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VIELFALT LEBEN MIGRATION UND INTEGRATION H A M B U R G

VIELFALT LEBEN - team-arbeit-hamburg.de · Antriebsader war bereits vor der Hansezeit unser Hamburger Hafen, der größte Seehafen Deutschlands. Denn wo Handel floriert, kamen schon

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VIELFALTL E B E NMIGRATION UND INTEGRATION

H A M B U R G

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Herausgeber

Agentur für Arbeit HamburgPresse Marketing | Marina Marquardt

Jobcenter team.arbeit.hamburgPresse- und Öffentlichkeitsarbeit | Heike Böttger, Kirsten Maaß

November 2016

Fotos: Agentur für Arbeit Hamburg Carsten Thun, Grafik und Fotographie | www.carstenthun.de, Seiten 3,8,9,10,16,23,24 istock-Photographie, Copyright Overthehill, Seite 12 Copyright Daniel Ernst, Seite 19

Druck: MKL Druck GMBH & Co. KG | Ostbevern

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Migration war für Hamburg schon immer ein Thema, nicht erst seit 2014 und 2015 Tausende von Schutzsuchenden in die zweitgrößte Metropole Deutschlands ström-ten. Wo rund ein Viertel aller Unternehmen von Inhaberinnen und -habern mit ausländischen Wurzeln geführt wird und ein knappes Drittel aller Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs migrantischer Herkunft ist, wird Integration gelebt. Auch von den über 230.000 hier lebenden Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Antriebsader war bereits vor der Hansezeit unser Hamburger Hafen, der größte Seehafen Deutschlands. Denn wo Handel floriert, kamen schon immer Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen.

Rund um Alster, Bille und Elbe tummeln sich heute 180 Nationalitäten. Grund genug also nachzuschauen, wie Integration in diesem Stadtstaat funktioniert und was die Agentur für Arbeit Hamburg und Jobcenter team.arbeit.hamburg in den sieben Bezirken dazu beitragen. Die unterschiedlichen Beispiele in dieser Broschüre zeigen, dass Integration sich lohnt. Sie sollen sichtbar machen, dass alle Bürgerinnen und Bürger eines Gemeinwesens vom Miteinander profitieren, in der Nachbarschaft, als Freundin und Freund und vor allem als Kollegin und Kollege. Denn das Herzstück aller Integration ist Arbeit. Wer ausgebildet und berufstätig ist, gehört dazu. Wer Arbeit hat, ist bei uns angekommen.

Sönke Fock

Vorsitzender der GeschäftsführungAgentur für Arbeit Hamburg

Inhalt

• Das Wort vorweg 3

• Kein passender Status - Von Omsk nach Hamburg - 5

• Ohne Ausbildung geht gar nichts - Projekt Joblinge 7

• Mein Sohn sollte mich nicht Zuhause rumsitzen sehen - Neustart mit Ü50 9

• Ohne meine Jobvermittlerin hätte ich es nicht geschafft - Gefördertes Praktikum 11

• Vom Döner-Abi und dem Prediger in der Moschee - Apell für Ausbildung 13

• Hamburger Arbeitgeber begegnen geflüchteten Menschen positiv - Arbeitgeber-Service Hamburg 15

• Wir behindern keine schnellen Vermittlungen, setzen aber auf nachhaltige Integration 17

Interview mit Sönke Fock (Arbeitsagentur) und Dirk Heyden (Jobcenter)

• Mit Herz und Seele fit gemacht für die Ausbildung - Einstiegsqualifizierung 21

• Doppeltes Handicap: ausländische Herkunft und Behinderung - Vom Studium zum Job 23

• Mit zwei Paar Schuhen und 20 Euro im Gepäck - Von Au-pair zum Job 25

• Meine Liebe zur deutschen Sprache treibt mich an - Zukunftsstarter 27

DAS WORT VORWEG

Dirk Heyden

GeschäftsführerJobcenter team.arbeit.hamburg

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„Kein passender Status“

Irina Berg wollte immer in ihrem Traumberuf als Psychologin arbeiten. In Russland stand sie kurz vor ihrer Promotion, in Deutschland viele Jahre vor dem beruflichen Nichts.

„Russland wollte ich nie verlassen“, sagt die zierliche junge Frau lachend. Im sibirischen Omsk studierte Irina Berg Sozialpädagogik mit Fachrichtung Psychologie. Parallel unterrichtete sie drei Jahre lang an der psychologischen Fakultät als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum der sozial- und psychologischen Hilfe für Minderjährige und Jugendliche des Gebiets Omsk. Ihr Traumberuf. Die Promotion war bereits greifbar.

Aber dann verliebte sich die Russin mit den sanften Augen in ihren Nachbarn, nach ihrer Hochzeit folgte sie ihm in seine neue Heimat nach Deutsch-land. Das war 2002.

„Ich war so sehr verliebt und freute mich, endlich mit meinem Mann zusammenzule-ben“, erzählt Irina Berg. Der Start war dann ohne rosarote Brille: in der Notunterkunft. Ihr Mann durfte Deutschkurse besuchen, sie nicht. „Ich hatte keinen Status, war nur Ehefrau“.

Kein Deutsch, kein Traumberuf. Viele Tränen folgten, dann im Oktober 2003 die Geburt ihres Sohnes, und 2007 kam ihre Tochter zur Welt. 2009 endlich durfte die Russin den neuen Sprachtest „Deutsch-Test für Zuwanderer“ bele-gen, den sie sich selbst suchte. Das Jobcenter stimmte der Finanzierung zu und im März 2011 hatte die Psychologin das B1-Level in der Tasche. Um aber als Akademikerin zu arbeiten, brauchte sie das Level C1.

Der Folgekurs wurde verweigert, denn: Wieder einmal passte ihr Status nicht. Als Ungelernte sollte sie Lagerar-beiten verrichten. „Man war im Jobcenter wirklich sehr nett zu mir. Aber nun standen andere Hürden im Weg. Denn weil ich in meinem erlernten Beruf vier Jahre lang nicht tätig war, musste man mir andere Tätigkeiten anbie-ten, wo es gerade freie Stellen gab.“

Schließlich konnte sie an einem dreimonatigen Integ-rationskurs B2 teilnehmen, samt Bewerbungstraining.

Danach ging es Schlag auf Schlag. 2010 wurde die ZAA, Zentrale Anlaufstelle Anerkennung, gegründet. Dort ließ Irina ihre Unterlagen prüfen und erhielt den ersehnten Deutschkurs C1. Zur Anerken-nung ihres Studiums fehlten noch drei Kurse. Vier Monate später im Januar 2012 bestand sie die Prüfungen nach Kursen an

der Universität, als eine der Besten.

Die Absolventin begann viele Bewerbungen zu schreiben. „Keiner wollte mich haben, denn nun fehlte die Berufser-fahrung“, lacht sie heute. Aber die resolute Frau gab nie auf. Schließlich, mit 33 Jahren, ist sie angekommen. „Ich bin die glücklichste Frau der Welt. Ich arbeite in meinem Beruf, verdiene Geld wie die Deutschen auch.“ Irina Berg arbeitet in Teilzeit, damit sie genug Zeit für ihre Kinder hat. Dass ihre Stelle erneut befristet ist, stört sie nicht, denn „Wer sucht, findet immer.“

„Wer sucht, findet immer sein Glück -

und den passenden Status.“

Irina Berg

VON OMSK NACH HAMBURG

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Seine Eltern kamen 1990 aus dem ehemaligen Jugosla-wien nach Deutschland. Sie suchten ein besseres Leben, insbesondere für ihre Kinder. Später dann wollten sie wie viele in ihre alte Heimat zurückkehren.

Daniel Umer wuchs wie seine zwei Geschwister zweispra-chig auf. Der 23-Jährige fühlt sich „ganz deutsch“, ist in Hamburg geboren und aufgewachsen. Und als erster in der Familie verließ er die Schule mit einem Realschulabschluss. Danach jobbte er erst einmal, um rasch Geld zu ver-dienen.

Schließlich besann sich der junge Mann und wollte doch eine Ausbildung absolvieren. Er suchte einen Ausbildungsplatz und schrieb viele Bewerbungen. Bei 500 habe er aufge-hört zu zählen, erinnert er sich.

Um junge Menschen unter 25 Jahren erfolgreich in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu begleiten, arbeiten fünf Partner innerhalb der Jugendberufsagentur Ham-burg eng zusammen: Agentur für Arbeit Hamburg, Job-center team.arbeit.hamburg, Behörde fürArbeit, Soziales, Familie und Integration, Behörde für Schule und Berufs-bildung Hamburg sowie die Bezirke. Dabei geht es nicht nur um schlechte Schulabschlüsse oder weitere Prob-leme, die Jugendliche und Jungerwachsene am berufli-chen Einstieg hindern.

Iwona Schmitt ist eine erfahrene Arbeitsvermittlerin von Jobcenter team.arbeit.hamburg und betreut innerhalb der Jugendberufsagentur Hamburg Unter-25-Jährige. Sie war die erste, die neben Noten auch nach Daniels Interes-sen und Leidenschaften fragte. „Ich liebe Autos, schraube seit ich denken kann an denen herum.“

Schließlich brachte die Arbeitsvermittlerin Daniel zum Projekt JOBLINGE. Bundesweit werden dort junge Menschen mit beruf-lichen Startschwierigkeiten auf ihrem Weg in Ausbildung professionell begleitet, mit Workshops, Coachings, Praxis-Elementen und Beratung durch persönliche Mentorin-nen und Mentoren.

Dann ging alles recht schnell: professionelle Bewerbung, erster Kontakt zu BMW, Praktikum. In der Werkstatt überzeugte Daniels Geschick, im Bewerbungs-gespräch seine souveräne Art. Seit August 2015 erlernt Daniel nun seinen Traumberuf Kfz-Mechatroniker.

Seine Ausbildung nimmt der junge Mann sehr ernst. „In diesem ersten Jahr habe ich schon so viel gelernt“, schwärmt Daniel. „Für diese Chance, in meinem Traumbe-ruf zu arbeiten, bin ich dankbar. Das spornt mich weiter an. Und vielleicht schaffe ich es sogar eines Tages, meinen Eltern ihren Traum vom eigenen Haus in Serbien zu erfül-len“. Daniel Umer ist auf dem besten Weg.

„Ohne Ausbildung geht gar nichts.“

Heute weiß Daniel Umer, seine Träume kann er in Deutschland nur mit einer richtigen Ausbildung verwirklichen. Vielleicht reicht es dann auch noch für den Traum seiner Eltern in der alten Heimat.

„Ohne Joblinge hätte ich wohl meinen Traum-

beruf nie erlernen können.“

Daniel Umer

PROJEKT JOBLINGE

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Bahman Abbasi ist ein besonnener Mann. Seine Geduld und Ruhe kommen ihm in seinem neuen Job zugute. Vor 30 Jahren kam der gebürtige Iraner nach Deutschland. Sein Traumberuf Medizintechniker scheiterte aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse. Das schreckte Herrn Abbasi aber nicht ab. Mit Ehrgeiz und Durchhaltever-mögen begann er sogleich zwei Ausbildungen paral-lel: Tagsüber lernte er Heizungsinstallateur und in der Abendschule Lüftungsmonteur.

„Das Ziel nicht aus den Augen verlieren und nie aufgeben“, lautet einer seiner Leitsätze. Über 13 Jahre führte Herr Abbasi erfolgreich und zielstrebig sein eigenes Unternehmen, bis zur Finanzkrise. Er strauchelte, dazu kamen gesundheitliche Probleme. Bahman Abbasi musste seine Selbstständigkeit auf-geben und sich um Unterstützung bemühen. Hilfe gab es im Jobcenter.

Philip Olaya von Jobcenter team.arbeit.hamburg betreute den erfahrenen Mann seit 2013. „Ich habe Herrn Abbasi als einen engagierten Menschen kennengelernt, der trotz seines Alters bereit war, etwas Neues zu lernen.

Und er wollte weiterhin ein gutes Vorbild für seinen Sohn sein“, erinnert sich der Arbeitsvermittler. Mit Unterstüt-zung und einer Förderung des Jobcenters wurde Bah-man Abbasi zum EU-Berufskraftfahrer ausgebildet.

„Herr Olaya ist ein kompetenter Mann“, freut sich der 56-Jährige, „der nicht nur mein Betreuer, sondern ein ent-scheidender Wegbereiter in meinem Leben war.“ Herr

Abbasi ist heute Busfahrer.

Im Bus trifft Bahman Abbasi jeden Tag auf bis zu 1.000 unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Kulturen. Praktisch, dass der Fahrer neben persisch und deutsch auch noch englisch und spanisch spricht. Und wenn es unter den Fahrgästen doch ein-mal Ärger gibt? Kein Problem, Herrn Abbasi

bringt in seiner gewohnt ruhigen Art nichts und nie-mand so schnell aus der Fassung.

Busfahrer – ein harter Job im Schichtdienst, der nur wenig Zeit für die Familie lässt. „Aber die wenige Zeit, die wir gemeinsam haben, genießen wir in vollen Zügen“, schwärmt der Familienmensch.

„Mein Sohn sollte mich nicht Zuhause rumsitzen sehen!“

Mit seiner Motivation wagt Bahman Abbasi mit 56 Jahren noch einmal einen beruflichen Neuanfang.

„Das Ziel nicht aus den Augen

verlieren und nie aufgeben!“Bahmam Abbasi

NEUSTART MIT Ü50

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Kurz vor den Abschlussprüfungen musste Aiman Abu-Msameh aus gesundheitlichen Gründen die Ausbildung abbrechen. Das war vor 20 Jahren. Inzwischen fühlte sich der Jordanier aber heimisch in Hamburg und wollte blei-ben. Rasch lernte er Deutsch und besitzt seit 2007 die deutsche Staatsbürgerschaft.

„Meine Tochter ist Hamburgerin und wächst viersprachig auf“, erzählt er stolz. Denn wie wichtig Mehrsprachigkeit ist, erfährt er in seinem Arbeitsalltag häufig.

Beruflich musste Aiman einiges ausprobie-ren, bevor er richtig ankam. Mit verschiede-nen Helfertätigkeiten hielt er sich über Was-ser, nachdem er die Uni verließ. Er arbeitete in der Sicherheitsbranche und als Autover-käufer. Weil das Geld nicht reichte, stockte das Jobcenter sein Gehalt auf.

Schließlich erhielt er eine Fortbildung zum Busfahrer. Aber mit einer Anstellung klappte es dennoch nicht. Dann griff Integrationsfachkraft Katrin Schlichting beherzt ein, als Abu-Msameh bei ihr zur Beratung war.

Sie rief Fuhrparkleiter Herrn Hinz von der stadtbekann-ten Hamburger Stadtrundfahrt „Die Roten Doppeldecker GmbH“ an und schlug den Jordanier als Busfahrer vor.

Noch am gleichen Tag lernte Aiman seinen heutigen Arbeitgeber kennen und machte die ersten Proberunden mit dem Oldtimerbus auf dem Betriebsgelände. Ziemlich schnell war allen klar: Dem Mann fehlte die Fahrpraxis. Und erneut hatte Frau Schlichting die Lösung parat: ein

gefördertes Praktikum und ein Fahrsicher-heitstraining speziell für Oldtimerbusse - bei-des vom Jobcenter finanziert.

Das ist jetzt gut zwei Jahre her. Aiman Abu-Msameh ist nun auch beruflich in seiner Wahl-heimat Hamburg angekommen und geht vollkommen in seiner Tätigkeit als Busfahrer in dem roten Doppeldecker-Oldtimer auf.

Das letzte Wort bei der Einstellung hatte aller-dings Geschäftsführerin Katharina Fest. Sie war sofort von AIman Abu-Msamehs Talenten überzeugt und schätzt neben seinem offenen

Wesen vor allem seine Sprachkenntnisse.

„Für seine Tätigkeit als Fahrer in unseren Touristenbus-sen bringt unser neuen Mitarbeiter genau die richtige Mischung mit: technisches Verständnis, Freude am Fah-ren und Mehrsprachigkeit.“

„Wie gut, dass ich an Frau Schlichting geriet. Ohne sie hätte ich meinen Job nicht bekommen“, meint Aiman.

„Ohne meine Jobvermittlerin hätte ich es nicht geschafft!“Sein Masterstudium der IT-Kommunikationstechink absolvierte Aiman Abu-Msameh in Deutschland an der TU Hamburg-Harburg – auf Englisch. Ein Schicksalsschlag beendete die Träume des Jordaniers.

„Wir im Jobcenter waren nur der Tür-öffner. Durchge-

gangen ist Aiman Abu-Msameh

allein.“

Katrin Schlichting

GEFÖRDERTES PRAKTIKUM

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Vom Döner-Abi und dem Prediger in der Moschee

Die Agentur für Arbeit Hamburg begann schon vor Jahren mit kreativen Ideen, Jugendliche mit auslän-discher Familiengeschichte zu qualifizieren und für eine Ausbildung zu begeistern. Da lohnt ein Blick zurück.

Dezember 2006. Bei Çelik-Döner beginnen 16 ungelernte Beschäftigte mit einem Novum: der Schulung zur „Fach-kraft Fleischverarbeitung mit Schwerpunkt Dönerproduk-tion“. Mit-Initiator war der damalige Chef der Agentur für Arbeit Hamburg, Rolf Steil. 2011 wurde daraus die von Ertan Çelik kreierte „Qualitätsoffensive Döner“.

Rolf Steil wollte gezielt Ungelernte mit Migrationshinter-grund fördern. In Norddeutschlands größtem Döner-Pro-duzenten Ertan Çelik fand Steil einen kongenialen Part-ner. Denn der türkischstämmige Çelik ist an guter Qualität, sicherer Hygiene für seine Produkte und an der Ausbildung junger Migrantinnen und Migranten interessiert. Eine Zeitung taufte die Qua-lifizierung „Döner-Abi“.

In 300 Unterrichtsstunden lernten die Absolventen an der Staatlichen Gewer-beschule für Gastronomie Lammzerle-gen, Hygienevorschriften, Hackfleischverordnung, Ver-kaufstechniken und Vieles mehr. Insgesamt beteiligten sich bis 2010 sieben Dönerproduzenten an der Maß-nahme des WeGebAU-Programms, die mit 70.000 Euro gefördert wurde.

Als den „Prediger vom Amt“ titulierte eine Hamburger Tageszeitung Rolf Steil, nachdem er während eines Frei-tagsgebetes in der Centrum-Moschee der Islamischen Gemeinde in Hamburg vor 1.500 Gläubigen für mehr Aus-bildungsbereitschaft migrantischer Jugendlicher warb.

„Die persönliche Teilhabe in der Gesellschaft definiert sich insbesondere durch einen Schulabschluss, der wiederum Schlüssel für den Einstieg in eine qualifizierte Berufsaus-bildung ist“, erklärte Steil damals. Sein Ziel war es, alle

Jugendlichen umfassend über Voraussetzun-gen des Berufseinstiegs zu informieren, mit und ohne Migrationshintergrund. „Auch die Eltern, als wichtigster Partner bei der Berufs-wahl“, betonte Steil, „erst dann kommen Freunde und berufliche Modetrends.“

Die Islamische Gemeinde mit dem Vorsitzen-den Imam Ramazan Ucar unterstütze die Idee von Beginn an. Er sah es als ihre Aufgabe und

gesellschaftliche Pflicht an, die Gemeindemitglieder für das Thema ̀ (Aus-)Bildung` zu sensibilisieren. Denn bereits der Prophet Muhammad sagte: „Jedem Muslim obliegt es, nach Wissen zu streben.“

„Auch am Arbeitsmarkt sorgt

Kreativität für Integration.“

Rolf Steil

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APELL FÜR AUSBILDUNG

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Februar 2011: damaliger Agenturchef Rolf Steil (vorn) und Döner-Produzent Ertan Çelik (3. v. l.) präsentieren die „Qualitätsoffensive Döner“

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In der Anlaufstelle W.I.R, Work and Integration for Refu-gees, arbeiten verschiedene Akteure des Hamburger Arbeitsmarktes zusammen, um geflüchtete Menschen in Ausbildung und Arbeit zu integrieren. Mit dabei sind die Behörde für Arbeit- und Soziales, die Arbeitsagen-tur Hamburg, Jobcenter team.arbeit.hamburg, die Hand-werkskammer und die Handelskammer Hamburg sowie freie Träger. Seit Beginn 2016 koordiniert Franziska Lorenz die Aufgaben des Arbeitgeber-Service Hamburg mit W.I.R.

„Vielfach kennen sich Arbeitgeber mit den Vorschriften nicht aus, die es rund um die Integration von Geflüchteten in den Arbeits-markt gibt“, sagt die Teamleiterin. Anhand von Fallbeispielen erläutert sie bei Infover-anstaltungen zusammen mit einer Kollegin aus der Behörde für Inneres und Sport die gesetzlichen Rahmenbedingungen und gibt Tipps. Bemerkenswert findet sie die große Offenheit, mit der Arbeitgeber die Zugewanderten in ihre Betriebe holen wollen. „Aber leider passen häu-fig der gute Wille zur Einstellung und die Realität bei der Umsetzung nicht zusammen“, weiß die 53-Jährige. „Da ist permanente Aufklärung dringend nötig.“

Arbeitgeber empfänden die Verfahren ums Asyl- und Aufenthaltsrecht oft als „kompliziert, aufwendig und undurchschaubar.“ Lorenz sieht es daher als ihre wich-tigste Aufgabe an, die positive Grundhaltung der Arbeit-geber zu bestärken und immer wieder an sie zu appel-lieren, mit langem Atem dabei zu bleiben. „Flüchtlinge brauchen Zeit, bis sie richtig bei uns angekommen sind.“ Sie müssen die deutschen Sprache erlernen, die andere Kultur kennenlernen, den Ausbildungs- und den Arbeits-markt verstehen. Und dann gelte es auch noch, die in der

Heimat erworbenen beruflichen Qualifikatio-nen zu ermitteln beziehungsweise anerkennen zu lassen. „Das geht nicht von heut auf morgen.“

Für Arbeitgeber, die Asylbewerber einstellen wollen, hat die Teamleiterin einen Tipp: „Man sollte sich zuerst den Aufenthaltstitel zeigen lassen. Wenn darin eingetragen ist `Erwerbstä-tigkeit gestattet`, steht einem Beschäftigungs-

verhältnis nichts im Wege. Über Förderungen wie Prak-tika, Qualifizierungen oder Lohnkostenzuschüsse beraten dann die Kolleginnen und Kollegen des Arbeitgeber-Service Hamburg. Das geschieht wie bei jedem anderen Menschen auch, der eingestellt werden soll.“

„Hamburger Arbeitgeber begegnen geflüchteten Menschen positiv.“

Franziska Lorenz ist Teamleiterin im gemeinsamen Arbeitgeber-Service Hamburg von Arbeitsagentur und Jobcenter team.arbeit.hamburg. Sie erzählt, wie Arbeitgeber auf die Integration Schutz suchender Menschen in der Hansestadt reagieren.

„Integration geht nicht von heut´

auf morgen.“

Franziska Lorenz

ARBEITGEBER-SERVICE HAMBURG

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Rund 36.000 Ausländer waren im Oktober laut Statis-tik der Bundesagentur für Arbeit in Hamburg arbeitslos und arbeitsuchend gemeldet. Die Zahl umfasst die neu Hinzugekommenen und die bereits länger in Hamburg Lebenden. Die herausfordernde Aufgabe wird sein, für alle berufliche Perspektiven zu schaffen.

Redaktion: Wie wollen Sie es schaffen, so viele geflüchtete Menschen in Arbeit zu integrieren?

Sönke Fock: „Wichtig ist, keine Parallelstrukturen aufzu-bauen, sondern jene Angebote zu nutzen, die bereits vor-handen sind. Deshalb werden alle Unter-25-Jährigen von der Jugendberufsagentur Hamburg betreut. Genau so wie alle anderen jungen Menschen in Hamburg während der Schulzeit und beim Übergang Schule - Beruf auch. Über 25-jährige Menschen mit anerkanntem Asylstatus finden Unterstützung und Begleitung im Jobcenter.“

Redaktion: Im August 2016 trat das Integrationsgesetz in Kraft. Welche Chancen eröffnet es für Zugewanderte?

Dirk Heyden: „Wir können den Asylbewerberinnen und -bewerbern jetzt eine geregelte Tagesstruktur anbieten. Das soll über 2.500 zusätzliche, gemeinnützige und nied-rigschwellige Arbeitsgelegenheiten geschehen, die Bil-dungsträger nun anbieten können.“

Fock: „Eine Erleichterung im Integrationsprozess ist auch, dass in den kommenden drei Jahren die Vorrangprüfung durch die Arbeitsagentur entfällt. Außerdem erhalten geduldete Flüchtlinge für bis zu fünf Jahre ein Bleiberecht, wenn sie eine Ausbildung beginnen.

Diese Regelungen gibt den Betroffenen eine bessere Chance am Ausbildungsmarkt und den Arbeitgebern mehr Sicherheit, junge Menschen mit befristetem Asyl-status auch über die Ausbildungszeit hinaus beschäftigen zu können.“

Heyden: „Aber ohne Impulse aus der Wirtschaft wird Inte-gration nicht gelingen. Wir brauchen das Engagement der Unternehmen, die Praktika- und Ausbildungsplätze anbieten. Umgekehrt sind wir gefordert, der Wirtschaft alle Möglichkeiten an Unterstützung anzubieten.“

Redaktion: Warum sind bis November 2016 erst ungefähr 2.500 Schutzsuchende in Arbeit und Ausbildung vermit-telt worden?

Fock: „Dreh- und Vermittlungspunkt sind fast ausnahmslos die Deutschkenntnisse. Etwa 25 Prozent der Asylbewerbe-rinnen und -bewerber in Hamburg bringt eine gute Bil-dung mit. Aber das führt nicht gleichzeitig zu schnellerem Spracherwerb, wie wir anfangs vermuteten. Erwachsene Menschen müssen zum Erlernen der deutschen Sprache wieder die Schulbank drücken. Das wäre auch für uns ungewohnt. Aber nicht nur eine fremde Grammatik, viele Vokabeln und eine ungewohnte Schrift bereitet Mühe. Auch mit der neuen Freiheit umzugehen, will gelernt sein. Viele sind auch traumatisiert.“

Heyden: „In der Theorie soll man nach 600 Stunden Deutsch- und Integrationskurs reif für Ausbildung und Arbeit sein, wenn man die Abschlussprüfung besteht und damit ein Sprachniveau eines deutschen Zehntklässlers in Englisch hat. Die Praxis sieht aber oft anders aus.“

„Wir behindern keine schnellen Vermittlungen - setzen aber lieber auf nachhaltige Integration!“Jobcenter-Geschäftsführer Dirk Heyden und Arbeitsagentur-Chef Sönke Fock über Flüchtlinge, Integration und Perspektiven auf dem Hamburger Arbeitsmarkt

Dirk Heyden Sönke Fock

INTERVIEW

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Flüchtlinge sollen so schnell wie möglich Deutsch lernen - in Kombination mit Arbeit

Fortsetzung: Neue branchenübergreifende Kooperationsmodelle der Bundesagentur für Arbeit sollen eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern und beschleunigen.

INTERVIEW: WORK FIRST

Fock: „Die berufliche Qualifikation ist die nächste Hürde. Die Hälfte der Flüchtlinge in Hamburg haben etwas Berufserfahrung, aber nur 13 Prozent einen Berufs- oder Studienabschluss. Wir gehen davon aus, dass der Weg in Arbeit fünf Jahre dauern wird: Zwei Jahre Deutsch lernen und drei Jahre eine Aus- oder Weiterbildung absolvieren. Das gemeinsame Ziel aller Arbeitsmarkt-Akteure in Hamburg ist, in den kommen-den fünf Jahren die Hälfte aller Flücht-linge in Arbeit zu bringen, in weiteren fünf Jahren wollen wir 70 Prozent integriert haben.“

Heyden: „Wir müssen Schutzberechtigte davon überzeugen, eine Ausbildung zu absolvieren, trotz eines geringeren Lohns im Vergleich zu einer Berufstätig-keit. In ihren Heimatländern gibt es nicht unsere Form der Berufsausbildung. Viele wollen rasch Geld verdienen und suchen deshalb Helferjobs. Schulden bei Schleppern zwingen sie dazu oder in der Heimat lebende hilfsbedürf-tige Familienangehörige. Mit jedem Monat, in dem diese Menschen nicht in ihren Berufen arbeiten, sind ihre

daheim erworbenen Abschlüsse immer weniger wert. Das wissen viele Schutzberechtigte nicht. Und damit gerät auch ihre zügige nachhaltige Integration in weite Ferne.“

Fock: „Für Arbeitgeber ist ganz wichtig, dass sie ohne große Bürokratie Flüchtlinge kennenlernen und ein-stellen können. Die Bundesagentur für Arbeit hat bran-

chenübergreifende Kooperationsmodelle entwickelt, die Teile einer frühzeitigen sozi-alversiche-rungspflichtigen Beschäftigung sowie Ausbildung bzw. berufliche Weiterbil-dung verbinden: „work first“. Das sind zum Beispiel dreimonatige Praktika, in denen das Jobcenter weiterhin den Lebensunterhalt sichert. Daran kann sich eine sechsmonatige Qualifizierung anschließen, die die Arbeits-agentur finanziert und auch Lohnkostenzu-

schüsse an Arbeitgeber gewährt.“

Heyden: „Diese Kooperationsmodelle sind sowohl für Asylbewerberinnen und Asylbwerber wie auch für Men-schen im Langzeitleistungsbezug da. Niemand wird in Hamburg bevorzugt oder benachteiligt.“

„Flüchtlinge in Arbeit zu bringen

ist die Aufgabe der Dekade. “

Dirk Heyden

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Etliche Jugendliche und junge Erwachsene finden keinen Ausbil-dungsplatz. Die Hintergründe sind vielfältig: schlechte Schulabschlüsse, Schulden, Wohnungslosigkeit. Auch Jugendliche mit ausländischer Fami-liengeschichte sind darunter. Wer von ihnen ein Handwerk erlernen möchte, den begleiten Matthias Kloß, Wiebke Sandmeyer und Uwe Meyer (Foto, v.l.) bei der Vorberei-tung auf eine Ausbildung im Projekt „Berufsstart Bau“.

Bis zu zwölf Monate dauert das Trai-ning, in dem sich drei Tage bezahltes Praktikum in einem Betrieb und zwei Tage Lernen im Ausbildungszent-rum abwechseln. Die Arbeitsagentur beteiligt sich mit der Einstiegsqualifi-zierung daran.

„Früher waren die Eltern die Ausbil-dungsmanager“, sagt Ausbildungs-leiter Meyer, „aber die Familien- und Lebensverhältnisse haben sich oft so verändert, dass heute Fachleute wie

wir die jungen Menschen bis zum Einstieg in eine Ausbildung beglei-ten müssen.“

„Bei uns zählt Qualität und nicht Quantität“, erklärt Matthias Kloß, zuständig für die Weiterbildung und die Technische Leitung. Dafür bürgen 15 festangestellte erfahrene Ausbil-der. „Sie stecken mit Herz im Thema und sind die Seele unserer Arbeit“, strahlt Herr Kloß. Zehn bis 16 Jugend-liche werden in einer Gruppe betreut, alle müssen das zehnte Schuljahr zuvor abgeschlossen haben. „150 bis 200 Jungs sind durchschnittlich täg-lich bei uns.“

Angesichts der vielschichtigen Pro-blemlagen genügt es aber nicht, nur schulische und handwerkliche Kompetenzen zu vermitteln. Sozi-alpädagogische Betreuung durch Wiebke Sandmeyer ist daher ein fester Bestandteil im „nullten Ausbil-dungsjahr“, wie das herzliche Trio die Vorbereitung nennt.

Aufgrund der zurzeit steigenden Zahl von Schutz suchenden Jugendlichen wurde die Einstiegs-Altersgrenze von 25 auf 26 angehoben. „Nicht erst seit so viele Flüchtlinge nach Ham-burg kommen, bemühen wir uns um Migranten“, betont Ausbildungslei-ter Meyer fast schon energisch. „Von Beginn an gibt es bei uns gemischte Gruppen mit Einheimischen, Zuge-wanderten oder in Hamburg gebore-nen Migranten. Und noch nie hatten wir Probleme.“

Das Projekt „Berufsstart Bau“ gibt es seit 2013. Neun Gewerke können im Hoch-, Aus- und Tiefbau erlernt und geübt werden. Bei der Suche nach einem anschließenden Ausbildungs-platz gibt es ebenfalls Unterstützung. Drei Viertel `der Jungs` schaffen den Sprung in die Betriebe. „Wir wün-schen uns, dass noch viele Jugend-liche diese Chance für ihren beruf-lichen Einstieg bekommen, auch Flüchtlinge“, sagen die Drei vom Ausbildungszentrum-Bau.

Mit Herz und Seele fit gemacht für die Ausbildung

Die Ausbildungszentrum-Bau in Hamburg GmbH fördert die Aus- und Weiterbildung in der Bauwirtschaft. Junge Menschen werden dort auch auf ihre Ausbildung in Betrieben vorbereitet.

EINSTIEGSQUALIFIZIERUNG

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Doppeltes Handicap: ausländische Herkunft und Behinderung

Die Polin Anna Topor ahnte nicht, wie schwer es ist, auf dem Hamburger Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Anna Topor machte sich keine Sorgen, als sie 2006 aus Polen nach Deutschland kam. Denn die Zeitungen berichteten regelmäßig über den hier herrschenden Fachkräftebedarf. Ihr Ein-stieg ins Berufsleben verlief dann aber längst nicht so leicht wie sie es erhoffte. Die junge Frau ließ sich nicht entmutigen und wurde schließlich für ihre Ausdauer belohnt.

In Polen absolvierte Anna ihr Hochschul-studium in Betriebswirtschaftslehre. In Deutschland sattelte sie noch den entsprechenden Abschluss drauf. Alles lief glatt. Erst bei der Jobsuche wurde es dann anstrengend. Denn einerseits sprach die Polin noch nicht einwandfrei Deutsch, andererseits kämpfte sie gegen bestehende Vorurteile wegen ihrer Behinderung, einer halbseitigen spastischen Lähmung.

Im Jobcenter team.arbeit.hamburg suchte die zierliche Frau schließlich Hilfe. Dort erkannte die Arbeitsvermitt-lerin Melanie Zahn sofort das Potenzial, das in ihr steckt. Mittlerweile sprach Anna auch fließend Deutsch.

„Frau Zahn hatte immer ein offenes Ohr für mich und nahm sich Zeit, um meine Probleme und Bedenken bei der

Arbeitsuche mit mir zu besprechen.“ Denn es gab immer wieder Momente, in denen Anna wegen der vielen Absagen keine Motivation mehr hatte. „Aber aufgegeben habe ich nie“, erinnert sich die Polin.

Ihr Durchhaltevermögen zahlte sich aus. Seit über zwei Jahren arbeitet Anna Topor in dem Buchführungs- und Beratungsbüro von Hoffnung e.V. als Buchhalterin. Dort kann sie

neben ihrem Wissen auch ihre Mehrsprachigkeit einbrin-gen und neue, polnisch sprechende Mandantinnen und Mandanten gewinnen. Am Arbeitsplatz ist ihre Behin-derung Nebensache geworden: Dank einer „Ein-Hand-Tastatur“ sowie einer Handstütze kann die junge Frau problemlos ihre Arbeit am Schreibtisch bewältigen – mit großem Erfolg.

„Frau Topor ist ein echter Gewinn für uns“, sagt ihr Chef über seine engagierte Mitarbeiterin. „Ihre Beharrlichkeit zahlt sich auch für unseren Betrieb aus.“

„Ich gebe nie auf, auch wenn die Situation hoff-

nungslos erscheint.“Anna Topor

VOM STUDIUM ZUM JOB

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„Ich erinnere mich noch gut an diesen 19. August 2002, an dem ich meine Tasche packte und mit 19 Jahren ins Unbekannte aufbrach. Einzig meine geliebte Großmutter bestärkte mich, die Reise anzutreten.“

Ihr erstes Jahr verbrachte Giedre bei einer Familie in Rotherbaum. Und sie verliebte sich: in Hamburg und einen jungen Mann. Der Traum vom Glück zu zweien platzte bald, nicht aber ihre Liebe zur Hansestadt. Mit zuweilen vier Jobs hielt die Litauerin sich über Wasser, kellnerte oder ver-kaufte im Einzelhandel. „Hauptsache war, ich konnte meine Rechnungen bezahlen“, lächelt Giedre. Dann kam noch ein Studium hinzu. Die junge Frau jobbte schließlich bis zum Umfal-len.

Nach einem Krankenhausaufenthalt zog sie die Notbremse und brach ihr Studium ab. An ihrem Hamburger Lieblingsort, den Landungsbrücken, wurde sie schließlich zur Kauffrau für Freizeit und Touristik ausgebildet, allerdings ohne Perspektive auf eine Über-nahme in den Betrieb. So folgte ihr erster Gang zum Job-center. „Mir war es so unangenehm, auf Hilfe angewiesen zu sein. Wo ich doch immer für mich selbst gesorgt habe“, gesteht die junge Frau.

Auf jede erdenkliche Stelle bewarb sich die emsige Litau-erin. Entmutigen ließ sie sich auch nicht, wenn ihr auslän-discher Name manches Mal eine Einladung zum Vorstel-lungsgespräch verhinderte. Ihr Ziel war, so schnell wie möglich wieder auf eigenen Füßen zu stehen.

Arbeitsvermittler Holger Sommer erkannte das Potenzial der jungen Frau und förderte sie. Auch nach ihrer Einstellung als Verkäuferin hielt er Kon-takt zu ihr. Und sechs Wochen später fand er endlich jenen Job von dem er wusste, dass der zu Giedre passt. Es klappte, sie wurde seine neue Kollegin im Jobcenter. Denn die gemeinsame Einrichtung in Hamburg suchte zu der Zeit geeignetes und engagiertes Per-sonal.

Heute ist die 32-jährige Giedre Palisaityte angekommen: als Fachassistentin in der

Leistungssachbearbeitung im Jobcenter team.arbeit.hamburg - und in ihrer Wahlheimat Hamburg sowieso. Inzwischen beantragte sie auch die deutsche Staatsbür-gerschaft. „Ich wünschte, meine verstorbene Großmutter könnte mich jetzt sehen“, bedauert Giedre. „Mit dem Job hat es gut geklappt, dann könnte es mit der Liebe in der schönsten Stadt der Welt auch funktionieren.“

Mit zwei Paar Schuhen und 20 Euro im Gepäck

Giedre Palisaityte kam als Au-pair von Litauen nach Deutschland. Aus dem einen Jahr Aufenthalt wurden 13 und aus ihr eine überzeugte Hamburgerin.

„Aufgeben kam für mich nie

infrage, auch nicht, als es mir schlecht ging.“

Giedre Palisaityte

VON AU-PAIR ZUM JOB

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Es ist mehr als vier Jahre her, dass er in seinem Beruf tätig war. Latevi Law-son-Hétchéli gilt deshalb heute in Deutschland als ungelernt. Dabei war der Togolese Stipendiat des Goethe-Instituts in Göttingen, lernte Deutsch in seiner Heimat bereits im Gymna-sium, wo er auch von 2003 bis 2007 Germanistik mit Schwerpunkt Lite-ratur studierte. Sein Abschluss mit französischem Zertifikat entspricht dem Bachelor und ist in Deutschland anerkannt.

Seiner deutschen Frau Barbara folgte Lawson-Hétchéli 2015 nach Ham-burg. Die Jobsuche war schwierig. So kam es, dass er als Küchenhelfer in der Kantine einer Bank jobbte.

In der Arbeitsagentur Hamburg-Har-burg wurde die Vermittlerin Susanne Wulf-Ruhnke auf den jungen Mann aufmerksam. „Wer Deutsch, Englisch und Französisch spricht und ein abgeschlossenes Studium hat, den müssen wir einfach auf dem Ham-burger Arbeitsmarkt platzieren.“

Denn angesichts des Fachkräftebe-darfs werden mehrsprachige Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter vielfach gesucht.

Das passende Instrument zur Ein-gliederung gibt es auch: Zukunfts-starter. Latevi passt in dieses neue Programm, das im August 2016 mit dem `Gesetz zur Stärkung der beruf-lichen Weiterbildung und des Ver-sicherungsschutzes in der Arbeits-losenversicherung`(AWStG) gestartet wurde. Zielgruppe sind ungelernte und geringqualifizierte Menschen zwischen 25 und 35 Jahren, die auf eine Ausbildung vorbereitet werden.

„121 Kundinnen und Kunden wurden allein in Harburg in das Programm aufgenommen“, erzählt Wulf-Ruhnke.

Die beruflichen Perspektiven für Zukunftsstarter sind gut, sie sind viermal weniger arbeitslos als Unge-lernte. Bis Ende Januar 2017 wird Lason-Hétchéli einen dreimonatigen Einstiegskurs beim Fortbildungs-

träger Grone besuchen. Anhand seiner Qualifikationen hilft man dem 35-Jährigen hier, im Anschluss einen passenden Ausbildungsplatz zu finden. Als Kaufmann im Groß- und Außenhandel möchte der freundliche Mann mit den höflichen Umgangsformen arbeiten.

Seine bescheidene Art lässt nicht auf Anhieb erkennen, welch beharr-liche Tatkraft in dem Zukunfsstarter steckt. In seiner Heimat organisierte er zusammen mit Mitschülern einen Deutsch-Club, damit sie außerhalb der Schule Deutsch üben konnten. Und er gründete einen Fußballver-ein, damit Jugendliche weg von der Straße kamen. Der Germanist ertrug Anfeindungen, bis ihm der Erfolg Recht gab – und Ansehen.

„Die Liebe zur deutschen Sprache ist meine Motivation. Gern möchte ich in Hamburg leben, eine sichere berufliche Zukunft haben und finan-ziell auf eigenen Füßen stehen“, sagt er in feinstem Deutsch.

„‚Meine Liebe zur deutschen Sprache treibt mich an.“

In seiner Heimat Togo holte er Jugendliche von der Straße. Im Gymnasium gründete er einen Deutsch-Club. Nun sucht Latevi Lawson-Hétchéli eine berufliche Zukunft in Hamburg.

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ZUKUNFTSSTARTER

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