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Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
1918
Sonnenlichtbehandlung in der Chirurgie
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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1918 Sonnenlichtbehandlung in der Chirurgie Christian Tarnuzzer in: Graubünden im Winter: allgemeines Fremdenblatt für sämtliche Kurorte. -
Jg. 48 (1918), Nr. 5. Seite 1-4.
S. 01: Alles Leben besteht durch das Licht und drängt zum Lichte. Der wohltätige
Einfluss des Lichtes auf Körper und Seele war dem Menschen ältester Zeit
instinktiv bekannt, und noch heute treiben manche Naturvölker einen
förmlichen Lichtkultus. Aber auch die Sonnenlichtbehandlung dürfte so alt sein
wie die Menschheit. Die alten Ägypter übten sie schon und besassen Terrassen,
die ihnen erlaubten, ihre Körper den Sonnenstrahlen auszusetzen, und die
berühmtesten griechischen Ärzte kannten den günstigen Einfluss des
Sonnenlichtes auf die Gesundheit sehr wohl. Die Griechen und Römer als
klassische Völker der Gesundheitspflege hatten auf den Dächern ihrer Häuser
eigentliche Solarien eingerichtet, wo man sich direkt oder gesalbt den
Sonnenstrahlen aussetzte.-- Als hygienisches Mittel behielt das Licht auch noch
weit über das Altertum hinaus seine Bedeutung bei, als Heilmittel aber wusste
man es von Galen an bis in die neue Zeit nicht zu würdigen, so dass die
Menschheit fast anderthalb Jahrtausende lang die Wohltat der Lichttherapie
entbehrte. Erst vor etwas mehr als 100 Jahren sind Franzosen und Deutsche in
der Verwendung des Sonnenlichtes als eines Heilfaktors voran gegangen, und
zwar analysierte man die Wirkungen des Lichtes aus seinen Komponenten, d h.
man erkannte die Wirkung von Licht und Wärme einerseits und der einzelnen
Farben anderseits.
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Die Licht- und Sonnenbäder dienten in dieser Zeit vornehmlich zu allgemein
therapeutischen Zwecken, zur Beeinflussung von Gesamtstörungen des
Organismus. Doch sträubte sich die Arzneiwissenschaft noch lange gegen die
Anwendung. Man hielt die Wirkung des Sonnenlichtes für schädlich, weil man
nur wusste, dass das Licht Hautentzündungen hervorrufe, die nach der üblichen
Annahme dem Organismus Schaden zufügen sollten, und über den günstigen
therapeutischen Einfluss des Sonnenlichtes lagen noch zu wenige Mitteilungen
vor. Sie wurden vielfach auch nur mit Kopf schütteln aufgenommen und zum
Teil noch längere Zeit bezweifelt.
Die moderne Lichttherapie baut sich auf der dritten Komponente des Lichtes,
der chemisch wirksamen Strahlung auf. Die Wissenschaft hatte die bakterizide,
d h. abtötende Wirkung des Lichtes auf Bakterien kennen gelernt, die speziell
durch seine chemischen, kurzwelligen Strahlen zustande kommt. Die
bakterizide Kraft des Sonnenlichtes wächst mit der Erhebung eines Ortes über
dem Meeresniveau. Wenn nun das Sonnenlicht so grosse therapeutische
Bedeutung hat, dass man es verschiedentlich schon für chirurgische Zwecke,
z.B. zur Heilung von Wunden und zur Behandlung der chirurgischen
Tuberkulose herbeizog, so konnte es nicht ausbleiben, dass in den Licht- und
Luftverhältnissen des Hochgebirges eine besonders wirksame Heilquelle für
den Menschen erkannt wurde. Die Hochgebirgssonne zeichnet sich durch eine
verstärkte Intensität der Sonnenbestrahlung (Insolation) in allen drei
Eigenschaften: Wärme, Licht und chemischer Kraft und besonders durch den
reichen Gehalt an violetten und ultravioletten Strahlen (hauptsächlich
"chemischen Strahlen") aus. Die Stärke der Insolation hängt ganz bedeutend
vom Einfallswinkel der Sonnenstrahlen ab, der im Gebirge viel günstiger liegt
als im flachen Lande, und die Südgehänge sind gegenüber der Ebene besonders
begünstigt. Die Sonnenscheindauer ergibt fürs Hochgebirge im Jahr erheblich
höhere Werte, und das nämliche gilt von der der Lichtintensität im eigentlichen
Sinne, wie für die Lichtsummen, d. h. für die Intensität des gesamten
Sonnenlichtes, des diffusen oder zerstreuten und des direkten. Der Alpenwinter
auf dem Berninahospiz hat eine bis dreimal grössere Klarheit und Lichtfülle als
z.B. Wien, Davos im Winter eine viermal, im Sommer eine zweimal so starke
Beleuchtung als Kiel, wie Rübel, Dorno und Weber nachgewiesen haben.
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Wenn nun die Heliotherapie durch die Anwendung des Lichtes zu Heilzwecken
grosse und auffallende Erfolge überhaupt zu verzeichnen hatte, so ist es nur
folgerichtig, dass ihr bei denen hohen Qualitäten des Gebirgslichtes in
Verbindung mit den übrigen klimatischen Faktoren des Hochgebirges desto
höhere Bedeutung zukommt. Es ist das grosse Verdienst des Hrn. Dr. O.
Bernhard in St. Moritz im Engadin, hier Bahn gebrochen und die Alpensonne
auf breiterer Behandlungsbasis und s zu therapeutischen Zwecken benutzt zu
haben. Die Versuche gehen auf das denkwürdige Jahr 1902 zurück. Seit dieser
Zeit hat er seine mit der Sonnenbehandlung verschiedener Wundarten und aller
S. 02: Formen chirurgischer Tuberkulose erzielten Erfolge in zahlreichen literarischen
Arbeiten bekannt gegeben und Ärztewelt und Publikum durch die Präsentation
hervorragender, höchst eklatanter Fälle von Heilungen in Erstaunen gesetzt.
Ihm folgte im Jahr 1903 Dr. G. Rollier mit seiner in Leysin den Waadtländer
Alpen eingerichteten Klinik zur ausschliesslichen Behandlung der
chirurgischen Tuberkulose mittelst Heliotherapie. Die neue Heilmethode hat
sich seither auch im Tieflande verbreitet und der Lichttherapie in der Chirurgie
überhaupt und speziell der Behandlung der chirurgischen Tuberkulose zum
Siege verholfen. Als Ersatz der Höhensonne wurden auch künstliche
Lichtquellen herangezogen, und heute leuchtet das an ultravioletten Strahlen
reiche Quarzlampenlicht als künstliche Höhen- sonne für die Behandlung von
Wunden und der chirurgischen Tuberkulose schon in den meisten Spitälern.
Ueber das ganze, hochinteressante Thema, eines der neuesten Kapitel der
modernen Chirurgie, verbreitete sich zuletzt Dr. O. Bernhard im 23. Bande der
Zeitschrift "Neue Deutsche Chirurgie", der zugleich in Buchform bei Ferd.
Enke in Stuttgart erschienen ist (1917). Die glänzende Monographie trägt den
Titel: "Sonnenlichtbehandlung in der Chirurgie" und ist eine erweiterte und
vervollständigte Auflage der am nämlichen Orte im Jahre 1912
herausgegebenen, etwas anders betitelten Abhandlung und zugleich deren
Fortsetzung, mit 118 zum Teil farbigen Textabbildungen geschmückt. Das
Literaturverzeichnis dieses Werkes umfasst hunderte von Nummern auf nicht
weniger als 13 Seiten und der Beweis der vielseitigsten und gründlichsten
Benutzung derselben ist in allen Teilen des 256 Seiten starken Buches gegeben.
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Der Hauptreiz aber, den die Lektüre dieses Buches ausübt, liegt in der Priorität
und Originalität des Gegenstandes, die den Verfasser über alles handwerks-
mässige seines Berufes hinausheben und ihn als Führer auf einem für die
Menschheit segensreichen Wege zeigen.
Nachdem Dr. Bernhard in den ersten Abschnitten, aus denen wir den Leser im
Vorhergehenden über die grundlegenden Kenntnisse und Tatsachen
orientierten, die Physik des Lichtes, die Wirkung desselben auf die tierischen
und pflanzlichen Organismen, die
S. 03: Lichttherapie und die Klimatologie, namentlich die des Hochgebirges
behandelt, belehrt er den Fachmann und Laien in ausführlicher, luzider Weise
über die Indikationen für die Sonnenlichtbehandlung in der Chirurgie, die
Heliotherapie der chirurgischen Tuberkulose, um mit der Behandlung
zahlreichster Spezialfälle der Heilung tuberkulös erkrankter Organe und des
Einflusses der Sonnenlicht- und Klimatotherapie auf die einzelnen
Lokalisationen zu schliessen. Der Autor war 1902 ganz intuitiv darauf
gekommen, eine schlecht granulierende und stark sezernierende Wunde, die
aller Behandlung trotzte, der direkten Sonnenbestrahlung auszusetzen und die
antiseptische und eintrocknende Wirkung von Sonne und Luft seiner
Gebirgsheimat beim lebendigen Gewebe zu benutzen, so wie der Bergbauer
seit alten Zeiten frische Fleischstücke in der trockenen Luft an der Sonne zu
konservieren und dörren pflegt. Der Erfolg war nach wenigen Bestrahlungen
ein derartiger, dass der Urheber die direkte Sonnenlichtbehandlung bald auf
Wunden jeder Art und dann auf die geschlossene chirurgische Tuberkulose
übertrug, bei der er schon Jahre lang mit gutem Erfolge die Freiluft- und
Höhenkur angewandt hatte. Seit jenem Jahre verfügt Dr. Bernhard über ein
Material von 760 mittelst Heliotherapie behandelten Fällen von chirurgischer
Tuberkulose, deren staunenswerte Resultate er in einer Tabelle des Buches
mitteilt. Vergleicht man dieselbe mit der Tabelle von 302 seiner früheren Fälle
der Behandlung von chirurgischer Tuberkulose mittelst Freiluftkur im
Hochgebirge ohne Zuziehung der Heliotherapie, so zeigt sich in eklatanter
Weise, dass bei der ersten Behandlungsart nicht nur die Heilungsdauer
abgekürzt wird, sondern auch und das ist die Hauptsache - die operativen
Eingriffe noch mehr eingeschränkt
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werden, selbst bei scheinbar desolaten Fällen, allerdings bei solchen, wo die
materiellen Bedingungen in einem genügend langen Aufenthalte im
Hochgebirge gegeben sind. Dr. Bernhard hat in seiner Praxis nur eine kleinere
Zahl von Fällen erlebt, die trotz monatelanger Sonnenbehandlung refraktär
blieben und schliesslich zur Operation kommen mussten.
Die 760 mittelst Sonnentherapie im Hochgebirge behandelten Fälle von
chirurgischer Tuberkulose beziehen
S. 04: sich auf die verschiedensten Organe, die Haut, seriöse Häute, Lymphdrüsen,
Knochen und Gelenke. Sehnenscheiden, Urogenitalapparat, Darm, Tuberkulose
des Ohres, primäre Tuberkulose des Kehlkopfes und Schilddrüsentuberkulose.
Wunderbare Heilungen von Wunden und Fällen chirurgischer Tuberkulose sind
im Buche mitgeteilt und vielfach durch treffliche Illustrationen veranschaulicht.
Wer z.B. die Bilder der durch eine schwere Dynamitverletzung maltraitierten,
mittelst Sonnenbestrahlung behandelten und innerhalb 5 Wochen geheilten
Hand Seite 121, oder die Röntgentafeln der in 8 und 14 Monaten erfolgten
Regeneration tuberkulös erkrankter Knochen Seite 232-234 vergleicht, wird
sich der grossen Fortschritte und Umwälzung, welche die neue Methode der
Krankheitsbehandlung gezeitigt vollauf bewusst. Die Fälle chirurgischer
Tuberkulose aber sollten womöglich früh oder firsch unter den Einfluss der
Sonne und des Klimas des Hochgebirges kommen, statt dass die Chirurgen der
Höhenkurorte resezierte Patienten aus den Spitälern des Tieflandes, namentlich
solche nach Resektion des Hüft-, Knie- oder Ellbogengelenkes mit meistens
zahlreichen, stark sezernierenden Fisteln unkonsolidiert oder mit erheblichen
Verkürzungen und Versteifungen erst nachträglich zur heliotherapeutischen
Behandlung erhalten. Unter dem Einfluss der Sonne und des Klimas des
Hochgebirges würden die meisten Patienten spontan ausheilen, und es müssten
da, wo die Indikationen auch für eine chirurgische Behandlung gegeben sind,
bessere Resultate als anderswo erzielt werden.
Hohes Interesse gewähren namentlich auch die Kapitel "Technik der
Sonnenbehandlung", "Normalien für Sonnenkuranstalten" und
"Spezialsanatorien resp. Volkssanatorien für Chirurgisch - Tuberkulöse" des
Buches.
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Seite 180 und 181 sehen wir Dr. Bernhards Sonnenklinik am sonnigen Hange
von St. Moritz-Dorf mit ihren 6 Liegeterrassen und den 30 Sonnenkabinen
abgebildet und eine weitere Skizze zeigt das Schema für eine grosse und
moderne Sonnenlicht-Heilanstalt, Leinen amphitheatralischen Bau, bei dem der
terrassenförmige Aufbau der Liegehallen durch alle Stockwerke durchgebildet
ist mit grossem Solarium auf dem Dache nach den Intentionen des Verfassers
ausgeführt.
Die Sonnenlichtbehandlung der chirurgischen Tuberkulose soll und darf, wie
der Autor ausführt, nicht die Therapie der Reichen bleiben, für das allgemeine
Publikum sind Spezialsanatorien noch mehr am Platze als Volks-Lungen-
Heilstätten. Einmal ist eine Radikalheilung bei der chirurgischen Tuberkulose
viel eher zu erwarten als bei der Lungenschwindsucht, und dann gehen solche
Patienten, wie die Erfahrung lehrt, wenn sie zu früh nach einer eingreifenden,
radikalen Operation aus den Spitälern wieder in ein ärmliches und
unhygienisches Milieu entlassen werden, häufig an einer miliaren Ausbreitung
des Leidens über den ganzen Körper zu Grunde oder werden später oft
Phthisiker und tragen so wieder zur Verbreitung der Tuberkulose bei. "Wenn
wir aber die skrophulösen Kinder radikal heilen", sagt der menschenfreundliche
Arzt, "so haben wir neben einer humanen Indikation für die betreffenden
Kranken auch eine hygienische und prophylaktische Indikation für die
Allgemeinheit erfüllt. Staat und öffentliche Wohltätigkeit sollten da
eingreifen." Wir sehen aber schon bei den Lungensanatorien, wie wegen der
finanziellen Schwierigkeiten die Unterbringung aller Tuberkulöser im
Hochgebirge sich als ein frommer, unerfüllbarer Wunsch erwiesen hat. Das
Gleiche wird sich leider auch für die chirurgisch Tuberkulösen ergeben.
Deshalb fordert Dr. Bernhard angesichts der guten Erfahrungen, die man auch
in den Niederungen mit der Freiluft- und Sonnenbehandlung gemacht hat, auch
auf dem Lande möglichst viele Volkssanatorien für Knochen- und
Gelenktuberkulöse. Auch die Kranken des Mittelstandes, für die noch lange
nicht genügend gesorgt ist, würden nach dem Urteil des Verfassers in solchen
Spezialanstalten mehr gewinnen als in den Spitälern, wo sie wegen der langen
Dauer der Krankheit sehr häufig Platz versperren und der Aufnahme von
dringenden Fällen oft hinderlich sind.
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Möchte der Stimme Dr. Bernhards recht vielfach Gehör geschenkt, möchten
seine Hoffnungen und Forderungen in Taten umgesetzt werden zum Wohl der
leidenden Menschheit, der er durch seine neue Methode der Wunden- und
chirurgischen Tuberkulose-Behandlung durch Anwendung der Heliotherapie
im Hochgebirge einen Weg zur Linderung der Leiden und zur Gesundung
gewiesen! T.
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Ich kehre mich nichts dran,
Ich lass die Leute klügeln,
Wer kann denn jedermann
Das lose Maul verriegeln?
Ich kann nicht besser leben,
Als dass ich dazu lach,
So haben sie vergebens
Sich viele Müh' gemacht.
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Zürnt, Freunde, nicht, wenn Spötter euch verlachen!
Erwidert lächelnd ihren Spott und wisst:
Der Spötter Witz kann nichts verächtlich machen,
Was wirklich nicht verächtlich ist. Fr. Bodenstedt.
Internet-Bearbeitung: K. J. Version 05/2016
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