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David Röthler Democracy Live? Das demokratische Potenzial interaktiver Live-Videosysteme Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für politische Partizipation. Wenn Bedingungen unter denen politische Beteiligung gedeihen kann, geschaffen werden sollen, müssen Wege gefunden werden, politische Abläufe zum Beispiel durch den Einsatz von interaktiven Live- Videosystemen nachvollziehbar zu machen. Mit diesen Systemen können zudem Diskursräume geöffnet werden oder neue Räume für politische Meinungsbildung und Handeln entstehen. Live-Übertragungen aus Parlamenten Politische Entscheidungen werden letztendlich in den Parlamenten auf lokaler, Landes-, und Bundesebene getroffen. Diese Gremien sind grundsätzlich für die Öffentlichkeit zugänglich. Nun ermöglichen digitale Medien seit einiger Zeit die einfache Übertragung von Ton und Bild aus Gemeinderäten, Landtagen, dem Bundesrat und Nationalrat. Dadurch wird die Zugänglichkeit zu den entsprechenden Sitzungen erweitert und für viele BürgerInnen niederschwelliger, da die Teilnahme ortsunabhängig und anonym erfolgen kann. Darüber hinaus wird im Regelfall eine Aufzeichnung der Sitzung im Internet bereitgestellt,die eine zeitversetzte Wiedergabe des Geschehens ermöglicht. Mittlerweile wird bei Nationalratssitzungen ein Livestream eingerichtet. Ebenso ist ein solcher bei den Sitzungen aller österreichischen Landtage (bis auf das Burgenland) und in einer immer größer werdenden Anzahl von Gemeinden zu finden. Es wird immer schwieriger für die Politik sich diesem Trend zu verschließen, weil von der Allgemeinheit zunehmend Transparenz gefordert wird. Allerdings gibt es auch rechtliche und politische Bedenken oder gar Widerstände: In Deutschland scheint die Rechtslage – zumindest auf kommunaler Ebene – die Einrichtung von Livestreams zu behindern. Dort wird ein Gemeinderat nicht als Parlament im staatsrechtlichen Sinne gesehen, sondern vornehmlich als ein Verwaltungsorgan der Kommune. Die Sitzungen müssen zwar öffentlich sein, doch genügt im Regelfall eine „Saalöffentlichkeit“. Es gibt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die Tonaufnahmen eines Journalisten während einer Gemeinderatssitzung verboten hatte, da diese eine schädliche Wirkung auf das Verhalten der Betroffenen hätten, „weil sie jede Nuance aus der Rede, einschließlich der rhetorischen Fehlleistungen, der sprachlichen Unzulänglichkeiten und der Gemütsbewegungen des Redners dauerhaft und ständig reproduzierbar“ konservieren. 1 Im Fall der Stadt Konstanz in Baden-Württemberg hatte der Landesdatenschutzbeauftragte entsprechende datenschutzrechtliche Bedenken. Die 1 http://www.servat.unibe.ch/dfr/vw085283.html

Videokonferenzen & Demokratie

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Page 1: Videokonferenzen & Demokratie

David Röthler

Democracy Live? Das demokratische Potenzial interaktiver

Live-Videosysteme

Transparenz ist eine wichtige Voraussetzung für politische Partizipation. Wenn Bedingungen

unter denen politische Beteiligung gedeihen kann, geschaffen werden sollen, müssen Wege

gefunden werden, politische Abläufe zum Beispiel durch den Einsatz von interaktiven Live-

Videosystemen nachvollziehbar zu machen. Mit diesen Systemen können zudem

Diskursräume geöffnet werden oder neue Räume für politische Meinungsbildung und

Handeln entstehen.

Live-Übertragungen aus Parlamenten

Politische Entscheidungen werden letztendlich in den Parlamenten auf lokaler, Landes-, und

Bundesebene getroffen. Diese Gremien sind grundsätzlich für die Öffentlichkeit zugänglich.

Nun ermöglichen digitale Medien seit einiger Zeit die einfache Übertragung von Ton und Bild

aus Gemeinderäten, Landtagen, dem Bundesrat und Nationalrat. Dadurch wird die

Zugänglichkeit zu den entsprechenden Sitzungen erweitert und für viele BürgerInnen

niederschwelliger, da die Teilnahme ortsunabhängig und anonym erfolgen kann. Darüber

hinaus wird im Regelfall eine Aufzeichnung der Sitzung im Internet bereitgestellt,die eine

zeitversetzte Wiedergabe des Geschehens ermöglicht.

Mittlerweile wird bei Nationalratssitzungen ein Livestream eingerichtet. Ebenso ist ein

solcher bei den Sitzungen aller österreichischen Landtage (bis auf das Burgenland) und in

einer immer größer werdenden Anzahl von Gemeinden zu finden. Es wird immer schwieriger

für die Politik sich diesem Trend zu verschließen, weil von der Allgemeinheit zunehmend

Transparenz gefordert wird.

Allerdings gibt es auch rechtliche und politische Bedenken oder gar Widerstände:

In Deutschland scheint die Rechtslage – zumindest auf kommunaler Ebene – die Einrichtung

von Livestreams zu behindern. Dort wird ein Gemeinderat nicht als Parlament im

staatsrechtlichen Sinne gesehen, sondern vornehmlich als ein Verwaltungsorgan der

Kommune. Die Sitzungen müssen zwar öffentlich sein, doch genügt im Regelfall eine

„Saalöffentlichkeit“. Es gibt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die

Tonaufnahmen eines Journalisten während einer Gemeinderatssitzung verboten hatte, da

diese eine schädliche Wirkung auf das Verhalten der Betroffenen hätten, „weil sie jede

Nuance aus der Rede, einschließlich der rhetorischen Fehlleistungen, der sprachlichen

Unzulänglichkeiten und der Gemütsbewegungen des Redners dauerhaft und ständig

reproduzierbar“ konservieren.1 Im Fall der Stadt Konstanz in Baden-Württemberg hatte der

Landesdatenschutzbeauftragte entsprechende datenschutzrechtliche Bedenken. Die

1 http://www.servat.unibe.ch/dfr/vw085283.html

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Persönlichkeitsrechte, nicht allein der Gemeinderäte, sondern auch der

Verwaltungsmitarbeiter, der Zuschauer und beteiligter Dritter müssten gewahrt werden.2

Tatsächlich verändert die Live-Übertragung das Verhalten der Abgeordneten. Sie nutzen die

Sitzung verstärkt als öffentliche Bühne für ihre Meinung Das Bewusstsein, dass die Sitzung

live oder als Aufzeichnung gesehen werden kann, hat selbstkontrollierende Wirkung.

Einige Ortsparlamente scheinen – mit dem eher geschlossenen Rahmen – schlicht zufrieden

zu sein. So wird die Gemeinde Bad Wiessee in Bayern wie folgt zitiert:3

„Das Interesse vor Ort an den öffentlichen Sitzungen ist bis auf wenige Ausnahmen relativ

gering. Wir denken nicht, dass durch die Übertragung ins Internet in Echtzeit eine recht viel

breitere Masse an Interessierten erreicht wird.“

Von der Interaktion zur Partizipation?

Während ein Großteil der Live-Übertragungen dem traditionellen One-to-many-Paradigma

folgt und keine Interaktion des Publikums zulässt, wurde beispielsweise bei der Übertragung

der Gemeinderatssitzungen der Stadt Salzburg (an denen der Autor dieses Beitrags technisch

und konzeptionell beteiligt ist) ein Chat neben dem laufenden Video eingeblendet.4 In

diesem können sich die ZuseherInnen über das Geschehen im Gemeinderat austauschen und

die Übertragung mit zusätzlichen Informationen bereichern. Eine in diesem Zusammenhang

interessante Variante ist die Beteiligung von MandatsträgerInnen aus dem Gemeinderatssaal

am Chat durch die Nutzung von Notebooks, Smartphones oder Tablets. Dadurch könnten

diese, auch ohne aktuelles Rederecht, einen direkten Kanal nutzen, um mit potentiellen

Wählerinnen und Wählern in Kontakt zu treten oder gegebenenfalls ihre Gegenmeinung

kundzutun. Wenn man dieses Szenario weiterdenkt, könnte sich die interessante Fragen

stellen, wie sich das Gremium und die Diskussionskultur im Gemeinderat oder einem

anderen Parlament ändert, wenn viele oder gar alle MandatarInnen sich parallel zur

laufenden Debatte über das Medium Chat austauschen. Wenn sich die

Sitzungskommunikation solcherart auf den Chat verlagern würde, könnte dies auch gegen

die jeweiligen Geschäftsordnungen verstoßen. So stellt beispielsweise § 7 der

Geschäftsordnung des Gemeinderats der Landeshauptstadt Salzburg5 fest, dass die

Sitzungen des Gemeinderats grundsätzlich öffentlich sind, „die Zuhörer sich aber jeder

Äußerung zu enthalten haben“. Dies wäre in dem beschriebenen Szenario nicht mehr

gewährleistet und würde wohl gegen die Geschäftsordnung verstoßen. Andererseits könnte

dadurch eine interessante Form der Partizipation – wahrscheinlich aber nur bei

entsprechender Moderation – entstehen. Wenn die Stimmberechtigung bei den gewählten

MandatarInnen bliebe, würde dabei das Konzept der indirekten Demokratie beibehalten.

2 Vergl. Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 6.6.2012 http://goo.gl/PSVji

3 http://www.tegernseerstimme.de/gibt-es-etwas-zu-verbergen/34225.html

4 http://www.youtube.com/watch?v=e5OqE6aeCME&feature=share&list=UUVNC2cKWW3YC_OZgEmKIxPA

5 http://www.stadt-salzburg.at/pdf/gemeinderatsgeschaeftsordnung_inkl_106__ergaenzung.pdf

Page 3: Videokonferenzen & Demokratie

Eine mögliche interessante Folge von Live-Übertragungen ist, dass weitere Wünsche nach

Transparenz erfüllt werden. So finden sich seit November 2012 erstmals vorbereitende

Dokumente der Salzburger Gemeinderatssitzungen, wie Amtsberichte

(Entscheidungsvorschläge, die auf Verwaltungsebene erarbeitet wurden) und die

entsprechenden Stellungnahmen im Internet6.

Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Live-Übertragung von Sitzungen der

Parlamente festhalten, dass dadurch die Zugänglichkeit und deren Transparenz erhöht wird.

Das partizipative Potential wird zurzeit noch nicht ausgeschöpft.

Politische Kommunikation in Live-Online-Räumen

Der kanadische Regionalpolitiker Garth Frizzel berichtete im Frühling 2012 in seinem

Weblog7 über die neue Kommunikationsform „Google Hangouts“, die er für sich entdeckt

hat:

„Some time ago, I began regular video-conferences with people.

My goal was to talk with people about municipal issues that were affecting them in their

cities, whether it was Prince George, or even Victoria, Surrey, Montréal, Winnipeg…

wherever.

The response was surprising. People liked talking frankly, unfiltered, with no preparation…

about issues affecting them. The uptake was great from other elected officials too. […]

With no agenda, and no partisan leaning, the discussion has migrated to where random

Canadians wanted to take it. It’s been an interesting start, and the only observation that’s

been consistent has been that the open format is one that they LOVED.“

„Google Hangouts”8 sind Videokonferenzen, die Google mit dem Sozialen Netzwerk Google+

im Sommer 2011 eingeführt hat. Bis zu 10 Personen können an solchen Videokonferenzen

teilnehmen und zum Beispiel über Whiteboard und gemeinsame Dokumente

zusammenarbeiten.

Eine faszinierende Option sind dabei die „Hangouts on Air“9. Diese erlauben die Live-

Übertragung der Videokonferenz über Youtube. So kann ein unbegrenzt großes Publikum

erreicht werden. Allerdings sind in diesem Fall die Interaktionsmöglichkeiten für die

Zusehenden auf die Kommentarfunktion beschränkt. Die Aufzeichnung steht im Anschluss

sogleich als Youtube-Video zur Verfügung.

6 http://www.stadt-

salzburg.at/internet/politik_verwaltung/stadtpolitik_332419/termine_350881/altstadtausschuss_350604.htm 7 http://www.garthfrizzell.com/en-francais-bringing-canadians-together.html#more-1126

8 https://tools.google.com/dlpage/hangoutplugin

9 http://www.google.com/intl/de_ALL/+/learnmore/hangouts/onair.html

Page 4: Videokonferenzen & Demokratie

Dieses oder andere Systeme können verwendet werden, um als PolitikerIn mit WählerInnen

in Kontakt und Austausch zu treten. Die Grünen in Salzburg haben – begleitet vom Autor

dieses Beitrags – im Oktober 201210 erste Versuche in diese Richtung unternommen.

Auch Second Life wurde und wird als dreidimensionaler Onlineraum zur Diskussion und

Aktion genutzt. So fand beispielsweise 2007 eine Online-Demonstration von Avataren im

virtuellen Washington in Second Life gegen den Krieg im Irak11, sowie eine

Podiumsdiskussion zur Bremer Bürgerschaftswahl12 statt. Auch wenn es nach dem Hype um

Second Life vor mehr als fünf Jahren um die Onlinewelt ruhig geworden ist, ist Second Life

dennoch aufgrund der Dreidimensionalität für persönliche Interaktion sehr interessant. Die

Sprachverbindung ist nicht zuletzt durch Raumklang sehr gut und von hoher Stabilität. Die

Personen bzw. Avatare können ihre aktuelle Beziehung zueinander durch den jeweils

aktuellen Standort auch den anderen Teilnehmenden klar vermitteln. Wer in einer Gruppe

zusammen steht oder sitzt, befindet sich für alle anderen offensichtlich in einem

gemeinsamen Gespräch. Dadurch können Online-Treffen auch – wie bei

Präsenzveranstaltungen – durch informelle Zusammenkünfte (Pausengespräche)

aufgelockert werden. Dieser Umstand verleiht Second Life ein hohes Potential. Allerdings

erfordert der Zugang zu Second Life Übung und Erfahrung. Allein die Notwendigkeit der

Installation eines Clientprogramms lässt Second Life nicht besonders niederschwellig

erscheinen.

Eine Kombination von Präsenz- und Online-Veranstaltung bieten Livestreams, die durch

Nutzung der entsprechenden Systeme auch interaktiv gestaltet werden können. Dadurch ist

es Online-Teilnehmenden zum Beispiel möglich, sich über Audio und Video zu Wort zu

melden.13 Die Immersivität der Online-Teilnahme an Präsenzveranstaltungen, darunter

versteht man das Eintauchen in eine Umgebung mit möglichst vielen Sinneseindrücken,

kann durch Audio/Video-Roboter wie dem Anybot14 noch erhöht werden. Dieses

fernzusteuernde, ähnlich einem Segway funktionierende, auf lediglich zwei Rädern fahrende

Gerät, ermöglicht es räumliche Distanzen zu überwinden. Der Preis von $ 9.700,-- ist zwar

noch relativ hoch, es sind aber bereits günstigere Roboter mit ähnlicher Funktionalität

erhältlich. Das Produkt „Double — Wheels for your iPad“ verspricht bei einem im Vergleich

günstigen Preis von $ 1.900 „Double is the simplest, most elegant way to be somewhere else

in the world without flying there.” Der niedrigere Preis ergibt sich durch die Verwendung

des iPads als Hardwarelösung und zur Steuerung.

Abschließend kann festgehalten werden, dass sich synchrone Online-Systeme sehr gut zur

Meinungsäußerung, zum Diskurs und für politische Aktionen einsetzen lassen. Als Beispiel

10

https://www.facebook.com/events/123200587832212/?fref=ts 11

http://www.youtube.com/watch?v=qaiGV_Hd0O8 12

http://www.youtube.com/watch?v=W2bwAhOnq-Y 13

Ein Beispiel dafür sind die Village Innovation Talks vom Dezember 2011 http://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?VillageInnovationTalk http://www.flickr.com/photos/davidroethler/6532033821/lightbox/ 14

https://www.anybots.com/

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kann das EU-Projekt “Europe so Close”15, an dem der Autor dieses Artikels beteiligt ist,

genannt werden. In diesem Projekt diskutieren EU-Abgeordnete, ExpertInnen und

LobbyistInnen mit interessierten BürgerInnen in Form von Videokonferenzen.

Wichtiger Aspekt bei synchronen Online-Formaten ist die unmittelbare Interaktion trotz

beliebiger geographischer Distanz, die diese Kommunikationsform effektiv und attraktiv

erscheinen lässt. Nachteile sind die Zeitgebundenheit sowie der nicht in jedem Fall

niederschwellige Zugang zu den jeweiligen Tools. Jedenfalls sind neue Räume für

grenzenloses politisches Handeln entstanden. Letztendlich erhöhen die neuen Optionen

nicht nur die Chancen der Teilhabe von Menschen mit Betreuungspflichten oder

Mobilitätseinschränkungen und gewährleisten so unter Umständen die Realisierung

zentraler Grundrechte.

15

http://www.europe-so-close.eu/