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Vittorio Hösle, Fernando Suárez Müller (Hrsg.) · ter diksi ut Markus Enders (Freiburg im Breisgau) die erkenntnisrealistischen Posi- tionen von Quentin Meillassoux und Markus

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Vittorio Hösle, Fernando Suárez Müller (Hrsg.)

Idealismus heute

Aktuelle Perspektiven und neue Impulse

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografij ie;

detaillierte bibliografij ische Daten sind im Internet überhttp: /  / www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfij ilmungen und die Einspeicherung in

und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

© 2015 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), DarmstadtDie Herausgabe des Werkes wurde durch

die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht.Satz: Janß GmbH, Pfungstadt

Einbandgestaltung: Peter Lohse, HeppenheimLektorat: Andrea Graziano di Benedetto Cipolla, Mainz

Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem PapierPrinted in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de

ISBN 978-3-534-26739-2

Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:eBook (PDF): 978-3-534-74016-1eBook (epub): 978-3-534-74017-8

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InhaltInhaltInhalt

Idealismus heute – die Beiträge Die Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Metamorphose des Idealismus Fernando Suárez Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

Einstieg in den objektiven Idealismus Vittorio Hösle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

Ein neuer Blick auf Fichtes Wissenschaftslehre Franz von Kutschera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Ontologie, Metaphysik und der ontologische Idealismus Uwe Meixner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

Zur Konvergenz zwischen einem geistmetaphysischen Idealismus und christlicher Theologie im Kontext der gegenwärtigen Realismus-Antirealismus-Debatte Markus Enders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

System der idealen Logik Bernd Braßel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

Philosophie der Mathematik Klaus J.  Schmidt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

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Inhalt6

Naturbegrifff und elementare Naturbestimmungen in Hegels Naturphilosophie Dieter Wandschneider . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

Idealismus und Biologie Christian Spahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Was spricht für den Idealismus im Leib-Seele-Problem? Christian Tewes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194

Idealismus und die Paradigmen der Hermeneutik Andreas Spahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Ideale Gemeinschaft und intersubjektive Monadologie Fernando Suárez Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

Unbedingte Verpflichtung und Eudämonismus – Idealität und Realität in der Ethik Vittorio Hösle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254

Idealistische Ästhetik als Option für die heutige Ästhetik und Literaturwissenschaft Mark W.  Roche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

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Idealismus heute – die Beiträge

Die Herausgeber

Idealismus heute – die BeiträgeDie Herausgeber

Die in diesem Band vorliegenden Aufsätze sind ein Versuch, die Fruchtbarkeit des objektiv-idealistischen Ansatzes für das breite Spektrum der Wissenschaft kritisch und systematisch zu überprüfen. Es werden unerwartete Chancen, aber auch hart-näckige Missverständnisse und Schwierigkeiten ans Licht gebracht, die insgesamt die Aktualität des objektiven Idealismus bezeugen. Die Reihe der vorliegenden Auf-sätze wird mit konstruktiven und auch kritischen Überlegungen zum Thema „objek-tiver Idealismus“ eröfffnet. Schritt für Schritt geht die Reihe dann wichtigen Fragen der Philosophie nach, wie der Frage nach dem Sein, nach der Existenz Gottes, nach dem Wesen der Logik, nach dem Ursprung der Mathematik, nach dem Wesen der Materie und der Natur, nach dem Wesen des Lebens, nach der Beziehung von Leib und Seele, nach der Möglichkeit von Verständigung, nach dem Ursprung des Sozia-len und zum Schluss nach dem Wesen der Ethik und Ästhetik. Aus dieser Vielfalt resultiert ein dynamisches Bild, das eindeutig Zeugnis dafür ablegt, dass der Idealis-mus keineswegs eine philosophische Position ist, die endgültig in die Annalen der Geschichte gehört und nur noch philologisch von Interesse ist. Die Perspektive, die hier entsteht, ist eine, die, mancher Schwierigkeiten zum Trotz, im Grunde auf vielen Fronten der aktuellen philosophischen Diskussion vielversprechend ist.

Einleitend präsentiert Fernando Suárez Müller (Utrecht) in „Metamorphose des

Idealismus“ einige wichtige kritische Reaktionen, die idealistische Positionen seit dem 19.  Jahrhundert hervorgerufen haben. Vom Positivismus Auguste Comtes und Karl Marx’, über den Existentialismus Friedrich Nietzsches und den Logischen Empirismus Bertrand Russells, bis hin zu moderneren Positionen versteht sich die Kritik am Idealismus als Überwindung der Metaphysik. Zugleich erinnert Suárez Müller an die Permanenz des Idealismus im Werke Edmund Husserls sowie an die

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verschiedenen Formen des Idealismus, die in philosophischen Debatten allzu oft un-zureichend unterschieden werden. Kurz wird auch auf die methodische Grundlage des objektiven Idealismus eingegangen, um die Aktualität des objektiven Idealismus auch in der heutigen analytischen Philosophie hervorzuheben.

In „Einstieg in den objektiven Idealismus“ skizziert Vittorio Hösle (Notre Dame) zuerst zwei philosophische Positionen, die des Naturalismus und die des sozialen Konstruktivismus, um dann das Interesse auf die dritte Position des objektiven Ide-alismus zu lenken. Gegen den Naturalismus ist einzuwenden, dass er weder das Leib-Seele- noch das Sein-Sollen-Problem in den Grifff bekommt. Auch setzt das dar-winistische Selektionsprinzip Gesetze, die die Höherentwicklung des Lebens ermög-lichen, voraus. Der entscheidende Grundgedanke des objektiven Idealismus ist, dass er das Sein als wesentlich intelligibel fasst und den Standpunkt des Realismus bestrei-tet, dass es etwas gäbe, das grundsätzlich unerkennbar ist. Auch metaethische Argu-mente sprechen nach Hösle für den objektiven Idealismus, denn dieser rückt die Frage nach objektiven Normen in den Vordergrund. Weil aus Fakten nie Normen folgen, muss man das Sollen einem eigenen Reich des Geltens zuschreiben. Dieses bestimmt zum Teil das Reich des Seienden, doch nicht ganz, denn sonst „wäre alles gut“. Aus einer tieferen Perspektive ist diese Trennung jedoch selbst normativ be-gründet: Sie ermöglicht, dass das Gute auf bestimmte Weise, nämlich in komplexen, vernunftgeleiteten Akten, verwirklicht werden kann. Von besonderem Interesse ist die Verteidigung des Fitch-Paradoxes.

In „Ein neuer Blick auf Fichtes Wissenschaftslehre“ kritisiert Franz von Kutschera (Regensburg) die erkenntnistheoretischen Ansprüche Johann Gottlieb Fichtes und des objektiven Idealismus überhaupt. Nicht Franz Brentano, sondern Fichte war nach Kutschera der Entdecker des Phänomens der Intentionalität. Doch beschrieb Fichte sowohl nichtintentionales als auch intentionales Bewusstsein. Indem er die Trennung von Subjekt und Objekt in der höheren Einheit des reinen Ichs zu verbin-den suchte, wollte er im Grunde zum Vorintentionalen durchdringen, was nach Kut-schera mit sprachlichen Mitteln nicht gelingen kann. Der Deutsche Idealismus sei deshalb in Verruf geraten, weil er einen maßlosen Erkenntnisanspruch erhoben habe, der prinzipiell nicht mit rationalen Mitteln realisierbar sei. Kutschera nimmt im Idealismus einen grundsätzlichen sowohl methodischen als auch sprachlichen Fehlgrifff wahr: Rationale Begrifffe, die für die Beschreibung der intentionalen Welt konstruiert sind, sind prinzipiell nicht in der Lage, die Einheitserfahrung des Nichtintentionalen zu beschreiben. Der objektive Idealismus sei jedoch immer noch aktuell, weil er uns mit den Grenzen unseres Erkennens konfrontiere. Fichte habe gezeigt, dass sich diese Grenzen aus der Grundstruktur unseres intentionalen Den-kens ergeben.

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In „Ontologie, Metaphysik und der ontologische Idealismus“ betont Uwe Meixner (Augsburg), dass die Ontologie oder rationale Metaphysik systematisch angeordnete Kategorien und Transzendentalien enthält, die alles, was es überhaupt gibt, über-greifen. Wichtig ist insbesondere, dass Metaphysik nicht einen ontologischen Realis-mus verpflichtet ist. Nach Meixner steht der ontologische Idealismus nicht schlech-ter da als die metaphysischen Alternativen. Der Idealismus vertritt den Standpunkt, dass alles geistig ist. Das Geistige hat allerdings zweierlei Gestalt: das objektiv Geis-tige und das subjektiv Geistige. Der objektive Idealismus hat nach Meixner eine gewisse Attraktivität, aber nur wenn er nicht als rein objektiv gedacht und von Sub-jektivität getrennt wird. Es ist das Verdienst Husserls, einen objektiven Idealismus in der Subjektivität anvisiert zu haben. Diese reife Form des ontologischen Idealismus besagt, dass alles objektiv Geistige intentional im subjektiv Geistigen enthalten ist. Es war die große Aufgabe der Phänomenologie Husserls, den verschiedenen Weisen unserer Intentionalität nachzugehen, um damit in Näherung die Konstitution der objektiven Welt im transzendentalen Bewusstsein zu verstehen. Im Vergleich zum Dualismus hat der Idealismus beim Kontingenzproblem zwar die Nase vorn, er trägt aber möglicherweise eine größere metaphysische Hypothek in sich.

In „Zur Konvergenz zwischen einem geistmetaphysischen Idealismus und christ-

licher Theologie im Kontext der gegenwärtigen Realismus-Antirealismus-Debatte“ diskutiert Markus Enders (Freiburg im Breisgau) die erkenntnisrealistischen Posi-tionen von Quentin Meillassoux und Markus Gabriel. Meillassoux’ Kritik am Korre-lationismus – der Annahme, dass es unmöglich ist, unabhängig von unserem Den-ken Zugang zu den realen Sachverhalten zu erhalten – basiert auf der Idee, dass die moderne Naturwissenschaft Aussagen über Vorgänge der Welt macht, die vor der Entstehung eines menschlichen Bewusstseins stattfanden (sogenannte anzestrale Aussagen). Das von Meillassoux entwickelte Konzept eines materiellen oder realis-tischen Absoluten, das unabhängig vom menschlichen Denken existiert, impliziert nach Enders die logische Möglichkeit, dass der christliche Gott als „Ganz-Anderes“ existieren kann. Abschließend diskutiert Enders den „Neuen Realismus“ von Markus Gabriel. Die „Welt“ als Totalität dessen, was der Fall ist, gibt es nach Gabriel nicht, weil es in Wirklichkeit nur isolierte und nebeneinander existierende Welten gibt. Die Behauptung jedoch, dass es außerhalb dieser Welten nichts geben könne, stellt nach Enders eine Einschränkung des Existenzbegrifffs auf das raum-zeitliche Er-scheinen dar. Dagegen argumentiert Enders, dass keineswegs auszuschließen sei, dass es etwas geben könnte, das existiert, ohne in ein raum-zeitliches Sinnfeld ein-treten zu müssen.

In „System der idealen Logik“ versucht Bernd Braßel (Kiel) die Grundlage einer nicht-formalen Logik zu entwerfen, die auch das Problem einer sinnvollen und stich-

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haltigen Begründung der Philosophie leistet. Braßel hebt hervor, dass die Vielfältig-keit der modernen formalen Logiken die Aufgabe, die Philosophie systematisch auf-zubauen, in den Hintergrund gedrängt hat. Braßel fasst den Begrifff des Systems in idealistischem Sinne als den Versuch auf, von einer stichhaltigen Begründung aus immer größere Zusammenhänge zu beschreiten. So konzipiert ist Systematik die Be-mühung um die Einheit der Wissenschaft. Braßel diskutiert in diesem Zusammen-hang auch den gegenwärtigen Stand der Logik und geht dann zur Begründung einer idealistischen Logik über, die nicht formal ist. Eine Untersuchung zum sogenannten „Begrifff der Wahrheit“ eröfffnet nach Braßel die Möglichkeit, eine solche nicht-for-male, sondern transzendentale Logik zu gestalten. Damit ist nach Braßel eine erneu-erte Reflexion des Hegelschen Projekts einer transzendentalen Logik verbunden.

In „Idealismus und Mathematik“ vertritt Klaus Schmidt (Bochum) die Position, dass die Mathematik zwar von der Erfahrung her kommt, sie sich jedoch im Laufe der Geschichte von ihr löst. Es stellt sich die Frage, warum sich diese nunmehr reine Mathematik so erfolgreich in den Naturwissenschaften anwenden lässt. Diesem Problemkreis hatte bereits Immanuel Kants subjektiver Idealismus seine Aufmerk-samkeit gewidmet. Schmidt zeigt, dass die Konzeptionen von Carl Friedrich Gauss, Bernhard Riemann und David Hilbert den Rahmen des subjektiven Idealismus spren-gen, indem sie die von Kant in der Philosophie gezogenen Grenzen zwischen Empirie und Apriori verschieben. Die moderne Mathematik löst sich hier nicht nur von ihren externen Anfängen wie der Erfahrung, sondern auch von ihren internen, da diese nicht selten Mängel aufweisen. Aus philosophischer Sicht diskutierte bereits Georg Wilhelm Friedrich Hegel diese internen Mängel der Analysis. In diesen Diskussionen dringt nach Schmidt die Mathematik zu allgemeineren Strukturen vor.

In „Naturbegrifff und elementare Naturbestimmungen in Hegels Naturphilosophie“ zeigt Dieter Wandschneider (Aachen), dass eine idealistische Naturphilosophie im Hinblick auf den ideellen Charakter der Naturgesetze sinnvoll erscheint. Dabei ver-dient Hegels Systementwurf besonderes Interesse, weil er auf der Grundlage einer unhintergehbaren Fundamentallogik konzipiert ist. Im Rückgrifff auf Hegels Dialek-tik des Unendlichen und Endlichen argumentiert Wandschneider, dass die Absolut-heit der Logik auch als Grund für die Existenz der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeit – gleichsam einer der Natur zugrunde liegenden „Logik“ – zu begreifen ist. Wesentlich am Naturbegrifff sind auch die Erkennbarkeit und Kontingenz des Naturseins sowie eine im Naturprozess wirksame Idealisierungstendenz. Diese Eigenschaften werden nach Wandschneider von der Naturwissenschaft immer schon vorausgesetzt, aber nur auf der Basis eines objektiv-idealistischen Naturbegrifffs sind sie begründbar. Von daher stellt sich auch die grundsätzliche Frage, inwieweit sich konkrete Strukturen des Naturseins rein argumentativ, also ohne Rekurs auf Erfahrung, klären lassen. In

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diesem Sinn entwickelt Wandschneider – anknüpfend an Hegels Argumentation – Überlegungen zur begriffflichen Rekonstruktion elementarer Naturbestimmungen (Dreidimensionalität des Anschauungsraums, Zeit als „Wahrheit“ des Raums, Rela-tivität der Körperbewegung usw.). Dabei thematisiert Wandschneider auch Hegels Deutung der Gravitation und der Absolutheit der Lichtbewegung als Grundlage einer Philosophie der Relativitätstheorie.

In „Idealismus und Biologie“ zeigt Christian Spahn (Keimyung), dass die angebliche Gegensätzlichkeit der darwinistisch-evolutionären Weltsicht zu einer idealistischen Philosophie in der Philosophie der Biologie oft Anlass gewesen ist, den Idealismus ab-zulehnen. Denn Hegel hat die Idee der Evolution als abwegig bezeichnet. Der Idealis-mus postuliere die essentialistische Position der Unwandelbarkeit der Arten. Außer-dem gehe der Idealismus von einer Sonderstellung des Geistes aus, die sich mit dem modernen Naturalismus nicht verträgt und seit Charles Darwin obsolet geworden ist. Christian Spahn vertritt in seinem Aufsatz jedoch die These, dass Idealismus und Dar-winismus in Einklang gebracht werden können. Darüber hinaus bietet der objektive Idealismus nach Spahn den Rahmen zu einer überzeugenden philosophischen Neu-interpretation des Darwinismus. Die Frage, wie biochemische Vorgänge zu erklären sind, ist von der philosophischen Frage zu unterscheiden, ob der Organismus als Akteur, als Sich-Verhaltender und als Wissender zu verstehen ist. Das sind vielmehr normative Fragen. Der objektiv-idealistische Naturbegrifff bietet hier eine Alternative zum Naturalismus und Sozialkonstruktivismus, indem er normative Reflexionen, die in der tatsächlichen Welt stattfij inden, annimmt. Diese sind kategorial vom Kausal-geschehen zu unterscheiden, befij inden sich aber aus ontologischer Sicht nicht jenseits der Natur.

In „Was spricht für den Idealismus im Leib-Seele-Problem?“ versucht Christian

Tewes (Jena) die Frage zu beantworten, inwiefern die in der Philosophie des Geistes erörterte Erklärungslücke zwischen neuronalen Ereignissen und phänomenalen Be-wusstseinserlebnissen einen objektiv-idealistischen Lösungsansatz nahelegt. Zu diesem Zweck werden sowohl einige Aporien der naturalistischen Erklärungsstrate-gien zum Leib-Seele-Problem als auch strikt dualistische Erklärungsversuche erar-beitet. Tewes argumentiert mit Hans Jonas für die Kontinuität von Leben, Geist und phänomenalem Bewusstsein und stellt die Forschungskonzeption des Enaktivismus ins Zentrum seiner Betrachtung, also die Theorie der verkörperten Kognition, die erstmals von Francisco Varela, Evan Thompson und Eleanor Rosch entwickelt wurde. Was die Konzeption des Enaktivismus nach Tewes besonders auszeichnet, ist der Sachverhalt, dass sie bereits wichtige Aspekte einer objektiv-idealistischen Konzep-tion des Geistes in sich aufnimmt. Tewes zeigt, dass die Lösung der absoluten Erklä-rungslücke eine Erweiterung und Fundierung des enaktiven Forschungsprogramms

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im objektiven bzw. absoluten Idealismus erforderlich macht. Die Position des objek-tiven Idealismus erweist sich nach Tewes als eine für die weitergehende Bearbeitung der Erklärungslücke besonders aussichtsreiche Perspektive.

In „Idealismus und Hermeneutik“ thematisiert Andreas Spahn (Eindhoven) das Verhältnis zwischen Hermeneutik und Idealismus in Bezug auf die Wahrheitsfrage der Geisteswissenschaften. Spahn vergleicht Hans-Georg Gadamers einflussreiche Be-stimmung der philosophischen Hermeneutik mit einer idealistischen Deutung des Wahrheitsbegrifffes, mit dem Ziel, eine alternative Ausrichtung der Hermeneutik zu bieten, die wichtige Unzulänglichkeiten von Gadamers philosophischer Hermeneutik überwinden kann. Während Gadamer eine nach Spahn eher thetisch zu nennende Interpretation der Kategorie der Intersubjektivität vorlegt, weil die herrschende Tradi-tion zugleich wesentliche Wahrheitsquelle ist, betont Karl-Otto Apels Hermeneutik die kontrafaktische Dimension der Intersubjektivität. Während Gadamer ontologisch denkt, denkt Apel erkenntnistheoretisch. Im objektiven Idealismus ist eine eigentüm-liche Verbindung von Erkenntnistheorie und Ontologie möglich, die das Potential in sich hat, eine umfassendere Theorie der Hermeneutik zu ent wickeln, nach der die apriorische zeitlose Vernunfterkenntnis die begriffflichen Strukturen der Wirklichkeit erfasst. Im Idealismus sind ontologischer Wahrheits begrifff und erkenntnistheore-tischer Wahrheitsbegrifff keine unversöhnlichen Gegensätze.

In „Ideale Gemeinschaft und intersubjektive Monadologie“ versucht Fernando

Suárez Müller die Idee der Letztbegründung radikal mit dem Begrifff der Intersub-jektivität zu verbinden. Die Unhintergehbarkeit der Vernunft erweist sich als die Un-hintergehbarkeit einer von Husserl antizipierten intersubjektiven Monadologie, die die Entwicklung einer transzendentalen Logik vorantreibt, welche die Entfaltung der physischen, biologischen und menschlichen Welt ermöglicht. Anhand von Über-legungen zu Gottfried Wilhelm Leibniz und zum Substanzbegrifff von Meixner wird die Grundlage einer Metaphysik der Gemeinschaft entfaltet, die in Hegels Lehre vom Sein nicht zur Entwickelung kommen konnte, weil Hegel die Monadologie im Sinne Kants lediglich als monadologia physica interpretiert und nicht als Ursprung der Intersubjektivität. Die Idee der Metaphysik der Gemeinschaft wurde nach Suárez Müller bereits von Gabriel de Tarde zur Grundlage einer Naturphilosophie gemacht, die objektiv idealistische Ansätze inspirieren könnte. Auch ermöglicht die Vorstel-lung einer intersubjektiven Monadologie es, die kontrafaktische Idee einer idealen Kommunikationsgemeinschaft, die im Werk von Autoren wie Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas eine wichtige Rolle spielt, neu zu interpretieren.

In „Unbedingte Verpflichtung und Eudaemonismus – Idealität und Realität in der

Ethik“ geht Vittorio Hösle auf Grenzen und relatives Recht des Eudämonismus ein – im Rahmen einer von Kant inspirierten Ethik. Er verteidigt die Irreduzibilität unbe-

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Idealismus heute – die Beiträge 13

dingter Verpflichtung auf subjektive Präferenzen, also einen moralischen Realismus, der selbst eine Form des objektiven Idealismus ist. Gleichzeitig zeigt er, warum Glücksstreben, wenn auch unter Moralvorbehalt, nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten ist. Er entwickelt schließlich den Begrifff der Selbstliebe (in Anschluss an Max Scheler) sowie denjenigen der Berufung, die auf eine objektive Wertordnung in der Wirklichkeit Bezug verweisen.

In „Idealistische Ästhetik als Option für die heutige Ästhetik und Literaturwissen-

schaft“ betont Mark Roche (Notre Dame), dass man objektiver Idealist sein kann, ohne sich allen Ansichten anderer objektiver Idealisten anzuschließen. Platons Her-absetzung der Kunst als Nachahmung der Realität oder Hegels These, dass das Zeit-alter der Kunst vorbei sei, sind nur spezifij ische Manifestationen der Begegnung zwi-schen Kunst und Idealismus, die von einem übergreifenden Anspruch des Idealismus zu unterscheiden sind. Die Kunst, so betont Roche, hat eine zutiefst metaphysische Dimension. Sie macht die idealen Strukturen der Welt für uns sichtbar und ermög-licht uns dadurch, die Wirklichkeit deutlicher zu sehen. Um diese These zu begrün-den, geht Roche in seinem Beitrag auf die Schlüsselrolle ein, die die Kunst in der Tradition des objektiven Idealismus gespielt hat, und zeigt, wie Hegels Theorie der Tragödie und Komödie zu überarbeiten ist. Auch zeigt Roche, wie die idealistische Ästhetik in der Lage ist, charakteristische Elemente der zeitgenössischen Kunst und Literatur zu interpretieren. Dabei konzentriert Roche sich auf drei Grundtendenzen: die Auswirkungen der Technologie auf die Produktions- und Rezeptionsästhetik, das Auftauchen des Hässlichen in der Kunst sowie die Verstärkung der Selbstrefle-xion in der Kunst.

Zur Zitierweise

Die Texte von Hegel werden, mit ein paar Ausnahmen, nach der Werkausgabe von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, 20 Bde. (Suhrkamp, Frankfurt a.  M.) zitiert. Seitenzahl folgt nach der Bandnummer und einem Punkt (z.  B. 5.202 be-zeichnet Band 5, Seite 202). Ähnlich wird mit anderen mehrbändigen Ausgaben ver-fahren. Nur die Werke Husserls der Husserliana werden nach der Angabe des Archivs bezeichnet (Hua 1 heißt also Band 1 der Husserliana). Für die Werke Kants werden auch die bekannten Siglen verwendet (KrV heißt Kritik der reinen Vernunft, KpV Kritik der praktischen Vernunft, usw.). Diese Siglen sind in der Literaturangabe zu fij inden. Wenn notwendig, werden Seiten von Subskripten begleitet, die eine Zeilen-zahl angeben (z.  B. 2021–5). Ansonsten werden Erscheinungsjahr des Werkes und Seite angegeben (z.  B. 1950, 10).

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Metamorphose des Idealismus

Fernando Suárez Müller

1. Idealismus und ModernitätMetamorphose des IdealismusFernando Suárez Müller

Wie kaum eine andere philosophische Strömung hat der Idealismus während des letzten Jahrhunderts Widerstand hervorgerufen und ablehnende Kritik erfahren. Es wäre in der Tat keine Übertreibung zu behaupten, dass sich die Philosophie während des 20.  Jahrhunderts dadurch ausgezeichnet hat, dass sich ihre wichtigsten Schulen explizit von idealistischen Positionen distanziert haben. Zur gleichen Zeit jedoch ha-ben dieselben Strömungen im Hintergrund immer wieder eine Diskussion mit dem Idealismus geführt, die für ihren Selbstbegrifff wesentlich war. Auch die zweite Hälfte des 19.  Jahrhunderts verstand sich dezidiert anti-idealistisch – obwohl diese Zeit wegen eines bedeutenden Ausläufers in der angelsächsischen Welt auch eine epigonale Phase des Idealismus darstellt. Die Anti-Metaphysik der Moderne, also der letzten zwei Jahrhunderte, war hauptsächlich Ausdruck einer Abwendung vom Ide-alismus. Im Werk Georg Wilhelm Friedrich Hegels gipfelte die idealistische Philoso-phie, womit die erste Phase der Neuzeit, die mit René Descartes angefangen hatte, endet. Hegel vertrat ein Denken, das von der Idee der radikalen Selbstbegründung getragen wurde. Eben deshalb konnte er sagen: „Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig“ (7.24).

Nicht nur diese Aussage, sondern die ganze Idee eines Vernunftgebildes wurde wiederholt missverstanden. Karl Marx meinte in der Gleichsetzung des Wirklichen mit dem Vernünftigen den Ausdruck einer restaurativen Ideologie zu erkennen. Der Idealismus gehört nach ihm zum Zeitalter der Metaphysik, welche, wie Auguste Comte bereits hervorgehoben hatte, im neuen Zeitalter des Positivismus keinen Platz mehr hat. Die Realität solle endlich ins Visier genommen werden; und im

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Metamorphose des Idealismus 15

Grunde könne nur die empirische Wissenschaft entscheiden, was wahr ist. Bereits bei Comte bedeutete Anti-Metaphysik zugleich auch eine Deklassierung der Philoso-phie, da sie vom Realen wegdenke. Marx sah sich selbst als positiven Wissenschaft-ler, dem es nicht darauf ankam, die Welt anders zu interpretieren, sondern in sie einzugreifen. Die Welt wurde in der Moderne zum Schauplatz eines ständigen Ein-grifffs und die Natur zum Rohstofff. Das Absolute, das noch zur Ehrfurcht anregte, verschwand aus der neu entstehenden Weltanschauung, wie aus der Evolution des Denkens Ludwig Feuerbachs , der den Idealismus gegen den Materialismus ein-tauschte, paradigmatisch hervorgeht. An die Stelle des „Absoluten“ traten, wie Michel Foucault zu Recht bemerkt hat, der „Mensch“ und der moderne Begrifff des Humanismus (1966, 384). Dies hat allerdings dazu geführt, dass die (horizontale) Intersubjektivität zum Gegenstand der Betrachtung wurde. Damit fij ing durch Comte , Feuerbach und Marx die moderne Soziologie und Anthropologie an.

Arthur Schopenhauer , Sören Kierkegaard und Friedrich Nietzsche, später auch der Existentialismus sowie der Postmodernismus der Gegenwart erblickten in der Vernunftmetaphysik des Idealismus sowohl die Verneinung irrationaler und kontin-genter Momente als auch eine methodische Abschottung, die ein Verständnis des Irrationalen und Kontingenten unmöglich macht. Nietzsche , dessen Einfluss auf das letzte Jahrhundert massiv war, verglich den Idealismus mit einem Gift, der uns fürs Leben untauglich macht, da er die Welt verdoppelt. „Die Lüge des Ideals“, so sagte er in Ecce Homo, ist der Fluch, der die Menschheit „bis in ihre untersten Instinkte hin-ein verlogen und falsch“ gemacht hat (1988, 6.258). Nietzsches Rat: „Ich widerlege die Ideale nicht, ich ziehe bloß Handschuhe vor ihnen an“ (6.259) ist bezüglich des Idea-lismus nicht nur von Nietzscheanern zu Herzen genommen worden. Er hat das Ver-hältnis Martin Heideggers wie auch der gesamten kritischen Theorie gegenüber dem deutschen Idealismus geprägt. In Jenseits von Gut und Böse resümierte Nietzsche be-reits die skeptische Kritik am Idealismus, die sich in der modernen Vernunftkritik immer wieder meldet: „(…) ein Gedanke kommt, wenn ,er‘ will, und nicht wenn ,ich‘ will; so dass es eine Fälschung des Tatbestandes ist, zu sagen: das Subjekt ,ich‘ ist die Bedingung des Prädikats ,denke‘. Es denkt: aber dass dies ,es‘ gerade jenes alte be-rühmte ,Ich‘ sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme (…). Zuletzt ist schon mit die-sem ,es denkt‘ zu viel getan: dies ,es‘ enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst“ (5.31). So wird die Grundidee des Idealismus („es gibt Denken“) mit ein paar (nicht zu Ende gedachten) Worten zu Grabe getragen. Ganz originell war Nietzsche jedoch nicht: Diese Kritik der Grundsatzphilosophie wurde nach Manfred Frank bereits in der frühromantischen Suche nach einem Ausweg aus dem Idealismus laut (2007, 10  f.).

Die Grundüberzeugung, dass mit dem Idealismus die wahre Welt zur Fabel

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wurde, ist ein Gedanke, der auch die frühe analytische Philosophie dominiert. Der Fall Bertrand Russell ist hier paradigmatisch. Er setzte sich vom Idealismus seines Lehrers Francis Bradley ab und folgte der Kritik George Moores , der im Idealismus eine Form von Psychologismus sah. Auf diese Weise wurde jede Unterscheidung zwi-schen subjektivem und objektivem Idealismus unmöglich. Genau wie George Berke-ley keinen Unterschied zwischen einem Objekt und dem Akt des Denkens dieses Objekts mache, so werde auch in Platons Ideenlehre dieser Unterschied verwischt. Die allgemeine Idee des Weißen, so erzählt Russell uns in Problems of Philosophy (1912), ist nur die Ähnlichkeit (resemblance) weißer Objekte, die man nicht mit dem Akt des Denkens des Weißen verwechseln darf (1912, 154). Diese Art unzureichen-der Kritik am Idealismus führte in der analytischen Philosophie anfangs zum Triumph des Naturalismus. War der logische Atomismus Russells die Umkehrung des Holismus Bradleys und Hegels (1946, 770), so versteht sich die gegenwärtige Wiederbelebung des Hegelianismus im analytischen Denkraum (vgl. Robert Bran-dom und John McDowell ) ihrerseits als Umkehrung des Atomismus. Russells Sicht auf die Geschichte der Philosophie hat zwar die angelsächsische Welt lange vor dem Einfluss Nietzsches bewahrt, sie hat allerdings auch maßgeblich ein negatives Bild des Hegelianismus geprägt (vgl. nicht zuletzt Karl Poppers Hegellektüre in The Open

Society and Its Enemies, 1945). Die eher sozialreformistischen Ideen des britischen Idealismus waren allerdings auch ein Versuch, den sozialen Atomismus und Indivi-dualismus der angelsächsischen Tradition, die im Werk Herbert Spencers gipfelten, zu überwinden. Russells Motiv, den britischen Idealismus abzulehnen, war jedoch rein epistemologisch. Gegen diesen Idealismus wendete sich aus politischer Sicht in Amerika auch das Denken der neoliberalen Ideologen (von Ayn Rand bis zu Leonard Peikofff ), die im Idealismus eine unterschwellige Tendenz zum Kommunismus wahr-nahmen. Diese Ideologen erkannten jedoch, dass der objektive Idealismus von Pla-ton bis Hegel einen Sozialsinn und eine Askese propagiert, die im Grunde mit dem modernen Kapitalismus unverträglich sind (1991, 30  fff.).

Ambivalenter ist die politische Sicht der Frankfurter Schule auf den objektiven Idealismus, für die Max Horkheimer in Eclipse of Reason (1947) paradigmatisch ar-gumentiert hat und die im Grunde auch heute noch von Jürgen Habermas vertreten wird. Horkheimer lehnt sowohl den Naturalismus als auch den Idealismus ab, weil sie jeweils unterschiedliche Seiten einer Polarität hypostasieren (1947, 171). Dies führe zu einseitigen Abstraktionen wie „Geist“ und „Natur“, die in Wirklichkeit eine Einheit seien. Die Wahrheit laute, dass der Geist seinen Ursprung im Prinzip der Selbsterhaltung habe und daher keine Priorität gegenüber der Natur haben könne. Das Leib-Seele-Problem wird bei Horkheimer nur gestreift und auch bei Habermas ist es nicht anders (vgl. Zwischen Naturalismus und Religion, 2005). Es gibt bei Hork-