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Die Zeitschriſt der Globetroer Heſt 138 35. Jahrgang Oktober 2009 ISSN 1860-9031 Unterwegs-Sein

Unterwegs-Sein Heft 138 Die Zeitschrift der Globetrott er ... fileBuch erschienen ist: »Chatwins Guru und ich« beschreibt meine bisher vielleicht wichtigste Pas-sage. Sie führte

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Die Zeitschrift der Globetrott er

Heft 13835. JahrgangOktober 2009ISSN 1860-9031

Unterwegs-Sein

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Liebe Freunde,

Dein VorstandsteamNorbert Lüdtke, Ulla Siegmund, Dieter Leonhard, Christel Loock, Astrid Riemann

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Sonja Deuter teilt uns mit, dass Johannes Eckerth in London unerwartet verstorben ist. Wir erfahren davon, weil sich unsere Adresse in seinem privaten Adressbuch fand. Trotter-Leser kennen seine seine Artikelserie Stranger in a Strange Land (ab Trotter 124). Als Professor für Angewandte Sprachwissenschaft hat Johannes Eckerth in verschiedenen europäischen Ländern sowie in Kamerun, der Türkei und den USA gelebt und gearbeitet. Sein Lebens- und Reise-motto lautete: »I am deeply in love with the pol-luted beauty of the cosmic disaster most of us use to call human life on earth.« Seine Urne wurde in Bad Säckingen im Schwarzwald beigesetzt.

Von Michael Obert (siehe seinen Beitrag in diesem Trotter) erfahren wir, dass sein neues Buch erschienen ist: »Chatwins Guru und ich« beschreibt meine bisher vielleicht wichtigste Pas-sage. Sie führte mich auf der Suche nach dem fast hundertjährigen britischen Wanderer und Schriftsteller Patrick Leigh Fermor quer über den Balkan nach Griechenland. Eine Pilgerfahrt mit ungewissem Ausgang.« www.chatwinsguru.de

Thomas Simoneit berichtet von »ziemlich viel Wirbel« in Presse und Radio um Wolfgang Stoephasius (siehe z.B. Trotter 134). Im Ranking von http://mosttraveledpeople.com/ fi ndet er sich auf Platz 10.

Norbert Liebeck hält auch in diesem Jahr die Laudatio zum Ersten Preis des Wettbewerbs Die besten Reiseberichte 2009 am 17. Oktober im Rahmen der Buchmesse in Frankfurt. Mehr über die Preisträger im kommenden Trotter.

Wieder einmal wird die dzg stark vertreten sein beim El Mundo DiAbenteuer- & Reise-Dia-Festival in der Steiermark. Etliche dzg-Mitglieder haben schon ihre Karten reserviert, Trotter-Re-dakteurin Sibille Burkhardt stellt sich dem Wett-bewerb und in der Jury vertritt uns Peter Meyer (siehe Seite 8).

Martl Jung, bekannt für seine außergewöhn-lich unterhaltsamen Dia-Vorträge, hat Ende Au-gust seine Barfuß-Überquerung der Alpen erfolg-reich in Verona beendet. Dabei hat er 30.000 Höhenmeter auf einer Strecke von rund 500 Ki-lometern Kilometern ohne Schuhe überwunden.

Verschiedentlich wurde angeregt, ein Globetrot-tertreffen im Frühjahr anzubieten. Sonja Roschy beschäftigt sich mit dem Thema und sucht nach einem geeigneten Platz am Niederrhein etwa für Mitte April. »Erste Treffen« sind sehr schwierig vorzubereiten, da sich die Anzahl der Teilnehmer noch nicht einmal schätzen lässt, so dass demnächst mit einer kleinen Umfrage das Interesse abgefragt werden wird.

Georg Müller fand im Internet einen Safe-Info-Pass, der sich online individualisieren lässt und recht nützlich erscheint: https://www.kar-tensicherheit.de/ww/de/pub/oeffentlich/kar-tensperrung/sos_infopass.php.

Hennig Hecht leitet uns einen Tipp der Deut-schen Lebens-Rettungs-Gesellschaft weiter. Diese empfi ehlt, in sein Handy-Adressbuch die Rufnummer der Personen einzutragen, die im Notfall durch Helfer, Ambulanzfahrer oder Po-lizei angerufen werden soll. Diese Rufnummer sollten unter dem internationalen Pseudo ICE1, ICE2 usw. (in Case of Emergency) gespeichert werden. Hilfskräfte suchen gezielt nach solchen Nummern.

Ein aktuelles Urteil des Europäischen Ge-richtshofes stärkt seit Septermber die Flug-gastrechte. Danach können Fluggäste nun bei einem Flug innerhalb der EU ihre Klage auf Aus-gleichzahlung im Falle einer Annullierung beim Gericht des Abfl ugortes oder dem des Ankunfts-ortes erheben. Je nach Entfernung können die Passagiere bis zu 600 Euro für die Annullierung und die daraus entstandenen Unannehmlich-keiten verlangen. Bisher war ungeklärt, wo man klagen konnte, was viele Flugpassagiere daran hinderte, ihre Rechte durchzusetzen.

Dieses Mal wird der Trotter im Umschlag ver-schickt. Beim Öffnen sollten auch eine Handvoll Kärtchen herausgepurzelt sein! Einerseits können sie als Visitenkarten benutzt werden und bieten Raum für persönliche Daten. Andererseits könnt ihr damit auf die dzg aufmerksam machen und sie an andere Reisende weitergeben. Wir würden uns freuen zu erfahren, wie dieses kleine Expe-riment angekommen ist. Sollen wir das wieder-holen?

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WIR GLOBETROTTER

Wir begrüßen herzlich unsere neuen Globetrotter!

Neu- und Partnermitglieder

2915 Volkhard Schefter, Palestrinastr. 8, 48147 Münster, 0251-234135, [email protected] Äthiopien 2008, Oman 2008, Island 20092916 Jochen Flackus, Jules-Verne-Weg 4, 66292 Riegelsberg, 06806-490504, [email protected] Myanmar 2007, Thailand 2008, USA 2009P 7003 Rolf Mohr, Feldbergstr. 37, 79115 Freiburg, 0761-57892 [email protected] Indien 2008P 7804 Gisela Purbst, Fichtestr. 9a, 64347 Griesheim, 06155-61665

Das ist sch ade, denn die Post sendet Dir den Trotter leider nich t nach ! Von jeder Aussendung befördert die Post 20–30 Trotterexemplare ins

Nachsendeantrag gestellt ... und der dzg deine neue Adresse nicht mitgeteilt?

Nirwana. Im besten Fall teilt sie uns immerhin deine neue Adresse mit. Doch manch e Mitglie-der verlieren wir so für immer ...

Unbekannt verzogen sind zuletzt:

Bettina Wagner Graefestr. 7, 10967 Berlin

Peter Ave Susannenstr. 26, 20357 Hamburg

Termine für Globetrotter

Fr 23. Oktober und Sa 24. Oktober

El Mundo. 11. Abenteuer- und Reise-Dia-Festival

in Judenburg/Österreich.

Mehr Infos:www.elmundo.at

Sa 17. Oktober Verleihung des Titels „Au-tor ohne Grenzen” für den besten Reisebericht 2009. Norbert Liebeck vertrat die dzg in der Jury und hält die Laudatio zum Ersten Preis.

FrankfurterBuchmesse

Mehr Infos: presse.traveldiary.de

16.–22. Nov. 2009 Workshop Körperbehinde-rung und Reisen

Krautheim/Baden-Württ-emberg

www.bsk-ev.org

Fr 29.–So 31. Januar 2010

4. Wintertreffen der Globetrotter

Hofgut Stammen

Mehr Infos:www.globetrotter.org

5.–7. Februar 2010 Publikumsmesse Horizont OUTDOOR www.messe-karlsruhe.de

April Frühjahrstreffen der Globetrotter in Planung

Mehr zu allen dzg-Treffen siehe www.globetrotter.org Globetrottertreffen!

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INHALT

Wir Globetrotter

Liebe Freunde .............................................................................................................. 1

Neu- und Partnermitglieder .......................................................................................... 2

Impressionen vom Herbsttreffen ................................................................................... 4

Hüllenlos in Iserlohn ..................................................................................................... 6

El Mundo ...................................................................................................................... 8

1500 Weltenbummler erobern Flugplatz ..................................................................... 10

Bücherecke ................................................................................................................. 11

Reiseführer kurz vorgestellt ......................................................................................... 13

Unterwegs

Zurück zu den Ursprüngen – Im 2CV-Mini-Wohnmobil auf Frankreichtour .................. 15Jörn Raeck

Gorno-Badakhshan – Mit Fahrrädern über die Pässe des Pamir .................................... 21Holm Rautenberg

Camping in Kabul ....................................................................................................... 28Michael Obert

Sikkim – Königreich ohne König.................................................................................. 38Gerd Meier

Als »Mädchen für Alles« unterwegs in Libyen .............................................................. 41Christina Schafranek

Geldwechsel in Pretoria – Mit dem VW-Bus in Südafrika .............................................. 45Ulla Siegmund

Jahre in Afrika – Eine Leseprobe ................................................................................... 49Christoffer Steffen

Salsa, Rum u. Sozialismus – Mit der Eisenbahn durch Kuba ......................................... 52Jochen van der Linde

Seitenverweise auf wichtige Eigenanzeigen

Termine für Globetrotter ............................................................................................... 2Vorschau auf die Reiseberichte im Trotter 139 ............................................................ 17Reisemails ................................................................................................................... 48Redaktionstermine ...................................................................................................... 50Dein Bericht auf unserer Internetseite ......................................................................... 58Deine Beiträge für Internet & Trotter .......................................................................... 59Impressum/Unsere Organisation ................................................................................ 60

Verweis auf Inhalte im Internet

Regionaltreffen, Gastfreundschaften, Kleinanzeigen, Länderberichte ...... www.globetrotter.org

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WIR GLOBETROTTER

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Impressionen vom Herbsttreffen in FerschweilerEin Bildbericht von Klaus Schütz

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HÜLLENLOS IN ISERLOHN

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WIR GLOBETROTTER

Im zwölften Jahr laden wir nun schon Globe-trotter ein, meist monatlich, und es werden immer mehr. Da wir vier Wochen lang die USA durchquerten, verschob sich unser Augusttref-fen. Am 29. August fanden sich dann 28 Teil-nehmer auf der Grürmannsheide ein. Die einen wollten Samstagnacht feiern, die anderen – der dzg-Vorstand – tagte (mit Pausen) von Freitag bis Sonntag.

Jürgen Erdmann hatte die Idee zu einem Gruppenfoto der besonderen Art, dazu sollte je-der ein Plattencover mitbringen. Die beiden Fo-tos – Verhüllt & Hüllenlos – aufgenommen von Manfred Bogun, findet ihr auf diesen Seiten.

Hot TopicsWilli aus Duisburg ist zum ersten Mal hier. Er zeigt einen Unterwasserfilm in Profi-Qualität mit vielen Riesenrochen oben in unserer Scheu-ne. Barbara und Leschek aus der Nachbarschaft haben dazu ihre große Leinwand, mit Beamer,

Hüllenlos in IserlohnRegionaltreffen der Globetrotter bei Christel & Gerhard Loock

C H R I S T E L L O O C K ( T E X T ) , J Ü R G E N E R D M A N N ( R E G I S S E U R ) , M A N F R E D B O G U N ( F O T O S )

usw. zur Verfügung gestellt. Außerdem war Bar-bara so lieb, 100! frische Brötchen mitzubrin-gen, die Reste reichen – aufgebacken – gerade noch fürs Frühstück am nächsten Morgen.

Wer nicht in der Scheune ist, sitzt am Lager-feuer, erzählt von erlebten Fernreisen oder plant ebensolche. Auch die Sauna wird rege frequen-tiert. Nackte, Halbnackte und Dick-Vermummte verstehen sich prächtig.

Ilona aus Aachen war in Australien und versprüht viel Lebensfreude – besonders beim nach-mitternächtlichen Zeltaufbau mit Armin aus Köln in unserem Vorgarten …

Gustav, Mediziner und Pilot aus Welver, hatte sich im Mai zum Glück »nur« das Wadenbein beim Mopedfahren auf Lesbos gebrochen. Er hinkt nur noch wenig und lässt sich auch von sei-ner Elisabeth nicht vom Schwitzen in der Sauna (mit frisch verbundenen Knochen!) abhalten.

Jürgen aus Dortmund fährt am 16.12. mit einem Frachtschiff von Hamburg nach Buenos

Reihe oben vlnr: Annabel Lamb, Bob Dylan, Bob Marley, Nina Hagen, Hannes Wader, Neil Diamond, Marianne Faithfull, Stephan Sulke, Klaus Lage, Bob Dylan, Ralph McTellReihe unten vlnr: Frank Sinatra, Alcione, Peter Gabriel, Amalia Rodriguez, Luiz Caldaz, Alexandra, Nara Leao, Rolling Stones, Juliet Greco, Muddy Waters, Janis Joplin

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HÜLLENLOS IN ISERLOHN

Aires und hat noch ein preisgünstiges Bett in seiner Doppelkabine frei. Benja und Roswitha aus der Nähe von Koblenz, (wir hatten uns im letzten Winter in Indien kennen gelernt) wollen auch in Südamerika überwintern – leider passt es termin-lich nicht mit Jürgens Reiseplänen überein.

Flieger-Horst aus Hagen hat viele Dönnekes aus seinem Leben zu berichten. Als Neuling im dzg-Kreis fühlt er sich sichtlich wohl und singt zu unser aller Freude auch schon mal zur Gitarre.

Tigo war in New York, schwärmt von der neuen Fußgängerzone auf dem Time Square und ver-teidigt vehement den Beruf des Lektors bei einer langen Diskussion zum Thema Bücherschreiben.

Auch Petra aus Hennef plant – schwitzend in der Sauna – einen neuen Lebensabschnitt.

Anjee und Michael aus Oberhausen über-wintern seit Jahren in Indien und unterstützen mich immer sehr bei den Vorbereitungen für diese Treffen. Madhu aus Holland der beruflich Gleitschirmlehrer in Goa ist, kochte ein leckeres indisches Daal.

Klaus und Iko, angereist von ihrem neuen Wohnsitz Negombo auf Sri Lanka, freuen sich, viele alte Freunde wieder zu sehen.

dzg-Vorständler Norbert und Först-Lady Sonja aus Quierschied, Ulla und Klaus aus Mainz, Dieter aus Offenbach sowie Astrid (noch) aus Potsdam mit Andi aus Betzdorf fühlen sich auch sichtlich wohl unter ihrer Wählerschaft …, besonders Norbert, allgemein als Abendmuffel bekannt, ist auffällig lange wach.

Wir selbst – Gerhard und ich – möchten uns bald einen ausgebauten Sprinter anschaffen, Richtung SSW fahren und in Westafrika über-wintern.

Die Brötchen mit Wurst, Käse oder Fleischsa-lat belegt, gehen weg wie warme Semmeln und die Mitternachtssuppe schmeckt auch schon ab 22 Uhr.

Morgens gegen drei Uhr schicke ich die letz-ten der 13 Übernachtungsgäste in ihre Schlaf-gemächer – neun weitere schlafen in ihren fünf Wohnmobilen.

Am Sonntagmorgen gibt es ab neun Uhr für die ersten Frühaufsteher frischen Kaffee, (von 9.30 Uhr bis gegen 13 Uhr tagt wieder der dzg-Vorstand), um 16 Uhr fahren die letzten vom Hof und ich freue mich schon auf das nächste Treffen am 19. September.

Reihe oben vlnr: Roswitha & Benja Lillmannstöns, Norbert Lüdtke, Barbara Krajewski, Leschek Krajewski, Willi Duijts, Ulla Siegmund, Klaus Schütz, Dieter Leonhard, Madhu, Christel LoockReihe unten vlnr: Klaus Peters, Gerhard Loock, Michael Cerha , Iko Peters, Anjee Wyrembek, Ilona Weinowski, Sonja Roschy, Astrid Riemann, Andi Wever, Flieger Horst Althaus

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WIR GLOBETROTTER

Ein abwechslungsreiches Programm und 14 herausragende Vorträge, die nirgendwo sonst im deutschen Sprachraum zu sehen sind, er-warten die Besucher am 23. und 24. Oktober 2009 in Judenburg bei Graz in der Steiermark.

Kein Schiff und kein Geld – und trotzdem der unbändige Wunsch, die Welt zu umsegeln. Sibille Burkhardt hat es gemacht – und daraus ist gleich eine ganze Weltumseglung geworden. Noch anstrengender war die Bike-Together-Tour von Bernward Elsel aus Nürnberg. Er hat sich mit dem Tandem nach Südafrika aufge-macht, der zweite Platz blieb frei – solange bis Einheimische mit in die Pedale traten!

»Abenteuer Fritz«: Fritz Kratzeisen ist 64 Jahre alt, als er aufbricht, um mit dem Fahrrad und 80 Kilogramm Gepäck die Welt zu umrunden. Vier

Jahre und 80.000 Kilometer später ist der »Aben-teuer Fritz«, wie er sich selbst gerne nennt, mit einem Rucksack voller Erinnerungen nach Hause gekommen – nach vier Felgenschäden, 80 Spei-chenbrüchen und 150 Flickeinsätzen.

Die VortragendenBernward Elsel Bike together; Bernhard Brenner Auf den Spuren von Jack the Ripper; Sibille Burk-hardt Suche Schiff - egal wohin; Herbert Ganter Im Land der 7101 Inseln; Ralf Gantzhorn Hom-mage an Patagonien; Heinrich Geuther Im Reich der Nebelberge; Andreas Hollinger 3D-Vortrag: Die Zukunft ist wild; A. Hübl & A. Burgholzer So-cotra - auf Jemens Insel des Glücks; Niels Kanne Expedition Serra do Araca; Fritz Kratzeisen Dem Rentnerfrust entgegen; Michael Obert liest: Chat-wins Guru und ich; Astrid Roenig West Papua; Dirk Schäfer Via Mediterra; Walter Steinberg Vom Ma-

El MundoDas 11. Abenteuer- und Reise-Diafestival

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EL MUNDO

Zentrale für Globetrotter e.V.)Michael Obert: Jahrgang 1966, Reisejournalist

(Die Zeit, FAZ, Geo …), Preisgekrönter Buch-autor (Regenzauber)

Walther Bruckschen: Jahrgang 1961, Geschäfts-führer des Reisemagazins TOURS und Welt-reisender aus Leidenschaft

Die dzg wird bei den Vorträgen vertreten durch Sibille Burkhardt, in der Jury durch Peter Mey-er. Und auch im Publikum werden wieder viele dzg-Mitglieder zu finden sein. Fahrgemein-schaften finden sich über die Rubrik Mitfahren zu Treffen auf www.globetrotter.org.

Es empfiehelt sich, die Karten bei El Mundo vorzubestellen, da diese schnell ausverkauft sind! Näheres siehe http://www.elmundo-festival.at.

ckenzie River zur Beringsee; Daniela Szczepanski Ein Kontinent zerbricht; M. Wetzel & Bruno Maul Balkan - Orient

Die hochrangig besetzte Jury besteht dieses Jahr aus:Bernd Henrichs: Jahrgang 1947, Produktmanager

Leica und seit 1999 berufenes DGPh MitgliedEdi Koblmüller: Jahrgang 1946, Einer der be-

kanntesten Bergsteiger Östereichs: Erfolgrei-che Besteigung von 5 Acht- und 7 Siebentau-sender – zum Teil auf neuen Routen

Peter Meyer: Geboren 1951 in Wiesbaden, Seit 1976 Verleger des pmv Peter Meyer Verlags für Reise und Freizeit in Frankfurt am Main und seit 1980 Mitglied der dzg (Deutsche

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E-Mail:dzg@mgschmitt .de oder Telefon: 0261 / 667492

Jahresfeten, Treff en, Vorstandssitzungenund sonstigen Aktivitäten der DZG.

Insbesondere von den Anfängen der dzg und den ersten 25 Jahren werden Bilder gesuch t. Die Originale werden von Sch orsch selbst gescannt, dokumentiert und danach zurück gegeben. Farbstich ige Bilder können

eventuell restauriert werden. Wer interessante Bilddokumente besitzt oder einen Hinweis auf andere bzw. ehemalige Mitglieder geben kann, die solch e Fotos besitzen, melde sich bitte bei Sch orsch :

Sch orsch (Georg Sch mitt, M 969) such t zur Ergänzung des digitalen Bildarch ivs zur Gesch ich te der dzg Dias, Negative oder Fotos von

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WIR GLOBETROTTER

Rheinzeitung vom 9. September 2009

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Das ReisebuchNützliches & Schönes für Sessel & Rucksack

VON NORBERT LÜDTKE & DEM ARCHIV ZUR GESCHICHTE DES INDIVIDUELLEN RE ISENS (AGIR)

ULRIKE BARTELS, CLAUDIA HEIB,

DANIELA RISTAU

Deutschland mit anderen AugenErfahrungsberichte von Menschen mit MigrationshintergrundHorlemann Verlag Bad Hon-nef 2009. Broschur 17x24 cm: 152 Seiten, 20 Textabb. 14,90 €»Nicht derjenige ist weise, der viele Dinge weiß, son-dern derjenige, der jederzeit bereit ist, sein Wissen zu erweitern.« Weiwei Zhao, geboren in der Volksrepublik China ist Deutsche geworden. Die Bereitschaft, ihr Wissen zu erweitern muss enorm gewesen sein wie bei allen, die ihre Hei-mat verlassen und in Deutschland hoffentlich eine neue Heimat gefunden haben. Zwanzig »Migranten« berichten über ihre Erfahrungen Deutsche zu werden. Das klingt of mühsam, manche finden es spannend und nicht für jeden mag es ein Gewinn gewesen sein. Deutschland durch diese Augen zu sehen zeigt den deut-schen Lesern, dass Vieles, was uns »normal« erscheint, auch anders gesehen und erlebt wer-den kann.

PHILIP CORNWEL-SMITH

(TEXT & FOTOS),

JOHN GOSS (FOTOS)

Typisch ThaiAlltagskultur in Thailand1. Aufl age (engl. Origi-nalausgabe: Very Thai), Edition Temmen Bremen 2010. Pappband 17x24

cm: 256 Seiten, durchgehehend farbig mit 500 Fotos. 19,90 €

Aufwendiges Register mit Glossar, Bildver-zeichnis und Jahreszahlen; Bibliographie

Die Idee des Buches ist schön: Thailand durchstreifen und all das fotografieren, was uns Reisende gemeinhin fasziniert und von dem wir in der Regel nicht wissen, was es be-deutet, denn: Nichts ist, wie es scheint. Nun denn: Was bedeutet also »Typisch Thai«?Auf jeweils 4 Seien werden etliche Dutzend Phänomene beschrieben, erklärt, erläutert, so etwa die Taxi-Altäre als spirituelle Unfallver-sicherung oder das bildhafte Thai-Alphabet

mit seinen sechs Arten von »T« oder auch der »Schnupper-Kuss«.

Das orientiert sich kenntnisreich am Alltag und ist hübsch illustriert. Wenn man nun kriti-sieren möchte, so eigentlich nur dies: Das Buch ist überfrachtet. Durchschnittlich zwei Bilder pro Seite sind viel, daher sind die Ränder zu klein für den Daumen und die Schrift läßt er-müdete Augen blinzeln. Auch das anglo-ame-rikanische Layout dieser übersetzten Ausgabe fremdelt ein wenig.

LUISA RIGHI &

STEFAN WALLISCH

Ötzi, die Räter und die RömerArchäologische Ausfl üge in SüdtirolFolio Verlag Wien/Bo-zen 2009. Klappenbro-schur mit Fadenheftung 11,5x20 cm: 176 Seiten, durchgehend farbig, auf-wendig illustriert. 13,20 €Auf der nächsten Tour

Man kann die eigenen Grenzen nur feststellen, indem man sie gelegentlich überschreitet. – JOSEF BROUKAL

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DAS REISEBUCH

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Rastlosigkeit tätig war, und selbst ein »ewiges Treiben« verspürte, »als wären es 10.000 Säue«. Als 60-Jähriger reiste er bis zur chinesischen Grenze, legte in neun Monaten 17.000 Kilome-ter zurück – per Pferdekraft. Er veröffentlichte 45 Bücher, darunter das 29-bändige Werk über seine Reise in die amerikanischen Tropen 1799 bis 1804.

Der Herausgeber, Frank Holl, läßt Humboldt weitgehend selber sprechen und zitiert darüber hinaus Zeitgenossen. Der eigene Textanteil be-schränkt sich auf das Nötigste, erscheint jedoch äußerst kenntnisreich, zumal Holl als ausgewie-sener Humboldt-Kenner gilt.

Alles in allem eine runde Sache, ein Buch, das man sich selbst schenken möchte.

WIR GLOBETROTTER

durch Südtirol hätte ich dieses Büchlein dabei. Wer wandert und geschichtlich interessiert ist, kommt auf seine Kosten. Die 45 Wandervor-schläge fallen dabei eher knapp aus und eine zusätzliche Wanderkarte wird auch nötig sein. Doch widmet sich jede Wanderung auch einem histiorischen Thema und verbindet Wege und Orte mit der Vorgeschichte des Landes.

Aufhänger ist dabei unvermeidlich der »Ötzi«, doch nach dem ersten Kapitel treten andere The-men in den Vordergrund, wie etwa Jagd, Hand-werk & Waffen, Häuser & Dörfer … und führen auch zu archäologischen Sehenswürdigkeiten, die eben nicht allgemein bekannt sind.

ALEXANDER VON HUMBOLDT, FRANK HOLL (HRSG.=

Mein vielbewegtes LebenDer Forscher über sich selbst und seine WerkeEichborn Verlag Frankfurt am Main 2009. Papp-band mit Fadenheftung 21x30 cm: 288 Seiten, 140 farb. Abb., Anmerkungen, Register 29,95 €

Der großformatige Band kommt opulent daher, Texte und Bilder stehen auf großzü-gigen Weißflächen getönten Papiers und dank der Fadenheftung lassen sich die doppelsei-tigen Abbildungen bis in die Buchmitte hinein öffnen und betrachten. Es ist jedenfalls eine Freude, in dem Band zu blättern: Wiedergabe von Gemälden, Fotografien von Museumsstü-cken, alte Landkarten oder Reproduktionen alter Druckgraphik vermitteln ein Bild der da-maligen Zeit.

Das Thema des Buches ist Alexander von Humboldt, der noch als 87-Jähriger bis zur

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DAS REISEBUCH

Neue Reisebücher kurz vorgestellt

D I E T R I C H H Ö L L H U B E RNeuseeland2. aktualisierte & erweiterte Aufl age, Erlangen: Michael Müller 2009. Klappenbroschur 12x19 cm: 932 Seiten, 251 s/w- und 84 farbige Fotos, farbige Klappenkarten, 90 Karten & Pläne. 26,90 €

Das Schwergewicht mit fast 1000 Seiten bietet Infos für alle Outdoor-Aktivitäten vom Surfen über Schwimmen bis Bungee-Jumping, mit 40 Wande-rungen und Touren.

E L F I H . M . G I L I S S E NAustralien. Das Auswanderer-Handbuch2. neu bearbeitete und komplett aktualisierte Aufl age, Reise Know-How Verlag München 2009. Klappenbro-schur 12x18 cm: 360 Seiten, durchgehend farbig, 10 Karten und Abbildungen. Register. 25 €

Immer dicht an der Praxis, ohne Traumtänze oder Wolkenkuckucksheime zu unterstützen han-gelt man sich informationdicht durch alle Phasen einer Auswanderung und wird im letzten Kapitel nochmals auf den Boden der Tatsachen gebracht: Die Rückkehr nach Deutschland.

B E R N H A R D K L E I N S C H M I D TJapan2009 (=APA Style) Polyglott München. Broschur 15 x 22,5 cm: 392 Seiten mit Register. Durchgehend farbig illustriert mit 19 Karten und Kartenverzeichnis. 24,95 €.

Die APA-Guides glänzen seit je durch ihre Gestaltung und das hervorragende Fotomaterial. Nun sind sie noch ein wenig opulenter gewor-den. Der Leineneinband mit Textildruck und das Leinenbändchen setzen ihn deutlich von anderen Reiseführern ab. Nobel, schwer und eher nichts für den Rucksack, doch eine Freude für alle, die Spaß an Büchern haben.

J E N S W I L L H A R D T & C H R I S T I N E S A D L E RIsland5. überarbeitete und aktualisierte Aufl age, Erlangen: Michael Müller 2009. Klappenbroschur 12x19 cm: 732 Seiten mit Register, 202 s/w- und 76 Farbfotos, farbige Klappenkarten, 54 Karten & Pläne mit Karten-verzeichnis. 60 Wanderungen & Touren. 22,90 €

Die beiden Autoren reisen seit Jahren nach Is-land, Christine Sadler bevorzugt dabei Fahrrad & Kanu und gewinnt dadurch einen besonderen Blick auf das Land. Jens Willhardt ist begeisterter Wan-

derer und liebt die Literatur der Insel. Dem Handbuch kommen all diese Sichtweisen zugute.

M A L T E S I E B E RChile6. neu bearbeitete & komplett aktualisierte Aufl age (=Reise Know-How), Peter Rump Biele-feld 2009. Klappenbroschur 12x18 cm: 660 Seiten mit Re-gister, Sprachhilfe & 39 Seiten zu Outdoor-Aktivitäten. Durch-gehend farbig mit 130 Fotos, 38 Stadtplänen & Karten & Kartenverzeichnis. Farbige Klap-penkarten & 24-seitiger Karte-natlas. Sprechhilfe Castellano & 35 Seiten Osterinsel. 23,90 €

Der Autor lebt seit 1992 in Chile und leitete dort eine deutschsprachige Wochen-zeitung. Leben & Reisen in Chile kennt er aus intensiver direkter Anschauung.

C H R I S T I N E P H I L I P P

Südafrika7. aktualisierte Aufl age (=Reise Know-How), Hel-mut Hermann Markgrönin-gen 2009. Klappenbroschur 12x18 cm: 840 Seiten mit Re-gister, Glossar. Mit 250 Fotos, 100 Stadtplänen & Karten & Kartenverzeichnis. Farbige Klappenkarten & 24-seitiger Kartenatlas. 25 €

Ein Standardwerk für Süd-afrika, mit präzisen Strecken-beschreibungen und Karten auch für abgelegenere Gebiete. Informationsprall und über-sichtlich strukturiert liegt der Schwerpunkt eindeutig auf den Textinhalten. Bildorientierte Le-ser werden entschädigt durch den 36-seitigen Farbteil zur Tierwelt des südlichen Afrika.

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REISEKULTOURREISEKULTOUR

Foto: Michael ObertSouvenirverkäufer in Kabul

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Es geschah auf einem Globetrottertreffen bei Würzburg. Ich fuhr mit meinem ausgebauten Synchro T4 dorthin und lernte jemanden ken-nen, der in Südamerika Touren im 2CV anbietet (www.2CV-tours.de). Auf einmal dachte ich mir, dass so eine Ente eigentlich eine tolle He-rausforderung wäre. Schließlich war ich 1968 mit einem Lloyd Alexander TS vom Schrott (250 DM) bis nach Nepal gefahren und hatte auch in diesem Auto gewohnt. Und vor zehn Jahren hatte ich in Agadir einen Fiat Uno gemietet und diesen rudimentär umgebaut in eine Schlafhüt-te. Zu zweit verbrachten wir darin einen wun-derbar entspannten Urlaub und fuhren quer durch Marokko.

Und jetzt wollte ich doch mal sehen, ob ich auch mit 65 Jahren noch derart reduziert auf

Zurück zu den UrsprüngenIm 2CV-Mini-Wohnmobil auf Frankreichtour

J Ö R N R A E C K , R E I S E Z E I T F R Ü H J A H R 2 0 0 8

Reisen gehen und sogar Spaß daran haben kann. Außerdem wollte ich gern erleben, wie es ist, wenn man die meisten Reparaturen noch selbst erledigen kann. Kein Navi, kein Allrad, so wenig Autobahn wie möglich, stattdessen fahren auf den kleinsten Landstraßen und kurze Tagesetappen, das war unsere Devise. Es war von vornherein klar, dass wir auf dieser Fahrt Campingplätze aufsuchen würden; der Beifah-rersitz musste nachts rausgestellt werden und die sanitären Möglichkeiten unseres T4 waren auch nicht gegeben. Meine Frau Tina lag mit mir Probe im umgebauten 2CV und ließ sich überzeugen, dass so eine Reise eine Erfahrung wert wäre.

Aber zurück zu meiner Ente. Die kaufte ich im August 2007 mit einem Kilometerstand

Unsere Ente mit großer Heckklappe und kleinem Vorzelt

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von 126.000 aus erster Hand; eine wunderbar restaurierte graue Charleston Ente mit neuem verzinktem Rahmen, mit AT-Motor und werk-stattgepflegt. Der Vorbesitzer verkaufte sie, da seine neue Lebensgefährtin nicht bereit war, in einem Auto ohne »Prallsäcke« durch die Ge-gend zu fahren.

Der Umbau in ein Miniwohnmobil war preiswert selbst getan: die Rücksitzbank flog raus, stattdessen baute ich ein Podest ein, das sich bei ausmontiertem Beifahrervordersitz bis zum Armaturenbrett verlängern ließ. Das ergab eine 210 Zentimeter lange Liegefläche, im unteren Bereich freilich nur 57 Zentime-ter breit. Das bedeutete, dass man auf dem unteren Drittel karottenmäßig eng beieinan-derliegen musste. Inzwischen habe ich das verändert, indem ich auch den Fahrersitz aus den Schienen schiebe und mit der Lehne zur Fahrertür quer positioniere, sodass sich die gesamte Liegefläche auf einer Breite von 110 Zentimeter präsentiert. Unter dem Podest stehen – auf Schienen geführt – vier graue

Plastikbehälter aus dem Baumarkt für unsere Klamotten. Hinter den Vordersitzen gibt es zwei Behälter für Küche und Vorräte, unter den Vordersitzen niedrige Behälter für Geschirr und Besteck. Als Wasservorrat gibt es nur einen 5-Liter-Trinkwasserkanister und einen 12-Liter-Wasserkanister mit Hahn.

Da ich das Reserverad vorn unter die Motor-haube verlegt habe, ist hinten unter der Koffer-raumklappe Platz für Ersatzteile und sogar für ein kleines Holztischchen aus den 80er Jahren, für zwei Klappsessel, ein Aldi-Sonnensegel und für einen kleinen Sonnenschirm. Kaltschaum-matratzen habe ich mir zuschneiden lassen und mit Bezügen versehen. Das Bettzeug liegt während der Fahrt hinten auf den Polstern und hinter dem Fahrersitz steht tagsüber ein 18-Li-ter-Schwingkompressorkühlschrank für ein küh-les Weinchen und die Frühstücksköstlichkeiten. Alle Blechteile innen – und da gibt es viele bei der Ente – habe ich mit Selbstklebefilz aus dem Installationsbereich beklebt. Gardinchen halten mit Klettverschlüssen an den Seitenfenstern,

Chansonsängerin auf dem Montmartre in Paris

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Frontscheibe und Rückfenster. Für die lauen Nächte unter klarem Sternenhimmel kann das Rolldach ganz geöffnet werden und ein Mos-kitonetz – fixiert mit sechs starken Magneten – liegt über der Öffnung.

So ausgerüstet starteten wir am 28. April 2008 gen Belgien. Erstes Ziel: das große En-

tentreffen in Dünkirchen. Danach wollte ich nach 40 Jahren mal wieder Paris sehen und dann die Loire entlang Richtung Bretagne. Bei strömendem Regen ging’s los. Es tropfte hier und da aus undefinierbaren Stellen unter der Frontscheibe – nervig, aber ein Handtuch half. In allen scharfen Linkskurven war hinten ein

Auf dem Campingplatz im Bois de Boulogne in Paris

WIR GLOBETROTTER� 1974 – 2009Vorschau auf die Reiseberichte

im Trotter 139 (Dezember)

Die »Arche Noah« vervollständigenBegegnungen im Hochland von GuatemalaVERA THIEL

Wir lagen vor Madagaskar …… und hatten die Sonne an BordULLA SIEGMUND

Zu Weihnachten auf der OsterinselKLAUS WINTERLING UND MAIKE GARDNER

Langzeitreise – Freiheit pur erleben14 Monate im James Cook durch SüdamerikaHARTMUT KRÜGER

TadschikistanGAIT LEFERINK

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leichtes Schleifen zu hören. Und nach langer Fahrt ging manchmal das Gaspedal schlecht zurück. Aber da hoffte ich auf Hilfe anderer 2CV-Spezialisten beim Ententreffen. Auf Land-strassen über Dinant und Givet näherten wir uns Frankreich, das uns bei Beaumont mit Son-ne begrüßte. In Maubeuge fanden wir unseren ersten Campingplatz. Gute Sanitäranlagen, warme Dusche, ein marokkanisches Restaurant ganz in der Nähe – das passte. Das Umbauen zum Schlafen war noch etwas gewöhnungsbe-dürftig, aber solange es draußen nicht regnete wenigstens stressfrei.

Auf der Weiterfahrt über Tournai mit seiner imposanten Kathedrale begleitete uns leider wieder Dauerregen bis zum Meer. Nach nur 187 Kilometern landeten wir auf einem fast leeren Campingplatz in Koksijde, gleich neben De Panne, einem schrecklichen Ort am Meer mit verlassener, windiger Promenade und unverschämt teuren Restaurants in hässlichen Hochhäusern. Zum Glück fanden wir den Imbiss eines Jemeniten.

Die Nacht wurde so stürmisch, dass ich unser über die Ente gespanntes Sonnensegel abbauen musste, und das im strömenden Regen. Der

nächste Tag brachte uns eine Mini-Etappe ent-lang des Meeres nach Dünkirchen, wo wir auf einem Parkplatz am Strand bereits die ersten 2CVs trafen. Maggi, eine alleinreisende Enten-fahrerin, guckte verschlafen hinter ihren lila Gardinen hervor. Sie fuhr eine blaue Kastenente mit angehängtem 400-Kilo-Hubwohnwagen und wir rätselten, wie schnell die da wohl auf der Autobahn fahren mag.

Wir frühstückten am Mini-Hänge-Tischlein in der Ente. Mittags fuhren wir gemeinsam zum 20 Hektar großen Seegelände, dem Treffpunkt. Da standen schon die ulkigsten Enten in langer Schlange. Es wurde viel gefachsimpelt, da spürt man schon, dass man Neuling ist. Nachdem wir unseren Obolus von 54 Euro für drei Tage be-zahlt hatten fanden wir einen tollen Platz am See, ein wenig windgeschützt. Nach einem Be-grüßungswein mit unseren Entennachbarn aus Celle waren wir ganz schnell integriert in einer fröhlichen Runde. Am anderen Seeufer gab es diverse Imbissbuden, einen Ersatzteilemarkt, ein Veranstaltungszelt, auch sanitäre Anlagen – die Organisatoren hatten ihren Job gut gemacht.

Bewaffnet mit der Kamera schossen wir un-endlich viele Fotos von Rennenten, Schrumpfen-

Blick vom Schlafplatz auf Beaugency an der Loire bei Nacht

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ten, Flachenten, Entencoupes, Allradenten, von Enten aus den 50ern und Entenumbauten zum Amphibienfahrzeug. Wir machten unendlich viele Fotos – die vier Gigabyte der Digitalkamera sind eben unersättlich!

An die 2.000 Enten aus aller Herren Länder waren angereist. Fast alle fuhren am 2. Mai zur Promenade von Dünkirchen in einer nicht enden wollenden Schlange, fröhlich begrüßt von den Anwohnern. Es gab für die Entenfahrer ein Spezialmenü in den Terrassenrestaurants mit Blick aufs Meer. Unter jeder geparkten Ente musste ein Pappendeckel liegen, falls der Motor Öl verlieren sollte. Am Abend gab es dann am See eine große Gratisverkostung von lukul-lischen Spezialitäten aus den verschiedenen Gegenden Frankreichs. Inklusive Wein, Cidre und so weiter … da war also nichts mehr mit Auto bewegen!

Am 3. Mai ging es von Dünkirchen Richtung Paris. Leider konnten uns auch die Spezis der En-tenszene nicht sagen, was das Geräusch an den Hinterrädern sein könnte. Immerhin hatten wir dank stärkerer und anders geführter Gasrückhol-feder die Motordrehzahl endlich im Griff. Durch tiefgrüne Landschaft mit gelben, duftenden Rapsfeldern und ohne Lkw's näherten wir uns Amiens. Tina hatte Rückenschmerzen, da das Bett in der Ente im unteren Bereich doch zu eng war. Zur Erholung mieteten wir für zwei Nächte eine kleine Hütte auf dem Campingplatz und ich konnte noch etwas Platz in der Ente gewinnen, indem ich den Fahrersitz noch weiter vorgescho-ben bekam. Das erwies sich später auch wirklich als ein großer Fortschritt.

Bei strahlender Sonne fuhren wir am nächs-ten Morgen in die Stadt mit ihrer imposanten Kathedrale mit den wunderschönen gotischen Fenstern. Die Altstadt von Amiens und die Wege entlang der Somme sind wirklich einen Besuch wert! Es gibt zahlreiche gemütliche Restaurants direkt am Fluss. Wir genossen eine orientalische Vorspeise und Poulet avec Coco mit gutem belgi-schem Bier, bevor wir uns zu später Stunde zur Heimfahrt per Bus aufmachen wollten. Leider zu spät, der letzte Bus (20.48 Uhr) war weg. Also liefen wir stramm anderthalb Stunden zurück zum Campingplatz. So hatten wir wenigstens die Kalorien abgelaufen.

Von Amiens bis Paris sind es 169 Kilometer, das war auch mit einer Ente gut zu schaffen.

Wir fuhren fast nie schneller als 80 Kilometer pro Stunde. Da braucht die Ente zwischen fünfeinhalb und sechs Liter auf 100 Kilometer, der Geräuschpegel hält sich in Grenzen und man kann die Landschaft genießen: Rolldach auf, Musik im Ohr, Berg runter Schwung holen für die nächste Steigung. Diese französischen Landstraßen sind scheinbar für Enten gebaut!

Paris dagegen empfing uns mit dem erwar-teten Verkehrsgewusel – aber mit einem 2CV hatten wir keine Probleme; alle Leute waren uns wohl gesonnen. Jeder erinnerte sich wohl an sein erstes Auto. Der Campingplatz im Bois de Boulogne lag direkt an der Seine und wir konnten von dort aus mit öffentlichen Verkehrs-mitteln Paris leicht erobern. Aber der Platz war ganz schön teuer: für eine winzige Parzelle zahl-ten wir für drei Tage 87 Euro, inklusive Strom für unseren Mini-Kompressorkühlschrank.

Am nächsten Morgen machten wir uns auf, Paris wieder zu entdecken. Als alte Orientfans führte uns aber der erste Weg zu einem orienta-lischen Markt. Es war wirklich wie in Nordafrika! Für die drei Tage Paris hatten wir jeweils ein Quartier ausgesucht, das wir zu Fuss erkun-deten. Diese Stadt mit ihren wunderschönen Parks, ihren geschichtsträchtigen Gebäuden und einladenden Straßencafés, den sandge-strahlten Brücken über der Seine, den ausge-fallenen Läden war wirklich immer noch und wieder einen Besuch wert. Klar, Notre Dame war überlaufen und auch Montmarte mit Sacré Cæur – aber es gab noch immer genügend Ecken, die den Parisern gehören und die ihr Flair bewahrt haben. Aus Liebe zu dem Film Die fabelhafte Welt der Amelie besuchten wir die Straße in der der Film gedreht wurde, die Rue Lepic.

Am achten Mai verließen wir Paris in Rich-tung Loire. Über kleine, einsame Landstraßen umfuhren wir Orleans, wir hatten keine Lust auf große Städte! Wir erreichten am Nachmittag nach 177 Kilometern die kleine Stadt Beaugen-cy mit einem Campingplatz direkt am Ufer der Loire mit traumhaftem Blick auf die Stadt und die Brücke. Wir standen quasi alleine auf einer Wiese am Fluss – ein Traumplätzchen zu einem Traumpreis: sechs Euro die Nacht inklusive war-mer Dusche! Zu Fuß machten wir uns auf zur Stadtbesichtigung und zum Abendessen in kul-turträchtiger Umgebung. Allein diese Stadt mit dem traumhaften Campingplatz war die Reise

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wert! Mit offenem Dach schliefen wir mit Blick in die Sterne, uns gegenüber die beleuchtete Brücke mit der Silhouette von Beaugency.

Am nächsten Morgen ging es weiter entlang der Loire auf der wenig befahrenen Seite. Blois war wieder so eine eindrucksvolle Stadt mit al-ten Kopfsteingassen und großer Kathedrale. Wir übernachteten in Savonnieres, auch hier gab es wieder einen schönen Campingplatz am Fluss.

Als wir die Frankreichkarte ansahen, merkten wir, dass die Bretagne doch zu weit weg war für unsere begrenzte Zeit. Wir beschlossen, besser langsam den Rückweg anzutreten: über Bour-ges und Auxerre (sehr sehenswert!) wollten wir hoch nach Metz und weiter nach Luxemburg. Da tankten wir die Ente noch mal voll – 25 Liter!

Am 15. Mai erreichten wir nach 2.122 Kilometern Düsseldorf. Die Ente hat uns kein einziges Mal im Stich gelassen. Wir haben das »einfache« Leben mit ihr und in ihr genossen und ich weiß nun, dass ich noch immer leben kann, wie mit 25 Jahren. Ja, und noch etwas: eine Reise in Europa – und gerade auch durch Frankreich – kann auch ganz viel Spaß machen,

Tina und Jörn

mit seiner Kultur (auch der Esskultur!), seinen Menschen, seinen oft einsamen Straßen und Wegen. Frei nach dem Motto: »Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah!«

Kurzvita des AutorsJörn, 1942 in Berlin geboren, fuhr bereits mit 14 per Rad in den Osterferien nach Südfrankreich. 1968, mit 25 Jahren, ging er mit Schirm, Gitarre und Rucksack auf große Reise rund ums Mittel-meer. Als Straßenmusiker hat er sich dabei sein Geld verdient. Dann zurück nach Deutschland, um im Lloyd Alexander vom Schrottplatz bis Nepal zu reisen. Den Wagen hat er dort an den Chauffeur des Königs verkauft. 18 Monate war er in Asien unterwegs: Türkei, Iran, Afghanistan, Indien und Nepal.

Ab 1970 Import von ethnologischen Musik-instrumenten und Volkskunst aus dem Orient und Thailand. Danach noch drei Mal mit dem Auto nach Indien. Seit dieser Zeit immer wie-der Marokko und die Türkei bereist. Seit fünf Jahren ist er in Pension, mit vielen Reiseplänen. In diesem Sommer war er in Kirgisien. Jörn ist langjähriges dzg-Mitglied.

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GORNO-BADAKHSHAN

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Es ist Anfang Oktober und die Nächte werden bereits empfindlich kalt. Bis minus 15 Grad! Tagsüber pfeift uns der Fahrtwind ins Ge-sicht. Manchmal ist er so kalt, dass wir einen Mundschutz tragen. Meine Frau Julia und ich befinden uns in Zentralasien, an der kirgisisch-tadschikischen Grenze und wir wollen das Pa-mirgebirge mit Fahrrädern überqueren. Marco Polo nannte es »Dach der Welt«. Für über eine Woche werden wir nicht unter 3.500 Höhenme-ter gelangen, sechs 4.000er Pässe bezwingen und alles, was wir an Nahrung benötigen, mit auf dem Rad haben. Und das ist einiges, denn Höhenluft macht hungrig.

Atemnot auf hohen PässenHeute sind wir von den netten Grenzbeamten eingeladen worden, die Nacht im Haus zu ver-bringen, anstatt im Schneegestöber zu zelten. Gerne nehmen wir das Angebot an. Wir sind

gerade am einschlafen, als die Wände des Hauses wackeln. Ein Erdbeben! Doch während wir noch überlegen, ob wir hinaus stürmen oder uns unter den Türrahmen stellen sollen, ist der Spuk schon vorbei. Hier ist es glimpflich abgelaufen – 100 Kilometer weiter wurde ein Dorf vernichtet.

Das Pamirgebirge gehört zu dem autono-men Gebiet Gorno-Badakshan, einem Teil von Tadschikistan. Die erste Hürde ist bereits die Grenze. Neben dem normalen Visum benötigt man hier eine separate Erlaubnis zur Einreise. Die haben wir zwar, doch weiß man trotzdem nicht genau, ob die Einreise reibungslos abläuft. Viele Reisende wurden schon zurückgeschickt. Obwohl wir die Frage, ob wir Wodka bei uns hätten, verneinen, ziert nach zehn Minuten ein druckfrischer Einreisestempel unsere Pässe. Den Wodka hätten die Grenzbeamten gern »konfisziert«.

Gorno-BadakhshanMit Fahrrädern über die Pässe des Pamir

H O L M R A U T E N B E R G , R E I S E Z E I T O K T O B E R 2 0 0 8

Blick auf die schneebedeckten Berge des Pamir

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Da die tadschikische Grenzstation auf dem ers-ten Pass liegt, öffnet sich uns gleich bei unserer Einreise ein fantastisches Panorama. Wie ein Fal-tenteppich liegen die Berge aneinandergereiht da. Graubraun, teilweise von Schnee bedeckt. Unten schlängelt sich ein Fluss durchs breite Tal und am Himmel ziehen dünne Wolken ihre cremige Spur durch den stahlblauen Himmel. Ein Blick, wie wir ihn die nächsten Tage immer wieder bestaunen dürfen.

All die Schönheit ist jedoch mit Anstrengung verbunden. Klar, wenn man mit dem Fahrrad da hinüber will. Die Einreisebestimmungen schreiben vor, uns innerhalb der ersten drei Tage registrieren zu lassen. Das bedeutet, dass wir die Siedlung Murghab in diesem Zeitraum erreichen müssen. 200 Kilometer und drei Pässe liegen dazwischen.

Den absoluten Höhepunkt der Reise erreichen wir auf dem Ak-Baital-Pass, bei 4.655 Meter. Wir schnaufen. Tief! Immer wieder! Die Luft ist sehr dünn und wir müssen schnell atmen, damit unsere Muskeln mit dem nötigen Sauerstoff ver-sorgt werden. Die Waden brennen und anfangs ist es so steil, dass wir 20 Meter radeln und drei Minuten nach Luft lechzend über dem Lenker hängen. Der Untergrund tut das Seinige dazu

und auf dem Schotter rutschen immer wieder unsere Hinterreifen durch, nehmen uns den Schwung weg. Es ist anstrengend, doch schließ-lich stehen wir oben und freuen uns. Geschafft!

Da es spät geworden ist, rollen wir noch et-was bergab und campen auf 4.400 Meter Höhe. Nachts muss ich mir öfter den Schlafsack über dem Mund wegziehen, damit ich besser Luft bekomme. Doch als morgens der Kocher summt und wir uns einen schönen, heißen Kaffee zube-reiten, sind die Strapazen schon wieder verges-sen. Wir lassen uns die Morgensonne ins Gesicht scheinen und staunen über die tolle Aussicht und die himmlische Ruhe, die nur ab und zu vom Schrei eines Adlers durchbrochen wird.

Hinter Murghab sind wir weitere fünf Tage fernab von der Zivilisation und nur einzelne Ge-höfte erinnern uns daran, dass dieser Planet be-siedelt ist. Dick eingepackt und windgeschützt pedalen wir durch die Hochgebirgslandschaft, vorbei an türkis-grünen Seen, entlang an mäan-dernden Flussläufen und zwischen Gipfeln hin-durch, mit Namen wie Pik Lenin, Pik Kommu-nismus oder Pik der sowjetischen Offiziere. Wir sehen Yaks beim grasen und wärmen uns bei den warmen Quellen in Jelondy auf. Schließlich rollen wir 2.000 Höhenmeter aus dem Pamirge-

Karge und menschleere Wildnis

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birge hinunter nach Khorog, wo wir uns zwei Ruhetage redlich verdient haben.

Das kleine Städtchen Khorog liegt malerisch in einer Schlucht. Steinhäuser schmiegen sich an die steilen Berghänge, die 3.000 Meter wei-ter oben erst den Blick auf den Himmel zulassen. Luxus kann man auch hier nicht erwarten, aber auf dem Markt können wir uns mit frischem Gemüse oder noch warmen, frisch gebackenem Fladenbrot versorgen. Das reicht uns. Die Men-schen bestaunen uns freundlich, neugierig und auch wir werden nicht satt, die abenteuerlichen Kleidungsstile und von Wind und Wetter ge-zeichnete Gesichtszüge zu betrachten.

Blick auf AfghanistanWir sind gespannt, was die weiteren paar hun-dert Kilometer bringen werden, denn es geht entlang des Grenzflusses Pjandsch, der Afgha-nistan und Tadschikistan trennt – sozusagen nur einen Steinwurf entfernt. Bis vor einigen Jahren sorgte sich das russische Militär noch um die Grenzsicherung. Heute treffen wir nur ein paar junge Soldaten, die müde in Zweiergrup-pen entlang des Flusses patrouillieren. Ein Erbe haben die Russen jedoch hinterlassen. Schilder, auf dem einem Strichmännchen ein Bein aus-

gerissen wird, warnen vor Minenfeldern. Wir bleiben also lieber auf der Straße und fragen abends die gastfreundlichen Tadschiken, ob wir nicht neben dem Feld zelten dürfen. Kein einzi-ges Mal wurde uns diese Bitte verwehrt. Nicht selten kochen wir unter der Beobachtung von neugierigen Kinderaugen unser Abendessen.

Die Welt scheint vor 100 Jahre stehen geblie-ben zu sein. Ein Pfad hangelt sich abenteuerlich an steilen Felswänden entlang. Manchmal so spektakulär, dass die Männer in weit flatternden Gewändern alle Mühe haben, ihre störrisch

Eine Begegnung am Straßenrand

Blick hinüber nach Afghanistan

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blökenden Esel über die eine oder andere Pas-sage zu zerren und zu drücken. Ich kann den bepackten Esel nur gut verstehen, dass er nicht über eine schwingende Brücke aus Seil und Holzlatten trotten will, die eine 50 Meter steil abfallende Felswand überspannt. Mit Ochsen-pflügen mühen sich Bauern ab, den steinigen Boden fruchtbar zu machen. Lehmhütten und Steinhäuser betten sich mal in steile Hänge, mal in breitere Täler – meist entlang an Wasserläu-fen, die ihren Weg nach unten zum grünweißen Fluss suchen. Kinder rennen am Fluss entlang. Es ist eine Idylle, die wir nur selten erlebt haben. Nur Satellitenschüsseln auf den Dächern erin-nern an die Neuzeit – Autos haben dieses Tal noch nicht erreicht.

Von Krieg, Bomben und Gefahr nichts zu merken. Im Gegenteil. Mit unseren beladenen Fährrädern ernten wir freudige Rufe und Grüße von der anderen Seite. Lachende Menschen se-hen wir, obwohl wir uns darüber im Klaren sind, dass das Leben hier nicht einfach ist. Das Glei-che gilt für die tadschikische Seite. Raues Klima und eine politisch unsichere Vergangenheit haben es geprägt und den Wohlstand gering gehalten. Viele Menschen leben von weniger als einem Dollar pro Tag. Dennoch wird uns eine

bemerkenswerte Gastfreundschaft zuteil. Fast jeden Tag bekommen wir Brot oder Äpfel zuge-steckt, wir werden neugierig nach dem Woher und Wohin befragt und fühlen uns willkommen. Zum Teil liegt es wohl an der persischen Ab-stammung der Tadschiken, in deren Kultur die Gastfreundschaft so ein hohes Gut ist.

Tee mit PerovEin paar hundert Kilometer weiter werden an einer der häufigen Polizeikontrollen unsere Päs-se geprüft. Plötzlich steht eine außerordentliche Erscheinung neben uns: Langer Mantel, Hose in die Stiefel, die unterhalb der Knie enden, gesteckt, Weste über dem runden Bauch zu-geknöpft, Dolch im Gürtel, Turban und weißer Rauschebart. Perov heißt er und seine wachen Augen huschen flink über unsere voll gepackten Räder. Wo wir herkommen, will er wissen und wie weit wir täglich fahren. Wir bekommen unsere Pässe zurück.

»Kommt mit Tee trinken!«, sagt er und winkt ausholend mit der Hand. »Und Essen gibt es auch.« Wir zögern, doch er meint es ernst und wiederholt die Einladung. Hinter ihm her schlän-geln wir uns durch die Siedlung zu seinem Haus. Sand knirscht unter den Rädern und die Schritte

Zu Gast bei Perov und seiner Frau

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wirbeln Staub auf, der sich auf die Hose legt. Es ist trocken hier. Kein Wunder, dass es hiesige Sitte ist, sich erst die Hände zu waschen, wenn man an einem Haus ankommt. Und so bekommen wir aus einem Zinnkrug Wasser über die Hände gegossen und ein Handtuch gereicht. Das Was-ser abzuschütteln ist verpönt.

Perov ist schon 88 Jahre alt und genießt eine entsprechende Autorität. Als er mit uns im Schlepptau ankommt, scheucht er gleich alle auf. Auch erwachsene Männer springen auf und folgen seinen Anweisungen. Nachdem wir uns auf das Podest vor dem Haus gesetzt haben, wird neben dem Tee ein Tuch herangebracht und großes Fladenbrot ausgewickelt. »Das ist Muselmanenbrot«, sagt er stolz »und sehr gut!« Es ist in der Tat anders als die hier üblichen klei-nen Fladen und köstlich. Ruckzuck stehen noch zwei große Schalen Bonbons und Äpfel vor uns. Genüsslich Brot kauend und Tee schlürfend beantworten wir seine Fragen. Immer wieder verscheucht er mit einem »Kschkschksch« die Kinder, die neugierig ein paar Meter von uns stehen.

Das Brot ist lecker und die Äpfel sind süß, doch vom übrigen Essen bin ich nicht so begeis-tert. Es gibt das zentralasiatisch typische shurpa.

Das ist eine Suppe mit etwas Zwiebeln, Karotten und Kartoffeln. Hauptzutat ist Hammelfleisch am Knochen und das Ganze ist sehr fettig und schmeckt hammelig. Ich bin kein Fan davon, vor allem da es noch immer in eine Art Glückspiel ausartet. Denn für unsere Geschmacksnerven entscheidet der »Fleischbollen«, ob es essbar ist. Fett ist hier ein wichtiger Energielieferant und gilt als köstlich. So ist an dem Knochen oft jede Menge Fett oder wie in diesem Fall auch Knorpel und Sehnen. Und ich habe heute Pech!

Wieder einmal werden die von uns mitge-brachten Bilder gerne gesehen. Wie so oft ist das Foto, das meinen drei Monate alten Neffen zeigt der Hit und Perovs Frau, die sich zwischen-zeitlich zu uns gesetzt hat, knutscht ihn ab und hält das Foto ans Herz. Gesten, die wir so schon oft erlebt haben. Richtig eitel wird die alte Dame, als wir unsere Sofortbildkamera heraus-holen und sie zieht ihr Überkleid aus. Darunter kommt ein weiteres Kleid zum Vorschein, dass sie wohl lieber hat. Schüchtern und mit viel Ge-lächter lassen sich Kinder und Frauen fotografie-ren. doch als die Fotos scharf und die Gesichter erkennbar werden, ist die Freude groß.

Zum Abschied packt Perov erst ein Brot in eine Tüte. Dann noch eins. Dann alle Äpfel,

Freundlich und neugierig sind die Bewohner Gorno-Badakhshans

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ii Box BoxPermitDas Permit für die Provinz Gorno-Badakhshan (kurz GBAO-Permit, die Abkürzung steht für Gorno Badakhshanskaya Awtonomaya Oblast) erhält man bei den Botschaften von Tadschi-kistan. Man beantragt es zusammen mit dem generellen Visum. Wir haben beides in Bishkek (Kirgistan) erhalten. Für das Visum brauchten wir einen Letter of Invitation, den wir über www.stantours.com besorgt haben. Stantours wird von einem Deutschen betrieben und wird von uns weiterempfohlen (kompetent, schnell, unkompliziert). Zu den aktuellen Ein-reise-, Visa- und Permitbestimmungen sollte man immer nach aktuellen Informationen besorgen (tadschikische Botschaft), da die Bestimmungen häufig und beliebig geändert werden. Nach neusten Infos soll aktuell ein GBAO-Permit nicht mehr erforderlich sein. Un-ter www.strassenkreuzer.org/ haben wir unsere Visaerfahrungen hinterlegt.

Generelle Streckeninfos und -erfahrungen sowie solche zur Strecke durchs Pamirge-birge, von Sary-Tash bis Khorog siehe unter www.strassenkreuzer.org.

FitnessDas Pamirgebirge ist eine sehr herausfordern-de Radstrecke, man sollte unbedingt fit sein, möglichst gesund und ausgeruht diesen Trip starten. Etwas Radelerfahrung mitzubringen, kann sicherlich nicht schaden.

WetterAb Oktober wird es empfindlich kalt in den Höhenlagen. Wer zu spät dran ist und in den Winter fährt, der kann mit Nachttemperaturen bis zu -40 Grad Celsius rechnen. Man sollte sich vorher gut über die Wetterverhältnisse erkundigen.

MaterialZelt, Kleidung und Schlafsack sollten auf Käl-te und Wind abgestimmt sein, ein Kocher ist wichtig. Wir hatten zwei Schlafsäcke, die man zusammenkoppeln kann. In diesen einen gro-ßen haben wir uns einen weiteren als Decke gelegt (alles gute warme Säcke (-20/-10 Grad).

Eine Wärmflasche gibt ein paar Extragrade im Schlafsack.

Das Rad muss viel Gepäck tragen und mitunter mit sehr rauen Straßenverhältnissen fertig werden. Ersatzteile muss man sowieso dabei haben und man sollte die meisten defek-te selbst beheben können.

EssenVon Kirgisistan kommend kann man in Sary-Tash das Notwendigste aufstocken (Nudeln, Dosen, Snickers etc.). Spezielles (Milchpulver, Tee, Kaffee, etc.) sollte man aus Osh mitbrin-gen. In Tadschikistan kann man in Karakol einige Notwendigkeiten erwerben. Sonst eher in Murghab, dann wieder aufladen, um bis Khorog durchzukommen. Dazwischen gibt es wenig bis nichts. Wasser kann zum Problem werden, je nach Jahreszeit und sollte für mindestens 24 Stunden mitgeführt werden. Wir sind täglich an einem Wasserlauf vorbeigekommen (wie im Roadbook dargestellt) und haben dort alle unse-re Flaschen aufgefüllt. Wir haben das Wasser ge-filtert, behandelt oder mindestens zehn Minuten gekocht. Zum Kochen verwendeten wir Benzin, das wir aus Kirgisistan mitbrachten. Im Pamirge-birge selbst bekommt man nur schlechtes Petro-leum. Benzin gab’s erst in Khorog wieder. Wasser abends in den Topf umfüllen, da es nachts in der Flaschen gefriert.

NotfallEs gibt etwas Verkehr im Pamirgebirge, meist chinesische Trucks, die notfalls eine Mitfahr-gelegenheit bieten. Mobilfunknetze gibt es im Pamirgebirge nicht. Eine Reiseapotheke und ein gewisses Erste-Hilfe-Wissen kann nützlich sein. Die Regeln und Vorsichtsmaßnahmen für Höhenkrankheit beachten! Ein Schal, Tuch oder Buff vor dem Mund wärmt die Atemluft und beugt einer Lungenentzündung vor.

Wir hatten ein so genanntes Roadbook (detaillierte Streckenbeschreibung), das wir hilfreich und (Oktober 2008) zutreffend fanden http://bikesilk.blogspot.com/2007/10/pamir-highway-data.html.

Gerne helfen wir euch bei der Planung mit Infos. Also schreibt uns!

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die noch da sind. Als er dann zur Bonbon-schale greift muss ich ihm Einhalt gebieten. Soviel können wir einfach nicht annehmen. Ich packe zusammen und schaue kurz nicht hin, schwupps ist der Zucker in der Tüte und die Hand schon wieder an einer der beiden Bonbonschalen. Ich muss ihm die Tüte regel-recht aus der Hand »erkämpfen«, mache einen Doppelknoten hinein und verstaue sie auf dem Rad. Er hätte uns die beiden Bonbonschalen gnadenlos dazu geleert. Doch das wäre wirk-lich zuviel und wir hätten monatelang daran gelutscht.

Im Nachhinein meint Julia, dies sei eine unse-rer schönsten spontanen Einladungen gewesen. Ich stimme zu und nicht nur für meinen Magen war die Begegnung unvergesslich.

Einige kilometer- und höhenmeterreiche Tage liegen noch vor uns. In der Hauptstadt Dushanbe werden wir uns etwas erholen und dann die letzte Etappe zur usbekischen Grenze in Angriff nehmen.

Wenn wir heute an unsere Reise in Tadschi-kistan zurückdenken, dann erinnern wir uns an Anstrengung, Wind und Wetter. Doch was uns wirklich den Atem geraubt hat, sind Naturerleb-

nisse und Begegnungen mit bestechend freund-lichen Menschen. Einsame Ruhe und Weite im Pamirgebirge, laut rauschende Gebirgsflüsse, spektakuläre Schluchten und idyllische Dörfer aus einer anderen Zeit säumten unseren Weg. Wir haben uns hier sehr wohl gefühlt und kön-nen jedem eine Reise nach Tadschikistan nur ans Herz legen.

Kurzvita des AutorsHolm wurde 1982 in Heidelberg geboren, wuchs aber im Odenwald auf und lebt seit dem Beginn seines Studiums in Stuttgart. Den Traum einer Weltreise hat er schon seit einigen Jahren. Bisher waren es Reisen in Europa, nach Kuba, Vietnam und Sibirien. Die meisten davon mit dem Rucksack. Der Wunsch, auf Reisen noch unabhängiger zu sein, gebar den Gedanken an eine Fahrradreise. Zum Glück musste er bei Julia keine Überzeugungsarbeit leisten – sie war gleich Feuer und Flamme. Also ging es ab ins Abenteuer. Im März 2008 begann die Fahrra-dreise mit dem Ziel Neuseeland – und sie sind noch unterwegs, zurzeit in Südostasien. Holm ist seit kurzem dzg-Mitglied. Ihre Webseite: www.strassenkreuzer.org.

Holm und Julia unterwegs

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CAMPING IN KABUL

Camping in Kabul

M I C H A E L O B E R T

30 Jahre nach der großen Zeit der Hippies ist in Kabul der Tourismus erwacht. Trotz Krieg, Krisen und Entführungen.

Der einzige Tourist in Kabul würde ich sein. Zumindest glaubte ich das, als ich mit der Maschine aus Dubai zwischen Militärhub-schraubern und Kampfjets landete. Keine drei Stunden später dann diese Szene: Ein kleiner Mann spaziert mit einem erhobenen Fähnchen durch Kriegsruinen, gefolgt von Menschen mit weißen Sonnenhüten und himmelblauem Mundschutz, die mit ihren Digitalkameras Ein-schusslöcher in den Hauswänden knipsen – eine japanische Reisegruppe.

Kabul ist eine lustige Stadt. Klingt das absurd? Gut, sehr gut. Das absurde Theater wurde von den Franzosen erfunden, um die Unsinnigkeit der Welt und den darin verlorenen Menschen vorzuführen. Nicht zuletzt als Reaktion auf den Horror der beiden Weltkriege. Afghanistan hat eine zeitgenössische Spielart hervorgebracht. Sie heißt Kabul.

Im Zentrum springt mich das Gefühl des Absurden an jeder Straßenecke an. Schäfer treiben ihre Herden durch den endlosen Strom aus Autos, Minibussen und Mopeds. Ein Land-cruiser mit Fernsehbildschirmen in den Sitzen überholt eine Eselkarre, deren Eigentümer hin-ten das zerbeulte Nummernschild eines Autos festgenagelt hat. Im Restaurant Deutscher Hof serviert Gunter Völker aus Tabarz in Thürin-gen Schweinshaxe mit Sauerkraut, dazu frisch gezapftes Schwarzbier. Eine Frau streckt mir ihre Hand entgegen, die Finger fehlen, statt-dessen eiternde Krater; daneben Internetcafés mit italienischen Espressomaschinen und High Speed-Verbindungen, überall klingeln Handys, werden SIM-Karten, Freisprecheinrichtungen und Easy-Charger verkauft. Ein Schild wirbt: Fahrradverleih, Autoverleih, Sicherheitsdienste mit bis zu 3.000 bewaffneten Männern. Und im Ba-sar, wo Alkohol verboten ist, bieten Händler ihr

Speiseöl in Johnny Walker-Flaschen zu 4,5 Litern an und versenken großformatige Fotografien von halbnackten Frauen im Öl – Sex sells. Auch in Afghanistan.

In den letzten Jahren ist die Einwohnerzahl Kabuls auf geschätzte vier Millionen hochge-schnellt. Mit so vielen Menschen kommt die Stadt nicht klar: Müllberge, Wassermangel, ungenügende Hygiene, es besteht die Gefahr von Cholera- und Durchfallepidemien, die Kin-dersterblichkeitsrate zählt zu den höchsten der Welt, der Verkehr ist mörderisch, die Luft eben-so. Noch vor zehn Jahren gab es in Kabul so wenige Autos, dass man mitten auf der Straße spazieren gehen konnte, jetzt schiebt sich selbst durch die kleinste Gasse eine lärmende, qual-mende Blechlawine. Zahllose Generatoren ver-pesten zusätzlich die Luft. Nachts brechen sich

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Autoscheinwerfer im Abgasnebel, der die Stadt in ein Schattentheater verwandelt. Dazu der Staub, den der Wind in den Kriegsruinen und auf Feldern aufnimmt, die mit Exkrementen ge-düngt werden. Auch mit menschlichen. Früher oder später erwischt der gefürchtete Kabul-Husten jeden. Gegen diese Stadt sind Lima und Kalkutta Luftkurorte.

Ich wohne im Mustafa, einem Hotel der Mit-telklasse. Meine Zelle ist gerade groß genug für eine Pritsche. Es gibt keinen Ventilator. Rosaroter Putz blättert von den Wänden. Die Toilette liegt am Ende des Flurs, als nachts der Strom ausfällt, taste ich mich in völliger Dunkelheit den langen Gang zurück – und stoße plötzlich mit jeman-dem zusammen. Ich unterdrücke einen Schrei, erspüre ein langes Gewand, darunter etwas Hartes, Metallisches. Meine Hände berühren einen fülligen Bart, da geht das Licht wieder an. Ich umarme einen hünenhaften Paschtunen im Nachthemd. Er zeigt auf seine Kalaschnikow und sagt »AK 47, good, very good.« Dann wün-schen wir uns eine gute Nacht.

Am nächsten Morgen begegne ich im Ba-sar einer Gruppe amerikanischer Touristen. Sie haben eine »Kabul City Tour« gebucht, eine ganztägige Führung, die Pauschalreisende zu

den Sehenswürdigkeiten der Stadt bringt: Mo-scheen, Mausoleen, Gärten, der Vogelbasar, die alte Festungsmauer. Organisiert von einem Un-ternehmen namens Great Game Travel Company. Es gibt noch zwei weitere solcher Reiseveranstal-ter in der Stadt. Und mir wird allmählich klar: In Kabul ist der Tourismus erwacht. Trotz Krieg, Kri-sen und Entführungen werden Ausflüge zu den Überresten der steinernen Buddhas von Bamiyan angeboten. Auch Trekkingtouren in der nörd-lichen Provinz Badakhshân. Die Pioniere der Rei-seszene raften bereits mit Kajaks auf dem Panshir River, fahren Snowboard im Hindukusch und gleiten an Drachen über die saphirblauen Band-e-Amir-Seen. Nicht weit vom Mustafa begegne ich einem tschechischen Rucksacktouristen, der in einem Reiseführer blättert: Afghanistan – druckfrisch von Lonely Planet.

Auch einen neuen Tourismusminister gibt es in Afghanistan, ein gefährlicher Beruf am Hindukusch. Der erste Amtsinhaber nach dem Sturz der Taliban, Abdul Rahman, wurde kurz nach seinem Dienstantritt von einem Mob am Kabuler Flughafen gelyncht. Der zweite Touris-musminister von Afghanistan, Mirwais Sadeq, wurde auf einer Dienstfahrt in Herat im Auto erschossen. Nasrullah Stanekzai, der dritte

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CAMPING IN KABUL

Tourismusminister von Afghanistan, lebt zwar noch, wurde jedoch über Nacht abgesetzt, weil er nach Machtverschiebungen im Regierungs-apparat plötzlich der falschen Partei angehörte. Vielleicht liegt es am Schicksal seiner Vorgänger, dass Professor Ghulam Nabi Farahi, der Amtsin-haber, dem ich jetzt gegenübersitze, nicht son-derlich euphorisch wirkt, wenn er über die tou-ristische Zukunft seines Landes spricht. »1.000 im vergangenen Jahr«, sagt er, lässt die hellblau-en Perlen einer Gebetskette durch die Finger gleiten und fixiert den Fernseher, wo ein afgha-nischer Elvis It´s now or never singt. »Dieses Jahr 1.500, nächstes Jahr doppelt so viele.« Professor Farahi trägt ein hellblaues Hemd mit weißem Kragen und weißen Manschetten, dazu eine silbern gestreifte Krawatte. Die Klimaanlage zeigt 18 Grad, ein Poster an der Wand die Rui-nen von Delphi in Griechenland. Auf dem Tisch steht eine Schale mit Bonbons. Alles wirkt recht aufgeräumt.

Tourismusförderung sei ein wichtiges Ziel der Regierung, sagt der Tourismusminister. Prä-sident Karzai habe das mehrfach betont. Doch die Medien betrieben »schlechte Propaganda«, was die Sicherheitslage in Afghanistan betreffe. Dabei seien viele Städte durchaus sicher: Kabul,

Herat, Bamiyan, Masar-e Scharif, sagt er, immer noch fernsehend. Welche Gegenden sollte ich als Tourist besser meiden? »Jeder kann reisen, wohin er will«, antwortet der Tourismusmini-ster, gebannt von dem Clown, der mit einer un-sichtbaren Pumpgun auf sein Publikum feuert. »Jeder ist für sich selbst verantwortlich.« Damit ist das Interview beendet.

Beckett hätte die Chicken Street im Zen-trum von Kabul geliebt. Camus auch. Das einzige, was man in der Chicken Street nicht kaufen kann, sind Hühner. (Die gibt es ein Stück weiter in der Flower Street.) Stattdessen reihen sich Souvenirläden aneinander. In den Schaufenstern: Glasbläsereien aus Herat, usbe-kische Stickereien und Jacken aus dem Fell der letzten Schneeleoparden, Lapislazuli-Schmuck, zentralasiatische Antiquitäten, Kelims und Tep-piche. Einige zeigen das Gesicht von George W. Bush; er weint bitterlich. Auf anderen steht das World Trade Center in Flammen, während ein F16-Geschwader über die Umrisse von Af-ghanistan fliegt; darunter steht in krakeliger Schrift:

WAR ON TERIRISM 9/11AFGHANSTAN AND AMRICA

TOGITHER VICTIRY!!!

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In der Flower Street treffe ich Gul Agha Karimi, der mich in sein Haus einlädt, um mir von den 90.000 Hippies zu erzählen, die in den Sech-zigern auf ihrem Weg nach Indien und Nepal jährlich durch Afghanistan zogen. Sie genossen unberührte Landschaften, ausgeprägte Gast-freundschaft und das beste Dope der Welt – die gelebte Vision des Summer of Love. Es gab nur eine Reiseroute. Und die führte über Kabul. Man traf sich in der Chicken Street in Sigis Restaurant und feierte im Green Hotel bis in den Morgen. Das Reisemotto der Hippies lautete Camping in Kabul.

»Jeder Hippie kannte mich, jeder Hippie lieb-te meinen Super Payan Camping«, sagt der alte Karimi voller Stolz. Wir sitzen in seinem Wohn-zimmer, umgeben von Großbildfernseher, Video- und DVD-Rekorder, Satellitenempfänger und mehreren Stereoanlagen. Leider gibt es kei-nen Strom. »Die Hippies gingen barfuß«, erin-nert sich Karimi und reibt mit seiner rauen Fuß-sohle an der Glaskante des Wohnzimmertischs, während wir zuckersüße Orangenlimonade trinken. »Wir dachten: Wie arm diese Leute sind, bei Allah, schaut sie euch an, sie können sich nicht einmal Schuhe kaufen.« Bis zu 300 Hippies brachte er auf seinem Campingplatz unter, dort, wo jetzt sein kleiner Supermarkt steht und die Großfamilie in elf einstöckigen Kastenhäusern wohnt. »Ich machte tausend Dollar am Tag«, schwärmt Karimi. Der Touris-mus sei eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes gewesen. Afghanistan war, wie es damals hieß, mellow. Und es könnte wieder so sein. Bald, sehr bald. Ja, Afghanistan.

Ende 1978 war der Hippie-Traum über Nacht vorbei. Im Schutz der Dunkelheit flogen Kampf-jets über Kabul, keine hundert Meter von Kari-mis Campingplatz schlugen Bomben ein. Am nächsten Tag waren die Hippies weg. Die Kom-munisten putschten sich an die Macht, und als sich islamische Kräfte gegen sie erhoben, marschierten die Sowjets ein. Es folgten drei Jahrzehnte Krieg und Bürgerkrieg, die das Land in Schutt und Asche legten. Und jetzt – Karimi nimmt sein Käppchen vom Kopf und stülpt es über das Knie –, jetzt endlich schließe sich der Kreis. Seit dem Sturz der Taliban Ende 2001 sei wieder Camping in Kabul angesagt. Dieses Mal hinter Stahlbeton, Sandsäcken und Stacheldraht. Weiße Toyota-Landcruiser, sichtbarste Zeichen

der Präsenz internationaler Hilfsorganisationen in den Krisengebieten dieser Welt, verstopfen die Straßen des Stadtzentrums zur Mittagszeit. Die Vereinten Nationen und ihr Gefolge von Wohl-tätern sind in Kabul eingefallen – und mit ihnen die Herolde der Globalisierung: Spekulanten und Touristen. Die Freaks sind zurück in der Chicken Street.

Tanya und Richard zum Beispiel. Sie, Ernäh-rungsberaterin aus Südafrika, er, Politikwissen-schaftler aus Australien. Ich treffe die beiden beim Mittagessen im Herat, einem afghanischen Restaurant. Richard trägt Vollbart, lokales Lang-hemd und Pumphosen, Tanya weite Klamotten und Kopftuch. Sie sind Anfang dreißig und auf ihrer einjährigen Asienreise von Pakistan aus im überfüllten Minibus über den Khyber Pass und durch die Stammesgebiete nach Kabul gekom-men. »Afghanistan fasziniert uns seit unserem Studium«, sagen sie strahlend. »Mit dem Trip nach Kabul haben wir uns einen lang ersehn-ten Traum erfüllt.« Sind die beiden verrückt? Todessehnsüchtige Adrenalin-Junkies? Bei einer langen Unterhaltung wird mir klar, dass sie ein ernsthaftes Interesse an Afghanistan haben und mit eigenen Augen sehen wollen, wie es um das Land bestellt ist.

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Später stößt Alan zu uns, Ire, Mitte 50. Er ist mit dem Rucksack in Zentralasien unterwegs und über Tadschikistan nach Kabul gereist. »Die Medien zeigen dir immer dieselben Bilder«, sagt Alan, während er mit der Gabel gegrillte Lammstücke vom Spieß auf seinen Teller zieht. »Attentate, Entführungen, Video-Botschaften. Und dann stehst du im Basar vor dem Gemü-sehändler, du willst ein paar Tomaten, und der Mann lächelt dich an. Und plötzlich fallen alle Medienbilder weg, es bleibt nur die Begegnung zweier Menschen als Menschen.« Allein dafür, sagt Alan, lohnten sich die Risiken einer Reise nach Afghanistan.

Risiken, die beträchtlich sind. Die Warnungen weltweiter Regierungsorgane klingen, als sei je-der Ausländer, der seinen Fuß auf afghanischen Boden setzt, so gut wie tot: »Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewalt-akte« ... »landesweite Attentate« ... »Überfälle in Kabul auch tagsüber« ... »Entführungen« ... »Überlandfahrten nur im bewachten Konvoi«. Als ich an diesem Nachmittag in einem Strom von Afghanen zu Fuß die Straße zum Basar hinuntertreibe, tauchen vor mir plötzlich Pan-zerwagen auf. Oben kauert ein Soldat hinter

dem Maschinengewehr. Erst dann sehe ich die Flaggen an den Seiten und verstehe: das sind Deutsche, du musst dich zu erkennen geben, irgendetwas sagen. »Na, wie läuft´s?«, höre ich mich dem Soldaten zurufen. »Alles klar da oben?« Der Mann lässt die Hände von der Waf-fe sinken, schiebt die Sonnenbrille auf die Stirn und ruft entsetzt: »Wat ... wat machen Sie denn da unten, Mensch! Sie können doch hier nicht ... nicht einfach so rumloofen!« Der Tross setzt sich in Bewegung, und der Soldat schreit noch: »Passen Sie bloß uff sich uff, Mensch!« Und ich ahne, dass der Soldat Afghanistan aus der Perspektive eines Gefangenen erlebt. Vielleicht kann er sich in seiner gepanzerten Welt gar nicht vorstellen, dass hier draußen auch ganz normale, friedliche Afghanen gibt.

Gleich darauf im Zarnegar Park: Auf einer Bank im Schatten einer Kiefer sitzt ein bärtiger Mann in einem einfachen, cremefarbenen Ge-wand mit seinen zwei kleinen Söhnen. Vor der Bank, im Staub, steht ein Bein aus Kunststoff. Der Fuß steckt in einer braunen Wollsocke und einer Ledersandale, der Rest ist von einem nack-ten, glänzenden Weiß. Ein Bein ohne Körper. Der Mann ertappt mich bei einem irritierten

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Blick, schenkt mir ein Lächeln und lädt mich mit einer Geste ein, Platz zu nehmen. Die Jungen rutschen zusammen. Ich setze mich. Niemand scheint so richtig zu wissen, wie es weitergehen soll. Wir schweigen. Schließlich sagt der Mann auf Englisch und ohne jede Einleitung: »Es ge-schah in meinem Haus.«

Während des Bürgerkriegs war Qasem, der Elektrohändler, wie viele Kabuler nach Peshawar im benachbarten Pakistan geflohen. Unter den strengen Taliban besserte sich die Sicherheitsla-ge schnell. Er sei zurückgekehrt und habe Trä-nen vor Glück geweint, erzählt er, doch als er zu seinem Haus kam, habe dieses in Trümmern gelegen. Er ging hinein, um nachzusehen, ob noch etwas zu retten war – da explodierte die Mine und riss sein Bein weg.

Wieder schweigen wir. Afghanistan ist über-sät mit Millionen von Landminen und Blindgän-gern. Niemand weiß genau, wo sie liegen. Sie kosten jedes Jahr Hunderten von Afghanen das Leben, darunter viele Kinder. Qasem lehnt sich auf der Bank zurück. Unter seinem Gewand rutscht der Beinstumpf hervor; er ist gut ver-heilt. Qasem nimmt sein Käppchen vom Kopf und hängt es an die Prothese wie an einen Hutständer, auf einmal sagt er: »Siehst du die Bäume? Den Himmel, die Vögel? Die Blüten der

Rosen um den Brunnen?« Und nach einer Weile: »Ich hätte tot sein können, stattdessen hat mir das Leben zwei Söhne geschenkt.«

Vielleicht ist es die Stille, die mich am fol-genden Morgen aufweckt. Freitag, islamischer Sonntag. Der Verkehr, der sonst vor meinem Fenster im Mustafa rumort, erzeugt heute nur ein leises Surren. Am blauen Morgenhimmel ziehen Tauben friedlich über die Stadt. Doch dann passiert etwas Eigenartiges: Wie auf ein geheimes Signal schlägt der Schwarm aus vier-zig, vielleicht fünfzig Vögeln einen jähen Haken nach Süden. Einen Sekundenbruchteil später lässt ein Donner die Glaskristalle meiner Zim-merlampe klimpern. Als ich in den Frühstücks-raum komme, drängen sich Hotelgäste vor dem Fernseher. Breaking news: CNN zeigt herumlie-gende Trümmer, Rauchwolken steigen auf. Ein Selbstmordattentäter ist in einen Konvoi gerast. In Kabul, Afghanistan. Die Tauben, der Donner – und doch scheint es, als käme die Nachricht aus irgendeiner fernen Region. Erst dann über-läuft mich eine Gänsehaut.

Noch am selben Tag treffe ich Osama bin Laden. Auf dem Vogelbazar von Kabul. In einer engen, ausgewaschenen Gasse hinter der Pul-e-Kishti-Moschee drängen sich die Verschläge der Händler: Hunderte von Käfigen, Gezwitscher

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CAMPING IN KABUL

in allen Tonlagen, der scharfe Geruch von Kot. Am Boden ist Körnerfutter verstreut. Drosseln, Kanarienvögel und Papageien, wegen ihres Gesanges beliebt, plustern sich auf, Rebhühner und Tauben schütteln sich, ein ofenheißer Luft-hauch trägt Flaum, Fliegen und Staub durch die Gitterstäbe in die Gasse.

Ein Vogelhändler bietet mir einen Wellen-sittich an, importiert aus Deutschland, tausend Afghani, umgerechnet zwanzig Dollar. Als er merkt, dass ich nicht interessiert bin, lädt er mich zum Tee in sein Gewölbe ein. »Gestatten, Osa-ma bin Laden«, stellt er sich vor und zeigt auf einen zweiten Mann, der zwischen jedem Finger einen Finken hält: »Und der da ist Mullah Omar, Chef der Taliban.« Sie biegen sich vor Lachen. Der meist gesuchte Mann der Welt, der in Kabul nur »OBL« genannt wird, gießt mir Tee ein und schreit zu den Vogelhändlern in die Gasse hi-naus: »Und die dort – al-Qaida! Gehören alle zur al-Qaida!« Großes Gelächter, die Vögel stimmen ein. Ist das Galgenhumor? Sarkasmus? Spott? Schwer zu sagen. Denn in Kabul sind Witze über die Protagonisten der afghanischen Krise weit verbreitet. Zum Abschied verraten mir die Vogelhändler, dass es im Dari und im Paschtu, den beiden wichtigsten Sprachen Afghanistans,

neuerdings auch ein spanisches Wort gäbe: Alles, was man als furchtbar oder unerträglich empfin-de, werde Guantánamo genannt.

Unter einer riesigen Zigarettenschachtel mit dem Slogan Enjoy the taste of America! halte ich ein Taxi an und fahre aus dem pulsierenden Zentrum hinaus nach Westkabul, in eine völlig andere Welt. Sie ist still, totenstill. Ganze Stadt-viertel, im Bürgerkrieg von sich bekämpfenden Mudschaheddin zerstört, liegen seit einem Jahrzehnt in Trümmern. Häuser, die schon fast wieder zu Fels und Wüste geworden sind, las-sen an eine gewaltige Ausgrabungsstätte den-ken. Auf einem Hügel über dem Ruinenfeld erhebt sich der Darulaman-Palast, ein neoklas-sischer Prunkbau aus den Zwanzigerjahren – zerschossen, bombardiert, in Brand gesetzt. In Lumpen gekleidete Afghanen stöbern trotz Minengefahr nach Verwertbarem, in einem Ruß geschwärzten Gewölbe drücken sich abgema-gerte Jugendliche mit rostigen Nadeln Heroin in den Arm, eine junge Frau fristet ihre Tage im Fieberwahn einer schaurigen Hautkrankheit, die ihr Gesicht zerfrisst.

Keine zehn Minuten später muss ich mir die Frage stellen, warum ich beim Packen für Kabul nicht an eine Badehose gedacht habe. In der

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vierten Straße des Stadtteils Qala-e Fatullah fin-de ich mich im L´Amosphére wieder, in einer wei-teren Parallelwelt Kabuls. Das Latmo sei, so steht es im brandneuen Lonely Planet, der beliebteste internationale Treffpunkt der Stadt, ein Ort für die Jungen und Schönen, den man als Besucher erlebt haben muss. Tatsächlich entspannen am Swimmingpool in einem lauschigen Garten ausländische Badegäste, ihre schusssicheren Westen abgelegt neben tropischen Cocktails, Sonnencremes und der neuesten Vogue. Zwei Amerikanerinnen gleiten durch türkisgrünes Wasser. Franzosen schlürfen Pastis. Journalisten sitzen im Schatten von Granatapfelbäumen und tippen Geschichten über den Anschlag von heu-te Morgen in ihre Laptops, in Badehose, hier und da an einem Gin Tonic nippend ... schwere Explosion ... nipp ... ein Toter, zahlreiche Verletzte ... nipp ... Terror, al-Qaida, Taliban. Von Westen fliegt ein Armeehubschrauber an und kreist über dem Pool, dem einzigen Ort in Afghanistan mit einer Menge halbnackter Frauen. Am liebsten steuern die Piloten das Latmo am Freitag, dem muslimischen Sonntag, an, wenn die meisten Badenixen zu sehen sind. Afghanen? Müssen draußen bleiben. Wegen des gesetzlichen Alko-holverbots für Einheimische, wie es heißt.

Etablissements wie das Latmo gehören zu den gehobenen Bühnen des Absurden. Mit Schau-spielern, die zugleich ihr eigenes Publikum spielen: Mitarbeiter der zahllosen in Kabul re-gistrierten Hilfsorganisationen, Berater mit Ta-geshonoraren von tausend Dollar, Leibwächter und sonstige Sicherheits-Ninjas mit Waschbrett-bauch. Über 10.000 ausländische Zivilisten sol-len sich derzeit in Kabul aufhalten. Fast so viele Leute, wie die US-Armee in ganz Afghanistan stationiert hat. Und mehr als das Doppelte der 4.800 ISAF-Truppen, die in der Hauptstadt für Sicherheit und Ordnung sorgen sollen.

Am Pool komme ich mit Rahraw ins Ge-spräch. Er ist Halbafghane mit italienischem Pass, arbeitet beim Radio und sagt, es sei eine traurige Tatsache, dass die meisten Ausländer, die in Kabul lebten und arbeiteten, der Stadt nicht näher kämen, als gepanzerte Limousinen, Sicherheitsdienste und Stacheldraht dies zu-ließen. »Aber wie willst du jemandem helfen, dem du nie begegnest?«, fragt Rahraw und zieht eine Grimasse. »Wie willst du etwas für jemanden tun, den du nicht kennst, von dem du nicht weißt, wie er lebt, was er denkt, wie er fühlt, dessen Ängste und Freuden dir fremd sind?« Seit dem Sturz der Taliban sind die Erwar-

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CAMPING IN KABUL

tungen der Afghanen an die internationale Ge-meinschaft hoch, viele vermissen sichtbare Re-sultate und bezeichnen die Hilfsorganisationen als »Kühe, die ihre eigenen Milch trinken«. Auch der Lifestyle vieler Ausländer in Kabul erregt den Volkszorn: frei verfügbarer Alkohol, als Chinare-staurants getarnte Bordelle, Partys. Am Abend lädt mich Rahraw auf eine solche Feier ein. Die Musik ist laut – House, Techno –, die Bar gut sortiert: südafrikanischer Shiraz, französischer Bordeaux, Dosenbier, gekühlt in einem Fass mit Eiswasser. Und Johnny Walker, Red Label. Es sind die Flaschen, welche die Händler auf dem Basar irgendwann mit Speiseöl füllen werden.

40, 50 Leute tanzen auf der hell erleuchteten Terrasse, während in den umliegenden Häusern streng gläubige Muslime zu schlafen versuchen. Ihr Viertel ist stockfinster. Nur die Spitze eines Minaretts schwebt im Nachthimmel wie ein strahlendes Auge, mahnend, irgendwie bedroh-lich. »Nicht sicher hier«, sagt Rahraw und zeigt auf die Mauer um den Garten, die keine drei Meter hoch ist. »Für eine Rakete kein Problem.« Er hat Recht. Der Dancefloor ist ein leichtes Ziel für einen Attentäter, wahrscheinlich der gefähr-lichste Ort in ganz Afghanistan.

Aber daran denkt jetzt niemand. Wir sind die internationale Gemeinschaft, die Welt zu Gast in Absurdistan. Wir arbeiten für die Vereinten Nationen, für Regierungen, Redaktionen, Hilf-sorganisationen. Wir kommen aus Europa und Amerika, auch aus Äthiopien, Kolumbien, In-dien und der Türkei. Wir trinken. Wir tanzen. Wir lachen. Sollen wir lieber traurig sein? »Wir freuen uns über alle, die kommen, um uns zu helfen«, wird mir ein afghanischer Kunstprofes-sor ein paar Tage später antworten. »Aber jeder soll sich so verhalten, wie es in unserem Land üblich ist.« Integration. In Europa wird darauf großen Wert gelegt.

Als das Bier leer ist, gehe ich. Die ganze Nacht röchle ich trocken. Kabul-Husten. Ich muss raus. Raus aus der Stadt. Atmen, ein wenig Grün sehen, Bäume, Wasser. Am Morgen neh-me ich ein Taxi an einen Ort, den man jenseits der verwüsteten Ränder dieser Stadt am aller-wenigsten erwartet: den Kabul Golf Club. »Wir haben Golfer aus allen, allen Ländern«, erklärt Afzal Abdul, mein Golflehrer, im traditionellen afghanischen Anzug. »Nur nicht aus China, Russland, Pakistan, keine Franzosen, Griechen,

Koreaner, auch keine ...« Wer sind die besten? »Wir Afghanen«, sagt Abdul, sehr ernst.

Der Golfplatz gehört einem ehemaligen Warlord und ist der einzige in Afghanistan. Landminen wurden geräumt, drei sowjetische Panzer und ein Raketenwerfer weggeschafft. Woran es jetzt noch fehlt ist Gras. Die neun Spielbahnen sind kaum von den sonnenver-brannten, staubigen Hügeln zu unterschei-den, die Greens nicht grün, sondern schwarz, gestaltet mit einer Mischung aus Sand und Motorenöl. Ein Highlight ist die ausgebomb-te Armeestellung nach dem ersten Loch. Zwei Runden kosten zehn, die Jahresmitgliedschaft sechzig Dollar. Ich lasse es – sehr zur Belusti-gung meines Golflehrers – bei ein paar stüm-perhaften Abschlägen bewenden; dann wan-dere ich hinauf zum Qargha-See.

Am Ufer dieses riesigen Stausees erwartet mich eine überraschende Idylle. Afghanische Familien haben es sich auf Plattformen bequem gemacht. Auf Teppichen und umhüllt von im Wind wehenden rosaroten Gardinen rauchen sie Wasserpfeife. Pakistanische Musik säuselt aus den Lautsprechern. Am Ufer liegen bunte Tret-boote. Ich kann längst nicht alle Einladungen zum Tee annehmen, und so gehe ich ein Stück am Ufer entlang, um mich auf eine einsame Bank zu setzen. Ich genieße die klare Seeluft. At-men. Ohne dieses Kratzen in Hals und Lungen. Draußen zieht ein Motorboot einen Schaum-schleier über die silbergraue Scheibe des Sees, dahinter erheben sich schroff die Rücken des Hindukusch, ihre Silhouetten lösen sich in röt-lichem Dunst auf. Augenblicke des Friedens, der Schönheit. Zum ersten Mal auf dieser Reise habe ich das Gefühl, angekommen zu sein, blei-ben zu wollen. Ah, Afghanistan!

Die Männer bemerke ich erst, als sie sich um mich auf die Bank drängen, sechs langbärtige Paschtunen mit Kalaschnikows. Sie tragen lange Gewänder und starren mich finster an. Sind sie Banditen? Kämpfer irgendeines Warlords? Tali-ban? »Passport! Passport!«, kläfft ihr Wortführer, ein Hüne mit einer Narbe quer über dem rech-ten Auge. Ich gebe ihm, was er fordert, und die Paschtunen stecken die Köpfe zusammen, um meinen Reisepass zu studieren. Selten habe ich in einem solchen Maße beides zugleich emp-funden: mein Dasein in dieser Welt und meine eigene Auflösung. Fast 200 Länder stellen Pässe

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aus, jetzt scheint mein Leben davon abzuhän-gen, ob ich den richtigen habe.Auf einmal schlägt der Paschtune den Pass zu, ruft einen Mann, der mit seinem Bauchladen am Ufer entlanggeht – und bestellt Pepsi. Für jeden eine Dose. Auch für mich. Er gibt mir meinen Pass zurück und sagt: »Germany good!« Alle reißen ihre Pepsi auf, lachen und wiederholen in rau-em Kanon: »Germany good! Germany very, very good!« Sie begleiten mich noch zur Straße und bestehen darauf, mir ein Taxi zu rufen. Weil es hier Banditen gäbe. Endlich kommt ein Wagen. Die Paschtunen streicheln ihre Kalaschnikows und schütteln mir die Hand; dann steige ich ein, und das Taxi fährt los, zurück nach Kabul.

Kurzvita des AutorsMichael wurde 1966 in Breisach am Rhein ge-boren, studierte Betriebswirtschaft und war im mittleren Management tätig. Dann folgte eine zweijährige Reise durch Lateinamerika und fand ins das herkömmliche Berufsleben nicht mehr zurück, er begann ein neues Leben als Journalist und Buchautor.

Seine Reportagen und Fotos erscheinen un-ter anderem in GEO, Stern, Greenpeace Maga-zin, ZEIT und Frankfurter Allgemeine Sonntagszei-

tung sowie für einige Zeitungen und Magazine im Ausland. Wenn er mal nicht unterwegs ist, wohnt er in Berlin.

Über diese Reportage und seine letzten beiden BücherDie hier abgedruckte Reportage Camping in Ka-bul wurde in Michaels Oberts Buch Die Ränder der Welt veröffentlicht. Aus diesem Buch hat er auf dem diesjährigen Globetrotter-Sommertref-fen in Hachenburg gelesen. Auszugsweise hat er auch aus diesem Artikel vorgelesen. Hiermit liegt uns nun der vollständige Text vor. Erwähnt sei hier auch das Buch Regenzauber, auf das sich Michael in Hachenburg ebenfalls bezog.

© Michael Obert, 2. Auflage, Malik Verlag bei Piper Verlag GmbH, München, 2008. Gebunden, ISBN 978-3-89029-353-0, 21 x 13 cm. 288 Sei-ten mit 24 Bildseiten, Landkarte. 19,90 Euro

© Michael Obert, 4. Auflage, National Ge-ographic Taschenbuch, 2008. Broschiert, ISBN 3-89405-249-X, 18 x 12 cm. 580 Seiten mit 13 Farbfotos, Landkarte. 15,90 Euro

Die Trotter-Redaktion dankt Michael Obert und dem Malik Verlag in München, dass wir diese Texte und Bilder veröffentlichen durften.

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»In Sikkim ist alles besser« höre ich einen Rei-seleiter in einer Ansprache zu seiner englischen Gruppe sagen, »Die Straßen sind in besserem Zustand und sauberer, die Häuser besser und neuer, die Menschen disziplinierter …« Ich sitze in Darjeeling in meinem Hotel The Elgin und habe noch einige Tage Zeit, bis zu meiner Weiterreise. Noch einen Blick in den Reiseführer und mein Entschluss steht fest: Morgen fahre ich nach Sikkim.

Hier oben im Himalaja verkehren wegen der enormen Steigungen und der engen Kurven keine Busse, Fahrgasttransporte werden von acht- bis zehnsitzigen Jeeps durchgeführt. Diese fahren von allen Ecken und in alle möglichen

Sikkim – Königreich ohne König

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Richtungen ab. Ich kann mir in einem dieser Gefährte für zwei Mal zwei Euro die beiden vor-deren Sitze ergattern. Und nach vielem Hin und Her geht die Fahrt raus aus dem Verkehrschaos von Darjeeling. Die Landschaft des Himalajas ist wunderschön.

Nach dreieinhalb Stunden Fahrt erreichen wir die »Grenze« zu Sikkim. Ja, die Grenze, denn Sikkim war bis 1975 ein selbstständiges Land, ein Königreich im Himalaja. Nach der Annexion Tibets durch die Volksrepublik China bildeten fliehende Tibeter sowie Arbeit suchende Nepali in den 50ern und 60ern nach und nach die Überzahl in der Bevölkerung. Ethnische und re-ligiöse Divergenzen führten mehr und mehr zu

An der »Grenze« zu Sikkim

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offenen Konflikten, die 1973 in einem Putsch-versuch gegen den König gipfelten. Nun griff die indische Armee ein, um dies zu verhindern und Ruhe an seinen Grenzen zu haben. Unter der indischen Besatzung wurde eine Abstim-mung, zu der nur die Bürger Sikkims zugelassen waren, durchgeführt, um die Frage, ob das Königreich sich dem indischen Subkontinent anschließen möchte.

Das Votum war positiv, und so wurde Sik-kim 1975 zum 22. Bundesstaat Indiens. Das Königreich wurde nicht, wie vielfach zu lesen, von Indien annektiert. Um die gefürchteten Un-ruhen im Griff zu halten, mussten anfangs alle Einreisenden ein Permit zum Besuch des Landes haben. Im Laufe der Jahre wurde es ruhiger und die Maßnahmen lockerten sich. Heute benötigen Ausländer zwar immer noch ein Per-mit, dieses wird aber direkt an der ehemaligen Grenze ausgestellt.

Also macht mein Jeep hier eine kleine Pause, der Fahrer zeigt mir den Weg. Ich komme in ein Restaurant mit angeschlossenem »Einreisebü-ro«. Hier wird aber nur ein Formular ausgefüllt,

die Bitte nach einem Lichtbild kann ich leider nicht erfüllen. Macht aber nichts! Mit diesem Formular und dem Pass gehe ich nun zum Re-gistrierungsbüro. Alles wird schön überprüft, in ein großes Buch eingetragen und die unerläss-lichen Stempel erteilt, denn Ordnung muss sein – und schon geht’s weiter.

Die Landschaft ist weiterhin imposant. Durch kleine Ortschaften, die wie an die Hänge ge-klebt wirken, wird das ganze Szenario noch verschönert. Wir erreichen Gangtok, die Haupt-stadt Sikkims. Vom Jeep-Terminal zur Innenstadt ist es noch ein weiter Weg. Es geht immer berg-auf. Tatsächlich ist hier alles anders, alles besser. Weist auch die Hauptstraße größere Schäden auf, das von Indien gewohnte Verkehrschaos und der allgegenwärtige Schmutz bleiben aus. Die Hotelsuche erweist sich trotz angebroche-ner Dunkelheit als problemlos, wegen der stei-len Straßen jedoch besser mit einem Taxi.

Neben der im Vergleich zu Indien großen Sauberkeit auf und am Rande der Straßen, gibt es in der Ortsmitte sogar eine großzügig angelegte Fußgängerzone, wer hätte das schon

In Gantok

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gedacht. Alles ist picobello sauber, kleine Cafés und Restaurants, Geschäfte und Tourvermittler. Sehr beeindruckend: Das Institut der Tibetolo-gie mit angeschlossenem Kloster (oder umge-kehrt), der Dro-drul Chorten, einer prächtigen Stupa und einem bewundernswerten Muse-um. Unweit des Museums befindet sich die Bodenstation einer Drahtseilbahn, die auf den gegenüberliegenden Berg führt, und dabei ei-nen herrlichen Blick auf Gangtok eröffnet. Auf diesem liegt der frühere Königspalast, heute ebenfalls ein Kloster.

Sikkim ist mehr ein Ausgangspunkt für Trek-king-Touristen, aber auch einige Gompas, bud-dhistische Klöster, können hier besucht werden. Eines der Bekanntesten, wenn auch erst in den 1960er Jahren erbaut, ist Kloster Rumtek. Es zählt zu den beeindruckendsten Klöstern außer-halb Tibets und beherbergt einige wichtige reli-giöse Schriften und andere Objekte. Weil nur 25 Kilometer von Gangtok entfernt, ist es sicherlich auch das Meistbesuchte. Tatsächlich ist es eine

bemerkenswerte Anlage, in der Mitte der große Tempel, umgeben von den Behausungen der Mönche und langen Gebetsgängen mit unzäh-ligen Gebetsmühlen. Da es so nah an Gangtok liegt, ist natürlich auch jede Menge Rummel hier. An kleinen Cafés, Imbissbuden und Souve-nirläden mangelt es nicht. Dazwischen Mönche aller Altersklassen. Im Tempel wird soeben eine Puja, eine art Messe abgehalten, die durch viele Besucher gestört wird.

Da nur eine befestigte Straße nach Gangtok führt, muss ich den gleichen Weg zurück, wie-der die »Grenze« mit seinen Formalitäten über-schreiten und vom Abzweig nach Darjeeling geht es in schneller Fahrt nach Siliguri.

Kurzvita des AutorsGerd, Jahrgang 1947, ist langjähriges Mitglied der dzg und war früher auch als Trotter-Mitar-beiter tätig. Er leitet heute ein Transportgeschäft und wohnt in Essen. Peru, Nord-Chile und Boli-vien werden seine nächsten Reiseziele sein.

Kloster Rumtek

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ALS »MÄDCHEN FÜR ALLES« UNTERWEGS IN LIBYEN

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Im Jahre 2006 war ich privat in Libyen. Mit einer finnischen Motorradgruppe fuhr ich als Köchin mit dem Verpflegungs-Jeep und den beiden libyschen Aufpassern, die man ja leider immer mitnehmen muss. Die Beiden konnten gar nicht verstehen, dass auch eine Frau mit einem All-rad fahren und Sanddünen überqueren kann, ohne stecken zu bleiben. Und dass sie dann auch noch mit aufbaut, kocht und Mädchen für alles ist! Verkehrte Welt! Das machen sonst nur die Einheimischen. Aber überall waren die Menschen sehr freundlich und ich hatte nie das Gefühl, nicht willkommen zu sein oder schief angesehen zu werden.

Von Djerba in Tunesien ging es über die Grenze nach Zuara und Ghadames, weiter durch die Hamada al Hamra nach Al Aweinat und Ghat (diese Strecke dürfte inzwischen vielen bekannt sein). Dort wurde die Erlaubnis zum Betreten des Akakus-Nationalparks ein-geholt. Trotz der vor allem für die Motorräder sehr anspruchsvollen, dreitägigen Fahrt quer durch den Akakus nach Al Aweinat bezaubern die traumhaften Landschaften. Es folgte ein

Als »Mädchen für Alles« unterwegs in LibyenC H R I S T I N A S C H A F R A N E K , R E I S E Z E I T H E R B S T 2 0 0 6

Stück Straße bis Jerma, wo wir den obligatori-schen Abstecher ins Wadi Mathandous zu den Petroglyphen machten. Dort besuchten die Männer mit den Motorrädern noch zwei andere Täler. Weiter ging es nach Murzuq, in Tragan bogen wir ab und fuhren die offiziell verbotene Strasse nach Al Katrun. Wir begegneten keiner Menschenseele, sahen aber einige Minen-Warnschilder. Nachdem wir uns mühselig einen Weg über den Jebel Bin Ghanimah gesucht und gefunden hatten, machten wir uns auf den Weg nach El Kebir. Im Gästehaus der Militärstation versorgten wir uns noch einmal mit Wasser, bekamen ein wahres Festmahl (Kamelbraten) vorgesetzt, um dann gut gestärkt weiter zum Wau en-Namus zu fahren. Die schwarze Caldera mit dem Vulkankegel in der Mitte und seinen verschiedenfarbigen Seen gilt als Wüstenwelt-Naturwunder. Unsere Motorradfahrer konnten es sich natürlich nicht verkneifen und mussten die gut 200 Meter in die Caldera hinunterrasen. Ich war ganz schön sauer! Die Natur verzeiht es nicht so schnell, wenn sie zerstört wird. Zur Strafe bekamen sie an diesem Tag nur eine

Bizarre Felsformation im Akakus-Nationalpark

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UNTERWEGS

dicke Suppe mit Beilage und es gab lange Ge-sichter. Als ich die libyschen Guides wegen der griesgrämigen Gesichter unserer Männer auf-klärte, lachten sie und meinten lakonisch: »Wie zu Hause!« Sie fanden das schon richtig.

Nach endloser Fahrt durch das Kies-Serir kamen wir in eine verlassene Oase, wo ein von Palmen umstandener See zum Schwimmen einlud. Die ehemaligen Bewohner kommen nur noch zur Dattelernte hierher. Durch die riesigen Sandflächen der Rabianah-Wüste ging es weiter. Hier trifft man nur selten auf Menschen. Nur die Falkenjäger gehen in diesem verlassenen Gebiet auf Jagd. Zur Zeit der Tubu-Herrschaft soll sich hier in der Nähe die Stammesburg der »Fel-senmenschen« befunden haben. Sie gelten als direkte Nachfahren der Steinzeitmenschen, welche uns die berühmten Felszeichnungen hinterlassen haben.

Bei Tazerba stießen wir auf die Straße, die von der Küste zu den Oasen von Al Kufra führt. Im Zweiten Weltkrieg war hier ein Kriegsschau-platz. Wir durften auf einer der großen Plan-tagen, inmitten der »Grünen Kreise« mit den riesigen Bewässerungssystemen, unsere Zelte

aufschlagen. Sogar eine Führung bekamen wir, ich machte den Dolmetscher. Kufra unterschei-det sich durch das Wasser- und Plantagenpro-jekt von allen anderen Oasen. Hier entlockt man dem Boden fossiles Grundwasser. Soweit das Auge reicht ist alles grün, wenn auch das meiste Grün als Kamelfutter dient.

Von hier fuhren wir weiter in Richtung des Berges Jebel Uwaynat, der im Dreiländereck von Libyen, Ägypten und Sudan liegt. Unterwegs trafen wir eine sudanesische Kamelkarawane, die ihre Herde auf den Kamelmarkt nach Kufra trieb. Aber auch jede Menge Lkw's, voll beladen mit Waren und mit Menschen. Der Schmuggel blüht, vor allem aber der Menschenschmuggel. Traurig zu sehen, mit wie viel Hoffnung die Menschen ihr letztes Geld an die Schleuser abgeben, um dann von den Libyern gnadenlos wieder retour geschickt zu werden. Einigen ge-lingt die Flucht übers Meer, aber das sind nur die wenigsten. Man rechnet, dass pro Woche circa 20 bis 30 Menschen sterben, während sie versuchen, durch das große Sandmeer nach Ägypten zu gelangen, weil sie dort mehr Chan-cen zur Flucht ins gelobte Europa sehen.

In der Wüste liegen noch sehr viele Minen und es erwischt immer wieder Menschen oder Tiere. Das Problem ist, dass die Dünen wandern und man nie genau weiß, wo die Minen hin ver-frachtet wurden. Ghaddafi möchte gerne deut-sche Minensucher haben, die von Deutschland auch bezahlt werden sollen. Schließlich waren es ja die Deutschen, die sie gelegt haben. Kann man sogar irgendwie verstehen.

Die Weiterfahrt war beeindruckend! Die folgenden Tage verbrachten wir in der zerklüf-teten Landschaft des Jebel Uwaynat. Was mich besonders faszinierte waren die vielen unter-schiedlichen Felsformationen und natürlich die beeindruckenden Felszeichnungen! Immer wie-der entdeckten wir neue Plätze. Der nächtliche Sternenhimmel und die absolute Stille im Camp bleiben unvergesslich! Wir machten einen ab-solut verbotenen Drei-Tage-Ausflug durch die Dünenfelder und steinigen Ebenen des Jebel Uwaynat, um das Plateau des Gilf Kebir zu er-reichen, wo es zahlreiche Felszeichnungen zu bewundern gibt. In dieser Gegend spielt der Film Der englische Patient. Die Region gehört bereits zu Ägypten. Wir haben sehr viel Glück gehabt und weder Minen noch schießwütige

Felsmalereien

Beduine auf einem seiner Kamele

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ALS »MÄDCHEN FÜR ALLES« UNTERWEGS IN LIBYEN

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Begegnungen unterwegs

Oase

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Grenzer bemerkt. Aber das mulmige Gefühl, etwas Verbotenes getan zu haben, blieb doch haften. Hätte auch schief gehen können!

Der Rückweg erfolgte wieder über die be-kannte Strecke Wau en-Namus und El Kebir. Von hier aus ging es entlang der Ausläufer des Jebel Haruj el-Aswad und des Lavastroms el-Msheggheg nach El-Fugha, einer kleinen Oase mit einem verlassenen Ort. Bevor es nach Tripolis ging machten wir einen Abstecher zu den selten besuchten römischen Ausgrabungen von Ghirza mit seinen Nekropolen und einem römischen Wehrhof und nach Leptis Magna fuhren wir natürlich auch – für mich übrigens »alte Bekannte«. So kam auch die Kultur nicht zu kurz. Hier ging für mich eine wunderschöne, wenn auch arbeitsintensive Reise zu Ende.

TippFür alle, die etwas Ähnliches – und dies mög-lichst preiswert – machen wollen: Beim Team Hinterreiter in Österreich nachfragen. Man kann da recht billig – gegen Mithilfe bei der täglichen Arbeit – in einem Jeep mitfahren. Hier kann sich jeder selbst informieren: www.hinterreiter.com.

Kurzvita der AutorinChristina lebt seit vielen Jahren in Savonlinna in Finnland und ist langjähriges dzg-Mitglied. In mehr als 25 Jahren Reiseleitung hat sie viele Länder der Welt bereist und kam dabei mit un-zähligen herrlichen Speisen in Berührung. Sie versucht natürlich, diese nachzukochen.

Die DIAMIR Erlebnisreisen GmbH, Loschwitzer Str. 58, 01309 Dresden, www.diamir.de, besitzt die Rechte von fünf hier veröffentlichten Fotos, fotografiert von Nadia Abdel Fattah, Mitarbeite-rin des Unternehmens. Die dzg bedankt sich für die Fotos und die Abdruckgenehmigung.

Christina, die Autorin, zu Hause

Hier ein Rezept, das sie aus Ghat/Libyen mitgebracht hat:

Libysche Fischpfanne mit Blauschimmelkäse

Zutaten für 4 Portionen 600 g Fisch (Rotbarsch, Zander oder ähnliche) in Würfel schneiden 3 kleine Frühlingszwiebeln 3 mittelgroße Karotten in Scheiben geschnitten 300 Milliliter Wasser 100 g Blauschimmelkäse (oder die weiße Variante) 100 ml Crème fraîche Öl und Zitronenpfeffer½ TL Gewürzmischung Harissa eventuell Salz Dill, frisch und fein gehackt

ZubereitungÖl in einer Pfanne erhitzen und die Fisch-stücke darin scharf anbraten. Mit Zitronen-pfeffer bestreuen und mit Harissa würzen. Zur Seite stellen und warm halten.

Frühlingszwiebeln und Karotten an-braten, zudecken und bei kleiner Hitze bissfest dünsten. Bei Bedarf wenig Wasser angießen. Nun den Käse und den Fisch zu-geben. Alles nochmals erwärmen, zuletzt die Crème fraîche untermischen. Nicht mehr kochen, da sonst die Sahne gerinnt! Reichlich frischen Dill darüber streuen und sofort servieren.

Tipp: Couscous mit Gemüse dazu reichen.

RezeptRezept

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GELDWECHSEL IN PRETORIA

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Anfang November 2008 landen wir wieder, von Madagaskar kommend, in Johannesburg. Margrit und Joachim erwarten uns. Mit ihrem neuen Auto geht es schnell wieder ins Tembo-Haus in Pretoria. Vier Nächte bleiben wir und genießen die Gastfreundschaft der beiden.

Wir fahren in ein gigantisches Einkaufs-zentrum, wo alles unter einem Dach ist. Wir sind ganz offensichtlich in einem hoch entwickelten Land. Für unsere Reise in die benachbarten Länder (Botswana, Sambia und Simbabwe) wollen wir noch US-Dollars und Pula (botswanische Währung) kaufen. Es gibt gleich ein ganzes Bankenviertel sowie auch Wechselstuben zur Auswahl. Die Kurse sind schon außen angeschrieben. Schnell hinein in

Geldwechsel in PretoriaMit dem VW-Bus in Südafrika

U L L A S I E G M U N D , R E I S E Z E I T N O V E M B E R 2 0 0 8

solch eine Wechselstube. »Good Morning, wir möchten bitte 1.500 Rand in Pula wechseln!« Der Gesichtausdruck der schwarzen Lady hinter der Glasscheibe lässt Unverständnis erkennen. Habe ich mich falsch ausgedrückt? Ich erkläre, dass ich Tourist in ihrem Land sei und nun das Nachbarland Botswana bereisen möchte und dazu bitte Pulas kaufen möchte. »Ihr Flugticket, bitte!« Flugticket? Wir sind mit dem eigenen Fahrzeug hier, erkläre ich geduldig. »Reise-pass!« Okay, hier ist mein Reisepass! Ich zähle die 1.500 Rand ab. Nun noch der Nachweis, dass ich die Rand auch ordnungsgemäß erwor-ben habe. Die habe doch gerade zehn Minuten vorher am Geldautomaten nebenan bei der Bank mit der Kreditkarte gezogen und reiche

Südafrikanisches Geldsortiment

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der Dame die Quittung durch den Schlitz unter der Glasscheibe. Nun verlangt sie auch noch die Kreditkarte. Okay, die Kreditkarte wandert auch durch den Schlitz.

Nun wird von zwei Damen alles begutachtet. Zu diesem Zeitpunkt glaube ich noch Pulas er-werben zu können. Weit gefehlt! Die vom Geld-automaten ausgespuckte Quittung weist leider nicht die Kreditkartennummer aus und deshalb gibt es keine Pulas – fertig. Ich nehme meine frisch gezogenen Rand-Scheine, die Quittung, Kreditkarte und Reisepass wieder entgegen und verstehe die Welt nicht mehr.

Aber so schnell gebe ich ja nicht auf. Joach-im, der hier lebt und auch sein so genanntes ID-Buch dabei hat, wird nun in die Wechselstube geschickt. Es dauert bestimmt zwanzig Minuten bis er wieder herauskommt: »Keine Pulas!«

Für residents gelten ganz abgedrehte Bestim-mungen. So muss er außer seinem ID-Buch, den Reisepass, einen Nachweis, dass er wirklich hier einen Wohnsitz hat, sowie ein Flugticket vorzeigen und erst 14 Tage vor der angeblichen Einreise ins Nachbarland darf er Pulas kaufen. Unglaublich! Doch die Geschichte geht noch weiter: jetzt wollen wir noch US-Dollar kaufen, da uns bekannt ist, dass man in Sambia und auch Simbabwe an der Grenze die Visumsge-bühren nur mit US-Dollar zahlen kann.

Wir gehen nach dieser Erfahrung gleich in die Abbsa Bank, der Hausbank von Margrit und Joachim. Es ist eine riesige Filiale mit bestimmt

1.000 Quadratmeter Fläche. Wir werden zu einer Art Rezeption gebeten, nachdem wir unser Anliegen kundgetan haben. Dort wird zunächst unser Name notiert und wir dürfen auf bequemen knallgrünen und weinroten Sofas Platz nehmen – man wird uns aufrufen. Aha, das Wartezimmer! Es sitzen noch einige andere Bankkunden herum. Nach gut zehn Minuten erfolgt der Aufruf: »Mister Schütz, bitte!« Nun werden wir in ein Büro geladen, ausgestattet mit einem Schreibtisch und einem Computer. Herr Gerhard Niemand, ein weißer Bankangestellter, ist unser Berater. Ich frage ob er Deutscher sei, nein – sein Großvater sei Deut-scher gewesen. Wir möchten bitte 300 US-Dol-lar kaufen und mit Visa-Karte bezahlen. »Ihren Reisepass, Kreditkarte, Flugticket, Flugticket?« Nein, nicht schon wieder!

Wir reisen mit dem eigenen Auto und benö-tigen die Dollar für Sambia und Simbabwe, da dort an den Grenzen die Visa nur mit Dollar zu bezahlen sind. Ratlosigkeit in seinen Augen. Da muss erst der Vorgesetzte um Rat gefragt wer-den. Nach weiteren fünf Minuten kommt Herr Niemand wieder und signalisiert, dass es aus-nahmsweise auch mal ohne Flugticket geht. Na wunderbar, dann kann’s ja losgehen. Wir hätten gerne nur kleine Dollarnoten und bitte nur sol-che, die nach 1996 gedruckt worden sind, da ältere Banknoten in schwarzafrikanischen Län-dern oft nicht akzeptiert werden. Herr Niemand notiert unseren Wunsch und telefoniert nun mit

20 Pula, Vorderseite (botswanische Währung)

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der Stelle, die die Dollarscheine verwaltet. Jetzt noch schnell eine Fotokopie von Reisepass und der Visa-Karte, drei DIN A4-Formulare werden ausgefüllt und von Klaus mehrfach unterschrie-ben. Mit all diesen Unterlagen sollen wir uns nun in der Schalterhalle an Schalter sieben bis zehn begeben und anschließend wieder ins Büro zu Herrn Niemand kommen.

Die schwarze Dame am Schalter Nummer acht füllt nun ein weiteres Mal zwei Formulare aus, holt die Ritsch-Ratsch-Maschine heraus und zieht die Visa-Karte durch. Klaus unterschreibt

weitere Male. Nun muss sie die Visa-Karte noch überprüfen. Sie verschwindet aus unserm Sichtfeld und kommt nach circa sieben Minuten zurück. Sorry, Mister, ihre Karte können wir nicht akzeptieren. Nun reißt mir langsam der Geduldsfaden. Ich will schon lospoltern, Klaus bremst mich aus. Höflich, aber bestimmt erkläre ich der Dame, dass wir just vor einer Stunde mit dieser Karte noch Geld gezogen hätten und die Karte sehr wohl gültig sei. Sie bleibt hartnäckig und behauptet, dass das European Institut keine Freigabe erteilt hätte. Ich zücke nun südafrikani-

ii BoxBox

20 Pula, Rückseite (botswanische Währung)

Die Landeswährung ist der Rand. Ein Rand sind 100 Cent. Kreditkarten sind in Süd-afrika sehr verbreitet und werden nahezu überall angenommen. Ausgenommen sind Tankstellen, wo nur Barzahlung möglich ist. Mit Visa- und Mastercard aber auch mit EC-Karte kann man problemlos und schnell am Geldautomaten Rand ziehen.

Natürlich muss man, wie überall auf der Welt, auch hier immer vorsichtig sein

und auf die Hilfe von Einheimischen am Geldautomaten verzichten. An vielen Geld-automaten stehen Security-Guards, die für Sicherheit sorgen sollen.

Das Geldabheben mit EC-Karte ist zum Teil limitiert auf 3.000 oder 4.000 Rand, je nach Bank. Gebühren von 3,50 Euro pro Transaktion fallen zusätzlich an.Wechselkurs Dezember 2008: 1 Euro = 12,35 Rand

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Reise-Mails an die dzg

Sendest Du von Deiner Reise E-Mails nach Hause, an Freunde? Dann nimm bitte die dzg in Deinen Vertei-ler auf: [email protected]. Dort interessieren sich viele für Deine Reiseerlebnisse!

Tipp zur Spam-Vermeidung: Gib die Verteileradressen nur unter BCC

(Blind Copy) ein, nicht unter „An“ oder „CC“.

Tipp: Laß Dir bei der dzg Deine persönliche Adresse [email protected] einrichten, als Wei-terleitung oder mit Mailbox, dann auch mit Spamfi lter. Kontakt siehe Im-pressum oder www.globetrotter.org

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sche Rand und frage sie, ob wir das nun in bar abwickeln können. Zu unserem Erstaunen sagt sie: »Ja«. Wieso verlangt sie kein Flugticket? Wie-so fragt sie nicht nach der Quittung, wo wir die Rand herhaben? Sichtlich überfordert akzeptiert sie die Rand.

Doch die Dollar bekommen wir erst bei Herrn Niemand. Also, wieder durch den ganzen Bank-komplex ins Büro zu Herrn Niemand. Dieser hat nun per Rohrpost die gewünschte Stückelung der Dollarnoten erhalten und übergibt sie uns nachdem wir die gesammelten, mehrfach ab-gestempelten Formulare auf seinen Schreibtisch legen. Vielen Dank – nun haben wir endlich Dollar. Das Ganze hat dann mehr als eine Stun-de gedauert. Wir fühlen uns an Asien erinnert, wo wir seinerzeit in Afghanistan oder Indien einer solchen Bürokratie ausgesetzt waren.

Nun sind wir devisenmäßig ausgerüstet und un-ser Auto hat auch lange genug ohne uns ausge-halten. Mit Margrit und Joachim fahren wir 200 Kilometer nach Norden zur Farm von Vera und Wilfried. Dort steht der VW-Bus wohlbehalten unter einem Wellblechdach, ist leicht verstaubt, springt sofort an und wir sind happy, dass keine Probleme aufgetaucht sind.

Danke nochmals Vera, Wilfried, Margrit und Joachim für eure Gastfreundschaft. Die Grenze von Botswana ist schnell erreicht und ein neues Abenteuer kann beginnen.

Kurzvita der AutorinUlla verließ Europa das erste Mal in den wilden 1970er Jahren. Der Weg ging über Land nach Indien und Nepal. Vom Reisevirus infiziert, zog sich die Begeisterung für fremde Kulturen durch die Jahrzehnte.

Fahrzeuge wie VW- und Mercedes-Bus oder auch betagte Hanomags vom Typ AL 28 brachten sie nach Asien, durch Afrika und Süd-amerika. Per Rucksack wurde Südostasien und Neuseeland erkundet.

Heute hat sich noch ein weiteres Verkehrs-mittel dazugesellt, das Segelboot, mit dem sie zunächst in der heimischen Ostsee das Wenden, Halsen und »über Bordmanöver« übte. Beruflich war sie mehr als 30 Jahre in der Flughafenwelt zu Hause und arbeitete im Management der Airline-Branche. Nun hat sie sich vom Arbeits-leben zurückgezogen, beklagt aber, dass sie deshalb auch nicht viel mehr Zeit hat.

Seit 1977 ist sie Mitglied in der dzg, seit 1999 im Vorstand und kümmert sich heute als zweite Vorsitzende auch um die Mitgliederverwaltung.

Die Autorin

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Benin… Es gibt Dinge in Benin, die man sich aus diesem Land nicht wegdenken kann. So ist vor allem die Innenstadt von Cotonou von Zehntausenden von Mopedtaxis zugequalmt. Liebevoll werden sie zemidjans genannt. Das heißt in etwa »nimm mich hart«, was wohl auf die Fahrweise anspielen soll. Man schätzt, dass es über 50.000 davon gibt. Noch einmal so viele private Mopeds, und man kommt auf 100.000 stinkende, mit bläulichem Rauch die Luft verpestende Zweitaktmotoren. Viele Mo-pedfahrer fahren mit Atemschutz, der meistens aus umfunktionierten Augenmasken von Air France besteht. Kaum einer mit Helm, viel zu heiß. Führerschein für Mopeds gibt es sowieso nicht. Für zehn Euro erhält man von der Stadt eine offizielle Zulassung als zemidjan-Fahrer. Oft besitzen die Fahrer gar kein eigenes Moped, sondern mieten sich das nur, um dann mit möglichst vielen Fahrten das eingenommene Geld wieder an ihren Vermieter zurückzahlen zu können. Eine Fahrt kostet ab zehn Cent und bis zu einem Euro, wenn es eine sehr weite Strecke ist. Das normale Autotaxi in der Stadt ist siche-rer und nicht teurer, dafür muss das Autotaxi immer warten, bis es voll ist, wenn man nicht die leeren Plätze mitbezahlen will. Das zemidjan fährt einen auch bis zur Haustür, während das Autotaxi, wie ein Bus in Europa, nur bestimmte Haltestellen anfährt.

Die zemidjans sind die wahren Akrobaten der Straße. Gefahren wird ohne Rücksicht auf Verluste. Rückspiegel haben sie sowieso nur hin und wieder, und dann auch nur zur Zierde. Überholt wird rechts und links, man biegt ohne Ankündigung ab. Aufgeladen wird, was geht. Man könnte einen ganzen Bildband mit Fotos von verrückten zemidjan-Transporten machen. Ein Kühlschrank auf dem Rücksitz ist normal, zwei sind schon besser. Aber zwei große Tief-kühltruhen sind auch möglich. Im wahrsten Sin-

ne des Wortes schwerer wird es beim Transport von Waschmaschinen. Aber auch das kriegen die zemidjan-Fahrer hin. Waschmaschinen ba-lanciert der Beifahrer einfach auf dem Kopf. Ein Tuch dazwischen, damit es nicht so drückt, und für die Balance beide Hände an die Seiten der Waschmaschine. Interessant sind auch sperrige Gegenstände. Der quer aufgeladene zwei Meter lange Spiegel verwirrt ja wenigstens nur die da-hinter fahrenden Verkehrsteilnehmer. Doch die umgekehrt aufgeladene Badewanne veranlasst den zemidjan-Fahrer schon dazu, sich etwas zu ducken, um wenigstens einigermaßen Sicht nach vorne zu haben.

Ganz schwierig wird es bei Matratzen, die sich bei höherer Geschwindigkeit und damit steigendem Luftwiderstand bedrohlich ins Sichtfeld des Fahrers biegen. Gar nicht so un-nütz dagegen sind Reifentransporte. Erstmal je einer an den Lenker links und rechts gehängt, dann folgen zwei oder auch drei Stück um den Körper. Wären wir bei fünf. Um zwei Satz Reifen vollzukriegen fehlen also noch drei. Aber man hat ja die Arme noch frei. Dazu werden zwei Reifen an den rechten Arm gehängt und einer an den linken Arm. Der gewöhnliche Rechtshänder hat ja im linken Arm nicht ganz

Jahre in AfrikaEine Leseprobe

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Zemidjans und Taxis

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so viel Kraft, sonst könnte man auch noch ein oder zwei Reservereifen aufladen. Alles schon gesehen, aber immerhin hat er dann eine gute Knautschzone.

Wenn dann doch mal etwas passiert, wird wild geflucht und geschimpft. Natürlich immer auf den schlecht fahrenden Autofahrer. Sofort sind zehn andere zemidjans da und pflichten ih-rem Kollegen bei – auch wenn sie gar nichts ge-sehen haben. Schuld hat niemals das zemidjan. Schrammen im Auto von streifenden Mopeds oder Dellen in der Stoßstange, weil das ze-midjan hinter einem nicht rechtzeitig bremsen konnte, sind Alltag. Meistens geht es glimpflich aus, oft nur Blechschäden. Doch anscheinend soll im Schnitt ein zemidjan-Fahrer pro Tag im Verkehr Cotonous ums Leben kommen.

… Etwas ganz Exotisches sind die Benzin-transporte. Geschmuggeltes Benzin aus Nigeria wird vom nahe der Grenze gelegenen Porto Novo aus weiter verteilt. Hierzu dienen Plastik-

kanister, die normalerweise 50 Liter Inhalt ha-ben. Normalerweise. Aber man ist ja nicht doof. Mit Heißluft werden die Kanister auf bis zu 80 Liter aufgedehnt, denn dann passt ja viel mehr hinein. Dass durch die somit dünnere Wandung dann mal hin und wieder 80 Liter auslaufen und auch Feuer fangen können, nimmt man als Be-rufsrisiko in Kauf.

Das Geschäft lohnt sich auf jeden Fall. Nige-ria ist ein bedeutender Ölexporteur. Seine eige-nen Raffinerien sind aber durch Korruption und Misswirtschaft weitgehend nicht mehr funk-tionsfähig. Deswegen muss teurer Treibstoff eingeführt werden und der Benzinpreis im Land subventioniert werden. Die Nigerianer verscha-chern das Benzin aber lieber teurer nach Benin. So herrscht in Nigeria immer Benzinknappheit. In Benin ist das so geschmuggelte Benzin dann immer noch um etwa ein Drittel günstiger als das offiziell erhältliche. Den Gewinn teilen sich Käufer und Verkäufer. Der staatlich festgelegte

Dorfszene in Benin

RedaktionstermineTrotter 139 erscheint im Dezember 2009 (Redaktionsschluss 25. Oktober)

WinterpauseTrotter 140 erscheint im April 2010 (Redaktionsschluss 25. Februar)

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Benzinpreis in Benin ist in den letzten Jahren um das Dreifache gestiegen. Tausende von Händlern bieten daher den billigeren, aus Ni-geria geschmuggelten Sprit in Glasflaschen am Straßenrand an. Der Staat kann und will nichts dagegen unternehmen. Eine Razzia in Porto Novo endet mit einer brennenden Tankstelle und Straßensperren. Es verdienen einfach zu viele Leute an diesem Geschäft, als dass man ihnen ihre Einnahmequelle wegnehmen kann.

Hin und wieder ist das geschmuggelte Ben-zin dann aber noch mit Petroleum oder Wasser verpanscht. Die meisten Taxifahrer tanken trotzdem nicht an offiziellen Tankstellen, denn sonst sind sie nicht konkurrenzfähig. Außerdem ist man sich selbst an den richtigen Tankstellen nicht sicher, was man tankt. Ein Freund blieb einmal keine 500 Meter nach dem Tanken mit-ten auf einer vielbefahrenen Brücke mit seinem Auto stehen. Der Motor ging einfach aus und sprang nicht mehr an. Nachher stellte sich heraus, dass durch einen starken nächtlichen Regenfall Wasser in die Tanks der Tankstelle eingedrungen ist. Er hatte das teuerste Regen-wasser aller Zeiten gekauft!

Das geschmuggelte Benzin bringt, soweit es nicht in den aufgeblasenen Kanistern transpor-tiert wird, ein weiteres Kuriosum mit sich. Die so genannten cargo-motos sind dreirädrige Vespas, die ganz speziell umgebaut werden. Ursprüng-lich waren sie für Behinderte gedacht, was ja eigentlich auch eine ganz gute Idee war, damit auch körperlich behinderte Menschen mobil sein können. Doch heute sieht man ganz selten Behinderte damit fahren. Es hat sich ein ganz anderes Gewerbe entwickelt. Findige Mecha-niker und Schweißer montieren zwischen die Hinterräder gewaltige Hohlräume, die dann als Tanks zum Benzinschmuggel dienen. Bis zu 400 Liter kann so eine dreirädrige Vespa transportie-ren. Rollende Bomben auf drei Rädern. So muss ich weiterhin jedes Mal einen großen Bogen beim Überholen eines dieser Gefährte machen.

Über das BuchDer erste Teil des Buches handelt von den tägli-chen Freuden und Leiden des Lebens in Benin. In weiteren Kapiteln berichtet der Autor von seinen Reisen nach Togo, Ghana, Nigeria, Senegal, Ka-merun, Burkina Faso, Mali, Niger, Tansania und ins südliche Afrika. Die Berichte sind lebendig

geschrieben und enthalten viele amüsante Ge-schichten. Beiträge von zwei Gastautoren sind angehängt. Ein Adressenanhang soll helfen, die eigene Reise nach Afrika zu planen.

Kurzvita des AutorsChristoffer, 44 Jahre alt, wurde in Hamburg geboren, wuchs aber in Filderstadt bei Stutt-gart auf. Er arbeitete nach seiner Lehre als Elektriker und seiner späteren Ausbildung als Elektrotechniker in einer Exportfirma, die Waren nach Westafrika verkaufte. Seit 1999 führte er seine eigene Firma und lebte für zehn Jahre in Cotonou in Benin. Hier hat er zahlreiche Reisen in die umliegenden Länder und ganz Afrika unternommen. Zurzeit lebt er in Costa Rica. Christoffer ist Neumitglied der dzg.

Christoffer Steffen, Eigenverlag 2009. Broschiert 21 x 16 cm, 400 Seiten mit 75 Farbfotos auf 40 Extraseiten. Das Buch ist nur beim Autor erhält-lich: [email protected], www.christof-fersteffen.org. 25 Euro bei Versand innerhalb von Deutschland.

Orangentransport in Cotonou

Der Autor auf Wüstentour in der Republik Niger

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Rotlackierte Fingernägel einer glutäugigen Schönheit der Hafenpolizei von Havanna wüh-len sich routiniert durch das Innere meines Rucksacks. Ein kurzer, prüfender Blick in den Kulturbeutel: kein Schweizer Messer und kein Pfefferspray dabei. Lächelnd und mit einem »Muchas gracias, hasta luego, senior«, gibt sie den Weg frei. Warum die scharfen Kontrollen? Die rostige Hafenfähre, sie schippert seit ewi-gen Zeiten im Zwanzigminutentakt zum Stadt-teil Casa Blanca, ist im Jahr 2003 von einigen wild entschlossenen kubanischen Zeitgenossen entführt worden. Ihr Ziel: die Fleischtöpfe der US-amerikanischen Konsumgesellschaft im 150 Kilometer entfernt gelegenen Miami im US-Bundesstaat Florida. Das Unternehmen schei-terte kläglich. Aber seit diesem Entführungsver-

such wird jeder Passagier, der auf die Fähre will, einer genauen Kontrolle unterzogen.

Auf uralten GleisenVom winzigen Bahnhof der Estacion Havanna Casa Blanca wollen meine Freundin Kerstin und ich in das Eisenbahnabenteuer Kuba, der letz-ten Bastion des real existierenden Sozialismus, starten. Vier altersschwache Triebwagen fahren täglich auf den Gleisen der 1917 vom US-ame-rikanischen Schokoladenfabrikanten Hershey gebauten Strecke von Havanna in die 100 Ki-lometer entfernt liegende Stadt Matanzas. Gut vier Stunden pralles Eisenbahnerlebnis, auf der einzigen elektrifi zierten Strecke des 4.000 Kilo-meter umfassenden Schienennetzes der Ferroca-riles de Cuba, liegen vor uns.

Salsa, Rum und SozialismusMit der Eisenbahn durch Kuba

J O C H E N V A N D E R L I N D E , R E I S E Z E I T J A N U A R / F E B R U A R 2 0 0 8

Die Estacion Havanna Casa Blanca – hier beginnt unsere Bahnreise

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Heiß brennt die Sonne vom wolkenlosen Him-mel. Ein halbes Dutzend Passagiere und einige Eisenbahner dösen im Schatten des Bahnsteig-daches vor sich hin. Warten auf den Zug. Laut Fahrplan sollte er eigentlich schon längst da sein. Doch nichts ist zu sehen. Dafür badet, in einer vom Tropengewitter der letzten Nacht übrig ge-bliebenen Pfütze im Schatten der kleinen Bahn-station, ein sich wohlig grunzendes, schwarz gefl ecktes Schwein. Direkt neben dem kleinen Bahnhof, vor einer winzigen, in einem Contai-ner untergebrachten Wechselstube, steht ein grimmig drein schauender Wachmann mit ver-spiegelter Sonnenbrille. Die Maschinenpistole im Anschlag schaut er gelangweilt zu uns herüber.

Mit einer guten Stunde Verspätung rumpelt um kurz vor zwölf ein Triebwagen über aus-geleierte Gleise auf das Bahnhofsgelände. Der Maschinist, blütenweißes Hemd, Schnauzbart und Blue Jeans begrüßt freudig den Bahnhofs-vorsteher. Zu unserer Überraschung verschwin-den beide schleunigst zur wohlverdienten Siesta, Verspätung hin, Verspätung her. Oder ist das vielleicht gar nicht unser Zug? Doch, ja versichert uns einer von drei Mechanikern in ölig blauen Arbeitsanzügen. Das mit der Ab-fahrt wird sich halt ein wenig verzögern, aber wir kommen auf jeden Fall heute nach Matan-zas, versichern sie uns. Bevor es losgehen kann wird der Triebwagen einer genauen Inspektion unterzogen. Sie reparieren mit einem kräfti-gen Stück Draht einen doch etwas ramponiert aussehenden Stromabnehmer auf dem Dach unseres Triebwagens. Das nächste Projekt: die Bremsen. Klopfen und Hämmern mit Stemm-eisen, Schraubenschlüsseln und einem Meißel an den Bremsscheiben. Na, ob das heute noch was wird mit unserer ersten Eisenbahnfahrt auf kubanischen Boden?

Zeit für ein Schwätzchen. Wir lernen Rey, ei-nen Lehrer für Sport und Geschichte, kennen. Er hat sechs Jahre in Dresden studiert und gibt uns einen Überblick über die kubanische Ent-wicklung der letzten Jahre: Nach dem Zusam-menbruch des Sozialismus in der Sowjetunion schien auch das Ende der kubanischen Revolu-tion bevor zu stehen. Die Hilfslieferungen der Sowjets blieben aus, die Amerikaner verschärf-ten ihre Embargopolitik um den sozialistischen Schandfl eck vor ihrer Haustüre endlich los zu werden. Kuba erlebte zu Beginn der Neunziger

Jahre die schlimmste Krise seiner Geschichte. Fabriken mussten schließen, Ersatzteile gab es nicht mehr, Strom nur noch für wenige Stun-den am Tag, auf Busse und Züge wartete man ewig, wenn sie überhaupt gefahren sind. Fahr-räder und Pferdekutschen bestimmten das Bild in weiten Teilen des Landes. Doch Not macht erfi nderisch. Die Kubaner sind inzwischen wah-re Überlebenskünstler; es wird getauscht, or-ganisiert und ab und zu, auf abenteuerlichen Wegen, alles beschafft was der Mensch so zum Leben braucht. Das soll ich ganz schnell lernen. Denn nur wer Dollars besitzt oder, auf welchem Weg auch immer, über die Touristenwährung, den Peso convertible (Kurs: 1 Euro = 1,37 Pesos, Stand Oktober 2009) verfügt, kommt relativ gut über die Runden.

Am Bahnsteig wird es lebendig. Das Warten hat ein Ende. Der Bahnhofsvorstand und der Maschinist sind von der Siesta zurück. Der Ab-fahrt des notdürftig reparierten Zuges scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Der Schaffner höchstpersönlich kommt auf uns zu und lädt uns ein bei ihm im Waggon Platz zu nehmen. Nelsito ist seit 15 Jahren auf dieser Strecke un-terwegs und ein Überlebenskünstler, der weiß wie er an die heiß begehrten Pesos convertible

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herankommt. Er lädt mich ein, auf dem Füh-rerstand mitzufahren! Na so was, das Angebot nehme ich dankend an. Es geht los! Die ersten Kilometer rattert der Zug im Schritttempo krei-schend und schlingernd durch das Hafengebiet von Havanna. Und ich bin auf dem Führerstand eines Triebwagens in Kuba!

Dicht an dicht stehen die halbverfallenen Fabriken. Sie wechseln sich mit weißgekalkten Häuschen ab. In den Vorgärten wird Gemüse angebaut. Paprika, Tomaten, Kartoffeln und Bohnen, immer wieder Bohnen. Damit ist die Versorgung mit Vitaminen sichergestellt. Unter Palmen und Bananenstauden suhlen sich klei-ne, fette Hängebauchschweine, scharren zer-rupft ausschauende Hühner nach Futter. Laut hupend verlassen wir die Vororte von Havanna und tuckern durch das schöne Yumuri-Tal Rich-tung Hershey.

Auf dem Führerstand: Es wird ernst! 20 CUC (Pesos convertible) wechseln den Besitzer. Das ist für mich der Preis für eine Übernachtung. Für einen kubanischen Eisenbahner aber knapp ein Monatslohn! Dafür verkauft mir Nelsito zwei alte Fahrpläne der kubanischen Eisenbahn als Souvenir und hat eine Überraschung für mich

vorbereitet. Wenn ich es probieren möchte darf ich jetzt den Job des Triebwagenführers über-nehmen! Meinen zweifelnden Blicken begegnet er mit einem verschmitzten Lächeln. »Alles kein Problem«, versichert Nelsito. Ich soll mich nur trauen. Und so wird’s gemacht: Fahrgeschwin-digkeitsregulator bedienen – links, Bremse be-dienen – rechts, Hornsignalzug hängt überm Kopf. Immer kräftig daran ziehen sobald einer der zahlreichen Bahnübergange in Sicht kommt oder Kühe die Gleise kreuzen. Mit Unterstüt-zung des Triebwagenführers kann da nix schief gehen. So fahre ich, unter den wohlwollenden Blicken meines Lehrmeisters, einige Kilometer einen echten Zug durch die tropische Hügel-landschaft von Kuba!

15 Uhr – unser Triebwagen erreicht den Bahnhof Hershey. Hier wollen wir umsteigen. Was fehlt ist ein Zug zum weiterfahren! Der be-fi ndet sich noch in der Werkstatt, kommt aber bald, versichert mir der Bahnhofsvorsteher. Wir warten. »Zeit ist Geld«, diese Devise gilt auf Kuba nicht. Wir lernen in den ersten Stunden auf der kubanischen Eisenbahn vor allem eins. Nichts ist unmöglich, aber Zeit sollten Reisende mitbringen, viel Zeit! Mit uns wartet ein knap-

Begegnung auf dem Bahnhof in Mantanza Helden der Revolution

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pes Dutzend kubanische Mitreisende geduldig – eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Seit Jahrzehnten sind die Kubaner gewohnt, mit En-gelsgeduld auf etwas zu warten. Auf den Zug, auf den Bus, ein Stück Seife im Supermarkt oder ein Autoersatzteil.

Mit vier Stunden Verspätung setzen wir un-sere Fahrt fort. Ruckelnd und zuckelnd bummelt der Triebwagen durch die schwülwarme Nacht. Der erste Unterwegshalt, ein winziger Beton-bahnsteig an der eingleisigen Strecke. Mitten in den Zuckerrohrfeldern gelegen, umgeben von einem halben Dutzend windschiefer, weißge-strichener Holzhütten. An diesen kleinen Halte-punkten warten geduldig oft nur eine Handvoll Passagiere auf die Ankunft ihres Zuges. Arbeiter in Gummistiefeln, die Macheten geschultert, Mütter mit lachenden Kindern im Schlepptau, alte Leutchen auf dem Weg zum Verwandten-besuch.

Die Strecke ist in einem erbärmlichen Zu-stand. Wir kommen nur mühsam voran. Es fehlt der kubanischen Eisenbahn das Geld für

die Reparaturen. Das amerikanische Handels-embargo ist nach wie vor immer und überall zu spüren.

Zurück zur Fahrt. Immer häufi ger schlagen Funken vom Stromabnehmer auf den Zug. Ein erster Halt auf freier Strecke. Die Besatzung fl ickt und bastelt mit Feuereifer im Taschen-lampenlicht. Aufregung ist nicht zu spüren, im Gegenteil, die Kollegen Eisenbahner haben ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Das ist al-les nicht so schlimm, versichern sie im Vorbei-gehen. Überzeugend klingt es nicht. Daumen-drücken. Noch zehn Kilometer bis Matanzas. Plötzlich zucken Blitze an den Fenstern, Brem-sen kreischen. Auf dem Dach rumpelt es. Der Zug wird langsamer und langsamer. Mit einem Ruck kommt er schließlich zum stehen. Aufge-regte Rufe aus dem Führerstand. Was ist pas-siert? Die Oberleitung hängt plötzlich neben unserem Fenster. Einer der Stromabnehmer auf dem Triebwagendach hat sie wie mit einer Mistgabel mitgenommen. Auf bestimmt 100 Metern ist die Oberleitung zerstört.

Die Zuckerrohr-Lok in Trinidad

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22.30 Uhr, es ist geschafft – unglaublich aber wahr, wir stehen im kleinen Bahnhofsgebäude von Mantanzas. Mit dem notdürftig gefl ickten Stromabnehmer hat es geklappt, den Zug zu fahren. Wie, das ist mir heute noch schleier-haft, technisch kann ich es nicht erklären. Egal, die letzten Zugkilometer nach Mantanzas sind geschafft. Der Auftakt unserer Bahnreise durch Kuba hat es in sich!

Dampfl oknostalgie im Tal der Zuckermühlen»Un Boleto, para Santa Clara, per favor … Ma-ñana, talves« (eine Fahrkarte nach Santa Clara … Morgen, Vielleicht!). Genervt verlassen wir den sozialistischen Plattenbau des Bahnhofes der Provinzhauptstadt Mantanzas. Am nächsten Tag starten wir einen zweiten Versuch.

Gar nicht so einfach eine Fahrkarte für den Abendzug Mantanzas – Santa Clara, der Stadt des Revolutionshelden Che Guevara, zu ergat-tern. Mit Glück, geduldigem Nachfragen und einem Pesoscheinchen für die Dame vom Fahr-kartenschalter klappt es dann doch. In einem Nahverkehrswaggon, 1964 in Berlin-Spandau gebaut, schaukeln wir in drei Stunden nach

Santa Clara. Deutsche Entwicklungshilfe für die marode Ferrocaril de Cuba macht es möglich. Kubas Revolutionsheld der ersten Stunde, der legendäre Che Guevara hat hier am 29. Dezem-ber 1958, mit nur 18 weiteren Revolutionären, einen gepanzerten Soldatenzug der Truppen des kubanischen Diktators Batista angegriffen. Mit den erbeuteten Waffen und Munition war das Schicksal des Diktators besiegelt. Der Fall von Havanna nur noch eine Frage der Zeit. Die Revolution hat gesiegt, Kuba wurde sozialis-tisch!

Wir fahren weiter nach Trinidad, dem Anti-gua Kubas. Hier herrschten die Zuckerbarone Kubas. Seit 1998 ist das historische Zentrum des Städtchens, mit seinen perfekt restaurierten Kolonialhäusern, Weltkulturerbe der UNESCO und der Touristenmagnet in der Mitte Kubas. Im Tal der Zuckermühlen (Valle de los Ingenios) produzierten Anfang des 19. Jahrhunderts ins-gesamt 43 Mühlen über 80.000 Tonnen Zucker pro Jahr. Aus dieser Zeit stammen die präch-tigen Herrenhäuser der Stadt und die Zucker-rohreisenbahn!

Jeden Tag dampft vom winzigen Bahnhof Trinidad ein Touristenzug in das Tal der Zucker-rohrmühlen. Für Eisenbahnfans ist das schmut-zig graue Werkstattgebäude wichtig. Hier wird jeden Nachmittag eine ölgefeuerte amerika-nische Dampfl ok Baujahr 1907, mit Holz auf Be-triebstemperatur vorgeheizt. Wir kommen mit Alfredo, dem Lokführer, ins Gespräch. Die Lok ist sein ganzer Stolz. Er lädt mich ein am näch-sten Morgen (Planabfahrt täglich 9.30 Uhr) auf der Lok mitzufahren.

Zischend und schnaufend steht sie da. Die 1432er Zuckerrohrlok und zwei Waggons mit zahlungskräftigen Touris (Fahrkosten rund zehn Euro), die sich diese Nostalgietour nicht ent-gehen lassen wollen. Alfredo will mich später auf den Führerstand holen. Zu viele neugierige Blicke am Bahnhof könnten ihn sonst eventuell beim Chef verraten.

Es geht los. Alfredo und sein Heizer legen sich schwer ins Zeug. Weiße Dampfwolken ausstoßend geht es in Richtung Tal der Zucker-rohrmühlen. Rauschende Palmen, wiegende Zuckerpfl anzenfelder soweit das Auge reicht. Wir dampfen durch kleine Dörfer mit den für die Karibik typischen, weißgekalkten Holzhäus-chen. Dazu Ochsenkarren auf den Feldern und

Kubanische Lebensfreude

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Gauchos, die träge in ihren Sätteln in die Sonne blinzeln. Über uns ein strahlend blauer Himmel. Travellerherz was willst du mehr! Ja was wohl? Ich will so schnell wie möglich auf die Lok!

Mitten auf der Strecke neben einem kleinen Flüsschen, kommt unser Zug kreischend zum stehen. Und hier beim Wasserfassen darf ich in das Allerheiligste. Auf den Führerstand. Ich wer-de dem Kollegen Heizer vorgestellt und schon geht es weiter. Kochendheißer Dampf zischt aus einer undichten Leitung. Es riecht nach Öl. Alfredos Dampfpfeife schrillt. Langsam schnau-fend setzt sich das alte Dampfross in wieder in Bewegung.

Szenenwechsel. Viva la Musica! Auf dem buckligen Kopfsteinpfl aster des alten Kolonial-städtchens Trinidad drehen sich vor der Casa del Cultura stolz und mit unglaublicher Eleganz zu feurigen Salsa-Klängen der Musikanten Tän-zerinnen und Tänzer mit atemberaubender Ge-schwindigkeit. Dazu fl ießt Bier und Zuckerrohr-schnaps, ein Rum der Extraklasse, der nicht nur den Einheimischen vorzüglich schmeckt. Das Lebenselixier einer jeden richtigen kubanischen Fiesta! So mancher Ärger den eine Planwirt-schaft so mit sich bringt, wird dadurch für ein paar Stunden vergessen. Kuba und Salsa und der Rum – das gehört zusammen wie Pech und Schwefel! Das Lied vom commandante Che Gu-evara summend lassen auch wir den Rum in die Adern fl ießen und uns von dieser einmaligen Atmosphäre faszinieren.

Ein kleines FazitSantigao die Cuba. Vier Wochen liegen hinter uns. Zeit Bilanz zu ziehen, bevor es in den End-spurt geht. Zurück nach Havanna. Wir haben in diesen Wochen viel gelernt über Kuba und seine Bewohner, diesem Schmelztiegel der Hautfar-ben und Rassen, der politischen Situation, den wunderschönen alten Autos und einer, nicht immer einfach zu fahrenden Eisenbahn.

Was nehme ich mit nach Hause? Die ganz spezielle Art den Sozialismus zu praktizieren, Salsa, Rum und lateinamerikanische Lebensfreu-de, hat den Kubanern die höchste Lebenserwar-tung in Zentral- und Südamerika gebracht. Dass der Staat dafür sorgt, dass es ein kostenloses, gut funktionierendes Gesundheitssystem gibt und in Kuba das Wort Analphabet ein Fremd-wort ist (die Alphabetisierungsrate beträgt 95

Prozent). Deshalb werbe ich dafür, dass in der westlichen Welt, wenn über die Unfreiheit der Menschen des Inselstaates diskutiert wird, die-ser Aspekt nicht vergessen wird! Im Übrigen, ich habe auf meinen Reisen in der dritten und vierten Welt nirgends so viele Kinderspielplätze wie in Kuba gesehen.

Auf der anderen Seite steht ein nicht enden wollender Bürokratismus, Schlange stehen für alle Mittel des täglichen Bedarfs die über die Grundversorgung hinausgehen (es sei denn man ist Besitzer der heiß begehrten Peso converti-ble). Die zum Teil praktizierte Überwachung der Bevölkerung, à la »Horch und Guck« aus alten DDR-Zeiten gehört schleunigst abgeschafft.

Was muss noch passieren? Dass die US-Regierung umgehend das Embargo abschafft. Dass die kubanische Regierung eine umfassende Wirtschaftsreform startet und mehr persönliche Freiheit – vor allem Reisefreiheit – zulässt. Das wäre die Chance, dass auf dieser herrlichen Ka-ribikinsel ein Modell entsteht, das in Zeiten der Wirtschaftskrise, des zügellosen Kapitalismus und der Bankengier, eine Alternative darstellt.

Kurzvita des AutorsJochen ist seit 1996 dzg-Mitglied, 55 Jahre alt und stammt aus Rheine (Westfahlen), Lieblings-beschäftigung: Eisenbahn- und Frachtschiffrei-sen. Der Traum seines Lebens hat im August 2000 begonnen und im November 2003 ge-endet. In drei Jahren, drei Monaten und drei Tagen ist er einmal ohne Flugzeug um die Welt gereist. Sein Buch Einsteigen, bitte! legt darüber Zeugnis ab (siehe Leseprobe im Trotter 134, Webseite zum Buch www.einsteigen-weltreise.de). Zurzeit ist Jochen in Sri Lanka unterwegs.

Jochen als Zugführer

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Nachdem Du Dich auf unserer Internetseite www.globetrotter.org eingeloggt hast, findest Du links unten den Menüpunkt Lände-rinfos – Klick – und Du kannst zwischen rund 1000 Regionen – Klick – wählen, etwa Na-mibia – Klick – (siehe Abbildung unten). Dort stehen derzeit sechs Länderberichte sowie rund

Dein Bericht auf unserer Internetseite70 Reisen von Mitgliedern, die Du – Klick – sofort anmailen kannst. Links oben bietet Dir der Button neuen Beitrag erstellen – Klick – die Möglichkeit, Deinen Bericht sofort online zu stellen (Abbildung). Einfach hineinkopieren, speichern – fertig! Wer mag, kann Bilder hinzu-fügen oder den Bericht formatieren.

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Deine Bilder und Texte können auch im Trotter erscheinen, meist mit längerer Wartezeit. Sende Deine Texte, Bilder und Bildunterschriften bitte in separaten Dateien an [email protected]. Sie werden von der Redaktion bearbeitet. Du erleichterst uns die Arbeit, wenn Du die folgenden Vorga-ben beachtest:

� Umfang: Dein Bericht kann komplett in einer Trotter-Ausgabe erscheinen, wenn er maximal 16.000 Zeichen und 6 Bilder um-fasst (siehe in Word: Extras/Wörter zählen). Bitte keine Fotos im Text abspeichern, Text nicht formatieren!

� Intro: Bitte beschreibe kurz Dauer und Zeitraum der Reise, Reiseländer und Reise-route, Art der Verkehrsmittel …

� Infobox/Tipp: Was hat Dir bei der Vorbe-reitung oder unterwegs besonders gehol-fen? Tipps sollten präzise, kurz & knackig sein. Kannst Du einen Reiseführer oder eine

Landkarte empfehlen, eine besonders nütz-liche Internetadresse oder einen Kontakt (Telefon/Adresse)?

� Autor: Die Leser möchten wissen, wer einen Bericht verfasst hat. Bitte schildere in ein paar Sätzen Dein Reiseleben. Auf mindestens einem Foto solltest Du zu sehen sein.

� Fotos: Wir nehmen gerne unbearbeitete Bilddateien von Digitalkameras (jpg, tif). Dateinamen bitte kurz als Land_Autor_Nummer.jpg.

� Scans: Bildvorlagen (fusselfrei abwischen) mit 300dpi, Dias mit 1200 dpi farbig scan-nen, als jpg speichern. Selbstverständlich kannst Du uns auch Deine Dias oder Pa-piervorlagen schicken – wir schicken das wieder zurück!

� Bildunterschriften: Bildunterschriften bitte in einer Textdatei formulieren, kei-nesfalls im Dateinamen!

Deine Beiträge für Internet & Trotter

Sibille Burkhardt, Koblenz, Reiseberichte

Norbert Liebeck , Münch en, Reiseberich te

Mich ael Malburg, Saarbrücken, Bildredaktion

Georg Schmitt (Schorsch), Vallendar, Reiseberichte

Die Trotter-Redakteure

www.globetrotter.org: Als dzg-Mitglied kannst Du Deine Erfahrungen, Erlebnisse und Eindrücke rund ums Globetrotten so-fort, ungekürzt und unbearbeitet auf unse-rer Internetseite im Mitgliederbereich online

stellen. Das ist so einfach wie eine E-mail zu schreiben. Sollten dennoch Probleme auftauchen,

bitte bei [email protected] nach-fragen!

Die Checkliste für Deinen Trotter-Beitrag

DEINE BEITRÄGE FÜR INTERNET & TROTTER

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WIR GLOBETROTTER: UNSERE ORGANISATION

Deutsche Zentrale für Globetrott er e.V.Der Club der Globetrotter

c/o Forsthaus Fisch bach Rußhütter Straße 26, 66287 Quiersch iedPostfach 22, 66284 Quiersch ied (nur Briefsendungen)Telefon 0700–globetrotter bzw. 0700–45623876 (6 ¢/Minute, Mo–Fr 9–18 Uhr 12 ¢/Minute)

Der Vorstand i.S.d. §26 BGB1. Vorsitzender Norbert Lüdtke [email protected]. Vorsitzende Ulla Siegmund, Mainz, [email protected] VorstandStellv. Vorsitzender Dieter Leonhard, Off enbach , [email protected] Elke Pröpper, Neu-Isenburg, fi [email protected] rift führerin Christel Loock, Iserlohn sch rift @globetrotter.org

Die Mitglieder und die MitgliederverwaltungNeue Adresse? Neues Konto? Bitte sofort bei uns melden!Der Jahresbeitrag von 35 € wird am 31.3. eines Jahres eingezogen, gilt jedoch vom 1.1. bis zum 31.12.Partnermitglieder zahlen einen reduzierten Beitrag und verzich ten auf den zweiten Trotter. Einfach e Mitglieder können bei aktiver Mitarbeit im Club nach zwei Jahren Vollmitglied werden und erhalten dann Sitz und Stimme in der Mitgliederversammlung mit aktivem und passivem Wahlrech t.Die Neumitglieder werden begrüßt von Annette Weirich (Hannover) und Rosi Rohmer-Streck er (Luxemburg).Die Kündigung muß laut Satzung bis zum 30.9. eines Jahres erfol-gen, damit sie zum 31.12. wirksam wird.

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Aktuelle Hinweise zu allen unseren Treff en im Heft innern sowie unter www.globetrott er.org.

Der Trott erDie Zeitsch rift der Globetrotter

(ISSN 1860-9031) wird von Globetrottern für Globetrotter ehrenamt-lich erstellt und für ihre Mitglieder herausgegeben von der Deutsch en Zentrale für Globetrotter (v.i.S.d.P.) Der Trotter ersch eint etwa Mitte Februar, April, Juni, August, Oktober und Dezember.Alle Trotter-Ausgaben fi nden sich in der Deutsch en Bibliothek Frankfurt, Titel-Datensatz siehe http://www.d-nb.de/, sowie in: Willy Sch arnow- Institut für Tourismus/Historisch es Arch iv; International Institut of Social History IISH Amsterdam; Eco-Arch iv Hofgeismar; Alpines Museum Münch en;Heinrich -Harrer-Museum Hüttenberg; Arch iv der Naturfreundejugend ... Mitglieder fi nden alle Ausgaben ab Nummer 91 als pdf-Download unter www.globetrotter.org im Mitgliederbereich .

Beiträge von MitgliedernWir danken allen Autoren dieser Ausgabe und freuen uns über weitere Texte & Bilder! Hinweise dazu fi ndest Du in diesem Trotter.

Redaktionsschluss Trotter 139: 25. Oktober 2009; Trotter 140: 25.Februar 2010

Trott er-RedaktionZentrale Norbert Lüdtke, Ansch rift wie Vorstand [email protected] te Norbert Liebeck , Münch en, reiseberich [email protected] Sibille Burkhardt, Koblenz Georg Schmitt, VallendarUmsch lag Mich ael Malburg, Saarbrück en, [email protected] = Golf-Club Kabul, Afghanistan (Mich ael Obert)U2 = Afar Mann, Äthiopien (Barbara Krajewski)U3 = Afar Mädch en, Äthiopien (Barbara Krajewski)U4 = Joch en van der Linde mit dem kleinsten B(a)uch laden der Welt beim Sommertreff en (Barbara Krajewski)K2 = Souvenirverkäufer in Kabul (Michael Obert)

Gestaltung und SatzMelanie Bruch mann, Papierfl ieger Off setdruck GmbH

Druck und KonfektionierungPapierfl ieger Off setdruck GmbH, Clausthal-Zellerfeld

www.globetrott er.orgDas Forum der Globetrotter

www.globetrotter.org, www.dzg.com, www.reisepartner.org. Die Website der dzg dient als öff entlich es Forum für den Austausch von Globetrottern, sie wird ehrenamtlich erstellt und betreut. Für Mitglieder der dzg besteht zusätzlich ein gesch ützter Mitgliederbe-reich . Mitglieder können kostenlos eine E-Mail-Adresse der Form [email protected] bekommen.

Internet-RedaktionAdministratoren: Axel Geratz, Bornheim-WiddigTextredaktion: Heike Geratz, Bornheim-WiddigAnzeigen: Dieter Leonhard, Off enbach E-Mail-Verwaltung: Thomas Simoneit, Münch en Infopaket-Versand: Rudi Kleinhenz, Bad Kissingen Kontakt über das Formular im Internet.

Das SelbstreisehandbuchDas Know-How der Globetrotter

… enthält Antworten auf (fast) alle Fragen zur Reisevorbereitung. Band 1: Zur Reisevorbereitung. 320 Seiten, 16,95 € (Mitglieder 12 €).Band 2: Für unterwegs. Vergriff en.

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Die Zeitschrift der Globetrott er

Heft 13835. JahrgangOktober 2009ISSN 1860-9031

Unterwegs-Sein