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THOMAS ZÄHRINGER 1 Die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) besteht aus den folgenden therapeutischen Komponenten: manuelle Lymphdrainage (ML) Hautpflege Kompressionstherapie mit speziellen komprimierenden Wechselbandagen bzw. medizinischen Kompressionsstrümpfen entstauende Bewegungsübungen Idealziel der Therapie ist die Normalisierung des Lymphtransports. Wegen des chronischen Charakters des Lymphödems besteht in der klinischen Praxis das therapeutische Ziel darin, die Erkrankung in das Latenzstadium (eingeschränkte Transportkapazität ohne Lymphödem) oder zumindest in das Stadium I zurückzuführen und dadurch eine nachhaltige Linderung der Beschwerden zu erreichen. Bei der Behandlungsplanung sind eines oder mehrere der folgenden Teilziele zu spezifizieren: Verbesserung des Lymphabflusses Erweichung fibrosklerotischer Gewebsveränderungen Reduktion der Bindegewebsvermehrung Verbesserung der Funktionsdefizite der Gliedmaßen, um die Wirksamkeit der Muskel- und Gelenkspumpe zu erhöhen Vermittlung von Selbstbehandlungsmöglichkeiten (Hautpflege, bestimmte Lymphdrainagegriffe, Technik der lymphologischen Kompressionsbandage) Rückführung bzw. Wiedereingliederung der Betroffenen in ihr soziales Umfeld wie Schule, Ausbildung, Studium oder Beruf Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit Verbesserung der Lebensqualität. Nicht nur das Lymphödem kann erfolgreich mit der KPE behandelt werden. Beim Lipödem finden sich durch einen gestörten Arterio-venösen Reflex häufig orthostatische Ödeme. Diese Störung lässt sich unter einer Kompressionsbandage signifikant verbessern (Strößenreuther 2001). Auch wird die Druckschmerzhaftigkeit durch die manuelle Lymphdrainage reduziert. In einem Teil der Fälle kann es im fortgeschrittenen Stadium zur Ausbildung eines Lipödems mit sekundärem Lymphödem (so g. Lipolymphödem). Zur Ödem und Schmerzreduktion werden physikalische Maßnahmen in Form der kombinierten physikalischen Entstauungstherapie (KPE) eingesetzt Sehr häufig findet man beim Lipödem als Begleiterkrankung eine Adipositas. Diese kann nicht durch die KPE behandelt werden. Hier ist die konservative Gewichtsabnahme mit Ernährungstherapie und Bewegungstherapie indiziert. Teilweise kann auch eine bariatrische Operation empfohlen werden. Praktische Probleme in der KPE beim Lymphödems / Lipödems / Lipo-Lymphödem THOMAS ZÄHRINGER

V Praktische Probleme in der KPE beim Lymphödems ...€¦ · Auch bei einer bestehenden arteriellen Hypertonie gelten diese Vorgaben bezüglich der Bandagierung. Nach einer ... engeren

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THOMAS ZÄHRINGER 1

V

Die komplexe physikalische Entstauungstherapie (KPE) besteht aus den folgenden therapeutischen

Komponenten:

• manuelle Lymphdrainage (ML)

• Hautpflege

• Kompressionstherapie mit speziellen komprimierenden Wechselbandagen bzw.

medizinischen Kompressionsstrümpfen

• entstauende Bewegungsübungen

Idealziel der Therapie ist die Normalisierung des Lymphtransports. Wegen des chronischen Charakters

des Lymphödems besteht in der klinischen Praxis das therapeutische Ziel darin, die Erkrankung in das

Latenzstadium (eingeschränkte Transportkapazität ohne Lymphödem) oder zumindest in das Stadium

I zurückzuführen und dadurch eine nachhaltige Linderung der Beschwerden zu erreichen. Bei der

Behandlungsplanung sind eines oder mehrere der folgenden Teilziele zu spezifizieren:

• Verbesserung des Lymphabflusses

• Erweichung fibrosklerotischer Gewebsveränderungen

• Reduktion der Bindegewebsvermehrung

• Verbesserung der Funktionsdefizite der Gliedmaßen,

• um die Wirksamkeit der Muskel- und Gelenkspumpe zu erhöhen

• Vermittlung von Selbstbehandlungsmöglichkeiten (Hautpflege, bestimmte

Lymphdrainagegriffe, Technik der lymphologischen Kompressionsbandage)

• Rückführung bzw. Wiedereingliederung der Betroffenen in ihr soziales Umfeld wie Schule,

Ausbildung, Studium oder Beruf

• Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit

• Verbesserung der Lebensqualität.

Nicht nur das Lymphödem kann erfolgreich mit der KPE behandelt werden.

Beim Lipödem finden sich durch einen gestörten Arterio-venösen Reflex häufig orthostatische Ödeme.

Diese Störung lässt sich unter einer Kompressionsbandage signifikant verbessern (Strößenreuther

2001). Auch wird die Druckschmerzhaftigkeit durch die manuelle Lymphdrainage reduziert.

In einem Teil der Fälle kann es im fortgeschrittenen Stadium zur Ausbildung eines Lipödems mit

sekundärem Lymphödem (so g. Lipolymphödem). Zur Ödem und Schmerzreduktion werden

physikalische Maßnahmen in Form der

kombinierten physikalischen Entstauungstherapie

(KPE) eingesetzt

Sehr häufig findet man beim Lipödem als

Begleiterkrankung eine Adipositas. Diese kann

nicht durch die KPE behandelt werden. Hier ist die

konservative Gewichtsabnahme mit

Ernährungstherapie und Bewegungstherapie

indiziert. Teilweise kann auch eine bariatrische

Operation empfohlen werden.

Praktische Probleme in der KPE beim Lymphödems / Lipödems / Lipo-Lymphödem THOMAS ZÄHRINGER

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Im Anschluss werden mögliche therapierelevante Probleme, die beim Lymphödem, Lipödem oder

Lipo-Lymphödem entstehen können, besprochen.

Die erste Problematik liegt darin, das Lymphödem diagnostisch vom Lipödem oder von der Adipositas

abzugrenzen, zumal die Adipositas häufig ein Lymphödem oder Lipödem begleiten oder sogar

verursachen kann. Morbid adipöse Patienten leiden häufig unter dem metabolischen Syndrom. Es ist

charakterisiert durch folgende Faktoren:

• Abdominelle Fettleibigkeit (Mann Umfang >94cm; Frau >80cm).Der Bauchumfang ist ein

Indikator für den Anteil des viszeralen Bauchfetts.

• Bluthochdruck

• Hyperglyceridämie

• erhöhte Glukosekonzentration im Blut durch Insulinresistez (Diabete mellitus Typ2)

In der Entstauungstherapie ist es wichtig eine Polyneuropathie, welche durch Diabetes mellitus,

medikamatös oder durch neurologische Erkrankungen ausgelöst werden kann, zu erkennen. Zur

Vermeidung von Folgeschäden muß insbesondere in der Kompressionstherapie auf das Vermeiden von

Druckstellen geachtet werden. Ich empfehle bei einer Indikation der Zehenbandage, diese mit einer

guten Unterpolsterung anzulegen.

KPE bei einer bestehenden dekompensierten Herzinsuffizienz ist kontraindiziert. Bei diesen Patienten

muss eine medikamentöse Vorbehandlung erfolgen. Nach einer Kompensation sollte eine moderate

manuelle Lymphdrainage mit einer druckreduzierten Kompressionstherapie bis Kniehöhe

durchgeführt werden.

Auch bei einer bestehenden arteriellen Hypertonie gelten diese Vorgaben bezüglich der

Bandagierung. Nach einer Eingewöhnungszeit mit Druckreduzierung kann schrittweise eine Steigerung

des Druckes sowie der Badagenhöhe erfolgen.

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Eine venöse Insuffizienz kann die Wassereinlagerung im Interstitium verstärken. Bei dieser

Begleiterkrankung kann pergamentartig dünne Haut und im schlimmsten Fall ein Ulcus cruris venosum

die Therapie behindern. Die ML-Griffe müssen in diesem Hautareal vorsichtig und weich durchgeführt

werden. Fibrose lockernde Griffe könnten die Patientenhaut weiter schädigen. Die

Kompressionsbandage darf nicht mit „unruhigem“ Material (z.B. Wellenschaumstoff) erfolgen. Auch

bei Lipödempatienten wird die Lymphdrainage mit „sanfteren“ Griffen durchgeführt. Das

druckempfindliche Gewebe sollte nicht mit punktuellen starken Griffen behandelt werden.

Orthopädische oder neurologische Erkrankungen können eine Lymphödem- und Lipödem-Behandlung

mit der KPE erschweren. Die Mobilität der Patienten darf durch die Kompressionsbandage nicht

eingeschränkt werden. Selten verschlechtert eine Kompressionsbandage orthopädische Beschwerden.

Durch die verbesserte Stützfunktion insbesondere im Kniebereich werden die Beschwerden häufig

sogar reduziert.

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Beim Lymphödem und Lipödem können tiefe Hautfalten die Therapie behindern. Um

Hautschädigungen und mögliche Erysipel-Infektionen zu vermeiden, ist eine sehr gute Hautpflege

unumgänglich.

Schwierigkeiten kann das Bandagieren des Übergangs von Fuß zum Unterschenkel bereiten. Wichtig ist es im Bereich ventral, in Höhe des Sprunggelenkes gut ab zu polstern und den Druck zu reduzieren. Somit können Hautschädigungen verhindert und der venöse/ lymphatische Abfluss gewährleistet werden. Auch ist darauf zu achten die Bandage nicht zu „dick“ anzulegen. Schließlich sollte sich der Patient anschließend sportlich betätigen.

Beim Lipödem besteht häufig das Problem der rutschenden Bandage. Tipp: Verwenden sie einen etwas

engeren Baumwollschlauchverband zum Hautschutz. Dieser wird mit einem „Strumpfkleber“ an der

Haut vorfixieren. Anschließend den Oberschenkel mit großen, langgezogenen Touren bandagieren.

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Beachten sie eventuelle Kleberunverträglichkeiten. Um ein „wundscheuern“ im „Schritt“ zu

vermeiden, muss die Bandage evtl. besonders abgepolstert werden.

Nicht alle Patienten sind immer hochmotiviert. Die Bandage drückt, ist unangenehm und erschwert

zusätzlich, die ohnehin schon schlechte Beweglichkeit. Häufig ist ein „etwas weniger“ in der

Kompressionstherapie, ein „mehr“ in der Gesamttherapie. Bewegung und Diät in der Gruppe motiviert

vielen Patienten. Der Lymphdrainagetherapeut kann eine wichtige Stütze sein.

Selbstverständlich sollte die Gesundheit des Therapeuten nicht vernachlässigt werden. Eine große

Belastung tritt zum Beispiel bei Hausbesuchen auf. Keine höhenverstellbaren Therapiebänke und

räumliche Enge machen eine Behandlung zur echten Herausforderung.

Ein rückengerechtes Arbeiten wird dringend empfohlen. Es sollte bei schweren Fällen die Möglichkeit

gegeben sein, andere Kollegen zum Bandagieren hinzuzurufen. Auch sollten Hilfsmittel zur Verfügung

stehen. Zum Beispiel erleichtert eine Beinrolle unter dem Unterschenkel das bandagieren des Fußes.

Der Lymphdrainagetherapeut muss sich diversen weiteren Herausforderungen stellen. Hier nur

beispielhaft eine kleine Zusammenstellung:

• Adäquate Bandage bei Kleinkindern

• Lymphdrainage bei unruhigen Kindern

• Behandlung/Kompression eines Brust-LÖ

• Lymphzysten und Lymphfisteln

• Therapie beim Genital Lymphödem

• Erkennen von Kontraindikationen (Erysipel, Herzinsuffizienz, maligne Prozesse,

Arterielle Verschlußkrankheit, Thrombose)

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Lymphödeme und eine lymphödem Komponente beim Lipödem können gut durch die KPE behandelt

werden. Die Adipositas bedarf einer langwierigen Therapie mit einer deutlichen Umstellung der

bisherigen Lebensgewohnheiten. Ernährungsumstellung und Bewegungsvermehrung sind die

wesentlichen Bestandteile. Eine medizinische und psychologische Betreuung ist häufig indiziert.

Besteht durch eine ausgeprägte Adipositas ein hoher Leidensdruck und hat der Patient die

Möglichkeiten der konservativen

Gewichtsreduktion mehrfach ohne Langzeiterfolg

ausgeschöpft, sollte über eine bariatrischen

Operation nachgedacht werden. Zu Indikationen

oder möglichen Kontraindikationen verweise ich

an die Leitlinien der Deutschen Adipositas

Gesellschaft e.V. http://www.adipositas-

gesellschaft.de

Qellen:

http://www.dglymph.de/medizininformationenstudien/leitlinien/

http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/037-012l_S1_Lipoedem_2016-01.pdf