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Volker_Popp_Weder_Im_vollen_Lichte_der_Geschichte_noch_Dunkle_Anfänge_Wien_2008.doc 1/8 Weder „Im vollen Lichte der Geschichte“ noch „Dunkle Anfänge“? Dank des scheinbar überreichen Quellenmaterials stellt die Islamwissenschaft die Entstehung des Islam als einen Vorgang dar, welcher sich Im vollen Lichte der Geschichte 1 vollzogen haben soll. Wir können diesen Vorgang sogar datieren, denn in einer Inschrift mit der Datierung auf das Jahr 72 2 wird der Terminus Islâm 3 zum ersten Mal inschriftlich erwähnt. Bereits zwei Jahrhunderte nach dem Ende des Propheten erschien seine „Biographie“, die Sîra an-Nabawiyya, in der Fassung des Ibn Hischâm. Die dort geschilderten Ereignisse gehen jeweils auf den Versuch der Neu-Deutung eines inzwischen von den Muslimen des 9. Jahrhunderts nicht mehr verstandenen Koranverses zurück. 4 Es entsteht so ein koranischer Midrasch, 5 welcher in der Islamwissenschaft als „Biogra- phie“ missverstanden wird. Eine Inschrift an der Moschee von Medina vom Jahr 135/752 n. Chr. liefert weitere Hinweise. 6 Es ist die Rede von einem Kitâb Allâh. Leider wird nicht deutlich, ob es sich hier um eine Erwähnung der Schrift handelt, oder, im Verständnis der islamwissenschaftlichen Hermeneutik, um den Koran. Dieser äußert sich dazu: „Bringt doch die Torah herbei und lest sie vor, wenn (anders) ihr die Wahr- heit sagt“ (Koran 3. 93). Durch eine solche Aufforderung gibt sich der Koran selber als Hypertext zu erkennen, er verweist nach dem Muster der Evangelien, welche auch die Torah und die Prophe- ten zitieren, auf ihm voraus gehende Textkorpora, wenn auch die angeführten Referenzen, die er transportiert, eingebunden sind in eine Sichtweite von eigener Originalität. 7 Des weiteren spricht die Inschrift in Medina von der sunna nabawiyya. Da der arabische Begriff sunna nichts anderes ist als das hebräische mischna, scheint es sich hier um einen Hinweis auf die entstehende mischna 8 der neuen Tradition (syr. maschlmânwâtâ) 9 im Rahmen einer neuen Exegese 1 F. Niewöhner, Volles Licht der Geschichte. Muhammad und das Judentum: Ein Berliner Studientag, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2.03.2005. 2 Hier wird man unwillkürlich an die Verwendung dieser Zahl in Verbindung mit der Schaffung der Septuaginta erin- nert. 3 Im Zusammenhang der Inschrift im Inneren des Felsendoms in Jerusalem. Teile der Inschrift finden sich verstreut in der heute vorliegenden Edition der koranischen Materialien. Die Erwähnung des Terminus Islâm findet sich daher heute auch in Koran 3.19. Die heute vorliegende Edition der koranischen Materialien scheint der Editionspraxis der Thomasakten gefolgt zu sein. Wie die Thomasakten gliedert sich der Koran in 114 Abschnitte. W. Attalah, L'Evangile selon Thomas et le Coran, Arabica 23, 1976, 311. 4 Theodor Nöldeke, Geschichte des Qorâns. Zweite Auflage, völlig umgearbeitet von Friedrich Schwally, Leipzig 1919, 215: „Die Aussagen des Qorâns sind nicht eindeutig, und die muslimische Tradition, die allein auf der Ausle- gung derselben beruht, hat keinen selbständigen Wert.“ Dieser Feststellung Schwallys hat die Islamwissenschaft bis heute nicht widersprochen. 5 G. Levi delle Vida, Sira, Handwörterbuch des Islam, Leiden 1941, 699. Zum Begriff midrasch [hebr. >Auslegung<, >Deutung<], gesammelte rabbinische Literatur, die sich an den Bibeltext anschließt und ihn erklärt; dann auch die Methode der Schrifterklärung. Älteste Beispiele sind die biblischen Bücher der Chronik, in denen die Geschichte im Sinne der späteren Religionsauffassung gedeutet wird. (Der Grosse Brockhaus, Kompaktausgabe, Wiesbaden 1984). 6 Répertoire Chronologique d'Épigraphie Arabe, Vol. I. Cairo 1931, Inschrift No. 38. 7 Geneviève Gobillot, Grundlinien der Theologie des Koran, Grundlagen und Orientierungen, (Vortrag gehalten im Rahmen der Tagung von Inarah im Europäischen Bildungszentrum Otzenhausen 2008). In: Markus Groß/ Karl- Heinz Ohlig, Schlaglichter, Berlin 2008, 322. 8 Mischna [hebr. >Wiederholung<] die, die um 200 n. Chr. abgeschlossene Aufzeichnung des bis dahin mündlich überlieferten jüdischen Religionsgesetzes. (Der Grosse Brockhaus, Kompaktausgabe, Wiesbaden 1984). 9 According to Barhadbeschabba 'tradition' (maschlmânûtâ) and 'explanation' (puschschâqâ) of the Scriptures can be either oral or written. In oral form 'traditions' (maschlmânwâtâ) can be transmitted by the teachers in the practice of the exegetical instruction (puschschâqâ). (Gerrit J. Reinink: 'Edessa grew dim and Nisibis shone forth': the School of Nisibis at the transition of the sixth-seventh century (Brill's Studies in Intellectual History 61), Leiden 1995, 87, Fußnote 42. Von dieser syrischen Terminologie leitet sich die Vorstellung von Abraham als einem musliman (Koran 3.67) her. Abraham wird hier als ein echter Heide (hanîf) vorgestellt. Diese Vorstellung geht zurück auf den Kir- chenschriftsteller Tertullian (+ nach 220) und seine Schrift De testimonio animae, wo er feststellt, dass auch Heiden bei spontanen Äußerungen im Grunde christlich denken, weil dies der der Natur nach christlichen Seele entspreche (testimonium animae naturaliter christianae). Das syr. mschlm hat die Bedeutung von echt, authentisch, denn eine Tradition muss dieses Charakteristikum aufweisen. Von der syrischen Terminologie ist es nur ein kleiner Schritt zur

Volker Popp: Weder im vollen Lichte der Geschichte noch dunkle Anfänge, Wien 2008

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Some evidence for a critical study of early Islam

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Weder „Im vollen Lichte der Geschichte“ noch „Dunkle Anfänge“?

Dank des scheinbar überreichen Quellenmaterials stellt die Islamwissenschaft die Entstehung des Islam als einen Vorgang dar, welcher sich Im vollen Lichte der Geschichte1 vollzogen haben soll. Wir können diesen Vorgang sogar datieren, denn in einer Inschrift mit der Datierung auf das Jahr 722 wird der Terminus Islâm3 zum ersten Mal inschriftlich erwähnt. Bereits zwei Jahrhunderte nach dem Ende des Propheten erschien seine „Biographie“, die Sîra an-Nabawiyya, in der Fassung des Ibn Hischâm. Die dort geschilderten Ereignisse gehen jeweils auf den Versuch der Neu-Deutung eines inzwischen von den Muslimen des 9. Jahrhunderts nicht mehr verstandenen Koranverses zurück.4 Es entsteht so ein koranischer Midrasch,5 welcher in der Islamwissenschaft als „Biogra-phie“ missverstanden wird.

Eine Inschrift an der Moschee von Medina vom Jahr 135/752 n. Chr. liefert weitere Hinweise.6 Es ist die Rede von einem Kitâb Allâh. Leider wird nicht deutlich, ob es sich hier um eine Erwähnung der Schrift handelt, oder, im Verständnis der islamwissenschaftlichen Hermeneutik, um den Koran. Dieser äußert sich dazu: „Bringt doch die Torah herbei und lest sie vor, wenn (anders) ihr die Wahr-heit sagt“ (Koran 3. 93). Durch eine solche Aufforderung gibt sich der Koran selber als Hypertext zu erkennen, er verweist nach dem Muster der Evangelien, welche auch die Torah und die Prophe-ten zitieren, auf ihm voraus gehende Textkorpora, wenn auch die angeführten Referenzen, die er transportiert, eingebunden sind in eine Sichtweite von eigener Originalität.7 Des weiteren spricht die Inschrift in Medina von der sunna nabawiyya. Da der arabische Begriff sunna nichts anderes ist als das hebräische mischna, scheint es sich hier um einen Hinweis auf die entstehende mischna8 der neuen Tradition (syr. maschlmânwâtâ)9 im Rahmen einer neuen Exegese

1 F. Niewöhner, Volles Licht der Geschichte. Muhammad und das Judentum: Ein Berliner Studientag, Frankfurter

Allgemeine Zeitung, 2.03.2005. 2 Hier wird man unwillkürlich an die Verwendung dieser Zahl in Verbindung mit der Schaffung der Septuaginta erin-

nert. 3 Im Zusammenhang der Inschrift im Inneren des Felsendoms in Jerusalem. Teile der Inschrift finden sich verstreut in

der heute vorliegenden Edition der koranischen Materialien. Die Erwähnung des Terminus Islâm findet sich daher heute auch in Koran 3.19. Die heute vorliegende Edition der koranischen Materialien scheint der Editionspraxis der Thomasakten gefolgt zu sein. Wie die Thomasakten gliedert sich der Koran in 114 Abschnitte. W. Attalah, L'Evangile selon Thomas et le Coran, Arabica 23, 1976, 311.

4 Theodor Nöldeke, Geschichte des Qorâns. Zweite Auflage, völlig umgearbeitet von Friedrich Schwally, Leipzig 1919, 215: „Die Aussagen des Qorâns sind nicht eindeutig, und die muslimische Tradition, die allein auf der Ausle-gung derselben beruht, hat keinen selbständigen Wert.“ Dieser Feststellung Schwallys hat die Islamwissenschaft bis heute nicht widersprochen.

5 G. Levi delle Vida, Sira, Handwörterbuch des Islam, Leiden 1941, 699. Zum Begriff midrasch [hebr. >Auslegung<, >Deutung<], gesammelte rabbinische Literatur, die sich an den Bibeltext anschließt und ihn erklärt; dann auch die Methode der Schrifterklärung. Älteste Beispiele sind die biblischen Bücher der Chronik, in denen die Geschichte im Sinne der späteren Religionsauffassung gedeutet wird. (Der Grosse Brockhaus, Kompaktausgabe, Wiesbaden 1984).

6 Répertoire Chronologique d'Épigraphie Arabe, Vol. I. Cairo 1931, Inschrift No. 38. 7 Geneviève Gobillot, Grundlinien der Theologie des Koran, Grundlagen und Orientierungen, (Vortrag gehalten im

Rahmen der Tagung von Inarah im Europäischen Bildungszentrum Otzenhausen 2008). In: Markus Groß/ Karl-Heinz Ohlig, Schlaglichter, Berlin 2008, 322.

8 Mischna [hebr. >Wiederholung<] die, die um 200 n. Chr. abgeschlossene Aufzeichnung des bis dahin mündlich überlieferten jüdischen Religionsgesetzes. (Der Grosse Brockhaus, Kompaktausgabe, Wiesbaden 1984).

9 According to Barhadbeschabba 'tradition' (maschlmânûtâ) and 'explanation' (puschschâqâ) of the Scriptures can be either oral or written. In oral form 'traditions' (maschlmânwâtâ) can be transmitted by the teachers in the practice of the exegetical instruction (puschschâqâ). (Gerrit J. Reinink: 'Edessa grew dim and Nisibis shone forth': the School of Nisibis at the transition of the sixth-seventh century (Brill's Studies in Intellectual History 61), Leiden 1995, 87, Fußnote 42. Von dieser syrischen Terminologie leitet sich die Vorstellung von Abraham als einem musliman (Koran 3.67) her. Abraham wird hier als ein echter Heide (hanîf) vorgestellt. Diese Vorstellung geht zurück auf den Kir-chenschriftsteller Tertullian (+ nach 220) und seine Schrift De testimonio animae, wo er feststellt, dass auch Heiden bei spontanen Äußerungen im Grunde christlich denken, weil dies der der Natur nach christlichen Seele entspreche (testimonium animae naturaliter christianae). Das syr. mschlm hat die Bedeutung von echt, authentisch, denn eine Tradition muss dieses Charakteristikum aufweisen. Von der syrischen Terminologie ist es nur ein kleiner Schritt zur

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der Schrift zu handeln. Betrachtet man die sunna nabawiyya als eine neue mischna10, dann ist es auch nur konsequent, in den Sammlungen der hadith11 (Ausprüche des Propheten und seiner Ge-fährten) und ihrer Kommentierung unter Beifügung der Schârî'a-Rechtssammlung einen neuen Tal-mud12 zu sehen. Folgt man weiterhin dieser Sichtweise, dann wird auch verständlich, warum der Is-lam seither nicht ohne die Praktizierung der Scharî'a13 gelebt werden kann.

Dieser Entwicklungsstand wird aber erst nach Vorlage der Biographien von Prophetengenossen und der großen Sammelwerke u. a. von ost-iranischen Gelehrten wie al-Bukhârî (+ 870) und Muslim (+875) erreicht. Hinzu kommt die Begründung von Rechtsschulen und die Entwicklung der ausle-genden Literatur während der folgenden Jahrhunderte, die nicht mehr beachtet, dass sich der Koran selbst als Hypertext bezeichnet, sondern in ihm „die treue Wiedergabe der im Himmel befindlichen Urschrift“ sieht und daher folgert: „was zwischen den beiden Einbanddeckeln ist, das ist das Wort Gottes“.14

Zur Synchronisation von Begebenheiten der Heilsgeschichte mit historischen Er-eignissen

Die angesprochene Entwicklung des Islam: „im vollen Lichte der Geschichte“ lässt sich von dem Jahr 72 des Felsendoms in Jerusalem an mit Hilfe des überreichen Quellenmaterials nachvollzie-hen. Nun hat die muslimische Tradition aber das Axiom vorgegeben, nach dem Begebnisse, welche in der doch recht späten Sîra an-Nabawiyya (Biographie) des Propheten unter Verweis auf korani-sche Materialien als Verkündigung im Stil eines Evangelium des Muhammad geschildert werden, bereits um das Jahr 622 n. Chr. stattgefunden haben sollen. Es werden hier zwei getrennte Tat-bestände miteinander verknüpft: 1. Das Vorkommen einer neuen Datierungsweise in Iran ab dem Jahr 2015. Im Jahr 20 (641 n.

Chr.) sah man wohl im Nachhinein im Ausbruch des Krieges zwischen Byzanz und Iran im Jahr 622 n. Chr. den Beginn einer epochalen Wendung. Einen weiterer Hinweis auf den Anbruch eines neuen Zeitalters stellt eine Zählung der Jahre nach den Arabern (kat arabas) ab dem Jahr 622 n. Chr. in Text der Inschrift von Gadara16 dar.

2. Die Erwähnung des neuen Exodus von Mekka nach Ma'dîna (Stätte des Gerichts) in der Sîra an-Nabawiyya von Ibn Hischâm (+834 n. Chr.). Das Jahr 20 der neuen Zählung korrespondiert mit dem Todesjahr des byzantinischen Kaisers Herakleios (641 n. Chr.). Das Jahr 622 n. Chr. sah die Eröffnung eines Krieges zwischen Byzanz und dem Iran der Sassaniden, welcher zum Ende die-ser Dynastie führte. Nach dem Tod des Kaisers Herakleios emanzipierte sich der Iran vom Ein-fluß der Sieger. Im Jahr 20 nach den Arabern wird eine neue Selbstherrschaft im Iran mit dem Beginn einer eigenständigen Münzprägung dokumentiert17. Die neue Zeitrechnung der inner-

arabischen des frühen Islam: mschlm/muslim.

10 Die Begriffe mischna und sunna werden von der gleichen semitischen Wurzel gebildet. 11 Mitteilung, Erzählung. Im konkreten Sinn: Nachricht über Taten oder Aussprüche des Propheten und seiner Ge-

nossen. 12 Talmud, [hebr. >Lernen<, >Lehre<] der, das nachbibl. Hauptwerk des Judentums, entstanden in mehrhundert-

jähriger mündl. und schriftl. Überlieferung, abgeschlossen um 500 n. Chr. Der T. besteht aus der Mischna (nach Materien geordnete Rechtssammlung und -kodex in Hebräisch) und der auf ihr aufbauenden aramäischen Diskus-sion und Kommentierung, der Gemara. (Der Grosse Brockhaus, Kompaktausgabe, Wiesbaden 1984).

13 Nach der islamischen Hermeneutik der Weg zum Tränkplatz, der deutliche, zu befolgende Weg überhaupt. Als ter-minus technicus das kanonische Gesetz des Islam. Es handelt sich um eine weitere der vielen Vorstellungen vom Beschreiten des rechten Wegs, siehe dazu die Vorstellungen bei Jesaia. Der gerade Weg, der path of glory wird in der Eröffnungssure des Koran angesprochen.

14 F. Buhl, Koran, Enzyklopaedie des Islam: „Nachdem durch die Polemik der christlichen Theologen der Begriff der Ewigkeit und des Unerschaffenseins des Wortes Gottes den muslimischen Theologen bekannt geworden war (s. H. C. Becker, in Zeitschrift für Assyriologie, XXVI, 186ff.), wurde er von ihnen auf die im Himmel befindliche Schrift und dann schließlich von der streng orthodoxen Richtung auf die arabischen Qur'ânexemplare übertragen,“

15 J. Walker, A Catalogue of the Arab-Sassanian Coins, London 1941, 3-4. 16 Y. Hirschfeld, The Roman Bath of Hammat Gadar, Israel Exploration Society, (Jerusalem) 1997, 238-240. 17 Diese Münzprägung ging vom Osten des Iran (Marw, Sakastân) und Khûzistân (Nahr-Tîrâ) aus. Khûzistân war zu

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iranischen Gegner der besiegten Sassaniden-Dynastie macht den Anfang von deren Ende zum Ausgangspunkt einer neuen Zeitrechnung. Nach Art des Midrasch wird gut hundert Jahre später von Vertretern einer neuen religiösen Tradition auf eben diesen Zeitpunkt die Datierung des Umbruchs in einer theologischen Geschichtsdarstellung, der historia sacra des Islam, projiziert.

Zu diesem islamischen Midrasch ist auch die Futûh (Eroberungs)-Literatur zu rechnen. Nach dieser soll der siegreiche Islâm sich mit militärischen Mitteln von der Arabischen Halbinsel aus der Hin-terlassenschaft des sassanidischen Iran und des byzantinischen Orients bemächtigt haben. Es han-delt sich hier eher um eine spätere Projektion einer gottgefälligen Landname im biblischen Sinne, der nachträglichen Legitimation des Besitzes Dank göttlicher Intervention.18 Die Darstellung der „Eroberungsgeschichte“ ist zumindest ein Zeugnis dafür, was man in der Zeit ihrer Abfassung für denkbar hielt. Die Anlehnung an biblische Erzählstrukturen zeigt sich in der Variation biblischer topoi und erinnert an die Parallelität der Darstellung im Buch der Könige und der Chronik. Der jü-disch-christliche Hintergrund der islamischen historia sacra scheint immer wieder durch. Von der derzeitigen Islamwissenschaft wird sie nicht mehr als Theologie wahrgenommen, sondern als Histo-rie im Sinne der europäisch-amerikanischen Tradition der Geschichtsschreibung angesehen. Der-gleichen konnte man auch von den Theologen sagen. Es herrschte, trotz der Vorarbeiten von Aloys Sprenger (1813-1893), Julius Wellhausen (1844-1918) und Günter Lüling, bis vor wenigen Jahren in der Forschung Stillstand, denn „den Theologen ist noch nicht genügend zum Bewußtsein gekom-men, daß der Islam zur Kirchengeschichte gehört.“19

Probleme der Datierung. Die Datierung nach der islamischen Zeitrechnung (hijra) ist in den In-schriften der islamischen Frühzeit nicht erwähnt.

Zu den frühesten historischen Dokumenten, welche von den neuen Machthabern im ehemals byzan-tinischen Orient, von ihren Zeitgenossen Hagarener20 (Nachkommen der in die Wüste geschickten biblischen Hagar) genannt, berichten, gehört die zweisprachige Quittung (arabisch/ griechisch) für eine Lieferung Hämmel in Ägypten aus dem Jahr 22 (643 n. Chr.). Diese trägt die Datierung Jahr 2221, ohne Angabe einer Ära. Die Münzprägung des Maavia, des ersten historisch fassbaren Oberhaupts der neuen Herrschaft (661-680 n. Chr.) mit dem Titel des „Amîr-i wurroyischnigân“ („Sprecher derer, die uns glauben machen“) in Dârâbjird, Iran (Mittelpersische Inschrift in aramäischer Schrift), ist datiert auf das Jahr 4122. Eine Münzprägung im Namen Maavias von anderen Münzstätten, außerhalb der Persis/ Iran, ist nicht bekannt. Die griechische Inschrift des Maavia von Gadara in Galiläa ist datiert nach der byzantinischen Zeit-rechnung nach Steuerjahren (Indiktionen), nach der Ära der Stadt Gadara und auf das Jahr 42 nach

dieser Zeit ein Zentrum der syrischen Kirche (Gundeschabûr) und neue Heimat vieler deportierter Christengemein-den aus dem Osten des byzantinischen Reichs ( Antiochia, Amida, Edessa).

18 „Daraus ergibt sich, daß der größte Teil der Traditionen über die Zeit der ersten Kalifen nicht – oder allenfalls – rela-tiv datiert war. Die Einordnung der Überlieferung in die Hijra-Chronologie ist eine spätere Systematisierung, sie ist kein ursprüngliches Thema der frühen Geschichtsüberlieferung. So erklärt sich das in den Quellen überall vorhande-ne Durcheinander in der chronologischen Einordnung der Traditionen zur frühen Kalifenzeit. Auch scharfsinnige Kombinationen haben diesen Wirrwarr bisher nicht völlig zufriedenstellend auflösen können, zumal auch die nicht-arabischen Quellen (griechische, syrische, armenische, koptische) nur in wenigen Punkten weiterhelfen können. (Al-brecht Noth, Quellenkritische Studien zu Themen, Formen und Tendenzen Frühislamischer Geschichtsüberlieferung, Bonn 1973, 41).

19 Th. Nöldeke/ F. Schwally, Geschichte des Qorâns, a.a.O, 209. 20 Der griechische Text der Quittung bezeichnet die Empfänger als magar(i)t(ais). Dies wird übersetzt als: „ Magariten

(Muhâdschirûn)“. Es handelt sich aber nicht um die „Auswanderer (Muhâdschirûn)“ der Exodus-Geschichte des is-lamischen Mythos, der Teilnehmer der Flucht von Mekka nach Medina, sondern um m(a)-Hagar-itais, d. h. Angehö-rige der Abkömmlinge von der biblischen Hagar. Mit dieser biblischen Bezeichnung belegte man u.a. Leute, welche aus der „Araba“ kommen, einem wasserarmen Gebiet in der Jordansenke, am Rande des Toten Meeres.

21 Empfangsbescheinigung des arabischen Kommandanten Amîr 'Abdallâh ibn Dschabir über requiriertes Vieh auf sei-nem Feldzug in Oberägypten, Urkunde vom 25. April 643. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Papyrus-sammlung.

22 J. Walker, A Catalogue of the Arab-Sasanian Coins, London 1941, 25-26.

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den Arabern (arabas), aber nicht nach der Ära eines arabischen Propheten in Mekka. Die Inschrift an dem Wasserbecken in Tâ'f ist datiert: Jahr 58.

Wer sind die Araber zur Zeit des Maavia?

Als Araber galten zu dieser Zeit noch die Bewohner der vormals römischen Provinz Arabia. Deren Zentrum war Damaskus. Dort hatte der Maavia, nach der islamischen Tradition der erste Kalif (Stellvertreter) aus der sogenannten Dynastie der Omaijaden, seinen Sitz. Aus diesem Grund kann er als Araber gelten, seinem aramäischen Namen zum Trotz. Wer aus der Nachbarschaft von Da-maskus stammte, galt zur Römerzeit als Araber. Als einer ihrer Vertreter kann der römische Kaiser Philipp der Araber (Philippus Arabs +249 n. Chr.) gelten, der aus dem Hauran stammte. Dort wohn-ten Nabatäer, welche Aramäisch sprachen. Da sie westlich von Mesoptamien lebten, waren sie aus der Sicht des Perserreiches „'arab“, d. h. „Bewohner des Westen“. Erst im Verlauf der Bearbeitung der theologischen Geschichte des islamischen Mythos durch die Islamwissenschaft wanderte mit fortschreitender Differenzierung der geographischen Kenntnisse das Arabien des frühen Islam von Syrien in die Arabische Halbinsel hinein. Für diese hatte die Antike keinen Namen. Der syrische Bischof Bar-Hebraeus (1225-1286 n. Chr.) bezeichnet in seiner Geschichtsdarstellung die Stadt Bosrâ (Alt-Damaskus) noch als Stadt in Arabien. Im Jahr 105 (724 n. Chr.) der Araber findet sich in einer Inschrift die Bezeichnung al-Hijaz23. Ob es sich dabei um das wörtlich gemeinte „Hindernis“, oder um die heute so bezeichnete Landschaft der Arabischen Halbinsel handelt, muss hier offen bleiben. Datierte Inschriften von Mekka finden sich erst zu Beginn des 3. Jahrhunderts des Islam.24 Auch diese Datierungen25 erwähnen die Ära des mekkanischen Exodus (hijra-Ära) nicht.

Wer ist der Maavia?

Die griechische Inschrift an den Thermen von Gadara in der Nähe des Sees von Genezareth in Palä-stina nennt den Maavia. Maavia ist eine aramäische Namensform. Es handelt sich hier aber um ei-nen Beinamen, einen Personennamen, und einen Hinweis auf eine Abstammung haben wir nicht. Daher können wir nur von diesem Beinamen auf das Wesen und auf eine Herkunft des Maavia schließen. Auch die arabische Form Mu'awiya26 seines aramäischen Beinamens Maavia sagt nichts über seine Herkunft aus. Auskünfte dazu versucht die spätere, fromme Geschichtsliteratur zu geben, die ihn zu den Sufi (Sufî-ân) rechnet und damit zu erkennen gibt, dass sie ihn nicht als orthodoxen Muslim ansieht. Der Beiname Maavia deuted auf eine Eigenschaft seines Trägers hin. Er ist einer, dem die Gabe der Tränen gegeben ist (gratia lacrimarum). Dazu äußert sich der Koran: „Wenn sie hören, was zu dem Gesandten [Jesus] herabgekommen ist, siehst du, wie ihre Augen auf Grund der Kenntnis, die sie von der Wahrheit haben, von Tränen überfließen. Sie sagen: „Herr! Wir glauben. Verzeichne uns un-ter die Gruppe derer, die bezeugen!“27

Der Beiname Maavia ist eine onomatopoetische Wortschöpfung, ein lautmalerisches Nachvollzie-hen der hervorstechendsten Eigenschaft seines Trägers. Er ist ein „Heuler“, eine „Heulsuse“.

Dazu Julius Wellhausen: „Die Huldigung Muavias in Jerusalem A. 40 wird bezeugt durch den Syrer

23 J. Walker, A Catalogue of the Arab-Byzantine and Post-Reform Umaiyad Coins, London 1956, 103, ANS 16a und

Abb. 20. 24 N. Lowick, Early Abbasid Silver Coinage, 528. Es handelt sich um einen Dirham datiert auf das Jahr 201. 25 Sylloge of Islamic Coins in the Ashmolean, Arabia and Est Africa, Oxford 1999, 488, plate 23. Es handelt sich um

eine Silbermünze datiert auf das Jahr 203. 26 Diese findet sich in einer Inschrift an einem Rückhaltebecken in der Nähe von Tâ'if. Wird der Name auf Grund

dieser arabischen Form seiner Schreibung als arabischer Name gelesen, dann müsste man ihn verstehen als: „Kleiner Haifisch“.

27 Koran 5:82-83. Übersetzung R. Paret. Meine Hervorhebungen. Vgl. E. Beck, Das christliche Mönchtum im Koran (Helsinki 1946).

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Nöldekes. Er stellt zwei unabhängige Nachrichten über dasselbe Ereignis hinter einander: „ Im Jahre 971 Sel. [Seleukidische Ära] versammelten sich viele Araber in Jerusalem und machten den Muavia zum Könige; dieser ging hinauf nach Golgatha, setzte sich dort nieder und betete, weiter nach Gethsemane, und dann hinab zum Grabe der seligen Maria, wo er wieder betete. . . . Im Monat Juli 971 sammelten sich die Emire und viele Araber und huldigten dem Muavia. Es ging das Gebot aus, dass er in allen Orten seines Gebietes als König ausgerufen wurde. Er trug übrigens kein Diadem, wie sonst die Könige der Welt.28 Seinen Thron aber schlug er in Damaskus auf und wollte nicht nach der Residenz Muhammads (Medina) ziehen“.“29 Auch diese Darstellung ist ersichtlich spät und unhistorisch. Sie steht aber für eine Sichtweise, welche verdeutlichen möchte, wie die Ereignisse sich zugetragen hätten bei der Erhebung eines Maavia (Heulers) zur Herrschaft. Selbstverständlich ist in diesem Fall, dass die Erhebung zum höchsten Rang vom Volk ausgehen muss, welches in ihm den Parakleten erkennt. Der so zum Herrscher erhobene trägt keine Krone. Er betet an den geweihten christlichen Stätten. Einen Pro-pheten Muhammad in Medina kennt er noch nicht, denn ein Maavia ist ein christlicher Asket und nicht Diener einer Eschatologie, welche am Ort des Gerichts (Ma'-dîna) durch eine eschatologische Persönlichkeit (Muhammad) verkörpert wird.

Wo lassen sich die Beweggründe für die Art und Weise der Inszenierung des Auftritts eines Maavia in der Öffentlichkeit finden? Sprüche 1:7: Des Herrn Furcht ist Anfang der Erkenntnis könnte einen Hinweis liefern, bezogen auf die Furcht vor dem bevorstehende Ende der Welt, dem anstehenden göttlichen Gericht und den erwarteten Qualen der Höllenpein. Noch sind wir aber nicht in der kora-nischen Endzeitstimmung angelangt. Dieser Maavia weint um Zion.

Daher nimmt er Wohnung in Damaskus. Dort hütet er das Erbe des Täufers, dessen Stellung in der Heilsgeschichte der seinigen ähnelt. Er trägt das härene Gewand aus ungekämmtem Wollstoff (arab. sof), denn er ist ein Sûfî in Nachfolge Johannes des Täufers. Seine Inschriften finden sich an zwei Bauwerken, welche mit „Wasser“ zu tun haben: Den Thermen von Gadara und dem Speicherbecken von Tâ'if. Seine Inschriften nennen den Namen Gottes nicht! Die basmala (das arabische: „in nomi-ne domini“) findet sich als Einleitung von Inschriftentexten, welche einer späteren Epoche unter seinen Nachfolgern angehören.

Der Asket Maavia hat keinen natürlichen Nachfolger. Dies würde auch seinem Selbstverständnis als Parakleten widersprechen, wie es sich in dem von ihm geführten mittelpersischen Titel Amîr-i wurroyischnigân (Sprecher derer, die uns glauben machen) spiegelt. Die islamische Tradition dich-tet ihm einen Sohn Yazîd an30. Der negativen Tendenz der islamischen Traditionsliteratur gegenüber dem Maavia entsprechend, ist dieser natürlich ein Wahnsinniger. Der Darstellung liegt das biblische Muster Salomon/Absalomon zugrunde. Ein historisch fassbarer Nachkomme ist jedoch inschriftlich nicht belegt.

Überträgt man den aramäischen Begriff maavia ins Arabische, dann handelt es sich um einen bakkâ' 31. Diese „Heuler“ werden im Koran erwähnt in Sure 17, 109: „Sie werfen sich weinend nieder, mit dem Kinn (am Boden).“ und Sure 19, 58: „Wenn ihnen die Zeichen des Barmherzigen [dies bezieht sich natürlich auf Jesu Wunder] vorgelesen werden, fallen sie in Anbetung und weinend nieder.“ Diese Zeichen der Empathie während der Lesung, die Prostration während des Gebets und

28 Julius Wellhausen, Das Arabische Reich und sein Sturz, Berlin 1902, 64-65. Man beachte den Anklang an den Titel

von Gibbons Werk zur Geschichte des Römischen Reichs. Warum fehlt wohl bei Wellhausen ein Hinweis auf die Geschichte des Aufstieg des Arabischen Reichs im Titel? Wellhausen scheint nur „Reich“ und „Untergang“ als Themen einer historischen Darstellung anzuerkennen.

29 Der von Nöldeke zitiere Syrer stützt sich m.E. auf eine späte Quelle. In Maavias Inschriften findet sich kein Bezug auf einen arabischen Propheten in Mekka oder Medina. Dem Volk muss in Erinnerung geblieben sein, dass Maavias Herrschaft nicht in Beziehung zu einem arabischen Propheten zu sehen ist.

30 Islamic Awareness verweist im Internet zu diesem Zweck auf eine Publikation von M. I. Mochiri, A Sasanian-Style Coin of Yazîd b. Mu'âwiya, Journal of the Royal Asiatic Society, 1982, pp. 137-141, Plate 1. Es handelt sich hier um eine Fehlprägung einer Münze des letzten Sassanidenherrschers Yazdagird.

31 Fritz Meier, Artikel BAKKÂ' [„weepers“], The Encyclopaedia of Islam, Leiden 1979, 959-61.

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nächtliches Wachen sind belegt für das mesopotamische Mönchstum in vorislamischer Zeit.32 „Man kann aber weitergehen und behaupten, daß das religiöse Weinen nicht auf das Mönchtum be-schränkt, sondern von der offiziellen Kirche anerkannt war. Der hochwürdige Mafrejan Bar Hebrae-us bespricht in seinem Ethicon die kanonischen Waschungen, welche er mit der Taufe verknüpft. Von diesen gibt es nach ihm acht Arten: Die Sintflut, die Taufe im Meere und in der Wolke, die nach Moses' Gesetz, die des Täufers, die unseres Herrn, die der Märtyrer, d i e d e r T r ä n e n , w e l -c h e d i e S e e l e v o n a l l e r U n g e r e c h t i g k e i t r e i n i g t , die mit Feuer. – Daß solches Weinen für Bar Hebraeus einen hohen Wert hatte, ist klar: ist doch die Reinigung von Ungerechtig-keit gerade dasjenige, dem der Gläubige zunächst nachstrebt. Kein Wunder, daß das Weinen auch als Charisma geschätzt wird, wie wir es in der Hilarialegende schon angedeutet fanden. Volle Belehrung über die Auffassung des Weinens seitens der syrischen Christen erhalten wir in der „Schönheit des Betragens“ (...). Hier heißt es in einem gereimten Gedicht, bestehend aus sechs Strophen, deren jede vier siebenfüßige Verse zählt:

Über die Arten von T r ä n e n b e i m G e b e t .

1. Vernachlässige deine Gebete nicht Noch dein Fasten und deine Almosen; Sondern erfülle alle deine Obliegenheiten, Damit deine Bitten erhört werden.

2. U n d d i e s w i r d d i r d a s Z e i c h e n s e i n , D a ß d e i n G e b e t z u m H i m m e l e m p o r g e s t i e g e n i s t : D i e T r ä n e n w e r d e n a u s d e i n e m A u g e f l i e ß e n , Und ihre Süßigkeit wird dein Herz süß machen.“33

Der bekannte holländische Orientalist A. J.Wensinck gelangte in diesem Zusammenhang zu folgen-den Schlußfolgerungen: „Wir finden also im Christentum und im Islâm eine ausgedehnte Verwen-dung des kultischen Weinens, Seufzens usw. und daneben hergehend eine Theorie über diese Er-scheinung als Pflicht und Charisma [göttliche Gnadengabe]. Daß der Islâm diese Kultform nicht er-funden und unabhängig entwickelt hat, geht daraus hervor, daß 1. diese Religion in Sachen, welche Kultus und Ritus betreffen, durchaus unselbständig ist, 2. das Beispiel des Christentums nahelie-gend war, 3. die fast wörtlich gleichlautende Betrachtung der Tränen als Charisma, welche wir oben bei einem christlichen Autor und bei einem Reisenden [Burckhardt, Travels in Arabia, London 1829, II, 52.], der sie aus dem islamischen Volksmunde haben muß, gefunden haben, nicht zufällig sein kann. Der Islâm ist hier vom Christentum abhängig,(...).“.

Nicht nur im Orient34 war das kultische Weinen bekannt, auch im Westen machte es von sich reden. Ein Zeitgenosse des zuvor erwähnten Bischofs Bar Hebraeus, Papst Innozenz IV., vergoss öffentlich Tränen, „(...) er hat mit ihnen bei der Eröffnung des Konzils von Lyon am 28. Juni 1245 verdeut-licht, dass ihn die fünf Schmerzen des Gekreuzigten peinigten (der fünfte Schmerz war angesichts des Kaisers als des Feindes der Kirche). Auf diese Weise, (...), konnte Innozenz IV. seine Stell-vertreterschaft Christi vor den versammelten geistlichen und weltlichen Großen gleichsam in Szene setzen.“35

32 M. Morony, Iraq after the Muslim Conquest, Princeton 1984, 446: “Repeated acts of prostration were part of

Magian, Sabian, and Christian monastic worship, but only among Christians were prostration part of a set of prac-tices that included nocturnal vigils and the recitation of scripture, (...) Monophysite monks at Amid in the sixth century were described as performing nightly vigils while prostrate on their faces in tearful prayer...“

33 A. J. Wensinck, Über das Weinen in den monotheistischen Religionen Vorderasiens. Festschrift Eduard Sachau, Berlin 1915, 27.

34 Zu diesem Thema: B. Müller, Der Weg des Weinens. Die Tradition des “penthos“ in den Apophthegmata Patrum, Göttingen 2000.

35 O. Jungen, Die Tränen des Papstes als Rollenspiel, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. Juli 2008, N3.

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Die griechische Inschrift von Gadara

Die griechische Inschrift des Maavia wurde bereits 1982 publiziert36, allerdings bis zum heutigen Tage nicht von der Islamwissenschaft rezipiert, da diese anscheinend an der Fiktion des „Arabi-schen Propheten“ festhält, dessen siegreiche Anhänger das „'arabî mubin“ des Korans gesprochen hätten. Es ist noch nicht aufgefallen, dass es sich bei der Vorstellung von dem „muhammad(un)“, dem Koran als Text und dem als klassisch verstandenen Arabisch um drei ursprünglich nicht mitein-ander verbundene Phänomene handelt. Erst Dank der islamischen Hermeneutik finden sie zusam-men. Daher ist es verständlich, dass sich die Islamwissenschaft mit einer Inschrift schwer tut, die hinsichtlich der Sprache in der Tradition der Region steht, aber nicht dem Bild der Ausbreitung des Arabischen im Kontext der Eroberungsgeschichte entspricht. Eine arabische Inschrift können wir erst für das Jahr 58 nachweisen. Solange hatte es gedauert, bis eine altertümliche Sprache aus der Region Damaskus zur Sprache der neuen Herrschaft geworden war. Dank der Zustimmung zu der Herrschaft des Parakleten Maavia in Damaskus konnte sich diese Sprache verbreiten. Die Anhänger des Parakleten gebrauchten eine Sprache, welche bereits Johannes derTäufer gekannt haben moch-te. Das Hebräische war die Sprache Mose, das Aramäische die Sprache Jesu und das ugaritische37 Nabatî der Damaszener die Sprache des Parakleten. So, wie die Herrschaft der Kaiseridee zum Deutschen, führte die Herrschaft des Parakleten zum „Arabischen“ des Koran. Daher ist verständ-lich, dass wir erst im Jahre 58 eine arabische Inschrift finden können.

Text de Inschrift:

Die Übersetzung lautet: „In den Tagen des Gottesknechtes, des Maavia, „Sprecher derer, die uns glauben machen“, wurden die Bäder (klibanos) gerettet und renoviert von 'Abdallah, Sohn des Abû Hâschim, dem Rat, am fünften des Monats Dezember, am zweiten Tag, im sechsten Jahr der Indikation, im Jahr 726 der Stadtgründung, nach den Arabern im zweiundvierzigsten Jahr, zur Heilung der Kranken unter Aufsicht des Johannes, dem Magistrat von Gadara.“

Auf den 5. Dezember fällt das Fest des Hl. Sabas'. Der Heilige hatte 502 ein Kloster in der Nachbarschaft der Thermen begründet.

36 Israel Exploration Journal, Vol. 32, Nos. 2-3, Jerusalem 1982, 94-95. 37 G. E. Mendenhall, Arabic in Semitic Linguistik History, Journal of the American Oriental Society 126.1 (2006), 22:

“On the other hand, I have heard from participants that the late I. J. Gelb stated in a seminar at the University of Michigan decades ago that the liguistic structures of Ugaritic and of Arabic are virtually identical.“

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Darstellungen Johannes des Täufers aus der Zeit des Maavia:

Abb. 1: Johannes zeigt seine Reliquie.38 Der frontal dargestellte Johannes mit gegürtetem Gewand zeigt auf sein Kopfreliquiar. Darüber Taube. In der Rechten hält er den Stab Mose als Zeichen des Prophetentums. Dieser Stab wird in der islamischen Hermeneutik umgedeutet zur 'anaza, der Lanze des Beherrschers der Gläubigen, des Kalifen der islamischen Staatenwelt.

Abb. 2: Johannes wird dargestellt als Prediger.39 Auffallend die Betonung des gegürteten Gewandes.

Abb. 3: Aversdarstellung: Johannes mit Prophetenstab und Kreuzglobus, r. Agnus Dei. Reversdar-stellung: Wertbezeichnung M (40 Kupfer für einen Silberling), darüber Kreuz, darunter Münz-stättenangabe (DA) MA (SKOS).40

38 A. Bermann, Islamic Coins, Exhibition Winter 1976. L. A. Mayer Memorial Institute for Islamic Art, Jerusalem

1976, No. 1. 39 Bank Leu AG, Zürich, Auktion 35 (1985), No. 411. 40 John Walker, Catalogue II, p. 47.