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# 241 1. Juni 2012 Anträge zur Tages- ordnung

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Magazin für Medienmacher

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# 2411. Juni 2012

Anträge zur Tages-ordnung

Der SPIEGEL-Chefredakteur sieht auf diesem neuen Anzeigen-Motiv aus wie ein Flottillenadmiral der Marine, der konzentriert mit seinen Kanonenboot-Fachleuten die U-Boot-Missionen durchgeht. Fesch, aber schon ziemlich angsteinflößend. Das haben sie also hinbekommen. Aber was sagt uns diese Anzeige über die Zielgruppe des SPIE-

GELS? Vielleicht, dass die potenziellen Leser gern selbst mit an diesem Tisch sitzen und Angst und Schrecken verbrei-ten würden? Lesen diese grau melierten Leute, die Guido-Knopp-Dokus gucken, nicht sowieso schon jede Nazi-Titelstory des Magazins? Oder hofft die Werbeagen-tur, dass sich Frauen von so viel Männ-lichkeit magisch angezogen fühlen?

Liebling der Woche

ANZE

IGE

Die Woche 3

der DJV und Verdi verkünden Honorar-bedingungen für freie Journalisten bei SPIEGEL ONLINE: 100 Euro Mindestho-norar, Mehrfachverwertungen nur nach Absprache. Klingt fair. Die Initiative ging aber von SPON-Mitarbeitern aus, die sich vor allem über den Freienverein „Freischreiber“ organisierten. Der sagt deswegen, der DJV schmücke sich mit fremden Federn.

vergangener Freitag 25.5.2012

Gewinner der Woche

Stefan von Holtz-brinckweil der Ex-Verleger (gerade hat er mit der SAARBRÜCKER ZEITUNG

seine letzten Tageszei-tungsbeteiligungen abgestoßen) nicht nur seine Familientradition in den Wind schießt,

sondern auch seine Holz-medien-Angestellten in eine ungewisse Zukunft schickt. Ökonomisch mag die Entscheidung vernünftig sein, aber man muss sich nicht noch als Visionär (Studi VZ?) dafür feiern lassen.

Günter Wallraffweil der Alte inzwischen zwar ein biss-chen nervt. Aber das ist ja genau sein Job, das Nerven. Und es spricht für ihn, dass er sich nicht zu schade ist, bei RTL sein Publikum abzuholen, um auf die üble Situation im Paketzusteller-Gewerbe aufmerksam zu machen. Seine Filme und Texte sind etwas aus der Zeit gefallen; sein Einsatz ist es aber nicht.

Verlierer der Woche

Kein TITANIC-Scherz: Das Dossier der ZEIT besteht aus einem Gespräch zwi-schen Katrin Göring-Eckardt, Frank Schirrmacher und Giovanni di Lorenzo über alles an sich und überhaupt. Ein Auszug:Di Lorenzo: Ich bin seit mehr als 13 Jahren Chefredakteur. Erwischen Sie sich nicht bei dem Gedanken: Es gibt noch etwas anderes?Schirrmacher: Oh, darüber denke ich jeden Tag nach. Und das Tolle ist: Dieser Gedanke ist das Wesensmerkmal des Journalismus. Es gibt noch etwas ande-res, und du darfst darüber schreiben.

vergangener Donnerstag 24.5.2012

Ein Moderator des Senders OSTSEEWEL-LE HIT-RADIO wird während der Früh-sendung wegen dringenden Verdachts des mehrfachen sexuellen Kindesmiss-brauchs von der Polizei verhaftet. Am Tag darauf findet sich sein Gesicht un-verpixelt auf der BILD-Titelseite wieder.

Dienstag 29.5.2012

Die Woche4

gestern 31.5.2012Zitat der Woche

„14. Im April 2010 brach ein isländischer Vulkan aus, die Aschewolken beeinträchtigten Europas Flug-verkehr. Bitte buchstabieren Sie den Namen dieses ... nein, kleiner Scherz. Aber: Es ist kein Zufall, dass Is-land vulkanisch sehr aktiv ist. Warum?“Aus dem Allgemeinwissen-Fragebogen 2011 der Henri-Nannen-Schule. Die Antwort: „Sinngemäß: Island befindet sich genau über dem Mittelatlantischen Rücken, wo die nordamerikanische und die eurasische Platte auseinan-derdriften.“

Folgende Sätze von Franz Josef Wagner darf BILD nicht mehr verbreiten, weil das Landgericht Traunstein die Grenze zur Schmähkritik überschritten sieht: „Sie sind die frustrierteste Frau, die ich kenne. Ihre Hormone sind dermaßen durchei-nander, dass Sie nicht mehr wissen, was wer was ist. Liebe, Sehnsucht, Orgasmus, Feminismus, Vernunft. Sie sind eine durchgeknallte Frau, aber schieben Sie Ihren Zustand nicht auf uns Männer.“ Gestern war‘s aber noch online.

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Sonntag 26.5.2012

Sonnabend 25.5.2012

Volker Weidermann schreibt im Feuille-ton der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG, das Griechenland-Euro-Gedicht von Günter Grass, das die SZ veröffentlicht hatte, sei in Wirklichkeit ein TITANIC-Scherz gewesen. Dass dieser Text wiederum ein kleiner Scherz war, ver-stehen offenbar nicht alle FAS-Leser. Die SZ reagiert am Dienstag im „Streiflicht“ und behauptet, alle Weidermann-Texte seien in Wahrheit TITANIC-Scherze. Dabei gab es doch mal so schöne FAS-Persiflagen in der TITANIC. Echt jetzt!

Irgendwo hinter Kleinasien findet ein europäischer Gesangswettbewerb statt.

Die Woche 5

Leute6

Meredith Haaf (1) wird im Herbst feste Autorin bei NEON. Sie ist mit 29 Jahren schon eine renommierte Magazin-Auto-rin, hat zwei erfolgreiche Bücher verfasst („Heult doch“ und „Wir Alphamädchen“) und das einflussreiche feministische Blog „Mädchenmannschaft“ mitgegründet.

Michael Suck (2) wird neuer Chefredak-teur des PC MAGAZINS. Er folgt auf Wolfgang Koser. Fo

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oChristoph Minhoff (3), Phoenix-Pro-grammgeschäftsführer, hat offenbar genug vom Journalismus und wird im Herbst Chef des Bundes für Lebensmit-telrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL). Ein Nachfolger ist noch nicht bekannt.

Caroline Kunath (4) heißt die Moderato-rin der SAT.1-Fälschung der RTL-Land-wirt-Kuppelshow „Bauer sucht Frau“.

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Die neue Sendung namens „Land sucht Liebe“ startet am Sonntag mit einer Auftaktfolge, der Rest kommt aber erst im Herbst, und das gleich täglich.

Christoph Hauser (5), ARTE-Programm-chef, soll laut FAZ neuer SWR-Fernseh-Direktor werden. Jan Büttner, den Leiter des Intendantenbüros, wünscht sich Peter Boudgoust als Verwaltungsdirektor und SWR 3-Programmchef Gerold Hug als

Hörfunkdirektor. Damit das alles klappt, will es Boudgoust nicht zulassen, „dass mit verantwortungslosen Machtspielchen unser wichtigstes Gut in Frage gestellt wird: unsere Unabhängigkeit.“ Word!

Uwe Vorkötter (6), Chefredakteur von FRANKFURTER RUNDSCHAU und BERLINER ZEITUNG, geht. Bei der BER-LINER soll ihm offenbar Stellvertreterin Brigitte Fehrle folgen.

8 Titel

Die heute beginnende Jahreskonferenz des Netz-werk Recherche (NR) soll ein Anfang werden. Der neue Vorstand will das Skandaljahr 2011 mit dem Rauswurf des Übervaters Thomas Leif möglichst rasch vergessen. V.i.S.d.P. liegen nun aber Doku-mente vor, die Fragen aufwerfen: War Thomas Leif tatsächlich der einzige Verantwortliche für die finanziellen Unregelmäßigkeiten? Was wussten die übrigen Vorstandsmitglieder?

Anträge zur Tagesordnung

9Titel

„Der Verein ist über die Krise hinweg“, sagt der Netzwerk-Recherche-Vorsit-zende Oliver Schröm in einem gestern veröffentlichten Interview mit KRESS. Nach dem Skandaljahr 2011, als der Vor-stand nach finanziellen Unregelmäßig-keiten Übervater Thomas Leif mit Schimpf und Schande vom Hof jagte, hofft der neue Vereinsvorsitzende, Leiter investigative Recherche beim STERN, offenbar auf Ruhe und Hermonie bei der Jahreskonferenz, die heute im NDR-Kon-ferenzzentrum in Hamburg beginnt. Den Gefallen werden ihm seine Mitglieder nicht tun.

Seit Wochen kursieren Mails, aus denen wachsende Unzufriedenheit mit der

Arbeit des im November neu gewählten Vorstands spricht. Zwar gibt es nach Angaben des Netzwerks mehr Ein- als Austritte, aber diese Austritte sind pro-minent. Darunter zum Beispiel Hans-Martin Tillack vom STERN, SWR-Chefre-dakteur Fritz Frey, Christoph Lütgert (NDR) und Ilka Brecht von „Frontal 21“. Mitglieder beklagen mangelnde Transpa-renz, den Unwillen zum kritischen Dis-kurs, aber auch handfeste, ungeklärte Fragen über die Arbeit des alten Vorstan-des kommen immer wieder auf.

Gestern morgen um 10:39 Uhr trifft in Dutzenden Mailboxen eine dieser Mails ein. Absender ist Rüdiger Pichler, Profes-sor für Kommunikationsdesign an der

Anträge zur Tagesordnung

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Hochschule RheinMain und NR-Mitglied. Ihm geht es um Transparenz. Deswegen hatte er schon im Februar neun konkrete Fragen an den Vorstand geschickt, die teils gravierende Vorwürfe enthalten und grundlegende Probleme benennen. Auf eine Antwort wartet er bis heute.

Er sehe die Gefahr, so Pichler im Gespräch mit V.i .S.d.P. , dass das NR zu einem Stammtischverein werde, statt sich sei-nem eigentlichem Zweck zu widmen: der Förderung des investigativen Journalis-mus. Denn von Transparenz und offener Diskussion könne keine Rede sein: Entge-gen der Ankündigungen des neuen Vor-stands werden seit November keine Pro-tokolle der Vorstandssitzungen mehr versandt, wie es jahrelang üblich war. Auch der bereits beschlossene Entwurf einer Satzung für die geplante Netzwerk-Recherche-Stiftung stehe den Mitgliedern bisher nicht zur Verfügung. Die turbu-lente Jahreskonferenz 2011 wurde zwar wie üblich in einer Dokumentation fest-gehalten, darin fehlen aber sowohl die Rede von Thomas Leif auf der Show-Down-Mitgliederversammlung als auch die des kritischen Redners Tom Schim-meck. Auch ein Brief des renommierten Hamburger Medienprofessors Michael Haller, der längst in den Branchendiens-ten und im Internet kursierte, und in dem er vor allem Hans Leyendecker scharf anging, wurde den Mitglieder nie zuge-sandt.

In einem Interview mit dem MEDIUM

MAGAZIN sagte der neu gewählte Vorsit-zende Oliver Schröm im Dezember: „Die Transparenz, mit der die Sache dargestellt und vor allem aufgearbeitet wurde, war vorbildlich.“ Deswegen sei er nicht ausge-treten. Aber wie vorbildlich war diese Aufarbeitung?

Aus einer internen Mail der ehemaligen Schatzmeisterin Tina Groll, die V.i.S.d.P. vorliegt, geht hervor, dass der NR-Vor-stand über die umstrittenen Förderan-träge der Bundeszentrale für Politische Bildung (BPB), die Thomas Leif zum Ver-hängnis wurden, früh informiert war. Wörtlich schreibt sie in einer Rücktritts-Mail vom 12. Oktober: „Dass wir nach außen erklärt haben, wir hätten von den falschen Zahlen erst im Mai 2011 im Zuge der Stiftungsgründung erfahren, war gelogen. Wie so vieles andere in der Kom-munikation nach außen.“ Der Vorstand habe sehr viel getan, um sich selbst zu schonen.

Denn schon in einer Vorstandssitzung im Mai 2009 in den Räumen der TAZ in Ber-lin soll das Thema ausführlich diskutiert worden sein. Der NR-Vorstand hatte im Juni/Juli 2011 aber mehrmals öffentlich mitgeteilt, man habe erst im Zusammen-hang mit der Stiftungsgründung von den Unregelmäßigkeiten erfahren. Mit ande-ren Worten: Wir wussten von nichts, Thomas Leif ist schuld. Was stimmt?

Der Vorstand besteht inzwischen aus acht gewählten und acht „kooptierten“ Mit-

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gliedern. Aus dem alten Vorstand sind noch Markus Grill (SPIEGEL) als Stellver-tretender Vorsitzender dabei, Beisitzer Gert Monheim und Kassenwart David Schraven (WAZ). Zu den kooptierten Vor-ständen – die also nicht von den Mitglie-dern direkt, sondern vom Vorstand bestimmt worden sind – gehört für den Bereich Online-Recherche Marcus Linde-mann, TV-Autor, Journalismus-Lehrer u n d G e s c h ä f t s f ü h r e r d e r B e r l i n e r autoren(werk) GmbH. Slogan: „Wir

machen Fernsehen – besser.“ Als ihre Kunden nennt die Produktionsfirma unter anderen Marken wie Adidas, Becks, Henkel, Jacobs.

Es spricht natürlich nichts dagegen, dass Autorenwerk PR macht – bis auf die Auf-nahme-Richtlinien des Netzwerk Recher-che: „Nicht aufgenommen werden Perso-nen, die ganz oder teilweise in der Public-Relations-/Öffentlichkeitsarbeit tätig sind. Bei Mitgliedern, die beruflich

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in die PR wechseln, ruht die Mitglied-schaft.“ Wir erinnern uns: Ziffer 5 des NR-“Medienkodex“ lautet: „Journalisten machen keine PR.“ Gilt diese Regel nicht für den Vorstand?

Ein weiterer Brief eines NR-Mitglieds, diesmal an die Kassenprüfer, wirft noch gravierendere Fragen auf. Volker Bahl berichtet darin, es seien in der Vergangen-heit wiederholt Gelder der Etatposition „Honorare“ von Bildungsträgern, zum Bei-spiel der Friedrich-Ebert-Stiftung, ohne Gegenleistung an Vorstandsmitglieder ausgezahlt worden sein, die diese dann an das Netzwerk zurückgespendet hätten. Diese Vorgänge hätten ihm Mitglieder des ehemaligen Vorstands sicher bestätigt, sagt Bahl auf Nachfrage von V.i.S.d.P. Nach Bahls Recherchen soll unter denen, die auf diese Weise Geld zum NR umgelei-tet hätten, auch ein Mitglied des alten Vorstandes gewesen sein, das auch zum neuen Vorstand gehört. Der Betreffende war von gestern Nachmittag bis zum Redaktionsschluss nicht für eine Stel-lungnahme zu erreichen.

Auch eine weitere Information habe er direkt aus dem Kreis der ehemaligen Vor-standsmitglieder erhalten, sagt Bahl: 2009 sei ein Vertrag mit einer „Sprosse GbR“ geschlossen worden, der vorsah, dass diese für 4.000 Euro ein Kommunikati-onskonzept für die zu gründende Netz-werk-Recherche-Stiftung erstellen würde. Hinter der Firma standen Studenten der Universität der Künste (UdK) Berlin, die die vertraglich vereinbarten Leistungen

offenbar nicht zur Zufriedenheit des Vor-stands erbrachten. Dennoch sei das Geld geflossen – indem der Vorstand „fingierte Rechnungen“ bezahlte, so Bahls Recher-chen unter Vorstandsmitgliedern. Ein Link zu seinen Fragen an die Kassenprü-fer ist auf unserer Seite visdp.de zu fin-den.

Fingierte Rechnungen, Pro-Forma-Hono-rarnoten und umgeleitete Spenden – soll-ten sich diese Verdachtsmomente als wahr erweisen, wäre die bisher verbrei-tete Version des alten Vorstandes von der alleinigen Verantwortung Thomas Leifs nicht zu halten. Könnten Mitglieder des alten in diesem Fall glaubwürdig im neuen Vorstand Verantwortung überneh-men und zur Aufklärung beitragen?

„Ja, wir haben einen blinden Fleck. Und der sind wir selbst“, heißt es in der Rückktrittsmail der ehemaligen Schatz-meisterin Tina Groll. Sie endet mit einem Aufruf: „Wer es ernst meint mit dem Netz-werk Recherche, fasst sich selbst an die Nase. Vor allem auch jene, die seit zehn Jahren im Vorstand sitzen.“

Sebastian Esser

www.albrechts-patisserie.de

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