener Prüfung besprochen worden sind…"

S. 3: "Pellegrini (S. 203 ff.) hat sich grosse Mühe gegeben, zum Teil auf Grund

archäologischer Funde zu beweisen, dass die Inschriften von einem

Bestandteile der Euganeer herrühren. Diese, die von den Alten nicht zu den

Rätern gezählt werden (cf. Pauli, Veneter S. 414), scheinen einst in Venezien

gesessen zu haben, aber von den Venetern in westlichere Alpentäler verdrängt

worden zu sein. Unter sie hätten sich dann die das Po-Gebiet beherrschenden

Etrusker gemischt und hätten einen starken Einfluss (un impronta speciale

spiccatamente propria. S. 205) auf sie ausgeübt.

S. 310: Dieser Einfluss müsste allerdings ungeheuer stark gewesen sein, wenn die

Euganeer nicht nur Namen und andere Wörter, sondern sogar die

Verbalflexion oder was wir Indogermanisten so nennen, übernommen, d.h.

sprachlich zu Etruskern geworden wären (warum denn nicht? Viele Räto-

Romanen sind auch zu Deutschen geworden.).

- 17 -

Viel wahrscheinlicher wäre dann, dass sie von Haus aus eine dem etruskischen

verwandte Sprache gesprochen hätten, und das wäre ein gewaltiges Argument

für die Einwanderung der Etrusker von Nordosten her (nach Italien). Aber sein

Beweis ist nicht durchschlagend, zumal auch er eine Mischung der Euganeer

um Magrè mit den Rätern oder eine Überlagerung (sovraposizione) jener durch

die Räter annimmt (vgl. Plinius, hist. nat., der Verona ein oppidum Raetorum

et Euganeorum nennt). So hat Whatmough mit Recht die Inschrift den Rätern

zugeschrieben. Aber auch er hat die Angaben der Alten sehr verwässert. Er hat

ohne einen zwingenden Beweis die Räter für Westindogermanen,

wahrscheinlich gemischt keltisch- illyrischen Ursprungs (Vgl. Anmerkungen

zu Nr. 118 oben) die zu irgend einer Zeit eine beträchtliche (considerable)

Beeinflussung durch mit ihnen gemischte Etrusker erfahren hätten (S. 69).

Livius Angabe deutet er (S. 71) dahin um, dass die Sprache der Räter einige

etruskische Einflüsse verriet, aber nicht etruskisch war. Nun, welches Blut in

den Adern der verschiedenen rätischen Stämmchen floss, können wir nicht

beurteilen, und der illyrische Klang einiger Ortsnamen soll nicht geleugnet

werden. Aber dass sie eine etruskische Mundart sprachen, die gewiss nach der

weiten Trennung von der Hauptmasse der Etrusker eine Sonderentwicklung

durchgemacht hatte und auch in den einzelnen Alpentälern unterschiedlich

gewesen sein wird, zeigen ihre sprachlichen Denkmäler, so weit wir immer

ihrer habhaft werden können.

S. 6. "Eine andere Bestätigung des Etruskischen der Räter scheinen mir die

lepontischen Inschriften zu liefern.

2. Paul Kretschmer, Die Etruskerfrage und die Inschriften von Magrè.

Symbolae philologieae Danielsson dicatae. Upsala 1932, S. 134 ff

"Die Entwicklung des Jahrtausende alten Problems des Ursprungs der Etrusker

drängt m.E. zu der Lösung, die ich kürzlich in der Glotta, XX. 219 ff. skizziert

habe: beide sich bekämpfenden Theorien, sowohl die herodotische, dass die

Etrusker aus Kleinasien über andere Länder hinweg nach Italien gekommen

seien, wie die auf Dionysios von Halikarnass beruhende, wonach die Etrusker,

die sich selbst Rasennen nach ihrem Führer (also mit Gentilnamen) nannten

(vgl. die Benennung der Osmanen nach dem Gründer ihres Reiches Osman,

der Seldschuken nach Seldschuk), in Italien autochthon waren, haben im

- 18 -

Wesentlichen recht. Die Etrusker waren allerdings Einwanderer aus der

Aegaeis, aber sie fanden bei ihrer Ankunft in Italien eine ihnen engverwandte

Urbevölkerung vor, die von den eingewanderten Indogermanen überschichtet

war und denen vermutlich der Name Rasennen zukam. Wie weit diese

Urbevölkerung bei dieser Einwanderung der Etrusker, d.h. am Anfang des

ersten Jahrtausends vor

S. 311: Christi schon mit der indogermanischen Oberschicht verschmolzen war und

wie weit Reste damals noch Sprache und Volkstum, bewahrt hatten, wissen wir

nicht, doch letzteres nach Analogie der griechischen Völker zu erwarten, wo

sich die Sprache der Urbevölkerung auf Kreta bis ins IV. Jahrhundert vor

Christi erhalten hatte.

Von der Sprache der etruskischen Einwanderer vor ihrer Verschmelzung mit

der rasennischen Urbevölkerung und wahrscheinlich auch mit umbrischen

Stämmen in Etrurien geben uns die tyrrhenischen Inschriften von Lemnos eine

Vorstellung, von denen bis jetzt nur die berühmte Grabstele von Kamina

bekannt ist, die von der italienischen archäologischen Schule in Hephästia

ausgegrabenen Vasenscherben mit Inschriften aber wohl bald veröffentlicht

werden. Die Unterschiede der italisch etruskischen Sprache von der lemaisch-

tyrrhenischen, müssen der Sprache der rasennischen Urbevölkerung auf

Rechnung gesetzt werden. Anderseits lehren uns die rätischen Inschriften die

Sprache der rasennischen Urbevölkerung in Norditalien unvermischt mit der

der etruskischen Einwanderer kennen (allerdings muss man auch mit zeitlichen

und dialektischen Verschiedenheiten rechnen), denn wir haben natürlich

nunmehr in den Rätern mit Pareti, Origini Etrusche, I., 201 ff. u.a. die

nördlichsten Vertreter dieser Urbevölkerung zu sehen. So gewinnen jetzt die

rätischen Inschriften für die Etruskerfrage eine erhöhte Bedeutung.

Zu den schon früher bekannten Inschriften, die den Rätern zugeschrieben

wurden, den im nordetruskischen Alphabet von Bozen-Trient geschriebenen

aus Tirol, und denen des Alphabet von Sondrio, sind durch die Ausgrabungen

von G. Pellegrini auf dem Kastellhügel von Magrè, l km. von Schio bei

Vicenza, einige zwanzig Inschriften auf Stücken von Hirschhorn gekommen,

die ihr Entdecker in den Notizie degli Scavi, 1918, S. 169 ff, veröffentlichte.

Sie sind anfangs wenig beachtet worden.

- 19 -

Pareti a.a.O. hat sie noch im Jahre 1926 übersehen. Doch wurden sie von I

Whatmough schon 1921 im Journal of Roman Studies, XI, 24 ff. und in The

Classical Quarterly, 18 (1923) 61 ff. wissenschaftlich gewürdigt, und während

der Abfassung dieser Zeilen ging mir von R. Thurneysen das Manuskript eines

Aufsatzes "Die rätischen Inschriften" zu, der in Glotta, XXI veröffentlicht

werden wird und auf den ich mich im Folgenden beziehen werde (siehe oben

S. 309).

Pellegrini a.a.O. 203 f. wollte die Inschriften den Euganeern zuschreiben.

Geographisch wäre dies möglich: Livius I.1 beschreibt sie als ein Urvolk

zwischen Alpen und Adria, aber von ihrem Volkstum wissen wir nichts, ausser

dass sie als Bevölkerung von Verona mit den Rätern zusammen genannt und

die Camuner in der heutigen Val Camonica von Strabo als rätischen Stammes

von Plinius aber als Euganeer bezeichnet werden. Der Name Camuni erinnert

an den etruskischen Personennamen Camonius, den Schulze, Lateinische

Eigennamen, 140 nachweist. Vielleicht waren also die Euganeer Verwandte

der Räter und Vertreter der rasennischen Urbevölkerung östlich

S. 312: von diesen. Whatmough hat gewiss richtig die Inschriften von Magrè den

Rätern zugewiesen, denen die verwandten Inschriftengruppen zugehören. Aber

er findet in diesen Texten zwar etruskische Casusendungen, aber vorwiegend

keltisch-italische oder illyrische Namenselemente. Thurneysen hat mit Recht

gegen diese Ausführungen Einspruch erhoben. Wathmough sieht überall nur

Namen von Weihenden in diesen Inschriften, die Pellegrini allerdings mit

Recht als Weiheinschriften aus den favissae eines Hem Kastell bei Magrè

aufgefasst hatte, er folgte nicht der offenbar zutreffenden Vermutung von

Conway (Classical Quarterly 18, 67), dass in den Wortformen, auf -ake, -axe

etruskische Praeteritae vorliegen, sondern hielt sie für Personennamen mit dem

keltischen oder illyrisch-venetischen Suff ix -ako-...

S. 141: .. Nun war aber in der Zeit, der unsere Inschriften angehören, ein

Einfluss der Umbrer auf die Bevölkerung von Magrè wegen der räumlichen

Entfernung unmöglich. Er ist nur denkbar für die Urzeit, in der die umbrischen

Stämme Von Norden her in das östliche Oberitalien einwanderten und mit der

dortigen Urbevölkerung verschmolzen.

- 20 -

Dann lassen also die Inschriften von Magrè in jene Periode der Ankunft der

indo-europäischen Stämme (und zwar der spätesten Einwanderer) auf der

Appenninenhalbinsel blicken und zeigen uns, wie ihr Zusammentreffen mit der

rasennischen Urbevölkerung stellenweise verlief, dass es zu einer

Mischsprache führen konnte, die sich in isolierten Gegenden wenigstens bis in

die vorrömische Zeit erhielt.

Freilich diese Mischsprache mit ihrem Nebeneinander von rasennischen und

umbrischen Flexionsformen ist sehr merkwürdig - so merkwürdig, dass uns die

wenigen Proben, die die Inschriften bieten, fast zum Beweise nicht genügen,

dass wir noch eine Bestätigung brauchen könnten. Das liegt am geringen

Umfang und der nicht sehr grossen Zahl dieser Inschriften. Immerhin scheint

aber der Tatbestand derartig, dass die Deutung jener Formen als

indogermanisch-italische und die Annahme der Sprachmischung erwogen

werden muss. Wenn wir sie billigen, erhalten wir ein eigenartiges Zeugnis für

die Gegend und Richtung, in der die Einwanderungen der Indogermanen in

Italien erfolgten, und für die Verschmelzung mit der Urbevölkerung, die dabei

eintrat.

3. Vittore Pisani: La lingua degli antichi Reti. Archivio per l'Alto Adige,

Annata XXX- 1935- XIII, Parte Prima, S. 91 ff.

S. 100 f. zu deutsch aus dem Italienischen: "Über die Beziehungen zwischen

Rätern und Etruskern haben wir, wie bekannt, drei alte Zeugnisse: von Livius

(V 33), von Plinius (I1I.24) und von Justinus (XX.5). Das Zeugnis des

Padovaners Livius aber hebt klar ab jenem der beiden andern. Justinus sieht,

nach Trogus Pompeius, in den Rätern jene

S. 313: Etrusker, die früher in der Poebene wohnten, und anlässlich des gallischen

Einfalles ca. 390 vor Chr. von dort in die Alpen vertrieben worden wären. Ein

ähnliches Zeugnis gibt Plinius, zweifelsohne ebenfalls nach Trogus, vielleicht

aber auch nach Cornelius Nepos, nur dass er sich weniger bestimmt ausspricht.

Livius hingegen sieht in den Rätern ein etruskisches Volk, das eine Art

Vorposten des etruskischen Reiches bildet, das nach ihm besetzte: trans Padum

omnia loca, excepte Venetorum angulo .... usque ad Alpes, indem er ferner

sagt: Alpinis quoque ea gentibus (siehe Nr. 1 dieser Sammlung.)

- 21 -

Der Unterschied dieses Zeugnisses zu den obigen kann nicht mehr verborgen

werden. Es ist klar, wir stehen hier vor zwei verschiedenen Gesichtspunkten

der Historiker über ein dasselbe Argument. Da aber sowohl Livius als auch die

beiden andern Geschichtsschreiber (samt ihren Quellen), als Transpadaner eine

diesbezügliche auf der Wirklichkeit fussende Geschichtstradition gekannt

haben müssten, falls es eine solche gegeben hätte, und da sie also in diesem

Falle unter sich hätten übereinstimmen müssen, so muss man unbedingt den

Schluss ziehen, dass die vorliegenden beiden Gesichtspunkte nichts anderes

sind als zwei Hypothesen die eine wirkliche Gegebenheit erklären sollten,

nämlich die Ähnlichkeit dem Etruskischen und Rätischen. Diese beiden

Hypothesen waren aber wiederum auf einer andern Gegebenheit begründet,

nämlich auf der etruskischen Vorherrschaft in der Poebene vor dem Einfall der

Kelten, Wir können also somit sagen, dass uns das Altertum keine direkte

Tradition über den Ursprung der Räter zurückgelassen hat, und dass wir, um

diesen zu erklären, zu andern Hilfsmitteln Zuflucht nehmen müssen. Es

kommen hier in Betracht namentlich die Archäologie und die

Sprachwissenschaft.

Was die Archäologie anbelangt, ist die Antwort hier aber negativ. Wir haben

schon gesehen wie Whatmough mit Recht die Spärlichkeit und Neuheit der

archäologischen Belange etruskischer Natur aus der rätischen Zone betont. Es

ist klar, dass diese Fundgegenstände nichts anderes sind als

Handelsimportartikel. Wenn das rätische Gebiet wirklich zum etruskischen

Reich gehört hätte, oder wenn in den rätischen Bergen tatsächlich eine

Bevölkerung gewohnt hätte, die beim Einfall der Gallier sich hieher verlegt

hätte, so müsste der kulturelle Anblick Rätiens ganz anders jenem des

wirklichen Etrurien ähnlich sehen, als dies tatsächlich der Fall ist. Wir müssten

da Funde von ganz anderer Bedeutung vorfinden, steht es ja fest, dass diese

Räter vom vermeintlichen Mutterland erst nach der Zeit der höchsten Blüte der

etruskischen Kultur abgetrennt worden wären und dass in diesem von

feindlichen Einfällen geschützten Winkel sich die antiken etruskischen Formen

ganz anders hätten erhalten müssen.

Die Antwort eines Zweiges der Sprachwissenschaft, nämlich der

Ortsnamenforschung, die in Fällen, wie hier einer vorliegt,

- 22 -

wegen dem beinahe vollständigen Mangel an geschriebenen Monumenten, ein

ganz ausnahmsweises Gewicht hat, lautet ganz ähnlich. Die Frage wurde vor

Jahren vom besten Kenner etschländischer Ortsnamen studiert, nämlich von

Carlo Battisti. Unter seinen Schlussfolgerungen findet sich auch Folgende:

S. 314: "Während es in der Anaunia und im Trentino eine Reihe etruskischer

Ortsnamen gibt, sind im obern Etschgebiet Namen dieser Sorte zum Mindesten

sehr selten und beschränken sich auf die Nachbarschaft von Bolzano. Wenn

wir die Verhältnisse der oberetschländischen Ortsnamen mit jenen der Toscana

vergleichen, so bemerken wir, dass in der Letzteren die vorlateinischen

Ortsnamen in ihrer Mehrheit etruskisch sind, während sie an der oberen Etsch

fast in ihrer Gesamtheit nicht etruskisch (alloetruschi) sind.

Die teilhaften und selbstverständlich provisorischen Analysen der rätischen

Inschriften, die wir oben zu geben versuchten, hat uns dazu geneigt gemacht,

die indoeuropäische Natur der rätischen Sprache zu leugnen‚ Natur, die im

Gegensatz dazu bei den ligurischen oder venetischen Inschriften offensichtlich

ist. Anderseits haben wir im Rätischen gemeinsame Elemente gefunden mit

dem vorindoeuropäischen Substrat im Ligurischen und im Venetischen....

S. 103 f. Wenn es erlaubt ist sich über den Charakter einer Sprache

auszusprechen, gestützt auf die spärlichen Zeugnisse, die uns vom Alträtischen

bleiben, so können wir sagen, dass diese eine vorindoeuropäische-Sprache ist

von der einige Lautbestände sich an das vorindoeuropäische Substrat des

Ligurischen und des Venetischen anschliessen, einige andere hingegen an

jenes des Etruskischen. Besonders die Letzteren interessieren uns hier, da sie

ihr Gewicht haben können in der Lösung der Frage nach dem Ursprung der

Etrusker. Aber eines ist ohne weiteres klar, nämlich, dass, das Rätische weder

das Etruskische selbst ist, noch ein etruskischer Dialekt. Es scheint mir auch

klar, dass die gemeinsamen Elemente im Rätischen und Etruskischen

Isoglossen und nicht spätere sprachliche Einführungen von aussen her sind,

abgesehen von einzelnen Worten, bei denen man an Leihworte denken kann,

weiss man ja welche Bedeutung die Etrusker für die gesamte Kultur

Oberitaliens hatten.

Frage: Müssen wir daraus nun schliessen, dass die Etrusker die Ureinwohner

Etruriens seien, und dass ihre Sprache deshalb Gemeinsames zum Rätischen

und zu den andern vorindoeuropäischen Sprachen der Halbinsel aufweise?

- 23 -

Allerdings wäre das nach den sprachlichen Gegebenheiten aus Rätien möglich.

Aber es scheint mir, dass die etruskisch-mikrasiatisch-aegaeischen

Zusammenhänge zu evident seien. Auch wäre das Entstehen einer so hohen

Kultur in Etrurien in so schroffem Gegensatz zu jener Kultur die unmittelbar

an sie angrenzt (cf. P. Ducati, Etruria Antica 1.33, Gli Etruschi, 20 ff.) allzu

befremdend, um so mehr, wenn man bedenkt, dass jene Kultur, obwohl sie sich

schon zu myzenischer Zeit an die griechische anlehnt, zu eigene

Charaktereigenschaften besitzt als dass man sie als das blosse Resultat einer

Einführung auf dem Handelsweg betrachten könnte. Die Einwanderung der

Etrusker aus Kleinasien scheint mir deshalb unumstösslich.

S. 315: Eine Verwandtschaft der vorindoeuropäischen Sprachen des alten Mittelmeer-

raumes von Iberien bis nach dem Kaukasus, ist in den letzten Jahren immer

mehr hervorgehoben worden. Man braucht also darob durchaus nicht mehr zu

staunen, wenn auch einige Sprachelemente der eingewanderten Etrusker mit

einigen andern der Urbevölkerung zusammenfallen... Hier taucht aber eine

Frage auf, der man vielleicht nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hat, die sie

verdient: Ist die etruskische Sprache, so wie wir sie kennen, d.h. so wie sie sich

aus den Monumenten ergibt, wirklich die Sprache der eingewanderten

Etrusker, oder hat in ihr etwa noch die Sprache der vorindoeuropäischen

Völker Italiens teil, denen sich die neu ankommenden aufpflanzten, und wenn

ja um wieviel das? .... Die Tatsache, dass in der etruskischen Sprache sich bis

ins Lexikon hinein evidente Spuren von italischen indoeuropäischen Sprachen

finden, lässt uns vermuten, dass jene Elemente noch viel zahlreicher sind,

welche die einwandernden Tyrrhener von sprachähnlichen Urbevölkerungen

aufgenommen haben müssen. Es ist eine allbekannte Sache, dass der Einfluss

von einer Sprache auf die andere um so stärker ist, als die beiden Sprachen sich

gleichen. Solche Mischungen führten bekanntlich nicht nur zur Aufnahme

ganzer Worte, sondern auch morphologischer Elemente .... Wenn nun Battisti

ein um so grösseres Zunehmen von Ortsnamen etruskischen Typus bemerkt, je

mehr man dem Etschfluss entlang südwärts gehe, so scheint mir das weniger

eine Abnahme des etruskischen Einflusses gegen Norden hin zu sein, als

vielmehr auf eine gemischte Grenzzone zu deuten zwischen vorindo-

europäischen Bevölkerungen, die lebten bevor die Etrusker ankamen.

- 24 -

Wenn nun das Etruskische und das Rätische die Bildung des Gentiliziums auf -

u und des Verbums auf -ke gemeinsam haben, so erklärt sich das genügend

durch die Hypothese, dass die zwei Elemente sowohl der rätischen Sprache

angehörten, als auch jener die die vorindoeuropäischen Völker sprachen, denen

sich dann später die Etrusker aufpflanzten. Es ist vielleicht kein Zufall, dass

die Bildungen auf -u und -ke gerade auf dem säulenschaftartigen Grabmal von

Lemno fehlen. Wenn wir so zugeben, dass auf den etruskischen Monumenten

nebst der Sprache der Tyrrhener auch jene der Urbevölkerung zur Geltung

komme, so erklärt sich die von Livius (V. 33) bezeugte Ähnlichkeit zwischen

Etruskisch und Rätisch zur Genüge. Diese Ähnlichkeit ist es, die den Livius

und die anderen Autoren zu weiteren Schlüssen verleitet hat. Das Genitivsuffix

auf -s kann für eine antik-indoeuropäische Form gehalten werden, denn die

indoeuropäischen Völker mussten nicht weit nördlich der alpinen, rätischen

etc. wohnen. Sein Wiederkehren im Etruskischen kann der gleichen Ursache

zugeschrieben werden, wie die Bildungen auf -u und -ke".

So kann Pisani zum Schluss (S. 107) erklären, dass er auf andern Wegen zu

ähnlichen Resultaten gelange wie Kretschmer. Dann aber zur

Vervollständigung noch: "Den etwas allzu einheitlichen Begriff Rasener

möchten wir ersetzen mit jenem von Rasener für die Toscana und ihre

Umgebung, während wir

S. 316: die andern Völker Italiens, die zu ihnen verwandt sind, Protoligurer, Räter etc.

nennen möchten. Den letzteren Ausdruck möchten wir jedoch lieber durch die

Bezeichnung Urräter ersetzen, warum werden wir noch sehen.

Stellungsnahme.

Nach den obigen Ausführungen wären die Räter, die Urbevölkerung Italiens

und der daran angrenzenden Alpen und als Vorindoeuropäer älter als die

indogermanischen Italiker (Sabeller oder Samniter, Umbrer, Osker, Latiner),

und älter als die noch jüngeren Etrusker. Auffallend aber ist, dass die Funde,

welche diese Schlüsse gestatten, lediglich aus dem Etschgebiet und dem

sonstigen Norditalien stammen, dass sie von Trient an talaufwärts immer

seltener werden und etwa in der Gegend von Bolzano ganz aufhören. Das

nördliche und das westliche Rätien scheint also diesem Bereich doch nicht

anzugehören, und faktisch, wie heute die Urgeschichtsforschung feststellt,

- 25 -

seit rund 500 vor Christi Geburt, im Grossen und Ganzen dem veneto-

illyrischen Bereich anzugehören (Vgl. Nr. 118). Das Urrätertum

praeindoeuropäisch-rasenischer Färbung ist also in italienisch Rätien

anscheinbar allein für uns noch nachspürbar erhalten geblieben. Es kommt

daher vielleicht nicht von ungefähr, dass der urrätische Saturnuskult (vgl. Nr.

88a) sich eben gerade bloss in italienisch Südrätien bis in die historische Zeit

hinein erhalten hat. Trotz dem problematischen Begriff Räter, dem man, eben

verschiedene Rassenelemente unterschieben kann, ist das südrätisch-

italienische Volk eben ein älteres (Urräter) als das nord- und westrätische

(Räter). Eines ist also sicher: Älteste Spuren haben sich in Südrätien

wesentlich anders erhalten als in Nordwesträtien. Daher, aber auch noch aus

andern Gründen, die nicht hieher gehören, ergibt sich ein wesentlicher

völkischer Unterschied zwischen den heutigen Rätoromanen und den

Norditalienern‚ welch Letztere von Alters her mehr nach Süden orientiert

blieben, während die Rätoromanen trotz ihrer Sprache im Grossen und Ganzen

doch von Veneto-Illyrern abzustammen scheinen, wenn auch andere, wie

etruskische und keltische Einflüsse, sich auch nicht von der Hand weisen

lassen. Dieser verschiedene völkische Unterbau war vielleicht auch eine der

Ursachen, warum da die lateinische Sprache eine andere Entwicklung nahm als

bei den Italienern. Ob man aber das rasenische, das etruskische oder das

illyrische Element, je nach der Gegend, mehr oder weniger betone, so lässt der

Stand der literarischen Quellen doch keinen Zweifel darüber aufkommen, dass

man in Rätien, hüben und drüben, jede exklusive Rassentheorie ablehnen

muss, denn immer haben sich Völker hier auf ihren Wegen gekreuzt. Wie

später das Römische, so war schon vorher bei uns das Etruskische sehr wohl

mehr ein geistiger Habitus, eine Lebensform, eine Kultur als eine fleischliche

Vermengung, denn wer war im westlicheren Abendland in jener Zeit

Kulturträger, wenn nicht der Etrusker, wie später wieder der Römer.

S. 317: Uebersicht über die alträtischen Siedlungsphasen

1. Altsteinzeitleute unbekannter Rasse.

2. Vorindoeuropäer: Rasener, Protoligurer, Urräter etc, vor 2000

3. Durchzug nach dem Süden durch die mittleren und östlichen

Alpen der indoeuropäischen Italiker. wie der Sabeller oder

Samniter, Umbrer, Osker, Latiner ca. 2000

- 26 -

4. Möglicher Zug der Etrusker von Osten, der Donau entlang

aufwärts über die rätischen Alpen nach Italien ca. 1200-1000

5. Die Ligurer, die gleich den Sarden, Iberern und wohl auch

den Etruskern keine Indoeuropäer sind, machen sich von den

westlichen Alpen aus geltend bis ca. 800- 600

6. Der etruskische Einfluss macht sich möglicherweise

geltend zu seiner Glanzzeit ca. 800- 500

7. Illyrer (cf. Nr. 118) ca. 500

8. Kelten: Helveter im Westen, Boier im Norden,

Lepontier im Süden. Die Vindeliker. nach 500

9. Die Etrusker werden nach alten Autoren von den Galliern

in die Alpen gesprengt ca. 390

10. Die Römer: Italiker und andere aus allen möglichen

Reichsprovinzen seit ca. 15.

Die alträtische Eigenart im Lichte des Etruskertums.

Gestützt auf die Errungenschaften der neuesten Forschung sollte alle

alträtische Eigenart nochmals im Lichte des Etruskertums durchstudiert

werden. Um diesbezüglich eine Anregung zu geben verweisen wir hier zum

Beginn einmal auf Nogara, Gli Etruschi e la loro Civiltà, S. XVI, XXVII,

XXXII, 6, 32, 48, 50, 83, 100 ff., 107 ff., 108, 124, 128, 143, 157, 171 f, 172,

178, 196, 207, 215, 217, 226 f., 264, 298, 303, 310, 311, 316, 346, 402, 444

und auf die Figuren 162, 168, 175, 176, 204, 206, 209, 218 etc. auf Reno,

Viltur, Faléri etc,

Literarisches.

Whatmough, The Classical Quarterly XVII. - Glotta XXII, 27 und in "Prae

Italic Dialects" von ihm Couway und Johnsen in "Rivista Indo-Greco-Italica

XVIII.108. Ferner in Journal of Roman Studies, XI 245 ff (Inscibet Fragments

of Stagshorn from North Italy).

Pellegrini, Notizie degli Scavi, XVI 169 ff. über die Hirschhornfunde von

Magrè.

Pareti, Origini Etrusche, I, 201 ff.

C. Battisti, Studi Etruschi VIII 192 und II 647 ff.

- 27 -

P. Ducati, Etruria Antica und Etruschi.

Pallotino, Studi Etruschi VII. 221.

Goldmann, ibid, VIIII. 198.

Nogara Bartolomeo, Gli Etruschi e la loro Civiltà, Milano 1963, wo man

weitere reichhaltige Angaben über die etruskische Wissenschaft im

allgemeinen finden wird. Das Buch ist auch in französischer Sprache

erschienen. Auf die weiter oben aufgeführten Autoren kommen wir hier nicht

mehr zurück.

S. 318: Cassiodor spricht vom Heerführer der beiden Rätien, die ein Schutzwall

Italiens seien, vom römischen Volk und Reich und seiner Verwaltung, von

den Calendae Martiarum, von den überwundenen alemannischen

Begebenheiten und von der Tatsche dass Rätien noch zum römischen

Gotenreich gehörte. verfasst anno 537, zu Ravenna.

Magni Aurelii Cassiodori Senatoris v(iri) c(larissimi) et inl(ustris), ex

quaest(ore) pal(atii), ex cons(ule) ord(inario), ex mag(istro) off(iciorum),

p(raefecti) p(raetori)o atque pat(ricii) Variarum libri duodecim.

I.11. Servato duci Raetiarum Theodericus Rex (anno 507/511).

1. Decet te honorem, quem geris nomine, moribus exhibere, ut per provinciam‚

cui praesides, nulla fieri violentia patiaris, sed totum cogatur ad iustum, unde

nostrum floret imperium. 2. Quapropter Moniarii supplicatione commoti

praesentibus te affamur oraculis, ut, si re vera mancipia eius Breones

irrationabiliter cognoveris abstulisse, qui militaribus officiis assueti civilitatem

premere dicuntur armati et ob hoc iustitiae parere despiciunt, quoniam ad bella

Martia semper intendunt, dum nescio quo pacto assidue dimicantibus difficile

est morum custodire mensuram. 3. Quapropter omni pretervia remota, quae de

praesumptione potest virtutis assumi postulata facies sine intermissione

restitui: ne per dilationis incommoda eorum videatur supplex odisse victoriam.

I. 14,19, 27.

I.28. Universis Gothis et Romanis Theodericus rex.

II.5.

II.12. Comiti siliquatoriorum et curas portus agenti...

II.16, 17, 24, 25, 35.

II.41. Luduin regi Francorum Theodericus rex (anno 502 vel 507).

- 28 -

Gloriosa.. quidem vestrae virtutis affinitate gratulamur, quod gentem

Francorum prisca aetate residem feliciter in nova

S. 319: praelia concitastis et Alamannicos populos caesis fortioribus inclinates victrici

dextera subdidistis sed quoniam semper in auctoribus perfidiae resocabilis

videtur excessus nec primariorum plectibilis culpa omnium debet esse vindicta

motus vestros in fessas reliquias temperate, quia iure gratiae merentur evadere,

quos ad parentem vostrorum defensionem respicitis confugisse. estete illis

remissi, qui nostros finibus celantur exterriti …. sic enim fit, ut et meis

petitionibus satisfecisse videamini nec sitis solliciti ex illa parte‚ quam ad nos

cognoscitis pertinere ...

III. 13,17,41,43,48,50.

IV 10, 14,38)39,47, 50,36.

V. 3. Quaestor

V. 5. 7, 9, 8, 10, 14, 15, 27, 31, 39,

V. 22. Rector decuriarum,

VI. 1. Formula consulatus

VI. 2. F. patriciatus

VI. 3. F p(raefecurae) p(raetori)o

VI. 4. F. praefecturae urbanae

VI. 5. F. quaesturae

VI. 6. F. magisterae dignitatis

VI. 7. F. comitivae sacrarum largitionum

VI. 8. F. comitivae privatarum

VI. 8. F. comitivae privatarum

VI. 9. F. comitivae patrimonii

VI. 10. F qua per codicillos vacantes proceres fiant

VI. 11. F inlustratus vocantis

VI. 12. F. comitivae primi ordinis

VI. 13. F. magistri scrinii, quae danda est comitiaco quando permilitat.

VI. 14. F. de his qui roeferendi sunt in senatu

VI 15. F. vicariis u(rbis) R(omae)

VI. 16. F. notariorum

VI. 17. F. referendariorum

- 29 -

VI. 18. F. praefecturae annonae

VI. 19. F. comitis archiatrorum

VI. 20. F. consularitatis

S. 320: VI. 21. F. rectoris proviniae

VI- 22. F. comitivae Syracusanae

VI. 23. F. Neapolitanae

VI. 24. F. honoratis, possessoribus et curialibus civitatis Neapolitanae

VI. 25. F. de comite principis militum de comitiva suprascripta.

VII. 1. F. comitivae provinciac

VII. 2. F. praesidiatus

VII. 3. F. comitivae Gothorum per singulas civitates

VII. 4. F. ducatus Raetiarum.

1. Quam vis spectabilitatis honor unus esse videatur nec in his aliquid aliud

nisi tempus soleat anteferri, tamen rerum qualitate perpensa multum his

creditum videtur quibus confinales populi deputantur, quia non est tale pacatis

regionibus ius dicere, quale suspectis gentibus assidere, ubi non tantum vitia

quantum bella suspecta sunt (cf. I.11) nec solum vox praeconis insonat, sed

turbarum crepitus frequenter insultat.

2. Raetique namque munimina sunt Italiae et claustra provinciae: quae non

immerito sic appellata esse iudicamus, quando contra feras et agretissimas

gentes velut quaedam plagarum obstacula disponuntur. Ibi enim impetus

gentilis excipitur et transmissis iaculis sanciatur furibunda praesumptio. Sc

gentilis impetus vestra venatio est et ludo geritis quod vos aasidue feliciter

egisse sentitis.

3. Ideoque validam te ingenio ac viribus audientes per illam indictionem

ducatum tibi dedimus Raetiarum‚ ut milites et in pace regas et cum eis fines

nostros solenmi alacritate circueas, quia non parvam rem tibi respicis fuisse

commissam, quando tranquillitas regni nostri tua creditur sollicitudine

custodiri. ita tamen, ut milites tibi commissi vivant cum provincialibus iura

civili nec insolescat animus, que se sentit armatum, quia clipeus ille exercitus

nostri quitem debet praestare Romanis. quos ideo constat appositos, ut intus

vita felicier secura libertate carpatur.

- 30 -

S. 321: 4. Quapropter responde nostro iudicio, fide nobis et industria placiturus, ut nec

gentiles sine discussione suspicias nec nostros ad gentes sub incuriositate

transmittas. ad necessitatem siquidem rarius venitur armorum, ubi suspecta

surreptio custodiri passe sentitur. privilegia vero dignitatis tuae nostris tibi

iussionibus vindicabis.

VII. 5. F. curae palatii

VII. 6. F. comitivae formarum

VII. 7. F. praefecturae vigilium urbis Romae

VII. 8. F. praefecturae vigilium urbis Ravennatis

VII. 9. F. comitivae portus urbis Romae

VII. 10. F. tribuni voluptatum

VII. 11. F. defensoris cui s libet civitatis

VII 12. F. curatoris civitatis

VII. 13. F. comitivae Romanae

VII. 14. F. comitivae Ravennatis

VII. 15. F. ad praefectum urbis de architecto

VII. 16. F. de comite insulae Curitanae et Celsinae

VII 17. F de praeposito calcis

VII 18. F. de armifactoribus... praef. fabricae armorum

VII. 19. F. ad de armifactoribus

VII. 20. F. binorum et ternorum si per iudicem agantur.

Ad gentium dignitatis tuae credimus pertinere, si competentia tibi videamur

iniungere, quia tanto quis gratior redditur, quanto parendi causas amplius

suscepisse monstratur et ideo binorum et ternorum titulos quos a provincialibus

exigi prisca decrevit auctoritas per illam indictionem, officio tuo procurante, ad

crinia coiltis sacrarum largitionum transmittere mutaberis ita ut omnis

quantitas intra Ka1. Martiarum sollemniter impleatur‚ ne de proprio reddere

cogaris quod procurare neglexeris, tuam enim tetigisset iniuriam, si alter eos

titulos videretur exigere quos ad te praeceperunt leges sacratissimae pertinere.

VII 21. F. binorum et ternorum, si per officium agantur. - ...intra Kal.

Martiarum diem ad illustrem virum illum comitem sacrarum largitionum

solemnis quantitas deferatur …

- 31 -

S. 322: VII. 22. commenitorii illi et illi scrinariis de binis ternis. ….ut cum iudice vel

eius officie intra diem kal. Martiarum quae de binis et ternis quantitas

solemniter postulatur...

VII. 23. F. vicarii Portus

VII. 24. F. principis Dalmatiarum

VII. 25. F. epistulae, quae ad commendandos principes comiti destinatur

VII. 26. F. comitivae diversarum civitatum

VII. 27. F. honoratis possessoribus et curialibus supra scripta

VII. 28. F. principibus militum comitivae s(upra) s(cripta)

VII. 29. F. de custodiendis portis civitatum

VII. 30. F. tribunatus provinciarum

VII 31. F. principatus in urbe Raum

VII 32. F. qua moneta commititur

VII. 33. F. tractoriae legatorum diversarum gentium

VII. 34. F. evocatoriae, quam princeps motu suo dirigit

VII. 35. F. evocatoriae, quae petenti conceditur

VII. 36. F. commentabilis

VII. 37. F. specatabilitatis

VII. 38. F. clarissimitatus

VII. 39. F. tuitionis

VII. 40. F. de matrimonio confirmando et liberis legitimis faciendis

VII. 41. F. aetatis veniae (cf. Lex Romana Curiensis)

VII. 42. F. edicti ad quaestorem, ut ipse spondere debeat qui saionom meretur

VII. 43. F. probatoriae chartariorum

VII. 44. F. de competitionibus

VII. 45. F. qua census reveletur ei, qui unam casam passidet praegravatem

VII. 46. F. qua consobrinae matrimonium legitimum fiant

VII. 47. F. ad ppo‚ ut sub decreteo curialium praedia venundentur

VIII. 3. 24, 47. Quaestor: 13, 18.

IX. 2. 12, 14.

S. 323: IX. 20. Aduniversos iudices provinciarum Athalaricus rex

(Cod. Neapolitanus: Ad universos iudicos principes provinciarum.

Cod. Laurentianus: ...provinciae).

X. 11. domestici

- 32 -

X. 20.

XI. 7. Universis iudicibus provinciarum Senator ppo.

XI 8. Edictum per provincias

XI. 9. Iudicibus provinciarum Senator ppo.

XI. 11. Edictum de pretiis custodiendis Ravenna

XI. 12. Edictum pretiorum per Flaminiam

XI. 18. De corniculario qui egreditur

XI. 19. De corniculario qui accedit

XI. 20. De primiscrinio qui egreditur

XI. 21. De primiscrinio qui accedit

XI. 22. De scrinario actorum

XI. 23. De cura epistularum

XI. 24. De scrinario curae militaris

XI. 25. De primicerio exceptorum

XI. 26. De sexto scholario

XI. 27 De praerogativario

XI. 28. De commentariense

XI. 29. De regendario

XI. 30. De primicerio deputatorum et de primicerio Augustalium

XI. 31. De primicerio ingulariorum qui egreditur

XI. 32. De primicerio ingulariorum qui accedit

XI. 33. De concedendis delegatoriis

XII. 1. Diversis cancellariis provinciarum singularum Senator ppo.

XII. 2. Universis iudicibus provinciarum Senator ppo.

XII. 3. Universis saionibus qui sunt cancellaris deputati Senator ppo.

XII. 4. Canonicario Venetiarum senator ppo. (anno 533/37).

Mense regalis apparatus ditissimus non parvus rei publicae probatur

ornatus, quia tanta dominus possidere creditur,

S. 324: quantis novitatibus epulatur. privati est habere quod locus continet: in

principali convivio hoc praefecto docet exquiri, quod visum debeat ammirari.

destinet carpam Danuvius: a Rheno veniat anchorage‚ exermiston Sicula

quibuslibet laboribus offeratur: Bruttiorum mare dulces mittat acernias: sapori

pisces de diversis finibus afferantur. sic decet regem. pascere, ut a legatis

gentium credatur paene omnia possidere...

- 33 -

XII. 10. Diversis cancellariis provinciarum Senator ppo.

XI1. 19. Maximo vicario urbis Romae Senator ppo.

XII. 20. Thomati et Petro vv.cc.arcariis Senator ppo.

XII. 25 Ambrosio v(iri) i(llustri) agenti vices Senator ppo :...

XII. 28 Edictum (anno 535/536). - 4 His additur Alamannorum fugata

subreptio‚ quae in primis conatibus suis sic probatur oppressa‚ ut simul

adventum suum iunxisset et exitum quasi salutaris ferri exactione purgata,

quatenus et male praesumentium vindicaretur excessus et subiectorum non

omnino grassaretur interitus…..

* * *

Aliae dignitates et institutiones:

Arcarius (315,4)

Archidiaconus (402,1)

Archipresbyter (410)

Chartarius -

Tribunus chartariorum (224,7)

Comes patrimonii (Iulianus 1,16, Senarius IV.3,7,11,13)

Comes privatorum (Appronianus III.53)

Defensor ecclesiae

Domestici (X.11)

Iudex, id est magistratus iurisdictionem habens,

exactor: iudicibus provinciarum committitur exactio,

miles: iudici opponitur

prior (scilicet, officii): opp.

privatus iudex: opp. iud. publ.

S. 325: Vices agens: opp. iud. - cf. vicaruus

Voluntarius (240,26)

Iudicos provinciales (60,17, 63,2)

Iludices provinciae (151,14)

Lares

Ludi (188,16)

Maiores

Miles

- 34 -

Minore

Mediocres (27,15 - 29,5 - 97,10 - 237,4)

Nobiles

Ordo

Curialis ordo (446,9)

Decurionum ordo (446,9)

Patronus opp:

Actores (129,27 - 132, 14, 17)

Procuratores (129, 27, 32 - 132, 14, 17

Possessores

Potentes

Praecinctus =cingulum, dignitas (13,1 - 15,27 - 91,9 ‚ 175,22 - 181,19 - 186,4 -

359,23) = exercitus (329,19)

in procinctu esse (50,1)

Praepositus (exercitus, mutationem etc.)

Principes

Quadriga (105,34 - 106,3,6)

Tabernarii, capitularii horreariorum et tabernariorum,

inter negotiatores titulos administrantes (315,5)

Tribunus

Chartariorum (224,7)

Tribunus et notar principum (15,8) etc.

Tribunus provinciarum

Vicarius (35,21 - 188,4 etc.)

Vicibus praefectorum (273,25)

Vicaria dignitas (188,25)

Vicariana sedes (60,2)

Vicedomini (151,23)

S. 326: Charta

Chirographum (128,16.- 377,1)

Cursus publicus

Districtio (cf. district. bannus, bannus)

Gesta (178,31 - 208,5 - 216,3 - 378,1 - 405,20)

Iudiciaria (21,7 - 303,7 - 373,23)

- 35 -

Minutas chartas (352,15 - 351,5)

Platea (210,15 - 258,25 - 375,16. cf. Nr. 77 p.139).

Übersetzung.

Die .12 Bücher der Variae des ruhmreichen und erlauchten Herrn Magnus

Aurelius Cassiodor, Senator, Exquästor des Palasts, ordentlicher Ezkonsul,

Exmagister der Offizien, Praefekt des Prätoriums und Patricius.

1.11. Der König Theodericus an Servatus, Heerführer der beiden Rätien

(anno 507/511).

1. Es ziemt sich die Würde, die du durch dein Amt inne hast nach gutem

Brauch ins volle Licht rücken zu lassen und zwar dadurch, dass du es nicht

duldest, dass in der Provinz, welcher du bevorstehst irgendwelche Gewalt

geschieht, sondern, dass alles zur Gerechtigkeit angehalten werde, wodurch

unser Reich zur Blüte gelangt.

2. Bewegt durch das Bittgesuch eines gewissen Moniarius müssen wir dich

durch die vorliegende Botschaft also in folgender Angelegenheit ansprechen:

Wenn jene Leute, die an den Kriegsdienst gewöhnt und die, wie gesagt wird,

mit Waffengewalt die Zivilbevölkerung bedrücken, und es so verschmähen der

Gerechtigkeit den Weg zu ebnen, da sie stets zum harten Kriege neigen,

wirklich in Tat und Wahrheit die Eigenleute des obgenannten Mannes

ungerechtfertigt weggeschleppt hätten, so verstehe ich wahrhaftig nicht, wieso

es Leuten, die sich oft im Kampf bewährt haben, schwer fallen sollte ein den

guten Sitten entsprechendes Mass zu halten.

3. Du sollst also alles was Moniarius fordert fristlos zu rückerstatten und zwar

ohne jede Widerwärtigkeit, die von der Überschätzung seiner eigenen

Tapferkeit herrühren könnte.

1.28. Allen Goten und Römern der König Theoderich.

II.12. Dem Oberzollbeamten und Hafenvorsteher der König Theoderich.

II.41. Theodericus, König, an Chlodwig, König der Franken (a. 502 oder 507).

In für uns ruhmreicher Freundschaft beglückwünschen wir dich um deiner

Tapferkeit willen, weil du ja das fränkische Volk, das früher untätig war,

glücklich zu neuen Kämpfen führtest und die Alemannischen Völker durch

schwere Niederlagen unter deine siegreiche Hand beugtest.

- 36 -

Da aber das Übermass der Perfidie stets an den Urhebern beschnitten werden

soll und da die strafbare Schuld der Rädelsführer nicht an allen gerächt werden

darf, bitten wir euch, eure Gefühle den noch übrig bleibenden Alemannen

gegenüber zum mässigen, da sie es aus dem Recht der Gnade heraus

verdienen, der rächenden Strafe zu

S. 327: entgehen. Seid also jenen nachsichtig, die sich eingeschüchtert in unseren

Grenzgebieten verbergen... (Chlodwig verfolgte demnach die Alemannen auf

alemannisch- resp. fränkisch-gotischem Grenzgebiet im untersten Rätien,

kaum aber innerhalb des gotischen Gebietes selbst, denn dazu ist der Ton des

Schreibens zu mild. Es mag sich da etwa um schlecht definiertes Grenzland

handeln, das Theoderich wieder in sein Reich zurückgliedern will) ... sorgt also

dafür, dass ihr auch meinen Wünschen nachkommt, und bemüht euch nicht um

Länder, von denen ihr wisst‚ dass sie zu unserem Reich gehören …

VI. 1. Formel für die Konsulwürde

VI. 2. F. für die Würde de Patriziats

VI. 3. F. des Präfekten des Prätoriums

VI. 4. F für den Stadtpräfekten

VI. 5. F. für die Quästur

VI. 6. F. für die Magisterialwürde

VI. 7. F. für die Verwaltung der kaiserlichen Spenden

VI. 8. F. für die höfische Privatverwaltung

VI. 9. F. für die höfische Vermögensverwaltung

VI. 10. F. womit durch codicilli Ersatzbeamte geschaffen werden.

VI. 11. F. betreff einer vakanten Ehrenstelle.

VI. 12. F. eines obersten Hofbeamtens

VI. 13. F. an einen Kanzleichef, die zu verwenden ist, falls dieser in

Kriegsdiensten ist.

VI. 14. F. für die im Senat erscheinen sollen

VI. 15. F für die Vikare der Stadt Rom

VI. 16. F. für die Notare

VI. 17. F. für die Fürsprecher am höchsten Hofe

VI. 18. F. für die Steuerpräfektur

VI. 19. F. für einen fürstlichen Leibarzt

- 37 -

VI. 20. F. der Konsularität

VI. 21. F. für einen Provinzrektoren

VI. 22. F. für Syrakus

VI. 23. F. für Neapel

VI. 24. F. für die Honoratioren, Possessoren und Curialen der Stadt Neapel

VI. 25. F. für die Würde eines höchsten Militärbeamten...

VII. 1. F. für die Provinzialwürde

VII. 2. F. für die Präsidialwürde

VII 3. F. für Ämter der Goten in den einzelnen Städten

VII. 4. Formel für das Heerführeramt. (Herzogtum wäre ganz falsch 1)

der beiden Rätien.

Obwohl sonst das angesehene Amt eines Heerführers (dux) immer als ein und

dasselbe, erscheint, und obwohl in diesen Dingen nur die fortschreitende Zeit

etwas Neues bringen könnte, so bleibt es doch in der Natur der Sache, dass

man jenen recht viel zutraut, die man zu den Grenzvölkern abordnet, denn es

ist nicht dasselbe in ruhigen Gegenden Recht zu sprechen, wie bei

verdächtigen Völkern (in der Nähe verdächtiger Völker) zu wohnen, wo

weniger die Laster als die Kriege von heimtückischer Verdächtigkeit sind.

Nicht nur die Stimme des Bittstellers erschallt hier, sondern noch vielmehr das

beleidigende Geschrei der rohen Massen.

S. 328: 2. Die beiden Rätien sind nämlich die Grundfesten Italiens und als Provinzen

dessen Torriegel. Wir halten dafür, dass sie nicht umsonst so genannt werden,

dieweil sie gegen wilde und allergröbste Völker (Alemanniens) gleichsam als

Widerstände und Hindernisse errichtet sind. Hier wird der Barbarenanfall bei

zurückprallenden Wurfspiessen aufgefangen und tollwütige Anmassung

zurückgedämmt. So ist das ungestüme Barbarenland euer Jagdrevier und im

Spiel vollbringt ihr, was ihr durch fleissige Arbeit glücklich zu vollziehen

versteht.

3. Nach solch kräftiger Einschätzung übertragen wir dir die Heerführung

(ducatus) in den beiden Rätien, auf dass du die Soldaten im Frieden leitest und

mit ihnen die Grenzen unseres Reiches mit freudigem Mut umgebest. Keine

leichte Aufgabe ist dir übertragen, wenn der Friede unseres Reiches deiner

Sorgfalt anvertraut wird.

- 38 -

Die dir unterstellten Soldaten sollen mit den Provinzbewohnern aber nach

bürgerlichem Rechte leben und es wachse nicht ihr Sinn, weil sie bewaffnet

sind, denn unser Heerschild soll dem römischen Volk Ruhe und Frieden

bringen (und nicht Krieg), denn bekanntlich werden Kriegsleute nur deshalb an

die Grenzen gestellt, auf dass im innern des Reiches das Leben In sicherer

Freiheit um so glücklicher gekostet werden könne.

4. Entspreche also unserem Dafürhalten, traue uns und sorge in

wohlgefälligem Fleiss dafür, dass du weder die Barbaren ohne Grund

verdächtigest, noch die unsrigen in Vorwitz gegen sie aussendest. Es soll, wo

immer Überraschungen überwacht werden können, möglichst selten, zur

Notwendigkeit der Waffentaten kommen, denn die Privilegien und Vorzüge

deiner Würde verdankst du unserem Befehl.

VII. 5. Formel für die Leitung der fürstlichen Betriebe

VII. 6. F. der Komitive der Formen

VII. 7. F. der Wachtpräfektur der Stadt Rom

VII. 8. F. der Wachtpräfektur der Stadt Ravenna

VII. 9. F. der Anwälte der Stadtinteressen

VII. 10. F eines Tribuns der öffentlichen Spiele

VII. 11. F. für die Ämter des Hafens der Stadt Rom

VII. 12. F für einen Stadtpfleger

VII. 13. F. für Rom

VII. 14. F. für Ravenna

VII. 15. F. an den Stadtpräfekten anlässlich der Ernennung eines öffentlichen

Architekten zu Rom

VII. 16. F. des Hofbeamten der Inseln Curitana und Celsina

VII. 17. F. für einen Spielvorsteher

VII. 18. F. für Waffenfabrikanten

VII. 19. F. für den Vorsteher der Waffenfabrikation

VII. 20. Formel betreff der Abgaben zu zwei und drei "Gulden" sofern sie

vom Richter ernannt werden.

Wir glauben, das es der Natur deiner Würde entspricht, wenn es scheinen

dürfte, dass wir in Geschicklichkeit dir nahe legen möchten, dass man umso

lieber vergilt, um so mehr einer bereit ist, in Gehorsam Aufgaben auf sich zu

nehmen.

- 39 -

So sollst du die Titel zu zwei und drei "Gulden" welche laut einer alten

Vorschrift von den Provinzbewohnern erhoben werden sollen, der Schatzung

gemäss aus deiner Amtsgewalt heraus einziehen und zur Kasse der

kaiserlichen

S. 329: Finanzverwaltung weiter gelangen lassen und zwar so, dass alles innerhalb der

Kalenden des März in vollem Betrag feierlich erfüllt werde, so dass du nicht

aus deinem eigenen Vermögen zahlen musst, was du einzuziehen

vernachlässigt hast, denn es würde dir zur Schmach gereichen, wenn ein

anderer die Wertbeträge einziehen würde, die nach dem geheiligten Gesetz

doch du sammeln müsstest.

VII. 21. Formel betreff der Abgaben zu zwei und drei "Gulden", sofern sie

von Amts wegen erhoben worden. …. innerhalb dem Tag der Kalenden des

März muss dem erlauchten Herrn Vorsteher der Reichsfinanzen der ganze

Betrag feierlich überreicht werden ….

VII. 22. Formel des Mahners an diesen und jenen aus der Kanzlei für Binien

und Ternien (welche die Steuern zu 2 und 3 "Gulden" zu verwalten hat).

…. Der Richter oder sein Amtsstab hat innerhalb des Tages der Kalenden des

März die ganze Steuer zu zwei und drei "Gulden" feierlich zu fordern …

VII. 23. Formel des Vicarius des Hafens

VII. 24. F. des Fürsten von Dalmatien

VII. 25. F. der Episteln, welche um Prinzen zu empfehlen,

dem Comes gesandt werden

VII. 26. F. der Komitive verschiedener Städte

VII. 27. F. für Honoratioren, Possessoren und Curialen

VII 28. F. für den Princeps Militum

VII. 29. F. betreff der zu bewachenden Stadthäfen

VII. 30. F. für das Tribunat der Provinzen

VII. 31. F. für das Principat in der Stadt Rom

VII. 32. F. wie Geld consigniert wird

VII. 33. Zitationsformel‚ welche der Prinz aus eigenem Antrieb braucht

VII. 34. Einladungsformeln für die Legaten der verschiedenen Völker

VII. 35. Evokationsformel, die dem Bittstellenden gewährt wird

VII. 36. Beurlaubungsformel

- 40 -

VII. 37. F. der Spektabilität

VII. 38. F. des Clarissimats

VII. 39. Schutzformel

VII. 40. F. über die Bestätigung einer Ehe und über die

Legitimierung der Kinder

VII. 41. Emanzipationsformel

VII. 42. F. des Edikts an den Quästor

VII. 43. Beweisformel für Urkunden

VII. 44. F. über Kompetitionen

VII. 45. F. durch welche der Zins erhoben wird von jemandem,

der ein Haus besitzt, das belastet ist

VII. 46. F. durch welche Geschwisterkinder eine gültige Ehe schliessen

können

VII. 47. F. an einen Amtsvorgesetzten, dass Prädien unter dem Dekret der

Curialen verkauft werden sollen,

IX. 20. An alle Provinzrichter des Königs Athalaricus

X. 11. Domestici

S. 330: XI. 7. An alle Provinzrichter Senator ppo.

XI. 8. Edikt für die Provinzen

XI. 9. Den Provinzrichtern Senator ppo.

XI. 11. Edikt über die in Ravenna zu beachtenden Preise

XI. 12. Edikt über die Preise für Flaminia

XI. 18. Vom abtretenden Kanzleivorsteher

(der Cornicularius ist ex ordine commentariensium)

XI. 19. Vom antretenden Kanzleivorsteher

XI. 20. Vom abtretenden Chef eines Bureaus

XI. 21. Vom antretenden Chef eines Bureaus

XI. 22. Vom Konservator der Akten

XI. 23. Von der Behandlung der Briefe

XI. 24. Vom Sekretären für Militärangelegenheiten

XI. 25. Vom Protokollführer

XI. 26. Vom Sextus Scholarius

XI. 27. Vom Prärogativarius

XI. 28. Vom Registrier- und Kontrollbeamten

- 41 -

XI. 29. Vom Regendarius (Staatssekretären)

XI. 30. Vom Obersten der Deputierten und der Augustalen

XI. 31. Vom den obersten Vorgesetzten einzelner Amtspersonen,

die abtreten

XI. 32. Vom obersten Vorgesetzten einzelner Amtspersonen, die abtreten

XI. 33. Von den zu erteilenden Gewaltsübertragungen

XII. 1. Den verschiedenen Kanzleibeamten der einzelnen Provinzen

XII 2. An alle Provinzrichter

XII. 3. An alle Saionen, die zu den Kanzleibeamten abgeordnet werden

(Die Saionen sind Gerichts- und Magistratsgehilfen aus dem

Liktoren- und Einzügerstand, die aber einen höheren Rang als unsere

Büttel und Schergen einnehmen)

XII. 4. An den Canonicarius von Venezien (anno 533/537).

Der reiche Luxus der königlichen Tafel gereicht in der Tat der Republik (d.h.

dem Staat) zur Zierde, denn so weit, glaubt man, seien die Reichtümer des

Herrn des Reiches ausgedehnt, soweit her er Spezialitäten an seinen

Festmählern auftragen lässt. Einem Privaten geziemt es, sich zu speisen, was

der Ort, an dem er sich aufhält, hervorbringt, einem Prinzen hingegen was die

Bewunderung in ihn zu erwecken im Stande ist. So bezieht er den Karpfen aus

der Donau, den Hackenlachs (anchorago) aus dem Rhein‚ während ihm der

Exormiston in mühsamer Arbeit aus Sizilien geliefert wird. Das Meer der

Bruttier spendet ihm die süsse Acernia. Weitere schmackhafte Fische bezieht

er wieder aus verschiedenen anderen Grenzprovinzen. So geziemt es einem

König zu tafeln, weil auf diese Weise die Gesandten der verschiedenen Länder

glauben er besitze beinahe alles was die Welt hervorbringt...

XII. 10. An verschiedene Kanzler in den Provinzen

XII. 19. An Maximus, Vikar der Stadt Rom

XII. 20. An die erlauchten Kassenbeamten Thomas und Petrus

XII. 25. An den hochverehrten Herrn Stellvertreter (agenti vides) Ambrosius.

S. 331: XII. 28. Edikt (anno 535/536). - Dem wird beigefügt das neuerfolgte

heimliche aufständische Entweichen der Alemannen, das aber in seinen ersten

Versuchen unterdrückt wurde, was daraus erhellt, dass es sein Ende gleich

nach seinem Anfang fand, als ob es behende von einem reinigenden Feuereisen

- 42 -

ausgemerzt worden wäre. So sehr dann die Übergriffe der von Anmassungen

strotzenden Anstifter gerächt wurden, so liess man es doch nicht zum

gänzlichen Untergange der Unterworfenen kommen...

Anwendung.

Schon aus dem Titel ersieht man wie sich römischer Brauch in der gotischen

Zeit erhalten hat, führt Cassiodor ja noch einen vollen römischen Namen und

eine ganze Reihe römischer Titel.

I. 11. Servatus. "Vgl. z.B. Mommsen, Neues Archiv 14, 3, 497, A.3, derselbe,

Gesammelte Schriften 6, S. 436, A.2, Grosse, Römische Militärgeschichte .

179 f. Da es aber die im Vorstehenden und unten 5, 162-66 angeführten

Tatsachen verbieten, das ostgotische Rätien mit demselben Masstab zu messen,

wie die andern von Theoderich beherrschten Provinzen, hat man Ursache, mit

Heuwieser, Verhandlungen 76, S. 80 und Zeiss, Germania 12, S. 29 in

Servatus einen Romanen zu erblicken. Vielleicht hat Zeiss recht, wenn er

annimmt, Theoderich habe, nachdem sich ihm die Bevölkerung des alpinen

Rätiens unterworfen hatte, deren Führer die würde eines dux Raetiarum

bestätigt oder neu verliehen. War Servatus etwa ein Vorfahre der im folgenden

erwähnten Viktoriden? (Heuberger, Rätien I. S. 135, Note 131).

Cui praesides: Heuberger, op. cit. S. 255:

"Das in der oben angeführten Wendung provincia, cui praesides gebrauchte

Wort praesides besagt keineswegs, dass der Dux Servatus gleichzeitig auch

Praeses (Zivilstatthalter) war". Die Victoriden waren aber gerade das. Die

Vermutung Heubergers Servatus trifft also wohl kaum zu, da es für Rätien

bekanntlich nur einen Heerführer gab, der in der spätrömischen Zeit immer im

zweiten Rätien weilte, während es zwei Zivilstatthalter gab, nämlich einer in

Chur und einer in Augsburg. Ein churerischer Beamter aber kann nicht der

Nachfolger eines nordrätischen sein. Das obige beweist nur, dass oben auch

noch im zweiten Rätien romanisch Beamten schalteten und walteten. An eine

ostgotische Verbindung der Zivil- und Militärgewalt glaubt auch Heuberger

nicht.

- Duci Raetiarum: also der beiden Rätien.

- Per provinciam‚ cui praesides: Man beachte die typisch römische

Terminologie und Auffassung.

- 43 -

Imperium: Imperator ist der Kaiser und Imperium das Kaiserreich. Man sieht

hier, dass das römische Reich eigentlich nicht untergegangen, sondern, von den

Ostgoten weiter geführt wurde. So sagt Heuberger (S. 135) mit Recht: "Dass

Theoderich I im Namen des Kaisers seine Herrschaft über Italien begründete,

sicherte also noch einmal die staatsrechtliche Verbindung des rätischen

Alpengebietes mit dem römischen Reich". Siehe darüber auch die

Ausführungen zu Nr. 131 dieser Hefte.

S. 332: Moniarius: Wieder ein lateinischer Name. Also nach dieser Quelle, wie schon

nach Nr. 132, wohnten in Rätien eben Romanen, und zwar auch im 2. Rätien.

Manicipia: Es gab also auch eine hörige Bevölkerung, nach dieser Quelle zum

mindesten bei den Breonen. Vgl. dazu die Lex Romana Curiensis, wo dieser

römische Ausdruck sehr oft vorkommt.

Bella Martia: Mars bedeutet = bellum, da Mars der römische Kriegsgott war.

So heisst es auch bei Jordanes "aperte Marte" = bei eröffnetem Krieg. Siehe

Edition Mommsen 474,15.

II. 41. Das gotisch-fränkische Grenzland ist kein anderes als das in Nr. 131,

S. 288 f besprochene, nämlich das Gebiet nördlich des Säntis, das sich gegen

Stein am Rhein erstreckt und von den dortigen Alpen gegen Norden hin, bis

über den Bodensee hinaus, donauwärts ausdehnt. Es ist gotisch-fränkisches

Grenzland, weil die Alemannen, die von dort aus westwärts ansässig waren,

längst kein eigenes Land mehr besassen. Diese gotisch-fränkische Grenze die

offenbar auf weite Strecken hin undefiniert war, darf man auf keinen Fall

weiter hinauf verschieben, weil das eigentliche Churrätien nachweisbar keine

solche fränkisch-alemannisch-rätische Zone war, in der jetzt schon das

Romanentum etwa erschüttert gewesen wäre.

Seid den Alemannen gegenüber nachsichtig. Diese Empfehlung des

Gotenkönigs an den König der Franken erinnert lebhaft an Nr. 131, wo nach

ersterer Alemannen schützend in die oben besprochenen Zonen seines Reiches

aufgenommen hat und wodurch sich ein gewisses, immerhin bisweilen sehr

getrübtes Freundschaftsverhältnis dieses Königs zu diesem Volke ergab. Aus

dieser Stimmung heraus kann man die Haltung des gotischen Königs hier sehr

gut erklären, stammt das hier in Betracht fallende Schriftstück ja aus den

Jahren 502 oder 507, während. Ennodius anno 506 oder 507 schrieb.

- 44 -

XII. 28. Sowohl die Franken, als die Goten hatten aber stets Schwierigkeiten

mit den ordnungswidrigen Alemannen. Das römische Reich stellte einst die

antike Ordnung dar, während es ausserhalb des Reiches nur barbarische

Unsicherheit gab. Die Goten wie die Franken traten aber schon mit diesen

Römern in bündnisähnliche Beziehungen und wurden da mit in den

Reichsverband aufgenommen und hörten so auf zur wilden Barbarei zu

gehören. So wurden sie bei Eingang das Kaisertums die natürlichen Fortsetzer

des Reiches. Nicht so die Alemannen, die die antike Weltordnung nie

annahmen, und im Gegensatz dazu ein eigenes Reich gründen wollten. Nur so

versteht man warum die Goten bei allem Wohlwollen, die Alemannen immer

als Barbaren behandeln. Dazu kommt noch, dass die Alemannen, im Gegensatz

zu den Goten und Franken, es nie über sich brachten, römische Gesittung

anzunehmen, was damals eben Gesittung überhaupt bedeutete. Dabei

romanisierten sie sich auch nicht, wie diese beiden andern Stämme es taten und

so diese beiden heutigen lateinischen Bollwerke miterrichten halfen, welche

heute Frankreich und Italien heissen.

S. 333: Die Ämterlisten. Wir bringen hier einige Ämterlisten des Cassiodor um zu

beweisen, dass in gotischer Zeit wirklich das römische Ämterwesen, das

römische Recht, kurz die römische Auffassung sozusagen in allem erhalten

hat, und zwar bringen wir die Titelrubriken der Bücher VI und VII, sowie die

Titel 18-33 des Buchs XI ganz um zu zeigen, dass wir nicht etwa die

römischen Titel speziell herausgegriffen haben. Mehrere Titel haben aber auch

für unser Land direkte Bedeutung, so z.B. jene, die sich auf die

Provinzialverwaltung beziehen, oder jene die Institutionen behandeln, die in

der Lex Romana Curiensis oder in späteren rätischen Urkunden wieder

vorkommen. Wir haben solche Titel im lateinischen Originaltext durch

Sperrdruck herauszuheben versucht. Alles kann man aber auf diese Weise

niemals geben. Es würde sich lohnen auch alle Textstellen, die in solchen

Beziehungen stehen, hervorzuheben. Das würde aber viel zu weit führen und

ein eigenes Werk für sich bilden. Hier liegt also noch Arbeit vor! Diese hätte

aber den Rahmen dieser Sammlung vollständig gesprengt. Die wichtigsten

Ausdrücke suchten wir immerhin im Anhang zur lateinischen Originalausgabe,

alphabetisch aufzuführen, indem wir bei einigen die Seiten und Linienzahl der

Ausgabe der Monumenta Germaniae Historica angaben, auf welche Ausgabe

- 45 -

sich auch die unsrige stützt. Dabei haben wir auch einige Institutionen

mitberücksichtigt, deren Zusammenhang mit den späteren rätischen geradezu

auffällig und zugleich von überwältigender Bedeutung ist. Jene Registerworte,

die keine Zahlen aufweisen, kehren so oft in Cassiodor wieder, dass sie als

alltäglich betrachtet werden können, und dass ihrer einzelne Aufführung

geradezu ermüdend geworden. wäre. Vollständig sind unsrige obigen Listen

also nicht, denn es ist nicht der Zweck dieser Hefte ein Werk historischer

Rechtsvergleichung zu sein. Die Titelzahlen von rechtshistorisch einschlägigen

Stellen, die schon von anderen Autoren behandelt wurden, figurieren oben,

wenn nicht ein anderer Grund vorliegt, ohne jede andere Beifügung.

VII. 4. Spectabilis: Ehrentitel, der auch später in Rätien wieder vorkommt.

Spectabilis ist weniger hoch als Illustris, was in Rätien später auch vorkommt.

Confinales populi etc... Diese ganze Stelle zeigt, dass die Gegend am Bodensee

unten und weiter fort, damals sehr unruhig und gefahrvoll war‚ denn da

hausten bereits viele Alemannen, die als wild und ungeschlacht geschildert

werden. In Massen waren sie von furibunder Anmassung. Weiter oben

hingegen herrschte eine gesittete Bevölkerung, die nach römischem Recht in

aller Civilität lebte. Höchstens den Soldaten des Servatus konnte es da

bisweilen zu wohl sein, die, weil bewaffnet, die Zivilbevölkerung bisweilen

ausnützten (I.11). Gegen diese Milites steuert aber nicht nur Theoderich,

sondern später wieder an mehreren Stellen auch die Lex Romana Curiensis.

Man sieht hier nur, wie sich sogar einzelne Erscheinungen des römischen

Militärwesens in Rätien bis weiter ins Mittelalter hinein vererbt haben.

S. 334: Cum eis (sc. militibus) fines circumcensis: Es ergibt sich aus diesem Text, im

Anschluss an die Nr. 126, 120, 119 und weiter zurück, dass Rätien immer noch

eine römische Besatzung hatte, die jetzt also dem dux Servatus unterstand.

Romanis: Weiterer Beweis dafür, dass das gotische Reich als römisch

betrachtet wird, dessen Nationalcharakter in Anbetracht der gotischen

Minderheit auch wirklich römisch war, was namentlich für Rätien gilt, wo sich

ja keine Goten nachweisbar niedergelassen haben.

Kal. Martiarum: Kalenden des März = 1. März. Eine Solemnität wird

anlässlich dieses Datums hier ausdrücklich drei Mal angedeutet (VII.20,21,22).

- 46 -

Auf diesen Tag fällt tatsächlich der alte römische Neujahrstag. Der März war

der erste altrömische Monat. Daher fällt der September, d.h. der 7. Monat nicht

auf den Juli. Allerlei Neujahrsgebräuche mussten deshalb an diesem Tag sich

herausbilden. Der 1. März war aber zugleich die Feriae Marti, das Hauptfest,

des Gottes Mars, der durch Stillstand aller weltlichen Geschäfte ausgezeichnet

war und somit eine feria publica, ein gebotener Feiertag war. Dass in

Cassiodor, der um 537 schrieb dieser Feiertag noch angedeutet wird, ist

wichtig, denn er bietet uns so die Brücke vom Altertum über das Mittelalter zu

dem heutigen in romanisch Bünden volkstümlich immer noch gefeierten

Chalanda Mars.

XII. 4. Der Hackenlachs (anchorago): Dieser Fisch kommt oberhalb des

Bodensees und oberhalb des Rheinfalls nicht vor, wohl aber unterhalb, und

zwar dort auch in den Nebenflüssen, wie in der Thur und in der Töss. Wenn

also die Gotenkönige diese Fische innerhalb ihres Reiches im Rheine fingen,

dann musste also auch noch jener Teil Rätiens der jenseits des Säntis gegen

Helvetien hin liegt, zum italischen Territorium gehören. Wenn dieser Fisch

aber nur unterhalb des Rheinfalls vorkommt, dann haben die Ostgotenkönige

von diesem exponiertesten Rätien aus ihr Reich aber sogar gegen Wester hin

wenigstens vorübergehend vergrössert. Über dieses Argument eingehend:

Martin Paul Edmond, Etudes critiques sur la Suisse à l'époque Mérovingienne,

Genève 1910, und in: La fin de la domination romaine en Suisse, in Bulletin de

la Société d'histoire et d'archéologie de Genève, tome VI. liv. 1, 1935, S 1-30.

Nebst diesem Stück zeugen für dieses gleiche Argument aber auch die

Abschnitte II.41 und XII.28, sowie der Brief des Ennodius, den wir in Nr. 131

veröffentlicht haben.

Dauer der Gotenherrschaft über Rätien: Der oben besprochene Abschnitt an

den Canonicarius von Venezien stammt aus den Jahren 533/53 während das

Edikt des Abschnittes XII.28 aus den Jahren 535/537 kommt. Es ergibt sich

daraus, dass im Jahre 535 Rätien noch zu gotisch Italien gehört hat. Das ist

aber auch noch für das Jahr 537 erwarten. Das ist aber für sich allein noch

nicht ein Endtermin für die Herrschaft der Goten und noch viel weniger ein

Anfangstermin für die Herrschaft der Franken. Dieser ist erst aus späteren

Quellen zu eruieren.

- 47 -

S. 335: 135. Austrasische Briefe an den oströmischen Kaiser Justinian erwähnen

einen Patricius Bregantinus und besagen, dass Rätien zum Frankenreich

gehöre. Abgefasst in Austrasien 534-547 und 534-c.550

DOMINO INLUSTRO ET PRAECELLENTISSIMO DOMNO ET PATRI,

IUSTINIANO IMPERATORE THEODEBERTUS REX (534-547 Sept. Oct).

Litteras gloriae vestrae, Andrea comite veniente, suscepimus, quibus iudicare

dignamini, tria milium virorum in solacium Bregantini patrici dirigere

deberemus

* * *

DOMINO INLUSTRO ET PRAECELLENTISSIMO DOMNO ET PATRI

IUSTINIANO IMPERATORE, THEODEBERTUS REX (534 ca. 550).

Theodorus vir expectabilis cum Salomonem pariter veniens, litteras, quas

imperii vestri clementia destinavit, integra animi caritate et devotione

suscepimus, quia, cum de nobis curam geritis, sic latius per diversas gentes

atque provincias Dei amatam amicitiam propagamus. Id vero, quod dignamini

osso solliciti, in quibus provinciis habitemus aut quae gentes nbostrae sint, Deo

adiutore, dicione subiecte Dei nostri misericordiam feliciter subactis Thoringiis

et eorun provinciis adquisitis, extinctis ipsorum tunc tempore regibus,

Norsaverum itaque gentem nobis placata maiestate‚ colla subdentibus edictis

ideoque‚ Deo propitio, Wesigotis septentrionalem plagam Italiaque

S. 336: Pannoniae cum Saxonibus, Euciis qui se nobis voluntate propria tradiderunt,

per Danubium et limitem Pannoniae usque in oceanis literibus custodiente Deo

dominatio nostra porrigetur. Et quia scimus, augustam celsitudinem vostram de

profectu catholicorum, sicut et etiam littere vostrae testantur, plena animi.

iucunditato gaudere, ideo est, quod secundum voluntatem vestram, quae Deus

nobis concesserit, simplici relatione mandamus, desiderantibus animis

exeptantes, ut felicibus gloria vestra ita valeat, ut antiquam retroactorum

principum amicitiam conservatis, et gratiam, quam sepius promittitis, in

communi utilitate iungamur. Explicit.

Übersetzung:

Dem erlauchten und über alles exzellentesten Herrn und Vater Kaiser Justinian

der König Theodebert. - Wir haben die Briefe eurer Herrlichkeit durch den

- 48 -

Comes Andreas in Empfang genommen, in welchen ihr uns für würdig schätzt

30'000 Mann dem Patricius Brigantinus zu Hilfe senden zu müssen….

Dem erlauchten und über alles exzellentesten Herrn und Vater Kaiser Justinian

der König Theodebert (534- ca. 550).

Wir haben die angesehenen Herren Theodor und Salomon, die gemeinsam zu

uns kamen, um uns Briefe von Eueren huldreichen Gnaden zu überreichen, aus

ganzer Seele in Liebe und Verehrung aufgenommen, weil, da ihr um uns

bekümmert seid, so eine Gott wohlgefällige Freundschaft unter den Nationen

und Provinzen weiter verbreitet wird. Da ihr Euch gewürdigt habt, darüber

besorgt zu sein in was für Provinzen wir wohnen oder was für Völker zu den

unsrigen gehören, können wir Euch mitteilen, dass, dank der Hilfe Gottes,

folgende zu unserem Herrschaftsbereich gehören: Seitdem wir Thüringer

glücklich unterworfen und deren Provinzen erworben, nachdem eben ihre

Könige ausgestorben waren, seitdem auch die Norsaver (Nordschwaben),

nachdem sie sich mit unserer Majestät versöhnt hatten, zu uns kamen und

seitdem durch Gottes Gnaden auch die Wesigoten (in Südfrankreich und

Spanien) uns untergeben sind, reicht unser Gebiet, abgesehen von ganz

Frankreich über die nördliche Zone Italiens und

S. 337: Pannoniens (Ungarns)und zieht sich von den Sachsen und Eucern (Juten), die

sich uns freiwillig unterworfen haben, über die Donau und die pannonische

Grenze‚ dank des göttlichen Schutzes, bis an die Gestade des Ozeans. Da wir

wissen, dass Euere erhabene Hoheit in der Tat sich ob der Katholiken‚ wie

Euere Briefe übrigens bezeugen, aus ganzem Herzen freuen, gestatten wir uns,

gewiss in Einklang mit Eurem Willen, den Gott uns zugeneigt machte, Euch zu

bitten, dass Euere Herrlichkeit uns gemäss Herzenswunsch so weit

entgegenkomme, dass ihr die alte Freundschaft Eurer Vorgänger zu uns

bewahren möget und dass wir Eure Gnade und Euer Wohlwollen zu

gemeinsamem Nutzen und Frommen weiter geniessen dürfen. - Ende.

Erklärungen.

Die Norasavi sind Nordschwaben. Von ihnen sprechen Gregor von Tours,

Historia Francorum V.15, Paulus Diaconus, Historia Langobardorum II.6 und

Fredegarius, Chron. cap. 15 (ad. a. 594).

- 49 -

In den Annales Mettenses werden an den Grenzen der Sachsen Nordesquavos

genannt (Mon. Germ. Hist. Script. I. 330 ad annum 748), Siehe darüber auch

Zeuss, Die Deutschen und die Nachbarstämme S. 362. Über die Eucii als Jüten

siehe ebenfalls bei Zeuss S. 146 und 501. Wenn sich aber von diesen

Bereichen, namentlich aber von Schwaben aus das fränkische

Herrschaftsgebiet bis nach Italien und Pannonien zog, so gehörte auch Rätien

dazu. Über die Unterwerfung Italiens unter die Franken siehe Gregor von

Tours, Hist. Franc. III.32 und Paul Hist. Langob. ÏI.2.

Die politische Zeitlage.

Der grosse Gotenkönig Theodericus starb im Jahre 526. Nach seinen Tode

führte seine Tochter Amalasuntha die Regierung, wurde aber, wohl 534, von

ihrem Vetter Theodat meuchlings beseitigt, wahrscheinlich ermordet. Kaiser

Justinian (527-565) unternahm nun eine Strafexpedition gegen diesen

verbrecherischen Usurpatoren und entsandte gegen ihn die Feldherren

Belisarius und Mundus. Zur Verstärkung dieser Aktion wandte er sich

gleichzeitig an Theodebert, König der Franken, der die Goten aus dem Rücken

anfallen sollte. Aber auch Theodatus wandte sich an die Franken und verstand

es, diesen grössere Erfolge zu versprechen als bei einer Parteiergreifung für die

Byzantiner. So sagte Theodebertus den Goten zu, die die kriegerischen

Handlungen unter König Vitigis, da Theodatus mittlerweilen gestorben, gleich

in Bewegung setzten. Da sie der byzantinischen Macht aber nicht ohne

weiteres gewachsen waren holten sie, wie Procopius berichtet (de bello Gotico

I.16), in aller Eile Hilfstruppen im Norden Rätiens, in Schwaben und bei

andern Barbaren. Wenn also diese äusserste Spitze der einstigen Raetia II noch

ihnen gehörte, dann umso mehr noch das eigentliche Rätien. Rätien gehörte

also zum mindesten bei Regierungsantritt des Vitigis noch zu Italien. Vitigis

aber regierte von 536-539. Es ist aber möglich, dass er diese Gebiete den

Franken für die von ihnen zugesagte

S. 338: Hilfe bald abtreten musste, So ist es möglich, dass Rätien, wie Planta vermutet,

schon im Jahre 537 an die Franken kam. Wir möchten aber hier besonders

betonen, dass dies nur eine Vermutung ist, und dass dieses Datum somit nicht

als klassische Zeitangabe benutzt werden kann, sowie das seit Planta bis heute

der Fall war.

- 50 -

Als die Goten in Italien beständig verloren, sandte ihnen der Frankenkönig

Theodebert im Jahre 53 endlich 10'000 Burgunder zu Hilfe, allein der

byzantinische Vormarsch machte dessen ungeachtet immer grössere

Fortschritte. Diese Schwäche der Goten benutzend und die Byzantiner gegen

ebendiese engagiert wissend, fällt der gleiche Theodebert diesen Goten in

Oberitalien auf gemeine und perfide Art in den Rücken. Im Laufe d Jahres 539

besetzt er so von Frankreich her, der Reihe nach die Lombardei, einen Teil der

cottischen Alpen und Ligurien, sowie den grössten Teil von Venetien. Gehörte

aber der ganze Strich, von den französischen Alpen über Oberitalien bis nach

Venezien nun den Franken, so ist es sicher, dass die Goten jetzt Rätien auch

verloren. Die gotische Herrschaft hört auf jeden Fall in Rätien im Jahre 539

auf. Ob damit aber eine sofortige Besetzung Rätiens durch die Franken

verbunden war, bleibt eine zweite Frage? Hier, wie schon beim

Zusammenbruch des weströmischen Reiches, ist es also möglich, dass sich die

Räter eine Zeit lang einer totalen Selbständigkeit erfreut haben. Dass die

Franken später dann alle rätischen Eigenheiten wahren mussten, erklärte sich

dann in diesem Fall aber viel schärfer als bei den bis anhin massgebend

gewesenen Interpretationen. So wäre beispielsweise der römische Praeses

Provinciae von der italisch-gotischen Zeit ohne weiteres über diese Brücke in

die fränkische Aera hinübergegangen. Doch wenn die Franken Venetien

besassen, so mochten sie kaum lange warten diese Nordsüdverbindung dahin

in ihre Macht zu bringen. Darüber Heuberger, Rätien, S. 136.

Die Bedeutung der Brief Theodeberts.

Bei einem solchen Mangel an jedem direkten Zeugnis für den Übergang

Rätiens an die Franken um die 40er Jahre des 6. Jahrhunderts, gewinnt der

vorliegende Brief Theodeberts an Justinian natürlich gewaltig an Bedeutung.

Aus dem freundlichen Ton zu den Byzantiner geschlossen, kann er natürlich

nicht vor dem fränkischen Treubruch gegenüber den Goten, der im Jahre 539

erfolgte, geschrieben worden sein. Auf jeden Fall ist er vor dem Tod

Theodeberts, der etwa ins Jahr 550 fällt entstanden. Sicher ist also, dass Rätien

seit 539 nicht mehr zum Reiche der Goten gehört und seit ca. 550 zu jenem der

Franken in Botmässigkeit steht. Alles andere ist Vermutung zu Gunsten der

Franken! Man kann aber, bei vorhandenem Spielraum, wenn man will, auch

andere Vermutungen aufstellen.

- 51 -

Das tut nun auch Heuberger (Rätien I. S. 259), wenn er in voller Berechtigung

sagt: "Wenn endlich Theodebert I. in einem nach 539 abgefassten Schreiben an

Kaiser Justinian dem sehr verderbt überlieferten Wortlaut dieses Stückes

S. 339: zufolge, anscheinend erklärt, sein Reich erstrecke sich bis an die Donau und

bis nach Norditalien und Pannonien (Ungarn), so traf dies auch zu, wenn das

alpine Osträtien und der Hauptteil von Norikum ausserhalb des damaligen

fränkischen Machtbereiches lagen. Erstreckte sich dieser doch zu jener Zeit

über das alemannische, nach der herrschenden Meinung auch über das

bairische Stammesgebiet, sowie über Venetien, von wo er nach Pannonien

hinübergegriffen haben kann. Anderseits ist hervorzuheben, dass Theodebert

(534 bis ca. 550) die Provinzen Rätien und Noricum nicht nennt, trotzdem er in

seinem Schreiben (nach 539) offensichtlich möglichst dick aufträgt und

besonders die zuletzt dem Frankenreich einverleibten Länder hervorhebt".

Betreff Chur r sagt Heuberger: "Ferner ist eine Abtretung Rätiens und

Norikum an die Franken durch König Witiges nicht einmal mittelbar bezeugt

und von den Bischöfen, die ihre Sitze in diesen Gebieten hatten‚ lässt sich

bloss jener von Chur (anno 614) als Teilnehmer einer fränkischen

Kirchenversammlung nachweisen". Ansichtlich einer solchen Quellenlage ist

aber jene Meinung endgültig abgetan, die da meinte die Victoriden seien

Franken gewesen, wie man denn früher überhaupt gerne alles fremdartig

erklärt hat. Heuberger lehnt auf jeden Fall Osträtien insgesamt als fränkisches

Gebiet ab. Doch auch für West- oder Churrätien stammt das älteste direkte

Frankenzeugnis erst aus dem Jahre 614. Doch so weit glauben wir in

Anbetracht der indirekten Quellen doch nicht gehen zu dürfen, da wir den

Brief Theodeberts doch noch in einer - auch für germanistisch eingestellte

Gelehrte - annehmbaren Weise verstehen wollen.

Die kulturelle Lage der Romanen unter den Franken.

Da die Goten Dako-Skythen waren (cf. Nr. 131) kam Rätien, aus indirekter

Quelle geschlossen, erst zwischen 539 und ca. 550, nach direktem Zeugnis

aber zum ersten Mal ausdrücklich schriftlich nachweisbar sogar erst 614 zu

Germanien. Es blieb also nach dem Untergang der Gotenherrschaft, die wie

gesagt auf jeden Fall spätestens 539 erfolgte, sehr wohl eine gewisse Zeit lang

soviel wie ganz unabhängig, aber nicht bis gegen das siebte Jahrhundert, denn

- 52 -

es hiesse jene Zeit verkennen, wollte man die Skepsis gegenüber indirekten

Berichten und Traditionen so weit treiben. Auf jeden Fall steuerten aber die

Merovinger als Rätien fester in den Reichsverband einbezogen wurde, bald

ihrer Dekadenz entgegen. Sie liessen sich am Hofe Verse aus den römischen

Dichtern zur Leier vorsingen oder durchzogen das Land lustwandelnd in

weichen Sänften. Nach 638 herrschten dann bis 751 die bekannten Faulenzer-

Könige. Aber abgesehen davon hatten sich die Merovinger in Paris ganz

romanisiert.

Auf jeden Fall legten die Merovinger keine Hand an die römischen

Landeszustände in Rätien. Immerhin konnten sie trotz ihrer grossen Achtung

vor römischen Dingen, die Dekadenz der antiken Zustände schon aus eigener

S. 340: Schwäche heraus nicht aufhalten. Laut der herrschenden Geschichtsmeinung

lösten die Merovinger auch die alemannisierten Gebiete von Rätien und

seinem Bistum ab. Die Rätia prima, auch Curiensis genannt, umfasste jetzt nur

noch das heutige Graubünden, Vorarlberg das St. Galler Rheintal, das

Sarganserland, Liechtenstein, das Gaster, das Urserental, Galtür (Coltura) und

Ischgl im Inntirol (Valeria) und den Vinstgau (Venosta) bis Maia hinab. Diese

Neubegrenzung wurde angeblich unter König Dagobert (628-638) anno

633/634 vollzogen. Mit dieser Dagobert'schen Neubegrenzung ist

wahrscheinlich die Abtrennung des Landes Glarus vom Bistum Chur

verbunden.

So wurde auch das St. Gallerland zum ersten Mal kirchlich und weltlich in

zwei Stücke zerteilt. Die südöstliche Hälfte blieb nach wie vor bei der Provinz

Rätien und unter dem Bischof von Chur, während der nordwestliche Teil dem

alemannischen Zürich-Thurgau mit helvetischem Bischofsitz zu Vindonissa

vormals und zu Konstanz seit ca. 600, zugeschlagen wurde. Die Grenzlinie

verlief etwa wie folgt: Nach Gubser (Geschichte der Landschaft Gaster) befand

sie sich im Gaster am Nässibach, zwischen Rufi und Maseltrangen. Eigentlich

bilden die Hügel des Gasterholzes bei Maseltrangen und des Bildstein bei

Benken, nebst den Sümpfen zwischen Schänis und Reichenburg eine ganz

natürliche Grenze zwischen Rätien und Alemannien. Und zwar machte sich

der früher bedeutend bösartiger gewesene Sumpf als viel scheidender geltend,

als die immerhin gangbaren Hügel.

- 53 -

Deshalb tritt später hier auch eine historische Grenze am Steinerbach auf (Über

die historische Bedingtheit dieser Grenzen siehe bei Nr. 70-74 und 128). Von

dort zog sich die Grenze in das Gebiet des Fideri und Speer hinauf um auf der

andern Seite sich gegen Stein (ad Lapidem) hinabzuziehen denn bis dort

reichte lange Zeit das rätische Volkstum im Toggenburg‚ was sich aus der

Toponomie noch ergibt. Auch bis in die neueste Zeit hinein redete man

daselbst noch einen Dialekt, der sich ans Werdenbergische anschloss, während

heute das Toggenburg ganz veralemannisiert ist. Auch das obere Gebiet des

Necker mochte in der Frühzeit noch rätisch sein. Doch die Quellen berichten

darüber nichts. Weiter nördlich finden wir urkundlich dann die Grenzpunkte

Himmelberg in der Pfarrei Gonten und die Säntiseralp. Von dieser fiel die

Grenze dann ins Rheintal ab.

Das Rheintal wurde u. E. von der Dagobert'schen Grenzregulierung noch nicht

berührt. In einer alten Urkunde heisst es, die rätische Grenze habe von der

"Sämptiseralp dem First entlang" nach dem Rhein "ad Rhenum" geführt. Von

der Säntiseralp gelangt man dem First entlang aber auf jeden Fall nicht an den

Hirschensprung. Von der Säntiseralp und dem rätischen Kamor (Campus

Mauri) konnte die Grenze also nicht nach Montlingen gehen, welche Ansicht

auch erst einer Urkunde aus dem Jahre 1155 unterlaufen ist, da sie in ihrer

Auffassung von den neueren Zuständen beeinflusst war. Wir werden das

anderorts genauer erörtern. Es bleibt also nichts anderes übrig als die

S. 341: Linie Fähneren Hirschberg-Sommerberg in Betracht zu ziehen, die südlich von

Rheineck - dem römischen ad Rhenum - beim Monstein zum Rhein "ad

Rhenum" abfällt. Auch dort scheiden sich heute noch der St. Gallerische und

der Rheintalische Dialekt. Monstein bedeutet zwar Mons-stein. Die

angezogene Urkunde sagt aber auch, dass, dort König Dagobert "ad

discernendes termines Burgundie et Curiensis Rhetie" einen Mond in den

Felsen (in vertice rupis), meisseln liess, was dann die Deutung des Namens in

Mondstein verursachte. Dass Burgund, resp. Alemannien damals tatsächlich

nicht weiter hinauf gereicht hat, und dass die Grenzlinie nahe beim Mondstein

gelegen haben muss, ergibt sich daraus, dass der Arbonforst nie über jenen Ort

hinauf gereicht hat. Beim Monstein beginnt auch - wenn vorerst auch nur

spärlich - die rätische Toponomie mit Bezeichnungen wie Gais, Kobel, Kapf,

- 54 -

Kuppen, Boffles etc. Altstätten (Altstadium) musste eine romanische Ortschaft

sein, denn nur dort wo die Deutschen bewohnte Orte antrafen, wandten sie

diese Bezeichnung an. Montlingen (Monticulus) und Eichberg (Hermentines,

Ermatin = Ager montanus) waren sogar in karolingischer Zeit noch romanisch.

Ganz ähnlich hiess auf der andern Seite des Rheins Hohenems "Altems", was

aber auch als "Amato" alta gedeutet werden kann. Es gab dort im

Frühmittelalter eine "Villa Constantini". Das dortige Altach bedeutet alta aqua,

Löwenberg lavina, Gsol casale. Alpigla alpicula, Stafel stavale etc. Wir

begreifen nun auch, dass noch in merovingischer Zeit, jeweils ein Mitglied der

herrschenden Victoridenfamilie auch den Titel eines Comes Brigantinus trug.

Wir glauben also dass die Grenzlinie Hirschensprung - Kummerberg nur bis

zur Divisio von 806 zurückreicht, wobei aber Montlingen und Eichberg

nochmals bei Rätien blieben. Doch darüber, sowie über die völkischen

Zustände im Appenzellerland und im Arbonforst später mehr. Wir werden

sehen, dass sich eine romanische Minderheit auch da noch lange halten konnte.

Also von Rätien aus gesehen wohnte in merovingischer Zeit diesseits des

Säntis eine ganz romanische Bevölkerung, jenseits aber bereits eine

alemannische mit Romanen in den geschlossenen Ortschaften und mit sehr

möglichen romanischen Minderheiten auch sonstwo. Gegen das Gebirge also

im Appenzellerland kam man aber allmählich in ganz romanisches Land, was

wir aus einer viel späteren Erwähnung noch ersehen werden. Doch das

Rheintal bis Montlingen und bis an den Hirschensprung mochte bald eine sehr

gemischte Gesellschaft aufweisen. Glarus blieb in dieser Zeit zweifelsohne

noch romanisch.

Über die Kultur der Victoriden siehe Winter, Der Kulturkreis der Viktoriden,

in Bündner Monatsblatt 1927 Nr. 7 und 8. Planta, Das alte Rätien S. 255-283.

Heuberger, Rätien im Altertum und Frühmittelalter, Schlern-Schriften 20,

Dietze, Rätien uns seine germanische Umwelt, Martin Paul Edmond, Etudes

critiques sur la Suisse à l'époque merovingienne S. 554-715. Stähelin, Die

Schweiz in römischer Zeit, etc... Diese Liste ist nicht erschöpfend. Wir bringen

sie hier nur, weil derartige Darstellungen den Rahmen unserer Arbeit sprengen

würden.

- 55 -

S. 342: Die römische Katholizität.

Im vorliegenden Brief des Theodebert an den oströmischen Kaiser Justinianus

ist einmal die Rede von der Katholizität. Er sucht durch die Erwähnung

derselben, die Sympathien des oströmischen Kaisers vollends zu gewinnen.

Wir haben schon des öftern gesagt, dass im Altertum das römische Reich die

Welt der Ordnung und der Gesetzesmässigkeit, kurz der Kultur überhaupt

verkörperte, während dem alles was ausserhalb dieses Bereiches lag, als

chaotische Barbarei betrachtet wurde, hatte man von den vielleicht noch

grösseren Kulturwelten Indiens und Chinas ja überhaupt keine rechte Ahnung.

Das Römertum war aber nicht nur ein politischer Verband, sondern eine

Weltanschauung, deren Ausdruck die lateinischen und griechischen Sprachen

waren. Dieses Reich war aber aufgebaut aus einer ganzen Reihe von Nationen.

Das Römerreich war so eine Universitas nationum. In jener Zeit allein bestand

das geeinigte Europa. Wie es aber damals eine solche Universitas oder

Katholizität in weltlichen Belangen gab, so auch in religiösen. Wie der Nicht-

Römer als Barbar galt, so der Nicht-Katholik als Häretiker. So waren die an

Kultureinheit gewöhnten Römer katholisch, die Nichtrömer aber meist nicht-

Katholisch. So gab es im Morgenland Nestorianer, in Chaldäa und in Indien,

Monophysiten in Aegypten (koptische Jakobiten), Abessinien, Armenien und.

Mesopotamien und andere Nicht-Katholiken, bei den Germanen aber, soweit

sie nicht im Heidentum verharrten, fast durchs Band Arianer. In und um Rätien

war die Situation folgende:

Die Räter waren Katholiken, gleich den angrenzenden Italikern, Gallo-

Helvetern und Norikern. Die Burgunder waren anfänglich auch Katholiken,

gingen dann aber zu einem grossen Teil zum Arianismus über. Arianer auch

die Goten in Italien. Die Alemannen im Norden waren Heiden und die seit 568

in Italien auftauchenden Langobarden, soweit sie sich nicht zum Arianismus

bekannten, auch. Desgleichen die Franken im Nordwesten. Als das römische

Reich im Abendlande unterging, wurde die Lage der Katholiken da ziemlich

kritisch, im Gegensatz zum Ostreich, das ganz katholisch war und von

Dalmatien bis Syrien reichte. Als die Franken demnach im Jahre 496 vom

Heidentum zur Katholizismus übertraten, wurden sie geistig den Oströmern

plötzlich die nächst verwandten Germanen und durften diesbezüglich demnach

auf die Oströmer rechnen.

- 56 -

So begreift man die Erwähnung der Katholizität im Brief Theodeberts an

Justinian sehr wohl. Durch den Übertritt der Franken zum Katholizismus

gewannen sich dieselben aber zugleich auch die Sympathien sämtlicher

Westromanen, die immerhin die grosse Mehrheit der Bevölkerung von ganz

Süd- und Westeuropa ausmachten und zu welchen, wie gesagt, auch die Räter

gehörten. Man begreift jetzt auch, warum das fränkische Reich jetzt und fortab

so schnell aufblühte und in Bälde den grössten Teil Europas beherrschte, und

warum allmählich der Arianismus ganz verschwand. Jene Burgunder, die

arianisch waren, kehrten seit 534 ganz zum Katholizismus zurück. Das

gotische Reich in Italien ging in den 30er Jahren des 6. Jahrhunderts zu

Gunsten der Oströmer vollständig ein. Italien war

S. 343: jetzt wieder ganz katholisch bis ca. 568 die Langobarden auftauchten, die aber

unter Papst Gregor I. (590-604) auch der römischen Kirche beitraten. Rätien

war also zwischen diesem Italien und Burgund, die beide solchen Wechseln

ausgesetzt waren, einerseits, und dem heidnischen Alemannien anderseits, ein

fester Ruhepunkt des Katholizismus. Als solcher hatte aber Rätien seinerseits

auch ein Interesse mit den Franken in nähere Beziehung zu treten. Franken und

Räter standen sich von diesem Standpunkt ungemein näher, als etwa Franken

und Alemannen, denn die Alemannen waren bekanntlich eines der letzten

germanischen Völker das zum Christentum überzutreten geruhte.

136. Ein (Nieder?)rätischer: Codex enthält Titel der Bestimmungen des

Kaisers Justin(ian) anlässlich des afrikanischen Konzils von Byzacenum.

Konzil anno 541, gleichzeitig zum Konzil von Orléans. Erlass anno 542.

INCIPIUNT CAPITULA IUSTINI IMPERATORIS SACRA PRIVILEGIA

CONCILII VIZACENI.

I. Ut episcopus non audeat navigare sine consensu primati.

II. Iussio Iustiniani imperatoris pro privilegia

III. Item iussio Iustiniani imperatoris ut nullus arripiat quod habuisse non

probatur.

IIII. Ut nullus audeat violare privilegia data ecclesiis.

V. Ut in clerico nemo manum mittat.

VI. Lex pro episcopis et monasteriis.

- 57 -

VII. De libertis.

VIII. De Secundis nuptiis.

VIIII. De fideiussoribus.

Übersetzung.

Hier beginnen die Kapitel der geheiligten Privilegien des T Justin(ian) aus dem

Konzil von Byzacenum

S. 344: I. Dass Bischöfe sich nicht unterstehen sollen ohne die Einwilligung

ihrer Obern zur See zu fahren.

II. Befehl des Kaisers Justinian betreff der Privilegien.

III. Befehl des Kaisers Justinian dass niemand etwas an sich reissen

dürfe, von dem er nicht beweisen kann, dass es ihm gehöre.

IIII. Dass sich niemand unterstehe, die Privilegien zu verletzen,

die der Kirche erteilt wurden.

V. Dass niemand Hand an einen Kleriker lege.

VI. Gesetz für die Bischöfe und Klöster.

VII. Von den Freigelassenen.

VIII. Von der zweiten Ehe.

VIIII. Von den Bürgen.

Der Codex.

Es handelt sich hier um den Codex 722 der Stiftsbibliothek St. Gallen. Wir

haben diesen schon bei Nr. 130 behandelt, wo wir gesehen haben das dieser

aus zwei Teilen besteht, einem ersten aus weissem Pergament und einem

zweiten aus bräunlichem, wobei der erste Teil auf das untere niedere Rätien,

der zweite in eine Gegend um Chur verweist. Dem ersten weissen Teil ist nur

ein ebenfalls bräunliches Blatt vorgeschoben (fol. l). Auf diesem befindet sich

nun auf S. 2 der hier veröffentlichte Text.

Der Text.

Dieser Text enthält die leere Titelrubrik der Bestimmungen des Kaisers

Justinian anlässlich des Afrikanischen Konzils in der Provinz Byzacenum oder

Vizacenum. Wie hier dieser Text sich im Codex St. Gallensis der Lex Romana

Curiensis findet so figuriert er ganz gleich in jenem von Aquileia-Udine zu

derselben Lex. Im St. Galler Codex ist in der Überschrift aber

irrtümlicherweise Justinus gesetzt statt Justinianus.

- 58 -

Ein Justinus regierte allerdings vor und nach Justinian, nämlich Justinian I.

518-527 und Justinian II. 565-578. Das Concilium von Byzacenum fand aber

im Jahre 541, also unter Justinianus statt, der von 527-565 glorreich regierte,

Auch bringen in unserem Text die einzelnen Capitula denn ja richtig

Justinianus. Da die beiden rätischen Codices nur die Titelrubriken zu den

Erlassen dieses Kaisers bringen, wollen wir hier nicht weiter greifen. Wer

sachlich in diese Dinge sich vertiefen will greife also zur Fachliteratur.

Das Konzil von Byzacenum.

Die afrikanischen Bischöfe erliessen am Konzil von Byzacenum mehrere

Canones, von denen wir nichts wissen, ohne dass der Kaiser Justinian, an den

die Konzilsväter zwei Bischöfe abordneten, sie bestätigte, und zwar auch für

den Fall, wo man etwa Privilegien zu ihrer Umgehung und zur Verhinderung

ihrer Anwendung erschleichen würde. Das diesbezügliche kaiserliche Reskript

datiert aus dem Jahre 542. Ein anderes einschlägiges Reskript ist ein Jahr

später und richtet sich an den Metropoliten von Byzacenum, namens Dacianus.

(Histoire générale des Auteurs sacrés et ecclesiastiques par le R. P. Dom Rémy

Ceillier, Nouvelle Edition, tome XImo Paris 1882, S. 889).

S. 345: Bedeutung der vorliegend Bestimmungen.

Sollten die Römer Rätiens - was nach Nr. 135 ganz gut, möglich ist - zwischen

der Herrschaft der dako-skytischen Goten und der germanischen Franken eine

Zeit lang keinem Barbarenland unterstanden haben, so hätte ihre Orientierung

nach Ostrom, wie wir bei Nr. 128 nahegelegt haben, nicht allzu ferne gelegen.

Namentlich in juristischer Beziehung, mochten sie dort am ehesten arteigene

Auffassungen finden. Wir können jedoch auch auf konkretere Unterlagen für

solche Beziehungen deuten. So ist es heute ja unbestritten, dass das Bistum des

zweiten Rätien mit seinem Sitz zu Sabiona, nicht zur Kirchenprovinz Mailand,

sondern zu jener von Aquileia, wo gar ein Patriarch wohnte, gehörte

(Heuberger, Rätien I. 172, 173) Heuberger glaubt überdies mit etwelchem

Recht, dass schon das alte Bistum Augusta Vindelicorum diesem

Metropolitanverband unterstand. So rückt die östliche Einflusszone auf unser

Land schon sehr nahe. Wichtig ist hier aber vor allem, dass der grosse

Zentralpunkt dieser Zone Aquileia war und dass Aquileia im 6. Jahrhundert

- 59 -

einige Dezennien zum oströmischen Reich gehörte, denn die Bestimmunen, die

wir hier behandeln, stammen ja aus Ostrom, nämlich aus Constantinopel,

obwohl sie anlässlich eines afrikanischen Konzils herausgegeben wurden.

Nach den gotisch-byzantinischen Kriegen (535-553) fiel nach und nach

bekanntlich der grösste Teil Italiens an die Oströmer. Auf jeden Fall stiessen

dieselben auch bis an die Ostalpen vor und behaupteten u.a. eine Zeit lang

Venezien, Friaul und das Tridentinische, wie sich aus Quellen aus der zweiten

Hälfte des 6. Jahrhunderts ergibt. Dazu sagt Planta (Das alte Rätien, S. 261)

"...und wahrscheinlich trachteten sie schon damals, ihre Hoheit auch über die

osträtischen un norischen Gebirgsgegenden auszudehnen. Von dem Untergang

der gotischen Herrschaft (552) an wurden aber die Oströmer Meister auch des

norischen und osträtischen Alpengebirges, wenigstens seiner südlichen

Abhänge …." Heuberger (Rätien) sträubt sich nun einer solchen Auffassung

gegenüber mit allen Fasern, wie er denn allem Römischen gegenüber für das

Mittelalter sehr kritisch ist. Er sucht jedes diesbezügliche Zeugnis

abzuschwächen so weit wie möglich. Es kommt jetzt aber zu jenen Texten, die

er behandelt, noch der Vorliegende hinzu. Es erklärt sich kaum, dass man in

Rätien nur aus kirchlichen Beziehungen heraus, in Ermangelung aller

politischer Bande, oströmische Gesetzesbestimmungen aufgenommen hätte,

zudem dieser Text ja nicht einmal allein dasteht, gesellen sich zu ihm ja noch

ziemlich weitlaufende Exzerpten aus der Epitome des Julian, die wir zum Jahr

555 bringen werden. Diese Gesetze finden sich aber nicht etwa bloss, je in

einem rätischen Codex, sondern in je zweien und zwar jeweils in Begleitung

zur Lex Romana Curiensis, die bekanntlich in Rätien angewandt wurde. Wir

glauben doch nicht, dass die "Privilegia concilii Vizaceni" und die "Epitome

Iuliana" je nur zum Sport dieser Lex beigefügt wurden. Man kann uns nun

allerdings entgegnen, dass im Pfäverser Codex dieser Lex, diese zwei Gesetze

sich nicht finden. Dazu ist aber zu sagen, dass der Pfäverser Codex einer

neueren Tradition angehört als jene von Aquileia und Chur-St. Gallen, und

dass es somit kein Wunder ist, dass die oströmische Tradition, die sowieso

ephemer war, darin erloschen ist. Im allgemeinen enthalten diese Codices

S. 346: also das Recht der rätischen Nation, womit sich wieder erklärt, dass diese

oströmischen Gesetze vom zweiten ins erste Rätien hinübergleiten konnten

- 60 -

(Siehe die Fachliteratur zur Persönlichkeit des Rechtes im Frühmittelalter) und

so auch im Codex 722 von (Chur-)St. Gallen figurieren. Oder muss man da

etwa auf jene Bemerkung Heubergers zurückkommen, es nehme einen

Wunder, dass Rätien und Norikum überhaupt nicht im Brief Theodeberts an

Justinian enthalten sei, und dass die fränkische Herrschaft über Rätien zum

ersten Mal erst für das Jahr 614 direkt bezeugt werden könne? Ist denn da nicht

ein so weiter Spielraum zu byzantinischen Erörterungen vorhanden, wie wir

uns selber kaum getrauen würden ihn auch nur von ferne in Erwägung zu

ziehen, dieweilen wir, so wenig wie Heuberger, an ein so langes Ausbleiben

einer fränkischen Herrschaft in Rätien glauben, gibt es denn, womit Heuberger

wiederum einverstanden ist, auch indirekte überzeugende Quellentexte.

Auf jeden Fall Ist die alte römische Kultureinheit noch nicht gesprengt. Wir

vermögen dieselbe an Hand der alten Autoren bis in die zweite Hälfte des 6.

Jahrhunderts zu verfolgen. Es ist dies jene Zeit, in der die römischen und

griechischen Schriftsteller bezeichnenderweise aufgehört haben über Rätien zu

schreiben. Gesetze wie sie hier vorliegen müssen aber in Rätien in einer Zeit

Eingang gefunden haben, wo man noch römisch-universell im antik-kulturellen

Sinn zu denken vermochte.

137. Eine Grabplatte aus Chur und Mols erwähnt den Churer Bischof St.

Valentinian. anno 548.

SCE M EPCS

HOC IACIT IN TOMOLO QVEM DEFLEVIT

RETICA TELLVS

MAXIMA SVMMORVM GLORIA PON

TIFICVM 5

ABIECTIS QVI FVDIT OPES NVDA

TAQUE TEXIT

AGMINA CAPTIVIS PRAEMIA LARGA

FERENS

EST PIETAS VICINA POLO NEC FV 10

S. 347: NERIS ICTVM

SENTIT OVANS FACTIS QVI Petit

- 61 -

ASTRA BONIS

HIS POLLENS TITVLIS VALENTIA

NE SACERDOS 15

CREDERIS A CVNTIS NON POTV

ISSE MORI QVI VIXIT IN HOC SAE

C. ANN PLS. MN. LXX. DPS. SVB. D. GI. ID. IAN

SEPS P CS BASI V C CS. IND. XI. PAVLINVS. NE

POS IPSIUS HEC ETERI ORDINAVIT 20

Entzifferung:

1. S(an)c(t)e m(emorie) ep(is)c(opu)s

17-20 Qui vixit in hoc saec(ulo) ann(os) pl(u)s m(i)n(us) LXX d(e)p(ositu)s

sub d(ie) VI id(us) ian(uarias) sep(tima)s p(ost) c(o)s(ulatum) Basi(lii) v(iri)

c(larissimi) c(o)sulis) ind(ictione) XI. Paulinus nepos ipsius hoc fieri ordinavit.

Das Bruchstück von Mols (18-20)

-------N PLS. MN.--

SEPS P CS BASI V C--

POS IPSIVS HEC------ 20

Uebersetzung:

Ein Bischof gesegneten Andenkens!

Hier liegt in stiller Gruft, Er,

Den die rätischen Länder beweinen.

Den die römischen Päpste höchster

Ehrenstellen für würdig hielten.

Der unter die Armen auswarf seine Schätze

Zerlumpte Bettler kleidete.

Der den Armen in Gefangenschaft Schmachtenden

Reichliche Gaben zuteil werden liess.

Es gibt eine Liebestätigkeit, sie ist

Im Himmel erweckt!

Sie triumphiert über den Tod und seine Schrecken,

Wohltuend bahnt sie sich siegreich den Weg zum Himmel.

Dieser Taten gedenkend kann dein Volk

- 62 -

O Hohepriester Valentinian

Es nicht fassen, dass du nicht mehr

Unter ihnen weilst.

S. 348: Er erreichte ein Alter von 70 Jahren, wurde bestattet am zweiten Tag der Iden

des Januar (12. Januar), im siebten Jahre nach dem Consulat des Basilius (548,

da Basilius 541 Konsul war), eines berühmten Mannes unter der XI. Indiktion

(römischen Zinszahl). Paulinus sein Neffe hat dieses Denkmal erstellt.

(Übersetzung von H.H. Gerschwiler)

Schicksal der Inschrift.

Der hl. Valentinian wurde dereinst beigesetzt in der Gruft zu St. Luzius zu

Chur. Dort befand sich die Inschrift bis in die Neuzeit (Aegydius Tschudi,

Codex St. Galli Nr. 609 und Campell, Chron, I. 95). Die Platte ist seither leider

zu Grunde gegangen. Nur ein Bruchstück davon konnte zu Guns oder Seguns

bei Mols, wieder zu Tage gefördert werden. Über alldas siehe Paul Diebolder,

Das Grabmal des Bischofs Valentinian von Chur, in "Heimatblätter aus dem

Sarganserland, 4. Jahrgang, S. 35 f, wo auch weitere Literaturangaben zu

finden sind.

Veröffentlichungen.

Mommsen CIL, XIII 5251.

Derselbe im Nachtrag zu den Inscriptiones Confoederationis Helvetiae Latinae

"Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich", 1865.

Vollmer, Inscriptiones Baioariae Romanae, Nr. 70.

Über die Datierung.

Die Konsuln waren von Haus aus die beiden höchsten Magistraten zu Rom.

Seitdem Kaiser Konstantin das Reich in zwei Hälften, in eine östliche und in

eine westliche, teilte, gab es ab 338 bisweilen einen Konsuln in Rom und einen

in Constantinopel. Das ist seit 367 regelmässig der Fall. Es gab zwar auch nach

dem Untergang des Westreiches, der im Jahre 476 erfolgte, noch bis 534 einen

Konsuln in Rom, aber nur von ganz lokaler Bedeutung. So stammen die

Konsulardiptichen, wie das Zürcher Diptychon von 506 (Vgl. Nr. 128)

meistens aus Ostrom. Letzter weströmischer Konsul war Decius Theodorus

Paulinus. Man findet nach ihm Datierungen noch bis ins Jahr 547 (Post

consulatum Paulini XIII).

- 63 -

Im Jahre 540 war Flavius Justinus Konsul in Constantinopel, im Jahre 541

Flavius Basilius. Mit diesem wird das Konsulat auch in Ostrom zum letzten

Mal mit einem eigenen Mann betraut, da die Alleinherrlichkeit des Kaisers zu

stark übernommen hatte. So datierte man von 542-566 mit den Worten "post

consilatum Basilii" "Nach dem Konsulat des Basilius", wie es auf unserer

Inschrift der Fall ist. Es kommen in dieser gleichen Zeitspanne aber auch noch

Datierungen nach seinem Vorgänger Justinus und wie gesagt, bis 547 auch

nach dem Weströmer Paulinus vor. Unser Denkmal datiert aber nach dem

letzten Oströmer, der eben Konsul war. Seit dem oströmischen Kaiser Justinus

II.

S. 349: (565-678) ist dann der Kaiser immerwährender Konsul. Man begreift da, dass

man nicht mehr gut nach Konsuln datieren konnte. In der Tat kam eine solche

Datierung nach einer nach den Regierungsjahren des Kaisers gleich. Immerhin

erscheint Kaiser Herakleios 641 noch ein Mal letztmals als Konsul, Schon

Kaiser Justinian (527-565) wollte aber die öffentlichen Akten ausdrücklich seit

September 537 nach Regierungsjahren des Kaisers datiert wissen, doch blieb

die Datierung nach Konsuln noch geraume Zeit beliebter. Auch die italischen

Ostgoten datierten nach diesen Konsuln und das noch nachweisbar bis ins Jahr

534 (Lot, La fin du monde antique et le début du moyen âge, S. 282), also bis

an die Zeit, da die Ostgoten Rätien verloren. Anders die Franken. Schon die

ersten Urkunden der Könige des Frankenreiches werden nach der Regierung

des Königs datiert, enthielten aber das Datum des Kaisers nicht, um die

Unabhängigkeit der Könige zu zeigen. Immerhin, im Gegensatz zu den

Franken datierten auch di Gallo-Romanen lieber nach den

constantinopolitanischen Kaisern. Seit dem 7. Jahrhundert wird im

Frankenreich die Datierung nach Königen aber allgemein.

Das Denkmal des Bischofs St. Valentinian folgt also der oströmischen

Tradition, die hier von den Ostrogoten gestärkt wurde, steht dem fränkischen

Geist aber fern. Das möge man aber auch in Betracht ziehen zu den

Erwägungen zu Nr. 136.

- 64 -

138. Prokopios von palästinisch Caesarea beschreibt die Nachbarvölker

Rätiens, spricht vom gotisch-byzantinisch-fränkischen Krieg und bedeutet

mittelbar, dass Rätien jetzt zum Frankenreich gehöre.

Verfasst zwischen 550 und 554, zu Constantinopel.

S. 350:

- 65 -

S. 351:

S. 352:

- 66 -

S. 353:

S. 354:

- 67 -

Übersetzung.

Des Prokopios von Cäsarea acht Bücher der Geschichte. De bello Gothico oder

vom gotischen Krieg I. (De bellis oder von den Kriegen V) 15, 25-30 ad annos

536/7: Von da an folgen (von Dalmatien aus aufwärts) Liburnien, Istrien und

das Land der Veneter, welches bis zur Stadt Ravenna sich erstreckt. Diese

wohnen dort am Meere. Über diesen wohnen die Siskier und Schwaben

(Souaboi = Suavi, an der Sava, Save in Slovenien), nicht diejenigen, welche

den Franken untertan sind, sondern neben ihnen andere, welche das innere

Land besitzen. Über diesen sitzen die Karnier (in Kärnten) und Noriker (in

Österreich). Neben diesen wohnen zur rechten Hand die Daker und Pannonier,

welche andere Oerter und auch Singidon und Sirmium besitzen und bis zu dem

Fluss Ister (Donau) reichen. Über diese Völker ausserhalb des ionischen

Meerbusens herrschten die Goten zu Anfange dieses Krieges (!). Über der

Stadt Ravenna auf der linken Seite des Po-Flusses wohnen die Ligurer und

neben ihnen gegen Norden die Albaner, in einem über alle Masse fruchtbaren

Lande, das Languilla genannt wird (Langonen? Wahrscheinlich die

piemontesische Provinz Alba). Neben diesen gegen Abend wohnen die Gallier

und hinter diesen

S. 355: die Spanier. Auf der rechten Seite des Po befinden sich Aemilia und die

Völkerschaften der Tusker, welche sich, bis zu den Grenzen von Rom

erstrecken. So verhält es sich hiermit.

I. (V) 16, 8-9 zu den Jahren 536-537: Er schickte nach Dalmatien ein

zahlreiches Heer unter Asinarius und Ouligisalos (Uligisalus), um Dalmatien

der gotischen Herrschaft wieder zu gewinnen. Er gab ihnen den Auftrag, sich

aus den Landschaften Schwabens (Souabia = an der Save) durch ein

Barbarenheer zu verstärken und dann gerade auf Dalmatien u Salonae

loszugehen.

12-14.: Asinarius nun begab sich nach Suavia und sammelte dort das

Barbarenheer, und Ouligisalos führte allein die Goten nach Liburnien. Bei

Scardo wurden sie mit den Römern handgemein, erlitten eine Niederlage und

zogen sich auf die Stadt Burnium (in Liburnien) zurück. Dort erwartete

Ouligisalos seinen Mitbefehlshaber. Als aber Constantin von der Rüstung des

Asinarius Kunde erhielt, ward er für Salonae besorgt......

- 68 -

15 in fine: … Asinarius zog mit einem Barbarenheer in die Stadt Burnum ein,

vereinigte sich dort mit Ouligisalos und dessen Gotenschar und zog gegen

Salonae. (Es folgt die Beschreibung dessen langen Belagerung).

I. (V) 13, 14-29, zu den Jahren 536/537: Als bald darauf der Gotenkönig

Theodatus des Belisarius Ankunft auf Sizilien erfuhr, machte er mit den

Franken ein Bündnis, wonach ihre Könige selbst gegen Auslieferung des

gotischen Teils von Gallien und 200 Pfund Gold ihm in diesem Kriege zu Hilfe

ziehen sollten. Ehe aber noch der Vertrag vollzogen wurde, hatte ihn schon

sein Schicksal ereilt. Deshalb standen dort. viele Goten, und zwar die

tapfersten, unter der Führung des Marcia auf der Grenzwacht. Diese konnte

Vitigis (der Nachfolger des Theodatus) einerseits nicht abberufen, anderseits

hielt er sie nicht für stark genug, um den Franken erfolgreichen Widerstand zu

leisten falls diese, was sehr wahrscheinlich war, sich auf Gallien und Italien

stürzten, während er selbst mit seinem ganzen Heer auf Rom marschierte. Er

berief daher die vornehmsten Goten und schlug, ihnen vor, den Vertrag mit

den Franken, wie ihn Theodatus geplant hatte, abzuschliessen, und, zwar mit

folgenden Worten: " … wenn die starken Besatzungen, welche die Goten in

Gallien haben, nach Italien berufen würden, so würden die Franken ohne

Zweifel in Gallien, als auch in Italien einfallen, (was dann später wie in Nr.

135 erörtert auch geschah), lasse man die Besatzungen aber in Gallien stehen,

so würden sie, von den Franken angegriffen, denselben nicht gewachsen sein,

wogegen die Franken, wenn ihnen Gallien überlassen und die von Theodatus

versprochene Geldsumme bezahlt würde, nicht bloss ihren Hass gegen die

Goten ablegen, sondern auch sich in diesem Kriege mit ihnen gegen die

Oströmer, sonst aber mit letzteren gegen sie, die Goten, verbinden würden".

Als die Häupter der Goten seine Worte vernahmen, überzeugten sie sich von

der Nützlichkeit des Vorschlags und wurden einig, demgemäss sofort zu

handeln. Sogleich wurden Gesandte an

S. 356: das Volk der Franken geschickt, um ihnen Gallien samt dem Golde zu

übergeben und das Schutz- und Trutzbündnis abzuschliessen. Könige der

Franken waren damals Childebert, Theodebert und Chlotar, die Gallien und

das Geld annahmen und unter sich nach Verhältnis verteilten.

- 69 -

Sie versprachen auch, den Goten, sich auf das Freundschaftlichste zu beziehen

und ihnen unter der Hand Hilfstruppen zu schicken, zwar keine Franken, aber

doch von den unterworfenen Völkerschaften (also Gallo-Romanen). Ein

offenes Schutz- und Trutzbündnis mit der Spitze gegen die Römer konnte sie

nämlich nicht abschliessen, weil sie kurz vorher dem Kaiser versprochen

hatten, ihm in diesem Kriege beizustehen. Die Gesandten kehrten nach

Erfüllung ihres Auftrages nach Ravenna zurück, und Vitigis rief den Marcia

mit seinen Leuten aus seiner Stellung ab.

XV (VIII) 24, 6-8, zu den Jahren 551/552: Theodebert aber, der Frankenkönig,

war kurz zuvor (548) an einer Krankheit gestorben, nachdem er einige Teile

von Ligurien, das Gebiet der kottische Alpen und den grössten Teil von

Venetien, ohne Schwierigkeit, sich Tributpflichtig gemacht hatte. So benutzten

die Franken geschickt die misslichen Verhältnisse der Kämpfenden und

bereicherten sich gefahrlos durch Besitzergreifung der Gebiete, um welche die

Goten und Römer kämpften. Jenen blieben nur wenige feste Plätze in

Venezien, denn die Ortschaften am Meere hatten sich die Römer, die andern

sämtlich die Franken untertänig gemacht.

Besprechung .

Aus allen obigen Texten erhellt wiederum, wie schon bei Nr. 136, dass über

Rätien kein direktes Zeugnis vorliegt, wie sehr diese Texte bis anhin für die

fränkische Belegung Rätiens angezogen wurden.

Zu I, 15, 25-30. Hier werden von Westen nach Osten in zunehmender

Detaillierung folgende Völkergruppen aufgezählt: die Spanier, die Gallier, die

Albaner, die Ligurer etc. Natürlich war es den Oströmern leichter die Italiker

zu detaillieren als ferner liegende Stämme. So gehören die Ligurer und

Albaner hier zur Grossgruppe Italien. Am eigenartigsten erscheinen hier die

Albaner von piemontesisch Alba oder Languilla, was offenbar wieder auf die

Longonen verweist. Die Albaner werden zum ersten Mal bei Strabo (VIII.4)

erwähnt, aber in Latium, dann wieder als Nachbarn von Iberiern, welche am

Kaukasus wohnten. Ausserdem erwähnt Strabo ein Volk der Albier, das östlich

der Alpen wohnte (vgl. Nr. 133).

- 70 -

Die Iberier bewohnten später ausser Spanien auch Aquitanien, Ligurien, die

Inseln zwischen Spanien und Italien. Prokopios erzählt also hier, dass im

Norden der Ligurer, d.h. in der Nachbarschaft der Iberier, Albaner wohnten.

Die illyrischen Räter wollten moderne Gelehrte hingegen mit den Albanern im

Balkan in Beziehung bringen. Wir möchten hier mit unseren Erwägungen nur

eine Anregung zur weiteren Erforschung und Prüfung solcher Ideen gegeben

haben.

S. 357: Wir haben angedeutet, dass die Oströmer umso ausführlicher in ihren

Ausführungen wurden, je östlichere Gebiete sie besprachen. So führen sie mit

allen Einzelheiten jene Völker an, die im Nordosten von Ravenna wohnten. Es

wohnten da unmittelbar ans Gebiet von Ravenna anschliessend in weitem

Bogen an der adriatischen Küste die Veneter, die Istrier, die Liburner und

weitere Dalmatiner, etwas weiter nördlich im Landesinneren, im heutigen

Slovenien‚ die Siscier um Siscia an der Save und weitere Saveanwohner, Suavi

(Schwaben) genannt, die mit den alemannische Schwaben natürlich nicht das

geringste zu tun haben. Diese Stämme gehören ausdrücklich zum Bereich von

Pannonien. Westlich von ihnen, dem Wasserlauf aufwärts, wohnten die

Karnier oder Kärntner und die Noriker in Österreich, die ihrerseits an die Räter

grenzen. Östlich von all diesen zusammen wohnen die Pannonier (Ungarn) und

Dakier, beide an der Donau. Prokopios setzt diesem ganzen Block, der

offensichtlich die gesamten illyrischen Völkerstämme umfasst, unmittelbar im

Westen die Gallier entgegen. Die Räter werden zwischen Beiden, wo sie ja

hingehören, aber nicht aufgeführt. Es wird aber gesagt, dass alle genannten

illyrischen Stämme zum Reiche der Goten gehörten. Die Gallier von Helvetien

aus westwärts gehörten aber zum Reiche der Franken. Rätien aber gehörte den

Goten (auf jeden Fall vor 537/539), also jenen Herscherstamm, dem die

illyrischen Völker untergeordnet waren. Aber da wir sowieso keinen Grund

haben die Räter zu den Galliern zu rechnen, so ergibt sich aus dieser Quelle

deutlich, dass die Räter eben zum östlichen Völkerblock gehörten, denn bei

den detaillierten italischen Stämme werden sie auch nicht aufgezählt.

- 71 -

Ein solches Zeugnis aus dem 6. Jahrhundert ist aber sehr wichtig. Völlig

verständlich wird es aber erst, wenn man es in unsere Erörterung zu Nr. 118

einbaut.

Auch die Suavi an der Save sind Illyrer und stehen als solche den Rätern

völkisch näher als die Schwaben Deutschlands. Auf jeden Fall ist dieser

Ausdruck Suavi mit "Schwaben" sehr schlecht übersetzt und führt zu

Irrtümern, wie bei Planta, in seinem Buch über "Das alte Rätien" auf S. 259 in

der Mitte.

I. 16, 8-9 und 12-15. Diese Zeilen veröffentlichten wir gerade als Beweis

dafür, dass unter Suavia nicht deutsch Schwaben gemeint sei. Der Text spricht

für sich selbst. Alle Schlüsse daraus auf Rätien fallen also dahin.

I. 13, 14-29. "Wir haben diesen Text deshalb einlässlich mitgeteilt, weil sich

aus dem Zusammenhang dieser authentischen Erzählung und aus den dabei

gebrauchten, sehr präzisen Ausdrücken überzeugend ergibt, dass Vitigis

damals bloss das gotische Gallien, und nicht auch, wie man gewöhnlich

annimmt, Rätien an die Franken abtrat" (Planta, Das alte Rätien, S. 257). -

IV. 24, 6-8. Gleicher Ordnung wie Nr. 135. Siehe die dortigen Anmerkungen.

S. 358: 139. Jordanes berichtet von der Unterwerfung der Vindeliker und

anderer Alpenvölker unter die Römer, von der Ausrufung des in Rätien

weilenden Christenverfolgers Valerianus zum römischen Kaiser, von

Alemannenhändeln, von einer Stadt Brigetio, rechnet das Gebiet der

Donauquellen und des Bodensees zu Skythien und sagt, dass da Sklavenen

wohnten.

Verfasst zu Constantinopel und Chalcedon und vollendet im Jahre 551.

Jordanis de summa temporum vel origine actibusque gentis Romanorum

(Romana).

180 Illyres autem, id est Veneti‚ seu Liburnes sub extremis. Alpium radicibus

agunt inter Arsiam Titulumque flumen longissimae per totum Adriam maris

litus effusi (cf. Florus 2,5,I)

- 72 -

241. Norici in Alpibus Noricis habitantes credebant, quasi in rupes et nives

bellum non posset ascendere: sed mox omnes illius cardinis populos Brennos

Teutonies (Teutonion non habet Florus) Cennoss atque Vindelicos per eodem

Claudio Caesarem Romanis vicit exercitus, quae tamen fuerit Alpinarum

gentium feritas‚ facile est vel per mulieres ostendere, quae deficientibus telis

infantes suos adflictos humi in ora militum adversa miserunt, Nec minores his

saevitia Illyrici pariter accendentur (cf. Florus 4,12, 4-7).

287. Valerianus et Gallienus, dum unus in Raetia a mulitibus, alter Romae a

senatu in imperio levarentur‚ regnaverunt an. XV. Valerianus si quidem in

Christianos perscutione commota statim a Sapore rege

S. 359: Persarum capitur ibique servituto miserabile consenescit (cf. Hieronymus

2271, 2274).

300. Constantius iuxta Lingonas una die LX milia Alamannorum cecidit (cf.

Hieronymus 2317).

309. Gratianum filium suum Valentinianus Ambianis imperatorem constituit,

quem habuit de Severa priore iugale et contra Saxones Burgutionesque, qui

plus LXXX milia armatatorum primum Reni in limbo castra metassent, movit

procinctum, sed apoplexia subito et sanguinis eruptione Brogitione defunctus

est (cf. Hieronymus 2383, Orosius 7,32. Brigetione requiritur).

De origine actibusque Getarum (Getica).

5. Scythia si quidem Germaniae terre confines eo tenus, ubi Ister oritur amnis

vel stagnus dilatatur Morsianus, tendens usque ad flumina Tyram, Danastrum

et Vagosolam ..... intrersus illis Dacia est, ad coronae speciem arduis Alpibus

emmunita, iuxta quorum sinistrum latus, qui in aquilone vergit, ab ortu

Vistulae fluminis per inmensa spatia Venetharum natio populosa consedit,

quorum nomina licet nune per varias familias et loca mutentur, principaliter

tamen Sclaveni et Antes nominantur, Sclaveni acivitate Novientunens et laco

qui Mursiano appellatur usque ad Danastrum et in boream Vicla tenens

commorantur: hi paludes silvasque pro civitatibus habent....

S. 360: 55. …. Suavis tunc iuncti aderant etiam Alamanni ipsique Alpes erectes

omnino recentes (Planta false "Alpes Raeticas regentes" unde nonnulla fluenta

Danubium influunt nimio cum sonu vergentia.

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Hic ergo taliterque munito loco rex Thiudimer hiemis tempore Gothorum

ductavit exercitum et tam Suaverum gente quam etiam Alamannorum, utrasque

ad invicem foederatas devicit vastavit et plene subegit inde quoque victor ad

proprias sedes, id est Pannonias revertans Theodericum filium suum quem

Constantinopolim obsidem dederat, a Leone imperatore remissum cum magnis

muneribus gratanter excepit,

Übersetzung:

Des Jordanes Werk über die Summe der Zeiten oder über den Ursprung und

die Taten des römischen Volkes (Romana)

180. Die Illyrer, das heisst die Veneter oder Liburner wohnen an der äussersten

Wurzel der Alpen zwischen Arsa und dem Fluss Titulus (oder Titus, bei

Scardona) längs der Küste des ganzen adriatischen Meeres (Vgl. Florus 2.5.1).

241. Die Noriker, die in den norischen Alpen wohnen glaubten, dass ein Krieg

sich nicht bis so hoch hinauf in die Felsen und Schneefelder ziehen könnte.

Und doch hat das römische Heer durch denselben Cäsaren alle Völker dieses

Scheitelpunktes Europas unerwartet schnell besiegt, nämlich die Breunen,

Genaunen, Teutonier und Vindeliker (Florus erwähnt die Teutonier nicht). Wie

gross die Grausamkeit dieser Alpenvölker war, ist leicht am Beispiel ihrer

Weiber zu zeigen, die Mangels an Geschossen ihre eigenen Kinder den

feindlichen Soldaten ins Antlitz schleuderten. Auch die Illyrer liessen sich zu

kaum minderer Raserei entfachen (Vergl. Florus 1,12 . 4-7, Epitomae de Tito

Livio, II, 22 und 23. Siehe oben über die Eroberung Rätiens durch die Römer,

Nr. 41, S. 71 dieser Sammlung).

287. Valerianus wurde in Rätien vom Heer zum Kaisertum berufen‚ während

in Rom der Senat den Gallienus zu dieser Würde erhob. Die regierten

zusammen 15 Jahre (253-268). Valerian, der gegen die Christen eine

Verfolgung schürte, wurde aber sehr bald vom Perserkönig Sapor gefangen

genommen und alterte bei diesem in schmählicher Sklaverei (Vgl. Hieronymus

2271 und 227, Eutropius, Breviarium Historiae Romanae, IX,6 ad annum 253,

Orosius, Historiae adversum paganos VII.22, 1-3 ad annum 257. Siehe oben

Nr. 112, S. 172 und 122, S. 256 dieser Sammlung).

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S. 361: 300. Kaiser Constantius (337-361) tötete bei den Lingonen (jenseits des

Schweizer Jura) an einem einzigen Tag 60'000 Alemannen (vgl. dazu etwa Nr.

117 S. 202 dieser Sammlung).

309. Kaiser Gratianus (367-383) setzte seinen Sohn Valentinianus II. (375-

393), den er von seiner ersten Frau Severa hatte, zum Kaiser ein und zog in

Schlachtordnung gegen die Sachsen und Burgunder, die mit mehr als 80'000

Bewaffneten ihre Lager bis zum Rhein vorschoben. Er starb aber plötzlich an

einem Herzschlag und an Blutergüssen zu Bregitio (oder Brigetio) (Bregitio ist

noch unbekannt. Vergl. Hieronymus 2383 Orosius 7.32).

Vom Ursprung und den Taten der Geten (Getica).

5. Skythien grenzt da an die germanischen Länder wo die Donau entspringt

und wo sich der morsianische See (Bodensee) ausbreitet. Von da aus breitet es

sich (ostwärts) bis zum Tyrafluss oder Dniester (der ins schwarze Meer fliesst)

und bis zum Flusse Bog aus.... Innerhalb dieses Gebietes liegt Dakien, das von

steilen Gebirgen in der Form eines Kranzes geschützt wird. Linkerhand von

diesen Gebirgen. (von Süden aus gesehen), leicht gegen Norden hin, dehnt sich

vom Quellgebiet der Vistula (Weichsel) weg, die volksreiche Nation der

Veneter über ungeheure Strecken (gegen Westen) aus. Wenn die Namen dieser

Völker nach Stämmen und Orten jetzt auch anders lauten mögen, so sind doch

die mächtigsten aus ihnen die Sklavenen(Slaven) und Anten. Die Sklavenen

wohnen von Noviodunum (heute Carlstadt in Oberpannonien. Vgl. CIL. III. p.

498) aus einerseits und vom See, welcher der mursianische genannt wird,

anderseits bis zum Dniester und im Norden bis zur Weichsel, (also vom

Bodensee und Donauquell bis nach Russland). Diese Völker haben statt Städte

Wälder und Moore. (Siehe über alldas unsere Ausführungen zu Nr. 118,

namentlich auf S. 252, 226, 227 ff.).

55. Mit den Schwaben verbanden sich damals die Alemannen. Diese

beherrschten dort, wo zahlreiche Nebenflüsse mit Gefälle, geräuschvoll in die

Donau fliessen, die Alpen vollständig. An diesen so durch die Natur schon

befestigten Ort führte also der Gotenkönig Thiudimer sein Heer mitten im

Winter und schlug da sowohl die Schwaben, als auch die Alemannen, die

gegenseitig miteinander verbündet waren, und verwüstete ihre Gebiete und

unterwarf sich die beiden Völker vollständig.

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Als Sieger zog er nach diesen Taten wieder in seine Wohnsitze nach

Pannonien (Ungarn) zurück. In Freuden und mit Geschenken empfing er da

seinen Sohn Theodericus, der 88 sein Nachfolge auf dem Königsthron wurde,

der ihm eben vom Kaiser Leo (457-474) zurückgegeben wurde, an welchen er

denselben, der einst als Geisel nach Constantinpopel ausgeliefert hatte.

S. 362: Anmerkungen.

Jordanes ist der Fortsetzer der Chroniken von Hieronimus und Eusebius,

welche beiden das Fundament seines Werkes bilden, was er durch Zitate auch

ausdrücklich bemerkt. Er stützt sich jedoch auch auf Florus, Eutropius und

Orosius, auch in Aussagen über Rätien. Eine Kulturkontinuität zur Antike‚

auch in rätischen Belangen ist also immer noch da, gedenkt man ja auch jetzt

noch in Anerkennung der Eroberung des Landes durch die Römer. Eine

ähnliche Kontinuität ergibt sich aber auf etwas andern Wegen auch aus den

vorher behandelten Quellennummern und aus folgendem:

Jordanes hat die antiken Ansichten über das Volkstum der Räter immer noch

vor Augen. Noch um 551 ist das alte Bild also nicht wesentlich verändert, Aus

"Romana" 180 und aus einem Vergleich von "Romana" 180 zu "Getica" 5

ergibt sich, dass die Veneter vorerst Illyrer, dann aber auch Skythen sind, und

dass sich dieser Stamm, von denen die meisten jetzt nach einer neuen

Bezeichnung Sklavenen oder Slaven genannt werden, vom Bodensee bis nach

Russland ausbreite. Wir haben diese Dinge anlässlich Nr. 118 eingehend

behandelt. Wir kommen darauf nicht mehr zurück. Solche Sklavenen (Slaven),

Veneter, Vindeliker (Wenden), wohnten in der Raetia IIa., zu einem grossen

Teil gewiss romanisiert, auch jetzt in der Mitte des 6. Jahrhunderts noch, trotz

der Schwaben und Alemannen, die in Getica 55 erwähnt werden, aber von

Jordanes noch nicht als die normale Landesbevölkerung betrachtet werden.

Diese machten sich laut Jordanes in der zweiten Hälfte des fünften

Jahrhunderts bemerkbar dort wo immer noch rauschende, abfällige Bergbäche

in die Donau fliessen, also in den agri decumates, die ja sozusagen das

Vaterland dieser Völker sind, vorerst, dann auch in der 'Rauhen Alb" (alpibus)

und weiterhin im Quellgebiet der Donau, gewiss mehr aber im Norden, als

gegen Süden hin, wo man sich der lateinischen Raetia Ia, näherte, die sich

oberhalb des Bodensees ausbreitete.

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Planta las hier von den Alemannen ganz irrtümlicherweise "Alpes Raeticas

regentes", statt "Alpes erectos omnino regentes", indem er statt erectos

Raeticas las. Es gibt darnach aber Texte, die das omnino nicht haben. Er fühlte

aus historischem Sinn heraus den Irrtum aber sehr wohl, indem er zu Raeticas

bemerkte: "Mehr noch Helveticas", da ihm die helvetischen Gebirge den

Alemannen ausgesetzter schienen als die rätischen. Hier ist aber in Tat und

Wahrheit weder von den Bündner- noch von den Schweizerbergen die Rede,

sondern ganz ausdrücklich von jenen am Quellgebiet der Donau. Aber auch da

konnten sich die Alemannen nicht ruhig entfalten, wurden sie gegen 474 da

von den Ostgoten gedemütigt, die der Donau entlang aufwärts, dahin einen

Streifzug unternommen haben. Dieser Zug berührte aber das erste Rätien, wie

alles hier Gesagte, nicht. Aber auch von den Römern und Franken wurden in

den Agri decumates die Alemannen stets wieder reduziert, wie etwa 70 Jahre

früher schon von den Wisigoten und den Vandalen und etwa 60 Jahre später

wiederum im Verein mit den Franken von den Ostrogoten. Es gab also vor der

Mitte des 5. bis über die Mitte des 6. Jahrhunderts nördlich des Bodensees

venetische Slaven, Lateiner, Alemannen und Schwaben, sowie vorübergehend

dako-skythische Goten, und endlich Franken.

Fortsetzung siehe Heft 07.

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