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Vereinigungen der evangelischen und katholischen Spital-, Heim- und Klinikseelsorgerinnen und -seelsorger „Dafür stehe ich ein!“ Mein Verständnis von Seelsorge – eine gemeinsame Spurensuche Ökumenische Jahrestagung Montag/Dienstag, 31.8. / 1.9.2009 Quarten Das vorliegende PDF enthält die folgenden Texte: Referate von Prof. Dr. Ralph Kunz: Koordinatensystem der Seelsorge ........................................................................... 3 Wo stehen die Menschen, denen wir begegnen? .................................................. 20 Wie religiös sind SchweizerInnen? (Folien)............................................................ 29 SmartSpider Seelsorge (Folien)............................................................................... 40 Einstieg in die Tagung (Audrey Kaelin, Hansueli Minder) ........................................ 46

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Vereinigungen der evangelischen und katholischen Spital-, Heim- und Klinikseelsorgerinnen und -seelsorger

„Dafür stehe ich ein!“ Mein Verständnis von Seelsorge –

eine gemeinsame Spurensuche

Ökumenische Jahrestagung Montag/Dienstag, 31.8. / 1.9.2009

Quarten

Das vorliegende PDF enthält die folgenden Texte:

Referate von Prof. Dr. Ralph Kunz:

Koordinatensystem der Seelsorge ........................................................................... 3

Wo stehen die Menschen, denen wir begegnen? .................................................. 20

Wie religiös sind SchweizerInnen? (Folien)............................................................ 29

SmartSpider Seelsorge (Folien)............................................................................... 40

Einstieg in die Tagung (Audrey Kaelin, Hansueli Minder) ........................................ 46

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„Dafür stehe ich ein!“ Jahrestagung der Vereinigungen der ev. und kath. Spitalseelsorgenden 31.8./1.9.2009 in Quarten Referate von Ralph Kunz (Notizen)

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„Koordinatensystem der Seelsorge“ Notizen zum Referat1

1 Ziel der Tagung - Positionierung Wo stehe ich? Wofür stehe ich ein? Das Ziel dieser Tagung ist mit einer Frage verknüpft, die zugleich Aufforderung ist. Sie sollen in diesen zwei Tagen Gelegenheit zur Klärung der eigenen Rolle bekommen. Es gibt Berufe, da wäre ein solches Ansinnen etwas eigenartig. Man soll Menschen mit „Jobs“ nicht unterstellen, sie machen sich keine Gedanken über ihren Beruf. Dennoch. Fragen Sie die Frau an der Kasse oder den Gärtner oder die Zugbegleitung: Wofür stehen sie ein? Ja, das dürfte wohl klar sein. Nun hat auch die komplexe Aufgabe der Spital- und Heimseelsorge Elemente der Routine, des „Jobs“. Da gibt es ein Stellenprofile, Aufgabenlisten und Dienstreglemente. Aber können Sie über ihr Selbst- und Berufverständnis – ohne zu Überlegen – einfach so Auskunft geben? Und wäre es dasselbe Verständnis wie vor fünf oder zehn Jahren? Haben Sie sich verändert? Oder ihr Arbeitsort? Oder Ihre Patienten und Pensionäre? Die Institution? Oder alles miteinander? Seelsorge ist kein Job, sondern ein Auftrag. Wie wir ihn erfüllen, ist nicht vorgegeben und festgeschrieben. Die beteiligten Akteure – das Hilfsystem – ist variabel. Wir reden von prekären Grössen: „existentielles Ich“, „professionelles Ich“, „Spitalsystem und Umwelt“ (Gesellschaft + Kirche) sind ständig in Veränderung. Sie sind flüssig, aber nicht flüchtig. Und auch unser Gegenüber ist einzigartig. Ein Fall, der geklärt werden muss. Wenn wir danach fragen, wer wir sind, wer unser Gegenüber ist oder das System, in dem wir leben und weben, dann leisten wir Ermittlungsarbeit. Wir haben es ja auf jeden Fall mit Leben zu tun, mit Seelen, die sich nicht dingfest machen lassen. Seelsorge hat also wenig Fixes. Kaum harte Fakten. Und viel Weiches, Formbares und Deutungsoffenes. Nun gehört genau das zu unserem Berufsidentität: die Dekonstruktion und Rekonstruktion der Bezugsgrössen, in denen und mit denen und gegen die wir manchmal arbeiten. Und Gnad uns Gott, wenn alles flüssig oder flüchtig wäre. Natürlich gibt es auch Festes. Darauf möchte ich zu sprechen kommen, aber gleich einen Wechsel der Metapher vorschlagen. Von Koordinaten soll die Rede sein und nicht von Aggregatszuständen. Statt Festes und Starres sollen verlässliche Orte, Standpunkte und Positionen vorgeschlagen werden: nicht um uns festzulegen, gefangen zu nehmen, sondern um uns zu orientieren. In die richtige Richtung zu bewegen. Mit anderen Worten: Wo stehen wir impliziert wohin bewegen wir uns? Und dann – daraus abgeleitet – weil wir unseren Standort und den der Menschen, mit denen wir es zu tun haben, auf Grund von Vorgaben ermitteln: Worauf verlassen wir uns? Wovon gehen wir aus?

1 Bitte nicht kopieren oder verbreiten. Das ist ein Draft mit Fehlern: ungehobelt und unkorrigiert. Danke. RK

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ORIENTIERUNG Wo stehen wir? Wohin bewegen wir uns? Worauf verlassen wir uns? Wovon gehen wir aus? Das ist noch reichlich abstrakt. Wir konkretisieren, indem wir unser Verstricktsein in Beziehungen dazu nehmen. Wenn wir fragen, wo wir stehen, sagen wir, wie wir zu jemandem stehen. Ganz banal: Ich frage, wie geht es Ihnen und Sie sagen mir geht es gut. So steht es um mich. Das Selbstverhältnis ist ein wesentlicher Faktor der Orientierung. Wie auch das Verhältnis zum Gegenüber. Und natürlich auch das Verhältnis zu Gott. Wo steht Gott? Steht er uns bei? Oder vor? Wohin bewegt Gott uns? Wie verlässlich ist seine Präsenz? Das spannende an Ihrem Auftrag ist das Ineinander von Vorgaben, Gaben und Begabung, Wissen und Intuition, Präsenz und Routine. Dieses Ineinander verlangt nach Reflektion. Im eigentlichen Doppelsinn des Wortes: Spiegelung. Nachdenklichkeit ist aber keine Selbst-Spiegelung, sondern Selbstverortung und –orientierung. Zu diesem Zweck werden drei Grundpositionen vorgestellt. Sie repräsentieren je einen Typus des seelsorglichen Selbstverständnisses und laden ein, sich zu positionieren, Nähen und Distanzen zu einem Standpunkt zu bestimmen. Ich nenne Sie einmal und gehe dann auf diese Typen ein: Ich bin solidarisch mit dem Geschundenen und teile seine Ohnmacht (kritisch-prophetische Poimenik) Ich höre auf die Not meines Gegenübers, nehme Anteil und tröste ihn/sie (therapeutische-dialogische Poimenik) Ich führe Geschwächte in Kraftfelder des Heiligen, wo sie Stärken empfangen (energetische-mystagogische Seelsorge) OL-Läufer, Soldaten und ehemalige Pfadi , Jungschärler oder CEVI wissen, wie man einen Punkt auf einer Karte bestimmt. Man gibt die Koordinaten an. Für seelsorgliche Positionen habe ich ein Koordinatensystem der Macht gewählt. Wie verstehe ich mich? Als solidarisch in der Ohnmacht, als teilmächtiger Beistand oder als Führer zur Macht des Heiligen? Wenn von Macht die Rede ist, müssen die Mächte benannt und zur Sprache kommen. Die drei Themen „Schmerz“, „Krankheit“ und „Seele“, die wir vorhin im Gespräch als Flaggen gesetzt haben, sind solche Mächte, die das System beeinflussen. Wie nehmen wir diese Kräfte im Beziehungsnetz zwischen uns, dem Gegenüber und Gott wahr? In der Konkretisierung wird deutlicher, was der Gewinn eines solchen Zugangs ist.

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2 Wie kommen Positionen in der Seelsorgelehre zustande? Vor nicht langer Zeit wäre es nur logisch, wenn ich mein Referat damit fortsetzen würde, Ihnen nun die wichtigsten Theorierichtungen vorzustellen bzw. in Erinnerung zu rufen, was kerygmatische, beratende und systemische Poimenik vertritt. Ich möchte anders vorgehen. Das hat Gründe. Wer ein Blick in die neuesten Seelsorgebücher wirft, merkt schnell: vorbei sind diese Zeiten, in denen eine Schule oder Bewegung die Szene beherrscht. Positionsbestimmung ist auch für den Theoretiker mit der Aufgabe verbunden, sich selbst zu verorten. Aber offensichtlich fällt das vielen heute schwerer. Man kann das kritisch als „Orientierungslosigkeit“ oder „Profillosigkeit“ apostrophieren und den Verlust der Autoritäten beklagen. Das halte ich für wenig hilfreich und vor allem für nicht sachgemäss. Zutreffend ist aber, dass die theoretische Selbstverortung Lehre automatisch in die Nähe der Fundamentalansätze rückt. Damit ist das Grundlegende vor den positionellen Überlegungen gemeint. Beispiele aus der Systematischen Theologie kennen wir: Karl Rahner und Gerhard Ebeling. Ich finde es auffällig, dass wir in der Seelsorge eine Tendenz zur „Fundamentalpoimenik“ feststellen können. Das zeigt sich an neueren Lehrbüchern: Ziemer, Klessmann Gärtner und Morgenthaler. Generell lässt sich sehen, dass die Schulen noch genannt werden und das Nacheinander – von der kerygmatischen zur therapeutischen zur lösungsorientierten Seelsorge – für die Theoriegeschichte relevant ist. Es enden jedoch die meisten dieser Darstellungen im Bekenntnis zum Pluralismus u. Ekklektizismus. Vielleicht sagt man dazu besser „JedeR ist ein Sonderfall“. Die Theorielandschaft ist eine verzerrtes Spiegelbild der religiösen Landschaft. Vor allem dann, wenn man die exotischen Ansätze ausserhalb der Schultheologie berücksichtigt: esoterische oder charismatisch-energetische Modelle. Selbstverständlich gibt es noch „Schulen“. Aber keine dominiert. Daraus kommt der Impuls – im Bewusstsein der Differenzen – kritisch-komplementär-konstruktiv nach dem gemeinsamen Grund zu fragen und Perspektiven, Koordinaten oder Dimensionen ins Blickfeld zu rücken. Ein schönes Beispiel liefert Stefan Gärtner.2

Seine pastoraltheologischen Studien zu Grunddimensionen der Seelsorge zählt neben Sprache und Zeit auch die Macht als eine solche Dimension auf. Ich finde die Metaphorik des Dimensionalen spannend. Das Dimensionale ist per so nicht Ortsgebunden. Fundamentalpoimenik will nicht positionell sein, ist nicht einem Modell verpflichtet oder einem Ansatz, sondern will Dimensionen verstehen, die einerseits quer durch alles laufen und andererseits Grundlagen legen, aber immer auch alles durchziehen.

Das Paradoxe daran ist, dass in der Ermittlung des Grundlegenden die Differenzen erst bewusst werden. Das Gemeinsame lässt sich nur noch formal bestimmen. Wir sagen zum Beispiel: das Gottesverständnis und –verhältnis ist grundlegend für das Selbst- und Berufsverständnis der Seelsorge, aber wir sagen nicht, welches bestimmte Verständnis von Gott für alle ein gemeinsamer Grund ist. Wir können uns darauf einigen, dass wir es mit Macht und Ohnmacht zu tun haben. Mit Klessmann (2004,265): „Glaube ist die Unterscheidung zwischen der Macht Gottes und der Macht der Menschen.“

2 Stefan Gärtner: Zeit, Macht und Sprache: Pastoraltheologische Studien zu Grunddimensionen der Seelsorge, Herder; ein anderes Beispiel: Constanze Therfelder, Spiegel

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Aber wir treffen ganz unterschiedliche Entscheidungen, wie wir uns dazu stellen.3

Die Differenz und nicht die gemeinsamen Grundlagen sind entscheidend, wofür ich stehe. Was gibt uns Stand? Worauf stehen wir? Die Fragen bleiben virulent. Und – so meine Quintessenz – um unseren Stand zu finden, brauchen wir einen Spürsinn für differente Positionen, gemeinsame Grundlagen und transrationale Dimensionen. Wir brauchen beides: die dezidierte Stellungnahme einer theologischen Überzeugung und das Offene grundlegender Dimensionen und Fragen jenseits von Schulen und Modellen.

Darum scheint mir die Machtdimension geeignet, eine Positionierung vorzunehmen. Da möchte ich ansetzen und Koordinaten finden, die helfen, sich zu orten und Positionen, zu denen wir uns verhalten können. 3 Solidarisch in und mit der Ohnmacht

3.1 Vertreter: Henning Luther Die erste Position verbinde ich mit dem Namen Henning Luthers.4

Nicht alles, was ich zu dieser Position sage passt zu ihm oder stammt von ihm, aber er ist so eine Art Prototyp. Er steht dafür. Er steht gerade nicht für eine „Schule“, sondern wenn schon für eine individuell gelebte und existentiell eingelöste seelsorgliche Haltung. Ich habe sie in Form einer Ich-Aussagen so formuliert:

• Ich bin solidarisch mit dem Geschundenen und teile seine Ohnmacht (diakonisch-solidarische Seelsorge)

Dazu ein Zitat von Klessmann, in dem das Dialektische dieser Position zum Ausdruck kommt: „Eine wesentliche Aufgabe der Seelsorge besteht darin, Ohnmacht und Hilflosigkeit andere Menschen mit auszuhalten. Eben darin erweist sich Seelsorge als hilfreich und machtvoll.“(Klessmann 2008, 338) Vorbilder von Luther waren einerseits Dietrich Bonhoeffer und Ernst Lange, aber die jüdischen Dichter und Philosoph Walter Benjamin und Emanuel Levinas. Von Levinas kommt Luthers Emphase für den Anderen. Das die Anerkennung des Anderen als Fremden, in dem mir das Angesicht Christi entgegenleuchtet. In dieser Identifikation des Leidenden mit Christus aufgrund der Identifikation des Christus mit den Leidenden und Schwachen, findet sich der Kristallisationspunkt dieser Theologie.

3 Analog: Grundlegend ist der Kanon – die Schrift als begrenzte Sammlung und eingeschränkte Pluralität.

4 Hinweis von Ulrike Büchs: der kritische Ansatz wird gelebt und gelehrt im Institut für Klinische Seelsorgeausbildung (KSA) der Erzdiözese Freiburg in Heidelberg: Adresse Gaisbergstraße 58, 69115 Heidelberg; Tel: 06211-90502-0, Fax: 06211-90502-21; E-Mail: [email protected]

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Von dieser Ortszuweisung lässt sich die poimenische Position ermitteln. Zum Beispiel ist dann klar, dass die Aufgabe der Seelsorge nicht mit der des Heilers oder Exorzisten identisch ist. Das wären ja auch mögliche Ansatzpunkte. [Kurzer Einschub: Ulrich Bach] Weiter scheint mir auch klar, dass Partei ergriffen wird. Seelsorge ist nicht nur Hilfe. Sie will es zumindest nicht in dem Sinne sein, wie dies Wolfgang in seinem Klassiker „Hilflose Helfer“ entlarvt hat – eine Hilfe, die mehr oder weniger versteckte Überwältigung eines hilfsbedürftigen Gegenübers ist. „Helfen heißt Herrschen“(Stollberg 1979, 167). Die Asymmetrie – das Gefälle zwischen dem Hilfesuchenden und Helfer – wird umgekehrt. Eindrücklich am Beispiel des Sterbenden gesagt: er ist der Experte; er hat mir etwas voraus und offenbart mir etwas. Am Bett eines Leidenden – der sich uU verbal nicht mehr mitteilen kann – bin ich nicht Seelenarzt, nicht Sozialarbeiter, nicht Schamane, ich bin exemplarisch Mitmensch. „[W]ir wissen, dass die Macht des Dienens oder der Liebe noch viel diktatorischer, weil unangreifbarer sein kann als eine offene, klar erkennbare Positionsmacht.“ (Klessmann 2004, 266) 4.2 Sorge, Schmerz und Seele Wenden wir uns Sorge, Schmerz und Seele zu. Die Sorge, die den Seelsorgenden bewegt, ist cura im Sinn einer Teilnahme am Leid des Anderen. Das Mitleid äussert sich als com-passion. Schmerz ist darum ein wichtiges Motiv für den Seelsorger. Schmerz soll gelindert werden. Aber nicht vernichtet. Er ist Zeichen der Lebendigkeit. Auf beiden Seiten, ist er ein Signal der Empfindsamkeit und Anlass zur echten Für-Sorge! Erst in diesem Wahrnehmung dessen, was ist, kann Neues keimen und Aufbrechen. Es geht um Heilung, nicht um Reparatur. Henning Luther zeichnet die Echtheit der heilenden Sorge im Gegenlicht zur alltäglichen Sorge, wie sie in der Bergpredigt kritisiert wird: „Alltagssorge macht blind gegenüber der Frage, wie es anders sein könnte. [...] Seelsorge durchbricht [...] die Eindimensionalität bloßer Alltagsroutine und versucht jenes Reflexionspotential freizusetzen, das dem 'Ich' eine Distanzierung von bloß vorgegebenen, zugemuteten konventionalisierten Lebensformen ermöglicht.“(Luther 1992, 228) Das führt weiter zur Anthropologie. Das Menschenbild, das hier leitend ist, lässt sich mit dem Bild des Torso illustrieren. Jeder Versuch, Ganzheiten zu postulieren oder Ideale zu konstruieren zerbricht an dem, was wir in der Realität menschlicher Not entdecken: Nur immer Fragmente. Und das heisst auch, dass Menschen an Idealvorstellungen und Vollkommenheitsfantasien zerbrechen können, dass sie sich martern mit Versagens- und Schuldgefühl; dass es darum zur Aufgabe der Seelsorge gehört, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. „Seelsorge nimmt den Möglichkeitssinn bewußt wahr und hat teil an der Hoffnungs- und Möglichkeitsperspektive der Sorge. Erst aus ihr erwächst ihr die legitimierende Kraft, die sie von der Möglichkeitsperspektive versperrenden Alltagssorge unterscheidet.“(Luther 1992, 228)

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Das gelingt erst, wenn es zu einer Umwertung der Brucherfahrung kommt. Das Fragment ist ja nicht nur ein Zeichen des Abbruchs. Wenn ein Mensch unter einer Krankheit leidet, einen Toten beklagt oder mit Schuldgefühlen kämpft, wird in all dem ein noch-nicht – ein Schmerz der Sehnsucht erkennbar. Im Unvollendeten steht das Torso für das Ganze. Und dazu Ja sagen, dass wir endlich und unvollkommen sind, bedeutet Freiheit. „Alltagssorge zielt auf Wiedereingliederung, Realitätsertüchtigung und Anpassung. Seelsorge schafft Freiheit.“(Luther 1992, 231) Luthers Position ist auch philosophisch dezidiert. Wenn ich einen Namen geben müsste: christlich-existentialistisch. Luther folgt Heidegger für den die Sorge nicht eine beliebige Verhaltensweise sondern eine existentielle Grundstruktur des In-der-Welt-Seins darstellt. In der Sorge nimmt der Mensch die offene Möglichkeitsform seines Daseins wahr. [...] Die Offenheit dieser Intention ist in der Alltagsroutine aber immer schon bestimmt von Zielen und Zwecken, die das 'Man' setzt, nicht aber das 'Ich'. Man muss stark sein. Man darf sich nicht unterkriegen lassen. Man muss halt seinen Mann stehen. Man soll nicht jammern. Man muss es nehmen wie es kommt. [...] Alltagssorge sorgt sich um das Gelingen der Anpassung an die konventionalen, gesellschaftlich normierten Verhaltenserwartungen. Krankheit und Therapiebedürftigkeit werden – vor dem Hintergrund der Alltagssorge – dort akut, wo diese Anpassung nicht gelingt, wo der Einzelne aus dem Rahmen fällt“(Luther 1992, 227) Seelsorge ist in diesem Licht betrachtet keine Therapie. Sie ist Hilfe zur Annahme, die sich auch als Protest gegen die „man“-Diktatur äussern kann. Viele Gedichte von Kurt Marti haben diese Pointe. Es hat dem lieben Gott ganz und gar nicht gefallen, dass Gustav E. Lips viel zu früh gestorben ist ... 4.3 Gott: Der Gekreuzigte Inspiriert ist diese kritische Poimenik von der Kreuzestheologie. Eine starke Kreuzestheologie ist ja nicht zwingend schwach. Wenn man den Leidenden, den Geschwächten oder – mit Bonhoeffer den an der Rand gedrängten Gott stark macht, schwächt das zunächst die Logik der Stärkeren. Da ist auch prophetischer Protest drin. Er kann sich in Form von Klage äussern. Hiob ist das Vorbild. Und seine Freunde die Versager. Der Protest richtet sich gegen das Definitionsmonopol. Die Todesmächte sollen nicht zu Worte kommen. Und wenn der Erfolgreiche den Erfolglosen darüber belehrt, was er falsch gemacht haben könnte, wird er selbst zum Handlanger des Todes. Denn solche Ratschläger machen ihr Gegenüber mundtot. Und darin steckt – positiv gewendet – auch ein gutes Stück die Absicht der kritischen Poimenik, dem Machtlosen Macht wieder zuzusprechen. Wie Ernst Lange lässt sich auch bei Henning Luther eine Verbindung zur Befreiungstheologie und darin zum Emanzipationsdiskurs identifizieren.

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Ohnmacht soll nicht ausgenutzt oder tot geschwiegen. Sie ist der Anlass der Solidarität. Ein schönes Beispiel gibt Gestrich. „Wir schwimmen im Namen der Ohnmacht manchmal gegen den Geist des Alles-Machen-Wollens. So kommt es, dass wir uns zum Fürsprecher von Patienten machen, die nicht mehr weiterbehandelt werden wollen. [...] Der Ohnmacher [...] symbolisiert die mitleidende Liebe Gottes, und wenn er in aller menschlicher Ohnmacht bei der Nacht des Patienten verharrt, wird es Licht.“(Gestrich 1987, 114f) Der Aufschrei, die Klage und der Protest sind Akte – starke Handlungen. Wenn andere schreien vor Schmerz , soll der Christ hinsehen und hingehen. Eben da ist auch die Verbindung zur Christologie. Bonhoeffer hat versucht dieses Paradox mit einem Gedicht in Worte fassen

Christen und Heiden Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun sie alle, alle, Christen und Heiden. Menschen gehen zu Gott in Seiner Not, finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, sehn ihn verschluGgen von Sünde, Schwachheit und Tod. Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot, stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod und vergibt ihnen beiden.

In der ersten Strophe wird Religion beschrieben, in der mittleren Strophe Nachfolge und in der dritten solidarische Inkarnation Gottes. Auffällig ist in diesem Gedicht das Fehlen jeder Allmacht. Die göttlichen Attribute werden verschlungen. Die Bewegung der Nachfolge wird durch den Gehorsam Christi, der auf seine Gottheit verzichtete und stirbt am Kreuz, konterkariert. Wie in Phil 2,16ff Nur fehlt der gloriose Schluss. Keine Zunge, die bekennt, keine Knie, die sich beugen, keine Engel, die lobsingen. 4.4 Stärken und Schwächen Vielleicht lässt sich die Stärke und Schwäche am besten mit diesem eschatologischen Schweigen illustrieren. Diese Seelsorge ist solidarisch und verharrt – aus Rücksicht auf die Verzweifelten – in der Ohnmacht. Das ist ihre Stärke. Sie versteht etwas von der Nacht der Seele. Aber sie verweigert vielleicht im falschen Augenblick das Zeugnis des kommenden Morgens. Sie hat vielleicht zu viel Angst vor der falschen Hoffnung, vor falschem Trost und faulen Frieden. Sie ist sensibilisiert für all die trügerischen Signale der Verdrängung und Verleugnung echten Leids – bei sich und beim Anderen, so dass es ihr manchmal schwer fällt, Heilungsprozesse anzuerkennen. Sie rechnet mit Rückfall, um gewappnet zu sein: sie wagt darum manchmal zu wenig, antizipiert nicht, was sein könnte und dringt nicht vor zu neuen Möglichkeiten, weil sie

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partout nicht drängen möchte. Vielleicht traut sie darum der Eigendynamik des Evangelium zu wenig zu? „Die göttliche Macht des Evangeliums reißt Menschen aus allen Abhängigkeiten heraus: aus der Verhaftung unter dem Gesetz, aus dem Gehorsam gegen Staat und Nation, aus der Prägung durch Kultur und eben auch aus der Abhängigkeit der Familienbande.“(Josuttis 2000, 259. 5 Geheiligter Führer ins Kraftfeld des Heiligen 5.1 Vertreter Manfred Josuttis; Prair counseling; Sakramentale Das Zitat bringt mich zur zweiten seelsorglichen Haltung, die ich vorstellen möchte. Sie ist in gewisser Hinsicht eine Gegenposition. • Ich führe Geschwächte in Kraftfelder des Heiligen, wo sie Stärken empfangen

(energetisch-mystagogische Seelsorge) Das Ich verbinde ich wieder mit einem Namen, ohne damit eine Schule zu definieren oder alle Prämissen zu übernehmen, die der religionsphänomenologische Ansatz macht. Manfred Josuttis „Energetische Seelsorge“ nimmt ernst, daß Paulus Römer 1,16 das Evangelium als eine 'Gotteskraft' bezeichnet. „Das Evangelium ist also keine Lehre, auch kein Kerygma, natürlich auch keine Emotion, sondern es ist eine Macht.“(Josuttis 2000, 40) Die Rolle des Seelsorgers unterscheidet sich wesentlich von der kritischen Poimenik. Wer sich um das Heil der Seelen sorgt, führt andere ins Kraftfeld des Heiligen. Dort werden sie gereinigt, geheiligt, erfüllt und gesendet. Bei Luther entdecken wir einen Zug zum prophetischen. Das ist typisch für den linken Flügel des Christentums. Das Mystagogische verweiste auf andere Traditionen:

- orthodoxe - sakramentale - schamanistische

Nicht die Ohnmacht des Sorgenfalls, sondern die Vollmacht Gottes ist im Zentrum. Daraus leitet sich das Ziel der Seelsorge ab: „Das Ziel aller Bemühungen läßt sich für eine energetische Seelsorge so definieren: Die Macht, die diesen Menschen besetzt hält, soll gebrochen und vertrieben werden. Der Kranke, der Leidende, auch der selbstgerechte oder hochmütige Mensch soll von der atmosphärischen Größe, die seinen Leibraum verfremdet, gereinigt werden.“(Josuttis 2000, 140) Das Bild der Reinigung macht deutlich, dass in diesem Ansatz mit fremden Mächten gerechnet wird. Der Seelsorger trifft nicht nur eine Seele, sondern immer auch seine Besitzer und Besetzer – etwas Drittes, Transsubjektives, das nicht immer begriffen werden kann aber

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manchmal angegriffen werden muss. In diesem Angriff kann sich der Seelsorger auf Gott verlassen, Gott, der als der auferweckte und verherrlichte Christus unangreifbar präsent ist. 5.2 Sorge, Schmerz und Seele Um den eigenen Akzent dieser Poimenik noch etwas deutlicher zu machen, ein Beispiel aus der seelsorglichen Begleitung eines Trauernden. In der von Freud beeinflussten klassischen Trauerseelsorge wird die Trauer als psychische Energie begriffen, die freigelassen werden, damit sie keinen Schaden anrichtet. Für Josuttis stellt sich die Sache etwas anders dar: „Trauer soll als Macht, die Leib und Seele beherrscht, begrenzt und aufgehoben werden. Schon bei der Bestattung beginnt der Weg in die Freude.“(Josuttis 2000, 242) Weicht ihr Trauergeister, es kommt Christus der Freudenmeister – heisst es im Choral. Die energetische Seelsorge versteht und sieht die Seele im Kraftfeld der Mächte, darum „[helfen] nicht die Deutungen […] in der Verzweiflung. Sondern allein jene Kraft, die die Leere, die ein Leben erfüllt, auslöscht und durch wirkliche Lebensfülle ersetzt.“(Josuttis 2000, 103) Damit ist indirekt eine Kritik an der Seelsorge gegeben, die auf nur Sprache in der Dimension des Gesprächs setzt. Seelsorge ist auch Geste, Symbol und Handlung. Das theologische Zentrum der gestischen Handlungen ist das Sakrament. Und das Zentrum des Sakraments – sein energetisches Magnet – ist der Name. „Der Name des Heiligen ist eine Macht. Und wer diesen Namen im zwischenmenschlichen Kontakt einzusetzen wagt, der praktiziert eine Aufladung der interpersonalen Begegnung mit transpersonaler Macht.“(Josuttis 2000, 105) Bei Luther ist das Gegenüber eine Selbst. Gott steckt im Selbst. Steckt vielleicht fest. Oder versteckt sich. Josuttis energetische Poimenik will dieses Selbst nicht psychologisch definieren. Wäre er ein Mensch nur bei sich selbst, ist er verloren. Der Begriff „Seele“ steht für die religiöse Dynamik, in der jeder Mensch verstrickt ist. Jeder Mensch steht vor Gott – ist ein Ebenbild des Höchsten und Träger des Heiligen. Der Mensch ist mehr als Bewußtsein, mehr auch als Subjekt von Trieben und Emotionen, von Werten, Normen und Willenskraft. „Jeder Mensch ist ein spannungsgeladenes Machtfeld, nicht zuletzt in jenem Bereich, den man traditionell Seele und neuzeitlich Psyche nennt. 44 Also kann es auch nicht das Ziel der Seelsorge sein, dass das Gegenüber wieder zu sich selbst kommt oder seine Identität gefestigt wird. „Als Ziel der Seelsorgepraxis kommt jetzt nicht mehr Identität in Frage, sondern jene Konversion, die in allen Lebensbereichen, aber vorrangig in der religiösen Entwicklung abläuft. Das entscheidende Zentrum im Menschen bildet deswegen die Seele und nicht ein so oder so definiertes Selbst […] Weil nicht Identität, sondern Konversion im Zentrum ihrer Aufgabe steht, muß Seelsorge nicht vom Selbst, sondern von der Seele reden.“(Josuttis 2000, 10.90)

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5.3 Gott: Kraft aus der Fülle Die Solidarität mit dem Ohnmächtigen, die in der kritische Poimenik verlangt wird, äussert sich in der energetischen durch eine Zuwendung zum mächtigen Gott. Dieser Gott ist nicht nur ein Wort. Und Seelsorge ist nicht nur Unterhaltung, sondern wesentlich Segen. Nicht der menschliche Rat, sondern die Kraft Gottes wird mitgeteilt – ausgeteilt. Das lässt sich in Josuttis Relativierung der Sinnfrage sehen. Wenn Menschen klagen, Sie sehen in ihrem Leben keinen Sinn, ist das nicht ein Aufruf für einen philosophisches Gespräch. Seelsorge antwortet mit der Geste des Segens: „Die Sinnlosigkeit findet im Akt des Segnens aber nicht einfach ihre Lösung; vielmehr wird diese Leere, die mit atmosphärischer Macht ein menschliches Herz beherrscht, allererst ausgetrieben, damit die Fülle der göttlichen Energien einziehen kann. [...] Der Un-Sinn lauert weiter an den abgründigen Rändern des Lebens, solange, bis man, gehalten von der göttlichen Kraft, selbst das Zeitliche endgültig segnen kann.“(Josuttis 2000, 107) Der Gott, der hier einzieht, ist der Gott, der aus dem Nichts die Welt geschaffen und denn Tod überwunden hat. Es ist der Gott, den die Christen nach Ostern bekennen. 5.4 Stärken und Schwächen Wie die kritische hat auch die energetische Poimenik Stärken und Schwächen. Eine Stärke ist der Einbezug transrationaler Realitäten. Insofern ist die Kritik an der klassischen Seelsorge auch die Erinnerung an die Herkunft der charismatischen Grundlagen des Christentums. Diese kritische Distanz macht sensibel für flache oder reduziertes Verständnis des Mediums, in dem eine seelsorgliche Begegnung stattfindet. „Kommunikation [...] findet immer in einem Kraftfeld statt. Personen, die daran beteiligt sind, agieren nicht nur mit Kopf oder 'Bauch', mit Kognitionen oder Emotionen, sondern sind auch immer energetisch geladen.“(Josuttis 2000, 139) Die Schwäche dieser „geladenen“ Poimenik ist ihre Stärke. Wenn die Fülle der Macht nicht erfahren wird, droht ihr ein Absturz. 5 Teilmächtiger Beistand des Geschwächten 5.1 Vertreter Wenn das nun gleichsam „Extrempositionen“ oder zumindest Pole sind, liegt es nahe, die dritte Position in der Mitte zu verorten. Aber auch die Rolle des teilmächtigen Beistands ist ein eigenständiger Standpunkt und nicht nur Kompromiss, den wir in der Verarbeitung des Gotteskomplexes gemacht haben. Am deutlichsten wird das durch die überaus wichtige Funktion, die der Sprache zugestanden wird. Es ist kein Zufall, sucht und findet diese seelsorgliche Ansatz Anschluss bei der hermeneutischen Theologie. In Scharfenbergs Klassiker – der Einführung in die Pastoraltheologie – ist das offensichtlich. Wenn Josuttis gegenüber der Sinnsuche und Selbstfixierung skeptisch ist, macht Luthers Ansatz sensibel für die Gefahr des besserwisserischen Vielredners. Der teilmächtige Ansatz weiss um diese Gefahren, setzt aber den Akzent dennoch bei der Sprache. Denn Sprechen ist etwas, das ich aus eigener Kraft tue, mir aber auch Kräfte verleiht. Sprechen verbindet mit der säkularen Welt. Im Unterschied zu religiösen Praktiken wie Beten, Segnen oder Salben, ist

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das Gespräch Brücke der Verständigung. In der energetischen Seelsorge ist die Teilmacht, die ich von Gott bekomme, weniger an den Sinn gebunden als hier. Verständigung und Erklärung ist darum wichtig. Wenn ich das Selbstverständnis dieser Seelsorge auf einen Satz bringen müsste, würde der in etwa so lauten: • Ich höre auf die Not meines Gegenübers, nehme Anteil und tröste ihn/sie (therapeutisch-

dialogische Seelsorge) 5.2 Sorge, Schmerz und Seele Der Unterschied zur kritischen Poimenik lässt sich am besten anhand des Umgangs mit dem Schmerz darlegen. Der teilmächtige Seelsorger sieht keinen Sinn darin, Leiden theologisch zu überhöhen oder gar zu verklären. In erster Linie ist die Seelsorge da, Schmerzen zu vermindern. Leiden kann man zwar nicht aus der Welt schaffen. Aber mit der Hilfe der Seelsorge gelingt es vielleicht, einer belastenden Situation etwas abzugewinnen und die Gewissheit wieder zu erlangen. „Leiden und Schmerzen sind besser zu bewältigen, wenn man darin nicht allein gelassen wird, wenn man (begrenzte) Solidarität und Anteilnahme erfährt.“(Klessmann 2008, 339) Schon Schleiermacher hat betont, dass Seelsorge erst dann interveniert, wenn Christen nicht mehr selbständig agieren, wenn sie lebensmüde sind, obwohl sie noch eine Aufgabe hätten. Darum hat diese Seelsorge auch eine offene Tür zur Therapie und Psychiatrie – im Bewusstsein der eigenen Aufgabe sieht man auch Schnittstellen. Die kritische Poimenik und die energetische Poimenik halten zum therapeutischen Selbstverständnis dieses Seelsorgeansatzes Distanz. Josuttis versteht den Seelsorger priesterlich, Luther eher prophetisch. Dazu ein Zitat: „Alltagssorge sorgt sich um das Gelingen der Anpassung an die konventionalen, gesellschaftlich normierten Verhaltenserwartungen. Krankheit und Therapiebedürftigkeit werden – vor dem Hintergrund der Alltagssorge – dort akut, wo diese Anpassung nicht gelingt, wo der Einzelne aus dem Rahmen fällt“(Luther 1992, 227) Die therapeutische Poimenik setzt den Akzent stärker auf der Wiedereingliederung, weil sie in der Institution verankert ist, die Teil der Zivilgesellschaft ist. Sei es im Spital oder in der Gemeinde – die grössere Gemeinschaft, in die eingegliedert ist, ist weder die communio sanctorum noch die Kontrastgesellschaft des christlichen Patientenkollektivs. Seelsorger dieser Couleur identifizieren sich mit der Rolle des Helfers. Das gilt in noch höherem Masse für die institutionelle Seelsorge. Im Spital ist die Seelsorge zusammen mit Pflegenden und Medizinern eingebunden ist in ein Care-System. Diese Seelsorge ist integrativ, interdisziplinär und doch eigenständig. Das lässt sich schön zeigen am Umgang mit Schmerz: „Pain management from a pastoral-personal-spiritual perspective looks to the future with three desired developments in mind. First, in the treatment of persons in pain, the healthcare community will move from a disease/treatment-based model to a person-based model. In other words, we need to ask 'who is this person with pain and how do we help the person as much as the pain?' Second, healthcare providers will move from 'telling' to honoring the

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hurting person. This reestablishes her or his autonomy, dignity and collaboration. And, third, the different roles of the healthcare team will move from the 'symbiotic-collaborative' approaches to pain management. This means that the various components of the reality of pain and the various caregivers for the person with pain are truly unique and distinct, yet are related in a benefical manner.“(Ledbetter 2001, 387) Ich vermute, dass die meisten unter uns zu diesem Ansatz neigen. Es ist der Ansatz der professionellen Seelsorge. Etabliert und bewährt. Zur Professionalität gehört die Kompetenz der Unterscheidung. Die Unterscheidung zwischen Leiden und Schmerz, aber auch Schuld und Schuldgefühlen. Zur Professionalität gehört die Selbstreflexivität, die zwischen hilflosem und reflektiertem Helfen zu differenzieren weiss. Ich bin wir der groben Vereinfachung bewusst, wenn ich die unterschiedlichsten Ansätze der Seelsorgebewegung in diesen Topf werfe und als gemeinsamen Nenner die Teilmacht des Therapeutischen wähle. 5.3 Christus ist das Wort Gottes Um die Differenzen etwas schärfer zu machen, muss das Selbstverständnis der Seelsorge ins Zentrum rücken. In der energetischen Poimenik wird Macht ausgeübt. Ich greife ein Beispiel auf, das in der biblischen Literatur häufig anzutreffen und in der interkulturellen Seelsorge zu reden gibt: den Exorzismus. „Das Böse ist jene Macht, aus der das Evangelium die Erwählten befreit und von der sich die Berufenen im Prozeß der Heiligung andauernd und erneut befreien.“(Josuttis 2000, 187) Für den therapeutischen Ansatz wäre eine solche Einstellung sehr problematisch und gefährlich. „Dass sich Menschen […] von dämonischen Mächten bedroht oder sogar besetzt fühlen, ist ein ernstzunehmendes Phänomen, dessen Symbolsprache es zu entschlüsseln gilt, um effektiv helfen, sprich Menschen ihr Begnadet- und Erlöstsein spürbar machen zu können. Seelsorge trägt [...] nicht wirklich zur Ent-Mächtigung von Dämonen und Satan bei. Ein derartiger Macht-Akt kann nur von Gott selbst vorgenommen werden. [...] Der Beitrag der Seelsorge zur Ent-Mächtigung der Dämonen ist daher 'nur' der, dass anderen Menschen diese Realität als befreiende Erfahrung spürbar gemacht werden kann.“(Nauer 2007, 129.163) Deutlich wird aus diesem Zitat, worauf der therapeutische Ansatz zählt: auf die Macht des Wortes. Gott ist für uns nicht energeia oder dynamis sondern in erster Linie logos theo. Wir haben ihn nur in dieser Gestalt: als Zeugnis, als Geschichte, als Bericht. Das soll unsere Sorge sein, wie wir dem Menschen in der Bedrängnis die gute Botschaft ausrichten können. Denn „Absolute Sorge für den anderen ist nur Gott möglich. SeelsorgerInnen stehen vor der Aufgabe, die Hingabekomponente und die Abgrenzungskomponente in ein flexibles Gleichgewicht zu bringen: gemeint sind Hingabe ohne Preisgabe und Abgrenzung ohne Selbstsucht.“(Jacobs 2002, 249 zit. nach Nauer 2007, 266) 5.4 Stärken und Schwächen

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Die Stärke dieser Verortung der seelsorglichen Verständigung ist offensichtlich: Ich kann mich verständlich mitteilen. Was ich mache, bleibt kommunizierbar innerhalb einer Umwelt, die einer medizinischen Rationalität gehorcht. Seelsorge ist Teil des Gesundheitswesens. Sie sorgt für das Innen und bleibt im Kontakt mit den anderen Agenten. Exemplarisch ist die Auseinandersetzung der Seelsorge mit der Sinnfrage. Die Schwäche dieses Ansatzes ist: das machen andere auch! Die Nähe zur Psychologie bringt Abgrenzungsschwierigkeiten. Wenn Gott Logos ist und der Logos verständlich, fällt es schwer, das Skandal des Kreuzes zu kommunizieren. Es entsteht dann ein Sog. Für die Kranken braucht es Seelenärzte und für die Angeschlagenen Therapeuten. So richtig zuständig ist die Seelsorge nur gerade für die Sterbenden. Weil die religiöse Not nicht vordergründig oder nicht explizit geäussert wird, ist die therapeutische Seelsorge permanent unter Begründungszwang. Die dialogische und auf Verständigung ausgerichtete Seelsorge muss ständig damit kämpfen, dass sie in eine paradoxe Selbstbegründungsstrategie hineingerät: Im Spital braucht es uns Seelsorger, weil wir Spezialisten fürs Religiöse sind, aber wir betonen, dass in der Seelsorge vor allem ein offenes Ohr fürs Menschliche nötig ist. Die meisten Menschen brauchen einen Zuhörer und nicht einen Verkündiger oder Sakramentspender. In eine zweite Verlegenheit gerät dieser Ansatz, wenn die Empfänger der Seelsorge nicht mehr ansprechbar sind. Dann fällt das wichtigste Instrument – das Medium, in dem Gott mitgeteilt wird – weg. Wolfgang Drechsel, mein Heidelberger Kollege, hat das verschiedentlich sehr scharf analysiert. Ein prominentes Beispiel sind die Demenzkranken. Sie lösen auch beim redseligen Seelsorger einen horror vacui aus. Das Erlebnis der Grenzen seiner Sprachmacht kann den Helfer hilflos machen. 6 Umgang mit Typologien Ich komme zum Schluss. Was ich Ihnen geboten habe, ist ein relativ simples Koordinatensystem. Für OL-Läufer an der Grenze des Tragbaren: 1:100'000. Man darf durchaus fantasieren, wie man es verfeinern und anschaulich gestalten könnte. Ich habe mich von der Politik anregen lassen. Da gibt es auch eine Dreier-Konstellation: Rechts, Links und Mitte. Der entscheidende Punkt ist die Rolle und Funktion der Staatsmacht. Im Wahlkampf geht es aber auch um Personen. Ein Kandidat ist immer anders und mehr als eine Position. Es gibt ja auch viele Einzelfragen, bei denen das rechts-links-mitte-Schema versagt. Und doch wollen wir gerne erfahren, wo einer steht. Für dieses politische Programm haben Tüftler den Smartspider entwickelt. Smartspider von Didier Burkhalter:

Smartspider von Urs Schwaller:

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Jay E. Adams

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energetisch-mystagogische Poimenik

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Dialogisch-therapeutische Poimenik

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Wo stehen die Menschen, denen wir begegnen? Notizen Einleitend Wer sind wir als Seelsorger? Wofür stehen wir? Das ist die eine Seite. Wer sind die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, die andere. Menschen kommen nicht mit dem Katechismus ins Spital/Heim. Das wissen wir. Es herrscht die Heterogenität. Gibt es dennoch Muster im Patchwork? Und wie gehen die vorgestellten drei seelsorglichen Konzepte mit Heterogenität um? Das sind Fragen, die ich im folgenden traktiere. Um den Anschluss an das gestern referierte zu finden, folgendes Zitat: „Es gibt tausendfaches Leiden, das wie ein Unglück über die Menschen herfällt und sie ohnmächtig niederschlägt. Solches Leiden erlaubt keinen Ausweg, sondern wird als machtvolles Geschehen erfahren, das einen Menschen passiv triff und unter Umständen zur Verzweiflung treibt. [...] Aber in vielen Fällen wird ein Leiden nicht nur passiv empfunden, sondern geht mit einer aktiven Auseinandersetzung der Betroffenen einher. Das Leid ist dann nicht nur etwas, das einfach passiert. Es bekommt als Leidensakt auch reflexiven Charakter. Es führt zu einer Stellungnahme zu sich selbst. Es geht über das unmittelbare Betroffenwerden hinaus und schließt eine Haltung und ein Verhalten zu sich und zur Welt ein.“(Hell 2005, 63 Wie Menschen sich im Leid verhalten – und welche Einstellung dann zu Tage tritt – das will ich in drei Schritten entfalten:

1. Sonderfallstudie – Soziologisches 2. Von Fall zu Fall – Methodisches 3. Typen des Leidens – Theologisches

1 Sonderfallstudie – Soziologisches 1.1 Was ist ein Sonderfall? Vorbemerkung. Die Evolution kennt Individuen, Arten und Gattungen. Das gilt auch für die Kultur und für religiöse Welt. Wir haben es in der Seelsorge einerseits mit individuellen Schicksalen zu tun. Das heisst im wörtlichen Sinn: unteilbar. Die letzte „Einheit“, auf die ein Mensch geworfen ist. Dieses Zurückgeworfen sein auf sich selbst ist in konkreten Fall keine Ganzheits- oder Einheiterfahrung. Wir reden von der Erfahrung der Bodenlosigkeit. Das Versinken im Morast. Oder vom Elend: Dem Herausgerissenwerden aus dem Vertrauten. Dem Zerbrechen: der Brucherfahrung. Das sind alles typische Erfahrungen.

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Um unser Gegenüber zu verstehen, versuchen wir seine Geschichte zu verstehen. Woher kommt unser Sorgenfall? Wohin will er gehen? Wohin muss er gehen? Wie kann ich ihn begleiten? Dazu muss ich das Untypische im Typischen zu erkennen, das Einzigartige im Ähnlichen. Das heisst: ich versuche das Unteilbare wieder teilbar – mitteilbar – zu machen. Ich will teil haben, Anteilnahme zeigen und leben. Das hat eine theologische Bedeutung. Ich glaube, dass Jesus Christus an jedem einzelnen Schicksal teilnimmt. Die Dogmatik des Glaubens gibt einen Schlüssel vor – besser: ein ganzes Schlüsselset – um den Sonderfall in die grössere Heilsgeschichte einzuordnen. Zum Beispiel sind alle Menschen typischerweise Sünder. Paulus definiert sie die Sünde als spezifische Differenz des Menschlichen oder eben auch des Unmenschlichen. Emil Brunner brachte es einmal auf die lapidare Formel: Nur Menschen können Unmenschen sein. Es gibt keine Unfüchse. Nun ist bekannt: nicht jeder weiss Bescheid über diese Typik oder glaubt daran. Das heisst: weder spürt er Schuld, noch bereut er sie noch sucht erden Trost der Absolution. Lange Zeit war ja Seelsorge konzentriert, aber eben auch reduziert und limitiert auf den Bussakt. Hell schreibt als Arzt: „Es gibt tausendfaches Leiden, das wie ein Unglück über die Menschen herfällt und sie ohnmächtig niederschlägt. … in vielen Fällen wird ein Leiden nicht nur passiv empfunden, sondern geht mit einer aktiven Auseinandersetzung der Betroffenen einher. Das heisst: die ausseralltägliche Situation lässt etwas aufbrechen, Dinge, die unsere Gegenüber gar nicht gewusst hat, es kommt vielleicht etwas Neues. Eine Art Häutung findet statt. Panzer sprengen. Das lässt sich nicht nur an Schuld und Vergebung denken, sondern auch an Sinn und Identitätsentwicklung, an Individuation. [Zwischenbemerkung: Tillich und Erikson] 1.2 Seelsorge als sonderbare Einstellung Seelsorge hiess aber immer und zu allen Zeiten auch geistliche Begleitung. Mein Gegenüber ist im Prozess der Selbstwerdung aus der Bahn geworfen und vielleicht gerade darum auf Grund gestossen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Grund erkennbar zu machen und Menschen daran zu erinnern: du bist getauft und erfüllt. Die Seele, die sich in dir regt, ist Leben. Alles was in mir ist, richtet sich auf Gott und kann von ihm, der Quelle des Lebens, nie genug haben. Dass wir das sehen, macht uns zu Sonderlingen in der Welt der Betreuung und Begleitung. Manfred Josuttis arbeitet mit spitzen Werkzeug das Befremdliche an unserem Menschenbild heraus: „Die Seele ist das Energiezentrum im Menschen, das auf Gott hin orientiert ist, das von der Sünde verkehrt und von der Macht Gottes zum ewigen Leben befreit wird. Zur Seele gehört nicht nur eine Binnenstruktur [...]. Sie ist auch nicht nur auf die soziale Umwelt bezogen, auf den Einfluß der Eltern, auf das Verhältnis zu anderen, auf die Rolle in der Gesellschaft. Der Mensch als Seele seines Leibes lebt in Gottes guter Schöpfung, von den Mächten des Bösen bedroht, von der Macht des Heiligen Geistes mit der Kraft zum Leben erfüllbar.“(Josuttis 2000, 93)

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Wir sehen, was wir ins Visier nehmen. Seelsorge liefert Interpretationsperspektiven, die Menschen deutet. Wir sehen, was unsere Deutungen uns in einer Begegnung entdecken oder sehen nicht, was sie verdecken. Bereiche der Seelsorge Schuld und Vergebung: Sakramentale/kerygmatische Seelsorge Leitung und Begleitung: Geistliche/beratende Begleitung Beistand und Erste Hilfe: Notfallseelsorge Die Themenbereiche überschneiden sich – das ist klar. Aber es ist nicht immer klar, was dran ist, wo der Mensch steht, wie wir den Menschen, der vor uns ist, verorten sollen. Als verlorenen Sohn? Als neidischen Bruder? Als überspannten Frömmler? Als elenden Hiob? Das ist nicht klar. Denn unsere Sorgenfälle können das – aus ganz unterschiedlichen Gründen – nicht mitteilen. Dann kann unser Typik den Fall nicht orten. Ich komme auf diese Schwierigkeit zurück. Sie ist so etwas wie der rote Faden. Ich möchte Ihnen nun aber zuerst ein paar Daten präsentieren, die noch einmal mehr Distanz schaffen. Religionssoziologische Untersuchung vermitteln uns ein Bild der religiösen Landschaft. Sie sind absolut nichtssagend für die konkrete Begegnung. Aber sie zeichnen ein Bild von der ideologischen Selbstverortungen, die in der Bevölkerung herrschen. 1.3 Daten und Folien siehe ppp 2 Von Fall zu Fall – Methodisches 2.1 Offen bleiben für Offenbarungen Wo steht mein Gegenüber? Wer sind die Sorgenfälle? So fragen wir und das Ziel ist: Menschen besser zu verstehen. Aber wie macht man das? Wie geht das? Sicher nicht mit religionssoziologischen Gattungsbegriffen. Denn wir begegnen Menschen. Die Pointe daran: Was wir vom Andern erkennen, ist ein Mix von Wissen. Professionswissen ist Erfahrungswissen, Intuitionswissen auf dem Hintergrund theoretisches Wissens. Spannend ist, wie der Mix zusammenkommt. Klar: Erfahrung macht die Meisterin. Aber Erfahrung ist nicht Routine oder Handwerk. Wir wissen aber nicht genau, wie wir uns am Ende ins Bild setzen. Da spielen andere Formen von Geistesgegenwart hinein, die sich beschreiben, aber nicht erforschen lassen. Tatsächlich gibt es ganz weniges zu lesen über dieses fundamentale Problem an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis. Bei der Klärung des Falls spielt eine methodische Kompetenz, die sich in der Wiederholung anreichert, aber nur dann, wenn die seelsorgende Person am Lernen ist und nicht zu routiniert agiert, wenn sie neugierig und offen bleibt für Überraschungen. Ich finde die kritische Poimenik besonders hilfreich, um in dieser Hinsicht sensibel zu bleiben. Dazu gehört auch das Gespür für die Situation, in der Menschen im Leid geraten. Es sind Offenbarungsmomente. Luther sagt es so:

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„Während das Ich sich in der Routine des Alltags mit seinem sozialen Ich identifizieren kann, bricht diese Identität an den Schwellensituationen auseinander. Das Ich erfährt sich als Differenz. Das Ich wird sich fraglich. Diese Differenzerfahrung macht das einzelne Subjekt entweder im Modus des Schmerzes oder im Modus der Sehnsucht. [...] Schmerz und Sehnsucht sind radikal subjektive Gefühle, die die Möglichkeit und das Gelingen von Subjektivität selbst zum Inhalt haben.“(Luther 1992, 249) Luther sieht Schmerz und Sehnsucht als Geschwister. In beiden kommt die Ahnung zu Bewußtsein, daß wir uns auf dieser Erde nicht ganz zu Hause fühlen. 2.2 Typen unterscheiden und Beispiele erinnern Etwas prosaischer: Aus der Erfahrung eine Lehre ziehen heisst im konkreten Fall, dass ich erkenne, wer mein Gegenüber ist und wo es steht. Habe ich es mit einem suizidalen Menschen zu tun? Oder mit einer „eingebildeten Kranken“? Das ist auch aber eben nicht nur präzise Intuition, die das Untypische im Typischen erkennt. Ich habe meine Raster. Aber mir fallen auch die Ausnahmen ein, die Überraschen, gute wie böse. Wir haben also die Fähigkeit, Gleiches zu erkennen, aber auch das Beispielhafte des Falls gespeichert. Typen unterscheiden hilft, von Fall zu Fall Gleiches oder Ähnliches wieder zu erkennen, um den Sonderfall differenziert wahrzunehmen. Sich Beispielhaftes in Erinnerung rufen hilft, bewährte Handlungsmuster probeweise auszuprobieren. Weder gibt es das Schulbeispiel noch den typischen Fall. Das sind die ausgestopften Präparate. Modelle. Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Mit anderen Worten: wir arbeiten nicht deduktiv sondern dedektivisch. Wir schliessen nicht von der Regel auf den Fall. Was in der Regel gilt, hilft dem Sorgenfall nicht. Wir schliessen vom Fall auf eine Regel. Wir erschliessen den Fall. Wir wollen wissen, was der Fall ist, um ihn aufzulösen, die Sorge los zu werden. Und das macht Seelsorge spannend. Bei Piper heisst es, wir bleiben ohnmächtig. Paulus sagt schwach. Da möchte ich denn auch einhaken. Denn wir können den Sorgenfall nicht lösen. Das beginnt schon dort, wo wir wissen möchten, wo unser Gegenüber steht. Wie es ihm oder ihr geht. In dieser simplen und gedankenlosen Frage steckt alles drin. Wie geht es Dir? Was passiert mit Dir? Was geschieht an Dir? Was mit Dir los? Wenn die andere Person das mitteilen könnten, wäre schon ein Teil der Last – wohl der grösste – von ihr weggenommen. Unsere Aufgabe ist es, zu dieser Entlastung beizutragen. Und zwar so, dass der Sorgenfall sich ausspricht. Eine messerscharfe Analyse von uns hilft da wenig. Dazu Instrumente zu liefern, ist das grosse Plus der Gesprächsbasierten Seelsorge. Die Mittel der Investigation, die uns zur Verfügung stehen:

- das genaue Beobachten des Anderen und seiner selbst - Hinhören und Ordnen - die betende Kopräsenz

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Ich könnte fortfahren und würde bei einer ausgebauten Seelsorgelehre landen. Ich will nur auf diesen Punkt hinaus: Niemand von uns kann diese Instrumente fein säuberlich auseinander halten und nebeneinander legen. Es fliesst Eins ins Andere. Und doch ist es nicht ein „Chaos“, sondern eine Ordnung. Eben da spielt die theologische Typenbildung eine wichtige Rolle. Wir nehmen, wenn wir den Menschen vor uns hören und sehen, nicht irgendeinen Pappkameraden wahr. Vor uns ist eine Seele. Ein Tempel des Heiligen Geistes. Vielleicht leer, vielleicht verschandelt, vielleicht in Ruinen. ein Tempel. Oder mit dem bekannteren Gleichnis: ein Ebenbild Gottes. „Wenn 'Seele' nach biblischem Verständnis Lebendigkeit meint, dann gehört sicher alles, was von der Pneumatologie her zum Leben gesagt ist, zum Profil des Begriffs. Doch das, was da gesagt ist, gilt eben beileibe nicht erst für das Jenseits, sondern will hier lebendig erfahren werden, so wahr das Wort 'Fleisch ward' und die 'Rechtfertigung des Sünders' hier und heute gilt.“(Eberhardt 1990, 53) Was immer mit dem Sorgenfall los ist: meine Aufgabe ist es, ihn nicht losgelöst von dieser seiner Verankerung und Würde in Gottes Geheimnis wahr – und ernst zu nehmen. Ich möchte das ein wenig vertiefen und gleichzeitig mit einer Typologie vereinfachen. 3 Typen des Leidens – Theologisches und Anthropologisches Ich formuliere Sätze in Entsprechung zur kritischen, energetischen und therapeutischen Poimenik. Damit ist sozusagen im Nachtrag noch einmal etwas zum Stärken- und Schwächenprofil der poimenischen Ansätze gesagt. • Ich bin solidarisch mit dem Geschundenen und teile seine Ohnmacht (diakonisch-

solidarische Seelsorge) ICH BIN (NICHT) OHNMÄCHTIG • Ich führe Geschwächte in Kraftfelder des Heiligen, wo sie Stärken empfangen

(energetisch-mystagogische Seelsorge) ICH LIEFERE MICH (NICHT) AUS. • Ich höre auf die Not meines Gegenübers, nehme Anteil und tröste ihn/sie (therapeutisch-

dialogische Seelsorge) ICH WEISS MIR (NICHT)ZU HELFEN. Was wir aus und in den Geschichten hören, sind Aussagen – die so nicht gemacht werden! Sie sind das Ergebnis unserer Interpretation. Wir legen Geschichten aus mit allen Regeln der Kunst. Diese drei Grundaussagen sind so etwas wie die Grammatik einer poimenischen Hermeneutik.

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Im Dialekt sagen wir: „Es isch ohnmächtig.“ Das ist eine Klage oder ein Fluch. Josuttis behauptet: „Nicht mehr Schuld-, sondern Ohnmachtsgefühle bilden ein wesentliches Moment heutiger Identitätskrisen.“(Josuttis 2000, 182) Ich denke, das trifft zu, ist aber zu differenzieren (genauso sorgfältig wie man auch Schuldgefühle unterscheiden soll). Sucht mein Gegenüber jemand, der hilft und sagt: „steh auf von den Toten!“, oder sehnt er sich danach, das erlösende Wort zu sprechen – „nun lässest Du Deinen Diener gehen!“ oder zu fordern: „ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn!“? Ich sehe den Mitmensch in einem Prozess, sehe ihn auf seiner Lebensreise und versuche seine Verzweiflung zu verstehen: sein Straucheln und merke vielleicht: es geht zu Ende. Oder ich sehe einen Menschen, der seine Potentiale nicht ausschöpft und Unterstützung braucht, um wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Was immer ich sehe, ich vertraue darauf, dass es mir gezeigt wird! „In der professionellen Sorge an der Seele wirkt – manchmal, immer? – eine Kraft, die für die Beteiligten unbekannt, mindestens unverfügbar bleibt.“ Josuttis 2000, 28

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Anhang: Locus-of-Control-Theorie In diesem Annex stelle ich die “Locus-of-control-Theorie” vor. Es geht mir darum, der Machtthematik einen(sozial)-psychologischen Theorierahmen zu geben. Ich hatte zu wenige Zeit, die Theoriestränge auf befriedigende Weise zu verknüpfen bzw. ich sehe noch zu wenig klar, wie man die theologische Machtmodelle mit dem psychologischen kombiniert. Aber ich „spüre“, dass es sich lohnt hier weiter zu denken. Deshalb hänge ich diese Gedanken ungeordnet und unsystematisch an. Die Theorie des „Locus of Control“ ist in der Psychologie im Bereich der Persönlichkeitsforschung seit den 1950er Jahren etabliert. Sie wurde erstmals 1954 von Julian Rotter formuliert und angewandt.5

„Locus of Control“ bezieht sich auf die Art und Weise wie ein Individuum die Geschehnisse in seinem Leben hinsichtlich ihrer Ursachen wahrnimmt und deutet – oder einfacher: „Glaubst/denkst du, dass du dein Leben und seinen Verlauf selber in der Hand hast oder dass es durch äussere Faktoren/Kräfte/Mächte (Schicksal, Gott oder sonstige einflussreiche Kräfte/Menschen) kontrolliert wird?“

Es wird unterschieden in „External Locus of Control“ und „Internal Locus of Control“: „A locus of control orientation is a belief about whether outcomes of our actions are contingent on what we do (internal control orientation) or on events outside our personal control (external control orientation.“ (Zimbardo, 1985, s. 275) Der „Locus of Control“ bezeichnet ein Kontinuum, das sich von external zu internal erstreckt:

External Locus of Control Das Individuum glaubt, dass sein/ihr Leben/Verhalten durch Faktoren wie Schicksal, Glück oder sonstige äussere Umstände bestimmt wird.

Internal Locus of Control Das Individuum glaubt, das sein/ihr Leben/Verhalten durch seine/ihre persönlichen Entscheide und Anstrengungen bestimmt wird.

Das Konzept ist nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen, Individuen bewegen sich auf einem Kontinuum zwischen den beiden Polen und ihr „Locus of Control“ kann sich je nach Lebensbereich, Alter, Umstände etc. verändern. Die Biographie (Sozialisation, Erfahrungen, Lernprozesse) eines Menschen ist dabei von grosser Bedeutung (Schultz, D.P. & Schultz, S.E. (2005). Theories of Personality, Wadsworth). Eine weitere damit in Beziehung stehende Kategorie ist die Erwartungshaltung eines Menschen, die nicht nur seine Wahrnehmung, 5 Rotter, J.B. (1954). Social learning and clinical psychology. New York: Prentice-Hall ; ders. (1966). Generalized expectancies of internal versus external control of reinforcements. Psychological Monographs, 80 (whole no. 609 ; ders. (1975). Some problems and misconceptions related to the construct of internal versus external control of reinforcement. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 43, 56-67; ders. (1990). Internal versus external control of reinforcement: A case history of a variable. American Psychologist, 45, 489-493).

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sondern auch seine Handlungen mitbestimmt. Zugewandte Kategorien: Selbstwirksamkeit (self-efficacy), Coping, Erwartungshaltung, social learning Anwendung Richard Kahoe hat ein bedeutendes religionspsychologisches Buch veröffentlich, in dem er die These aufstellte, dass intrinsich-motivierte Religion/Religiosität positiv, extrinsisch-motivierte Religion/Religiosität jedoch negativ korreliere mit dem Internal Locus of Control.6

Für die Gesundheits- und die Religionspsychologie von Bedeutung ist auch das Buch von Holt et al. (Holt, C.L., Clark, E.M., Kreuter, M.W. & Rubio, D. (2003). Spiritual Health locus of control and cancer beliefs among urban African American women. Health Psychology, 22 (3) 294-299), die ein Frageraster entwickelten für die Untersuchung der sog. „spiritual health locus of control“. Dabei unterschieden sie zwischen einer aktiven „spiritual health locus of control“, bei der z.B. "God empowers the individual to take healthy actions“ (s. 294) und einer passiven „spiritual health locus of control“, bei der die Individuen ihre Gesundheit ganz Gott überlassen. Auch in Altersstudien wurde auf das Konzept zurückgegriffen, indem z.B. untersucht wurde, ob sich mit zunehmendem Alter der Schwerpunkt vom „External Locus of Control“ zum „Internal Locus of Control“ verschiebt oder vice versa (Schultz, D.P. & Schultz, S.E. (2005). Theories of Personality, Wadsworth).

Für die Seelsorge scheint mir die Unterscheidung benigner und maligner Effekte von Religiosität absolut zentral zu sein. Wie bestimmen Menschen ihre Abhängigkeit – vom Schicksal, von der Gesundheit, von Gott, von Menschen? Wie viel Gestaltungsraum lässt ihnen ihre „Religion“? Was kann ich als Seelsorger tun, um ungesunde in heilsame Abhängigkeitserfahrungen zu wandeln? Theologisch gesprochen: sich Gott ausliefern muss nicht heissen, in totale Passivität zu fallen! Jesus fragt den Blinden: Was willst du, soll ich Dir tun? Seelsorge heisst, Menschen zu ermutigen, auf diese Frage eine Antwort zu geben.

6 Kahoe, R. (1974. "Personality and achievement correlates of intrinsic and extrinsic religious orientations", in : Journal of Personality and Social Psychology 29, 812-818 ; siehe auch Jackson, L. E. and Coursey, R. D. « The Relationsschip of God Control and Internal Locus of Control to Intrinsic Religious Motivation, coping and Purpose in Life », in : Journal for the Scientific Study of Religion (1988), vol. 27, no. 3, S. 399-410).

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Literaturverzeichnis

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Gestrich, Reinhold. 1987. Am Krankenbett : Seelsorge in d. Klinik. Stuttgart. Hell, Daniel. 2003. Seelenhunger : der fühlende Mensch und die Wissenschaften vom Leben.

Bern. Ders. 2005. Aufschwung für die Seele : Wege innerer Befreiung. Orig.-Ausg. Freiburg im

Breisgau/Basel/Wien. Eberhardt, Hermann. 1990. Praktische Seel-Sorge-Theologie : Entwurf einer Seelsorge-Lehre

im Horizont von Bibel und Erfahrung. Bielefeld. Jacobs, C., 2002. Mit der ganzen Person. Das Leid der anderen als Herausforderung an

SeelsorgerInnen, Theologisch-praktische Quartalszeitschrift, 150 (3), 239-251. Josuttis, M., 1993. Petrus, die Kirche und die verdammte Macht, Stuttgart. Josuttis, Manfred. 2000. Segenskräfte. Potentiale einer energetischen Seelsorge. Gütersloh. Klessmann, M., 2004. Pastoralpsychologie : ein Lehrbuch, Neukirchen-Vluyn. Ders. 2008. Seelsorge Begleitung, Begegnung, Lebensdeutung im Horizont des christlichen

Glaubens ein Lehrbuch. Neukirchen-Vluyn. Ledbetter, T., 2001. A pastoral perspective on pain management. Journal for Pastoral Care,

55(4), 379-87. Luther, H., 1992. Religion und Alltag : Bausteine zu einer praktischen Theologie des Subjekts,

Stuttgart. Nauer, Doris. 2007. Seelsorge : Sorge um die Seele. Stuttgart. Morgenthaler, Chr., 2009, Seelsorge. Gütersloh Schmidt, E., 2004. Beraten mit Kontakt : Handbuch fu r Gemeinde- und

Organisationsberatung, Offenbach am Main. Stollberg, D., 1979, Helfen heißt Herrschen. Zum Problem seelsorgerlicher Hilfe in der

Kirche, WuD (15). Winkler, K., 2000. Seelsorge 2. Aufl., Berlin. Wolff, H., 1973. Anthropologie des Alten Testaments, München Ziemer, J., 2000. Seelsorgelehre. Eine Einführung, Göttingen.

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Wie religiös sind SchweizerInnen?

Campiche (2004)* unterscheidet zwischen institutioneller und universaler Religiosität.

Institutionelle Religiosität wird vorwiegend im Verhältnis zu den beiden traditionellen Kirchen gelebt.

Universale Religiosität ist weniger fassbar und findet ihren Ausdruck in persönlichen Zugängen und Umgangsformen.

* Roland J. Campiche, Die zwei Gesichter der Religion: Faszination und Entzauberung, Zürich 2004.

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Wie kirchlich sind SchweizerInnen?

Volkszählung (2000): 77,1% der Wohnbevölkerung sind Mitglieder der römisch-katholischen oder der evanglisch-reformierten Kirche(n).

Problem: Es gibt grosse Unterschiede im Bezug zu den Kirchen!

Der Kirchenbezug ist nicht messbar am „Kirchgang“ oder an der Teilnahme bei kirchlichen Veranstaltungen, sondern am Habitus, den unterschiedlichen Mitgliedschaftsmotiven, die Menschen gegenüber den Kirchen haben.

Quelle: Campiche (2004), 129ff.

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Mitgliedschaftsmotive (Auswahl)

1999 1989

64% 61%

69% 71%

50% 47%Ich kann auch ohne Kirche an Gott glauben

86% 91%

Die Kirche vertritt Werte, die mir persönlich wichtig sind Die Kirche spielt in der Kindererziehung eine wichtige Rolle

Man kann nie sagen, ob man die Kirche einmal nötig haben wird

Quelle: Campiche (2004), 135.

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Mitgliedschaftstypen (1999)

stark sozialisiert <------> schwach sozialisiert

Die beiden mittleren Typen (zusammen 53.9 %) geben als Haupt-grund für die Mitgliedschaft die „Riten“ bei den Lebenswenden an.

Quelle: Campiche (2004), 139.

1) institutionell 2) rituell mit hoher Kirchlichkeit

3) rituell mit loser Kirchlichkeit

4) generalisiert0%

3%

5%8%

10%

13%15%

18%

20%23%

25%

28%30%

33%

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Entwicklung der Anzahl Konfessionsloser 1960 bis 2000

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Austrittsneigung nach Alter

Quelle: Campiche (2004), 169.

16-25 26-35 36-45 46-55 56-65 66-750%

3%

5%

8%

10%

13%

15%

18%

20%

23%

25%

28%

30%

33%

35%

38%

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Austrittsneigung nach Bildung

Quelle: Campiche (2004), 170.

Realschule Sekun-darschule

Berufslehre Matura Meisterprü -fung

Fach-hochschu -

Uni0%3%5%8%

10%13%15%18%20%23%25%28%30%33%35%38%40%43%

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Gebetspraxis

markanter Anstieg von 1989 auf 1999

nur eine Minderheit der Menschen, die in schwierigen Situationen beten, beten auch sonst

gemeinsam gebetet wird mehr als doppelt so häufig in Familien mit Kindern unter 12 Jahren

1999 1989betet (allgemein) 90% 82%betet allein 76% 67%betet in Gruppen 40% 35%am Tisch, beim Essen 20% 18%am Abend mit Kindern 25% 22%in schwierigen Lebenssituationen 75% 50%

Quelle: Campiche (2004), 185.

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Gottglaube

Quelle: Campiche (2004), 98.

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„Parareligiöse“ Praktiken

Quelle: Campiche (2004), 104.

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Christliche Tradition und anderen religiöse Traditionen 1999 (1989)

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Homiletische Orientierung

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Seelsorgliche Orientierungen – Smartspider

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Seelsorgliche Orientierungen – „Ohnmacht“Henning Luther

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Seelsorgliche Orientierungen – „Teilmacht“ Joachim Scharfenberg/Christoph Morgenthaler

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Seelsorgliche Orientierungen – (priesterliche) Macht Manfred Josuttis

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Seelsorgliche Orientierungen – „(prophetische) Macht“ Jay E. Adams

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„Dafür stehe ich ein!“ – Jahrestagung der Vereinigungen der ev. und kath. Spitalseelsorgenden, 31.8./1.9. 2009 in Quarten

Einstieg in die Tagung Audrey Kaelin Hansueli Minder Methode: Dialog. A: ModeratorIn, sie spricht per Du die Teilnehmenden an. B: innere FragestellerIn: die Fragen werden ruhig und langsam gelesen und etwas stehen gelassen, so dass die Teilnehmenden Zeit finden, sie in sich aufzunehmen (ohne sie allerdings tiefer beantworten zu können). Nach der Begrüssung: A: Mit einigen Fragen, die in im folgenden Dialog zur Sprache kommen, möchten wir in

die Tagung einstimmen. Um der Genderfrage gerecht zu werden und trotzdem sprachlich elegant zu bleiben, werden wir dich abwechselnd mal als Seelsorgerin, mal als Seelsorger ansprechen – in der Meinung, dass das andere Geschlecht jeweils mit gemeint ist. An jedem deiner Arbeitstage begegnest du im Spital Menschen, die sich mit ihren Schmerzen, mit einer besonderen Krankheit, mit ihrem persönlichen Leben neu auseinandersetzen müssen. Du begegnest ihnen auf verschiedenen Ebenen. Zunächst bist du selber als Mensch angesprochen, der sich denselben Fragen immer wieder neu zu stellen hat. Dann kommst Du als Seelsorgerin. Du bist Beauftragter einer Kirche, einer Institution in einem gesellschaftlichen Umfeld. Du wirst als Rollenträgerin wahrgenommen, die im Gegenüber verschiedene Bilder wachruft, Erwartungen und unter Umständen auch Befürchtungen weckt. Was ist dein Selbstverständnis in diesen Begegnungen? Wofür stehst du ein? In dieser kurzen Darstellung stehst du existenziell als Mensch, dann professionell als Seelsorgerin und schliesslich im System „Spital“ in einem gesellschaftlichen/kirchlichen Umfeld. [Eventuell mit einer Zeichnung, die zur Veranschaulichung und Klärung hilft, auf welcher Ebene gerade gefragt wird] Auf der existenziellen Ebene: Als Mensch bist du selber konfrontiert mit vielen Fragen im Umgang mit Krankheit und Schmerzen. Vielleicht fragst du dich selber manchmal:

B: Bin ich selber gesund? Was in mir ist krank oder geschwächt? Wenn es mich selber betrifft, was macht eine Krankheit mit mir? Von welchen Krankheiten bin ich in meiner Familie schon betroffen worden? Wie habe ich mich dabei erlebt? Woher kommt eine Krankheit für mich? Was hat sie mit mir zu tun? Welchen Sinn gebe ich ihr? Bei mir? Bei anderen? Wie gehe ich um mit Schmerz? Will ich ihn mit Medis möglichst rasch weghaben? Gehe ich selber davon aus, dass das Leben schmerzfrei sein sollte? Kann ich Schmerz zulassen? Ihn annehmen? Kann ich Schmerz anderen zumuten?

A: Als Seelsorgerin wird von dir erwartet, dass du dich um die Seele deines Gegenübers sorgst, ihn in seiner Ganzheit als Mensch wahrnimmst. Dabei bist du selber als Mensch noch nicht fertig mit allen Fragen und bist immer wieder daran, selber zu klären: (Schnittstelle persönlich – professionell. Selbst-Sorge als Voraussetzung für seelsorgliches Engagement)

B: Was ist die Seele eigentlich für mich selber? Wo in mir erfahre ich sie? Und wie? Sorge ich mich um meine eigene Seele? „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die

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ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“ fragt Jesus. Woran nimmt meine Seele schaden? Was tut ihr gut? Was braucht sie an Zuwendung und Sorge im Alltag?

A: Auf der professionellen Ebene: Im Spital bist du als Care-profi angesprochen, als jemand, der sich berufeshalber um die Seele von Menschen sorgt. Du bist als Beauftragte einer Kirche, einer Institution unterwegs. Man erwartet von dir professionelles Handeln in Bezug auf Schmerz, auf Krankheit, in Bezug auf die Belange der Seele. In deinem beruflichen Werkzeugkoffer liegt vieles bereit und du stellst dich den Fragen:

B: Was habe ich als Seelsorgerin anzubieten in der Begegnung mit einem leidenden Menschen? Wofür stehe ich ein? Was kann ich vertreten und dabei echt und authentisch sein? Wie begleite ich Patienten in ihrer Suche nach dem Grund ihrer Krankheit? Wie helfe ich ihnen, den Bezug zu ihrem eigenen Leben herzustellen? Was hilft meiner Meinung nach Menschen in ihrem Schmerz? Was weiss ich über die Seele? Erlebe ich auch Heilung in meinen seelsorgerlichen Begegnungen? Was kann ich wirklich – und wo stosse ich an meine professionellen Grenzen? Wofür will ich (mich) sorgen?

A: System „Spital“: Du bewegst dich im Spital in einem ausserkirchlichen Raum. Das Gesundheitswesen und seine Institutionen folgen eigenen Gesetzen, eigenen, manchmal auch fragwürdigen, auf jeden Fall hinterfragbaren Werten:

B: Wie krank ist eigentlich das Spital selber? Dürfen Menschen da noch krank sein? Wie geht man mit Schmerz um, da wo ich arbeite? Sorgt sich das Spital noch um den Menschen? Welchen Stellenwert hat der Mensch noch, wenn zuerst nach dem Grad der Versicherung gefragt wird? Kann sich das Spital Menschlichkeit noch leisten? Was könnte dem Spital helfen, ein Ort der Heilung zu sein – oder wieder zu werden?

A: Auf der gesellschaftlichen Ebene: Von der Gesellschaft her wird Druck ausgeübt auf das Gesundheitswesen. Diesen Druck bekommst auch du zu spüren – und bist herausgefordert:

B: Bin ich als Seelsorgerin ein Kostenfaktor, der die Gesundheitskosten mit in die Höhe treibt? Inwiefern ist die Gesellschaft selbst krank? Ist unsere Gesellschaft seelenlos geworden? Was heisst das für die Seelsorge? Sind wir Vertreterinnen einer vergangenen Zeit? Wie fühle ich mich dabei? Überflüssig oder als Salz der Erde? Mit wem teile ich meinen Schmerz über das kranke Gesundheitswesen?

A: Mit all diesen Fragen sind ein paar Markierungen gesetzt, auf dem Gelände, das wir in dieser Tagung miteinander begehen und erforschen wollen. Prof. Ralph Kunz wird uns als Guide/als kundiger Pfadfinder/...begleiten und uns darin unterstützen, eine Übersicht zu gewinnen, für uns selber, für uns als Berufsgruppe, für unser Unterwegssein in einer Institution. Das wird uns helfen, unseren eigenen Standort zu klären. Vielleicht können wir uns dabei gegenseitig ermutigen, für das einzustehen, was uns wichtig und wert ist.

Referat: Prof Ralph Kunz: Koordinatensystem der Seelsorge“