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Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (1997) 142/2: 55-67
Urs B. Leu, Zürich
Zusammenfassung
Die Geschichle der Rekonstruklion der Dinosaurier
wird unler Berücksichtigung von einigen seltenen Do-
kumenten geschildert, die im Paläontologischen Muse-
um und der Zentralbibliolhek in Zürich aufbewahrt
werden. Auch die Schweizer Forschungsgeschichte fiH-
det Erwähnung, wobei der älteste, 1824 veröffentlichte
Bericht über Dinosaurier in der Schweiz erstmals be-
sprochen wird. Da die Ichthyosaurier und die Pterosau-
rier in der Öffenllichkeit häufig mit den Dinosauriern
in Verbindung gebracht werden, sind auch sie Gegen-
sland dieser Darstellung.
History of Dinosaur-Research
There follows a description of the history of the recon-
struction of the dinosaurs with reference to some rare
documents preserved in the Paleontological Museum
and the Central Library in Zurich. The history of Swiss
research is also discussed as well as the first report of
Swiss dinosaurs which has been published in 1824.
Because the ichthyosaurs and pterosaurs are often
commonly associated with the dinosaurs, they are also
subjects of this paper.
1 EINLEITUNG
Die Dinosaurier' erfreuen sich in deH letzten Jahren einer
noch Hie dagewesenen weltweiteH Beliebtheit. Nebst paläon-
tologischen Instituten und Museen sind auch Buchhandlun-
gen, Kinderzimmer und KinoleiHwäHde zu ihrer Heimat
geworden. Doch seit wanH wissen wir überhaupt um die
Dinosaurier? Wie hat sich unser Bild dieser Giganten seit dem
19. Jh. verändert? Diesen und ähnlicheH Fragen spürte die
Ausstellung «Dinosaurier iH der Zentralbibliothek— Bücher,
Bilder und Dokumente aus der Geschichte der Saurierfor-
schung» Hach, die vom 21. Jannar bis 1. März 1997 im
Katalogsaal zu sehen war. Da die gezeigteH DokumeHte einen
gewisseH Seltenheitswert besitzen und eine repräsentative
Auswahl aus zweihundert JahreH Forschungsgeschichte dar-
stellen, drängte sich deren PnblikatioH fast auf.
2 ENTDECKUNG DER ICHTHYOSAURIER(FISCHSAURIER)
Zu Beginn des 18. Jh. veröffentlichte JOHANN JAKOB BAIER
(1708) als erster Abbildungen von Ichthyosaurierwirbeln. Sie
stammteH aus Altdorf in Franken und wurden von ihm fälsch-
lich als Fischwirbel ideHtifiziert. Seine DeutuHg bestritt der
Zürcher JOHANN JAKOB SCHEUCHZER (1708), der im glei-
chen Jahr zwei Wirbel eines Fischsauriers publizierte, die er
als Student beim Hochgericht zu Altdorf gefuHden hatte und
die er als menschliche Relikte betrachtete (KUHN-SCHNY-
DER, 1974, p. 77). Auch die 1749 vorH Göppinger Arzt Chri-
stian A. Mohr aus dem Posidonienschiefer von Boll geborge-
Hen Funde, darunter die Brustpartie eines Ichthyosauriers mit
eiHem Jungtier in der Leibeshöhle (ZIEGLER, 1986), sowie die
englischen Fossilien trugen wenig zu einem besseren Ver-
Dinosaurier von Dinosauria (griech. demos = gewaltig, furchtbar; sauros = Eidechse). Die kleinsten sind 60 cm lang (Compsognathus),die grössten 40 m (Verwandte von Diplodocus). Die D. sind eine heterogene Gruppe von Landtieren mit langen Schwänzen, meist langenHälsen und kleinem Gehirn. Aufgrund des Beckenbaus werden 2 Ordnungen unterschieden: 1. Saurischia oder Echsenbecken-D. mit denUnterordnungen Theropoda (Raubtierfuss-D., meist zweifüssig [biped] gehende, fleisch- und aasfressende, relativ kleine Dinosaurier,deren kurze Vorderfüsse Greiforgane sind, z. B. Compsognathus), Carnosaurier (Raub-D., plumpere und kräftige, meist bipede, z.T. sehrgrosse D. mit scharfschneidenden Zähnen, z. B. Tyrannosaurus, Megalosaurus) und Sauropodomorpha (Elefantenfuss-D., z.T. sehr grosse,überwiegend vierfüssige Pflanzen- und Allesfresser mit den Infraordnungen Prosauropoda und Sauropoda; zu letzteren z. B. Brachio-saurus, Brontosaurus, Diplodocus). 2. Ornithischia oder Vogelbecken-D. mit den vorwiegend pflanzenfressenden U.O. Ornithopoda(Vogelfuss-D., Zweifüsser mit dreizehigen Füssen, z. B. Hadrosaurus, Iguanodon), Pachycephalosaurier (Dickkopf-D., sind Pflanzen-und Insektenfresser, z. B. Stegoceras), Stegosaurier (Stachel-D. mit grossen Knochenplatten und Stacheln, z. B. Stegosaurus), Ankylo-saurier (Panzer-D. mit Knochenplatten auf Rücken und kurzem, bIeitem Schädel, z. B. Ankylosaurns) und Ceratopsier (Horn-D. mit dickerHaut, aber ohne Knochenplatten, Hals mit Nackenschild und Kopf mit Hörnern, z. B. Triceratops).
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Urs B. Leu
ständnis dieses ausgestorbeHeH MeeresbewohHers bei. Über
huHdert Jahre Hach den Arbeiten von Baier und Scheuchzer
entdeckteH 1811/12 der damals fünfzehnjährige Joseph An-
ning und seine drei Jahre jüngere Schwester Mary ein schö-
nes Ichthyosaurierskelett in Lyme Regis, Dorset (GB). Es
handelte sich dabei nicht um den frühesten Ichthyosaurier-
fuHd voH Lyme Regis, aber den ersten, der die Auf-
merksamkeit der GelehrteH auf sich zog (TORRENS, 1995).
Einer voH ihnen, SIR EVERARD HOME (1814), beschrieb das
Tier uHd bildete es auf vier Tafeln ab. Bereits der Titel seiner
Arbeit weist darauf hin, dass ihm die zoologische Einordnung
Mühe bereitete: «Some Account of the fossil Remains of an
Animal more nearly allied to Fishes than any of the other
Classes of Animals.» WähreHd Home Ähnlichkeiten mit den
Lurchtieren erkannte und das Fossil als Proteosaurier betitel-
te, legte ihm Charles Koenig vorH British Museum of NaturalHistory in LondoH 1817 deH NameH Ichthyosaurus bei (TOR-
RENS, 1995). Im darauffolgeHdeH Jahr erstand Thomas J.
Birch das vollständigste Exemplar aus Lyme Regis, aHhand
desseH die komplette Anatomie des Tieres sowie die Unzu-
länglichkeit des Namens Proteosaurus deullich wurde (TOR-
RENS, 1995). 1824 beschrieb der Mediziner uHd Betreuer des
KöHiglichen Naturalienkabinetts in Stuttgart, G.F. Jäger, den
oben erwähnten Fund von Boll mit einem Jungtier und er-
kanHte die Identität mit den englischen Ichthyosauriern
(ZIEGLER, 1986).Trotz aller Fortschritte blieb die äussere BeschaffeHheit
der Tiere nach wie vor ein Rätsel, das erst nach der Bergung
verschiedener Exemplare mit Körperumrissen gelöst werden
konnte. Der Oxforder Geologe William Buckland erwähnte
1836 als erster derartige EiHzelteile von FischsaurierH. Der
bekanHte Kenner fossiler Fische, der Schweizer Louis Agas-
siz, übersetzte und innotierte die zweite Auflage des eHtspre-
cheHdeH Werkes des englischen Erdwissenschaftlers, wo-
durch dessen Entdeckung auch im deutschen Sprachraum
bekannt wurde (BuCKLAND, 1838, Taf. X). Ein eHdgültiges
Bild hatte man aber von den IchthyosaurierH infolge des
fragmeHtarischen Charakters von Bucklands Funden immer
noch Hicht.
Der führende eHglische PaläoHtologe Richard Owen be-
obachtete, dass die Schwanzwirbel im hiHteren Drittel nach
uHten abbiegen und schloss daraus auf eiHe horizontaleVerbreiterung des Schwanzes (FRAAS, 1893), wohingegen
derselbe vorher in eine Spitze auslaufend dargestellt wurde
(GOLDFUSS, 1826-33). Mitte des 19. Jh. herrschte im übri-
Abb. l. Darstellung eines Ichthyosauriers Mitte des 19. Jh. (BUCK-LAND, 1858, Plate 23).
Fig. 1. Illustration of an Ichthyosaur from the middle of the nine-teenth century (BLICKLIND, 1858, Plate 23).
Endgültige Klarheit über ihr Aussehen verschaffte
schliesslich ein prächtiger Fund mit vollständig erhaltenenUmrissen der Weichteile aus dem Posidonienschiefer voH
HolzmadeH (Abb. 2). Eberhard Fraas wies auf der General-
versammlung des Vereins für vaterländische Naturkunde inWürttembeIg 1892 erstmals darauf hiH. Er fasste die neuen
Resultate wie folgt zusammen (FRAAS, 1893, p. XLIf.):«Durch unseren neuesten Fund sind wir eines Besseren be-
lehrt und sehen nun, dass die zwar sehr scharfsinnige Erklä-
rung R. OWEN'S doch nicht das Richtige getroffen hat, son-
dern dass Ichthyosaurus eine grosse vertikal stehende
Schwanzflosse besessen hat, welche viel mehr an diejenige
der Haifische, als an die der Delphine erinnert. Aber ausser
diesem wichtigen Organe lernen wir noch eine Reihe anderer
Weichteile des Tieres kennen. Auf dem Rücken etwa in der
Mitte des Rumpfes erhebt sich eine Rückenflosse von der
Gestalt eines gleichseitigen Dreiecks, dahinter bis zur
Schwanzflosse werden eine Anzahl grosser Lappen oder Dor-nen sichtbar, welche an den Kamm mancher Eidechsen oder
Molche erinnern. Am Bauche schliesslich erkennen wir aus-
ser den breitlappigen Flossen noch eine starke Entwickelung
der Fleischmasse in der Gegend des Beckens, welche auf
einen starken Gebärapparat hinweist. Eingehende und sorg-
gen die Ansicht vor, dass die Fischsaurier ähnlich den Rob- Abb. 2. Ichthyosaurier mit Körperumrissen (FRAAS, 1894, Taf. V).ben an Land zu kommen pflegten, um sich zu _ soHnen Fig. 2. Ichthyosaur with the outline of the soft body preserved(Abb. 1). (FRAAS, 1894, Taf. V).
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Geschichte der Dinosaurierforschung
faltige Untersuchung kann natürlich hier erst zu einem be-
stimmten Resultate führen. Soviel lässt sich aber schon jetzt
erkennen, dass sich die Körperform des Ichthyosaurus nach
diesem Funde wesentlich von dem Bilde unterscheidet, das
die frühen Rekonstruktionen darstellten. Aus dein langge-
streckten walzenförmigen Ungetüm ist nun ein Tier gewor-
den, dessen äussere Erscheinung am meisten an einen Del-
phin oder Fisch erinnert, wenn auch die Anatomie des Ske-
lettes auf einen ganz anderen Tierkreis, nämlich auf den der
Reptilien hinweist.»
3 ENTDECKUNG DER PTEROSAURIER(FLUGSAURIER)
Der Leiter des pfälzisch-kurfüIstlichen Naturalienkabinetts,
Cosimo A. Collini, beschrieb 1784 als eIster einen Flugsau-
rier. Es gelang ihm nicht, dieses Eichstätter Fossil richtig
eiHzuordnen, weshalb er es für das Vernünftigste hiell, es
grundsätzlich für ein Meerestier zu erkläreH. 1801 stellte der
Begründer der WirbeltieIpaläontologie, der Franzose Geor-
ges Cuvier, fest, dass es sich um ein fliegendes Reptil haHdeln
muss, das er mit der heutigen Flugeidechse Draco verglich.
Acht Jahre später ordHete es Cuvier einer eigenen Sauriergat-
tung zu und nannte das Tier Ptero-dactyle, was übersetzt
Flugfinger heisst (WELLNHOFER, 1993). Cuviers letztlichbahnbrechender Arbeit war leider keine einhellige Akzeptanz
nnter den Gelehrten beschieden. Der Göttinger Professor J.F.
BlumeHbach deutete die früheH FlugsaurierfuHde 1807 als
Fossilien von Schwimmvögeln (QUENSTEDT, 1855). Noch1830 stellte der Münchner Zoologe J.G. Wagler den Ptero-dactylus als Wassertier dar, das seine langen Arme aHalog deH
PiHguineH als Flossen benützte (Abb. 3). S.T. voH Soemsne-
ring, Betreuer der NaturalieHsammlnng der Bayerischen
Akademie der Wissenschaflen, ordnete ihH 1812 als fleder-
mausähnliches Säugetier ein, das dem heutigen fliegenden
HuHd IHdieHs am nächsten kommt (WELLNHOFER, 1993).Auch der Bonner Professor G.A. GOLDFUSS (1831) versahauf der ersten bekanHten zeichnerischen Rekonstruktion die
Tiere mit Fledermausflügeln (Abb. 4).
Die ersten fundierteren Lebensbilder tauchen erst in der
zweiten Hälfte des 19. Jh. auf. Der amerikanische Paläonto-loge Othniel Ch. Marsh hörte 1873 von einem prächtigen
Exemplar eines Rhamphorhynchus mit erhalteHeH
FlughautabdrückeH aus Solnhofen, erwarb den seHsationel-
len Fund für das Museum des Yale College uHd veröffentlich-te ihn (MARSH, 1882) (Abb. 5). Im gleichen Jahr erfolgtezufälligerweise die Publikation eines weiteren Flughaut-Ex-
Abb. 3. Pterodactylus (mit für Pterodactyliden typischem kurzenSchwanz) wie ein «Pinguin» mit den langen Flügeln schwimmend(WAGLER, 1830).
Fig. 3. Pterodactylus (with short tail) swimms as a «penguin» withthe wings (WAGGER, 1830).
Abb. 4. Pterodactyius als «Fledermaus» (GOLDFUSS, 1831, Tab.IX).
Fig. 4. Pterodactylus as a «bat» (GOLDFUSS. 1831, Tab. IX).
emplars von Rhamphorhynchus aus der Münchner Staats-sammluHg durch den Geologen K.A. von ZITTEL (1882).
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Urs B. Leu
Abb. 5. Rhamphorhynchus (mit dem für Rhamphorhynchoiden ty-pischen langen Schwanz mit waagrecht gestelltem Schwanzsegel)mit Abdrücken der schlanken Flügel von 1 m Spannweite (MARSH,1882, Tafel HI).
Fig. 5. Long tailed Rhamphorhynchus with impressions of theslender wings (MARSH, 1882, Plate III).
4 ENTDECKUNG DER DINOSAURIER
4.1 WegbereiterDie ältesteH Dinosaurierfunde wurden zwar iH China bereits
im zweiten vorchristlichen JahrtauseHd gemacht (ZHIMING,
1988, p. 9), aber die erste gedruckte AbbilduHg eines Dino-saurierknochens (Abb. 6) findet sich erst in der «Natural
History of Oxfordshire» von Robert Plot (1677 in erster und
1705 in zweiter Auflage). Es handelte sich dabei um ein heute
Abb. 6. Die erste Abbildung eines Dinosaurierknochens (PLOT,1705, Tab. VHI).
Fig. 6. The first illustration of a Dinosaur bone (PLOT, 1705, Tab.VIII).
verloreHes Fragment eiHes Oberschenkelknochens aus einem
Steinbruch in Cornwell, Oxfordshire GB (HALSTEAD & SAR-
JEANT, 1993). Aufgrund vergleichender anatomischer Studien
schloss Plot aus, dass er von einem Ochsen oder Pferd stamm-
te (PLOT, 1705, p. 134): «Since then it seems to be manifest,
that the Size of the Bone has been scarce alter'd in its
Petrification: It remains, that it must have belong'd to some
greater Animal than either an Ox or Horse; and if so (say
almost all other Authors in the like Case) in probability it
must have been the Bone of some Elephant, brought hither
during the Government of the Romans in Britain: But this
Opinion too lies under so great Difficulties, that it can hardly
be admitted ...». Er deutete ihH schliesslich als Überbleibsel
eines menschlichen Riesen. 1755 fand Joshua Platt einen
90 kg schweren und 81 cm langen DinosaurierkHochen, den
er wie alle seine Vorgänger Hicht zu identifizieren vermochte
(PLATT, 1758).
Wiederum war es Cuvier, welcher der Entdeckung der
Dinosaurier deH Weg bahnte. Dies einerseits aufgruHd des
Nachweises, dass der 1770 in Maastricht gefundene Mosa-
saurus eine ausgestorbene Riesenechse war (NORMAN,
1991), uHd andeIseits infolge seiner Untersuchungen fossiler
Elephanten, deren Resultate er am Tag der ersten Sitzung des
«Institut national» vortrug und anhand derer er der ErkeHnt-
nis zum Durchbruch verhalf, dass viele Tierarten ausgestor-
ben sind (CUvIER, 1796).
4.2 Frühe FundeIm Jahr 1818 wurden in einem Steinbruch bei Stonesfield
grosse fossile Knochen sowie KieferkHochen mit Zähnen
geborgen und dem Oxforder Geologieprofessor William
Buckland znr BestimmuHg gebracht. Dieser betrachtete sie,
in Übereinstimmung mit dem im gleichen Jahr in England
weilenden Cuvier, als Reste eines neuen Riesenreptils (NOR-
MAN, 1991), publizierte aber erst sechs Jahre später (BUCK-LAND, 1824). Der von ihm beschriebene Megalosaurus war
der eIste bekaHnte Vertreter der Dinosaurier, von deHen bis
1990 weitere 284 Gattungen gefunden wordeH sind
(DODSON, 1990).Bereits im Hächsten Jahr veröffentlichte der im südengli-
schen Lewes wohnhafte Arzt Gideon A. Mantell die EIstbe-
schreibung eines weiteren Dinosauriers. Mantell stiess in den
Steinbrüchen um Tilgate Forest vor 1822 auf ungewöhnliche
spatelförmige Zähne, die weder er Hoch Cuvier zu identifi-
zieren vermochten. Schliesslich begab er sich in das Museum
des Royal College of Surgeons in London, um seine ZähHe
mit deHjenigen gewisser rezenter Echsen zu vergleichen, was
des Rätsels Lösung mit sich brachte (MANTELL, 1825,
58
Geschichte der Dinosaurierforschung
S. 181f.): «The result of this examination proved highly satis-
factory, for in an Iguana which Mr. Stutchbury hat prepared
to present to the College, we discovered teeth possessing the
form and structure of the fossil specimens.» Aufgrnnd der
Ähnlichkeit der ZähHe (Abb. 7) schlug der Geologe W. Cony-
beare Iguanodon als Gattungsbezeichnung für die neue Rie-
senechse vor. Mantell veranschlagte für das Reptil eine LäHge
von 18 m (NORMAN, 1991)! 1832 barg er iH den SteinbrücheH
von Tilgate Forest Fragmente eines weiteren Dinosauriers
nameHs Hylaeosaurus (DESMOND, 1978).
Der englische Paläontologe Richard Owen fasste 1842
(nicht wie oft behauptet 1841, c.l. TORRENS, 1993, p. 274f.)
Megalosaurus, Iguanodon nnd Hylaeosaurus aufgrund ge-
wisser Gemeinsamkeiten von Skelettbau uHd Grösse in einer
neuen Reptiliengruppe zusammen, die er als Dinosauria be-
zeichnete (OWEN, 1842, p. 102f.). Bereits über ein JahrzehHt
vor Owen halte der deutsche PaläoHtologe H. VON MEYER
(1830) Megalosaurus und Iguanodon als «Saurier mit Glied-
masseH, ähnlich denen der schweren Landsäugethiere» in
einer eigenen Gruppe zusammeHgefasst. In seiHem 15 Jahre
später erschienenen «System der fossilen Saurier» bezeich-
Hete er die bis zu diesem Zeitpunkt bekanHteH Gattungen
Iguanodon, Hylaeosaurus, Megalosaurus und Plateosaurus
Abb. 7. Gideon Mantells Iguanodon-Zähne, die er mit denen vonIguana (unten) verglich (MANTELL, 1825, Plate XIV).
Fig. 7 Gideon Mantell's teeth of Iguanodon which he comparedwith those of Iguana (see below) (MANTEL[, 1825, Plate XIV).
nicht als Dinosaurier, sondern als Reptiliengruppe der Pachy-
podes, was soviel heisst wie «Dickfüsser» (MEYER, 1845).
Im Lanfe der folgenden Jahre setzte sich Owens Ansatz unter
den Paläontologen schliesslich endgültig durch.
4.3 Der Crystal Palace in LondonFür die Weltausstellung im Londoner Hyde Park 1851 entwarf
Joseph Paxton eine höchst beeindrnckende Gusseisen-Glas-
Konstruktion, den sogeHannten Crystal Palace (Abb. 8). Der
in nur 10 Monaten konstrnierte Bau verfügte über eine
Grundfläche von 70 000 m2, eine Länge von 564 Metern und
umschloss damit deH grössten Innenraum, der bis dahin
jemals gebaIt wordeH war. 1852 erfolgte seine Verlegnng in
den Londoner Vorort Sydenham, wo der erste Kultur- und
Freizeitpark Europas realisiert werden sollte (1936 fiel der
Palast ebenda eiHer Feuersbrunst zum Opfer).
Abb. 8. Blick auf den Crystal Palace mit Parkanlage (The Illustra-ted London News, 10. Juni 1854).
Fig. 8. View of Crystal Palace with park (The Illustrated LondonNews, 10th of June 1854).
Der mit Königin Viktoria vermählte Prinzgemahl Albert
regte an, das Parkgelände mit Modellen ausgestorbener Tiere
zu verseheH. Der führende englische PaläoHlologe und Dino-
saurierkenner Richard Owen und der bereits an der Weltans-
stellung beteiligte Künstler BeHjamin W. Hawkins wurdeH
mit der Herstellung der lebeHsgrosseH Rekonstruktionen be-
traut. Das Interesse für die ausgestorbenen GigaHten nahm so
zu, dass geradezu von einer ersten Dino-Welle gesprocheHwerden kann, die Hicht zuletzt auch iH der Literatur ihreH
Niederschlag fand. CHARLES DICKENS (1852) beschrieb auf
der ersteH Seite seines Romans «Bleack House» eiHen düste-
ren Novembertag mit den Worten: «Implacable November
weather. As much mud in the streets, as if the waters had but
newly retired from the face of the earth, and it would not be
59
Urs B. Leu
2
wonderful to meet a Megalosaurus, forty feet long or so,
waddling like an elephantine lizard up Holborn-hill.»
Hawkins fertigte nach Vorgaben von Owen die bis zu 30
ToHHeH schweren Dinosauriermodelle aus Ton aH (DES-
MOND, 1974). Die «Illustrated LoHdon News» dIuckte am 31.
Dezember 1853 eine berühmte Darstellung ab, die deH Künst-
ler mit den modellierten Riesen in seiner Werkstatt zeigt
(Abb. 9). Im Zentrum steht der Dinosaurier Iguanodon. Die-
ser verfügte über eiHen massiveH spitzeH Daumen, den er als
Verteidigungswaffe einsetzte. Infolge der spärlichen Fundsi-
tuation war aHfäHglich nicht klar, wo dieser konische KHo-
cheH am Skelett plaziert werden sollte. In Analogie zum
Rhinozeros setzte ihn OweH dem Tier auf die Nase. Hinten
links ist das Säugelier Anoplotherium sichtbar. UHterhalb
Abb. 9. B.W. Hawkins in seinem Atelier (The Illustrated LondonNews, 31. Dez. 1853).
Fig. 9. B. W Hawkins in his atelier (The Illustrated London News,31th of Dec. 1853).
davon ist das Amphib Labyrinthodon dargestellt, das einen
Dachschädellurch (Mastodonsaurus) wiedergibt. Der Hy-
laeosaurus rechts ist Hur von hinten zu seheH und das Dicyno-
don davor stellt ein Reptil mit walrossähHlichen ZähHen dar.
Da der fossile Schädel über einen Hornschnabel verfügte, lag
es damals auf der Hand, eine Schildkröte mit Hauern abzu-
leiten. Darüber hinaus stellte HawkiHs weitere Tiere wie
Megalosaurier, Ichthyosaurier, Plesiosaurier, Mosasaurier
sowie die erste dreidimeHsionale NachbilduHg eines Flugsau-
riers (Pterodactylus) her. Insgesamt schuf er in dreieinhalb-
jähriger Arbeit 33 lebensgrosse Modelle. Um die Rekon-
struktioHeH vor dein Publikum zu schützeH, wurden sie auf
Inseln in einem ungefähr 2,5 Hektaren grosseH See plaziert.
Die Tiere waren in erdgeschichtlich chronologischer Folge
gruppiert und von NachbilduHgen entsprechender Pflanzen
umgebeH (DESMOND, 1978).
Am Sylvesterabend 1853 fand auf Einladung von Haw-
kins ein grosses Festessen mit 21 geladenen Gästen im Bauch
seines Iguanodon-Modells statt. Gemäss der «Illustrated
London News» vom 7. Januar 1854 sass Professor Owen am
Kopf des Tisches, während die NameH der ersten Dinosauri-
er-Pioniere Buckland, Cuvier, Owen und Mantell die Wän-de zierten. Es ist denkbar, dass Hawkins dieses Dinner in
AnlehuHg an eineH ähnlicheH Anlass, den sein Vater erlebte,
veranstaltete. 1802 folgte dieser nämlich eiHer Einladung von
Charles Wilson Peale, der ebenfalls ein Essen in dem von ihm
gefundenen und restaurierteH ersten amerikanischen Masto-
don-Skelett abhielt (DESMOND, 1978, p. 246, Anm. 8).
Am 10. Juni schliesslich wurde der erste Kultur- und
Freizeitpark EnglaHds mit seinen Dinosauriern von Königin
Viktoria in Gegenwart von 40 000 ZuschanerH eröffnet.
Owen verfasste eigens eineH Führer für diese erste Dinosau-
rier-Ausstellung der Paläontologiegeschichte (OwEN, 1854).
Der Park und seine ausgestorbenen Bewohner erfreuten
sich so grosser Beliebtheit, dass es der 1826 in Vesoul gebo-
rene nnd in Paris tätige französische Präparator Arthur Eloffe2
wagen konnte, Tischmodelle von den Crystal Palace-Gigan-
ten anzufertigen und zum Verkauf anzubieten (D'AMAT,
1970). Das Sortiment dieser mittlerweile höchst seltenen
Gipstiere bestand aus: Iguanodon, Labyrinthodon, Megalo-
Für die Produktion der Eloffschen Modelle lässt sich lediglich einterminus post quem von einer Etike tte ableiten, die unten amSockel des Iguanodon-Modells aufgeklebt ist, das sich im Palä-ontologischen Mnseum Zürich befmdet. Daraus geht nicht nurhervor, dass Eloffe an der Rue de l'Ecole de Medecine 20 tätigwar, sondern auch, dass er in den Jahren 1858 und 1859 mitverschiedenen Preisen bedacht wurde, wobei der Grund dafürnicht ersichtlich ist. Das Iguanodon-Modell und wohl auch dieanderen Gipstiere können somit frühestens 1859 entstanden sein.
60
Geschichte der Dinosaurierforschung
l2
Abb. 10. Iguanodon nach Owen & Hawkins nnd modelliert von Eloffe (Länge: 49 cm; Paläont. Museum der Univ. Zürich: A/IIIl016).
Fig. 10. Iguanodon after Owen & Hawkins and moulded by Eloffe (length: 49 cm; Paleont. Museum of the Univ. of Zurich: A/I111016).
Abb. 11. Megalosaurus nach Owen & Hawkins und modelliert von Eloffe (Länge: 56 cm; Paläont. Museum der Univ. Zürich: A/IHl017).
Fig. 11. Megalosaurus after Owen & Hawkins and moulded by Eloffe (length: 56 cm; Paleont. Museum of the Univ. of Zurich: A/1111017).
Abb. 12. Pterodactylus und Mastodonsaurus (= Labyrinthodon; Länge: 32 cm) nach Owen & Hawkins und modelliert von Eloffe (Paläont.Museum der Univ. Zürich: A/III0782 und A/II0072).
Fig. 12. Pterodactylus and Mastodonsaurus (= Labyrinthodon; length: 32 cm) after Owen & Hawkins and moulded by Eloffe (Paleont.Museum of the Univ. of Zurich: A/I110782 and A/110072).
saurus, Pterodactylus und einer Gruppe mit Plesiosauriern
und einem Ichlhyosaurier. Die vier erstgenannten sind stolzer
Besitz des Paläontologischen Museums der Universität Zü-
rich (Abb. 10-12).
4.4 Zweifüssiges echtes SchreitenDie Rekonstruktionen von Owen und Hawkins liessen die
Dinosaurier als schwerfällige, rhinozerosähnliche ReptilieH
erscheinen. Dieses Bild hielt sich bis 1858, als der amerika-
nische Anatomieprofessor Joseph Leidy, der übrigens 1856
deH ersten Dinosaurierfund der USA beschrieb, einen kurzeH
Aufsatz über den in New Jersey entdeckten Hadrosaurus
foulkii veröffeHtlichte. Aufgrund der langen kräftigen Hinter-beine und der kurzen Vorderarme schloss er auf eine kängu-
ruhähnliche Haltung (LEIDY, 1858): «The great disproportion
of size between the fore and back parts of the skeleton of
Hadrosaurus, leads meto suspect that this great herbivorous
lizard may have been in the habit of browsing, sustaining
61
Urs B. Leu
itself kangaroo-like, in an erect position on its back extremi-
ties and tail.» Damit lag die Vermutung nahe, dass gewisse
DiHosaurier zum zweifüssigen echten Schreiten befähigt wa-
reH. Wiedernm war es Hawkins, der 1868/69 die ersten le-
bensgrossen Modelle von Hadrosauriern in Philadelphia und
in New York anfertigte (Abb. 13), letztere im Auflrag von
Andrew Green, dem Verwaltungsleiter des New Yorker Cen-
tral Park. Dieser beabsichtigte, deH Saurierpark des Londoner
Crystal Palace-Unternehmens auf amerikanische Verhältnis-
se zu übertragen. Leider wurde das Projekt infolge politischer
Qnerelen Hie realisiert (DEsMOND, 1978).
Weitere Funde von Tieren mit einem ähnlichen Bauplan
in Europa und den USA bestätigteH, dass für verschiedene
Dinosaurier-Gattungen das zweifüssige echte Schreiten ty-
pisch war. Erwähnt seien an dieser Stelle die Bergung von
Compsognathus longipes in Solnhofen (WAGNER, 1861) und
die EntdeckuHg des Iguanodon- «Friedhofs» im April 1878 in
der Kohlengrube SaiHte-Barbe im stidweslbelgischen Ber-
nissart (DOLL), 1882). Dem jungen Museumsassistenten
Louis Dollo wurde die Beschreibung der Tiere anverlraut. Er
montierte sie als bipede echte Schreiter (Abb. 14). Nach
Abb. 13. Hawkins mit Hadrosaurus (Harpers Weekly, New York,14. Aug. 1869).Fig. 13. Hawkins with Hadrosaurus (Harpers Weekly, New York,14th of Aug. 1869).
Abb. 14. Iguanodon wurde von Louis Dollo als Zweifüsser und inaufrechter Haltung montiert. Diese Photographie zeigt einen Gips-abguss für das British Museum in London (WoonwARD, 1895, TafelX).
Fig. 14. Louis Dollo restored Iguanodon as bipedal with a veryupright posture. The photograph shows a cast made for the BritishMuseum, London (WOODWARD, 1895, Plate X).
heutiger Auffassung war Iguanodon je nach Gangart befä-
higt, auf zwei und auf vier Beinen zu gehen.
4.5 Die Entdeckung der RiesenKaum hatte sich die zweifüssige Gangart Bahn gebrochen,
zeigten neue FuHde aus den USA, dass es doch auch Dino-
saurier in Gestalt von vierfüssigen RieseH gab. Als OTHNIEL
CHARLES MARSH (1877) von der Yale University seiHe zwei-
seitige Beschreibung des iH Colorado ausgegrabenen gigan-
tischen SauropodeH Titanosaurus montanus publizierte, er-
öffnete er damit eines der fundreichsten DezennieH in der
Geschichte der Dinosaurierforschung, das als Jahrzehnt des
«Knochenrausches» iH die Literatur einging. Marsh und seiH
Kontrahend Edward Drinker Cope, Paläontologe in Philadel-
phia, durchwühlten Colorado uHd Wyoming nach immer
neueH DiHosaurier-Trophäen. Im gleicheH Jahr, in welchem
Marsh den ersten Sauropoden beschrieb, gelang ihm in Co-
lorado die Entdeckung des ersten Stegosaurus. 1886 stiess er
auf ein prächtiges Skelett des von ihm benannten Stegosaurus
stenops, und fünf Jahre später veröffentlichte er die erste
zeichnerische Rekonstruktion eines Stegosaurus (MARSH,
1891). Die charakteristischen RückenplatteH des Tieres stellte
er seHkrecht iH einer LiHie entlang der Wirbelsäule auf, und
am Schwanz fixierte er acht Stacheln. Die Anzahl uHd Posi-
tionierung der Platten und der StachelH hat immer wieder zn
Diskussionen und zur Unterbreitung veIschiedenster Lö-
suHgsvorschläge Anlass gegeben (GILMORE 1914) wie etwain Abb. 15. Heute wird die VersioH mit einer Reihe von leicht
62
Geschichte der Dinosaurierforschung
Abb. 15. Modell von Stegosaurus, vermutlich uIn die Jahrhundert-wende entstanden, mit zwei parallelen Reihen (auf Abb. nichtersichtlich) von Rückenplatten und acht Schwanzstacheln (Länge:63 cm; Paläont. Museum der Univ. Zürich: A/IIIl020).
Fig. 15. Model of a restored Stegosaurus, probably from the turnof the century with two rows of dorsal plates and eight spikes(length: 63 cm; Paleont. Museum of the Univ. of Zurich: A/1111020).
zueinander versetzten Platten und vier Schwanzstacheln fa-
vorisiert.
1879 förderte Marsh in Wyoming ein fast vollständiges,
kopfloses Skelett eines Brontosaurus zutage und publizierte
eine ZeichHuHg davoH (MARSH, 1883). In Ermangelung des
Kopfes setzte er ihm deH entfernter gefundenen, kürzeren und
breiteren Schädel eines Camarasaurus auf. Es dauerte eiH
ganzes Jh., bis diese Fehlmontage korrigiert wurde (ASH-
WORTH, 1996).
Eine der spektakulärsten Diskussionen im Zusammen-
haHg mit der Rekonstruktion von Dinosauriern entbrannte
anlässlich des Skelettbaus des uHgefähr 30 Meter langen
Diplodocus. Die ersten Funde wurden bereits während des
amerikanischen «Knochenrausches» entdeckt. Berühmtheit
erlangte das Tier aber erst, als William J. Holland vom
Pittsburgher CarHegie Museum 1899 zwei unvollständige
Skelette zutage förderte und daraus ein Tier, den Diplodocus
carnegiei, zusammensetzte (NORMAN, 1991). Es handelte
sich dabei um das bis dahin weltweit grösste montierte Ske-
lett. Der Washingtoner Gelehrte OLIVER P. HAY (1910) plä-
dierte dafür, dass Knie und Ellbogen wie bei der Eidechse
eiHeH rechten Winkel bildeten und Diplodocus sich somit
kriechend fortbewegt habe. Ungeachtet dessen, dass das Rep-
til bei dieser Haltung iHfolge seines hohen Brustkorbes eine
Furche durch den BodeH gezogen hätte, nahm auch schoH der
Deutsche GUSTAV TORNI_ER (1909) diesen Standpunkt ein
(Abb. 16). Wären sämtliche Gelenke tatsächlich derart ver-
reHkt gewesen, hätte der Ieissgestaltete Dinosaurier sein Da-
sein unter unbeschreiblichen Martern gefristet. Das heutige
Bild von Diplodocus ist das eines dynamischeH Riesen, der
hoch auf allen Vieren ging und der seinen langeH Schwanz
abgehoben voIn Boden trng wie die Mehrzahl der Dinosau-
rier.
Abb. 16. Torniers Diplodocus (ToRNIER, 1909, Tafel H).
Fig. 16. Tornier's Diplodocus (ToRNIER, 1909, Tafel II).
4.6 Eier und FussspurenDie jüngere DiHosaurierfoIschung hat diese beideH ThemeH
stark in den Vordergrund gerückt. Während Dinosauriereier
Einblicke in ihr Fortpflanznngs- und Nistverhalten gewäh-
ren, erlauben die FussspureH Rückschlüsse auf Bewegung
und Sozialverhalten der Tiere. Beide Forschungsbereiche
wurzelH im 19. Jh.
Die Erstbeschreibung von Dinosauriereiern fiHdet sich in
einem Aufsatz des Priesters J.-J. POUECH (1859). Er fand sie
iH den französischen Pyrenäen, ordnete sie aber ausgestorbe-
nen RieseHvögeln zu. Erst als am 13. Juli 1923 ein amerika-
nisches Expeditionsteam in der MoHgolei anf Eier von Dino-
saurierH stiess und diese als solche erkannte, konnten die
früheren Funde richtig bestimmt werden (MATTHEW &
GRANGER, 1926).
Die ersten Fussspuren von Dinosauriern fand Pliny Moo-
dy 1802 in Neuengland. 1830 erwarb Edward Hitchcock vornAmherst College die Platte mit deH von James Deane als
Truthahnspuren bezeichneten Fährten (Abb. 17). Hitchcock
nntersuchte diese uHd weitere Dinosaurierfährten aus dem
Connecticnt Valley bei South Hadley in Massachusetts, er-
kannte aber ihren wahren Charakter Hicht; er beschrieb sie als
veIsteinerte Vogelspuren (Ornithichnites) (HITCHCOCK,
1836). Auch in seinem 1858 eIschieHeHen Monumentalwerk
«Ichnology of New England» ordnete er die Abdrücke nie
Dinosauriern zu, sondern Vögeln, die dem ausgestorbenen
Riesenmoa (Diornis) oder dem Elefantenvogel (Aepyornis
maximus) aus Madagaskar ähnelten. Die korrekte Erstidenti-
fikation von DiHosaurierspuren gelang eIst 1862 in England
(LOCKLEY, 1993).
63
Urs B. Leu
Abb. 17. Fussabdruck eines «Riesenvogels» aus dem ConnecticutValley (HITCHCOCK, 1836, Fig. 22).
Fig. 17. Footprint ofa «gigantic bird» from the Connecticut Valley(HITCHCOCK, 1836, Fig. 22).
Die früheste Benennung fossiler Tetrapodenfährten Hahm
JohanH Jacob Kaup 1835 aufgrund einer 1833 voH Konsisto-
rialrat Sickler bei Hildburghausen in ThüriHgeH gefundenen
Platte vor. Kaup schrieb die Spuren dein nicht näher bekann-ten Chirotherium (Handtier) zn. Was für ein Tier maH sich
konkret daruHter vorzustellen hatte, war lange Zeit Hicht klar.
Der eHglische Geologe Charles Lyell deulete es 1855 alsLabyriHthodontier (Amphib), ganz im SiHH des von Owen
und Hawkins im Park des Crystal Palace rekonstruiertenLabyrinthodon. Erst nach über eiHem Jahrhundert For-
schungsgeschichte verdichteteH sich mit der Arbeit von
KREBS (1965) die Indizien, dass die Fährten vermutlich von
einem Archosaurier aus der Verwandtschaft von Ticinosuchusferox stammteH (SARJEANT, 1975).
4.7 Dinosaurier in der SchweizDie erste namentliche Erwähnung eines DiHosaurierfundesin der Schweiz stammt vorH Solothurner Lehrer uHd Begrün-der der NaturforscheHdeH Gesellschaft Franz Josef Hugi. 3 Er
hielt anlässlich der 36. Sitzung der SolothurHer «Naturhisto-
rischen Kantonal-Gesellschaft» während des Jahres 1824
eiHen Vortrag über «Das System der Petrefackten im Jura»und kam in diesem Zusammenhang auf einen Megalosaurus-Wirbel zu sprechen, den er besass uHd den ihm Cuvier zu
bestimmeH half, der aber heute als verloren gilt. Der gedruck-
te Bericht (HuGI, 1824, p. 46) hält fest: «Darauf entwickelt
er das Vorkommen der Petrefackten und die Ansichten über
den Jura näher und stellt endlich nach angeführten Entwick-
lungsepochen der Grundorgane die Petrefackten des Juras in
zweyundsechzig Familien auf; von denen er die Exenplare
[sic!] vorweist. Unter den sogenannten Wirbelthieren zeich-
nen sich in seiner Sammlung aus: ganze Kiefer von Raja
aquila und mehreren anderen Rochen, dann mehrere Sparus
anarhichas, viele Arten Haifische, einige Arten Krokodile,
Jchthyosauros, Protosauros und nach dieser letzten Tage
eingegangenem Berichte von H. Staatsrath Cuvier, dem er
den Abguss eines Wirbels sandte, Megalosauros von unge-
heurer Grösse. Von diesen letzten fand man nur in England
und Cuvier bey Honfleur einige Spuren. »
Ob Hugi ebeHfalls diesen Wirbel vor Augen hatte, als er
den Erforscher des Nordwestschweizer Juras, Amanz Gress-ly, brieflich voH eiHem Megalosaurus-Fund unterrichtete, istnicht klar. Der 22jährige Briefempfänger publizierte das
Schreiben (GRESSLY, 1836). Hugi hielt darin über die Solo-
thurner SteiHbrüche fest: «In unseren Steinbrüchen wurdensonst 9 Schichten, seit 2 Jahren aber noch eine tiefere ausge-
beutet: unter diesen 10 wird der Kalk mächtig und grob
(Coralline?). Jene 10 Schichten treten in allen Gruben unter
gleichen Verhältnissen auf.... Die dritte Bank ist durch eine
Menge Terebrateln charakterisiert, die Austern der zweiten
Bank bleiben, und die Nerineen der ersten Schichte erschei-
nen hier wieder. Hier Megalosaurus, das Krokodil von Caen,
andere Krokodil-Wirbel (Cuvier) und Saurier-Zähne»
(GRESSLY, 1836, pp. 663-665). Vermutlich 1854 stiess Gress-
ly bei seinen Streifzügen durch den Tafeljura der Basler
LaHdschaft in Niederschönthal selber auf einen Dinosaurier(MEYER, 1966, p..218), den der Basler ZoologieprofessorLUDWIG RÜTIMEYER (1856) als Gresslyosaurus ingens be-zeichnete.
Ein weiterer Dinosaurier auf Schweizer Boden kam im
Steinbruch der Basse-Montagne bei Moutier (BE) ans Licht,
dem die Steine für deH von 1858 bis 1863 währenden Bau der
Stiftskirche entnommen wurdeH. JEAN-BAPTISTE GREPPIN
3 Den Hinweis, dass die Ersterwähnung einer Dinosauriergattung in der Schweiz bei F.J. Hugi gesucht werden muss, verdanke ich HerrnDr. Christian A. Meyer vom Naturmuseum Solothurn. Herrn Hans Rindlisbacher von der Zentralbibliothek Solothurn danke ich Fir _dieausserordentliche Hilfsbereitschaft bei der Suche des entsprechenden Zitates. — Das zitierte Wort Petrefakten wurde damals mit ckgeschrieben.
64
Geschichte der Dinosaurierforschung
(1870, p. 118) beschrieb die Fossilien als Megalosaurus Me-
riani (Abb. 18) und bemerkte dazu: «Le squelette entier de ce
gigantesque reptile a ete trouve dans la carriere hypovirgu-
lienne de la basse montagne de Moutier, d'oö l'on a retire les
pierres pour la construction du temple. Les dents, plus Bran-
des, plus droites et plus lisses que celles du M. Bucklandi,
Owen, semblent aussi s' en distinguer par l'arete posterieure,qui n'est que legerement dentelee et ei peine sur la cinquieme
partie de la longeur de la dent. Le töte deprime presente une
gouttiere longitudinale particuliere. Longeur de la dent
60 mm., larg. 18 mm. Une grande partie de ce squelette bien
curieux avec une dent bien conservee se trouve au Musee de
Bale.» Der deutsche Paläontologe FRIEDRICH VON HUENE
(1922) wies nach, dass die von Greppin beschriebenen Dino-
saurier-Fossilien voH zwei verschiedeHen Tieren herrührten.
Einen ZahH schrieb er Labrosaurus zu und die übrigeH Kno-
chen dem Pflanzenfresser Ornithopsis greppini. Nach heuti-
ger Auffassung stammt der inzwischen verlorene ZahH ver-
mutlich voH einem Megalosaurier und die anderen Relikte
von Cetiosauriscus greppini (ENGESSER, 1984).
In deH Jahren 1915 uHd 1942 wurdeH in Hallau (SH) uHd
später auch in Schleitheim (SH) KnocheHreste geborgen, die
denen von Gresslyosaurus ingens vergleichbar siHd
(SCHALCH & PEYER, 1919; PEYER, 1943). Znr wichtigsten
DinosaurierfuHdstelle in der Schweiz avancierte Frick (AG),
wo 1962 die ersten Skeleltreste von Plateosaurus engelhardti
entdeckt wurden (GSELL, 1968). VoH 1976 bis 1978 legte der
Präparator Urs Oberli mehrere Skelett- und Schädel reste frei
uHd 1984/85 schliesslich das erste vollständige Dinosau-
Abb. 18. Megalosaurus Meriani von Moutier (Greppin, 1870,Pl. I).Fig. 18. Megalosaurus Meriani from Moutier (Greppin, 1870,Pl. I).
rierskelett der Schweiz (RIEBER, 1985; SANDER, 1992). Der
jüngste Schweizer Fund gelang dem Höhlenforscher Jan
Stepanek 1985 im Silberloch bei Röschenz (BL). Es handelte
sich dabei um eineH 4 cm laHgen Zahn eiHes fleischfressen-
den Megalosauriers (FURRER, 1990).Nebst deH sieben beschriebenen Lokalitäten mit Dinosau-
rierknochen weist die Schweiz 12 Örtlichkeiten auf, aHdeneH Fussabdrücke von Dinosauriern gefunden wordensind. Die ersten Spuren entdeckten Geologen 1961 am Piz dal
Diavel im Schweizerischen Nationalpark (SOMM & SCHNEI-DER, 1962). Eine 1981 von Heinz Furrer geleitete Unlersu-
chung der Platte ergab, dass von den insgesamt 14 Fährten
nur eine voH einem pflanzeHfressenden Prosauropoden und
alle übrigen von 4-5 m langen Fleischfressern (Theropoden)
stammten (FURRER, 1990). Eineinhalb Jahrzehnte später
stiess der französische Geologe Georges Bronner oberhalb
des Stausees von Vieux Emosson (VS) auf andere Trittsiegel
(BRONNER & DEMATHIEU, 1977) von Thecodontiern, Coelu-
rosauriern und OrHithischiern (DEMATHIEU & WEIDMANN,
1982). Seit 1987 wurdeH im Solothurner und Berner Jura zehn
Fundstellen mit Dinosaurierfährten lokalisiert, allen voran
die imposante Platte von Lommiswil (SO), die vermutlich
Spuren von Brachiosauriern aufweist (MEYER, 1990, 1996).
5 DANK
Der Verfasser dankt Herrn Dr. Heinz Furrer vom PaläontologischenInstitut und Museum der Universität Zürich für seine zahlreichenkompetenten Auskünfte sowie seine mit Geduld erbrachten selbst-losen Hilfestellungen. Herrn Dr. Winand Brinkmann vom gleichenInstihrt sowie Herrn Dr. Rainer Diederichs, Pressereferent der Zen-tralbibliothek Zürich, schulde ich Dank für ihre kritischen Anmer-kungen zum Manuskript und ihr wohlwollendes Begleiten diesesBeitrages. Das fachliche Können der Photographen Marcel Egli undPeter Meier verdient einmal mehr Anerkennung. Sie haben sich mitgrossem Engagement für die Herstellung bestmöglicher Abbildun-gen eingesetzt.
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4 Um das teilweise zeitraubende und mühsame Zusammensuchender historisch relevanten Publikationen zu erleichtern, sind dieentsprechenden Veröffentlichungen mit der Bibliothekssignaturversehen. ZBZ = Zentralbibliothek Zürich, ETH = ETH-Biblio-thek Zürich.
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Dr. Urs B. Leu, Zentralbibliothek Zürich, Zähringerplatz 6, CH-8025 Zürich
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